Dr. Christian Weißenburger
Beiträge in merz
Christian Weißenburger: Blogs für die Leseförderung
Das Lesetagebuch ist eine anerkannte Methode der Leseförderung, die vor allem im Zuge des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts (vgl. Waldmann 1984/Haas, Menzel, Spinner 1994) an Bedeutung gewonnen hat. Eine Vielzahl von Publikationen belegt die Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht und beschreibt die Erfolge dieser Arbeitsweise (z. B. Bertschi-Kaufmann 2003/Schwarz 2000). Und doch stellt sich angesichts der Lesemise-re, wie sie PISA und andere Untersuchungen vor allem für die Jungen konstatieren, die Frage, ob die neuen Medien für Leseförderung nicht noch gewinnbringender genutzt werden können.Die technische Entwicklung des Internets spielt den Didaktikern nun ein neues Instrument zu, das die erprobten Lesetagebücher mit den motivationalen Vorteilen der neuen Medien kombi-nierbar macht: So genannte „Blogs“.Lesetagebücher und die ProblemeLesetagebücher werden zum Erarbeiten von Texten in offenen Unterrichtsformen gern und häufig von LehrerInnen eingesetzt. Sei es nun als „Mittel zur Dokumentation gelesener Bü-cher“ (Hintz 2002) oder zur Reflexion des Gelesenen – stets erfüllen die Lesetagebücher eine lesebegleitende Funktion, die eine Verbindung von Lesen und Schreiben impliziert. Dabei wird allerdings das Medium zu wenig in Bezug auf die Adressaten reflektiert.Lesetagebücher bilden per definitionem eine Form des Tagebuchs, einer literarischen Text-form, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt. Dabei war und ist, nicht zuletzt durch die Momente der Selbstreflexion und ausgedrückter Emotion, das Tagebuchschreiben eine eher weiblich konnotierte Beschäftigung.Diese Tatsache birgt für eine Umsetzung im Unterricht Schwierigkeiten. Gerade die bei PISA als Problemgruppe diagnostizierten Jungen der Hauptschule in der Altersklasse um 14 Jahre befinden sich in einer Lebensphase, in der Abgrenzungen zu den als weiblich eingestuften Tätigkeiten und Eigenschaften als unumgänglich empfunden werden.
Die Interessen der Jun-gen liegen darüber hinaus weniger beim Lesen und Schreiben, sondern vielmehr bei den Neu-en Medien (vgl. JIM-Studie 2002/Marci-Boehncke 2005).Nun stellt sich die Frage: Inwiefern können die Erfolge von Lesetagebüchern mit den Interes-sen der Jungen verbunden werden, ohne die Vorlieben der Mädchen dabei aus den Augen zu verlieren? Gibt es Möglichkeiten die Vorteile beider Medien, die Chancen für Leseförderung durch Lesetagebücher sowie den hohen Aufforderungscharakter des Internet, miteinander zu kombinieren?Blogs – ein neues MedienphänomenDas Wort „Blogs“ ist eine Kurzform von „Weblogs“. Es handelt sich dabei um eine Wortneu-schöpfung aus den Wörtern „Web“ und „Logbuch“, was schon die Verbindung der beiden Medien Internet und Buch, bzw. Tagebuch impliziert. Es handelt sich bei den Blogs um öf-fentlich im Netz publizierte Tage- oder Notizbücher, die in Form von Webseiten so organi-siert sind, dass die jeweils neueste Nachricht stets oben angefügt wird. Optisch und funktional unterscheiden sich diese Seiten nicht von gewöhnlichen Webseiten, allerdings bieten sie eine Reihe von Vorteilen, die sie zu einem Massenphänomen werden lassen. Elementar ist die einfache Einrichtung und Bedienung der Blogs. Um sein eigenes Online-Tagebuch einzurichten und zu führen braucht der Nutzer lediglich einen Computer mit Inter-netzugang sowie einen Anbieter (Provider). Es sind keinerlei Programmierkenntnisse vonnö-ten. Die Artikel (Postings) werden in einem Editor wie in Word eingegeben und sind ebenso einfach über Schaltflächen formatierbar. Dabei wird jeder Arbeitsschritt vom Providerpro-gramm ausführlich erklärt. Für das spätere grafische Design des Blogs werden unterschiedli-che, ansprechende Vorlagen angeboten, die, per Mausklick anwählbar, den Text in eine tren-dige Form bringen. So ist der Einstieg geradezu kinderleicht und auch für in den neuen Me-dien eher Unbewanderte problemlos.Folglich wächst sich das Bloggen zu einem neuen Online-Trend aus. Etwa 60 Millionen Men-schen nutzen Blogs inzwischen, in Deutschland bloggen bislang etwa 200.000 Bürger, Ten-denz steigend. Neben der einfachen Bedienung der Blogs qualifizieren sie sich aber vor allem durch eine bislang nicht gekannte Funktionalität auch für den Einsatz in der Schule.Wie bereits beschrieben, kann der Nutzer auf der Seite Texte veröffentlichen. Neben Texten lassen sich aber auch Bilder einstellen oder Links zu anderen Seiten setzen. Die entscheidende Neuerung liegt allerdings in der Interaktivität von Blogs.
Jeder Besucher der Seite kann zu den eingestellten Texten mit Hilfe einer Antwortfunktion Kommentare ver-fassen. Es entsteht ein Diskussionsforum! Dabei kann jeder Teilnehmer jederzeit von jedem Rechner mit Internetanschluss an der Diskussion teilnehmen und auch die Einträge der ande-ren Diskutanten betrachten und darauf reagieren. Diese Funktionen werden zwar teilweise auch von den bereits bekannten Chat-Rooms bedient, die Nachrichten in Blogs sind allerdings darüber hinaus nicht auf zeitnahe Kommunikation angewiesen, sondern halten die Notizen dauerhaft vor. Darüber hinaus halten Blogs noch weitere Möglichkeiten bereit, wie die „Trackback-Technik“, die ein Verlinken mit anderen Sites problemlos ermöglicht, sowie die RSS-Technik, die eine Form von Abo-Service darstellt und die neuesten Infos eines Blogs stets aktuell auf den heimischen Rechner zustellt. Blogs als LesetagebücherDie Ausführungen zeigen: Blogs sind geradezu prädestiniert, als Lesetagebuch eingesetzt zu werden. Dabei findet in vielerlei Hinsicht eine Erweiterung der Möglichkeiten der bisherigen Form statt. Der Einsatz neuer Medien stellt eine motivationale Aufwertung des Lesetagebuchs dar. Vor allem Jungen werden über das Medium Internet, zu dem sie eine hohe Affinität aufweisen, den Zugang zu Lesetagebüchern leichter finden. Zudem werden über den spielerischen Umgang mit dem Computer und dem Internet einer-seits Kompetenzen vermittelt, wie sie von den Bildungsplänen im Bereich „Neue Medien“ gefordert werden. Andererseits können daran soziale Lernziele wie die Stärkung des Selbst-bewusstseins sowie eine hohe Identifikation mit dem in der Gruppe Erarbeiteten angeknüpft werden. Darüber hinaus bieten Blogs mit ihrer interaktiven Struktur als Diskussionsforum eine Mög-lichkeit, sich über das Gelesene sowie die eigene Meinung und die anderer auszutauschen, und das ohne zeitliche und räumliche Einschränkung. So ist neben dem Austausch mit Klas-senkameraden selbst eine Diskussion über Ländergrenzen und Kontinente, beispielsweise mit Schülern einer Partnerschule, problemlos und ohne Mehraufwand durchführbar.Aufbauende Synergieeffekte für das Sprachenlernen oder interkulturelle Projekte seien hier nur angedeu-tet.
Die Trackback-Technik macht es zudem möglich, die Blogs als eine Art Portfolio zu einzel-nen Teilthemen zu installieren, die dann jeweils miteinander verlinkt ein Netzwerk zu einer Lektüre bilden und somit verschiedene Teilaspekte unabhängig beleuchten können. So kann Gruppenarbeit an verschiedenen Stellen der Lektüre zeitgleich erfolgen.Ganz „nebenbei“ arbeiten die Jugendlichen dabei mit dem Arbeitsmittel „Lesetagebuch“ – mit allen positiven didaktischen Konsequenzen, die diese Methode beinhaltet. So findet ein spie-lerischer Umgang mit Literatur statt, der zwar das Lesen von Literatur ins Zentrum stellt, dar-über hinaus aber den Produktionsaspekt betont und die Schülerinnen und Schüler ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen, Meinungen und Wünsche zum Buch auszudrücken und der Diskus-sion im Plenum zu stellen. AusblickEs wird deutlich, dass Blogs eine Vielzahl von Features bereithalten, wodurch sie für den künftigen Einsatz in der Schule bedeutend werden. Im Rahmen einer Dissertation an der Pä-dagogischen Hochschule Ludwigsburg zur Leseförderung bei Jungen wird momentan diese neuartige Technik als Lesetagebuch eingesetzt und evaluiert.
Literatur:
Bertschi-Kaufmann, Andrea (2003). Das Lesetagebuch. Anregungen für alle Schulstufen. In: Die Grundschulzeitschrift 17/165-166, S. 22-23
Haas, Gerhard/Menzel, Wolfgang/Spinner, Kaspar H. (1994). Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch 123, S. 17-25
Hintz, Ingrid (2002). Das Lesetagebuch: Intensiv lesen, produktiv schrieben, frei arbeiten. Bestandsaufnahme und Neubestimmung einer Methode zur Auseinandersetzung mit Büchern im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. (=Deutschdidaktik aktuell; Bd. 12)http://www.stern.de/computer-technik/internet/:Internet-Trend-Der-Weg-Blog/545969.html [Zugriff: 14.09.2005].
www.stern.de/computer-technik/internet/545997.html [Zugriff: 14.09.2005]http://www.stern.de/computer-technik/internet/546011.html?nv=ct_mt [Zugriff: 14.09.2005]http://www.stern.de/computer-technik/internet/546012.html?nv=ct_mt [Zugriff: 14.09.2005].
JIM-Studie (2002). www.mpfs.de/studien/jim/jim02.html [Zugriff: 14.09.2005]Marci-Boehncke, Gudrun (2005). Unter der Lupe. Das Buch und seine Fans im Medien-dschungel. In: Didaktik Deutsch 18. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. S. 31-46
Schwarz, Johanna (2000). Das Lesetagebuch als Dokument von Leseerfahrungen. In: Informationen zur Deutschdidaktik 24/2, S. 115-129
Waldmann, Günther (1984). Grundzüge von Theorie und Praxis eines produktionsorientierten Literaturunterrichts. In: Hopster, Norbert (Hg.): Handbuch „Deutsch“. Paderborn: Schöningh. S. 98-141