Rebecca Wienhold
Beiträge in merz
Rebecca Wienhold: Medienpädagogik intersektional gedacht
Ausgangspunkt für diesen Beitrag ist ein Mädchenzentrum für Mädchen* of Colour, in dem seit Anfang 2022 ein medienpädagogisches Projekt umgesetzt wird. Das Projekt steckt noch in der Anfangsphase, dennoch habe ich als verantwortliche Medienpädagogin bereits erste Erkenntnisse darüber gewonnen, welche Rolle Medienpädagogik zukünftig für meine feministische, rassismuskritische Mädchenarbeit spielen kann – und welche nicht. Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein (kritischer) Blick auf ein überwiegend privilegiertes medienpädagogisches Verständnis, auf die Rolle pädagogischer Fachkräfte, aber auch auf potenzielle Chancen.
Literatur
Amadeo Antonio Stiftung (2016). ‚Einen Gleichwertigkeitszauber wirken lassen ...‘ Empowerment in der Offenen Kinder-
und Jugendarbeit verstehen. Berlin. www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/empowerment-internet.pdf [Zugriff: 01.09.2022]Fidan, Yiligin (2014). Rassismuskritische Pädagogik am Beispiel der Mädchen_arbeit in der »Alten Molkerei Frille«.
Eine programmatische Positionierung. In: Busche, Mart/Maikowski, Laura/ Pohlkamp, Ines/ Wesemüller, Ellen (Hrsg.), Feministische Mädchenarbeit weiterdenken. Bielefeld: transcript. S. 127–138. DOI: 10.14361/9783839413838.127.Gill, Rosalind (2021). Changing the perfect picture: Smartphones, social media and appearance pressures. University of London. www.city.ac.uk/__data/assets/pdf_file/0005/597209/Parliament-Report-web.pdf [Zugriff: 04.09.2022]
Hoa Anh Mai, Hanna (2021). Rahmenbedingungen für rassismuskritische Handlungsmöglichkeiten für Fachkräfte of Color in der Mädchen*arbeit. In: Betrifft Mädchen, 4/2021, S. 186–191. DOI: 10.3262/ BEM2104186.
Hunt, Darnell/ Ramón, Ana-Christina (2021). Hollywood Diversity Report. Part 1: Film. www.socialsciences.ucla.edu/wp-content/uploads/2021/04/UCLA-Hollywood-Diversity-Report-2021-Film-4-22-2021.pdf [Zugriff: 01.09.2022]
Hunt, Darnell/ Ramón, Ana-Christina (2021). Hollywood Diversity Report. Part 2: Television. www.socialsciences.ucla.edu/wp-content/uploads/2021/10/UCLA-Hollywood-Diversity-Report-2021-Television-10-26-2021.pdf [Zugriff: 01.09.2022]
Kenney, Moira (2001). Mapping gay L.A.: The Intersection of Place and Politics. Philadelphia: Temple University Press.
Kutscher, Nadia/ Lojewski, Johanna/ Klein, Alexandra/Schäfer, Miriam (2009). Medienkompetenzförderung für Kinder und
Jugendliche in sozial benachteiligten Lebenslagen. Konzept zur inhaltlichen, didaktischen und strukturellen Ausrichtung
der medienpädagogischen Praxis in der Kinder- und Jugendarbeit. Düsseldorf: Landesanst. für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM).Prommer, Elizabeth (2021). Sichtbarkeit und Vielfalt im TV: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität. Malisa
Stiftung. www.malisastiftung.org/fortschrittsstudie-audiovisuelle-diversitaet-ergebnisse-tv-deutschland [Zugriff: 02.09.2022]Prommer, Elizabeth (2021). Geschlechterdarstellungen und Diversität in Streaming- und SVOD-Angeboten. Malisa Stiftung. www.malisastiftung.org/studie-geschlechterdarstellungen-diversitaet-streaming-und-svod-serien [Zugriff: 02.09.2022]
Sow, Noah (2018). Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Norderstedt: BoD – Books on Demand.
Welling, Stefan/ Brüggemann, Marion (2004).Computerunterstützte Jugendarbeit und medienpädagogische
Qualifizierung. Praxis und Perspektiven. Bremen: Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH (ifib).Rebecca Wienhold: Weite Wege, viele Spiele, volle Gänge. Ein pädagogischer (Rück-)Blick auf die Gamescom 2023
Mit rund 320.000 Besuchenden kamen auch in diesem Jahr immer noch weniger Menschen zur Computer- und Videospielemesse nach Köln als vor der Pandemie (zum Vergleich: 2019 waren es 373.000 Besucher*innen), aber 55 000 mehr als im Vorjahr. Rekordverdächtig war dafür die Anzahl der Ausstellenden: Über 1220 Stände, davon 76 Prozent aus dem Ausland, verteilten sich auf 230.000 Quadratmetern in den Hallen der Koelnmesse. Parallel zu den umfangreichen Aktivitäten vor Ort wurden viele Events per Livestream übertragen.
Eine Messe für alle oder für Nerds? Cosplay und Kommerz
In den thematisch angelegten Hallen war für alle etwas dabei: Von einer Retro Area mit alten Konsolenspielen, über eine Indie Area bis hin zu der Halle mit den großen Blockbustern. In Halle 7 wurde ein Cosplay Village eingerichtet, obwohl auf dem gesamten Messegelände Cosplayer*innen in aufwendigen Kostümen herumliefen, die sich stolz und bereitwillig fotografieren ließen. Als am Freitagmorgen um 10 Uhr die Messehalle für die Besucher*innen öffnete, konnte man eine Reihe von Menschen (eher jüngere Generation) beobachten, die zielstrebig vom Osteingang quer Richtung Westen in Halle 1 rannten: Die Social Area Halle war ein leerer Raum mit einem Essenswagen, einer Bühne und ein paar Absperrungen. In ein paar Stunden würde sie mit Fans gefüllt sein, die auf Autogramme und Fotos ‚ihrer‘ Influencer*innen hofften. Gronkh, das Gnu, Honey Puh und eine große Anzahl andere beliebter Stars aus der Gaming Branche ließen sich auch in diesem Jahr sehen. Besonders voll war die Halle beim Auftritt von Montana Black am Donnerstag, der gemeinsam mit seinem Freund Marc Gebauer Geschenke im Wert von 10.000 Euro verteilte. Nachdem sein Besuch in Vorjahr stark kritisiert wurde, lief er in diesem Jahr deutlich strukturierter ab: Seine ungenierten Rülpser nach einem Schluck seines selbst kreierten Energiedrinks waren vergleichsweise harmlos. Während es aus Sicht der Veranstaltenden sicherlich ein Gewinn ist, ist es aus pädagogischer Sicht eher fragwürdig, warum der Influencer und Streamer, der in der Vergangenheit negativ durch sein Verhalten auffiel, bei so einer Messe überhaupt eine derartige Bühne bekommt. Einige große Gaming-Anbieter waren dieses Jahr nur mit sehr kleinen oder gar keinen Ständen vertreten. Dafür waren Unternehmen dabei, die viele auf dem ersten Blick nicht mit Gaming in Verbindung brachten, wie der Streaminganbieter Netflix. Seit Ende 2021 bietet er mit Netflix Games auch Videospiele für mobile Geräte an. Auf der Messe präsentiert er aber vor allem seine Serienklassiker: Figuren aus (der medienpädagogisch vieldiskutierten) Serie Squid Game schossen T-Shirts in die Menschenmenge. Am Wednesday Stand konnten sich die Fans der beliebten Serie entsprechend schminken lassen. Und auch die erfolgreichen Serien Stranger Things und The Witcher waren mit Ständen vertreten. In der Merchandise Halle konnte alles, was das Fanherz begehrt, käuflich erworben werden – natürlich zu stolzen Preisen. Mehrere Eltern bestätigten unabhängig voneinander, dass diese Halle mit Kindern möglichst gemieden werden sollte. Doch auch ältere Besuchende gaben fleißig ihr (Taschen-)Geld für Merch-Artikel aus – oft mit dem Bewusstsein, dass sie das gleiche Produkt woanders günstiger bekommen hätten. „Es geht um das Erlebnis“ antwortete eine 17-jährige Jugendliche aus Berlin auf die Frage nach dem Warum. Zum Erlebnis gehörte auch, lange Wartezeiten auf sich nehmen – und das, obwohl die meisten Spieleneuheiten auf der Messe gar nicht spielbar waren. Bei großen kommerziellen und beliebten Spielen wie Path of Exile gehörten etwa zwei Stunden Wartezeit dazu. Wer nicht so lange warten, aber trotzdem zocken wollte,
kam in der Indie Area mit den weniger renommierten, aber dafür teilweise innovativeren Spielen schneller zum Zuge.Und die Kleinsten...?
Offiziell dürfen Kinder ab vier Jahren die Messe besuchen und tatsächlich waren eine Menge Familien mit kleineren Kindern zu sehen. Neben einem ‚Gamescom-Kindergarten‘ mit Kinderbetreuung in Halle 10 befand sich der Family and
Friends Bereich – beides gesponsert von LEGO. Hier war die Zielgruppe vornehmlich die der jüngeren Gamer*innen. Dort gab es neben Bereichen, an denen ganz analog mit Legosteinen gebaut werden konnte, auch mehrere Nintendo-Stände, an denen von Klein und Groß Klassiker wie Super Mario oder Kirby gespielt wurden. Bei den meisten Ständen war eine minimale technische, aber keine pädagogische Betreuung vorhanden. Erstbesuchende mit geringer Gaming-Erfahrung standen daher vor der Herausforderung, im ersten Schritt die Bedienung und das Spieleprinzip zu verstehen, ohne sich
von den Wartenden unter Druck setzen zu lassen. Bei den (wenigen) ungeübten Kindern, die beobachtet werden konnten, gab es am Nintendo Switch Stand einen schönen Effekt zu beobachten: Die wartenden Nachwuchs-Gamer*innen nutzten die Zeit, um den Neulingen Tipps zur Steuerung und Spielstrategie zu geben, oder um einfach mitzufiebern. Dadurch
entstanden während der Spielzeit kurze, verbindende Momente und kleine Spielgemeinschaften von Kindern, die sich nach der Runde genauso schnell wieder auflösten. Sehr großer Beliebtheit erfreuten sich im gleichen Bereich die Let’s Dance Booths. Hier wurde mit viel Freunde und Engagement getanzt – mit und von allen Geschlechtern und Altersgruppen, unabhängig vom tänzerischen Talent. Das Vorurteil, dass diese Spiele sich überwiegend an weiblich sozialisierte Menschen richten, ließ sich hier nicht bestätigen. Eine Ausnahme hinsichtlich der pädagogischen Standbetreuung bildete der Hochschulbereich direkt nebenan. Der Andrang dort war meist überschaubar, die Betreuung durch motivierte Studierende umso umfassender. Am Stand der Hochschule Bonn Rhein-Sieg gab es gleich zwei
beeindruckende Eigenkreationen Studierender: Man konnte gegen einen Roboter Drei gewinnt (auch bekannt als TicTacToe) spielen. Wer seine Fähigkeiten als Musiker*in ausprobieren wollte, konnte sich an ein Schlagzeug setzen und
sich mit Hilfe einer VR-Brille auf die virtuelle Bühne einer Konzerthalle versetzen lassen. Das virtuelle Publikum reagierte je nach Talent mit steigerungsfähiger Begeisterung auf die spielerischen Aktivitäten an den Trommelstöcken. Wer als Medienpädagog*in auf der Suche nach Alternativen für Bitsy, Bloxels und Co war, wurde leider enttäuscht. Deutlich sichtbar war lediglich das Tool Game Maker. Die entstanden Spiele waren beeindruckend, der Erstellungsprozess ist allerdings weniger niederschwellig und eignet sich eher für ältere Kinder und Menschen mit ersten Programmierkenntnissen.Gesellschaftliche Verantwortung: Jugendschutz, Lebensrettung und Antidiskriminierung
Auch die Gamescom muss ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, was mehrfach deutlich wurde. Beispielsweise hat die Initiative Gaming ohne Grenzen gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter Congstar einen Award für inklusive Spiele verliehen. Am Stand der Amadeu Antonio Stiftung fand ein Austausch mit Spieleentwickler*innen und anderen Interessierten zu Hass und Diversität in der Gaming Branche statt. Außerdem machte sie auf ihr Projekt Good Gaming aufmerksam, das an der Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Gaming toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys aufgreift. Schließlich gab es nur ein paar hundert Meter weiter noch den Stand von Edelgard Mobil, einer Anlaufstelle zur Beratung von Frauen* und Mädchen* nach sexuellen Übergriffen. Auch wenn es dort leider kaum Publikumsverkehr gab. „Es ist einfach gut, Präsenz zu zeigen“, sagte eine Mitarbeiterin am USK-Stand. Interessierte, vornehmlich Eltern und Bezugspersonen von Kindern, konnten sich dort zu jugendschutzrelevanten Themen informieren, Fachgesprächen lauschen und Broschüren mitnehmen. Kinder und Erwachsene konnten außerdem an einem Quiz im Stil von Wer wird Millionär teilnehmen.
Mit der USK als langjährige offizielle Partnerin der Gamescom setzt die Messe auch für den Jugendschutz ein klares Zeichen. Alle im Ausstellungsbereich offen zugänglichen Spiele und Trailer wurden vorab von der USK geprüft.
Der überwiegende Teil der Ausstellungfläche war für alle Besucher*innen frei zugänglich. Die Inhalte, die in der USK-Prüfung erst ‚ab 16‘ oder ‚ab 18‘ freigegeben wurden, waren entsprechend gekennzeichnet. In diesen Bereichen wurde der Zugang mithilfe von farbigen Altersbändchen kontrolliert. Diese konnten vorab an einer der Ausgabestellen nach Vorlage eines gültigen Lichtbildausweises für die entsprechende Altersstufe ausgegeben werden. Die Relevanz von Präsenz lässt sich sicherlich auf einige Ausstellende übertragen, deren Anwesenheit bei der Messe nicht unbedingt erwartet wurde, im Hinblick auf gesellschaftliche Verantwortung dafür umso wichtiger ist.
Wie die DKMS: Weil Gamer*innen potenzielle Stammzellenspender*innen sind, war sie wieder mit einem verhältnismäßig großen Stand dabei und wurde dabei von Figuren aus Star Wars unterstützt. Während im Bezug auf den virtuellen Jugendschutz mitgedacht wurde, wurde das physische Wohlbefinden der (jüngeren) Besucher*innen weniger berücksichtigt. Nicht nur für die Kleinsten war der Lautstärkepegel, verstärkt durch laute Musik, (E-)Sportevents und Bühnenperformances sehr hoch.
Fazit: Für Gaming-Fans ist diese Messe sicherlich Pflicht. Für diejenigen, die es werden wollen, erscheint es empfehlenswert, mit einer kompetenten Begleitung zu kommen. Das umfangreiche Angebot ist beeindruckend, kann aber auch leicht zur Überforderung werden. Daher gilt für alle: Wenn es darum geht, möglichst viel mitzunehmen, reicht ein Tag nicht aus – allein schon, weil sich ein Spaziergang durch Köln ebenfalls lohnt.