Prof. Dr. Christine W. Wijnen
- Hochschulprofessorin für Medienpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig
Beiträge in merz
Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Wijnen, Christine W. (2010). Medienpädagogik – Ein Studienbuch zur Einführung. Wiesbaden: VS Verlag. 236 S., 19,99 €.
Das Buch Medienpädagogik – Ein Studienbuch zur Einführung will Studierenden den Einstieg in das Themenfeld mittels eines breiten Übersichtsspektrums erleichtern und die Neugier der Studieneinsteiger wecken. Die neun Kapitel decken von der medienpädagogischen Relevanz als Einstieg bis hin zu praxisnahen medienpädagogischen Arbeitsfeldern als Schlussgedanke ein breit gefächertes Themenspektrum ab und ermöglichen es den Leserinnen und Lesern so, sich einen hilfreichen Überblick über die Thematik zu verschaffen. Anfangs werden grundlegende Terminologien und Ansätze des Faches in den Fokus gerückt. In den folgenden Kapiteln heben die Autorinnen und Autoren die Themengebiete Medienkompetenz und Medienerziehung hervor, während später auch der wichtige Bereich Didaktik angesprochen wird.
Das vorletzte Kapitel, welches die Medienpädagogik im internationalen Vergleich darstellt, gewährt einen guten Überblicküber Kennzeichen, Strömungen und mögliche grenzübergreifende Programme der Medienpädagogik. Besonders interessant für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger auf diesem Gebiet ist jedoch das letzte Kapitel des Buches Medienpädagogik. Es beschäftigt sich mit medienpädagogischen Arbeitsfeldern und gibt den Leserinnen und Lesern so einen wertvollen praktischen Nutzen für die berufliche Zukunft an die Hand. Die Struktur des Buches ist einheitlich, gut verständlich und nachvollziehbar. So wurde darauf geachtet, einen flexiblen Zugang durch viele Querverweise zu ermöglichen. Kleine didaktische Helfer wie gekennzeichnete Definitionen, Zusammenfassungen, Fragen und weiterführende Literatur sind einheitlich im ganzen Buch durch Symbole gekennzeichnet und erleichtern so merklich das Arbeiten.
Christine W. Wijnen: Editorial
Medienpädagogik als internationale HerausforderungMedien sind heute ein globales Phänomen und machen nicht halt vor einzelnen Ländergrenzen. Weit entfernte Orte sind mittlerweile via Internet oder Satellitenfernsehen einfach und schnell erreichbar und regional gefärbte Medieninhalte treffen auf internationale und globale Publika (vgl. Faßler 2000, S. 10). So haben beispielsweise auch japanische Mangas oder US-amerikanische HipHop-Musik Eingang in europäische Jugendkulturen gefunden. Unsere Medienlandschaft ist zudem immer häufiger von multinationalen Konzernen geprägt. So wird es auch für die Medienpädagogik Zeit, sich nicht nur mit regionalen Phänomenen und Herausforderungen auseinanderzusetzen sondern ebenso einen Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen. Dies legt unweigerlich die Frage nach der Existenz eines „medienpädagogischen Mainstreams“ oder nach internationalen Standards, an denen man sich schnell und einfach orientieren könnte, nahe. Auf der Suche nach diesen Standards, die es zweifelsohne etwa in Form von Ergebnissen großer internationaler Tagungen bzw. Summits (vgl. Devadoss 2004) oder im Hinblick auf die Bestrebungen der EU, die „Media Literacy“ europäischer Bürgerinnen und Bürger zu fördern (vgl. Richardson et al. 2009) , gibt, zeigt sich jedoch schnell, dass sehr unterschiedliche Auffassungen von Medienpädagogik existieren (vgl. Wijnen 2008). Im Gegensatz zu tatsächlichen einheitlichen Standards trifft man vielmehr auf verschiedene „medienpädagogische Kulturen“, die alle im Kontext unterschiedlicher politischer, sozialer und gesellschaftlicher Gegebenheiten und Herausforderungen entstanden sind. Um diese fremden „medienpädagogischen Kulturen“ zu verstehen, genügt es aber nicht, diese nur aus Perspektive der eigenen Kultur – quasi von außen – zu betrachten und zu beurteilen. Vielmehr bedarf es der Identifizierung von und Auseinandersetzung mit verschiedenen Rahmenbedingungen, die den Umgang mit Medien, deren Beurteilung und letztendlich damit zusammenhängende pädagogische Reaktionen beeinflussen können. Zu jenen Faktoren, welche für die Entwicklung medienpädagogischer Konzepte von Bedeutung sein können, zählen unter anderem die Entwicklung der Medienlandschaft (Medienverbreitung, Medienkonzentration, gesetzliche Rahmenbedingungen etc.), gesellschaftliche, politische und historische Einflüsse auf die Beurteilung von Medien, das Bildungssystem (Erziehungsziele, schulische und außerschulische Erziehung, gesetzlicher Rahmen etc.), Fragen der Ethik und Moral sowie das Bild vom Kind in einer bestimmten Gesellschaft und die Bedeutung künstlerischer oder theoretisch-wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Medien (vgl. Süss/Lampert/Wijnen 2009).Unterschiedliche Blickwinkel …Dieses Themenheft soll den Leserinnen und Lesern zumindest einen ersten Eindruck dessen vermitteln, mit welch unterschiedlichen Herausforderungen Medienpädagogen in verschiedenen Ländern konfrontiert sind und welche Gründe es für unterschiedliche Prioritäten in medienpädagogischen Diskursen geben kann. Bei Betrachtung dieser fremden „medienpädagogischen Kulturen“ lassen sich aber auch Parallelen zu aktuellen Herausforderungen im deutschsprachigen Raum – und vielleicht auch neue Perspektiven oder gar Lösungsansätze im Hinblick auf gemeinsame Probleme – finden. So gibt beispielsweise Verónica Donoso einen Eindruck von der Situation der Medienerziehung in Chile. Sie erklärt die Vorgaben der Lehrpläne und des staatlichen Bildungssystems, welche die Möglichkeiten der chilenischen Medienpädagogik rahmen und beschreibt dann die auf unterschiedlichen Ebenen – wie etwa zwischen jung und alt, zwischen arm und reich oder zwischen indigenen und nicht-indigenen Bevölkerungsgruppen – auftretenden digitalen Klüfte (Digital Divide) als zentrale Herausforderung für die Medienpädagogik in Chile aber auch in anderen südamerikanischen Ländern. Anders wiederum ist die Situation in Portugal, wo sich Medienpädagogen besonders auch historisch bedingten Herausforderungen gegenüber sehen. Cristina Ponte und Ana Jorge beschreiben die geschichtlichen und politischen Gründe für ein nach wie vor eher geringes durchschnittliches Bildungsniveau im heutigen Portugal. Sie zeigen ebenso auf, welchen Einfluss die Entwicklung der portugiesischen Medienlandschaft auf den Medienumgang der Portugiesen und auf damit verbundene Fragen der Medienkompetenz und Medienkompetenzförderung hat. Auch in Estland haben politische Gegebenheiten, allen voran die lange Zeit der sowjetischen Besatzung, die Entwicklung der Medienpädagogik maßgeblich beeinflusst. Wie in vielen anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks war auch in Estland während des Kommunismus die Filmästhetikerziehung im Rahmen von Filmklubs von Bedeutung. Kadri Ugur beschreibt diese Bestrebungen wie die gesamte Auseinandersetzung mit Medien in pädagogischen Kontexten vor der politischen Wende als eine Erziehung zu vorgegebenen Werten und Standards abseits jeglicher Kritikfähigkeit. Mit den politischen Veränderungen galt es auch für die Medienpädagogik sich umzuorientieren und heute steht vor allem der kritische Umgang mit digitalen Medien im Zentrum der Auseinandersetzung. Ugur beschreibt, wie diese Umorientierung bereits Einzug in estnische Lehrpläne genommen hat, hebt aber als eine der großen Herausforderungen hervor, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit diesen neuen Aufgaben oft noch überfordert sind und Wege der Verbesserung der Aus- und Fortbildung dieser Berufsgruppe zu suchen sind. Italien und die USA sind wiederum Beispiele für Länder, die vor „medienpädagogischen Identitätskrisen“ stehen bzw. standen. Mit der Einführung des englischen Begriffs Media Education und einer damit verbundenen starken Anlehnung an die Schriften Mastermans zu Beginn der 1990er Jahre wurde in Italien eine neue medienpädagogische Ära eingeläutet; gleichzeitig tat sich die Frage auf, ob es zuvor schon eine italienische Medienpädagogik gab. Roberto Giannatelli und Beate Weyland beschreiben in ihrem Beitrag, dass es sehr wohl auch in Italien eine lange medienpädagogische Tradition gibt; gleichzeitig werden Gründe für die Einführung dieses englischen Begriffs und die damit verbundenen Kontroversen beschrieben. Ebenso zeigen sie auf, dass die „neue italienische Medienpädagogik“ mehr ist als eine (des Öfteren vorgeworfene) einfache Übernahme anglo-amerikanischer Konzepte und Diskurse. Renee Hobbs beschreibt in ihrem Beitrag die Situation der Medienpädagogik in den USA und den schwierigen Weg innerhalb der Vereinigten Staaten, die in sich sehr heterogen sind, auf einen sogenannten „grünen Zweig“, das heißt eine einheitliche Begrifflichkeit und eine damit verbundene Einigung auf die wesentlichen Aufgaben sowie grundlegenden Theorien der US-amerikanischen Medienpädagogik zu kommen. Zudem beschreibt sie die wesentlichen Ansätze der US-amerikanischen Medienpädagogik sowie die Herausforderungen, denen man sich derzeit gegenüber sieht.… und doch viel GemeinsamesBei der Lektüre der Beiträge der Gastautorinnen aus unterschiedlichen Ländern werden vielleicht als erstes die Unterschiede ins Auge stechen. Vielleicht wirken auch unsere „brennenden Fragen“ auf den ersten Blick ganz anders als die Probleme ausländischer Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht wird so manch einer oder so manch eine in ihrem bzw. seinem Vorurteil bestätigt, ein internationaler Austausch würde sowieso nicht viel bringen, da ohnehin jeder etwas anderes unter Medienpädagogik versteht. Bei näherer Betrachtung – und das sollte das Ziel dieses Themenhefts zur internationalen Medienpädagogik sein – fallen jedoch auch viele Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte für einen internationalen Austausch auf. Auch im deutschen Sprachraum gibt es, wenn auch nicht in jenem Ausmaß wie etwa in Chile, trotz eines weit verbreiteten Zugangs zu Breitbandanschlüssen deutliche Unterschiede in der Medienkompetenz von Menschen mit unterschiedlichem sozialökonomischen Status. Und auch bei uns kämpft die Medienpädagogik – wenn auch unter gänzlich anderen Voraussetzungen als etwa in Italien oder den USA – immer wieder um Profil und Identität. Auch wenn die Ausgangspositionen unterschiedlich und die Schwerpunktsetzungen nicht immer gleich sind, stehen wir oft vor ähnlichen Problemen. Deshalb kann es bereichernd sein, immer wieder einmal einen Blick über die Grenzen zu werfen, auf sich auf eine „medienpädagogische Sightseeing-Tour“ einzulassen und in anderen medienpädagogischen Kulturen nach neuen Ideen oder anderen Blickwinkeln auf vermeintlich Bekanntes zu stöbern, um auf dieser Basis eigene Ansätze zu reflektieren. Voraussetzung dafür ist allerdings die Offenheit, sich vorurteilsfrei auf andere Kulturen einzulassen.LiteraturDevadoss, Sagayaraj Joseph (2004): “Media Education“ As Addressed by The International Congresses For Communication Within The Period 1990-2000. Key Concepts, Perspectives, Difficulties and Main Paradigms. An Extract from the Doctoral Dissertation. Rome: Salesian Pontifical University/Faculty of the Sciences of social Communication.Faßler, Manfred (2000): Mediale Zukünfte. Auf der Schwelle zu einer neuen Epoche, In: medien praktisch 1/2000, S. 8-12Richardson, Janice/Milwood Horgrave, Andrea/Moratille, Basil/Vahtivouri, Sanna/Venter, Dominic/de Vries, Rene/Brudick, Betsy, Coakley, Chris (2009): The Internet literacy handbook. 3rd edition. Strasbourg: Council of Europe. Verfügbar über: www.coe.int/t/dghl/standardsetting/internetliteracy/hbk_EN.asp (06.09.2009)Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Wijnen, Christine W. (2009): Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. Wiesbaden: VS Verlag (im Druck)Wijnen, Christine W. (2008): Medien und Pädagogik international. Positionen, Ansätze und Zukunftsperspektiven in Europa und den USA. München: kopaed Verlag.
Christine W. Wijnen: Gras drüber?
Gras drüber? ist der Titel eines Filmprojekt mit österreichischen Schülerinnenund Schülern im Alter von 17 bis 18 Jahren. Im Zuge dieses Projekts setzten sich die Heranwachsenden mit der dunklen Geschichte ihres Heimatorts während der NS-Zeit auseinander.
Literatur
Barthelmes, Jürgen/Sander, Ekkehard (2001). Erst die Freunde, dann die Medien. Medien als Begleiter in Pubertät und Adoleszenz. Medienerfahrungen von Jugendlichen. Band 2. München: DJI-Verlag.
Schmidt, Jan (2008). Was ist neu am Social Web? Soziologische und kommunikationswissenschaftliche Grundlagen. In: Zerfaß, Ansgar/Welker, Martin/Schmidt, Jan (Hrsg.),Kommunikation und Wirkungen im Social Web. Grundlagen und Methoden: Von der Gesellschaft zum Individuum (Band 1). Köln: Herbert von Halem. S. 18-40.
Stadler, Robert/Mooslechner, Michael (1986). St. Johann/Pg. 1938-1945. Das Nationalsozialistische `Markt Pongau`. Der `2. Juli 1944` in Goldegg: Widerstand und Verfolgung. Eigenverlag.
Weiß, Ralph (2000). „Praktischer Sinn“, soziale Identität und Fern-Sehen. Ein Konzept für die Analyse der Einbettung kulturellen Handelns in die Alltagswelt. In: M&K 1/2000 (48). S. 42-62.
Wijnen, Christine W./Seibt, Martin (2008). „Selber eineigenes Werk schaffen…“. Medienarbeit mit MigrantInnen. In: Akzente Salzburg (Hsrg.), Impulse. Handbuch für Jugendarbeit. Migration, Integration und interkultureller Dialog. Salzburg: Akzente Verlag. S. 66-70.
Iwan Pasuchin und Christine W. Wijnen: WeTube. Denen zeigen wir's!
Aktuelle Anwendungen der ‚social software’ bieten zahlreiche Potenziale zur Weiterentwicklung von Ansätzen der aktiven Medienarbeit in Richtung eines Konzepts kreativer Web 2.0-Arbeit – vor allem in Bezug auf die Förderung sozial- und bildungsbenachteiligter Jugendlicher. Derzeit erfolgt an einer Hauptschule in der Stadt Salzburg im Rahmen des regulären Unterrichts die Durchführung eines wissenschaftlich begleiteten Projekts1, in dem entsprechende Modelle ausgearbeitet und in der Praxis erprobt werden.
Literatur
Borda, Orlando Fals (2002). Participatory (Action) Research in Social Theory: Origins and Challenges. In: Reason, Peter/Bradbury, Hilary (Hg.), Handbook of Action Research. Participative Inquiry and Practice. London u.a.: SAGE
Fisch, Martin/Gscheidle, Christoph (2008). Mitmachnetz Web 2.0. Rege Beteiligung nur in Communitys. In: Media Perspektiven 7/2008. Verfügbar über: www.media- perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/Fisch_II.pdf [zUGRIFF. 16.09.2008]
Kießling, Matthias (2008). Jugend 2.0? Der Einfluss der Bildung auf die Nutzung des Internets. In: merz | medien und erziehung. 52/2, S. 21-22
Maurer, Björn (2006). Subjektorientierte Filmbildung an Hauptschulen. In: Niesyto, Horst (Hg.): Film kreativ. Aktuelle Beiträge zur Filmbildung. München: kopaed, S. 21-44
mpfs/Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2007). JIM-Studie 2007 – Jugend, Information, (Multi-) Media. Stuttgart: Landesanstalt für Kommunikation
Pasuchin, Iwan (2009). Web 2.0 als Brückenschlag zwischen der Pädagogik der Medien und der Künste in der Praxis kreativer Medienarbeit mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen. In: Buschkühle, Carl-Peter/Kettel, Joachim/Urlaß, Mario (Hg.), Horizonte. Internationale Kunstpädagogik. Oberhausen: Athena-Verlag (in Druck)
Niesyto, Horst (2003). VideoCulture. Projektentwicklung und Projektergebnisse. In: Niesyto, Horst (Hg.), VideoCulture. Video und interkulturelle Kommunikation. Grundlagen, Methoden und Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts. München: kopaed, S. 15-110
Niesyto, Horst (2004). Medienbildung mit Jugendlichen in Hauptschulmilieus. In: Otto, Hans-Uwe; Kutscher, Nadia (Hg.), Informelle Bildung Online. Perspektiven für Bildung, Jugendarbeit und Medienpädagogik. Weinheim; München: Juventa, S. 122-136
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. München: kopeadSchell, Fred (2008). Aktive Medienarbeit im Zeitalter des partizipativen Netzes (Interview). In: merz, 52, 2, S. 9-12
(merz 2008-05, S. 27-34)
Christine W. Wijnen: Schule 4.0 – Digitale Bildung aus österreichischer Perspektive
Einleitung
Sowohl die Medienerziehung als auch die informatische Bildung sind in der österreichischen Bildungspolitik durch eigene Abteilungen innerhalb des Bildungsministeriums fest verankert. Seit Anfang der 1990er Jahre bildet der Grundsatzerlass Medienerziehung die Grundlage für die schulische Medienerziehung und mit zunehmender Digitalisierung wird auch der informatischen Bildung eine große Bedeutung beigemessen. Explizit wird das Thema digitale Bildung seit Beginn des Jahres 2017 verfolgt, als seitens des Ministeriums die Strategie „Schule 4.0“ ausgerufen wurde. Im Folgenden werden daher die verschiedenen Ansätze der schulischen Medienerziehung beleuchtet, um einen Einblick in die österreichische Perspektive auf digitale Bildung zu geben. Des Weiteren wird das Pilotprojekt Denken lernen – Probleme lösen, welches das Bildungsministerium im Zuge seiner Digitalisierungsstrategie initiiert hat, vorgestellt, da es die aktuelle Schwerpunktsetzung in Österreich besonders verdeutlicht. Abschließend wird die Frage gestellt, inwiefern sich die, auf den ersten Blick stark divergierenden Konzepte innerhalb der österreichischen Bildungspolitik in eine einheitliche Strategie überführen lassen.
Das Unterrichtsprinzip Medienerziehung
Medienerziehung ist seit der Errichtung einer Abteilung für Medienpädagogik im Jahr 1991 und in den darauffolgenden Jahren eines Referats für praktische Medienerziehung im damaligen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) fest in der österreichischen Bildungslandschaft verankert (Brousek 2008, S. 120; Süss/Lampert/Trültzsch-Wijnen 2018, S.63-70). Explizit wurde dies 2001 mit der Einführung des Grundsatzerlasses Medienerziehung, welcher bis heute das damit verbundene Unterrichtsprinzip begründet. Dieser Grundsatzerlass wurde vor dem Hintergrund der fortschreitenden Medienentwicklung aktualisiert und ist heute in der letztgültigen Version aus dem Jahr 2014 Grundlage für eine fächerübergreifende Medienerziehung über die gesamte schulische Laufbahn hinweg. Er verpflichtet alle Lehrkräfte Medienerziehung als Querschnittsmaterie (Trültzsch-Wijnen 2016; Spanhel 2006) in ihrem Unterricht zu realisieren.
„Da die in den Medien behandelten Themen alle Bereiche des Erkennens und Handelns berühren, ist die Medienerziehung nicht auf einzelne Unterrichtsgegenstände oder bestimmte Schulstufen beschränkt. Jeder Lehrer/ jede Lehrerin ist vielmehr verpflichtet, auf sie als Unterrichtsprinzip, wie es in den einzelnen Lehrplänen verankert ist, in allen Unterrichtsgegenständen fachspezifisch Bedacht zu nehmen. […] Die Medienerziehung hat grundsätzlich auf allen Schulstufen – der geistigen Entwicklung der Schüler und Schülerinnen entsprechend – zu erfolgen.“ (BMBF 2014, S. 5)
Medienerziehung wird diesbezüglich als umfassende Medienbildung und Erziehung zur Medienkompetenz verstanden. Medienbildung wird hier aus stark emanzipatorischer Perspektive als medienpolitische Bildung und kritische Auseinandersetzung mit den Formen, Ursachen und Wirkungen medialer Kommunikation sowie als Orientierung in einer mediatisierten Gesellschaft gefasst. Im Hinblick auf Medienkompetenz orientiert man sich an Baackes (1998) vierfacher Ausdifferenzierung in Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Neben technischen Fertigkeiten wird der Schwerpunkt auf die Fähigkeit zur Selektion, Differenzierung und Strukturierung sowie das Erkennen der eigenen Bedürfnisse gelegt. Darüber hinaus wird dem Hintergrundwissen über das Mediensystem, der kreativen Mediengestaltung sowie – analog zur emanzipatorischen Ausrichtung des Medienbildungsbegriffs – der aktiven Teilhabe an der Gesellschaft mithilfe von Medien eine große Bedeutung beigemessen (BMBF 2014).
So gewinnbringend ein fächer- und schulstufenübergreifender Ansatz der schulischen Medienerziehung auf den ersten Blick erscheinen mag, so schwierig erweist sich dieses Konzept jedoch in seiner Realisierung. Da die Art und Weise der Umsetzung im positiven Sinne bewusst offengelassen (und damit auch nicht kontrolliert) wird, fühlt sich im schulischen Alltag letztendlich kaum jemand dafür zuständig. Es liegt damit stark an der Schule und an der einzelnen Lehrperson, ob überhaupt und wenn ja in welcher Form im Unterricht ein kritischer, selbstbestimmter und kreativer Medienumgang vermittelt wird. Ein Großteil der Lehrkräfte setzt in ihrem Unterricht andere Prioritäten. Zugleich finden sich aber auch viele äußerst engagierte Lehrpersonen, die sich vor allem mit praktischen Medienprojekten profilieren. Dies wird beispielsweise in der Fülle der Einreichungen zum Media Literacy Award1 (mla), welcher jährlich vom österreichischen Bildungsministerium für herausragende Medienprojekte an europäischen Schulen vergeben wird, deutlich. Die Ursachen dafür liegen zum einen darin, dass Medienerziehung weder von Eltern noch von einer Mehrheit der Lehrpersonen als relevante Bildungsaufgabe erachtet wird, zum anderen in einer mangelnden Motivation und Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen. In der aktuellen Lehramtsausbildung kommt es auf die jeweilige Hochschule an, inwieweit Medienpädagogik tatsächlich als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip gelehrt wird. Jene Lehrpersonen, die ihr Studium bereits vor längerer Zeit abgeschlossen haben, haben keine umfassende medienpädagogische Ausbildung erhalten.
Informatische Bildung und Digitale Kompetenz(en)
Neben dem Unterrichtsprinzip Medienerziehung setzt das österreichische Bildungsministerium mit der informatischen Bildung einen weiteren Schwerpunkt. Hier liegt der Fokus auf dem Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), welcher ebenfalls über alle Schulstufen hinweg vermittelt werden soll. Dazu wurde das sogenannte digi.komp-Modell2entwickelt. Das Ziel ist eine systematische Auflistung geforderter Kompetenzen, welche in Form von Can-Do-Statements ausformuliert wurden (Wiesner et al. 2017; Nárosy 2017, S. 6). Dieses Modell soll als Orientierung für Lehrkräfte dienen und sie dabei unterstützen, informatische Bildung sowie die Hinführung der Schülerinnen und Schüler zu einem selbstbestimmten Umgang mit IKT in unterschiedlichen Fächern praktisch umzusetzen. Das Modell umfasst vier Schwerpunkte (BMBWF 2018):
Informationstechnologie, Mensch und Gesellschaft (reflektierter Umgang mit IKT)
Informatiksysteme (technische Handhabung von IKT)
Anwendungen (Software und Internetangebote nutzen)
Konzepte (informatische Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B. kodieren)
Aus Perspektive des Informatikunterrichts wurde hier versucht, anwendungsbezogene Kriterien mit einer gesellschaftlichen Perspektive zu verbinden. Diese Kategorien haben keine Entsprechung im Lehrplan, sie sollen aber analog zum Unterrichtsprinzip Medienerziehung fächerübergreifend und in allen Schulstufen umgesetzt werden. Auch wenn sich durchaus Gemeinsamkeiten (beispielsweise hinsichtlich eines reflektierten Medienumgangs) zeigen, werden das Unterrichtsprinzip Medienerziehung sowie das digi.komp-Modell in der schulischen Praxis derzeit eher parallel behandelt.
Schule 4.0 – die Strategie des Bildungsministeriums
Über das digi.komp-Modell wurde bereits eine Grundlage zur Förderung digitaler Kompetenzen gelegt. Dabei beruft man sich unter anderem auf das DigComp-Konzept des Joint Research Centre der Europäischen Kommission (Ferrari 2013; Carretero/Vuorikari/Punie 2017) sowie deren Definition von digitaler Kompetenz.
„Digital Competence is the set of knowledge, skills, attitudes (thus including abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT and digital media to perform tasks; solve problems; communicate; manage information; collaborate; create and share content; and build knowledge effectively, efficiently, appropriately, critically, creatively, autonomously, flexibly, ethically, reflectively for work, leisure, participation, learning, socialising, consuming, and empowerment“ (Ferrari, 2013, S. 3).
Mit Jahresbeginn 2017 hat das österreichische Bildungsministerium mit der sogenannten Digitalisierungsstrategie Schule 4.0 vor dem Hintergrund des zunehmenden Bedarfs an Arbeitskräften in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen einen Schritt weiter hinsichtlich der Förderung informatischer und digitaler Kompetenzen von der Grundschule bis zum Abitur (Matura) gesetzt. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen, sich, angefangen von der Quellenkritik bis hin zu den Grundzügen der Programmierung (Coding), kritisch mit digitalen Medien und deren Inhalten auseinanderzusetzen. Schwerpunkte dieses Konzepts sind die Gewährleistung einer digitalen Grundbildung (Säule 1), die Ausbildung digital kompetenter Lehrpersonen (Säule 2), die Bereitstellung angemessener IKT-Infrastruktur (Säule 3) sowie die Entwicklung und Bereitstellung entsprechender Lehrmittel (Säule 4).
Diese, über die 71. Verordnung zur Änderung der Lehrpläne (Bundeskanzleramt 2018) festgeschriebene, Strategie hebt sich deutlich von den bisherigen Verordnungen ab, da sie sowohl auf eine Änderung der Lehrpläne, als auch auf eine bessere Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie die Bereitstellung von Infrastruktur und die Entwicklung kostenloser Lehr- und Lernmaterialien abzielt. Bislang betrafen ähnliche Verordnungen zumeist nur einen dieser vier Bereiche, ohne sich auf ein gemeinsames Konzept zu berufen. Anschließend an das digi.komp-Modell liegt der Fokus hier auf der Vermittlung informatischer Kenntnisse und dem Umgang mit IKT, beschrieben als digitale Kompetenz und verstanden als technische Fertigkeiten sowie der Fähigkeit des selbstbestimmten Einsatzes digitaler Medien (respektive von Hard- und Software) in schulischen bzw. beruflichen und privaten Kontexten. Als Erweiterung des europäischen DigComp-Ansatzes und des österreichischen digi.comp-Konzepts liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Förderung des Computational Thinking (siehe Ausführungen weiter unten), als Fähigkeit zu iterativem, algorithmischem und modellhaftem Denken sowie technologiegestütztem Problemlösen. In enger Verbindung zur Schule 4.0-Strategie steht die Strategie eEducation Austria, welche primär dazu dient, die Umsetzung des digi.komp-Modells an den jeweiligen Schulstandorten zu forcieren. Gefördert werden diesbezüglich schulinterne und schulübergreifende Fortbildungen sowie die Entwicklung und Verbreitung kleiner Lerneinheiten bzw. mediendidaktischer Szenarien (eTapas).
Eine wesentliche Neuerung durch die Schule 4.0-Strategie ist neben einer noch stärkeren Fokussierung auf informatische Fähigkeiten und Fertigkeiten die Einführung der verbindlichen Übung Digitale Grundbildung in der Sekundarstufe I ab dem Schuljahr 2018/19; die Schulen können die Realisierung dieser verbindlichen Übung im Umfang von zwei bis vier Jahreswochenstunden innerhalb von vier Jahren autonom umsetzen (als eigenes Fach, integrativ im Rahmen anderer Fächer oder als Mischform). Da diese Verordnung sehr rasch umgesetzt wurde, sind die betroffenen Lehrkräfte nun damit konfrontiert, sich auf schnellstem Wege jene Kompetenzen anzueignen, welche für die Vermittlung einer entsprechenden digitalen Grundbildung an Schülerinnen und Schüler benötigt werden. Dazu wurde ein Instrument zur Selbstüberprüfung der Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit den IKT entwickelt (digi.checkP); dieser soll die Lehrpersonen dabei unterstützen, gemäß ihrer Bedürfnisse gezielte Fortbildungen auszuwählen. Seitens des Bildungsministeriums wird von den Lehrkräften die Absolvierung einschlägiger Fortbildungen im Umfang von mindestens 6 ECTS sowie das Führen eines persönlichen, digitalen Portfolios zur Dokumentation des eigenen Unterrichts verlangt.
Das Pilotprojekt „Denken lernen – Probleme lösen“
Die Initiative Schule 4.0 betrifft allerdings nicht nur die Sekundarstufe, denn nach dem Vorbild ähnlicher Entwicklungen im angloamerikanischen Raum sowie in anderen europäischen Staaten (Grandl/Ebner 2017) ist es Ziel, Kinder bereits ab der Primarstufe an informatisches und naturwissenschaftliches Denken heranzuführen. Als erster Schritt dazu diente – bereits vor Implementierung der verbindlichen Übung Digitale Grundbildung in der Sekundarstufe – das Pilotprojekt Denken lernen – Probleme lösen. Ziel dieses Projekts ist die Einführung von Robotik und Programmieren in der Grundschule mittels einfach zu bedienender Roboter (BeeBots), LegoWeDo-Bausätzen und der visuellen Programmieroberfläche Scratch. Dieses Projekt wurde im Schuljahr 2017/18 an 100 Volksschulen (Grundschulen) unter Beteiligung von 13 pädagogischen Hochschulen durchgeführt (Himpsl-Gutermann et al. 2017). Im Mittelpunkt des Projekts steht zum einen die Vermittlung von algorithmischem Denken als Grundlage für das Verstehen und Lösen verschiedener Probleme in schulischen und alltäglichen Kontexten, zum anderen sollen damit unter dem Stichwort „Making“ der kreative Umgang mit IKT, informatische Fähigkeiten sowie das kollaborative Arbeiten gefördert werden.
Didaktische Grundlage: Computational Thinking
Didaktisch beruft sich dieses Projekt auf die Arbeit von Seymour Papert. Dieser entwarf in den 1960er Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gemeinsam mit Kollegen die Programmiersprache Logo, um Heranwachsenden zu vermitteln, wie Computer ‚denken‘ und auf diese Weise die Auseinandersetzung mit und das Lösen von Problemen zu fördern. Als ehemaliger Schüler Piagets entwickelte Papert seinen Ansatz des Konstruktionismus (Papert 1980) basierend auf konstruktivistischen Lerntheorien. Paperts Ziel war es, Mädchen und Jungen dazu zu befähigen, neue Erfahrungen vor dem Hintergrund ihres bereits vorhandenen Wissens zu reflektieren und daraus neues Wissen zu entwickeln. Der Ansatz des Computational Thinking (z. B. BBC Bitsice 2017; Barefoot Project 2014) kann als Weiterentwicklung von Paperts Konzept verstanden werden. Himpsl-Gutermann et al. (2017) beschreiben es als „Problemlösungsmethode mit verschiedenen Techniken und Strategien, die auch für digitale Systeme implementiert werden können.“ Dieser Ansatz bildet die Grundlage des Projekts Denken lernen – Probleme lösen; er lässt sich in fünf Grundelemente aufschlüsseln: decomposition (Zerlegen komplexer Probleme in kleinere Teile), pattern recognition (Erkennung von Mustern), algorithm design (Gestaltung logischer Anweisungen und Lösungsstrukturen), abstraction (Entwicklung abstrakter Konzepte) und generalize patterns and modes (Nutzung verallgemeinernder Muster und Modelle in unterschiedlichen Kontexten). Er ist Grundlage für ein Lernkonzept, das auf die Förderung des abstrakten Denkens ausgerichtet ist; im Mittelpunkt steht die Fähigkeit der Formulierung und schrittweisen Lösung von Problemen.
Ausgehend davon wurde eine schrittweise Einführung von Robotik-Elementen in den am Projekt beteiligten Grundschulen konzipiert: Zunächst liegt der Fokus auf der haptischen Erfahrung und dem Einfühlen in die Denkweise von Robotern durch die Aneignung von Bee Bots4 Diese kleinen Roboter in Form einer Biene können mit einfachen Befehlen (Schritt vorwärts, Schritt rückwärts, Rechtsdrehung, Linksdrehung) programmiert werden. Mit bis zu 40 aufeinanderfolgenden Befehlen können diese Roboter spielerisch durch den Raum manövriert werden. Die Aneignung von Algorithmen als Handlungsvorschrift bzw. konkrete Anweisung an die Roboter-Biene erfolgt zunächst damit, dass die Heranwachsenden selbst die Rolle des Roboters übernehmen, sich gegenseitig Befehle geben und diese ausführen. In einem zweiten Schritt werden diese Befehle mittels eigens beschrifteter Bauklötze gelegt oder handschriftlich festgehalten (z. B. Schritt vorwärts, Schritt vorwärts, Rechtsdrehung, Schritt vorwärts, Schritt vorwärts) und in einem weiteren Schritt vereinfacht (z. B. 2x Schritt vorwärts, Rechtsdrehung, 2x Schritt vorwärts). Die Bee Bots werden in verschiedenen Fächern eingesetzt, um durch die Steuerung der Roboter unterschiedliche Aufgaben zu lösen (beispielsweise aus dem Bereich der Verkehrserziehung, aber auch in Mathematik, Deutsch, Englisch, Sachunterricht usw.). Sobald sich die Schülerinnen und Schüler gut mit der Handhabung der Roboter vertraut gemacht haben, wird durch die Nutzung einer Bee Bot-App5 auf Tablets von der haptischen, auf eine abstraktere Ebene gewechselt, wobei die jeweiligen Aufgabenstellungen gleich bleiben, jedoch virtuelle Bienen programmiert werden.
Im weiteren Verlauf werden die Bee Bots gegen Lego WeDo-Bausätze getauscht und das einfache Programmieren wird mit angewandten Problemstellungen und Konstruktionsaufgaben aus dem Bereich Technik und Sachunterricht in einer spielerischen Lernumgebung verknüpft. Damit können einfache Roboter und Maschinen selbst gebaut und über eine visuelle Programmierumgebung auf dem Tablet gesteuert werden. Hier ist das Ziel, in Kleingruppen durch den Bau und das Ausprobieren von Prototypen gemeinsam Lösungen für bestimmte Aufgaben zu finden. Die über das visuell basierte Programmieren der selbstgebauten Roboter erlernten Fähigkeiten werden weiter genutzt, um anschließend das Programmieren mittels der visuellen Programmiersprache Scratch zu erlernen.
Evaluation des Projekts
Im Projekt Denken lernen – Probleme lösen wurden jeder der 13 beteiligten pädagogischen Hochschulen mehrere Schulen zugeordnet. Diese werden von der jeweiligen pädagogischen Hochschule in der Umsetzung des Projekts betreut. Die Pädagogische Hochschule Salzburg arbeitet diesbezüglich mit fünf Grundschulen zusammen und die Ergebnisse dieser Arbeit sollen im Folgenden näher analysiert werden. Das Projekt endet mit dem Schuljahr 2017/18. Daher ist es zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags noch nicht zur Gänze abgeschlossen, es können jedoch erste Ergebnisse präsentiert werden. In Salzburg wird das Projekt in zwei Phasen durchgeführt: Die erste Phase ist bereits abgeschlossen und erfolgte gemäß des oben geschilderten, vorgegebenen, Ablaufs. Dabei konnten sich die Lehrpersonen sowie die Schülerinnen und Schüler mit allen im Projekt eingesetzten Geräten und technischen Anwendungen (Tablets, Bee Bots, Lego WeDo, Scratch) vertraut machen. Am Ende dieser Projektphase wurde eine Gruppendiskussion mit den beteiligten Lehrkräften durchgeführt, in welcher die Projekterfahrungen gemeinsam reflektiert wurden. Diese Gruppendiskussion wurde transkribiert und mittels thematischen Kodierens analysiert; die Ergebnisse bilden die Grundlage der folgenden Ausführungen. In der, zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen, zweiten Projektphase ist es den Lehrkräften selbst überlassen, wie und in welchen Kontexten sie die einzelnen Materialen in ihrem Unterricht einsetzen. Die Erfahrungen daraus sollen in Gesprächen mit den einzelnen Lehrpersonen ein weiteres Mal reflektiert werden.
Im gesamten Projektverlauf ist es den beteiligten Schulen und Lehrpersonen überlassen, in wie vielen Klassen und in welchen Fächern mit den einzelnen Tools gearbeitet wird. In der ersten Projektphase waren durchschnittlich sechs Klassen pro Schule involviert und es wurde sowohl im Regelunterricht als auch in unverbindlichen Übungen damit gearbeitet (Bee Bots: Mathematik, Fremdsprachenunterricht, Sachunterricht, Verkehrserziehung; Lego WeDo: Werken, Informatik, Lernwerkstätten; Scratch: Deutsch, Lernwerkstätten). Die Schulklassen wurden jeweils gemeinsam in neue Geräte und Anwendungen eingeführt und anschließend konnten die Schülerinnen und Schüler frei damit arbeiten. Die ursprünglich vorgegebene Reihenfolge des Einsatzes der einzelnen Tools (Bee Bots – Lego WeDo – Scratch) wurde eingehalten und hat sich in der abschließenden Evaluation als didaktisch sinnvoll erwiesen.
Aus der Diskussion mit den Lehrenden geht hervor, dass das Projekt besonders zur Förderung des kollaborativen, kooperativen und sozialen Lernens beigetragen und auch die Klassendynamik positiv beeinflusst hat. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Schülerinnen und Schülern erfolgte ohne das Zutun der Lehrpersonen. Genderspezifische Unterschiede waren in der Aneignung der technischen Fertigkeiten nicht zu beobachten und Jungen wie Mädchen, die anfänglich Berührungsängste („das kann ich nicht“) zeigten, konnten diese schnell abbauen. Die Schülerinnen und Schüler wiesen sich in der Wahrnehmung der Lehrenden als begeistert von der spielerischen Lernumgebung und konnten ihren persönlichen Interessen durch den Entwurf eigener Projekte nachgehen. Von den Lehrkräften wurde diesbezüglich besonders positiv hervorgehoben, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler anders als gewohnt beobachten und kennenlernen konnten – unbekannte Kompetenzen traten zutage und manche wuchsen über das gemeinsame Arbeiten über sich hinaus. In einer Schule kam das Experimentieren im offenen Lernsetting einem autistischen Kind sogar so sehr entgegen, dass es sich als Experte mehr als gewohnt in die Klasse integrieren konnte. Die Lehrpersonen konnten des Weiteren beobachten, dass von den Heranwachsenden Zusammenhänge zwischen dem Programmieren an sich und dem Lösen praktischer Probleme hergestellt wurden. Allerdings zeigte sich ebenso, dass für ein tatsächliches Problemlösen im Sinne des Computational Thinking mehr Zeit notwendig gewesen wäre, da zunächst viel Energie in das Verstehen einzelner Tools und ihrer Funktionen investiert werden musste. Die Fähigkeit, Probleme gemeinsam in der Gruppe anzugehen und zu lösen, war aus Perspektive der Lehrpersonen in einzelnen Projektgruppen erkennbar. In ihrer abschließenden Beurteilung schrieben die Lehrkräfte den eingesetzten Geräten und Anwendungen potentiell die Möglichkeit zu, zur Vermittlung algorithmischen Denkens und zur Förderung der informatischen Bildung in der Schule beizutragen.
Das Gesamtprojekt muss aus dem Blickwinkel der ersten Projektphase als partiell erfolgreich beurteilt werden. Die Schülerinnen und Schüler stellten sich als motiviert heraus und arbeiteten in engagierter Weise kollaborativ und kooperativ zusammen, um verschiedene Aufgabenstellungen zu lösen. Die Roboter-Bienen (Bee Bots) erwiesen sich als hilfreich für das Verstehen von Befehlen und das Erlernen des algorithmischen und iterativen Denkens. Im Hinblick auf die Lego-WeDo-Bausätze und die Software Scratch kann nicht genau beantwortet werden, inwiefern die Projektziele tatsächlich erreicht wurden. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten gemeinsam an spezifischen Aufgaben. Inwieweit damit aber tatsächlich die Fähigkeit des Verstehens, Formulierens und Lösens von Problemen gefördert wurde, konnte weniger klar festgestellt werden. Dies liegt allerdings weniger an den beiden Produkten, sondern an der Tatsache, dass dafür zum einen mehr Zeit notwendig gewesen wäre und zum anderen die Arbeit der Schülerinnen und Schüler, ihrer Lehrerinnen und Lehrer und die dadurch entstehenden Dynamiken im Klassenzimmer eingehender und mit weiteren Methoden hätten evaluiert werden müssen. Auch die Frage, inwiefern solche Projekte tatsächlich den kreativen Umgang mit den IKT fördern, kann erst nach einer längeren Beobachtung festgestellt werden, es zeigen sich jedoch Anzeichen dafür.
Resümee
In Österreich existieren verschiedene Ansätze zur schulischen Medienerziehung, die sich zwei unterschiedlichen Perspektiven zuordnen lassen, welche jeweils durch verschiedene Organisationseinheiten innerhalb des österreichischen Bildungsministeriums repräsentiert und fest verankert sind. Die medienpädagogische Perspektive versteht digitale Bildung als einen Teilbereich einer umfassenden Medienbildung und Medienerziehung als ein holistisches Konzept, das alle digitalen und analogen Medien einbezieht. Dieser Ansatz ist mit dem Grundsatzerlass Medienerziehung seit beinahe 30 Jahren Basis für die schulische Medienerziehung in Österreich. Das Unterrichtsprinzip Medienerziehung soll demgemäß die Integration von Medien und Medienerziehung als selbstverständlichen Bestandteil des Unterrichts in allen Fächern, Schulen und Schulstufen garantieren. Die Breite dieses Ansatzes bietet nicht nur viele Möglichkeiten zur Vermittlung eines reflektierten, selbstbestimmten und kreativen Medienumgangs, sondern wird auch einer modernen, mediatisierten Gesellschaft gerecht, da allen Medien gleichermaßen Bedeutung beigemessen wird. Das Ziel des Unterrichtsprinzips Medienerziehung ist daher die Förderung Heranwachsender im Erwerb einer umfassenden (digitalen wie analogen) Medienbildung im Sinne der UNESCO Paris Declaration on Media and Information Literacy in the Digital Era (Frau-Meigs et al. 2014). Allerdings ist dieses Unterrichtsprinzip trotz der Schaffung vieler Anreize (z. B. Media Literacy Award) und der Unterstützung von Lehrpersonen mit diversen Informations- und Unterrichtsmaterialien sowie eines eigenen Internetportals in der schulischen Praxis zu wenig sichtbar.
Anders gestaltet sich das Bild in Bezug auf die informatische Perspektive, welche ihren Fokus ausschließlich auf das Lehren und Lernen mit digitalen Medien sowie die Vermittlung informatischer Kenntnisse richtet. Durch die zunehmende Digitalisierung und damit verbundenen politischen Strategien auf europäischer wie nationaler Ebene erlangte dieser Blickwinkel in den letzten Jahren an großer Bedeutung. Medienbildung wird hier als synonym mit digitaler Bildung betrachtet bzw. darauf reduziert. Analog zu ähnlichen Entwicklungen in anderen europäischen Staaten (Frau-Meigs et al. 2014) stehen die Digitalisierung und die digitale (Grund-)Bildung im Mittelpunkt der aktuellen Bildungspolitik. Grundlage dafür liefert die Schule 4.0-Strategie des österreichischen Bildungsministeriums über die, anders als im Hinblick auf die allgemeine Medienbildung, ein eigenes Fach in Form einer verbindlichen Übung ab der Sekundarstufe eingeführt wurde, das vermutlich eine höhere Breitenwirksamkeit erzielen wird als ein allgemeines Unterrichtsprinzip. Da diese Digitalisierungsstrategie primär aus einem informatischen Blickwinkel vorangetrieben wird, wird der informatischen (Aus-)Bildung in diesem Kontext zumeist eine größere Bedeutung beigemessen, als einer allgemeinen digitalen Bildung. Ein Beispiel dafür ist das vorgestellte Projekt Denken lernen – Probleme lösen, das auf die Förderung der Fähigkeit des informatischen Denkens sowie des Verstehens von Grundlagen der Robotik bei Grundschulkindern ausgerichtet ist. Dieses Projekt konnte partiell positiv evaluiert werden und zeigt, dass eine Auseinandersetzung mit algorithmischem und iterativem Denken bereits in der Grundschule umsetzbar ist. Allerdings wird es weiterer Forschung bedürfen, um den Mehrwert der eingesetzten Anwendungen und Geräte besser beurteilen zu können. Das Pilotprojekt verdeutlicht allerdings auch, dass Heranwachsende Freiräume als zur Verfügung stehende Zeit im Unterricht brauchen, um sich selbstbestimmt, kollaborativ und kreativ mit Medien auseinandersetzen zu können (z. B. im Hinblick auf die Arbeit mit Lego-WeDo-Bausätzen).
Abschließend stellt sich allerdings die Frage nach der Sinnhaftigkeit paralleler Strukturen und einer inhaltlichen Trennung zwischen medienpädagogischen und informatischen Konzepten, wie sie derzeit in Österreich anzutreffen sind. Aus gewissem Abstand betrachtet, stehen die beiden Ansätze des österreichischen Bildungsministeriums nicht im Widerspruch zueinander. Da Medien in einer mediatisierten Gesellschaft fester Bestandteil des alltäglichen Lebens sind, sollten sie auch in der Schule nicht als ‚Sonderfall‘ betrachtet, sondern integrativer Bestandteil des Schulunterrichts sein, wie es das Unterrichtsprinzip Medienerziehung vorsieht, denn gesellschaftliche wie individuelle Handlungsfähigkeit sowie Mündigkeit können heute nicht mehr ohne (digitale genauso wie analoge) Medien gedacht werden. Zugleich brauchen kreatives Experimentieren, forschendes Lernen und kritisches Reflektieren Zeit und die Möglichkeit, sich etwas länger und intensiver mit einem bestimmten Medium, einem Medieninhalt oder einer spezifischen Fragestellung auseinanderzusetzen. Dies spricht für die Einführung einer verbindlichen Übung, wie im Falle der „digitalen Grundbildung“ ab der Sekundarstufe, als Ergänzung zu einer integrativen Medienerziehung. Auch inhaltlich lassen sich durchweg Gemeinsamkeiten zwischen einer medienpädagogischen und einer informatischen Perspektive erkennen. Eine intensive Auseinandersetzung mit digitalen Medien sowie ein grundlegendes Verständnis für informatische Prozesse und iteratives Problemlösen – im medienpädagogischen Sinne als Wissen über Medien und Mediensysteme – ist in einer mediatisierten Gesellschaft ebenso von Bedeutung. Diese digitale Bildung aus informatischer Perspektive sollte allerdings nicht für sich alleine stehen, sondern als ein wichtiger Bestandteil in eine allumfassende und ganzheitliche Medienbildung integriert werden. Ein erster Ansatz dazu wurde vom österreichischen Bildungsministerium in Form einer Sammlung prototypischer und alle Medien umfassender Aufgaben für eine fächerübergreifende Medienerziehung basierend auf dem entsprechenden Unterrichtsprinzip entwickelt (Schipek/Windischbauer 2018). In diesem Sinne wäre es zielführend, wenn in einer verbindlichen Übung als Ergänzung zum Unterrichtsprinzip Medienerziehung, eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Medien und nicht nur mit informatischen Fragestellungen erfolgen würde. Umgekehrt sollte das Unterrichtsprinzip Medienerziehung unter anderem auch genutzt werden, um – ähnlich wie es im Pilotprojekt Denken lernen – Probleme lösen erfolgt ist – informatisches Denken und iteratives Problemlösen fächerübergreifend zu fördern
Anmerkungen
[1] https://www.mediamanual.at/media-literacy-award/ Der Media Literacy Award (mla) richtet sich an europäische Schulen mit dem Ziel, den kreativen und kritischen Umgang mit Medien aller Art zu fördern.
2 Weitere Informationen zum digi.komp-Modell sowie die Ausdifferenzierung der Can-Do-Statements für die unterschiedlichen Schulstufen finden sich hier: www.digikomp.at/
3 Zur näheren Erläuterung siehe www.digikomp.at (Katalog Digitale Kompetenzen & Informatische Bildung)
4 Weitere Informationen und Unterlagen zur Einführung von Bee Bots finden sich auf folgender Website: beebot.ibach.at
5 http://bee.baa.at/beebot_pc.php
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Christine W. Trültzsch-Wijnen ist Hochschulprofessorin für Medienpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig. Dort leitet sie das Kompetenzzentrum für Medienpädagogik und E-Learning sowie das Education Innovation Studio (EIS) für Robotik, kindgerechte Programmierumgebungen und digitale Technologien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienrezeption, Mediennutzung und Medienaneignung, kommunikative Kompetenz und Medienkompetenz, international vergleichende Medienpädagogik und Media Literacy Policies.