Prof. Dr. Tanja Witting
Beiträge in merz
Tanja Witting: Spielverderber
In Deutschland ist beinahe jeder zweite Nutzende digitaler Spiele weiblich. Trotz der gestiegenen Zahl von Gamerinnen werden virtuelle Spielwelten noch immer männlich dominiert: Dies zeigt sich sowohl in der inhaltlichen Ausgestaltung von Games als auch in der Sphäre der Gaming-Communitys, in denen weibliche Akteurinnen häufig Ausgrenzung und Abwertung erfahren.
Literatur:
Beasley, Berrin/Standley, Tracy Collins (2002). Shirts vs. skins. Clothing as an indicator of gender role stereotyping in video games. In: Mass Communication & Society, 5, S. 279-293.
Burgess, Melinda C. R./Stermer, Steven Paul/Burgess, Stephen R. (2007). Sex, lies and video games. The portrayal of male and female characters on video game covers. In: Sex Roles, 57, S. 419-433.BIU/GfK. Grafik Altersverteilung. www.biu-online.de/de/fakten/reichweiten/altersverteilung.html [Zugriff: 19.11.2014].
Casual Games Association (2007). Casual Games Market Report 2007. Business and art of games for everyone. www.casualconnect.org/mag/CasualGamesMarketReport-2007.pdf [Zugriff: 30.12.2012].
Connell, Robert W. (1999). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Opladen: VS Verlag.
Downs, Edward/Smith, Stacy L. (2009). Keeping abreast of hypersexuality. A video game character content analysis. In: Sex Roles, 62, S. 721-733.
Freidel, Morten (2014). Gamergate. Wenn kritik kommt, hört das Spiel auf. www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gamergate-wenn-kritik-kommt-hoert-das-spiel-auf-13232818.html [Zugriff: 19.11.2014].
Fromme, Johannes/Gecius, Melanie (1997). Geschlechtsrollen in Video- und Computerspielen. In: Fritz, Jürgen/Fehr, Wolfgang (Hrsg.), Handbuch Medien: Computerspiele. Theorie, Forschung, Praxis. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Geisler, Martin/Neundorf, Gerrit (2011). Pädagogische Konzepte im Kontext männlicher Videospieler. In: Lauffner, Jürgen/Röllecke, Renate (Hrsg.), Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. München: kopaed. S. 52-58.
Glaubke, Christina R./Miller, Patti/McCrae, A. Parker/Espejo, Eileen (2001). Children Now, Fair Play. Violence, Gender and Race in Video Games.www.childrennow.org/uploads/documents/fair_play_2001.pdf [Zugriff: 12.01.2015].
Hartmann, Tilo/Klimmt, Christoph (2006). Gender and computer games. Exploring females' dislikes. In: Journal of Computer-Mediated Communication, 11(4), S. 910-931.
IGDA (2008). 2008 – 2009 Casual Casual Games White Paper. www.archives.igda.org/casual/IGDA_Casual_Games_White_Paper_2008.pdf [Zugriff: 10.11.2012].
Klug, Isabelle (2012). Von hilflosen Prinzessinnen und homosexuellen Elfen. Gender und Sexualitätsstereotype in digitalen Spielen. In: tv diskurs, 16(3), S. 62-65.
mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest). JIM 2005, JIM2010, JIM2012, JIM 2013. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12 – 19 Jähriger in Deutschland. Stuttgart. mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest). KIM 2005, KIM 2008, KIM 2012. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisstudie zum Medienumgang 6 – 13 Jähriger. Stuttgart.
Mulvey, Laura (1975). Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Screen, 16(3), S. 6-18.
Paukner, Pascal (2012). Wo Feminismus als “Terrorismus” gilt. www.sueddeutsche.de/digital/sexismus-in-videospielen-wo-feminismus-als-terrorismus-gilt-1.1389210 [Zugriff:01.03.2013].
Pinchefsky, Carol (2013). Really? IGDA Party At GDC Brings On The Female Dancers. www.forbes.com/sites/carolpinchefsky/2013/03/27/really-igda-party-at-gdc-brings-on-the-female-dancers/ [Zugriff: 01.03.2013].
Quandt, Thorsten/Wimmer, Jeffrey (2008). Online-Spieler in Deutschland 2007. Befunde einer repräsentativen Befragungsstudie. In: Quandt, Thorsten/Wimmer, Jeffrey/Wolling, Jens (Hrsg.), Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von Computergames. Wiesbaden: VS Verlag. S. 169-192.
Ritter, Tobias (2014). Mobile-Games. Durchschnittsalter der Spieler sinkt um sieben Jahre. www.gamestar.de/news/vermischtes/3080157/ mobile_games.html [Zugriff: 19.11.2014].
Scharrer, Erica (2004). Virtual violence. Gender and aggression in video game advertisements. In: Mass Communication & Society, 7, S. 393-412.
Tausend, Ulrich (2006). Casual Games und Geschlecht. www.tausend.name/research/Casual%20Games%20und%20Geschlecht%20-%20Ulrich%20Tausend.pdf [Zugriff: 14.12.2012].
Trepte, Sabine/Reinecke, Leonard (2010). Gender und Games. Medienpsychologische Gender-Forschung am Beispiel Video- und Computerspiele. In: Steins, Gisela (Hrsg.), Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag. S. 229-247.
Witting, Tanja (2007). Kennen Sie Mario, Lara und Max Payne? Spielfiguren. In: Kaminski, Winfried/Witting, Tanja (Hrsg.), Digitale Spielräume. Basiswissen Computer- und Videospiele. München: kopaed. S. 41-46.
Witting, Tanja (2010). Bildschirmspiele und die Genderfrage. In: Ganguin, Sonja/Hoffmann, Bernward (Hrsg.), Digitale Spielkultur. München: kopaed. S. 115-127.
Zimmermann, Olaf (2008). Kunst und Spiele sind keine getrennten Welten. www.kulturrat.de/detail.php?detail=1374&rubrik=5 [Zugriff: 15.02.2013].
Tanja Witting / Heike Esser: Wie Spieler sich zu virtuellen Spielwelten in Beziehung setzen
Eine Untersuchung an der Fachhochschule Köln mit 80 ComputerspielerInnen im Alter von 16 bis 37 Jahren hat gezeigt, dass es Spielern möglich ist, sehr persönliche und individuelle Anknüpfungspunkte zu virtuellen Spielwelten herzustellen. Diese Anknüpfungspunkte beeinflussen entscheidend, wie ein Spiel erlebt wird und welche „Wirkkraft“ Spielinhalte entfalten können. Insbesondere in Hinblick auf mögliche Verstärkungseffekte in Bezug auf Einstellungen, Menschen- und Weltbilder ist die Anschlussfähigkeit der Spielinhalte an bereits vorhandene Erfahrungen und Ansichten als ausschlaggebend anzusehen.
A survey conducted at the University of Applied Sciences Cologne/Germany (‚Fachhochschule Koeln’) with female and male computer game players between 16 and 37 has shown that the players are able to make a very personal and individual link with virtual game worlds. These links have a decisive influence on how the players conceive a game and on how strong the impact of the game’s contents may be. The links of the game’s contents to experiences already made as well as opinions, can be seen as crucial especially as regards possible intensifying effects regarding opinions as well as views of man and of the world.
Tanja Witting: Der Mediatisierung Rechnung tragen
Eike Rösch (2019). Jugendarbeit in einem mediatisierten Umfeld. Impulse für ein theoretisches Konzept. Weinheim: Beltz. 172 S., 19,95 €.
Medien durchdringen unsere Lebenswelt, verändern Gesellschaft und Kommunikation. Insbesondere beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen kommt ihnen eine bedeutsame Rolle zu. Medienhandeln nimmt hier vielfach nicht nur zeitlich einen großen Raum ein, sondern auch inhaltlich und funktional und ist damit ein hoch relevanter Bestandteil des Sozialisationsprozesses.
Eike Rösch setzt an dieser Situation an und nimmt die Herausforderungen in der Jugendarbeit in Anbetracht einer ständig voranschreitenden Mediatisierung in den Blick. Er bemängelt, dass die Praxis der Jugendarbeit in der Breite den der Mediatisierung geschuldeten veränderten Bedingungen des Aufwachsens zu wenig Rechnung trägt und führt dies wiederum auf eine unzureichend aktualisierte konzeptionelle Basis von Jugendarbeit zurück. Mit der vorliegenden Publikation will Rösch diesen Missstand beheben helfen und auf der Ebene theoretischer Konzepte eine Basis für eine Integration von Medien(-handeln) in die Jugendarbeit schaffen.
Diesem Anliegen folgend nimmt Rösch im zweiten Kapitel zunächst einige grundlegende Erörterungen vor und verweist auf Sozialisation und Aneignung, wonach autonom handelnde Subjekte ihre Umwelt aktiv gestalten, in ihr lernen und Identitätsarbeit leisten. In einer mediatisierten Lebenswelt ist dabei auch Medienaneignung relevant. Im Verweis darauf, dass mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones insbesondere im Alltag Jugendlicher die Bedeutung von mediatisierter Kommunikation und sozialen Netzwerkdiensten zugenommen hat, konstatiert Rösch, dass dies bisher auf der Ebene von Konzepten der Jugendarbeit keine ausreichende Berücksichtigung erfahren hat.
Der skizzierten Problematik folgend werden bekannte Theoriekonzepte der Jugendarbeit darauf untersucht, welchen Beitrag sie für eine theoretische Fundierung von Jugendarbeit angesichts der Mediatisierung von jugendlichen Lebenswelten leisten (können). Nachdem Rösch hierauf rechtliche Grundlagen und Leitlinien der Jugendarbeit referiert, die auch ein überarbeitetes Konzept zu berücksichtigen hat, widmet er sich emanzipatorischen, subjektorientierten sowie bildungsorientierten Konzepten der Jugendarbeit. Eine ausdrückliche Erwähnung von Medien in jugendlichen Lebenswelten findet Rösch weder dort noch im nachfolgend behandelten Konzept der antikapitalistischen Jugendarbeit vor. Schließlich wendet sich der Autor dem Theoriekonzept der sozialräumlichen Jugendarbeit zu, die eine geeignete Analyse der Sozialisationsbedingungen von Jugendlichen offenlegt, in denen Medien (wenn auch überwiegend kritisch eingeschätzt) eine wichtige Rolle zugesprochen wird.
In welchem Rahmen das Theoriekonzept der sozialräumlichen Jugendarbeit für eine Jugendarbeit im Kontext mediatisierter Lebenswelten fruchtbar gemacht werden kann verfolgt Rösch im vierten Kapitel. Dazu greift er auf Castells Überlegungen zur Netzwerkgesellschaft zurück, in denen er einen wesentlichen Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Umweltbedingungen erörtert sieht. Demnach herrschen gleichermaßen Freiheit und Druck vor, an relevanten Netzwerken beteiligt zu sein. Zugleich gilt es, Machtstrukturen innerhalb der Netzwerke zu reflektieren, Zugangs- und Ausschlussmechanismen zu kennen und sich mit den in ihnen existierenden Abhängigkeiten und sozialen Codes auseinanderzusetzen.
Rösch sieht durch die Kommunikationsnetzwerke auch Raumvorstellungen tangiert und stellt die Frage, ob Social-Media-Kommunikationsplattformen als Raum betrachtet werden können. In der Diskussion verschiedener Ansätze stellt Rösch einen an Löw orientierten Raumbegriff für das eigene Vorhaben als dienlich heraus, welcher eine relationale Sichtweise aufbringt. Abgrenzend von der unumgänglichen Voraussetzung eines dreidimensionalen Raumes stellt dieses Raumverständnis die Konstruktionsleistung des Subjektes in den Mittelpunkt der Betrachtung, die geprägt ist von einer relationalen (An-)Ordnung materieller und symbolischer Objekte und Menschen an Orten. Internetplattformen können als solche Orte verstanden und somit als mediatisierte Sozialraumausprägungen berücksichtigt und zum Gegenstand sozialräumlicher Jugendarbeit werden.
Schließlich weitet Rösch seinen Blick auf sonstige gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen, in denen sich Medienangebote und Medienhandeln bewegen und die es im Rahmen einer mediatisierungsbewussten sozialräumlichen Jugendarbeit zu berücksichtigen gilt. Er verweist auf postdemokratische Settings, die mit den Internetangeboten großer Konzerne einhergehen und vordergründig zwar Partizipationsmöglichkeiten bieten, sich hintergründig jedoch beispielsweise durch Algorithmen demokratischer Kontrolle entziehen. Als alternative Entwicklungsrichtung zu derartigen postdemokratischen Strukturen verweist Rösch auf die als „Commons“ bezeichnete Produktionsweise, die kulturelle Güter und Software schaffen, diese für alle verfüg- und nutzbar machen will und dabei Machthierarchien entgegensteht. Gemäß Rösch eröffnen sich hier für Jugendliche und Jugendarbeit Handlungsoptionen, die zunehmend intransparenter Datensammlung und Überwachung entgegenstehen und dem partizipativen Charakter von Jugendarbeit entsprechen. Aktive Medienarbeit kann hier als Methode Anwendung finden.
Im fünften Kapitel schließlich fasst Rösch sein Konzept einer mediatisierungsbewussten sozialräumlichen Jugendarbeit zusammen und nimmt eine Konkretisierung in Richtung Praxis vor. Rösch betont, dass ein angemessenes Reagieren auf die von Medien durchdrungene Lebenswelt der Jugendlichen eine Mediatisierung der Praxis der Jugendarbeit notwendig macht. So ist die bestehende Praxis um Medienhandeln und mediatisierte Kommunikation, einschließlich Kenntnissen zu jugendkulturellen Codes und aktuellen Kommunikationsphänomenen, zu erweitern. So würde Jugendarbeit in die Lage versetzt, Aneignung in mediatisierten Sozialräumen zu begleiten, Reflexionsanlässe zu schaffen und Alternativen oder weitere Handlungsoptionen zu entwickeln – beispielsweise im Zugänglichmachen einer hierarchiearmen, partizipativen, nicht kommerziellen Infrastruktur.
Röschs Ausführungen erscheinen insgesamt gut nachvollziehbar und hilfreich für eine Aktualisierung der Konzepte von Jugendarbeit. Sie sind gleichermaßen empfehlenswert für Studierende, die sich mit dem Arbeitsfeld Jugendarbeit auseinandersetzen, wie auch für Praktikerinnen und Praktiker, die hier einen Anstoß zur Reflexion der eigenen Praxis und zur Überarbeitung von institutionsbezogenen Konzepten und Methoden finden. Auch der Medienpädagogik sei Röschs Werk ans Herz gelegt, da es einer gelegentlich anzutreffenden überfokussierten Ausrichtung auf Medienkompetenzvermittlung entgegensteht.
Dr. Tanja Witting ist Sozialpädagogin und hat an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Braunschweig/Wolfenbüttel die Professur für Kunst und Medien in der Sozialen Arbeit inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen Prozesse der Mediensozialisation und Medienkompetenzentwicklung bei Kindern und Jugendlichen, erziehungswissenschaftliche Medienforschung, Jugendmedienschutz und das Themengebiet Medien und Geschlecht.