Anna Zoellner
Beiträge in merz
Bernd Schorb, Anna Zoellner, Jan Keilhauer: Editorial
Der Begriff der Partizipation war in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein zentralerBegriff der sozialpolitischen wie sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung. Neben dem Begriff der Emanzipation, der die Notwendigkeit der politischen Subjekte kennzeichnen sollte, sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, stellte Partizipation das Recht und die Notwendigkeit der Subjekte heraus, gleichberechtigt und ohne Zugangsbeschränkungen an gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligt zu werden. Partizipation beinhaltete die Einforderung der basalen demokratischen Norm nach Einbezug aller Gesellschaftsmitglieder in alle gesellschaftlichenHandlungsbereiche. In Bezug auf Medien wurden unter Partizipation zwei Forderungen erhoben. Zum einen sollten alle veröffentlichten Medien einer öffentlichen Kontrolle unterzogen werden, die es ermöglichen sollte, dass nicht die Ideologie der Medieneigentümerinnen und -eigentümer, sondern die authentischen Erfahrungen aller Menschen die Grundlage inhaltlicher medialer Produktion bildet. Zum anderen sollte der freie und öffentliche Zugang aller Menschen zu allen Medien gewährleisten, dass diese selbst sich mittels Medien artikulieren und konstitutiv am öffentlichen Diskurs beteiligen können, was sich in der Konstruktion alternativer Medien bishin zu offenen Kanälen niederschlug.
Vierzig Jahre später ist der Begriff der Partizipation wieder in die öffentliche wie die sozialpolitische Debatte zurückgekehrt. Nunmehr stellt er sich dar als Forderung bzw. Aufforderung insbesondere an die jungen Mitglieder der Gesellschaft, die Institutionen der verfassten Gesellschaft anzunehmen, sich an ihnen zu beteiligen und so ihre Aufgabe als‚ demokratische Bürgerinnen und Bürger‘ wahrzunehmen. Den gesellschaftlichen Institutionen ist aufgetragen, Partizipationsmöglichkeiten bereitzustellen und die Menschen zu bewegen, diese zu nutzen. Zugleich ist Partizipation im Sinne selbständiger und selbsttätiger Einbindung in die vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen im Zeichen des Beschäftigungsmangels Voraussetzung, um eine berufliche Position zu erreichen. Partizipation scheint vom einzufordernden Recht zur eingeforderten Pflicht geworden zu sein. Im Bereich der Medien ist Partizipation als Akklamation konstitutiver Bestandteil der kommerzialisierten Medienlandschaft. Die Massenmedien richten weite Teile ihres Programmes so ein, dass jede und jeder (so die Lüge, die von Agenturen davor geschützt wird, Wahrheit zu werden) am Programm aktiv teilnehmen und zugleich eine gesellschaftlich extraordinäre Position erlangen kann, als Superstar welcher Couleur auch immer. In den Netzmedien bieten die dort herrschenden Oligopole Plattformen zur Teilnahme am globalen Diskurs an, dies führt häufig zu einer Vereinheitlichungder Persönlichkeit wie ihrer Daten.
Daneben wird in der Praxis der Jugendarbeit Partizipation zum überall auffindbaren Schlagwort.Kaum eines der im Netz vorfindlichen, öffentlich geförderten Projekte, schreibt sich nicht als Zielauf die Fahne, die Partizipation Jugendlicher zu fördern. Damit ist in der Regel die Absicht verbunden, die Medien als Forum zu nutzen, innerhalb dessen Jugendliche aktiv an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben. Allerdings ist bei vielen dieser Projekte nicht erkennbar, inwieweit die Absicht auch angegangen oder gar erfüllt wird. Es besteht vielmehr der Verdacht, dass sich unter dem Schlagwort die gängige Praxis verbirgt. Diese Praxis aber ist dadurch gekennzeichnet, dass die technischen und gestalterischen Möglichkeiten der Medien – und diese sind ja im Netz von einer bislang unbekannten Vielfalt – den inhaltlichen Zielen und Überlegungen übergeordnet werden. Partizipation heißt da oft nicht mehr als Mitmachen bei dem, was schon immer gemacht wurde. Der Begriff bleibt Hülse.
Zugleich werden, ebenfalls öffentlich ‚gefördert‘, gewachsene Projekte der Partizipation, die unterdem Begriff der Bürgermedien zusammengefasst sind, ins Abseits gedrängt (in das sie sich zugegeben oft auch selbst bewegt haben). Die offenen Kanäle beispielsweise werden zugeschüttet oder zu sogenannten Medienkompetenzzentren umgestaltet, in denen das Erlernen der technischen Fertigkeiten, der Berufsqualifizierung et cetera in den Vordergrund gestellt werden und bürgerliches Engagement darüber aus dem Fokus gerät. Aber es existieren im Netz die Nischen, in denen jenseits der verfassten politischen Gegebenheiten und fast geschützt von den kommerziellen Strukturen, Gleichgesinnte in einen gleichberechtigten Austausch treten können. Dieser Austausch unterliegt zwar keinen ideologisch-ethischen Prinzipien mehr und kann sich jeden Inhalts bedienen, aber er wird vom Diskurs und der gemeinsamen Zielsetzung seiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer getragen. In diesem Heft soll anhand theoretischer Überlegungen, empirischer Erkundungen und praktischer Beispiele nachvollzogen werden, wie undals was sich Partizipation heute darstellt und wie sie den Subjekten begegnet, als Möglichkeitoder als Notwendigkeit oder als beides. Insbesondere soll der mediale Raum befragt werden,inwieweit hier Partizipation und besonders welche Art derselben möglich ist. Eine Besonderheitist in dem Blick über die deutschen Grenzen zu sehen. Der Anspruch, Jugendliche anzuregen,am politischen Leben ihrer Gesellschaft zu partizipieren, ist nicht auf Deutschland beschränkt,sondern findet sich als Postulat in den meisten kapitalistisch-demokratischen Staaten. Nebeneiner Auseinandersetzung mit medialer Partizipation in Australien verweisen die ausgewähltenBeispiele aus Großbritannien darauf, dass es hier eine lange Tradition staatlich geförderter undselbstorganisierter Projekte gibt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo öffentliche Partizipationsförderung eine neue Erscheinung ist, wird in Großbritannien unter dem Begriff der „Citizenship Education“ vor allem an den Schulen, aber auch in Projekten der außerschulischen Jugendarbeit die Beteiligung an der Demokratie als verpflichtende Aufgabe gesehen. Ziel ist der Erwerb von Einstellungen, Fähigkeiten und Wissen, welche die Schülerinnen und Schüler befähigen, sich aktiv in Staat und Zivilgesellschaft zu engagieren. Citizenship soll für Jugendliche durch Partizipation und reale Erfahrung erlebbar werden. Dabei wird sogar die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an Partizipationsprojekten im öffentlichen Bereich von den Schulen zertifiziert.Da in der gegenwärtigen pluralistischen Gesellschaft eine klare Begriffsbestimmung nicht möglichist, was in besonderem Maße für den Begriff Partizipation gilt, soll das Heft Partizipation und Medien Diskussionshilfen geben bzw. eine Annäherung an den Begriff der medialen Partizipationversuchen. Dabei eröffnen kürzere Beschreibungen und Verweise auf konkrete Partizipationsprojekte die Möglichkeit, selbst die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Partizipationsprojekten einzuschätzen und im Vergleich von britischen und deutschen Projekten Anregungen für die Praxis zu gewinnen. Grundgelegt werden die vorgestellten Modelle aus drei Blickrichtungen, der Auseinandersetzung mit dem Begriff Partizipation, der Darstellung, wie Partizipation in der themenzentrierten Medienarbeit verwirklicht werden kann und wie die Auseinandersetzung über politische Partizipation in einem anderen Kulturkreis geführt wird.
Ulrike Wagner entwickelt Kriterien für Partizipation, die es einerseits erlauben, den heutigenbeliebigen Gebrauch dieses Begriffes zu präzisieren und die andererseits die Möglichkeitschaffen, konkrete Vorhaben und Modelle der Partizipationsförderung zu bewerten. Sie selbstkonkretisiert an Beispielen medialen Handelns Jugendlicher fruchtbares partizipatives Medienhandeln, aber auch ‚Fehlformen von Partizipation‘ in denen vermeintliche partizipativeAngebote in das Gegenteil, nämlich eine unreflektierte Bindung an das Medium, verkehrt werden. Partizipatives Medienhandeln braucht darüber hinaus Angebote und Räume, in denen es den Jugendlichen möglich wird, ihre entsprechenden Fähigkeiten zu entwickeln. Die Räume, in denen gewinnbringendes mediales Handeln erlernt wird, welches gesellschaftliche Teilnahme ermöglicht, benötigen eine pädagogisch sorgfältige Gestaltung basierend auf das Wissen um das Medienhandeln Jugendlicher.Themenzentrierte Medienarbeit kennzeichnet einen medienpädagogischen Ansatz, der aufbauendauf den Erfahrungen und dem Handeln Jugendlicher in ihrer Medienwelt versucht, die Möglichkeiten praktischer handlungsorientierter Medienpädagogik für die selbständige undkritische Erarbeitung gesellschaftlich relevanter Inhalte nutzbar zu machen. Partizipation steht imMittelpunkt dieser Arbeit, aber nicht als verfügtes Handlungsrepertoire sondern als Ziel, das dieJugendlichen eigenständig erreichen. Am Beispiel des Themas Gentechnik, das nicht in die alltäglichen Erfahrungen Jugendlicher eingebettet ist, stellt Jan Keilhauer dar, wie es gelingen kann, Jugendliche zu motivieren und ihnen Räume zu eröffnen, damit sie sich selbstbestimmt das Thema aneignen und via Medien diesen Prozess und seine Ergebnisse öffentlich machen.Australien, das sich nicht erst seit den jüngsten Wahlen in einem politischen und ökonomischenWandlungsprozess bef indet, hat in Bezug auf Partizipation durch die Bürgerinnen und Bürgereine lange Tradition des freiwilligen sozialen Engagements einerseits und der wohlfahrtlichenFürsorge des Staates auf der anderen Seite. Mary Griffiths gibt in ihrem Artikel einen Einblick, wiesich die Wandlungsprozesse entlang der Medien und speziell des Internets vollziehen. In diesenWandlungsprozessen zeigen sich Parallelen zur Entwicklung in Deutschland. Der Staat entlässtdie Medien einerseits aus seiner Kontrolle und überträgt diese seinen Bürgerinnen und Bürgern,andererseits stärkt er die Kontrollen dort, wo er seine eigene Machtbasis gefährdet sieht. Die Nutzung der Medien zur politischen Partizipation durch unabhängige Gruppen ebenso wie durch die politische Elite selbst schafft eine Situation voller Widersprüche. Das Internet ist, so zeigt dieser Einblick in die Gesellschafteines anderen Kontinentes, überall auf der Welt janusköpfig, eröffnet Horizonte und schließt solche zugleich und der Umgang mit dem Netz bereitet jeder Gesellschaft noch immer Schwierigkeiten.
Anna Zoellner: Funky Dragon. Supporting Young People in Wales
Funky Dragon ist ein Projekt, das im Rahmen der 2007 von der walisischen Regierung veröffentlichten National Youth Service Strategy for Wales initiiert wurde und das versucht, das seit 2000 bemühte Programm Extending Entitlement: Supporting Young People in Wales in eine konkreteHandlungspraxis umzusetzen.
Anna Zoellner: Little People, Big Ideals - das eParticipation-Projekt WIMPS
Bereits der Titel verkündet das zentrale Anliegen des Projektes: WIMPS (= Where Is My Public Servant) will junge Menschen an (politischen) Entscheidungsprozessen beteiligen, indem diesen Ansprechpartnerinnen und -partner genannt und Möglichkeiten aufgezeigt werden, um eigene Anliegen zur Sprache zu bringen. Mediale Schaltstelle des von der Organisation Public Achievement (Errungenschaften für die Öffentlichkeit) in Nordirland initiierten Projektes ist die Internetseite www.wimps.org.uk. Die von einer Gruppe junger Menschen im Juli 2004 entwickelte Seite soll informieren, unterschiedliche Erfahrungen als Ressourcen in einem Netzwerk bündeln und unter dem Motto „Little People, Big Ideas“ zu eigenem Engagement inspirieren.