Maryanne Redpath
Beiträge in merz
- Nicole Lohfink: nachgefragt: Maryanne Redpath, Leiterin Sektion Generation der Berlinale
Nicole Lohfink: nachgefragt: Maryanne Redpath, Leiterin Sektion Generation der Berlinale
Abschied von der Berlinale – mit einem 20-jährigen Jubiläum als Leiterin der Sektion Generation beendet Maryanne Redpath ihre Arbeit beim internationalen Filmfestival. Schon 1993 war sie das erste Mal bei der Berlinale tätig, seit 2002 dann als Leiterin des Kinder- und Jugendfilm-Segments. Das Aufgreifen der Lebenswelt junger Menschen über das Medium Film war schon immer ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie hat viele Entwicklungen der Sektion begleitet und Formate angestoßen, um das junge Publikum mit seinen Fragen und Interessen mitzunehmen.
merzIm letzten Jahr war die Berlinale pandemiebedingt zweigeteilt, ein Online-Teil zum gewohnten Zeitpunkt und im Sommer die Open Air Veranstaltungen vor Ort. Auch dieses Jahr musste das Festival mit herausfordernden äußeren Umständen umgehen. Wie hat das die Inhalte und Teilnahme im Bereich Generation beeinflusst?
Redpath 2021 waren es viel weniger Filme, wir haben die Kurzfilme aus Pandemie-Gründen ausgesetzt und circa 800 Langfilme gezeigt. Dieses Jahr sind es – mit den Kurzfilmen wieder dabei – insgesamt circa 2700 Einreichungen. Tatsächlich sind es im Vergleich zu 2020 und einem ‚normalen‘ Festival, sogar ein paar Hundert Einreichungen mehr. Natürlich war die Produktion von Filmen sehr stark eingeschränkt. Thematisch auffällig ist, dass es in sehr vielen der ausgewählten Filme um Bewegung und Tanz geht, und darum, sich mit Wörtern und Musik auszudrücken und einfach zusammen zu kommen. Es fühlt sich für die Zuschauer*innen gut an, Filme zu sehen, die einen lebendigen Geist haben, besonders für junge Menschen, die vielleicht noch stärker unter der Pandemie leiden. Gerade, wenn Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt ihre Schritte in den Prozessen des Aufwachsens nicht normal machen können, weil sie mit von Erwachsenen gemachten Regeln eingeschränkt werden, dann müssen sie vielfach Schritte überspringen. Dabei finden sie oft nicht die Worte, ob im Film oder in der Realität, um zu erklären, was mit ihnen und in ihrer Welt los ist. Das drückt sich oft in Musik und Bewegung aus. Und das wiederum verändert dann die Lesart solcher Filme.
merz Ist es also auch ein Angebot an die Kinder und Jugendlichen, über die Filme einen Umgang mit den vielen Pandemie-bedingten Ereignissen zu finden?
RedpathEs sind sehr vielfältige Filme, auch ganz viele dokumentarische Arbeiten, wo man sieht – die Protagonist*innen ringen mit Worten, um sich auszudrücken. Ihnen fehlen die Worte, aber sie spüren das. Man sieht, wie sie in diesen Filmen, die mal fiktiv, mal nicht fiktiv sind, andere Formen und Mittel suchen, um sich mitzuteilen. Es ist spannend, wie die jungen Leute auf diese Prozesse auf der Leinwand reagieren. Sie identifizieren sich mit dem, was sie sehen und bekommen dadurch Impulse, was ihnen auch in ihrem alltäglichen Leben helfen kann.
merzGerade die gesellschaftlichen Auswirkungen sind für Heranwachsende einschneidende Erfahrungen während prägender Phasen des Aufwachsens – ist Filmkultur hier auch eine Möglichkeit des Verarbeitens?
Redpath Es ist auf jeden Fall ein Angebot bei der Berlinale. Es ist natürlich auf eine gewisse Weise auch gewagt, zu versuchen, mitten in einer Pandemie ein Festival anzubieten, das nicht virtuell ist, sondern für die Zuschauer*innen physisch in den Kinos stattfindet. Aber es ist für Erwachsene nicht anders als für Kinder und Jugendliche, diese Freude und den Genuss zu erleben, die man haben kann, wenn man zusammen kommt und gemeinsam ein gutes Filmerlebnis hat. Man ist nicht mehr so alleine in der Welt. Die Berlinale hat auch alle Anstrengungen unternommen, um die strengen Kontrollen, die Sicherheit und die Kontaktbeschränkungen einzuhalten. Wir glauben, dass es für die jungen Leute wichtig ist, bewegen uns hier im Grunde jedoch auf Neuland. Ich bin keine Politikerin und keine Medizinerin, ich bin Kulturmacherin, ich kann nur im Rahmen des Möglichen ein Angebot an die jungen Menschen machen. Darüber hinaus glaube ich, dass Kultur sehr wichtig ist, für alle Menschen, aber besonders für die jungen, für die es gerade ganz schön hart ist.
merz Braucht es überhaupt ein Festival in Krisen-Zeiten? Braucht es da Filme?
Redpath Das wird nicht für jede*n wichtig sein, aber wenn man zusammen in einem Kino einen Film ansieht, ist das ein gemeinschaftliches Erlebnis, bei dem man vielleicht auch mal die Herausforderungen und Probleme einer Pandemie für eineinhalb Stunden hinter sich lassen kann. Man lässt sich auf den Film ein; man kann sich mit sich selbst auf einer ganz anderen Ebene beschäftigen, je nachdem, was auf der Leinwand zu sehen ist, ob und wie man sich damit identifiziert. Bei einem offenen Ende kann man zum Beispiel weiterdenken und mit anderen diskutieren, und das machen die jungen Menschen auch gerne.
merz Sie haben zwei Jahrzehnte Generation geprägt, sind seit 2002 Leiterin der Sektion, aber auch insgesamt schon seit 1993 bei der Berlinale dabei – was hat sie so lange Zeit inspiriert?
Redpath Generation hat meine Leidenschaft für junge Menschen und für Kino zusammengebracht und das hat mich über die Jahre auch da gehalten. Ich habe viel Spielraum gehabt, mich und meine Kreativität zu entwickeln und viele tolle Begegnungen gehabt. Das war für mich so viele Jahre lang der perfekte Job – und ist es immer noch. Nun trete ich mit einem guten Gefühl zurück. Es kommen neue Generationen nach, mit sehr fähigen, guten Menschen, die das übernehmen können.
merz Wenn man so lange Gelegenheit hat, etwas intensiv begleiten zu können, welche Entwicklungen konnten Sie da beobachten?
Redpath Im Rahmen der Sektionsarbeit haben wir selbst sehr viel entwickelt, früher hieß es ja Kinderfilmfest. Dann haben wir mit 14+ einen neuen Wettbewerb dazu genommen und den Dachnamen umgewandelt in Generation. Das hat uns befreit, um mit jungen Menschen auf eine ganz andere Art über Filme zu sprechen. Dann sind die Entwicklungen auch Jahr für Jahr immer unterschiedlich, wir haben zum Beispiel kontinuierlich mehr Einreichungen bekommen. Bei den Einreichungen liegt die Frauenquote bei der Regie mittlerweile bei über 50 Prozent, das finde ich ermutigend. Inhaltlich gibt es jedes Jahr mehr Filme, die aktuelle Geschehnisse in der Welt spiegeln. Zum Beispiel haben wir dieses Jahr einen Dokumentarfilm, der in der Ukraine spielt: ‚Kinder und Krieg‘. Die Diskurse, die über all diese Dinge stattfinden, sind über die Jahre intensiver geworden. Es gibt so viele Bausteine und Anstöße, die Filme bieten können, gerade für ein junges Publikum, das sehr unterbewusst ist. Die Diskurse sind dann sehr gut, um vieles davon nach vorne, in die Wahrnehmung zu bringen. Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit.
merz Was waren rückblickend die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?
Redpath Auch die Herausforderungen waren immer im Fluss, für mich persönlich waren sie oft sehr anders, als für meine Mitarbeiter*innen, die Zuschauer*innen, Filmemacher*innen et cetera. Eine Herausforderung war es, zu lernen, mich zu artikulieren und in einer Klarheit zu beschreiben, dass es für mich nicht immer um Endprodukte geht. Das ist eine Herausforderung an sich – wir wohnen, arbeiten und leben in Deutschland in einer sehr produkt- und zielorientierten Gesellschaft. Ich komme aus Neuseeland und da sind Prozesse sehr wichtig und man weiß nicht immer, wie es ausgeht. Aber es gibt auch Erfahrungswerte aus herausfordernden Gesprächen, zum Beispiel darüber, dass wir zu harte Filme zeigen. Wir gehen an die Grenzen, auch über Grenzen, aber es sind nicht die jungen Menschen, die sich über harte Filme beschweren. Sie verlangen eher mehr Realität von uns und nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen.
merz Was sind Ihre Wünsche für die kommende Generation?
Redpath Ich wünsche ihnen, weiter spannende Filme zu sehen, den eigenen Platz im Leben zu finden, der ihnen gut tut; nicht aufzuhören, die erwachsenen Generationen herauszufordern, richtige Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche mir von den Erwachsenen mehr Zuhören und Verständnis für die Perspektive der Kinder und Jugendlichen, man kann von Bewegungen wie ‚Fridays for Future´ lernen.
Das Interview führte Nicole Lohfink.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Maryanne Redpath
Beitrag als PDF