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Pilotprojekt ,Decoding Antisemitism: Eine KI-gestützte Untersuchung von Hassrede und -bildern im Internet‘ (Diskursreport Teil 2 von 6)

Der mutmaßlich antisemitische Vorfall gegen den Sänger Gil Ofarim in einem Leipziger Hotel und der Reizgas-Angriff auf einen israelischen Ex-Soldaten in Berlin sind nur zwei Themen der letzten Tage, die deutlich machen: Antisemitismus ist nach wie vor ein aktuelles Problem in unserer Gesellschaft. Die ,Abneigung oder Feindschaft gegenüber den Juden‘ (duden.de) hat sich jedoch im Laufe der Jahre verändert – vor allem durch das Aufkommen von Sozialen Medien. Auf der einen Seite bieten sie antisemitischem Gedankengut ein vergrößertes Verbreitungspotenzial. Auf der anderen Seite lässt sich eine solche verschriftlichte Form der Ideologie auch besser untersuchen.

Das Zentrum für Antisemitismusforschung, die Technische Universität Berlin und das King’s College London riefen dazu das von der Alfred Landecker Foundation geförderte Pilotprojekt ,Decoding Antisemitsm: Eine KI-gestützte Untersuchung von Hassrede und -bildern im Internet‘ ins Leben. Der zweite von insgesamt sechs geplanten Diskursreporten erschien im August 2021 und untersuchte mithilfe von 15.000 Kommentaren aus Mainstream-Medien die Erscheinungsbilder von Antisemitismus. Ziel des transnationalen und interdisziplinären Forschungsprojekts ist, ,neben der detaillierten wissenschaftlichen Beleuchtung des Untersuchungsgegenstandes und der Fortentwicklung internetbezogener Antisemitismusforschung [, ein] Projekt als Brückenschlag zu und Anlaufstelle für Politik, Medien und Pädagogik‘ (S.5) zu sein.

Die für den Report codierten Datensätze sollen außerdem im Rahmen der bald anlaufenden zweiten Phase des maschinellen Lernens als erstes Trainingsmaterial für Klassifikatoren von Antisemitismus dienen. Geplant ist ein Open-Access-Tool, zum Beispiel für das Content Management von Plattformen, um antisemitische Inhalte zu identifizieren.

Inhaltlich beleuchtet die Studie, nach einer Einführung und einer Definitionsbestimmung von Antisemitismus und Operationalisierung, neun Medienereignisse. Zu jedem wurden mindestens 1.500 Kommentare untersucht. In der qualitativen Analyse fokussierten die Forschenden den Hamas-Israel-Konflikt im Mai 2021, den Corona-Impfstart in Israel und drei unabhängige Fallstudien aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Die Ergebnisse der Analyse des Hamas-Israel-Konflikts zeigt deutlich, dass ein akuter Konflikt einen zentralen Auslöser für antisemitische Äußerungen im Netz darstellt. 12,6 Prozent der untersuchten Kommentaren zu diesem Thema in Frankreich, 13,6 Prozent in Deutschland und 26,9 Prozent in Großbritannien wiesen antisemitische Inhalte auf. Aufgrund der Funktion des Englischen als Weltsprache ist anzunehmen, dass gerade die englischen Kommentare eine große, internationale Reichweite haben. Häufig bedienen sich die Kommentare einer Rhetorik des ,Bösen Juden‘ und schaffen ein Fundament für Dämonisierung und einen Aufruf zur Gewalt.

Selbst scheinbar unverfängliche Themen, wie die Erfolge Israels im Impfen gegen Corona bieten Anlass für Antisemitismus. Die Analyse zeigte erneut die höchste Quote an antisemitischen Kommentaren in Großbritannien, wobei sich die verwendete Rhetorik nach Land unterschied.

Im dritten Teil der qualitativen Untersuchungen wurden drei Antisemitismusvorwürfe gegen Prominente aus unterschiedlichen Milieus und politischen Hintergründen unter die Lupe genommen. Für Großbritannien wurde der Fall um David Miller, einem Professor aus Bristol, untersucht, der Comedian Dieudonné M’bala M’bala wurde für Frankreich analysiert und Gegenstand der deutschen Ausführungen war der Politiker Hans-Georg Maaßen. In den Analysen hat sich eine Wandlungsfähigkeit des Antisemitismus offenbart. Solche Kommentare sind Treiber eines umfassenderen Prozesses der Konstruktion von ,Feindbildern’, zum Beispiel politische oder unternehmerische Eliten und Minderheiten. Auffällig an diesem ,neuen‘, ,codierten‘ Antisemitismus ist die Anschlussfähigkeit an demokratische Argumente zu Meinungsfreiheit und akademischer Freiheit.

Die Studie umfasst außerdem eine quantitative Untersuchung von Begriffen zum Framing des jüdischen Staates. Dabei wurden vor allem die Begriffe Apartheid, ethnische Säuberung, Besatzung, Besiedlung herauskristallisiert.

Auffällig war außerdem, dass wenn Israel konkret Thema war, die verbale Direktheit stieg. Bei anderen diskursiven Triggern drückt sich der Antisemitismus immer stärker codiert, in einer linguistisch komplexeren Sprache aus.

Das Projekt ,Decoding Antisemitism: Eine KI-gestützte Untersuchung von Hassrede und -bildern im Internet‘ untersucht nicht nur die Erscheinungsformen von antisemitischen Inhalten im Netz und ihrer Entwicklung, sondern könnte mit dem geplanten Output eines Algorithmus, der Antisemitismus identifiziert, zu weniger Hass und Hetze im Netz beitragen.

 

Die gesamte Studie ist hier nachzulesen.

Luisa Baier


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