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Siri, such ‚Programmiererin‘: Was tun gegen den Digital Gender Divide

Eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Ars Electronica

Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der IT gibt es im Jahre 2021 nicht mehr? Weit gefehlt! Tatsächlich liegt der Prozentsatz von weiblichen Absolventinnen des Informatik-Studiengangs in Österreichs Hochschulen nur um die 15 Prozent und laut OECD wird nur jedes 14. Patent von einer Frau angemeldet. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern scheinen im Informatik-Bereich gravierend zu sein. Doch eine solche Ungleichheit reicht weit über einen Bereich hinaus, wenn dadurch die digitale Teilhabe von Frauen in Alltag und Beruf eingeschränkt ist.

Im Rahmen des diesjährigen Ars Electronica-Festivals, welches unter dem Motto ,The new digital deal‘ lief, wurde in der Podiumsdiskussion ,Siri, such ‚Programmiererin‘: Was tun gegen den Digital Gender Divide‘ am 8. September genau über diese Themen gesprochen. Die Diskussion fand, wie große Teile des Festivals, live in Linz mit Online-Übertragung statt. Sie wurde von der Initiatorin der ,Initiative Digitalisierung Chancengerecht‘ Doris Schmidauer eingeleitet und fokussierte sich auf folgende Fragen: Wo liegen die Ursachen des Digital Gender Divide? Wie können Mädchen gestärkt werden, um zu selbstbewussten Gestalterinnen der digitalen Transformation zu werden? Welche Maßnahmen müssen konkret in Österreich gesetzt werden, um digitale Chancengerechtigkeit für Frauen herzustellen?

Eine Keynote vor der eigentlichen Diskussion gab Autorin und Digital-Expertin Ingrid Brodnig. Sie erklärte, dass mit Aufkommen des Mediums Computer das Programmieren eher als eine weibliche Tätigkeit angesehen wurde. Hilfreich für das Programmieren galt, ähnlich wie beim Stricken, ,Pingeligkeit‘ – eine Eigenschaft, die damals eher Frauen zugeschrieben wurde.

Mit der Computerisierung in den 1980er-Jahren wurde jedoch deutlich, dass Computer und damit auch die Handhabung dieser immer wichtiger werden würde. Langsam gewann der Beruf des/der Programmierer*in an Wert und wurde immer mehr männlich konnotiert. Brodnig beschreibt, dass Jungen mittlerweile eine doppelt so hohe Chance haben, einen Computer geschenkt zu bekommen als Mädchen. Bereits eine solche Grundvoraussetzung kann schon prägend dafür sein, welche Karriere ein Kind einschlägt.

Einen weiteren wichtigen Punkt im Thema des Digital Gender Divide sieht Brodnig in Sexismus an technischen Arbeitsplätzen. Sie beschreibt zum einen sehr offensichtliche Sexismusprobleme beispielsweise im französischen Videospielunternehmen Ubisoft, in dem berufliche Meetings im Stripclub abgehalten wurden, aber auch subtileren Sexismus. Während Männer in Frauenberufen häufig leichter auf der Karriereleiter aufsteigen, ist es andersrum nicht so. Im Gegenteil! Frauen in männerdominanten Berufen profitieren von keiner gläsernen Rolltreppe, sondern erhalten eher Versetzungen in technikferne Bereiche.

Um einen solchen subtilen Sexismus in der Technikszene zu durchbrechen, kann nicht ein einzelner Hebel umgelegt werden. Laut Brodnig sind für eine Etablierung von Frauen in der Technik viele kleine Schritte notwendig, wie Computerspiele, die keine Frauen sexualisieren, Stockbilder von gendergemischten IT-Teams und die Durchbrechung von Geschlechtsstereotype in der Berichterstattung über Frauen in Technik.

Wie Brodnig bereits beschrieb, sind auch gerade Erfahrungen in den ersten Lebensjahren für Menschen entscheidend, welche Karriere eingeschlagen werden soll. In Anlehnung daran haben Moderation Martina Mara, Professorin für Roboterpsychologie der JKU Linz, und ihr Team ein Experiment gestartet und sich in diversen österreichischen Spielzeugläden bezüglich eines Geschenks für ein Kind beraten lassen. Auf der Bühne, auf der die Podiumsdiskussion stattfand, standen zwei Regale, die jeweils die Empfehlungen der Spielzeugläden zeigten, wenn angegeben wurde, dass etwas für einen Jungen gesucht wird oder für ein Mädchen. Das Resultat war ein Regal mit Dingen zum Konstruieren und Bauen und ein Regal mit pinken Spielzeugen, Kaufmannskassen und Malsachen.

Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie an der Universität Wien, bestätigte diese unterschiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen in der Podiumsdiskussion mithilfe verschiedener Studien. So werden unterbewusst bereits Babys mit rosa oder blauen Outfits unterschiedlichen wahrgenommen. Schülerinnen werden eher soziale Berufe empfohlen, während Schüler technische Berufe ans Herz gelegt werden. Eine natürliche Reaktion von Kindern ist, dass sie sich an die Erwartungen von Erwachsenen anpassen, weil sie gelobt werden wollen. Es entsteht eine subtile self-fulfilling prophecy, in der sich Kinder den geschlechtsspezifischen Erwartungen beugen. Um mehr Frauen für den Informatikbereich zu gewinnen, müssen bereits in der Kindheit Geschlechterklischees durchbrochen werden und durch Staat und Familie mehr Gleichstellungsarbeit geleistet werden, indem zum Beispiel weiblich konnotierte Berufe eine bessere Bezahlung erhalten.

Ebenfalls Teil der Podiumsrunde war Carina Zehetmaier. Sie studierte Rechtswissenschaften und Menschenrechte, arbeitete unter anderem für die Vereinten Nationen und die Europäische Union und gründete bereits ihr eigenes Unternehmen Taxtastic. Durch ihren Bruder entwickelte sie eine Leidenschaft für KI und gründete das österreichische Woman in AI, ein interdisziplinäres Netzwerk von KI-Profis, die sich für Vielfalt und Inklusion in der KI einsetzen. Zehetmaier erklärte eine besondere Gefahr von Vorurteile in KI dadurch, dass Maschinen eine falsche Neutralität zugesprochen wird. Tatsächlich stecken hinter der Programmierung dieser Maschinen allerdings Menschen, vor allem Männer. Ihr war neben der Bekämpfung von sexistischen Algorithmen auch wichtig, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere weiter voranzubringen, damit alle Geschlechter die gleichen Chancen haben, Unternehmen zu gründen.

Nicht nur die Gründerinnenquote ist signifikant niedriger als die der Männer, auch die Anzahl der Frauen, die ein Patent anmelden ist verschwindend gering. Mariana Karepova, die erste Frau in der Funktion der Präsidentin des österreichischen Patentamts, war ebenfalls Teil der Diskussionsrunde. Aus eigenen Beobachtungen weiß sie, dass nur rund 6 Prozent der Patente in Österreich von Frauen angemeldet werden und nur die Hälfte der Firmen, die Patente anmelden, überhaupt eine Frau erwähnen. Einen Grund dafür sieht sie im fehlenden Selbstbewusstsein der Frauen. Patente werden meist aus egoistischen Gründen angemeldet, eine Eigenschaft, die Mädchen weniger als Jungs vermittelt wird. Ein zweiter Grund für den Gender Gap ist, dass Patente meist von Teams angemeldet werden, in denen Frauen jedoch nur am Rand mitgearbeitet haben. Patente werden vor allem in Technik-Bereichen vergeben, die eben immer noch männlich dominiert sind. Als positives Beispiel kann Karepova jedoch auch von Ländern berichten, in denen der Gender Gap nicht so stark ausgeprägt ist. So werden in Korea und Singapur rund die Hälfte der Patente von Frauen angemeldet und auch Russland ermutigt junge Mädchen bereits in der Schulzeit, technische Fähigkeiten zu erlernen. Wichtig für Österreich ist Krepova, mehr Rollenbilder zu schaffen, mit denen sich junge Mädchen identifizieren können, mehr Frauen leitende Rollen zuzutrauen, Frauennetzwerke zu fördern und die Vereinbarkeit von Familie und Job für alle Geschlechter anzugleichen.

Als einziger Mann hat der künstlerische Leiter und Geschäftsführer der Ars Electronica, Gerfried Stocker, die Runde abgeschlossen. Ein Gender Gap fällt ihm in seinem Beruf vor allem im U19-Wettbewerb der Ars Electronica auf. Bevor der Name des Wettbewerbs zu ,Create your world‘ geändert wurde, war eine Ungleichgewichtung der Geschlechter noch stärker zu erkennen. Es ist jedoch immer noch auffällig, dass Einreichungen von Jungen tendenziell einen technischen Schwerpunkt haben und von Mädchen eher einen kreativen. Obwohl darauf geachtet wurde, mehr Jurorinnen einzusetzen, beeindruckte die Jury technische Leistung häufig mehr als Kreativität, weshalb mehr männliche Gewinner zu verzeichnen sind. Stocker ist jedoch wichtig, nicht nur in Zahlen zu denken, sondern auch die Technik zu verändern und mehr für Frauen zu öffnen. Er sieht außerdem eine große Verantwortung bei der Politik, die das Stereotyp des Machomannes derzeit eher verstärkt als bekämpft.

 

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Luisa Baier


Seit 1979 analysiert und kommentiert Ars Electronica die digitale Revolution. Im Fokus stehen stets aktuelle Entwicklungen und mögliche Zukunftsszenarien im Dreieck von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Innovativ, radikal und exzentrisch im besten Sinn sind die Visionen, Ideen und Projekte, die Ars Electronica dabei gemeinsam mit KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, TechnologInnen, Engineers, Entrepreneurs und Social Activists aus aller Welt vorantreibt. Seit 1979 hat Ars Electronica das Spektrum ihrer Aktivitäten kontinuierlich ausgebaut und zeichnet sich heute durch einen weltweit einmaligen, umfassenden Ansatz in der Auseinandersetzung mit techno-kulturellen Phänomenen aus. Ars Electronica ist eine Kultur-, Bildungs- und Forschungsplattform aus Linz, Österreich, und genießt internationale Reputation.


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