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Rezension: Stereotype in Videospielen. Eine medienpädagogische Analyse des Rollenspiel-Genres.

Klanisek, M. (2023). Stereotype in Videospielen. Eine medienpädagogische Analyse des Rollenspiel-Genres. Tectum.  

 

In der Gesellschaft gab es schon immer widersprüchliche Meinungen bezüglich Medien und ihrer Nutzung. So wurde zum Beispiel im 18. Jahrhundert von Lesesucht gesprochen und vom negativen Einfluss des Lesens auf Kinder und Jugendliche. Heutzutage gelten Computerspiele und das Internet als schädlich für die Entwicklung Heranwachsender. Der Kulturpessimismus behauptet, dass „Medien grundsätzlich einen negativen Einfluss auf die psychosoziale Entwicklung Heranwachsender” (Klanisek, S. V) ausüben. Die medieneuphorische Argumentation betont hingegen „kompromisslos die Potenziale von Medien und Medieninhalten für die Bildung und Entwicklung Heranwachsender” (Klanisek, S. V).  Allerdings sind beide Sichtweisen einseitig: die Realität ist in der Regel komplexer und die Wahrheit liegt oft in der Mitte. Medien können sowohl negative als auch positive Auswirkungen haben. Es kommt nur darauf an, wie man Medien nutzt. Medienkompetenz und kritisches Denken sind entscheidend, um verantwortungsbewusst mit Medieninhalten umzugehen.  

Die Gaming-Industrie erzielt heutzutage mehr Umsatz als alle anderen Kunstformen. Die Bitkom-Statistik 2020 (Klanisek, S. 2) zeigte, dass fast jeder Zweite Computerspiele spielt und davon sind fast die Hälfte Frauen. Nichtdestotrotz sind in vielen Role-Playing-Games (RPGs) Geschlechtsstereotypen zu erkennen. Bisherige Studien zeigen, dass Frauen in Videospielen unterrepräsentiert und entmachtet sind. Wenn sie vorkommen, werden sie häufig als „damsel in distress” dargestellt, also als Jungfrau im Nöten (Klanisek, S. 17) oder als „euthanized damsel”, wobei „man die Frau als Gnadenakt töten muss, weil sie besessen oder dergleichen wird” (Klanisek, S. 19). Die meisten starken Frauen sind hingen böse Figuren, wie Monster oder Hexen. Zudem werden Frauen in Videospielen oft sexualisiert, leicht bekleidet und mit großen Brüsten dargestellt. In asiatischen RPGs findet man häufig eine sehr kritisierte visuelle Darstellungsform von Frauen – die sogenannten „Lolicons“. Es handelt sich um Frauen, die minderjährig aussehen und sexualisiert werden. 

Andererseits verbreiten viele Videospiele eine idealisierte und toxische Männlichkeit sowie patriarchale Geschlechtsstereotype. Männer werden oft als starke, muskulöse Figuren dargestellt, die keine Gefühle zeigen. Schwarze und Latino-Menschen kommen in Videospielen selten vor und oft als böse oder einfache helfende Nebencharaktere, ähnlich wie in Filmen. In asiatischen RPGs sind Menschen anderer Ethnien gar nicht repräsentiert, selbst Figuren mit asiatischen Merkmalen werden nicht dargestellt genauso wie in Mangas und Anime, in denen die Protagonisten immer große Augen und helle Haut haben. Zudem ist eine weitere problematische Eigenschaft von Videospielen die Darstellung von Gewalt, denn „100% aller auffindbaren RPGs beruhen auf Gewalt und in fast allen ist es die primäre Art und Weise zu interagieren” (Klanisek, S. 34).  

Dieses Forschungsstand bereitet aus medienpädagogischer Sicht große Sorgen. Viele Kinder spielen schon in sehr jungem Alter Videospiele und werden dementsprechend schon früh mit stereotypischen Darstellungen konfrontiert. Dies kann negative Auswirkungen auf ihre Handlungsmöglichkeiten und ihre persönliche Entwicklung haben sowie Vorurteile verstärken (Klanisek, S. 7). Der Forscher Mateo Klanisek führt in seinem Buch Stereotype in Videospielen eine medienpädagogische Analyse von über 300 Videospielen durch. Ziel seiner Studie ist es, Stereotype in Videospielen und ihre Ursachen zu identifizieren. Welchen Stereotypen sind Kinder in Videospielen ausgesetzt? Wie hat sich die Stereotypisierung im RPG-Genre entwickelt? Warum erhalten sich Stereotype in Videospielen? Abschließend bietet der Autor einen medienpädagogischen Impuls für die Praxis, um Lehrkräfte in die Lage zu versetzen, solche Stereotype und Geschlechterdarstellungen mit den Kindern zu reflektieren. In seiner Studie untersucht Klanisek die bedeutendsten existierenden RPGs anhand von fünf Kriterien: 

  1. Spielbarkeit von Charakteren verschiedenen Geschlechtes und verschiedener Ethnien; 

  2. visuelle Darstellung, Bekleidung, Körperbau und Ästhetik;

  3. narrative Relevanz, d. h. welche Bedeutung Charaktere in der Spielgeschichte haben;

  4. Attribute, die sie haben wie zum Beispiel Stärke oder Intelligenz; 

  5. Aussagen zu Diskriminierung.  

Zu den vom Forscher untersuchten Videospielen gehört Pokémon, das seit 1996 existiert. Der Autor Klanisek konnte in Bezug auf die Kategorie Spielbarkeit feststellen, dass heutzutage im Gegensatz zu früher, als man nur mit einem weißen Jungen spielen konnte, Charaktere verschiedener Ethnien und Stilen zur Auswahl stehen. Es gibt zwar teilweise Geschlechterstereotype, interessanterweise gelten diese jedoch nicht für die Bösewichte. Außerdem wird das Thema Vorurteile vom Charakter Mauzi kritisiert. Ein weiteres untersuchtes Videospiel ist The Witcher, in dem Themen wie Diskriminierung anderer Völker und Gewalt gegen Frauen behandelt und kritisiert werden. Im Videospiel Der Herr der Ringe spielen Frauen hingegen zentrale, starke Rollen und werden nicht stereotyp dargestellt. Außerdem werden wichtige Themen wie Nächstenliebe und Diskriminierung verhandelt.  

 

Fazit und Impulse für die Praxis 

Insgesamt stellt der Autor fest, dass sich in den letzten 20 Jahren die Situation in Bezug auf die fünf untersuchten Kriterien teilweise verschlechtert aber auch verbessert hat. Es gibt nach wie vor Probleme bezüglich der Spielbarkeit von Charakteren verschiedenen Geschlechts und verschiedener Ethnien in RPGs. Besonders bedenklich ist die visuelle Darstellung der Charaktere. Frauen werden immer öfter sexualisiert und objektifiziert. Dies trägt zur Schaffung unrealistischer Schönheitsideale und zur Reduzierung von Frauen auf rein äußerliche Merkmale bei. Auch die Darstellung ethnischer Minderheiten ist insgesamt durch stereotypische oder gar diskriminierende Zuschreibungen geprägt. Andererseits gibt es in Bezug auf die narrative Relevanz der Charaktere mittlerweile mehr Vielfalt in den Geschichten und Charakteren. Dies ermöglicht eine inklusivere Identifikation der Spieler*innen mit den Charakteren. Eine Tendenz zur Verbesserung zeigt sich auch hinsichtlich der Attribute, die den Charakteren zugeschrieben werden, denn Charaktere mit verschiedenen Geschlechtern und Ethnien werden zunehmend als vielseitig und komplex dargestellt. 

Darüber hinaus hat Klanisek aus seinen Untersuchungsergebnissen ein medienpädagogisches Unterrichtskonzept für Lehrer*innen entwickelt, das aus mehreren Bausteinen besteht. Zunächst sollten die Lehrkräfte die Kinder nach ihren Spielgewohnheiten fragen und sich gegebenenfalls über für sie unbekannte Spiele informieren. Gleichzeitig sollten die Lehrer*innen den Kindern theoretischen Input zur Welt der Videospiele geben. Anschließend können sie mit den Kindern diskutieren und gezielt Fragen stellen, um Stereotype in Spielen aufzudecken und gemeinsam zu reflektieren. Falls einige Kinder besonders gefährliche Videospiele spielen, sollten die Lehrer*innen persönliche Gespräche mit ihnen führen und ihnen erklären, was daran problematisch ist. Es ist außerdem wichtig, die Spielgewohnheiten der Kinder zu erfragen und Eltern sowie Fachkräfte für Risikobereiche zu sensibilisieren, um einen geeigneten und verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Spielen zu fördern. 

 

Chaymaa Zimame


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