Zum Hauptinhalt springen

She can do it!

Von Frauen, die sich als ‚Role Models‘ für Frauen in der digitalisierten Welt stark machen

 

Noch immer ist die Technik- und Digitalisierungsbranche männerdominiert. So wird etwa nur jedes 14. Patent der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zufolge von einer Frau angemeldet. Gleichzeitig unterschätzen jugendliche Mädchen laut UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation) ihre Computer- und IT-Kenntnisse deutlich stärker als gleichaltrige Jungen. Ebenso wird über die wenigen Frauen, die es im Bereich Technik, IT und Digitalisierung gibt, meist gar nicht oder nur wenig gesprochen.  

Christiane Noll ändert das mit ihrer Publikation „IT-Girls. Wie Frauen die digitale Welt prägen“. Sie erzählt die Lebens- und Berufsgeschichten von 18 Frauen zwischen Ende 20 und Mitte 70, die es geschafft haben, in der „Tech-Branche“ erfolgreich Fuß zu fassen. Sie forschen etwa zu Künstlicher Intelligenz, Datenschutz oder Computerspielen. Es sind Informatikerinnen, Gründerinnen von Start-ups, Wissenschaftlerinnen oder Professorinnen, wie Ina Wagner. Die heute 75-Jährige war die erste weibliche von außerhalb berufene Professorin an der Fakultät für Informatik der TU Wien. In ihren interdisziplinären Studien verknüpft sie Sozialwissenschaften und Technik. Die Wissenschaftlerin vertritt den Standpunkt, dass es bestimmter Voraussetzungen bedarf, damit sich junge Frauen mit MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) befassen: „Es ist schon so, dass junge Frauen ein ,Sprungbrett‛ Richtung Naturwissenschaften und Technik brauchen. Das können die Eltern sein oder auch die Schule.“  

Auf den ersten Blick weckt der Buchtitel Assoziationen zu It-Girls, also jenen jungen oder jüngeren Frauen, die laut der Begriffsklärung des Duden „durch ihr häufiges öffentliches Auftreten in Gesellschaft prominenter Personen und ihre starke Medienpräsenz einer breiten Öffentlichkeit bekannt“ sind.  Auf den zweiten Blick gelingt es mit den in Nolls Publikation – und Podcast – vorgestellten „Role Models“, Aufmerksamkeit auf Frauen im IT-Bereich zu lenken. Alle vorgestellten „IT-Girls“ vereine laut Noll, „der Mut, Neues zu probieren, der Ehrgeiz, viel Arbeit in ihre Aufgaben hineinzustecken und das Vertrauen in sich selbst.“ Sie beweisen, dass selbst die letzten genderspezifischen Stereotypen ausgedient haben, so etwa die Informatikerin und Assistenzprofessorin an der TU Graz: Johanna Pirker. Ihre Begeisterung für Computerspiele beeinflusste die Wahl ihres Studiengangs. Noll erzählt sie, dass sie bereits mit drei Jahren am Computer gesessen habe. Das lässt aufhorchen. Vielleicht gerade deshalb, weil Computerspiele heute immer noch zumeist als Spielzeug für Jungen assoziiert werden, obwohl die Gender-Forschung verdeutlicht, dass diese geschlechtsspezifischen Zuschreibungen längst überholt sind. Durchbrechen möchte Pirker auch den Trend, dass Computerspiele hauptsächlich von Männern für Männer entwickelt werden: „Wir brauchen diverse Teams – nicht nur, was das Geschlecht angeht, sondern Hautfarben, Altersgruppen, einfach alles.“ Außerdem plädiert die Wissenschaftlerin dafür, dass Informatik- und Medienkompetenz in Schulen wie Mathematik oder ein anderes Unterrichtsfach vermittelt werden müssen: „Wir lernen Geschichte, aber warum lernen wir nicht auch, was in die Zukunft schaut. Wir müssen die Zukunftslehre in die Schule bringen.“

Geht es nach einem weiteren von Noll vorgestellten „Role Model“, der Managerin Maria Zesch, so solle Programmieren Teil der schulischen Ausbildung werden, und zwar nicht nur als Wahlfach. „Nicht, weil jeder Programmierer werden muss. Aber jeder sollte ein Verständnis dafür haben, was dahintersteckt.“ Doch immer noch Kleinigkeiten halten Schüler*innen davon ab, sich intensiver mit Technik zu befassen und wenn es nur der immer abstürzende Schulcomputer im Informatik-Unterricht ist. Längst ist es überfällig, dass Technik und IT selbstverständliches Unterrichtsfach werden, um so Schüler*innen für diesen Bereich zu begeistern. Nur so lassen sich Hemmschwellen wirklich abbauen. Es sind konkrete Appelle und Forderungen, die vom Schul- und Bildungssystem gehört werden sollen. „Ich wünsche mir, dass dieses Buch von möglichst vielen Frauen gelesen wird, von Kindergartenpädagog*innen und Lehrer*innen, von Eltern, von Jugendlichen … und vielleicht vom Bildungsminister“, so Noll. Gerade deshalb ist ihr Werk ein Fingerzeig, weil es nicht aus (medien-)pädagogischer Perspektive, sondern aus einem unternehmerischen Kontext heraus entstanden ist. Die Botschaft ist eindeutig: Frauen-Power ist in der Technik- und Digitalisierungs-Branche gefragt. Die Welt der Technologie darf nicht männerdominiert bleiben.

Dies ist auch der Standpunkt der österreichischenInitiative Digitalisierung Chancengleichheit. Sie hat das Ziel, den Gender-Gap in der digitalen Bildung zu schließen. Initiatorin ist Doris Schmidauer, die Ehefrau des amtierenden österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Zusammengeschlossen haben sich auf ihre Initiative hin Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Menschenrechte, Gesundheit und Kultur. Eine von ihnen ist Martina Mara. Die Professorin für Roboterpsychologie an der Johannes Kepler-Universität Linz wird auch in Nolls Buch vorgestellt. Ein Anliegen der Frauen ist es, die im UNESCO-Bericht I'd blush if I could: closing gender divides in digital skills through education („Ich würde erröten, wenn ich könnte“) enthaltenen Forderungen in die Realität umzusetzen. Sie plädieren daher unter anderem für eine geschlechtsspezifische Förderung von Kindern und Jugendlichen, dass sich Mädchen und Frauen auf Role Models oder Mentor*innen berufen können, oder dass sichere und angstfreie Lernsettings für digitale Skills (z. B. Kurse ausschließlich für Mädchen oder Frauen) etabliert werden.  

Doch wer sich für einen Beruf in der Tech-Branche entschiedet, braucht mitunter dennoch einen langen Atmen, das beweisen die von Noll vorgestellten Lebensläufe. Harte Arbeit, Mut, Durchsetzungsstärke, Selbstbewusstsein und eine Portion Zufall haben erst zu diesen Erfolgsgeschichten geführt. Als Mehrwert aus den Gesprächen hat Noll, selbst Geschäftsführerin eines österreichischen Unternehmens der Informationstechnologie, am Ende des Buchs „Zehn Empfehlungen für eine erfolgreiche Karriere“ vorgelegt. Diese verbindet sie mit einem Plädoyer: „Berührungsängste abbauen, mutig sein und Neues wagen, neugierig in diese – vielleicht fremde – Welt eintauchen, Optionen erkennen und Chancen nutzen, selbstbewusst sich etwas zutrauen, fragen und probieren – und unseren Role Models in ihren Fußstapfen folgen und damit selbst neue schaffen.“  

 

Noll, Christiane (2022). IT-Girls. Wie Frauen die digitale Welt prägen. Wien/Graz: Molden. 192 S., 24,00 €.  


Zwei weiterführende Literatur-Tipps zum Thema 

Selbstbewusst sich etwas zutrauen. Manchen fällt das leichter, anderen schwerer. Doch ohne Selbstbewusstsein geht es nicht, ob bei einem Studium eines Technik-Fachs oder  gar eine Karriere in gehobener Position. Diese Erkenntnis lässt sich aus Christiane Nolls Sachbuch „IT-Girls“ ableiten. Doch Selbstbewusstsein lässt sich lernen, in jedem Alter, in kleinen Schritten. „Mini-Mäuseschritte“ nennt dies Psychologin Laura Kellermann. Zusammen mit ihrem Vater Jens Weidner, Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologen, hat sie eine Art Fahrplan zu mehr Selbstbewusstsein und weniger Selbstzweifeln im Berufsalltag geschaffen. Bildungs- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse lässt das Autoren-Duo bei seinen Tipps und Übungen einfließen. Letztere sind das Salz in der Suppe bei der Lektüre des Buchs, wie auch die Berichte von Kellermann und Weidner über die eigenen Selbstzweifel.  

Wovon neben Selbstbewusstsein berufliche Erfolge heute häufig auch bestimmt werden oder wie sich der optimale Job finden lässt, hierzu gewährt die Headhunterin und Psychologin Stephanie Schorp Einblicke. Ausgedient habe ihr zufolge das  „Schneller, Höher, Weiter bei dem alle um den gleichen Platz auf dem Siegertreppchen konkurrieren“. Vielmehr sei es unerlässlich, einen Sinn im eigenen Tun zu sehen. Tja, und wenn dieser Sinn eben in der Technik-Welt liegt, dann einfach loslegen und ausprobieren.  

 

Kellermann, Laura/Weidner, Jens (2022). Das Federleicht-Prinzip. Das Geheimnis der entspannten Karriere. Frankfurt a. M.: Campus. 24 S., 19,95 €. 

Schorp, Stephanie (2022). Persönlichkeit macht Karriere. So stellen Sie die Weichen für Ihren eigenen beruflichen Weg. Frankfurt a. M.: Campus. 240 S., 24,00 €. 

 

Heinrike Paulus 


Header- und Teaserbild: Coverabbildung © Molden Verlag, bearbeitet mit Canva


Zurück

Kontakt

merz | medien + erziehung ist die unabhängige medienpädagogische Fachzeitschrift in Deutschland, in der Themen der Medienpädagogik aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Beschäftigen auch Sie sich mit diesem Themenbereich und möchten gerne selbst in merz veröffentlichen? Wir freuen uns immer über Einsendungen über Projekte aus Forschung und Praxis, über Rezensionen, Veranstaltungshinweise und natürlich Anregungen. 

 

Redaktion

merz | medien + erziehung
Kati Struckmeyer und Swenja Wütscher
Arnulfstraße 205
80634 München

+49 89 689 89 120
+49 89 689 89 111
merz@jff.de

Verlag

kopaed verlagsgmbh
Arnulfstr. 205
D-80634 München

+49 89 688 900 98
+49  89 689 19 12
www.kopaed.de
info@kopaed.de

Herausgeber*in

Kathrin Demmler | Prof. Dr. Bernd Schorb
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis

Rechtsträger

JFF – Jugend Film Fernsehen e. V.
Arnulfstraße 205
80634 München

+49 68 989 0
+49 68 989 111
www.jff.de
jff@jff.de

Kontaktformular

Kontaktformular


Anmeldung zum merz-Newsletter

Hier können Sie sich zum merz-Newsletter anmelden.  Datenschutzerklärung.

Ich willige in die Verarbeitung meiner Daten zum Newsletter-Versand ein und habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen.