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SWIPE DES MONATS: Der Feind in meinem Badezimmer

oder: wie der technische Fortschritt langjähriges Flunkern enttarnt

Harry-Potter-Fans wissen es: In Badezimmern und Toiletten trifft man mitunter auf seltsame, erschreckende oder höchstgefährliche Phänomene und Wesen. So war ich nach der Verfilmung des ersten Teils längere Zeit sehr vorsichtig beim Betreten der häuslichen Wellnessoase und schaute mich verstohlen um, ob nicht irgendwo ein überlebensgroßer Troll lauerte. Unauffällig ließ ich bei der Badrenovierung den neuen Spiegel so anbringen, dass ich bereits von der Tür aus alles vollständig überblicken konnte. Vor kurzem zog nun jedoch ein Ding im Bad ein, das ich zunächst völlig unterschätzte – eine digitale Personenwaage: klein, flach, chic und – wie ich leidvoll erfahren sollte – mit allem möglichen Schnickschnack ausgestattet, den ich weder gewollt noch bemerkt hatte (Wer liest schon Bedienungsanleitungen!). Nachdem meine Frau jedoch von der eher geordneten Sorte ist, wusste sie natürlich Bescheid über die Aufzeichnungs- und Auswertungsfunktionen der sogenannten Köperanalysewaage.

Zum Verständnis des aus dieser Konstellation dann erwachsenden ehelichen Zerwürfnisses sollte man vielleicht noch wissen, dass ich mich in den letzten Jahrzehnten körperlich kaum verändert habe – nur die Haare sind grau geworden. Ansonsten ist alles – Kondition, Gesundheit, Gewicht – nach wie vor tippitoppi. Meine Frau sieht das anders, sie findet ich hätte einen Bauch bekommen. Diesen haltlosen Vorwurf konnte ich jahrelang erfolgreich entkräften: Durch gezieltes Baucheinziehen, ein fröhliches „jawoll, passt“ nach dem Wiegen und den Verweis darauf, dass alle Kolleginnen meinen, ich sei beneidenswert schlank. Folglich glaubte meine Frau (oder wollte es vielleicht glauben), ich hielte noch mein Gewicht und es sei allenfalls zu optisch wahrnehmbaren Umverteilungen gekommen. Bis dieses blöde Ding kam und mich entlarvte. Hatte meine Frau doch tatsächlich die „personenbezogene Aufzeichnung der Messdaten“ aktiviert – Gewicht, Fettanteil, Veränderungen zum letzten Wiegen etc. Folglich fiel sie vor Schreck von der zum Glück flachen Waage, als dieses illoyale Ding versehentlich meine Köperanalysedaten der letzten Monate verpetzte, einschließlich des zuletzt gespeicherten Wiegeergebnisses und des Kurvendiagramms der Fettanteilentwicklung. Empört und zornfunkensprühend zitierte sie mich ins Bad und zeigte anklagend auf den digital geführten Beweis. Der nachfolgende Wortschwall enthielt zahlreiche Vorwürfe, schreckliche Diätankündigungen für die nächsten Monate und ist insgesamt eher nicht zitierfähig. Ich fass es mal so zusammen: Die maulende Myrte wäre mir – sogar samt Überschwemmung im Bad – bedeutend lieber gewesen. Die Höchststrafe allerdings offenbarte sich mir erst am nächsten Tag und an allen weiteren Tagen: Ich bekam eine Nachricht mit Lesebestätigungsaufforderung von der Körperanalysewaage! Sie teilte mir mein Wiegeergebnis vom Morgen mit. Als ich am nächsten Morgen in den Wiegestreik trat, um der Mitteilung zu entgehen, ermahnte sie mich kurz darauf wegen Schwänzens. Unnötig zu erwähnen, dass meine Frau, die diese Benachrichtigung programmiert hatte, natürlich dieselbe Nachricht in CC bekam.

Und die Moral von der Geschicht‘? Weniger essen, weniger flunkern – aber auf jeden Fall die Bedienungsanleitung rechtzeitig vernichten. Wobei, was nützt schon das Entsorgen von Bedienungsanleitungen. Es gibt doch für alles Tutorials auf YouTube.

Klaus Lutz


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