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Love is all you need… Virtueller Besuch der Kunstausstellung 'Modern Love' über Liebe und Beziehung in digitalen Zeiten

Die Digitalisierung hat die Liebe verändert. „Nähe wird auf Knopfdruck produziert, die Auswahl berechnet und der Prozess des Kennenlernens ausgespart. Die Magie der absichtslosen Annäherung: abgeschafft. Das Flirten: spart man sich. Das vorsichtige Kennenlernen: Es geht auch schneller“, schreibt daher die Journalistin, Autorin und Regisseurin Tina Soliman in ihrem 2019 erschienen Buch Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter.

Doch was macht es eigentlich mit uns, wenn wir etwa vorübergehende, flüchtige Beziehungen ohne allzu große Verbindlichkeit eingehen? Wir tun uns schwer damit, uns auf einander einzulassen, uns zueinander zu bekennen. Warum ist eine Sehnsucht nach echter, romantischer, erwiderter Liebe trotzdem da? Wie ist es, wenn man mit einer Maschine flirtet oder sich gar in einen Roboter verliebt?

Antworten darauf haben 16 Künstler*innen aus zwölf Nationen mit ihren facettenreichen Kunstwerken zu Liebe und zwischenmenschlichen Beziehungen in Zeiten von Digitalisierung und Turbokapitalismus gesucht. Zu sehen sind diese noch bis zum 18. April 2021 in der Ausstellung Modern Love (or Love in the Age of Cold Intimacies) im Museum für Neue Kunst in Freiburg im Breisgau. Themen, wie zum Beispiel Liebe, Lust, Sexualität, Selbstdarstellung, Online-Dating oder Narzissmus auf künstlerischer Ebene werden in Videos, Fotos, Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen erforscht und diskutiert.

Während sich im Video des in New York und Lissabon lebenden Filmemachers Gabriel Abrantes ein Mädchen in einen Roboter verliebt, hat Hannah Toticki Anberts mit goldenen und silbernen Kuppen, die an Daumen und Zeigefinger getragen werden, einen Schmuck kreiert, mit dem sich Smartphones und Tablets nicht mehr bedienen lassen. Touch Screen Protection Rings (2019) ist Sinnbild dafür, wie die Technologie unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Wenn man sie trägt, kann man das Handy nicht mehr bedienen“, sagt Museumsdirektorin Dr. Christine Litz. Sie seien somit eine physische Barriere, die verhindern solle, dass nicht immer der Sucht nach ständigen Updates innerhalb der digitalen Kommunikation nachgeben werde.

All das gehört zu unserer gegenwärtigen digitalen Welt, die dem Ausstellungstitel zufolge, von ‚kalten Intimitäten‘ geprägt ist. Diese Kälte hat durch die kalten Bildschirmoberflächen von Tablets und Smartphones ins Liebes- und Beziehungsleben Einzug gehalten. „Wenn man miteinander spricht, schaut man sich nicht in die Augen, sondern blickt in die Kamera“, so Christine Litz.

 

Das gegenwärtige Konsumdenken und digitale Technologien haben unser Liebesleben verändert. Der Marktwert rund um Eitelkeiten verdrängt Emotionen. Dates sind häufig nur eine Wischbewegung entfernt. Apps lassen, wie in Online-Shops, Gefühle und daraus vielleicht resultierende Liebe zur Ware werden. Sie versprechen das perfekte Gegenstück, nämlich den perfekten Partner, das perfekte Gegenüber. Ist dann doch alles nicht so perfekt, wie gedacht, wird der andere einfach aus dem Leben gewischt. Doch das Schluss machen soll möglichst ohne Drama über die Bühne gehen. Also werden SMS oder Nachrichten via Messenger geschrieben oder sich einfach gar nicht mehr gemeldet, um sich nicht erklären zu müssen. Was als Ghosting bekannt ist, kommt bisweilen gar nicht so selten vor. Aufgrund der mannigfaltigen Phänomene des technologischen Zeitalters wollen die Künstler*innen mit ihren in Freiburg gezeigten Kunstwerken provozieren, zum Nachdenken anregen, offene Fragen zurücklassen.

„Liebe kann Berge versetzen und Menschen in einer Weise radikal verändern, wie es keine andere Kraft vermag“, schreibt Kuratorin Katerina Gregos in einem Essay zur Ausstellung. Aus diesem Grund ist es für Gregos nicht nachvollziehbar, weshalb die Liebe zu einem flüchtigen, verkorksten und unglaubwürdigen Gefühl degradiert werde oder als süßliche, sentimentale und fehlerbehaftete Leidenschaft gelte, die im Vergleich zu dem edleren Streben nach Vernunft und Mäßigung ins Hintertreffen geraten. „Zeit, körperliche Interaktion, Offenheit gegenüber dem anderen, Selbstlosigkeit, Empathie, Geduld und Toleranz sind Schlüsselkomponenten, die es für die Praxis der Liebe braucht – alles Dinge, die in der virtuellen Kommunikation oft fehlen“, so Gregos. Die Ausstellung erforsche deshalb Liebe und soziale Beziehungen in der Komplexität einer zunehmend vernetzten, digitalen Welt mit dem Ziel, sie neu zu überdenken.

Wie werden Liebe und Zuneigung also online ausgedrückt, dargestellt oder erklärt? Das Video The Perfect Love: #couplegoals der Athener Künstlerin Kyriaki Goni basiert auf Bildern zum Hashtag #couplegoals, die auf Instagram gepostet wurden. Per Scraping-Algorithmus wurden sie zusammenkopiert, ohne dabei etwa Likes zu vergessen. Deutlich wird dabei, dass wir freiwillig viel von uns preisgeben. Zugleich erzeugen die Bilder von schönen, romantischen Momenten von der perfekten Lieben auch einen Druck. – Warum ist meine Liebe vielleicht nicht so perfekt?

 „Die Bilder werden als digitale Collage auf ein transparentes Gewebe projiziert. Sie werfen Fragen zur zunehmenden Auflösung der Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem und dem Unterschied zwischen virtueller und realer Welt, Inszenierung und Banalem sowie der Kluft zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren im digitalen Raum auf“, heißt es im online abrufbaren Audioguide.

Er weckt die Vorfreude auf einen baldigen Ausstellungsbesuch nach dem aktuellen Shutdown, wenn sich die Exponate wieder live vor Ort genießen lassen. Die gezeigte Medienkunst dürfte nicht nur Kunst-Fans begeistern, sondern alle, die sich mit Medien befassen.

Vielleicht greift so manche*r (Online-)Ausstellungsbesucher*in dann auch einmal wieder zu Stift und Papier um der oder dem Liebsten ganz nach der Devise des Beatles-Songs „All you need ist love…“ einen romantischen Brief zu schreiben. Bisweilen ersetzen Tinder, Mail oder Whats App nämlich den klassischen Liebesbrief. Früher hat es Stunden gebraucht, bis er geschrieben war. Erste Schreibversuche auf Papier wurden zerrissen, zerknüllt. War er endlich vollendet, wurde er vielleicht noch parfümiert und ein Kuss darauf gedrückt, um ein physisches Erlebnis zu ermöglichen. Sein*e Leser*in bekam das Gefühl den Absender zu spüren und zu riechen. Werden Liebeserklärungen per Mail verschickt, dann lauert die ständige Ablenkung, wie das Video Dear D  aus dem Jahr 2015 von Marge Monko zeigt. Darin widmet sie sich den modernen Formen der Liebeserklärung, indem das Video den zögerlichen Schreibprozess eines Liebesbriefs auf einem Computerbildschirm zeigt. Doch vom ständigen Hin- und Herswitchen zwischen Tabs, Fenstern und Bilddateien oder Browsen im Web, wird er immer wieder unterbrochen. Auch das Ende des Briefes ist laut Christine Litz kurios: „Sie schreibt: Wenn Du diese Gefühle für mich nicht erwiderst, dann lösche einfach diese Mail.“ Ob sich eine Liebe wirklich so leicht löschen oder wegwischen lässt? Spätestens jetzt ist eines nicht mehr zu leugnen – die digitalen Medien und wie wir sie für unsere zwischenmenschliche Kommunikation nutzen, hat sie definitiv verändert: die Liebe.

 

Heinrike Paulus

Die Ausstellung ist hier virtuell erlebbar. Nennenswerte Inhalte, wie Objekttexte oder Biografien der Künstler*innen können online angesehen, angehört und nachgelesen werden.


Teaserbild: Modern Love | Hannah Toticki Anbert, Touch Screen Protection Rings, Silver version (2019)

Headerbild: Modern Love | Maria Mavropoulou, Anniversary Dinner, from the “Family Portraits” series (2018)


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