Zum Hauptinhalt springen

Rezension: Falsche Vorbilder – Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren

Joester, Alicia/Winkler, Sabine (2022). Falsche Vorbilder. Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren. München: YES-Verlag. 288 S., 19,99 €. 

 

In Deutschland nutzen über 67 Millionen Menschen, fast 94 Prozent der Gesamtbevölkerung, das Internet. Insgesamt verbringen wir im Durchschnitt jeden Tag 136 Minuten im Netz, wie die aktuelle Onlinestudie von ARD und ZDF (2021) beweist. Mit Blick auf die unterschiedlichen Altersgruppen kommen die 14- bis 29-Jährigen sogar auf 269 Minuten. Fast fünf Stunden sind junge Menschen demnach täglich auf Streamingplattformen und Sozialen Netzwerken aktiv – ein neuer Rekordwert.  

Wie eine Befragung des Digitalverbands Bitkom beweist, ist dafür unter anderem der Einfluss von Influencer*innen verantwortlich. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es mittlerweile 81 Prozent, welche die Posts der Social-Media-Stars auf YouTube, Instagram, TikTok und Co. abonniert haben. Gerade bei Kindern und Jugendlichen nehmen Ratschläge und Empfehlungen der Lieblingsinfluencer*innen dabei eine wichtige Orientierungsfunktion ein. Dies legt beispielsweise eine Umfrage nahe, die klicksafe im Rahmen des Safer Internet Day 2020 durchgeführt hat. Knapp ein Drittel der Befragten im Alter von 13 bis 20 Jahren gab an, dass  Soziale Medien ihre Meinungsbildung beeinflussen würden, ein Fünftel sagte sogar, explizit von Influencer*innen in der eigenen Meinungsbildung gelenkt zu werden.

Wie gravierend die Konsequenzen dieser Beeinflussung sein können, legen Alicia Joester (alias Alicia Joe) und Sabine Winkler in ihrem neuen Buch Falsche Vorbilder. Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren nahe. Joester berichtet dabei aus erster Hand: Als eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Youtuber*innen ist sie mit den Strukturen und Mechanismen des Social-Media-Kosmos mehr als vertraut. Gemeinsam mit der Journalistin Sabine Winkler beleuchtet sie in ihrem Buch die Schattenseiten der Sozialen Medien anhand vieler prominenter Beispiele. Dabei wird schnell deutlich: Hinter den vielen Kanälen erfolgreicher Influencer*innen stehen raffinierte Geschäftsmodelle und Marketingstrategien, die Follower*innen dazu verleiten, den neusten Trends zu folgen, ihren Vorbildern nachzueifern und letztendlich die von ihnen empfohlenen Produkte zu kaufen.  

Genau auf diese und weitere kritischen Entwicklungen machen Joester und Winkler aufmerksam. So setzen sie sich mit Problematiken wie digitaler Gewalt, gefährlichen Challenges auf Instagram, TikTok und Co., trügerischen Nachhaltigkeitsversprechen sowie dem erschreckenden Ausmaß der Manipulation und Vermarktung in dieser Industrie auseinander. Dabei wird schnell deutlich, was Influencer*innen von berühmten Musiker*innen, Schauspieler*innen oder Sportler*innen unterscheidet. Wie Joester und Winkler herausarbeiten, bieten die Funktionen und Mechanismen der Sozialen Medien Influencer*innen deutlich mehr Möglichkeiten, mit ihren Follower*innen zu interagieren und sie auf diesem Wege an sich zu binden. Warum gerade diese Nahbarkeit und (scheinbar) persönliche Ebene der Kommunikation immer mehr zum Problem wird und wie weit der Einfluss von Beauty-, Fitness- und Travelblogger*innen wirklich reicht, legen die Autorinnen anhand von erschreckenden Einblicken in die Szene der Social-Media-Stars offen. 

Insbesondere die Kapitel zu Familienblogger*innen und Kinderinfluencer*innen zeigen dabei auf, was Eltern dazu bewegt, ihre Kinder für Likes und lukrative Werbedeals zu vermarkten. Die gravierenden Folgen dieses Geschäfts mit der öffentlichen Zurschaustellung von privaten oder intimen Momenten aus dem eigenen Familienleben stellen Joester und Winkler anhand von Beispielen deutscher Influencer*innen dar. Joester kritisiert dabei vor allem Eltern, die sich als Manager*innen ihrer Kinder betrachten und diese zum Mittelpunkt ihres Kanals machen, um damit mehr Aufmerksamkeit und vor allem mehr Profit zu generieren.  

Trotz der vergleichsweise pessimistischen Sicht, die Joester mit Blick auf die Social-Media-Welt und ihre Akteur*innen einnimmt, hebt sie auch Positivbeispiele hervor, an denen sich ein Bewusstseinswandel hin zu mehr Sinnhaftigkeit beobachten lässt. So setzen sich immer mehr Influencer*innen – sogenannte Sinnfluencer*innen – mit politischen oder gesellschaftsrelevanten Themen wie Klimaschutz, Veganismus, Nachhaltigkeit oder Feminismus auseinander. Joester selbst veröffentlicht auf ihrem YouTube-Kanal ebenfalls hauptsächlich Videos, die über gesellschaftliche Problematiken aufklären oder auf Themen aufmerksam machen, die ansonsten nur wenig Gehör in der Gesellschaft finden. Trotzdem bewertet sie die Zukunftsfähigkeit dieser Trendbewegung zu mehr Authentizität und Tiefgründigkeit auch kritisch, wie an folgendem Zitat deutlich wird: „Ob auch Mainstream-Influencer in Zukunft verstärkt auf Echtheit, Imperfektion und tiefgründige Themen setzen, liegt wohl vor allem daran, wie hoch die Nachfrage danach sein wird“ (S. 230). Damit weisen Joester und Winkler letztendlich auch auf offene Fragen und Spannungsfelder hin, mit denen sich die Medienpädagogik auch zukünftig beschäftigen und auseinandersetzen muss.  

Schlussendlich ist es gerade die verständliche Darstellung eines sehr komplexen Phänomens, welche das Buch zu einer lesenswerten Lektüre für Interessierte aller Altersgruppen macht. Dabei klären die Autorinnen anhand von spannenden Studien und einprägsamen Beispielen über wichtige Problemfelder des Kinder- und Jugendmedienschutzes sowie Risiken Sozialer Medien auf und liefern damit sowohl Heranwachsenden, Eltern als auch Pädagog*innen wertvolle Anregungen zur Auseinandersetzung und Reflexion. Somit stellt das Buch insgesamt eine wichtige Orientierungs- und Arbeitshilfe dar, um sich kritisch mit der Bedeutung und Einflussmacht von Influencer*innen zu beschäftigen.

 

Lisa Melzer 


Eine ähnliche Problematik behandelt der Dokumentarfilm Girl Gang, welcher Einblicke hinter die Kulissen des Influencer*innen-Lifestyles gewährt und auf die Schattenseiten des Lebens als Social-Media-Star aufmerksam macht. Eine ausführliche Rezension zum Film könnt ihr hier nachlesen.


Header- und Teaserbild: © Münchner Verlagsgruppe GmbH (bearbeitet mit Canva)


Zurück

Kontakt

merz | medien + erziehung ist die unabhängige medienpädagogische Fachzeitschrift in Deutschland, in der Themen der Medienpädagogik aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Beschäftigen auch Sie sich mit diesem Themenbereich und möchten gerne selbst in merz veröffentlichen? Wir freuen uns immer über Einsendungen über Projekte aus Forschung und Praxis, über Rezensionen, Veranstaltungshinweise und natürlich Anregungen. 

 

Redaktion

merz | medien + erziehung
Kati Struckmeyer und Swenja Wütscher
Arnulfstraße 205
80634 München

+49 89 689 89 120
+49 89 689 89 111
merz@jff.de

Verlag

kopaed verlagsgmbh
Arnulfstr. 205
D-80634 München

+49 89 688 900 98
+49  89 689 19 12
www.kopaed.de
info@kopaed.de

Herausgeber*in

Kathrin Demmler | Prof. Dr. Bernd Schorb
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis

Rechtsträger

JFF – Jugend Film Fernsehen e. V.
Arnulfstraße 205
80634 München

+49 68 989 0
+49 68 989 111
www.jff.de
jff@jff.de

Kontaktformular

Kontaktformular


Anmeldung zum merz-Newsletter

Hier können Sie sich zum merz-Newsletter anmelden.  Datenschutzerklärung.

Ich willige in die Verarbeitung meiner Daten zum Newsletter-Versand ein und habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen.