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Rezension: Vier Bücher mit Überlegungen und Ideen zur digitalen Bildung

Sei es der Medienpass in Thüringen, der Medienführerschein in Bayern oder der Digitalpakt für ganz Deutschland: All diese Maßnahmen wurden im Zuge der Digitalisierung ergriffen und sollen digitale Medien und auch die Vermittlung entsprechender Kompetenzen im Umgang mit diesen an die Schulen bringen. Dies gelingt durch fehlende Zeit, mangelndes Wissen der Lehrkräfte und lückenhafte Ausstattung der Schulen noch nicht überall im gleichen Rahmen. Dennoch gibt es immer wieder gute und kreative Ansätze und Projekte für den Ausbau Digitaler Bildung – und das auch über den Schulkontext hinaus. Die im Folgenden vorgestellten Bücher begründen zum einen, wieso eine Weiterentwicklung im Zuge der Digitalisierung nötig beziehungsweise nicht vermeidbar ist und stellen zum anderen Lösungen und Ansätze für unterschiedliche Bereiche der Bildung vor – von der Schule bis hin zur Museumspädagogik.

 

Niklas Barth geht dazu in seiner Dissertationsschrift Gesellschaft als Medialität der Überlegung nach, dass Gesellschaft nicht einfach nur aus Medienformen besteht, sondern vielmehr reine Medialität sei. Medientheorie wird von ihm dementsprechend als Gesellschaftstheorie interpretiert. Daraus abgeleitet entwickelt Barth eine funktionalistische Medientheorie, mit deren Hilfe er die zentrale Frage des Buches nach der Beschreibbarkeit der (medialen) Gesellschaft zu beantworten versucht. Um dieser Frage nachzugehen stellt er darüber hinaus fünf empirische Fallstudien dar, die seine theoretischen Überlegungen anschaulich mit der Alltagswelt in Verbindung setzen.

Dabei richtet Barth im ersten Teil seiner Arbeit einen durchaus differenzierten Blick auf bereits vorhandene Methoden und Strukturen in der Soziologie und plädiert dafür, dem Medium als Botschaft wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Fokus in den Fallstudien liegt im Anschluss zunächst auf Funktionen von Facebook und wie diese unsere Kommunikation beeinflussen. Denn als erstes großes Soziales Netzwerk war die Plattform der Ursprung für viele neue Formen privater Kommunikation. Zudem wird durch die Thematisierung von Kommunikationsethik vor dem Hintergrund der ‚Verhaltenslehren der Kälte‘ (S.151) ein Bezug hergestellt, der relevanter nicht sein könnte. Jedoch hätte ein Einbezug anderer Sozialer Medien die Fallstudien noch aktueller gemacht. Darüber hinaus wird die Medialität der Theaterbühne und des Interviews genauer behandelt, um deren Einfluss auf die Gesellschaft zu verdeutlichen.

Die zentralen Ergebnisse des Buches fasst Barth anschließend nochmals übersichtlich auf je ein bis zwei Seiten zusammen, bevor er in einem abschließenden Kapitel den Bogen zu seinen anfänglichen Überlegungen zur Soziologie schließt und einen Ausblick auf die ‚Politik der Medien‘ (S. 277) gewährt.  Hier legt er sich jedoch nicht auf einen Ausgang fest, sondern widmet sich in theoretischen Überlegungen den zukünftigen Problemen bei der Beschreibung von Gesellschaft. Dies geschieht dabei immer unter Rückgriff auf historische Entwicklungen, anhand derer er beispielsweise die Auswirkungen der Erfindung des Buchdrucks mit dem Digitalisierungsschub vergleicht und somit seine Ausführungen umfassend begründet. Dabei verlangt die Lektüre durchaus geschichtliches, soziologisches und medientheoretisches Vorwissen der Leser*innen, um den Gedankengängen des Autors im vollen Umfang folgen zu können.

 

Da Barth mit seinen Ausführungen über die mediale Gesellschaft nicht alleine ist, besteht eine der zentralen Herausforderungen des Bildungswesens darin, Heranwachsende und Lernende auf diese ‚neue‘ Welt vorzubereiten um mit ihren Entwicklungen Schritt zu halten. Die GMW hat bei ihrer Jahrestagung 2017 mit Themen wie ‚Digitalisierung begreifen und gestalten‘ hier erste Anstöße für einen Diskurs gegeben, der in den folgenden Jahren weitergeführt wurde. Vom E-Learning zur Digitalisierung – Mythen, Realitäten, Perspektiven stellt nun eine Sammlung von dieser Diskussion angestoßener Beiträge dar, die ‚das Verhältnis von Digitalisierung und Bildung gründlich und kritisch […] durchleuchten‘ (S.9). Dabei setzen sich die Herausgeber*innen zum Ziel, Prozesse und Wirkungen der Digitalisierung herauszuarbeiten und zu verstehen. Dies gelingt durch eine bunte Mischung an Beiträgen, von wissenschaftlichen Artikeln bis hin zu Interviews. Besonders hervorzuheben sind hier die hybriden Beiträge, die mittels QR-Codes den Sprung ins Internet ermöglichen, wo auf die Lesenden Videos, Blogs und Kurzgeschichten warten.

Zu Beginn räumt der Band mit Mythen auf, wie der Unterstellung, dass digitale Angebote das Lernen automatisch verbessern. Als Gegenentwurf wird im weiteren Verlauf der Ist-Zustand an Hochschulen analysiert und Ansätze wie das BASIC-Lehrkonzept vorgestellt, woraus wiederum mögliche Perspektiven für die Zukunft abgeleitet werden. Am Ende jedes Themenblocks lockern Erfahrungsberichte und sogenannte ‚Minidramen‘, hinter denen sich die Präsentation von Bildern von Hans Krameritsch versteckt, die Lektüre des Bandes nochmals auf.

Letzten Endes wird an verschiedenen Stellen immer wieder klar, dass sich Digitalisierung nicht auf eine rein technische Ausstattung begrenzen lässt, sondern auch Rahmenbedingungen unterschiedlicher Lehr-/Lernumgebungen beachtet werden müssen. Dies gelingt in diesem Band durch kritisches Hinterfragen neuer Technologien (bspw. Beitrag von Ralph Müller) und innovative Beispiele aus der Praxis, die jedoch nicht die Illusion aufbauen sollen, dass es nicht noch viel im Bereich der Umsetzung digitaler Strategien zu tun gibt. Somit kommen die Autor*innen ihrem Anfangs beschriebenen Vorhaben nach und bieten allen Akteur*innen an Hochschulen und im Bildungsbereich neue Perspektiven auf ‚Digitalisierung‘ und stoßen Ideen für eine langfristige Neugestaltung von Lehren und Lernen an. 

 

Lutz Kasper spricht genau diese unzureichenden Rahmenbedingungen der Lehre in Digitales Lernen in der Grundschule II an. Das Buch fasst Beiträge des 2. interdisziplinären fachdidaktischen Symposiums Lernen digital zusammen, auf dem Kasper einen Hauptvortrag zur Ausbildung von Lehramtsstudierenden und der Übertragung des Gelernten in die Praxis gehalten hat. Demnach scheinen Lehramtsstudierende wenig motiviert, sich mit dem Einsatz digitaler Medien auseinanderzusetzen, was unter anderem auf die Struktur der Studiengänge zurückzuführen sei. Hier werden verschiedene Lösungswege vorgeschlagen, von denen sich der einer Veränderung der Rahmenbedingungen auch im Band der GMW wiederfinden lässt.

Ausgangspunkt für den Band ist die Kritik, dass es nicht ausreicht, Schulen mit digitalen Endgeräten auszustatten, um digitales Lernen sinnvoll in den Unterricht zu integrieren und eine höhere Lernqualität zu erreichen. Hier bedarf es Konzepten für die Förderung der Medienkompetenz und deren fächerübergreifender Umsetzung. Unter anderem durch die lückenhafte Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte, fällt die Anwendung digitalen Lernens laut Kasper aktuell meist auf hochmotivierte Einzelpersonen zurück. Doch neben diesen grundlegenden Überlegungen zur Ausbildung von Lehrkräften enthält der Band auch weitere Vorträge und Workshops, die verschiedenste Methoden des digitalen Lernens in Bezug auf eine große Bandbreite an Unterrichtsfächern vorstellen.  Das Ergebnis ist eine Sammlung an innovativen Ideen von Forschenden, Studierenden, Referendar*innen und Lehrkräften, die in den verschiedensten Fächern umgesetzt wurden. Besonders gewinnbringend für die Lesenden ist dabei, dass diese zudem überprüft und vor dem Hintergrund ihrer Wirksamkeit diskutiert werden.  Im Idealfall können die Kinder so durch eine gezielte Umsetzung im Unterricht ‚von einem Lernen mit Medien zu einem Lernen über Medien gelangen‘ (S. 171).

Am Ende bekommen die mit diesem Band angesprochenen Forscher*innen, Praktiker*innen und Lehrkräfte somit nicht nur einen Eindruck von WebQuests für einen bilingualen Mathematikunterricht oder Simulationen im Sachunterricht, sondern auch davon, welche Tools und Methoden sich sinnvoll für welche Bereiche einsetzen lassen.

 

Doch nicht nur (Hoch)Schule ist ein Ort der Bildung. Dies führt Michael Mangold in einem Betrag des Themenbandes Vom Betrachten zum Gestalten an, der sich mit digitalen Medien in Museen beschäftigt. Als Einstieg umreißt er hier die aktuellen Herausforderungen, denen sich Museen gegenübersehen. Dabei wird die kulturelle und gesamtgesellschaftliche Relevanz von Museen unter anderem anhand der Problematik, dass eine erhöhte Verfügbarkeit von Wissen heute nicht zwingend zu Wissenszuwachs führt, verdeutlich. Als Auslöser sowohl technischer als auch sozialer Entwicklung erfordert die Digitalisierung Veränderungen in Bildungseinrichtungen, damit diese ihren Anforderungen weiterhin gerecht werden können.

Die Beschäftigung mit diesen Veränderungen geschieht in vier Themenblöcken. Die ersten Beiträge befassen sich zunächst mit Aufgabenstelllungen und Lösungen für Museen, während im zweiten Teil Ideen für medienintegrierte (Bildungs-)Konzepte angestellt werden. Diese Überlegungen werden in Teil drei und vier durch Beispiele aus der Praxis ergänzt, bei denen der Fokus auf Podcasts, Blogs und partizipativen Formaten liegt. Das alles geschieht vor einem abwechslungsreichen Hintergrund unter Einbezug verschiedener Museen. Dabei wird meist das Ziel verfolgt, den oder die Museumsbesucher*in zum*r aktiven Teilnehmer*in zu machen. Dennoch bleibt auch ein kritischer Blick auf den Status quo nicht außen vor, wenn Harald Kraemer beispielsweise die Gestaltung hypermedialer Angebote beschreibt, bei denen oft nicht deren komplettes Potential ausgeschöpft wird.  Dieser Status quo bezieht sich jedoch oft auf das Erscheinungsjahr 2007 der ersten Auflage. In den letzten Jahren hat sich viel verändert, was die Beiträge des Buches nicht immer widerspiegeln. Positiv hervorzuheben sind hier die Beiträge zum digitalen Storytelling (wie etwa von Woletz & Volkwein-Vogel) und zum museum4punkt0. Einigen anderen Texten fehlt hingegen ein aktueller Bezug, da Podcasts beispielsweise auch heute noch sehr relevant sind, aber auf einem anderen Level als noch vor 13 Jahren umgesetzt werden.

So bietet das Buch immer noch Perspektiven und Beispiele für einen erfolgreichen Einsatz digitaler Medien. Zudem wird die Relevanz von Museen für die politische und gesellschaftliche Meinungsbildung überzeugend herausgestellt. Einige Beiträge hingegen büßen diese Relevanz durch die teilweise fehlende Überarbeitung für die zweite Auflage zumindest in Teilen ein.

 

Was genau ist denn nun „die Digitalisierung“? Eine einheitliche Definition des Begriffes finden alle der hier vorgestellten Bücher schwer, ja kritisieren dessen schwammige Verwendung teilweise regelrecht. Wenn Thomas Strasser Digitalisierung also als „Plastikwort“ (GMW S. 443) beschreibt, dem durch fundierte Beiträge wieder Struktur gegeben werden muss, steht er damit nicht alleine da. Und auch ohne eine universale Definition sind sich die Autor*innen der Bücher in vielen Dingen einig:

Vor dem Hintergrund einer nicht abzustreitenden Durchdringung unserer Gesellschaft mit Medien verändert sich diese auch. Deshalb bedarf es vor allem aus gesellschaftlicher Perspektive einer Einbindung des Lernens von, mit und über Medien. Und das nicht nur in der Schule, sondern auch darüber hinaus. Die vielen sich überschneidenden Ansätze zeigen, dass auch über einzelne Bildungseinrichtungen hinaus voneinander gelernt und so die Umstrukturierung des Bildungsbereiches vorangetrieben werden kann.

Zudem zielen die meisten Bücher auf Expert*innen und Vorreiter*innen ab, von denen sie auch geschrieben wurde. Hier gilt es jetzt, die Hürde zu überwinden und diese Ideen, Konzepte und Informationen nicht nur theoretisch zu diskutieren, sondern auch an Skeptiker*innen und weniger Erfahrene weiterzutragen um diesen konkrete Handlungsmöglichkeiten anzubieten. Sonst lastet die Aufgabe, die Digitalisierung auch in die Bildung zu bringen, auf den Schultern einiger weniger.

Dafür bedarf es eines Ausbaus der Infrastruktur und eines breites Fort- und Ausbildungsangebots, was vor allem in Vom E-Learning zur Digitalisierung und Digitales Lernen in der Grundschule II ausgeführt wurde. Denn – und auch darin sind sich alle einig – vor allem von politischer Seite wird in diesem Prozess noch ein zu großer Fokus auf Technologien und nicht den damit verbundenen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel gelegt (siehe beispielsweise Vom Betrachten zum Gestalten, S. 15).

 

Barth, Niklas (2020). Gesellschaft als Medialität. Studien zu einer funktionalistischen Medientheorie. Bielefeld: transcript. 324 S., 40 €.

Bauer, Reinhard et al. (Hrsg.) (2020). Vom E-Learning zur Digitalisierung – Mythen, Realitäten, Perspektiven. In: Medien in der Wissenschaft,  Band 76. Münster: Waxmann. 470 S., 42,90 €.

Brandt, Birgit/Bröll, Leena/Dausend, Henriette (Hrsg.) (2020). Digitales Lernen in der Grundschule II. Aktuelle Trends in Forschung und Praxis. Münster/New York: Waxmann. 394 S., 44,90 €.

Mangold, Michael/Weibel, Peter/Woletz, Julie (Hrsg.) (2020). Vom Betrachten zum Gestalten. Baden-Baden: Nomos. 222 S., 39 €.

 

Lara Moritz


Teaserbild: Felix Lichtenfeld | pixabay

Headerbild: stux | pixabay


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