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Ausstellung: Spielzeug und Rassismus

Ein Interview mit Kuratorin Mascha Eckert

Angefangen hat alles mit dem Hinweis einer Schwarzen Amerikanerin über ein rassistisches Ausstellungsstück im Spielzeugmuseum Nürnberg. Nun ist daraus eine ganze Ausstellung zum Thema ,Spielzeug und Rassismus‘ entstanden. Vom 15. Juli 2021 bis zum 9. Januar 2022 zeigt das Spielzeugmuseum mitten in der Dauerausstellung acht rassistische und mehrere antirassistische Exponate, sowie zahlreiche erklärende Texttafeln. Diese erzählen die Geschichte des Rassismus gegen Schwarze vom Kolonialismus bis heute. Alle Ausstellungsstücke haben spielerische Momente, sind wissenschaftlich analysiert und zum Beispiel durch Zeichnungen kreativ neu kontextualisiert, sodass sie eine empowernde Wirkung bekommen. Die Ausstellung richtet sich primär an Erwachsene, es liegen jedoch auch antirassistische Kinderbücher und Spielzeuge für Kinder bereit.

Die merz-Redaktion hat das Glück mit Mascha Eckert, wissenschaftlicher Mitarbeiterin des Museums und Kuratorin von ,Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen‘, über die Ausstellung zu sprechen.

Hallo Mascha, der Auslöser der Ausstellung war ein Exponat namens ,Alabama Coon Jigger‘. Hierbei handelte es sich um eine Blechfigur aus der Kolonialzeit, die einen Schwarzen Mann zeigt. Was ist das Problematische an dieser Figur?

Die Figur ist für viele Leute auf den ersten Blick nicht unbedingt als rassistisch erkennbar. Aber hier steckt das rassistische Stereotyp drin, dass Schwarze Menschen die Unterhalter der weißen Menschen sind. Auf Plantagen hatte es Tradition, dass Schwarze Menschen nach der harten Arbeit gezwungen wurden, für ihre weißen Herren zu tanzen. Damit geht auch diese ständige Verfügbarkeit für weiße Menschen und eine Reduktion einher. Dieser Satz „Sie haben Rhythmus im Blut“ ist ein Satz, den man sogar heute noch hört und der Schwarze Menschen sehr auf Körperlichkeit reduziert. Dadurch wird ,othering‘ betreiben. Das heißt, weiße Menschen stellen sich als die geistigen Menschen dar und grenzen das dann zu Schwarzen Menschen und deren Körperlichkeit ab. Wenn man den Fokus auf Tanz legt, schwingt das mit. ,Coon‘ ist tatsächlich ein extrem rassistischer Begriff, der in den USA auch nicht mehr verwendet wird. Dieser Begriff ist verbunden mit Eigenschaften wie ,gutgläubig‘, ,einfältig‘, ,dumm‘ und ,tollpatschig‘. Das passt zum Tanzen, weil auch da dieses Stereotyp des amüsierenden, aber doch harmlosen, einfältigen, Schwarzen Unterhalters mitschwingt.

Woran erkennt man rassistische Spielsachen noch?

Auf den ersten Blick kann man natürlich schauen: Wie ist die Figur dargestellt? Oft sind die Gesichtszüge – im Vergleich zu weißen Personen, bei denen sie viel feiner dargestellt werden – sehr überzeichnet. Das geht teilweise schon in die groteske oder monströse Richtung. Dann muss man natürlich auch über koloniale Stereotype Bescheid wissen. Man muss schauen: Finde ich diese Stereotype in dem Objekt wieder? Das ist zum Beispiel bei der Spardose der Fall. [Anmerkung der Redaktion: Teil der rassistischen Exponate der Ausstellung war eine Spardose, die einen Schwarzen mit aufgerissenen Augen und Mund zeigt.] Wenn man das Stereotyp des gierigen Schwarzen kennt, das nach der Abschaffung der Sklaverei entstanden ist, dann sieht man natürlich sofort die Verbindung. Auch bei der Puppe mit dem Leoparden-Lendenschurz kennt man die Stereotype wie ,unzivilisiert‘, ,nackt‘, ,naturverbunden‘ und ,unterentwickelt‘. Wenn man diese Stereotype kennt, kann man die auf die Puppe übertragen. Man muss in den allermeisten Fällen schon über die Hintergrundgeschichte Bescheid wissen. Man merkt: Rassismus ist kein Gefühl, sondern Rassismus kann wissenschaftlich analysiert werden.

Mittlerweile hat sich daraus in Zusammenarbeit mit den  Künstler*innen Hannah Marc und Emily Winkelsträter, sowie anderen Schwarzen Rassismusexpert*innen eine ganze Ausstellung entwickelt. Wie ist es möglich, rassistische Exponate auszustellen? Was sind Besonderheiten, auf die geachtet wurden?

Wir hatten die Objekte erst einfach so unter allen Spielsachen in der Dauerausstellung stehen. Dadurch erkennt man natürlich die Problematik nicht. Wichtig ist also, das ganze textlich einzuordnen und das heißt, dass man auch manchmal ein bisschen mehr Text braucht. Das ist mit Hemmungen verbunden, weil man die Leute nicht zubombardieren will, aber es ist in dem Fall wichtig. Man braucht diese textliche Erklärung. Man braucht Triggerwarnungen. Man braucht auch ein Art Sichtschutz, damit Schwarze Menschen, die nicht damit konfrontiert werden wollen, nicht ausversehen darüber stolpern können. Außerdem muss man schauen – und das war die schwierigste Aufgabe –, dass beim Anblick der Objekte der Rassismus nicht wiederholt wird. Das haben wir mit empowernden Zeichnungen gemacht. Wir haben die Objekte dazu gebracht, sich selbst gegen den Rassismus zu wehren, indem wir ihre Geschichte durch die Zeichnungen weitererzählt haben.

Du hast erwähnt, einige Exponate hattet ihr vorher in der normalen Dauerausstellung. Woher kommen die anderen Ausstellungsstücke?

Wir haben sehr viele Blechspielzeuge hier, weil Nürnberg Hochburg der Blechspielzeug-Industrie war. Das sind oft Nürnberger Spielzeuge, die nach amerikanischen Vorbild hergestellt wurden. Der Großteil der Objekte, die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind, waren tatsächlich unkontextualisiert in der Dauerausstellung. Ein einziges habe ich online bestellt und zwei habe ich noch aus dem Depot genommen. Im Depot haben wir auch noch einiges mehr.

Du hast dich dazu entschieden ein Exponat sichtlich aus der Ausstellung zu nehmen. Als Besucher*in sieht man den leeren Sockel. Warum?

Um nochmal deutlich zu machen, dass man nicht alles zeigen muss. Es gibt ja auch viele Dinge aus der Zeit des Nationalsozialismus, die man heute nicht mehr zeigt, weil man sie nicht mehr sehen und reproduzieren möchte. Das ist mit Rassismus genauso. Ich halte es gerade als Museum für sinnvoll, Objekte zu nutzen, um auf Problematiken hinzuweisen, zu sensibilisieren und aufzuklären. Das machen wir in der Ausstellung, aber mir war es auch wichtig zu sagen: Man muss nicht alles zeigen!

Wenn du das nochmal zusammenfassen kannst: Was ist das Ziel der Ausstellung?

Mit der Ausstellung möchte ich zeigen, dass in allem, was wir schaffen – ob das Sprache ist, ob das Objekte sind – sich die gesellschaftliche Struktur widerspiegelt. Wir sind eine rassistisch sozialisierte Gesellschaft und deswegen gibt es keinen Lebensbereich, in dem Rassismus nicht zu finden ist. Gerade in Bezug auf Spielzeug ist das besonders spannend: Zum einen, weil viele Menschen denken, Spielzeug sei doch harmlos und neutral. Das ist es natürlich nicht, weil es von Menschen gemacht ist. Zum anderen aber auch, weil es unfassbar wichtig ist für die Sozialisation unserer Kinder. Das sind die ersten Objekte, mit denen unsere Kinder in Berührung kommen. Sich mal zu überlegen, was dadurch eigentlich weitergegeben wird, ist natürlich besonders wichtig. Ich möchte eine Sensibilität für das Thema schaffen, genauer hinzuschauen und sich dem Gedanken nicht so sehr zu verschließen, dass Sprache und Objekte ihren Teil zu einer rassistischen Gesellschaft beitragen.

Du hast in der Sammlung unter anderem eine relativ neue Figur, die du im Internet bestellt hast. Wie aktuell ist das Problem von rassistischem Spielzeug im Jahr 2021?

Man findet auf jeden Fall noch rassistische Objekte. Es ist ein bisschen anders, als es früher war, aber gewisse Stereotype setzen sich fort. Ein großes Problem ist, meiner Meinung nach, alles, was irgendwie mit Karneval und Fasching zu tun hat. Da ist dann ,blackfacen‘ ein Thema, aber auch Knochen, die in die Haare gesteckt werden und weiße Menschen, die sich Afro-Perücken aufsetzen und sich in Tierfelle kleiden. Das ist eine absolut unrealistische Darstellung Schwarzer Menschen und steht eher mit Steinzeit in Verbindung. Hauptsächlich ist mir dieses leicht bekleidete, als Wilde inszenierte aufgefallen, zum Beispiel bei Schleich-Figuren. ,Unterhaltung‘, ,Rhythmus im Blut‘, ,Sportlichkeit‘ und so weiter sind alles Sachen, die wir auch heute noch in Spielzeug widergespiegelt sehen. Bei einigen denkt man auf den ersten Blick, das sei unproblematisch, aber man hat wieder diese Reduktion und dieses ,anders machen‘, das da trotzdem mitschwingt.

In der Ausstellung zeigt ihr außerdem, wie antirassistisches Spielzeug aussehen kann. Warum ist antirassistisches Spielzeug wichtig für Kinder?

Für Schwarze Kinder ist es unfassbar wichtig, sich repräsentiert zu fühlen und sich mit Figuren identifizieren zu können. Sehr oft entstehen Spielzeugfirmen für antirassistisches Spielzeug aus persönlichen Geschichten, wenn die dreijährige Tochter weint und sagt, sie möchte lange glatte blonde Haare haben. Daraus entstand zum Beispiel die Firma Sibhale, die Puppen mit realistischer Afrofrisur herstellt. Für weiße Kinder ist es deswegen wichtig, weil sie dadurch Vielfalt als selbstverständlich und positiv erleben.

Welche Verantwortung haben Museen im Kontext von Rassismus?

Museen sind gesellschaftliche Institutionen und haben immer den Zeitgeist widergespiegelt. Alle Museen müssen sich mit Rassismus auseinandersetzen. Als Bildungsinstitution haben wir den Vorteil, dass wir ein großes Vertrauen der Bevölkerung genießen. Die Leute kommen zu uns, um etwas zu lernen – natürlich auch, um sich zu unterhalten – aber auch, um etwas zu lernen und deswegen hat ein Museum das große Potenzial über bestimmte Inhalte aufzuklären. Ich finde, das sollte man ausschöpfen und anfangen, sich Sammlungen aus anderen Perspektiven anzuschauen.

Hat diese Ausstellung noch weiterführende Effekte für das Museum? Ich habe gelesen, es soll sich zu einem ,emotionalen Weltmuseum‘ entwickeln. Was bedeutet das konkret?

Es geht im Grunde darum, dass man mit Spielzeug die Welt erklären kann. Dadurch, dass Spielzeug die Welt im kleinen ist, gibt es wirklich weniges, was wir nicht darstellen können. Wir wollen im neuen Konzept sogenannte anthropologische Konstanten anhand von Spielzeug darstellen. Das heißt: Was verbindet alle Menschen auf der Welt? Menschen müssen essen und trinken, brauchen ein Dach über dem Kopf, Menschen lieben andere Menschen. Diese ganzen Narrative kann man anhand von Spielzeug darstellen. Was wir auch in Bezug auf das neue Konzept haben wollen, ist eine größere Sensibilität für Diversität und dass Rassismus, Sexismus, Ableismus gut dargestellt werden. Das ist aktuell noch nicht der Fall. Die Themen Sexismus zum Beispiel oder auch Ableismus sind noch ausbaufähig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Luisa Baier

 

Hier geht’s zum Spielzeugmuseum


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