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SWIPE DES MONATS: Neugierige Eltern

Ab der Geburt gibt es für Kinder kaum Privatsphäre. Sobald sie geboren sind, werden sie mit dem Handy fotografiert und mit Hilfe verschiedener Internetdienste für Freund*innen und die Verwandtschaft sichtbar gemacht – nicht selten auf einem offenen Profil auch für die ganze Welt. Im Laufe des Aufwachsens werden der Welt weitere Bilder und private Geschichten von den Eltern präsentiert: lustige Urlaubsfotos, Videoaufnahmen von den ersten Gehversuchen und peinlichen Trotzanfällen, die schönsten Wortneuschöpfungen wie 'Delfofine', 'übergestern' oder 'zweimal zurückschlafen'.

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs, verbunden mit einem Quiz für Serienfans (Aus welchem Quotenhit stammt die folgende Formulierung?): Vielleicht fragt sich die geneigte Leserschaft, woher ich das alles noch weiß, obwohl ich die Privatsphäre meines Sohnes zumindest anfänglich respektiert habe. Nun: Wie Lady Whistledown würde ich nur das Offensichtliche einräumen und den Netflix-Serienrenner 'Brigderton' verraten, niemals aber natürlich meine Quellen offenlegen! Doch zurück zum Thema, der Privatsphäre – über die man ständig spricht und damit bekanntlich das Nichtprivate derselben bestätigt.

Sind die Kinder der Missachtung ihrer Privatsphäre zunächst wehrlos ausgesetzt, so entwickeln sie doch recht bald zumindest ein Gefühl dafür, dass es auch manchmal sinnvoll sein kann, sich dem Zugriff von Erwachsenen zu entziehen. Sei es das heimliche Essen von Süßigkeiten, die Nutzung des elterlichen Smartphones trotz Verbots oder das sogenannte Doktorspiel – der Nachwuchs findet Wege, unentdeckt zu bleiben.

Das erste sichtbare Zeichen für den Wunsch nach mehr Privatsphäre ist dann oft eine Tür: Erst steht die Tür zum Kinderzimmer nicht mehr offen. Spätestens in der Pubertät zieht der Zutritt ins Zimmer ohne vorherige Aufforderung wüste Beschimpfungen nach sich. Und schließlich wird die Zimmertür, die bei der abendlichen Heimkehr der Eltern noch offensteht, mit einem Stöhnen und sehr dezidiert geschlossen – allerdings nicht ohne ein vorheriges 'Was gibt’s zum Essen?'.

Auch dann, wenn die Kinder auf ihrem Handy gespeicherte Fotos vorzeigen wollen, sich aber der Aufforderung 'Kannst du mich das Handy einmal selbst halten lassen, damit ich die Bilder besser sehe?' energisch widersetzen und lieber in Kauf nehmen, dass man ihre tollen Urlaubsfotos nicht angemessen würdigen kann, ist klar: Der Einblick in ihre Privatsphäre ist nicht gewünscht! Wir Eltern tun uns aber häufig schwer damit, dies zu akzeptieren und sind gekränkt, wenn beispielsweise auf die Frage 'Wie geht es deiner Freundin?' nur die kurze Antwort kommt 'Wir sind nicht mehr zusammen. Und stell keine weiteren Fragen.'.

So hangeln wir uns durch die Pubertät und versuchen uns als Gesprächspartner*in anzubieten ohne uns dabei aufzudrängen, bis schließlich der Tag kommt: Die Kinder ziehen aus und verlassen das Nest.

Jetzt scheint es für uns noch schwieriger zu werden, unser Informationsbedürfnis über das Leben unseres Nachwuchses zu stillen. Zum Glück unterschätzen Kinder aber häufig die Medien- und Kombinationskompetenz ihrer Eltern und vergessen manchmal, welche Datenspuren sie hinterlassen  – vor allem dann, wenn sie nur Nutzer*in sogenannter Familienaccounts von Diensten wie Spotify, Netflix oder Sky sind. Denn wenn sich mein Sohn mit dem Familienzugang an einem neuen Gerät anmeldet, erhalte ich sofort eine E-Mail mit dem Hinweis 'Mit Ihrem Account wurde ein neues Gerät angemeldet!'. Messerscharf schlussfolgere ich, er möchte sich in einer fremden Wohnung mit Personen, die ich nicht kenne, eine Serie auf Netflix anschauen. Sofort schreibe ich eine Mail an ihn: 'Bist du das, der sich mit unserem Account angemeldet?' Er hat die Mail schon erwartet: 'Vater nerv mich nicht. Ja, wir wollen zusammen eine Serie schauen, mit wem geht dich nichts an.'

Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Die digitale Zimmertüre wird zugeknallt – keine Kommunikation.

Klaus Lutz


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