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Völlig meschugge?! – Wie eine Kinderserie für Antisemitismus sensibilisieren möchte

Auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs sind antisemitische Denkmuster und Einstellungen immer noch fest in unserem gesellschaftlichen Alltag verankert – so auch in Schulen. Böse Blicke im Schulbus, abfällige Bemerkungen im Klassenzimmer bis hin zu gewalttätigen Übergriffen auf dem Pausenhof – jüdische Schüler*innen werden immer wieder zur Zielscheibe von Drohungen, Beleidigungen und sogar körperlicher Gewalt. Anknüpfungspunkte, um mit jungen Menschen über dieses wachsende Problem ins Gespräch zu kommen, liefert nun eine neue KiKA-Serie, die versucht, dieses Thema verständlich und anschaulich aufzubereiten. ‚Völlig meschugge?!‘ lautet der Titel der sechsteilige Miniserie, die im Auftrag des  ZDF  unter der Regie von  Frank Stoye  produziert wurde. Als Grundlage für die Ausarbeitung der Drehbücher diente das gleichnamige Buch von Andreas Steinhöfel und Melanie Garanin. 

Die Serie erzählt die Geschichte von Benny (Louis Guillaume) und Charly (Nelly Hoffmann), beide elf Jahre alt und seit Kindesbeinen an unzertrennlich. Mit Hamid (Mika Ullritz), der mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, bilden sie ein unverwüstliches Dreiergespann, das Herausforderungen und Probleme des Teenager-Daseins gemeinsam bewältigt. Ihre Freundschaft wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, als Bennys Opa stirbt und seinem Enkel eine Kette samt Davidstern vererbt. Als in der Schule bekannt wird, dass Benny Jude ist, beginnt ein gefährlicher Kreislauf aus Mobbing, Rassismus und Antisemitismus, der nicht nur die Beziehung der drei Freunde, sondern schließlich auch Bennys Leben gefährdet. 

Die Serie zeigt auf, dass Antisemitismus kein neuer gesellschaftlicher Konflikt ist, sondern weit in die historische Vergangenheit zurückreicht. Welche stereotypen Denkmuster und Vorurteile auch heute noch tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt sind, wird am Beispiel von Bennys Geschichte besonders deutlich. Dieser wird nach seinem Outing als Jude plötzlich mit Ablehnung, Vorwürfen, Beleidigungen und Anschuldigungen seiner Mitschüler*innen konfrontiert, die es ihm unmöglich machen, offen und ehrlich mit seiner jüdischen Identität umzugehen. Im Verlauf der Serie spitzt sich dieser Identitätskonflikt zu, da Benny nun auch von seinem besten Freund zurückgewiesen wird und auch bei seinen Eltern keine Unterstützung findet, da diese aus Angst vor Ausgrenzung und möglichen Konflikten ihren jüdischen Hintergrund verleugnen. Dass auch Bennys engste Bezugspersonen ihm in dieser Situation nicht die notwendige Unterstützung zukommen lassen, markiert für die Zuschauer*innen ein weiteres Mal, dass eine Verharmlosung oder gar Verdrängung des Problems fatale Folgen für die Betroffenen nach sich ziehen kann.  

Gerade die Tatsache, dass in der Serie die Verantwortung für die Überwindung von Mobbing und Diskriminierung zunehmend bei den Kindern und ihren Familien gesucht wird und sich die Schule an dieser Stelle zurücknimmt, weist auf Versäumnisse hinsichtlich Konflikt- und Gewaltprävention in Schulen hin. Dass auch Pädagog*innen und Lehrkräften sich stärker der Aufgabe annehmen müssen, diese sensiblen und schwerwiegenden Themen zum Gegenstand von Gesprächen und Diskussionen zu machen, sie aus der Tabuzone herauszuholen und einzuschätzen, wo und inwiefern pädagogische Interventionen sinnvoll sein können, macht der kritische Unterton der Geschichte unmissverständlich deutlich.  

Vernachlässigt wird in der Serie dagegen, dass nicht nur Schüler*innen, sondern auch Lehrkräfte Feindseligkeit und Ressentiments innerschulisch vermitteln können. Dabei ist es unbedingt notwendig, die Rolle von Erwachsenen und vor allem von Pädagog*innen als mögliche Multiplikator*innen menschenfeindlicher Ideologien, Narrative oder Verschwörungstheorien aufzugreifen und zu problematisieren.  

Die Art und Weise der Verhandlung und Diskussion der benannten Problemstellungen innerhalb der Serie zeigt weitere Herausforderungen und Spannungsfelder auf. So werden an einigen Stellen bewusst Dialoge und Konfliktsituationen überzeichnet. Damit soll verdeutlicht werden, dass ein fehlendes Problembewusstsein, das Festhalten an fragwürdigen Traditionslinien und eine unzureichende Aufarbeitung der historischen Vergangenheit von Antisemitismus, Rassismus und Extremismus eine konstruktive und tiefergehende Auseinandersetzung mit diesen Thematiken erschweren oder gar vollständig verhindern.  

Die Serie zeigt anhand der unterschiedlichen Perspektiven und Geschichten der einzelnen Protagonist*innen auf, wie komplex die Hintergründe und Motive von Intoleranz und Diskriminierung sein können und welche Tragweite Stigmatisierungs- und Exklusionsprozesse schon im jungen Alter annehmen können. Die Geschichte schafft es, auf eine verständliche und eindrückliche Weise darauf aufmerksam zu machen, dass es an Sensibilisierung und Verständigung über Probleme wie Antisemitismus oder Rassismus fehlt, ohne dabei den Anschluss an die Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen zu verlieren. Mit Blick auf eine weiterführende pädagogische Auseinandersetzung mit der Serie wäre es sinnvoll, auch die Rolle anderer Verantwortlichkeiten (Politik, Medien, …) in den Blick zu nehmen, um den Problemhorizont zu weiten und die kritische Denkfähigkeit und Resilienz von Heranwachsenden gegenüber gefährlichen Erklärungsangeboten, wie sie von extremistischen Gruppen und Verschwörungstheoretiker*innen eingesetzt werden, zu stärken. 

Lisa Melzer

 

Alle Folgen der Serie sind auf derKiKA-Website und in derZDF-Mediathekabrufbar. 

 


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