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Zwischen digitaler Achtsamkeit und ‚Zoommutung‘?

Digitale Resilienz angesichts der Herausforderungen in einer digitalisierten Lern- und Arbeitswelt stärken – Mit Lektüre-Tipps

 

Das Smartphone hat sich bei vielen Mediennutzer*innen inzwischen als ‚Homeoffice für die Hosentasche‘ etabliert. So werden E-Mails schon beim Frühstück beantwortet oder noch vor dem Zubettgehen geschrieben. „Auf diese Weise dehnt sich der Arbeitstag immer weiter künstlich aus und erzeugt […] das Gefühl, nie an ein Ende zu kommen“, konstatiert der Journalist Matthias Ehlert in seinem Essay-Bändchen ‚Homeoffice. Ein pandemisches Experiment‘. Durch die digitalen Technologien kommt es in der Lern- und Arbeitswelt immer mehr zu einer Entgrenzung von Lernen, Arbeit und Freizeit. Es fällt immer schwerer abzuschalten.  

Neben dem Dauereinsatz im Homeoffice und ständiger Erreichbarkeit sind etwa überfordernde Reizüberflutung, das Starren auf den Bildschirm, Online-Fatigue oder Unsicherheiten beim Technik-Umgang Herausforderungen, die es bisweilen zu bewältigen gilt. Aber auch Videokonferenzen werden mitunter als nervenaufreibend empfunden. Warum das für viele zu einer ‚Zoommutung‘ werden kann? „Nicht nur, dass sich die Zoom-Teilnehmer ständig von anderen beobachtet fühlen, sie beobachten sich zusätzlich auch noch permanent selbst“, findet Ehlert. 

Doch wie lässt sich nun souverän mit all diesen digitalen Herausforderungen umgehen? Wie lässt sich Abschalten lernen? Bei vielen perlt der Stress der Digitalisierung und hochdynamischen Arbeitswelt nämlich nicht auf Knopfdruck ab wie Wasser an einer Teflonpfanne.  

Wie eine Sportart lassen sich ‚Skills‘ wie Robustheit und Flexibilität, Gelassenheit, Ausdauer und Konzentration trainieren, die die Resilienz (Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit, Stabilität) stärken. Doch das ist eine lebenslange Lernaufgabe, denn angeboren ist Resilienz nicht. Dem müssen sich Berufstätige, Unternehmen oder Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten gleichermaßen bewusst werden.  

Als ‚Digitale Resilienz‘ bezeichnet die Professorin für Gesundheitspädagogik Katrin Keller „die innere Stärke eines Menschen, eines Teams und einer Organisation, um Konflikte, Misserfolge und Lebenskrisen zu meistern.“ Zusammen mit ihren Co-Autor*innen verknüpft sie in dem im jüngst erschienen ‚Mini-Handbuch Digitale Resilienz‘ auf eine spannende, eingängige Weise wissenschaftliche Theorien etwa aus Pädagogik und Lernpsychologie mit Erkenntnissen aus der unternehmerischen Praxis vor dem Hintergrund der sich veränderten Berufs- und Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Zum Autor*innenteam gehören Expert*innen verschiedener Generationen der Bereiche Betriebswirtschaft, Pädagogik, Erwachsenen- und Weiterbildung, Gesundheitspädagogik und Personalentwicklung. Sie widmen sich aus verschiedenen Blickwinkeln in fünf Themenschwerpunkten der Frage, wie sich Widerstandskraft für den heutigen digitalen (Arbeits-)Alltag aufbauen und trainieren lässt, um schwierige, insbesondere digitale Situationen in einer zukunftsorientierten Arbeitskultur meistern zu können (siehe auch Rezension des Buches in merz 02/2022 von Kati Struckmeyer). 

So gilt es sich etwa sich bewusst zu machen, dass zum Beispiel ständige Erreichbarkeit der Gesundheit schaden kann. Große Konzerne stellen in den Abendstunden die E-Mail-Server ab, damit ihre Mitarbeitenden nicht noch vor dem Schlafengehen in ihre Mails schauen.  

„Was genetisch geprägt wurde, nämlich der persönliche Zeittakt, wird nicht mehr beachtet“, konstatiert die promovierte Erziehungswissenschaftlern Eva Brandt in ihrem Buch ‚Zeitmanagement im Takt der Persönlichkeit‘. Dies könne durchaus für eine gewisse Zeitspanne gelingen, könne sogar einen kurzfristigen Kick erzeugen „– auf Dauer aber führt dieser Zustand in eine Erschöpfung“, schreibt die Autorin.  

Um dieser Erschöpfung vorzubeugen, hilft ein dem eigenen Rhythmus entsprechendes Zeit- und Selbstmanagement sowie Achtsamkeit mit sich selbst. Achtsamkeit ist zu einem Keyword einer digitaler werdenden Welt geworden. Die Buchläden sind voll von Ratgebern zu diesem Thema und Unternehmen schicken ihre Mitarbeitenden in Achtsamkeitsseminare. Doch auch im Lehr- und Lernalltag, in Schule sowie Aus- und Weiterbildung gilt es mehr denn je Faktoren, die digitale Resilienz und Achtsamkeit stärken, zu berücksichtigen. Ein didaktisch-methodisches Feuerwerk müssen Multiplikator*innen und Lehrende nicht zünden. Susanne Strobach und Mathieu Hess haben auf neurowissenschaftlicher Grundlage ein Repertoire an Ideen zusammengetragen. So braucht es für ein achtsames Leben bisweilen Geduld, Vertrauen oder Dankbarkeit. Doch das lässt sich nicht in einer Unterrichtsstunde oder Lerneinheit aneignen. Ein Projekttag sollte es dann doch zumindest sein.  

Was eine Ratgeber-Lektüre jedoch nicht ersetzen kann, ist dass jede*r auch für sich selbst verantwortlich ist oder um es mit den Worten von Matthias Ehlert zu sagen: „Das Recht auf Log-off und Ungestörtheit sollte offensiv eingefordert werden.“  

 

Heinrike Paulus 

 

 

Brand, Eva (2020). Zeitmanagement im Takt der Persönlichkeit. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. 199 S., 29,95 €.

Ehlert, Matthias (2022). Homeoffice. Ein pandemisches Experiment. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag. 80 S., 12,50 €. 

Scheuffele, Ines/Keller, Katrin/Kelle-Gilles, Nina Charlotte/Kindt, Angelika/Dreier, Rolf (2022). Mini Handbuch. Digitale Resilienz. Herausforderungen in einer (hoch-)Dynamischen Arbeitswelt. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. 190 S., 29,95 €.  

Strobach, Susanne/Hess, Mathieu (2021). Achtsamkeit in Wort und Bild. 60 Impulskarten für die professionelle Anwendung. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. 39,95 €.  

 

Zum ‚Mini-Handbuch Digitale Resilienz‘  gibt es eine ausführliche Rezension in der merz 2022/02 (ab dem 15. Juni 2022 auch kostenfrei online verfügbar). Mit Mitherausgeberin Angelika Kindt haben wir auch ein Interview zu ‚Digitale Resilienz‘ in unserer Podcast-Reihe ‚Gesundheit und Medien‘ auf mehr merz geführt.


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