SWIPE DES MONATS: Auszeit
Zumindest gefühlt wird das Leben und insbesondere das Arbeitsleben immer anstrengender. Vor allem die Digitalisierung hat ein Tempo in unser Leben gebracht, das viele zu überfordern scheint. Zugegeben, manchmal auch mich. Deshalb hat es mich sehr gefreut, als durch einen glücklichen Zufall vor einigen Jahren eine Hütte in der Fränkischen Schweiz quasi in unser Leben getreten ist. Traumhaft gelegen am Rande eines kleinen Weilers in einem Waldgrundstück mit eigenem kleinem Felsen. Anders als bei manchen kleinen Häuschen unserer Freunde ist der Luxus von Strom und fließend kaltem und warmem Wasser vorhanden und – als Inbegriff der Modernität – eine inhäusige Toilette. Der Kaminofen reicht aus, um auch bei eisigen Temperaturen eine mollige Wärme in die Hütte zu zaubern. Bei leichter körperlicher Gartenarbeit im selbstgewählten Arbeitstempo lässt es sich es gut entspannen. Also: insgesamt ein idealer Rückzugsort vom stressigen digitalen (Berufs-)Alltag.
Als besonders entschleunigend wurde uns von den Vorbesitzern angepriesen, dass es auf dem Grundstück mäßigen Telefonempfang gäbe und sich das Internet nur ab und zu mit dem Handy einfangen ließe. Aber auf dem Parkplatz des circa fünf Kilometer entfernten Einkaufszentrums wäre die Lage diesbezüglich schon wieder viel besser, so ihr Versprechen. Also noch ein Pluspunkt für mich als stressgeplagten Digital-Junkie, dachte ich. Einfach mal raus und nicht erreichbar sein. Wunderbar! Am Anfang fand ich das auch noch gut. Ich kaufte mir zwei Kettensägen und sägte erstmal ausgiebig Holz für die nächsten Winter. Einen kleinen Wermutstropfen gab es aber von Anfang an. Unser Sohn (damals 13 Jahre alt) weigerte sich hartnäckig, in einer Hütte zu übernachten, in der es keinen Internetempfang gab. Nach tagelangen, erbittert geführten Diskussionen (da war auch viel von Kinderrechten und digitaler Teilhabe und „du als Experte“ die Rede) gaben wir schließlich auf und setzten ihn immer am Abend in einen Zug, damit er zum Internet reisen konnte.
Letztlich war das aber gar nicht so schlimm, denn nun hatten wir als Paar unverhofft wieder etwas mehr Privatsphäre. Wer Kinder hat weiß, dass dies ein sehr knappes Gut ist. Allerdings ertappte ich mich nach mehreren Monaten häufiger dabei, dass ich beim Durchstreifen unseres Grundstückes immer wieder auf mein Handy schaute, ob sich nicht doch irgendwo ein Signal auffangen ließ. Muss ja nicht gleich LTE sein. Wanderer, die an unserem Grundstück vorbeikamen, blieben dann oft staunend am Zaun stehen und beobachteten das Geschehen. Einer fragte mich sogar, ob man jetzt auch schon mit dem Handy nach Metall suchen könne.
Eines Tages wurde ich dann fündig. Auf der Spitze unseres kleinen Felsens zeigte das Handy einen stabilen Internetempfang an – und sogar LTE. Man musste an einem bestimmten Punkt stehen bleiben, sonst war es sofort wieder vorbei mit dem Empfang. Mir kam der alte Stuhl in unserem Schuppen in den Kopf. Also Stuhl aus dem Schuppen geholt, am Felsen platziert und fixiert, dass man im Sitzen Empfang hatte. Seitdem verbringe ich jetzt die meisten Abende auf meinem neuen 4G-Stuhl, der zu meinem Lieblingsplatz geworden ist. Wenn die beste Ehefrau von allen in der Hütte liest, ziehe ich mich mit meinem Handy und einem Tablet auf meinen 4G-Stuhl zurück und genieße das Surfen in der Natur.
Mittlerweile hat das gute Stück auch eine stabile Überdachung gegen Regen, einen kleine Feuerschale gegen die Kälte und eine Polsterung, um längeres Verweilen zu ermöglichen. Ich überlege auch manchmal, ob ich nicht vielleicht ein Minihäuschen über den 4G-Stuhl bauen sollte - aber wer weiß, ob dann das Internet vielleicht nicht mit einzieht.
Klaus Lutz
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