Prof. Dr. Angelika Beranek
- Redaktion
Vita
Prof. Dr. Angelika Beranek hat Sozialpädagogik studiert. Von 2005 bis 2015 war sie im Infocafé, einer medienpädagogischen Jugendeinrichtung tätig. Seit 2015 ist sie Professorin an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München mit dem Schwerpunkt Medienbildung.
Aktivitäten
- Studiendekanin der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Medienbildung/Digitalisierung
- Leitung: media I culture I lab: Computerspiele - Medienausleihe - AV-Labor - Makerspace
- Studiengangsleitung: Master Soziale Arbeit, Forschung und Digitalisierung.
Beiträge in merz
Angelika Beranek und Sebastian Ring: Nicht nur Spiel – Medienhandeln in digitalen Spielwelten als Vorstufe zu Partizipation
Welche Partizipationspotenziale halten digitale Spielwelten und ihre Strukturen für heranwachsende Computerspielende bereit? Um ein besseres Verständnis von pädagogischen Handlungsbedarfen zur Förderung der Beteiligung in digitalen Spielwelten und partizipationsrelevanter Kompetenzen sowie von Ansprüchen an die Gestaltung digitaler Spiele und spielbezogener Kommunikationsplattformen zu erlangen, wird dabei ein Stufenmodell der Partizipation in digitalen Spielwelten entwickelt. Als Partizipation wird hierbei nicht nur politisches Handeln verstanden. Der Begriff wird weiter gefasst und auch Veränderungsmöglichkeiten der digitalen Spielwelten an sich werden als Teilhabemöglichkeiten an diesen Welten begriffen.
Literatur:
Consalvo, Mia (2007). Cheating. Gaining Advantage in Videogames. Cambridge: MIT Press.
Fatke, Reinhard/Schneider, Helmut (2005). Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland. Daten, Fakten, Perspektiven. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Fritz, Jürgen/Lampert, Claudia/Schmidt, Jan-Hinrik/Witting, Tanja (Hrsg.) (2011). Kompetenzen und exzessive Nutzung bei Computerspielern: Gefordert, gefördert, gefährdet. Berlin: Vistas.
Fritz, Jürgen (2011). Wie Computerspieler ins Spiel kommen, Theorien und Modelle zur Nutzung und Wirkung virtueller Spielwelten. In: lfm (Hrsg.), Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Band 67. Berlin: Vistas Verlag GmbH.
Gebel, Christa (2010). Kompetenz erspielen – kompetent spielen? In: merz | medien + erziehung, Nr. 4/2010, S. 45-50.
Hart, Roger (1997). Children’s participation. The theory and practice of involving young citizens in community development and environmental care. Reprinted. New York.
Hugger, Kai-Uwe (2008). Uses-and-Gratification-Approach und Nutzenansatz. In: Sander, Uwe/von Gross, Friederike/Hugger, Kai-Uwe (Hrsg.), Handbuch Medienpädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 173-177.
Huizinga, Johan (1956). Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt.
Jörissen, Benjamin (2010). Strukturale Ethnografie virtueller Welten. In: Grell, Petra/Marotzki, Winfried/Schelhowe, Heidi (Hrsg.), Neue digitale Kultur- und Bildungsräume. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 119-144.
Juul, Jesper (2005). Half-Real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge: MIT Press.
Krotz, Friedrich (2009). Computerspiele als neuer Kommunikationstypus. Interaktive Kommunikation als Zugang zu komplexen Welten. In: Quandt, Thorsten/Wimmer, Jeffrey/Wolling, Jens (Hrsg.). Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von Computergames. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 25-40.
Krüger, Thomas (2011). Politische Bildung online – Wege zur Partizipation Jugendlicher? In: Theunert, Helga/Wagner, Ulrike (Hrsg.), Alles auf dem Schirm? Jugendliche in vernetzten Informationswelten. München: kopaed, S. 139-153.
Kuhn, Axel (2010). Der virtuelle Sozialraum digitaler Spielwelten. Struktur und Auswirkungen auf das Spielerleben. In: Kaminski, Winfred/Lorber, Martin (Hrsg.), Computerspiele: Medien und mehr … München: kopaed, S. 129-146.
Oser, Fritz/Ullrich, Manuela/Biedermann, Horst (2000). Partizipationserfahrungen und individuelle Kompetenzen. Literaturbericht und Vorschläge für eine empirische Untersuchung im Rahmen des Projekts “Education à la Citoyenneté Democratique (ECD)” des Europarats. Universität Fribourg. edudoc.ch/record/29371/files/249.pdf [Zugriff: 18.05.2016].
Piasecki, Stefan (2015). Kondensstreifen der Online-Sozialisation. Videospiele als Zuträger von persönlichen Informationen und Verhaltensparametern. In: merz | medien + erziehung, Nr. 1/2015, S. 45-52.
Ring, Sebastian (2014). Im besten Sinne ‚gut‘ spielen. Kompetent computerspielen. In: Demmler, Kathrin/Lutz, Klaus/Ring, Sebastian (Hrsg.), Computerspiele und Medienpädagogik. Konzepte und Perspektiven. München: kopaed, S. 73-78.
Ring, Sebastian/Funiok, Rüdiger (2015). Harmloses Als-Ob, nützliches Lebenstraining, problematische Menschenbilder – Braucht es eigene ethische Maximen für Computerspiele? In: Prinzing, Marlies/Rath, Matthias/Schicha, Christian/Stapf, Ingrid (Hrsg.), Neuvermessung der Medienethik. Weinheim und Basel: Beltz, S. 177-190.
Schröder, Richard (1995). Kinder reden mit. Weinheim: Beltz.Soßdorf, Anna (2016). Zwischen Like-Button und Parteibuch. Die Rolle des Internets in der politischen Partizipation Jugendlicher. Wiesbaden: Springer VS.
Stange, Waldemar (2007). Was ist Partizipation? Definitionen – Systematisierungen. Baustein A 1.1. Online verfügbar unter www.kinderpolitik.de/beteiligungsbausteine/pdf/a/Baustein_A_1_1.pdf.
Theunert, Helga (2009). Medienkompetenz. In: Schorb, Bernd/Anfang, Günther/Demmler, Kathrin (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik. Praxis. München: kopaed, S. 109-204.
Unger, Alexander (2012). Modding as Part of Game Culture. A Handbook of Digital Games Studies. In: Fromme, Johannes/Unger, Alexander (Hrsg.), Computer Games and New Media Cultures. Dordrecht, New York: Springer, S. 509-523.
Wagner, Ulrike/Brüggen, Niels (2013) (Hrsg.). Teilen, vernetzen, liken. Jugend zwischen Eigensinn und Anpassung im Social Web. Baden-Baden: Nomos.
Wagner, Ulrike/Gerlicher, Peter/Brüggen, Niels (2011). Partizipation im und mit dem Social Web – Herausforderungen für die politische Bildung. Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung. www.jff.de/jff/index.php?id=74&type=0&jumpurl=uploads%2Fmedia%2FExpertise_Partizipation_Im_Social_Web_01.pdf&juSecure=1&locationData=74%3Att_content%3A428&juHash=4ea7a96e2471ad2a47a1ffa549af0f29ca269b13 [Zugriff: 18.05.2016].
Weiss, Wolfgang W. (1981). Überlegungen für ein theoretisches Modell politischer Sozialisation. In Klingemann, Hans-Dieter/Kaase, Max (Hrsg.), Politische Psychologie, S. 37-55. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Widmaier, Benedikt (2011). Von der Politikverdrossenheit zum Wutbürger? Partizipation als Ziel der politischen Bildung. In: Widmaier, Benedikt/Nonnenmacher, Frank (Hrsg.), Partizipation als Bildungsziel. Politische Aktion in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 7-15.
Wimmer, Jeffrey (2013a). Kontextualisierung versus Komplexitätsreduktion. Medienwirkung aus kulturtheoretischer Perspektive. In: Schweiger, Wolfgang/Fahr, Andreas (Hrsg.), Handbuch Medienwirkungsforschung. Wiesbaden: Springer, S. 119.
Wimmer, Jeffrey (2013b). Massenphänomen Computerspiele: Soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 81.
Zimmerman, Eric (2007). Gaming Literacy – Game Design as a Model for Literacy in the 21st Century. www.ericzimmerman.com/files/texts/Chap_1_Zimmerman.pdf [Zugriff: 18.05.2016].
Angelika Beranek/Anna Blumenschein: Zwischen Datenschutz und Lebensweltorientierung
Die Nutzung von WhatsApp in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist umstritten. In einer kleinen Studie im Landkreis Dachau wurden die Nutzungsweisen der dortigen Jugendarbeiterinnen und -arbeiter untersucht und Vor- und Nachteile sowie Nutzungsgewohnheiten analysiert. Aus den Ergebnissen lassen sich einige Forderungen an Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie an die Politik ableiten.
Literatur
Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg e. V. (AGJF) (Hrsg.) (o. J.). Offene Kinder- und Jugendarbeit. Grundsätze und Leistungen. Stuttgart. www. agjf.de/files/cto_layout/Material/PDFs/AGJF-Broschuere-web.pdf [Zugriff: 03.11.2017]
Bayerischer Jugendring (BJR) (2008). Empfehlungen des Bayerischen Jugendrings. Standards der Offenen Kinder-und Jugendarbeit in Bayern in Einrichtungen mit hauptberuflichem pädagogischem Fachpersonal. München. www.bjr.de/netzwerk/offene-jugendarbeit.html [Zugriff: 30.11.2017]
Calmbach, Marc/Borgstedt, Silke/Borchard, Inga/Thomas, Peter Martin/Flaig, Berthold Bodo (2016). Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von 69 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Dürscheid, Christa/Frick, Karina (2014). Keyboard-to-screen-Kommunikation gestern und heute. SMS und WhatsApp im Vergleich. In: Mathias, Alexa/Runkehl, Jens/ Siever, Torsten (Hrsg.), Sprachen? Vielfalt! Sprache und Kommunikation in der Gesellschaft und den Medien. Eine Online-Festschrift zum Jubiläum von Peter Schoblinski. Networx Nr. 64, S. 149–181. www.mediensprache.net/networx/networx-64.pdf [Zugriff: 21.11.2017]
Knop, Karin (2017). Social Media. In: Schorb, Bernd/ Hartung-Griemberg, Anja/Dallmann, Christine (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik. München: kopaed.
Kutscher, Nadia (2013). Virtuelle Soziale Netzwerke als Herausforderung für eine mediatisierte Soziale Arbeit. In: Steiner, Olivier/Goldoni, Marc (Hrsg.), Kinder- und Jugendarbeit 2.0. Grundlagen, Konzepte und Praxis einer medienbezogenen Sozialen Arbeit. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Mayring, Phillipp (2003). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2018). JIM-Studie 2018. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM_2018_Gesamt.pdf [Zugriff 23.12.2018]
Siever, Torsten (2014). Digitale Welt: Kommunikative Folgen und Folgen der Kommunikation. In: Mathias, Alexa/ Runkehl, Jens/Siever, Torsten (Hrsg.), Sprachen? Vielfalt! Sprache und Kommunikation in der Gesellschaft und den Medien. Eine Online-Festschrift zum Jubiläum von Peter Schoblinski. Networx Nr. 64, S. 149–181. www. mediensprache.net/networx/networx-64.pdf [Zugriff: 21.11.2017]
Steiner, Olivier (2013). Soziale Arbeit und kritische Medientheorie. Zur Grundlegung einer medienbezogenen Kinder- und Jugendarbeit. In: Steiner, Olivier/Goldoni, Marc (Hrsg.), Kinder- und Jugendarbeit 2.0. Grundlagen, Konzepte und Praxis einer medienbezogenen Sozialen Arbeit. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Wolfgang Reißmann/Dagmar Hoffmann/Angelika Beranek: Editorial: Sexualität und Medien
Spätestens seit den 1980er Jahren haben sich Medienpädagog*innen mit sexualbezogenen Vorbildern und Orientierungen auseinandergesetzt, die von Filmen, Serien, Musikvideoclips oder Werbung ausgehen. Auch damals standen schon Aneignungs- und Wirkungsfragen im Mittelpunkt. Später wurden dann die neuen Möglichkeiten des Internets, Sexualität auszuleben und auszuprobieren und damit einhergehend erste Ansätze der Internetpornografie diskutiert.
Seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts sind Datingplattformen, Castingshows oder Porno Rap bewegende Themen. Hinzu kommen Debatten über Sexting und sexualisierte (Self) Celebrification in Plattformen. Deutlich gestiegen ist zudem die Aufmerksamkeit für Menschen mit sexuellen Identitäten, die über die binäre und heteronormative Geschlechtermatrix hinausgehen.
All diese Themen haben auch im Jahr 2021 ihre Aktualität nicht verloren. Gemeinsam mit weiteren Entwicklungen wie der 2017 entstandenen #MeToo-Bewegung und der intensivierten Mediendiskurse über sexualisierte Gewalt (unter anderem in Medienbranche und Kirche) formen sie das weite Themenspektrum, in dem das Thema ‚Sexualität und Medien‘ heute zu behandeln ist.
Jugendliche eignen sich die medialen Bilder und Diskurse über Sexualität ihrer Zeit – das ist die Konstante – aktiv an und entnehmen ihnen Anregungen und Orientierungen für die Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben. Sie identifizieren sich, sie grenzen sich ab, sie entwickeln Haltungen. Die sie umgebende Medienökologie und deren Struktur prägen sie. Mit ihrer eigenen Kommunikation und Selbstpräsentation gestalten sie diese Umgebung aber auch mit. Wer in welchem Alter mit welchen Inhalten und Ästhetiken in Berührung kommt und diese wie verarbeitet oder selbst produziert, lässt sich immer weniger auf einen Nenner bringen. Nutzungsmuster sind divers und es kann nicht von ‚der Jugend‘ oder ‚den Erwachsenen‘ gesprochen werden.
Die öffentlichen Debatten um das Verhältnis von Sexualität und Medien – auch das eine Konstante – werden hingegen zumeist von ihrem negativen Ende aus geführt. Früher wie heute stehen die vermeintlichen oder tatsächlichen Entwicklungsbeeinträchtigungen im Mittelpunkt, die von den digitalen Medienangeboten wie aktuell etwa Onlyfans oder Fernsehformaten wie ‚Naked Attraction‘ (RTL2) ausgehen (können).
Bei der Ausarbeitung des vorliegenden Schwerpunkts leiteten uns zwei Grundsätze:
Zum einen wollten wir ganz bewusst kein Pornografieheft gestalten. Zu oft wird das Thema ‚Sexualität und Medien‘ auf dieses Phänomen reduziert. Das Gleiche gilt für die einseitige Betonung von Risiken. Wohl aber interessierten uns die Grenzbereiche. Sexting etwa beschäftigt Medienpädagogik sowie Jugend- und Sozialarbeit weiterhin, es gehört in dieses Heft. Zudem ist sexualisierte und mithin pornografienahe Ästhetik Teil medialer Alltagskultur. Musikstars und Celebrities wie Katja Krasavice haben damit großen Erfolg. Diese Bezüge sollten aus verschiedenen disziplinären Perspektiven beleuchtet und kritisch reflektiert werden.
Zum anderen standen wir vor der Herausforderung, der Vielfalt des Themas gerecht zu werden. Die Themenliste oben zeigt an, was alles in dieser merz hätte ‚drin‘ sein können. Die hier versammelten Artikel stehen in einem doppelten Sinn stellvertretend für diese Vielfalt. Einerseits verweisen sie auf die mediale Vielfalt: von technisch-medialem Sexspielzeug, über Serienformate, bis hin zu Plattformen wie Instagram und YouTube sowie medialem Storytelling. Andererseits stehen die Artikel für thematische Schwerpunktsetzungen. Sie bearbeiten ganz konkrete Gegenstände, die jedoch allesamt für größere Felder und Fragen stehen, die hier nur angedeutet werden können. Im Laufe der Erarbeitung des Heftes ergab sich ein nicht intendierter Fokus auf die Zielgruppe der Jugendlichen, der in den meisten Beiträgen zu finden ist. Natürlich ist das Themenfeld eigentlich weiter zu sehen, da Sexualität kein exklusives Jugendthema ist.
Nadine Beck beschäftigt sich als Kulturwissenschaftlerin und -historikerin mit der Geschichte des Vibrators. Ihr Artikel steht stellvertretend sowohl für das Feld der Autoerotik als auch den Zusammenhang von Technik/‚Werkzeugen‘, Intimität und Medien, die unter digitalen Bedingungen weiter zusammenwachsen. Beleuchtet werden verschiedene Verwendungszwecke der Vibratoren in ihrer Frühzeit, ihre Tabuisierung und Etablierung durch Ratgeberliteratur, Sexspielzeugversandshops und auch das zunehmende Verlangen nach sexueller Selbstbestimmung. Die Autorin beschäftigt sich mit der Werbung und gesellschaftlichen Akzeptanz von Vibratoren sowie dem Design und der Technik, welche sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Wenngleich Beck historisch arbeitet, ist das bearbeitete Sujet ein Zukunftsthema. Heute ist nicht abzuschätzen, inwiefern VR-Brillen, Sensortechnik und taktile Technologien die Auto-, Paar- oder auch Gruppensexualität verändern und wie weit sie gegebenenfalls unter jungen Erwachsenen verbreitet sein werden.
Ganz nah an der medialen Gegenwart ist Moritz Stocks Analyse der viel besprochenen, äußerst erfolgreichen Netflix-Serie ‚Sex Education‘. Der Soziologe legt dar, wie die Serie vielfältige Erscheinungsformen jugendlicher Sexualität und zugehörige Probleme sichtbar macht. Es gelingt ihr auf humorvolle Weise Möglichkeiten zeitgemäßer Sexualaufklärung zu reflektieren, aber dennoch stets die Belange junger Menschen ernst zu nehmen. Gewissermaßen agiert sie insofern selbst als sexualpädagogische Akteurin und kann Jugendlichen eine Hilfe sein bei der Bearbeitung eigener sexual- und geschlechtsbezogener Entwicklungsthemen und vor allem bei der Konstruktion einer sexuellen Identität. Auch Stocks Beitrag verstehen wir als exemplarische Analyse. Sie steht für die Vielfalt an medialen Formen und Formaten, über die Jugendlichen sexuelle Bildung heute vermittelt wird.
Um sexuelle Bildung geht es auch im Beitrag von Lee Jansen. Ausgangspunkt ist die Diagnose, dass die schulische Sexualbildung die Lebenslagen und Fragen queerer Jugendlicher bislang nur unzureichend berücksichtigt. Peer-to-peer-Projekte suchen diese Schwäche des Bildungssystems auszugleichen. Sie fungieren als Anlaufstellen und Beratungsinstanzen für queere Jugendliche ebenso wie für Menschen, die sich über queere Sexualität und Identitäten informieren möchten. Jansen entfaltet ein Verständnis, wie queere Sexualaufklärung aussehen sollte und bespricht exemplarisch Instagram-Accounts verschiedener Projekte. Ein Zwiespalt der hier geleisteten Medienarbeit besteht in den Potenzialen der semi-öffentlichen Accounts, niederschwellig queere Jugendliche anzusprechen, und zugleich Zielscheibe für queerphobe Angriffe zu sein. Was für sexuelle Bildung immer gilt, gilt hier insbesondere: es braucht ‚safe spaces‘, in denen sich die Jugendlichen sicher fühlen.
Der Beitrag von Christina Witz widmet sich dem Phänomen Sexting. Nach den aufgeregten Debatten der letzten Jahre, wird Sexting nun wesentlich differenzierter gesehen. Hierbei stehen zwei Kernbotschaften im Mittelpunkt, die für Präventions- und Interventionsangebote zentral sind: Weg von der Opfer- zur Täteradressierung und eine Betrachtung der Rolle der Genderstereotype. Anhand des Beitrags können Pädagog*innen und Eltern gut nachvollziehen, wann Sexting unbedenklich ist, und wo und wann Missbrauch ins Spiel kommt. Auch dieser Beitrag steht stellvertretend für ein größeres Feld, in diesem Fall die mediatisierte Beziehungs- und Intimkommunikation. Anstatt Sexting vorschnell als unbedachtes und bloß riskantes Verhalten zu brandmarken, wird es hier – ohne Folgeprobleme auszublenden – akzeptierend als Teil medialen Alltagshandelns gefasst.
Nicola Döring behandelt in ihrem Beitrag die aktuelle Debatte über die Pille in Sozialen Medien. Mit Hashtags wie #pille oder #hormonfrei findet bei Instagram, TikTok und Co. eine Debatte unter jungen Menschen statt, in der das Absetzen der Pille als Befreiung zelebriert wird. Döring geht diesem Trend nach und ordnet ihn in den Stand der medizinischen Forschung zur Pille ein. Insgesamt verweist der Beitrag auf die große Rolle von Sozialen Medien als Diskursplattformen, in denen heterogene Ansichten und Erfahrungen artikuliert und verhandelt werden und von verschiedenster Seite Ratschläge und Tipps gegeben werden. Es ist davon auszugehen, dass für Jugendliche YouTube heute eine zentrale Informationsquelle ist, nicht nur zur Pille, sondern ebenso zu Fragen bezüglich Annäherung und Flirtverhalten, Liebeskummer, Menstruationsbeschwerden, Erektionsstörung und vielem anderen mehr. Medienpädagogik ist hier gefragt, um Jugendlichen zu helfen, die verschiedenen Quellen, Wahrheitsgehalte und Agenden der Akteur*innen differenzieren zu können.
Wolfgang Reißmann und Charlotte Horsch wenden sich im letzten Beitrag des Thementeils der Erotik-YouTuberin und Musikerin Katja Krasavice zu. Sie deuten Krasavice als Beispiel für einen Typus social-media-getriebener Karrieren, in denen (weibliche) Selbstsexualisierung und Plattformlogik ineinandergreifen. Hierbei verzahnen sich geschicktes mediales Marketing, das Spielen mit bzw. die Inszenierung von Tabubruch, und eine sexualisierte Selbstpräsentation, die dem kulturellen Muster der ‚phallischen Frau‘ folgt – hypersexuell und ultrasouverän zugleich. Interessant an Krasavice als exemplarischem Fall ist zudem die Vertiefung, die sie über biografische Berichte aus der Familiengeschichte in der öffentlichen Wahrnehmung momentan erfährt. Über diesen Einzelfall hinaus steht der Beitrag für eine Reihe an jungen, weiblichen Social Media Celebrities, die über den Weg der Selbstsexualisierung Anerkennung und Erfolg erfahren. Dazu zählen Akteur*innen wie Shirin David und Loredana, die als Vorbilder insbesondere für jüngere weibliche Jugendliche fungieren.
In der Summe lassen die verschiedenen Beiträge die Vielschichtigkeit des Themas erahnen. Das gilt letztlich ebenso für die Interpretationsperspektiven der Autor*innen, die teils anwaltschaftlich und im positiven Sinn parteiisch auftreten, teils kritisch argumentieren, teils die emanzipativen Potenziale betonen. Auch damit spiegelt das Heft die (traditionell) heterogenen Sichtweisen, mit denen auf den Zusammenhang von Medien und Sexualität geblickt wird. Mehr denn je gilt es wohl angesichts der Vielfalt sowohl des Sexuellen als auch des Medialen, die Adressat*innen medienpädagogischer Arbeit dort abzuholen, wo sie stehen. Wir hoffen, mit dieser merz für die medienpädagogische Praxis hilfreiche Impulse aus der Wissenschaft und selektiv Orientierungswissen bereitstellen zu können.
Auch diese merz wird von Expert*inneninterviews in unserem Podcast ‚mehr merz‘ erweitert. Neben dem Fachredakteur*innen-Talk wird es zwei begleitende Podcast-Folgen geben. Elke Prochazka ist Initiatorin des Projekts SexTalks; einem Projekt, das Jugendlichen und auch Multiplikator*innen zeigt, wie das Internet als wichtige Informationsquelle zum Thema Sexualität richtig genutzt werden kann. Mit den negativen Aspekten von Sexualität und Internet hat Miriam Zwicknagel von AMYNA e.V., einem Verein zur Abschaffung von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt, zu tun. Mit Präventionsprojekten schult AMYNA etwa Fachkräfte im Umgang mit sexuellem Missbrauch in digitalen Medien. Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß lehrt an der Hochschule Merseburg im Studiengang Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung und spricht im Interview über die Rolle der Medien in der Entwicklung von Geschlechtertheorien und Geschlechterkonstruktionen sowie die Möglichkeiten, die Jugendlichen in Bezug auf ihre sexuelle Bildung und Entwicklung in den Medien bzw. mit Medien heute geboten werden. Schließlich stellt Annika Spahn von queerlexikon.net ihr Projekt vor, das eine Online- Anlaufstelle für lesbische, schwule, bi+sexuelle, a_sexuelle, a_romantische, trans, nicht-binäre, inter*, polyamouröse und queere Jugendliche und Kinder aus Regenbogenfamilien darstellt.
Angelika Beranek/Emily Engelhardt/Eike Rösch: Editorial. Medienpädagogische Perspektiven auf Künstliche Intelligenz
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Künstliche Intelligenz ist sicher das Thema der jüngsten Zeit, wenn es um technologische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft geht. Durch die erhöhte Zugänglichkeit und öffentliche Aufmerksamkeit seit Veröffentlichung von ChatGPT wird vor allem generative KI breit diskutiert. Die große Aufregung um diese Anwendungen fordert einmal mehr die Medienpädagogik heraus und setzt diese unter Druck, angemessen zu reagieren, sich zu positionieren und entsprechende Angebote nicht nur für Kinder und Jugendliche zu entwickeln.
Die Brisanz des Themas zeigt sich auch in den zahlreichen Sonderheften, die in letzter Zeit an anderer Stelle zu diesem Thema erschienen sind. Mit diesem Themenheft wird das Spektrum weiter ergänzt. Zentral ist hierbei die medienpädagogische Perspektive auf KI – und zwar über den aktuellen Fokus auf generative KI hinaus. Um diese Perspektive breit aufzumachen, legen die beiden Grundsatzartikel den Schwerpunkt auf die Relevanz von Medienkompetenz im eher theoretischen Diskurs. Ergänzt wird dies durch praktische Ansätze. Dabei versuchen wir uns an einem ruhigen Blick, mit dem die vielseitigen Implikationen für die Medienpädagogik in Theorie und Praxis aufgegriffen und nicht vorschnell Schlussfolgerungen gezogen werden. Denn angesichts der großen Dynamik des Themas werden wir schon in kurzer Zeit viele neue Erkenntnisse zu Künstlicher Intelligenz gewinnen.
ZUR AUSGABE
Im ersten Beitrag stellt Andreas Büsch dar, inwieweit die klassischen MedienkompetenzKonzepte und Definitionen angesichts von KI noch greifen. Er geht davon aus, dass Teile der Konzepte durchaus auf KI anwendbar sind. Die zentrale Frage jedoch ist, ob das Ziel medienpädagogischer Bemühungen, aus ‚Konsument*innen Produzent*innen zu machen‘ noch haltbar ist. Hier stellt er fest, dass die Medienpädagogik angesichts von KI einer qualitativ neuen Herausforderung begegnet. Thomas Knaus erweitert diese Perspektive auf KI und stellt ebenso wie Büsch fest, dass KI kein ‚neuer Hype‘ ist, sondern dass die aktuellen Veränderungen mehr Evolution als Revolution darstellen. Sein Text beleuchtet darüber hinaus die grundlegenden Funktionsweisen KI-basierter Techniken und skizziert deren gesellschaftliche Bedeutung. Daraus leitet er ab, warum KI durchaus ein Thema für die Medienpädagogik sein sollte.
Lea Uhlenbrock führt in ihrem Artikel durch die Landschaft der KI-generierten Inhalte, darunter Bilder, Texte und Videos. Sie beleuchtet die Mechanismen der Technologie und deren wachsenden Einfluss auf die Medienwelt. Der Artikel bietet praktische Checklisten, die als Werkzeuge zur Identifizierung und kritischen Bewertung von KI-generierten Medien dienen. Künstliche Intelligenz kann Gegenstand und Mittel von Aktiver Medienarbeit sein. In einem Interview gibt Sonja Breitwieser Einblicke in die Perspektiven von Jugendlichen und spricht über Ansatzpunkte und Potenziale von Künstlicher Intelligenz in Projekten der Aktiven Medienarbeit. Ergänzend zeigen vier Steckbriefe verschiedene Ansätze von Praxisprojekten mit unterschiedlichen Zielgruppen auf.
Dieses Themenheft soll dazu beitragen, das Thema KI in der Medienpädagogik auch theoretisch zu fassen und gleichzeitig Anregungen geben, wie eine gelungene Aktive Medienarbeit zum Thema KI aussehen kann.
VO R ST E L LU N G D E S T I T E LT H E M A S D U R C H C H ATG P T
Die vorliegende Ausgabe widmet sich einem Thema von brennender Aktualität: dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Medienpädagogik. KI, weit mehr als ein modisches Schlagwort, ist ein Treiber für Innovationen und gestaltet die Medienbildung neu. Durch einen spezifischen Fokus auf Medienkompetenz und eine vertiefte medienpädagogische Betrachtung unterscheidet sich dieses Heft von anderen Publikationen zu diesem Thema. Angesichts der rasanten Entwicklung der KI-Technologien steht die Medienpädagogik vor großen Herausforderungen, bietet jedoch ebenso einzigartige Chancen. Die Schnelllebigkeit dieser Technologien macht es schwierig, stets aktuelle Inhalte zu liefern, doch genau dies betont die Wichtigkeit, medienpädagogische Konzepte stetig zu hinterfragen und zu erneuern. In diesem Heft verknüpfen wir theoretische Grundlagen mit praktischen Erfahrungen und bieten eine Mischung aus beidem: von der Integration der KI in pädagogische Ansätze bis hin zu konkreten Anwendungsbeispielen aus der Praxis. Diese Kombination soll Ihnen helfen, effektiv in einer von KI geprägten Welt zu lehren und zu lernen. Die Artikel reflektieren die laufende Diskussion und verdeutlichen, wie KI sowohl als Herausforderung als auch als Bereicherung für die Medienbildung gesehen werden kann. Das Heft dient als Ressource, die zum Nachdenken anregt und praktische Handlungsansätze aufzeigt. Wir ermutigen Sie, die Beiträge zu erkunden, die praktischen Erfahrungen zu reflektieren und Ihre eigenen Ansätze kritisch zu überdenken. Möge diese Ausgabe Sie inspirieren, die Rolle der Medienpädagogik in der Ära der KI neu zu definieren.
Dr. Angelika Beranek ist Professorin für Grundlagen der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Medienbildung an der Hochschule München. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit den Auswirkungen der digitalen Transformation auf Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit.
Emily Engelhardt ist Professorin für Digitale Transformation in Sozialen Handlungsfeldern und Gesellschaft an der Hochschule München. Ihr Fokus liegt auf dem Thema Onlineberatung und der Frage, welche Kompetenzen Sozialarbeiter*innen im Zeitalter des digitalen Wandels benötigen. Aktuell erforscht sie die Möglichkeiten, generative KI im Kontext von (Online-)Beratung zu nutzen.
Dr. Eike Rösch ist beim Verein Radarstation in Zürich tätig. Er begleitet und unterstützt dort Organisationen und Fachpersonen bei der Verortung von Digitalität in der Soziokultur. Zudem erforscht er die sozialraumbezogene Entwicklung von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit unter den Bedingungen von Digitalität.