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SWIPE DES MONATS: Entschleunigung

Im Leben geht einem so manches verloren: Die Jugend, die Haare, die Geduld, die Merkfähigkeit, das Sehvermögen und vieles mehr. Daneben gibt es auch mysteriöse Verluste zu beklagen: Socken zum Beispiel. Ein jeder kennt dieses Phänomen: Ein Häufchen oder eine Schublade, wo einzelne Socken aufbewahrt werden für die – trotz intensiver Suche – kein Gegenstück mehr zu finden ist. Die meisten Menschen haben ihre Waschmaschine in Verdacht und sind der festen Überzeugung, dass sie es einfach nicht lassen kann, ab und zu einen Socken zu verspeisen.

Ein für mich neues Phänomen ist aber, dass ich mich immer häufiger auf die Suche von elektronisch übermittelten Nachrichten mache. Man kann sich den Vorgang ähnlich vorstellen wie die Suche nach dem Schlüssel. Man weiß genau, dass man ihn irgendwo in der Wohnung abgelegt hat, nur nicht genau wo. Zuerst beginnt man die noch einigermaßen nachvollziehbaren Orte zu durchsuchen, wie die Jackentasche, das Sofa oder die Schubladen der Kommode. Mit zunehmender Verzweiflung ist man aber auch bereit den Mülleimer auszuleeren, unter das Bett zu kriechen oder den Siphon vom Waschbecken abzuschrauben.

Obwohl ich von mir behaupten würde „Kommunikation ist mein Geschäft“, suche ich in der letzten Zeit häufiger als mir lieb ist nach elektronischen Nachrichten als nach Gegenständen wie Schlüssel, Geldbeutel oder Handy. Die virtuelle Schnitzeljagd läuft dann so:

Ich komme ins Büro und kann mich dunkel erinnern, am Morgen beim flüchtigen Checken meiner unterschiedlichen Kommunikationskanäle wie E-Mail, Teams, WhatsApp, Facebook, Instagram, SMS, Rocket Chat und Threema eine wichtige Nachricht der Kulturreferentin des Bezirks Mittelfranken gesehen zu haben, auf die ich natürlich umgehend antworten möchte. Der Übermittlungsweg ist mir leider entfallen. Also durchsuche ich erst mal alle E-Mailfächer (auch den Spam Filter) – nichts. Dann als nächstes Teams: Erst mal den richtigen Kanal suchen – auch nichts. Facebook Messenger – ebenfalls Fehlanzeige. Gut, was nun? Es bleibt leider nur die Verlustanzeige beim Absender: Also anrufen und zugeben, dass man aus Versehen die Mail gelöscht hat und nachfragen, worum es eigentlich geht. Zum Glück ist die Kulturreferentin erreichbar. Im Gespräch stellt sich heraus, dass es keine Mail war, sondern eine WhatsApp-Nachricht. Jetzt fällt es mir wieder ein – nur leider war ich beim Suchen nicht auf die Idee gekommen, das hohe Amt mit etwas Banalem wie WhatsApp zu verbinden. Gut, Problem gelöst. Dann fällt mit auf, dass ich immer noch keine Nachricht wegen des Grußworts der Interdisziplinären Tagungen des JFF bekommen habe und frage telefonisch nach. Die Antwort „die Nachricht ist doch per Teams schon längst an alle raus“ verunsichert mich erheblich, denn: Ich kann die Nachricht nicht finden. Nach längerer gemeinsamer Suche stöbern wir die die Information auf. WO??? Bis heute weiß ich nicht, wie sie da hingekommen ist und wie ich sie dort jemals wiederfinden soll. Aber egal: Teams ist aus meiner Sicht ohnehin ein modernes Bermudadreieck und einzig und allein dafür programmiert, unsere Kommunikation auf lange Sicht wieder zu entschleunigen. Denn genauso wie ich immer noch auf der Suche nach Socken bin, die schon vor Jahren von der Waschmaschine gefressen wurden, so bin ich auch immer noch auf der Suche nach Nachrichten, die mich eigentlich über Teams erreichen sollten – Werde ich dann fündig, überrasche ich Monate nach dem Versenden der Nachricht jemanden kolossal mit meiner Antwort.

Am interessantesten ist aber eine Kommunikation über SMS, die ich nur noch mit wenigen Menschen führe, unter anderem mit meiner Frau. Da braucht eine Nachricht von Büro zu Büro für 3 Kilometer Luftlinie mal gut und gerne drei Tage. Wenn das nicht Entschleunigung ist.

Klaus Lutz


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