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SWIPE DES MONATS: Hotline

Nein, ich gehöre nicht zu den Digital Natives, sondern zur Gruppe der Digital Immigrants. Auf meinen Elternabenden zu „Aufwachsen mit Medien“ betone ich immer, dass ich erst ein Kind bekommen habe, und dann Jahre später das erste Handy. Aber dennoch denkt meine Verwandtschaft – die auch immer älter wird, ich bin der Jüngste von fünf Kindern –, dass ich mit dem Handy und dem Internet aufgewachsen bin und auf all ihre technischen Fragen eine Antwort hätte. Mich wundert das immer wieder, da sie meine Kindheit und Jugend doch hautnah miterlebt haben. Damals, als ich als Kind beispielsweise kein Handy zur Verfügung hatte, um einen Hilferuf an unsere Mutter abzusetzen, weil mich meine Schwester wieder einmal für eine Stunde an einen Baum gebunden hatten, um ihre Ruhe zu haben. Auch der Verweis darauf, dass der Beruf eines Medienpädagogen nichts mit dem eines IT-Spezialisten zu tun hat, verfängt wenig. Aus dem Blickwinkel von 80-Jährigen ist man auch im Alter von 60 Jahren ein Digital Native. Irgendwie schmeichelhaft.

Dennoch nehmen solche „Fernwartungsgespräche“ manchmal einen lustigen Verlauf. So erst die kürzlich stattgefundene Beratung zur Online-Bestellung beim Getränkelieferdienst.

Die Vorgeschichte: Das auch bei Senior*innen immer beliebtere Self-Tracking hat ergeben, dass es bei schwankenden Blutdruckwerten und einer unrhythmischen Herzfrequenz vielleicht doch besser wäre, unnötige Anstrengung durch schwere körperliche Arbeit zu vermeiden. Daher folgte eine WhatsApp-Nachricht von Onkel Werner und Tante Gisela mit der Bitte, zeitnah für den Einkauf von Getränken zu sorgen. Nach einigem Nachdenken antwortete ich, ob nicht vielleicht ein Lieferdienst eine Lösung sein könnte – und schickte direkt den Link eines lokalen Anbieters mit.

Die Fernwartung: Kaum 30 Minuten später klingelte mein Handy, Werner war dran: „So jetzt bin ich auf der Seite deines Links und versuche eine Lieferung zu ordern. Ich komme nur nicht so richtig voran, denn jetzt wollen die was wegen der Bezahlung wissen. Es gibt da Piball, Kreditkarte oder Kontonummer. Ich will aber meine Kontonummer nicht hergeben, wer weiß, was die damit machen.“ Mühsam erklärte ich, dass auch der Lieferdienst vorab sicherstellen möchte, dass er bezahlt wird und man quasi – ähnlich wie beim Lottoladen um die Ecke – eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung aufbauen müsse. Mein Argument fand Gehör und Werner bestellte seine „Eingabehilfe“ zum Laptop. Die hilfsbereite Gattin meinte: „Also, in deinem Internet kenne ich mich nicht aus, Werner“ und klickte offenbar auf den Zurück-Button, was zur Löschung sämtlicher eingegebener Daten führte. Also alles nochmal von vorne. Schließlich vermeldete Werner, dass jetzt der Kaufen-Button aufgetaucht sei und drückte ihn nach gutem Zureden weisungsgemäß. Aber – es passierte nichts. Auf meinen Hinweis, dass das System bestimmt einen Plausibilitätsfehler erkannt habe, der im Formular jetzt rot umrandet sichtbar sein müsste, machten sich Werner und Gisela auf die Suche ... und fanden bei der Eingabe des Stockwerkes die rot gefärbte „-1“. Ich bat sie um Korrektur, schließlich wohnen sie im ersten Stock. Das stieß nur auf wenig Verständnis, denn „die Getränke sollen doch in den Keller“. Nach der Korrektur ging die Bestellung durch und es kam die Bestätigungsmail, die mir Gisela auszugsweise vorlas: „Willst du die App herunterladen und einen 5-Euro-Gutschein mit Freunden teilen? Willst du die Lieferung tragen?“ Empört wies Gisela mich darauf hin, dass ich doch von einer Lieferung vor die Wohnungstür gesprochen hätte und sie ihre Getränke eben nicht selbst tragen wolle. Ich versprach, die Lieferung an die Tür – und verschob die Aufklärung über das Tracken von Lieferungen auf irgendwann einmal. Auch zeigte sich Giesela verwundert über die Frage, ob sie sich als Fahrer bewerben wolle. Ich beruhigte beide, da sie ja ihre Kontonummer eingeben hatten und deshalb ihre Bestellung nicht abarbeiten müssten.

Am nächsten Tag vermeldete Gisela die erfolgreiche Lieferung per WhatsApp und fragte sichtlich euphorisiert, wann wir uns über das Tracken unterhalten können; und so ein Piball-Konto würde sie eigentlich auch gerne eröffnen. Tja, auf das Fernwartungsgespräch freue ich mich jetzt schon!

Klaus Lutz

 

PS.: Sehr geehrte Leserschaft, im August wird es keinen frischen 'Swipe des Monats' geben, denn ich werde den Sommer dazu nutzen, Menschen bei ihrer Mediennutzug zu beobachten, um neue Ideen zu sammeln. Also – bleiben Sie wachsam!


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