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SWIPE DES MONATS: Wie ich zum Panzerknacker wurde

Als Kind habe ich sie geliebt, die Filme mit Panzerknackern und Meisterdieben. Es nötigte mir immer höchsten Respekt ab, wenn es den Einbrecher*innen gelungen war, die meterdicke Stahltür eines Tresorraums aufzubrechen um dort Goldbarren, Wertpapiere oder Bargeld zu stehlen. Schon die Vorbereitungen, um überhaupt an den Tresor zu gelangen waren oft abenteuerlich. Da wurden nächtelang Tunnels unter einem Haus gegraben, um dann über einen Durchbruch in einen ungenutzten Keller und von dort in den Tresorraum zu gelangen. Zur Vorbereitung gehörte auch immer die Versammlung der ganzen Diebesbande in ihrem Hauptquartier um einen Tisch, auf dem ein detaillierter Plan von Lüftungsschächten, Abwasserleitungen und den Kellerräumen der Nachbargebäude lag. Meist wurde vom Anführer der Bande dann der Plan erläutert und mindestens ein Bandenmitglied zweifelte die Machbarkeit an, da die Zeit zwischen den Wachdienstrundgängen zu kurz oder die Tresortür zu dick sei. Angesichts der zu erwartenden Beute ließen sich aber nach kurzem Disput stets alle auf den Vorschlag ein und übten forthin fleißig für ihr Vorhaben. Bei der Umsetzung des Plans konnten die Spezialist*innen dann ihr Können beweisen: Da wurden mit wassergekühlten Diamantbohrern die Schlösser bearbeitet, mit dem guten alten Stethoskop versucht, die Kombination des Tresors zu „erhören“, mit Schweißbrennern die dicken Stahlplatten durchtrennt oder einfach mit Plastiksprengstoff ein Loch in den Tresorraum gesprengt.  Der Sprengstoff und die Diamantbohrer von heute sind Passwörter und Identifikationscodes. Sie stellen mich - wie früher die Panzerkacker - nicht selten vor knifflige Aufgaben und zwar sogar dann, wenn ich nicht fremdes Vermögen stehlen, sondern nur im virtuellen Tresor nach meinem Geld schauen möchte! Denn vor einiger Zeit legte ich ein bisschen Geld zur Seite, um die prognostizierte Lücke zwischen Erwerbseinkommen und Rente zu schließen. Damit das Geld nicht weniger werden möge, sondern vielleicht etwas mehr, investierte ich es bei einen der vielen Internetbanken. Natürlich nur in nachhaltige, moralisch unbedenkliche Produkte und nicht in Aktien, die der Umwelt schaden und nicht in Firmen, die ihr Geld mit Kinderarbeit verdienen und erst recht nicht in Rüstungsfirmen. Nach Abschluss des Investments wartete ich zunächst gelassen ab. Denn eigentlich war der Plan, den Deckel zuzulassen und erst am Tag meiner Pensionierung nachzusehen, ob und wie sich das Ganze entwickelt hatte. Aber natürlich konnte ich meine Neugierde nicht zähmen und beschloss, einmal kurz zu checken, wie es meiner Geldanlage so geht. Und bei diesem Vorhaben hätte ich einen der vielen Tresorknacker aus meinen Lieblingsfilmen gut gebrauchen können, wie sich im Verlaufe meines „kurzen Checks“ schnell herausstellte. Zunächst fing es ganz gut an: Ich suchte den Ordner, in dem die Unterlagen abgelegt waren und fahndete nach dem handgeschriebenen Zettel für die die Zugangsdaten. Als ich ihn gefunden hatte, wurde mir wieder einmal schlagartig klar, dass ich wichtige Informationen nicht mit der Hand aufschreiben sollte, denn selbst ich kann diese nur am Tag der Erstellung noch fehlerfrei entziffern. Nach längerem Rätseln erschlossen sich mir meine Aufzeichnungen glücklicherweise wieder und ich schaltetet den Rechner ein, um die Webseite der Bank aufzurufen. Wie nicht anders zu erwarten, hatte die Bank die Zeit seit meinem letzten Besuch genutzt und ihre Webseite grundlegend überarbeitet. Also musste ich mich erst wieder neu orientieren und den Login suchen, Zugangsnummer und Identität eingeben und - los geht’s! Dachte ich. Aber nein, es erschien kein stattliches Guthaben auf dem Bildschirm, sondern es begann ein Countdown zu laufen mit dem Hinweis, dass ich meine Identität über die App der Bank auf dem Handy bestätigen solle. Schnell suchte ich mein Handy, rief die App der Bank auf und sah mich mit einer virtuellen Tresortür konfrontiert: Schon wieder wurde ein Passwort verlangt! Verflixt, wo war jetzt wieder das Passwort für die verdammte App notiert? Mit einem Auge schielte ich nach dem Countdown, der erbarmungslos herunterlief. Und schon war die erste von fünf Möglichkeiten, den Tresor zu öffnen, abgelaufen. Mit den Gedanken bei Danny Ocean und seinen Freunden atmete ich tief durch, suchte und fand schließlich das Passwort für die App und startete Versuch Nr. 2. Zugangsdaten und Identität eingeben, die App auf dem Handy aufrufen und das Passwort eingeben. Erfolglos. Die Tresortür blieb zu. Auch beim dritten und vierten Versuch bewegte sich nur der ablaufende Countdown - und sonst passierte nichts. Vor dem letztmöglichen Versuch hörte ich ein Geräusch an der Wohnungstür - die beste Ehefrau von allen kam nach Hause. Vielleicht sollte ich sie um Hilfe bitten? Ich begrüßte sie überaus freundlich, um für gute Stimmung zu sorgen und dann ganz beiläufig zu erwähnen, dass ich ihre Hilfe bräuchte, um nur schnell zu überprüfen, wie es dem Geld zur Aufstockung meiner Rente geht. Prompt musste ich mir die Belehrung anhören, dass wir doch ausgemacht hätten, nicht dauernd nachzugucken, gefolgt von der vorwurfsvollen und mir durchaus bekannten Klage, dass sie nicht verstünde, warum ich als Medienpädagoge stets Hilfe bei technischen Problemen bräuchte. Wie immer, war sie dann doch bereit, mit mir das Problem anzugehen. Ich schilderte die nahezu ausweglose Lage, die uns nur noch einen Versuch ermöglichen würde. Die beste Ehefrau von allen seufzte, schlüpfte gedanklich ins Panzerknackeroutfit, dachte kurz nach und erinnerte mich schließlich daran, dass ich vor einigen Wochen mein Handy gewechselt hatte, weshalb ich vielleicht die Bank-App neu installieren sollte. Gute Idee, dachte ich, da hätte ich auch selbst draufkommen können. Nach der Neuinstallation versuchten wir gemeinsam den Tresor zu öffnen. Es gelang uns vor Ablauf des Countdowns. Wir waren drin - ein erhebendes Gefühl! Ein kurzer Blick auf die Finanzen zeigte uns, dass sich nicht viel verändert hatte. Also klappten wir den Tresor wieder zu und vereinbarten, dass „wir“ jetzt längere Zeit nicht mehr nachschauen werden. Insgeheim überlegte ich allerdings, ob ich das Geld nicht doch wie früher in einem Sparstrumpf unter meine Matratze legen sollte. Da wird es zwar nicht mehr, aber der Zugang ist wesentlich einfacher. 

 

Klaus Lutz 

P.S.  Liebe Leser*innen. In diesem Text habe ich Panzerknacker und Meisterdiebe nicht gegendert. Zu tief sind diese „Berufsbezeichnungen“ in meiner 61-jährigen Festplatte eingebrannt. 


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