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Katharina Halo: Dr. Stone - New World
Die drei Freund*innen Senku, Taiju und Yuzuhira befinden sich gerade in der Schule, als sie plötzlich ein grünes Licht am Himmel sehen. Dieses Licht verwandelt die gesamte Menschheit zu Stein genau in dem Moment, als Taiju seiner Freundin Yuzuhira seine Liebe gestehen will. 3700 Jahre vergehen, bis Taiju sich aus der Versteinerung löst und feststellt, dass die Welt, wie er sie kannte, nicht mehr existiert. Die Natur hat weite Teile der Erde zurückerobert und von der einstigen Zivilisation sind nur noch Wälder, Berge und Flüsse übrig geblieben. Nach seinem Erwachen entdeckt Taiju, dass seine Liebe Yuzuhira noch immer unter der Wirkung der Versteinerung steht, während sein wissensdurstiger Freund Senku bereits seit geraumer Zeit wieder aktiv ist. Senku forscht intensiv, um die Ursache für die Versteinerung ausfindig zu machen und ein Gegenmittel zu finden. Durch Experimente und seine hervorragende Beobachtungsgabe gelingt ihm schließlich die erfolgreiche Herstellung eines Gegenmittels. Die ge-meinsame Freundin Yuzuhira soll die Erste sein, welche aus der Versteinerung gelöst wird. Doch ihre Pläne werden durchkreuzt, als die Begegnung mit mehreren Löwen sie zwingt, das Gegenmittel an Tsukasa, einem bekannten und erfahrenen Kämpfer aus der Schule, anzuwenden. Tsukasa schafft es, die Löwen auszuschalten und das Leben der Freunde zu retten. Er schließt sich ihnen an und gemeinsam setzen sie sich das Ziel, die Zivilisation durch Wissenschaft und Technologie wieder aufzubauen. Mit dem Wissen des genialen Wissenschaftlers Senku kann dieses Vorgehen zur Realität werden.
Bald jedoch erkennt Senku, dass Tsukasa andere Pläne verfolgt. Tsukasas moralischer Kodex sieht vor, nur die ‚reinherzigen‘ Menschen in der Steinwelt wiederzubeleben. In dieser Situation sieht er die Chance, eine neue Weltordnung zu schaffen, indem er Steinstatuen ‚unreinherziger‘ Menschen zerstört und ihnen damit die Chance auf eine Wiederbelebung nimmt. Er entwickelt sich damit zum Hauptantagonisten der Serie. So beginnen der Kampf und das Abenteuer der Freunde um die Wiederherstellung der Zivilisation.
Dr. Stone ist eine japanische Manga-Serie des Autors Riichiro Inagaki und des Illustrators Park Mu-jik, die seit August 2019 in deutscher Sprache verfügbar ist. Die erste Staffel der Anime-Serie wurde unter der Hauptautorenschaft von Yuichiro Kido und der Regie von Shinya Lino am 15. Juli 2020 in Deutschland auf TNT Comedy veröffentlicht.
Die Serie behandelt die Themen Wissenschaft, Geschichte sowie die Beziehung zwischen Fortschritt und Natur und vermittelt diese Bildungs-aspekte auf unterhaltsame Weise. Dr. Stone ist daher sowohl für Kinder als auch für Erwachsene geeignet, um gemeinsam vor dem Fernseher eine schöne Zeit zu verbringen und sich dabei eine Portion Wissen auf spannende, lustige und unterhaltsame Weise anzueignen.
Besonders interessant ist die Einbindung der Wissenschaft. Der Protagonist Senku teilt seine Leidenschaft zur Wissenschaft anschaulich, ohne dabei zu langweilen. Es werden verschiedene Methoden und Experimente gezeigt, die wichtige Erfindungen unserer Zeit erklären. Durch die an-schaulichen Darstellungen kann es der Serie gelingen, eine Leidenschaft für die Wissenschaft zu entfachen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass einige dargestellte Experimente zwar wissenschaftlich korrekt sind, aber die realen Auswirkungen in der Praxis nicht aufrechterhalten werden könnten. Vieles wird in Dr. Stone vereinfacht erklärt und dargestellt, um es verständlich und für alle zugänglich zu machen.
Dr. Stone überzeugt nicht nur mit seinem Bildungsanspruch und bester Unterhaltung, zusätzlich hervorzuheben ist auch der ganze Aufbau der Anime Welt. Die mysteriösen Umstände der Geschichte harmonieren gut mit dem World Building. Für die Zuschauenden gestaltet sich ein span-nendes Gedankenexperiment daraus, wie unsere Welt nach einersolchen Katastrophe aussehen könnte. Diese Mysterien und Entwicklungen halten kontinuierlich die Spannung und lassen einen tief in die Geschichte eintauchen.
Die Serie behandelt nicht nur Wissenschaft und Technologie, sondern auch Themen wie Freundschaft und Liebe. Die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Freunden Senku, der immer logisch und wissenschaftlich denkt und Taiju, der das Herz in dieser Freundschaft ist, macht sie zu einem einzigartigen Duo und unersetzlich für die Geschichte. Der Respekt und die Wertschätzung der beiden füreinander verleiht der Serie eine besondere Tiefe.
Daher ist der Anime Dr. Stone eine sehr gelungene Geschichte, die tief ins Herz geht und Zuschauende auch mit ethischen Fragen konfrontiert, die in der Serie immer wieder reflektiert werden. Was wäre, wenn plötzlich alle Gegenstände noch einmal neu hergestellt werden müssten und man-ches gar nicht erst zu einer Entdeckung führen würde? Oder wie würde eine Welt aussehen, wenn es jemanden wie den Hauptantagonisten Tsukasa gibt, der über Leben und Tod von Menschen bestimmen will? Es wird eine Welt gezeigt, die fernab von unserer Realität und doch gar nicht so weit weg ist.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Katharina Halo
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Katharina Stengl: An allem Schuld
Laut Bundeskriminalamt ist die Zahl der antisemitischen Strafen in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel gestiegen. Umso wichtiger ist es, über Antisemitismus zu sprechen und aufzuklären. Es muss präventiv gegen Vorurteile und Stereotype vorgegangen werden, um selbst ver-stecktem Antisemitismus keinen Raum zu bieten. Die Website AN ALLEM SCHULD widmet sich auf eindrucksvolle Weise diesem sensiblen Thema. Bereits der gewählte Name reflektiert treffend die tief verwurzelte Schuldzuweisung an Jüd*innen, die ein zentraler Bestandteil antisemi-tischen Denkens ist. Häufig werden Jüd*innen fälschlicherweise für gesellschaftliche Ereignisse, wirtschaftliche Krisen und Ungerechtigkeiten verantwortlich gemacht. Diese Form der Schuldzuweisung dient dazu, auf komplexe soziale Probleme einfache Antworten zu liefern und stellt für manche Menschen einen simplen Ausweg dar. Durch die Identifikation konkreter Personen als Schuldige erhalten sie ein Ziel, an dem sie ihre Wut und ihren Frust auslassen können.
Die Website ist ein Projekt des BIW – Bildung in Widerspruch e. V. und präsentiert sich als umfassende Informationsplattform, die darauf abzielt, antisemitische Vorurteile zu durchbrechen und ein tieferes Verständnis für deren Ursprünge zu schaffen. Sie bietet Antworten auf zahlreiche Fragen, die man sich so noch nie gestellt hat. Gleichzeitig kann man sein Wissen über Antisemitismus vertiefen, um auch verdeckten Antisemitismus zu erkennen und etwas dagegen zu tun.
Strukturiert wird das Portal durch verschiedene Themenbereiche. In der Rubrik Antisemi…Was? dreht sich alles um das Wort Antisemitismus. Was versteht man darunter? Woher kommt Antisemitismus und wie kann man ihn erkennen? Wem nützt das antisemitische Denken und welche Aus-wirkungen hat das auf andere? Erschreckend ist zum Beispiel, dass jede*r vierte Deutsche antisemitische Ansichten teilt. Dieser Fakt und viele weitere können in den verschiedenen Tools recherchiert werden. Dazu zählen unter anderem Quiz, Expert*innenenvideos und diverse Audioinhalte. Individuelle Erfahrungsberichte junger Jüd*innen ergänzen die vielen Fakten.
Gerüchte, welche oft die Ursprünge von festgefahrenen Stereotypen und Vorurteilen sind, werden ebenfalls in einer eigenen Rubrik thematisiert. Besonders interessant ist hier die geschichtliche Auseinandersetzung mit weitverbreiteten Gerüchten und Vorurteilen gegenüber Jüd*innen. Auch Verschwörungen und Verschwörungstheorien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle und bilden einen eigenen Themenbereich. In Verschwörungstheorien wird Antisemitismus oft verdeckt geäußert. Auf der Website wird über Begriffe und Schlagwörter aufgeklärt, die dafür benutzt werden. Ein Highlight in der Rubrik Verschwörung ist der Verschwörungsgenerator, bei dem eigene Verschwörungstheorien aufgestellt werden können und die elementaren Bestandteile einer Verschwörungstheorie erklärt werden. Hinzu kommt, dass man auch selbst in die Rolle des*der Verschwörungstheoretiker*in schlüpfen und in einem virtuellen Chat versuchen kann, andere von einer Verschwörungstheorie zu überzeugen.
Ebenfalls bieten die Themenbereiche Israel und Nazi-Vergangenheit interessante Einblicke und helfen beispielsweise, zwischen Kritik und (verstecktem) Hass zu unterscheiden und so Israel bezogenen Antisemitismus zu erkennen. In der Rubrik Jüdisches geht es um die Vielfalt jüdischen Lebens und jüdischer Kultur. Sie bietet einen positiven Gegenpol zu den negativen Stereotypen und trägt dazu bei, Klischees und Vorurteile zu durchbrechen.
Die geplante Veröffentlichung von Begleitmaterial und pädagogischen Handreichungen im Verlauf des Jahres 2024 unterstreicht die pädagogische Ausrichtung der Website. Die Materialien sollen die Möglichkeit bieten, das Thema Antisemitismus auch im schulischen Kontext zu behandeln und Schüler*innen eine vertiefte Auseinandersetzung zu ermöglichen. AN ALLEM SCHULD ist eine herausragende Initiative im Kampf gegen Antisemi-tismus. Es werden nicht nur fundierte Informationen vermittelt, sondern es wird auch zur aktiven Auseinandersetzung damit angeregt. Die interakti-ven Elemente wie Quiz, Videos, Audioaufnahmen und Erfahrungsberichte bieten nicht nur eine abwechslungsreiche Darstellung, sondern ermöglichen auch eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema.
Ausbaufähig ist sicher noch das Glossar, das bisher nur wenige Begriffe enthält. Eine Erweiterung könnte dazu beitragen, ein breiteres Verständnis für die verschiedenen Facetten von Antisemitismus zu fördern. Weiterhin wurde die FAQ-Sektion bisher noch nicht umgesetzt. Sie soll aber zeitnah ergänzt werden, um den Nutzer*innen eine umfassendere Informationsgrundlage zu bieten.
Besonders hervorzuheben ist die Einbindung praxisorientierter Ansätze. Die Rubrik Was tun gibt konkrete Handlungsempfehlungen für den Alltag, indem sie exemplarische Situationen vorstellt und den Nutzenden die Möglichkeit gibt, ihre Reaktionen zu reflektieren. Dies fördert ein proaktives Engagement gegen Antisemitismus. Durch die gelungene Kombination von inhaltlicher Tiefe, interaktiven Elementen und einer bedienfreundlichen Gestaltung erschafft das Projekt eine ansprechende Platt- form, um das Bewusstsein für Antisemitismus zu schärfen und konkrete Handlungs-impulse zu setzen.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Katharina Stengl
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Lisa Melzer: KI – und jetzt?
In einer Welt, die zunehmend von Technologie und Algorithmen geprägt wird, erleben wir eine Vielzahl von Phänomenen, die unsere Neugier wecken und unser Denken anregen. Ein Bereich, der in den letzten Jahren besonders an Bedeutung gewonnen hat, ist die Künstliche Intelligenz (KI). Die rasante Entwicklung von KI-Algorithmen und die undurchsichtigen Entscheidungsprozesse von KI-Systemen haben zu Unsicherheiten und Misstrauen in Bezug auf deren Anwendung geführt.
Dem entgegenwirken möchte der Podcast KI – und jetzt? Wie wir Künstliche Intelligenz leben wollen. Als Ko-Produktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFK) soll er das Thema KI aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und endlich Klarheit schaffen: sei es hinsichtlich technologischer Trends, Entwicklungen in Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft oder praktischer KI-Anwendungen im Alltag. Die Aufgabe, sich dem abstrakten und komplexen Thema anzunähern, übernehmen ARD-Journalistin und Moderatorin Nadia Kailouli und Aljoscha Burchardt, Forscher am DFKI, einem der weltweit größten gemeinnützigen Forschungszentren für Künst-liche Intelligenz.
Acht 30-minütige Folgen wurden seit Oktober 2023 veröffentlicht. Darin wird Zuhörenden ein Zusammenspiel aus journalistischer Exper- tise und wissenschaftlichem Know-How zum Thema KI geboten. Das Ergebnis sind spannende und gut recherchierte Folgen, die nicht nur eine fundierte Einordnung von Trends, Entwicklungen und technischen Fortschritten in dem umfangreichen und unübersichtlichen Feld der KI-Technologien bieten, sondern auch eine große Portion Unterhaltung.
Auf abwechslungsreiche, verständliche und unterhaltsame Weise zeigt der Podcast auf, wie wir als Gesellschaft KI so gestalten können, dass sie unseren Zwecken dient und an welchen Stellen kritische Haltungen ihr gegenüber durchaus begründet sind. Unterlegt werden alle Folgen mit spannenden Fallbeispielen, die aufzeigen, welche Auswirkungen KI-Tools auf Gesellschaft, Politik und Medienlandschaft langfristig nach sich ziehen können. Beleuchtet werden dabei immer sowohl Chancen und Potenziale als auch Risiken von KI – von Formen der Manipulation von Inhalten durch derartige Tools bis hin zum Einsatz intelligenter Technologien zur Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit.
Abgerundet werden die einzelnen Folgendurch interessante Gastbeiträge, die sowohl Einblicke in die Erforschung von Künstlicher Intelligenz als auch in die praktische Arbeit gewähren. Dabei kommen unterschiedliche Expert*innen zu Wort, so zum Beispiel Dr. Corina Apachiţe, Leiterin der KI-Abteilung von Contential Automotive Technologies, Lajla Fetic, Expertin für Tech Governance und Digital Policy der Bertelsmann Stiftung oder Prof. Dr. Benjamin Paaßen, Juniorprofessor für Wissensrepräsentation und Maschinelles Lernen an der Universität Bielefeld. Das Ergebnis sind spannende Diskussionen über technologische Neuheiten wie KI-generierte Influencer*innen, die zur Vermarktung von Brands wie Calvin Klein oder Prada eingesetzt werden oder intelligente Tools, die bei der Aufklärung von Verbrechen unterstützen können. Durch diese Perspektivenvielfalt bietet jede Folge Raum für unterschiedliche Standpunkte und ermöglicht es den Zuhörenden, eigene Schlussfolgerungen aus den Gesprächen zu ziehen und diese zur weiterführenden Auseinandersetzung und Reflexion zu nutzen.
Auch die absurden oder unterhaltsamen Seiten von KI-Anwendungen kommen nichtzu kurz. In der Rubrik What the KI?! geht es um verblüffende Geschichten, in denen KI menschliche Emotionen imitiert, kuriose Reiseempfehlungen gibt oder sich als lukratives Geschäftsmodell erweist. Diese Beispiele demonstrieren auf eindrückliche Weise, welche kreativen Potenziale KI-Systeme besitzen und wie diese eingesetzt werden können, um menschenähnliche Interaktionen nachzuahmen, zeitaufwändige Aufgaben zu automatisieren oder Verwaltungsprozesse zu optimieren. Gleichzeitig machen die amüsanten Geschichten darauf aufmerksam, welche ethischen oder rechtlichen Herausforderungen die Anwendung solcher Technologien mit sich bringt, ohne dabei einen belehrenden Unterton anzunehmen.
Insgesamt reflektiert der Podcast nicht nur die breiten Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz, sondern zeigt auch auf, wie diese Technologien unterschiedliche Sektoren und Berufsfelder transformieren und welche Aufgaben und Spannungsfelder sich daraus auf gesellschaft-licher Ebene ergeben, die es zukünftig noch stärker in den Blick zu nehmen gilt. Von den Grundlagen der KI-Forschung bis hin zu innovativen Anwendungen im Bildungs- und Marketingbereich bietet der Podcast facettenreiche Perspektiven, aus denen sich spannende Anregungen und Impulse für Forschung und Praxis ableiten lassen.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Lisa Melzer
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Katharina Stengl: Shelter - der Schwarze Schmetterling. Jugendserie nach der Romanvorlage von Harlan Coben
Prime Video (2023). Shelter – der schwarze Schmetterling. Staffel 1. Kostenlos für Mitglieder von Amazon Prime.
Shelter – Der schwarze Schmetterling ist eine neue US-Serie, die Drama-, Thriller- und Mystery-Elemente geschickt miteinander verbindet. Zugrunde liegt der Serie der 2011 veröffentlichte Roman Shelter des erfolgreichen Autors Harlan Coben, der bekannt ist für seine packenden Thriller und die Schaffung fesselnder Charaktere und Handlungsstränge. Es handelt sich um ein Spin-Off der Romane um Myron Bolitar, des Onkels von Mickey Bolitar, welcher der Protagonist in Shelter ist. Der charismatische Jaden Michael übernimmt die Hauptrolle von Mickey Bolitar, eines jungen High-School-Schülers, der sich in einem turbulenten neuen Leben in New Jersey zurechtfinden muss, nachdem sein Vater bei einem Autounfall gestorben ist. Da seine Mutter in einer Klinik ist, muss er bei seiner nervigen Tante einziehen und wird an einer neuen Schule vor einige Herausforderungen gestellt. Die Spannung lässt nicht lange auf sich warten. Denn die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, als eine mysteriöse alte Dame auftaucht und behauptet, Mickeys Vater sei gar nicht tot. In der Schule lernt der junge Bolitar die neue Schülerin Ashley Kent kennen und fühlt sich direkt mit ihr verbunden, da auch sie scheinbar Tragisches erlebt hat. Doch dann verschwindet Ashley unter rätselhaften Umständen, und Mickey ist fest entschlossen, sie zu finden. Dabei stößt er auf ein Netz aus Verschwörungen, Lügen und dunklen Geheimnissen, das die düstersten Seiten der Menschheit offenbart. Zusammen mit Mickeys neuen Freund*innen Arthur, einem fürsorglichen Jungen, der Mickey bereits am ersten Schultag unter seine Fittiche nimmt und Emma, einem etwas sonderbaren Mädchen, ist das Trio komplett. Bald schon stellt sich heraus, dass doch mehr hinter dem Autounfall von Mickeys Vater steckt, als ursprünglich gedacht. Die Rätsel führen die Freund*innen tief in dunkle Geschichten der Vergangenheit. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gruselhaus, in dem die alte Dame wohnt, Ashleys Verschwinden und dem Tod von Mickeys Vater? Und welche Rolle spielt der Schmetterling, der als mysteriöses Symbol immer wieder auftaucht? Die Serie fesselt mit ihrer Story bereits in den ersten Folgen. Die Kombination aus Drama-, Mystery- und Thriller-Elementen sorgt dafür, dass eine breite Zielgruppe angesprochen wird, die auf der Suche nach einer spannenden und emotional ansprechenden Geschichte ist. Insbesondere Jugendliche, die Fans dieser Genres sind, können sich mit den jungen Protagonist*innen gut identifizieren. Im Zentrum des Plots stehen die Stärke von Familienbanden und Freund*innenschaft, Selbstfindung sowie der Übergang zum Erwachsenwerden. Die Charaktere sind vielschichtig und gut entwickelt, und die Darstellenden, insbesondere Jaden Michael in der Hauptrolle des Mickey Bolitar, liefern beeindruckende Leistungen ab. Auch die visuelle Gestaltung und düstere Inszenierung der Serie sind hervorzuheben. Die Erwartungen an Shelter waren mit der erfolgreichen Buchvorlage hoch, und es wird interessant sein zu sehen, welche Überraschungen und Wendungen für die Zuschauer*innen in den kommenden Staffeln noch bereitgehalten werden. Im Großen und Ganzen liefert die Serie bisher genau das, was man von einer Harlan Coben Verfilmung erwartet: einen Mystery-Thriller mit einem rastlosen Plot voll unvorhersehbarer Wendungen und Überraschungen.
Beitrag aus Heft »2023/05: Streaming. Die digitale Transformation des Bewegtbildes«
Autor:
Katharina Stengl
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Rebecca Wienhold: Weite Wege, viele Spiele, volle Gänge. Ein pädagogischer (Rück-)Blick auf die Gamescom 2023
Mit rund 320.000 Besuchenden kamen auch in diesem Jahr immer noch weniger Menschen zur Computer- und Videospielemesse nach Köln als vor der Pandemie (zum Vergleich: 2019 waren es 373.000 Besucher*innen), aber 55 000 mehr als im Vorjahr. Rekordverdächtig war dafür die Anzahl der Ausstellenden: Über 1220 Stände, davon 76 Prozent aus dem Ausland, verteilten sich auf 230.000 Quadratmetern in den Hallen der Koelnmesse. Parallel zu den umfangreichen Aktivitäten vor Ort wurden viele Events per Livestream übertragen.
Eine Messe für alle oder für Nerds? Cosplay und Kommerz
In den thematisch angelegten Hallen war für alle etwas dabei: Von einer Retro Area mit alten Konsolenspielen, über eine Indie Area bis hin zu der Halle mit den großen Blockbustern. In Halle 7 wurde ein Cosplay Village eingerichtet, obwohl auf dem gesamten Messegelände Cosplayer*innen in aufwendigen Kostümen herumliefen, die sich stolz und bereitwillig fotografieren ließen. Als am Freitagmorgen um 10 Uhr die Messehalle für die Besucher*innen öffnete, konnte man eine Reihe von Menschen (eher jüngere Generation) beobachten, die zielstrebig vom Osteingang quer Richtung Westen in Halle 1 rannten: Die Social Area Halle war ein leerer Raum mit einem Essenswagen, einer Bühne und ein paar Absperrungen. In ein paar Stunden würde sie mit Fans gefüllt sein, die auf Autogramme und Fotos ‚ihrer‘ Influencer*innen hofften. Gronkh, das Gnu, Honey Puh und eine große Anzahl andere beliebter Stars aus der Gaming Branche ließen sich auch in diesem Jahr sehen. Besonders voll war die Halle beim Auftritt von Montana Black am Donnerstag, der gemeinsam mit seinem Freund Marc Gebauer Geschenke im Wert von 10.000 Euro verteilte. Nachdem sein Besuch in Vorjahr stark kritisiert wurde, lief er in diesem Jahr deutlich strukturierter ab: Seine ungenierten Rülpser nach einem Schluck seines selbst kreierten Energiedrinks waren vergleichsweise harmlos. Während es aus Sicht der Veranstaltenden sicherlich ein Gewinn ist, ist es aus pädagogischer Sicht eher fragwürdig, warum der Influencer und Streamer, der in der Vergangenheit negativ durch sein Verhalten auffiel, bei so einer Messe überhaupt eine derartige Bühne bekommt. Einige große Gaming-Anbieter waren dieses Jahr nur mit sehr kleinen oder gar keinen Ständen vertreten. Dafür waren Unternehmen dabei, die viele auf dem ersten Blick nicht mit Gaming in Verbindung brachten, wie der Streaminganbieter Netflix. Seit Ende 2021 bietet er mit Netflix Games auch Videospiele für mobile Geräte an. Auf der Messe präsentiert er aber vor allem seine Serienklassiker: Figuren aus (der medienpädagogisch vieldiskutierten) Serie Squid Game schossen T-Shirts in die Menschenmenge. Am Wednesday Stand konnten sich die Fans der beliebten Serie entsprechend schminken lassen. Und auch die erfolgreichen Serien Stranger Things und The Witcher waren mit Ständen vertreten. In der Merchandise Halle konnte alles, was das Fanherz begehrt, käuflich erworben werden – natürlich zu stolzen Preisen. Mehrere Eltern bestätigten unabhängig voneinander, dass diese Halle mit Kindern möglichst gemieden werden sollte. Doch auch ältere Besuchende gaben fleißig ihr (Taschen-)Geld für Merch-Artikel aus – oft mit dem Bewusstsein, dass sie das gleiche Produkt woanders günstiger bekommen hätten. „Es geht um das Erlebnis“ antwortete eine 17-jährige Jugendliche aus Berlin auf die Frage nach dem Warum. Zum Erlebnis gehörte auch, lange Wartezeiten auf sich nehmen – und das, obwohl die meisten Spieleneuheiten auf der Messe gar nicht spielbar waren. Bei großen kommerziellen und beliebten Spielen wie Path of Exile gehörten etwa zwei Stunden Wartezeit dazu. Wer nicht so lange warten, aber trotzdem zocken wollte,
kam in der Indie Area mit den weniger renommierten, aber dafür teilweise innovativeren Spielen schneller zum Zuge.
Und die Kleinsten...?
Offiziell dürfen Kinder ab vier Jahren die Messe besuchen und tatsächlich waren eine Menge Familien mit kleineren Kindern zu sehen. Neben einem ‚Gamescom-Kindergarten‘ mit Kinderbetreuung in Halle 10 befand sich der Family and
Friends Bereich – beides gesponsert von LEGO. Hier war die Zielgruppe vornehmlich die der jüngeren Gamer*innen. Dort gab es neben Bereichen, an denen ganz analog mit Legosteinen gebaut werden konnte, auch mehrere Nintendo-Stände, an denen von Klein und Groß Klassiker wie Super Mario oder Kirby gespielt wurden. Bei den meisten Ständen war eine minimale technische, aber keine pädagogische Betreuung vorhanden. Erstbesuchende mit geringer Gaming-Erfahrung standen daher vor der Herausforderung, im ersten Schritt die Bedienung und das Spieleprinzip zu verstehen, ohne sich
von den Wartenden unter Druck setzen zu lassen. Bei den (wenigen) ungeübten Kindern, die beobachtet werden konnten, gab es am Nintendo Switch Stand einen schönen Effekt zu beobachten: Die wartenden Nachwuchs-Gamer*innen nutzten die Zeit, um den Neulingen Tipps zur Steuerung und Spielstrategie zu geben, oder um einfach mitzufiebern. Dadurch
entstanden während der Spielzeit kurze, verbindende Momente und kleine Spielgemeinschaften von Kindern, die sich nach der Runde genauso schnell wieder auflösten. Sehr großer Beliebtheit erfreuten sich im gleichen Bereich die Let’s Dance Booths. Hier wurde mit viel Freunde und Engagement getanzt – mit und von allen Geschlechtern und Altersgruppen, unabhängig vom tänzerischen Talent. Das Vorurteil, dass diese Spiele sich überwiegend an weiblich sozialisierte Menschen richten, ließ sich hier nicht bestätigen. Eine Ausnahme hinsichtlich der pädagogischen Standbetreuung bildete der Hochschulbereich direkt nebenan. Der Andrang dort war meist überschaubar, die Betreuung durch motivierte Studierende umso umfassender. Am Stand der Hochschule Bonn Rhein-Sieg gab es gleich zwei
beeindruckende Eigenkreationen Studierender: Man konnte gegen einen Roboter Drei gewinnt (auch bekannt als TicTacToe) spielen. Wer seine Fähigkeiten als Musiker*in ausprobieren wollte, konnte sich an ein Schlagzeug setzen und
sich mit Hilfe einer VR-Brille auf die virtuelle Bühne einer Konzerthalle versetzen lassen. Das virtuelle Publikum reagierte je nach Talent mit steigerungsfähiger Begeisterung auf die spielerischen Aktivitäten an den Trommelstöcken. Wer als Medienpädagog*in auf der Suche nach Alternativen für Bitsy, Bloxels und Co war, wurde leider enttäuscht. Deutlich sichtbar war lediglich das Tool Game Maker. Die entstanden Spiele waren beeindruckend, der Erstellungsprozess ist allerdings weniger niederschwellig und eignet sich eher für ältere Kinder und Menschen mit ersten Programmierkenntnissen.
Gesellschaftliche Verantwortung: Jugendschutz, Lebensrettung und Antidiskriminierung
Auch die Gamescom muss ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, was mehrfach deutlich wurde. Beispielsweise hat die Initiative Gaming ohne Grenzen gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter Congstar einen Award für inklusive Spiele verliehen. Am Stand der Amadeu Antonio Stiftung fand ein Austausch mit Spieleentwickler*innen und anderen Interessierten zu Hass und Diversität in der Gaming Branche statt. Außerdem machte sie auf ihr Projekt Good Gaming aufmerksam, das an der Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Gaming toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys aufgreift. Schließlich gab es nur ein paar hundert Meter weiter noch den Stand von Edelgard Mobil, einer Anlaufstelle zur Beratung von Frauen* und Mädchen* nach sexuellen Übergriffen. Auch wenn es dort leider kaum Publikumsverkehr gab. „Es ist einfach gut, Präsenz zu zeigen“, sagte eine Mitarbeiterin am USK-Stand. Interessierte, vornehmlich Eltern und Bezugspersonen von Kindern, konnten sich dort zu jugendschutzrelevanten Themen informieren, Fachgesprächen lauschen und Broschüren mitnehmen. Kinder und Erwachsene konnten außerdem an einem Quiz im Stil von Wer wird Millionär teilnehmen.
Mit der USK als langjährige offizielle Partnerin der Gamescom setzt die Messe auch für den Jugendschutz ein klares Zeichen. Alle im Ausstellungsbereich offen zugänglichen Spiele und Trailer wurden vorab von der USK geprüft.
Der überwiegende Teil der Ausstellungfläche war für alle Besucher*innen frei zugänglich. Die Inhalte, die in der USK-Prüfung erst ‚ab 16‘ oder ‚ab 18‘ freigegeben wurden, waren entsprechend gekennzeichnet. In diesen Bereichen wurde der Zugang mithilfe von farbigen Altersbändchen kontrolliert. Diese konnten vorab an einer der Ausgabestellen nach Vorlage eines gültigen Lichtbildausweises für die entsprechende Altersstufe ausgegeben werden. Die Relevanz von Präsenz lässt sich sicherlich auf einige Ausstellende übertragen, deren Anwesenheit bei der Messe nicht unbedingt erwartet wurde, im Hinblick auf gesellschaftliche Verantwortung dafür umso wichtiger ist.
Wie die DKMS: Weil Gamer*innen potenzielle Stammzellenspender*innen sind, war sie wieder mit einem verhältnismäßig großen Stand dabei und wurde dabei von Figuren aus Star Wars unterstützt. Während im Bezug auf den virtuellen Jugendschutz mitgedacht wurde, wurde das physische Wohlbefinden der (jüngeren) Besucher*innen weniger berücksichtigt. Nicht nur für die Kleinsten war der Lautstärkepegel, verstärkt durch laute Musik, (E-)Sportevents und Bühnenperformances sehr hoch.
Fazit: Für Gaming-Fans ist diese Messe sicherlich Pflicht. Für diejenigen, die es werden wollen, erscheint es empfehlenswert, mit einer kompetenten Begleitung zu kommen. Das umfangreiche Angebot ist beeindruckend, kann aber auch leicht zur Überforderung werden. Daher gilt für alle: Wenn es darum geht, möglichst viel mitzunehmen, reicht ein Tag nicht aus – allein schon, weil sich ein Spaziergang durch Köln ebenfalls lohnt.
Beitrag aus Heft »2023/05: Streaming. Die digitale Transformation des Bewegtbildes«
Autor:
Rebecca Wienhold
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Kerstin Heinemann: re:publica 2023
Sommerzeit ist Festivalzeit. Aber wie lässt sich ein Festival mit einem ernsthaften Nachdenken über komplexe digitale und gesellschaftspolitische Transformationsideen verbinden? Die re:publica zeigt Jahr um Jahr, dass das geht. Unter dem plakativen Motto Cash – schließlich lässt sich selbst die beste Idee selten ohne Geld verwirklichen – fand vom 5. bis 7. Juni 2023 die 17. re:publica in Berlin statt. Auf 26 Stages und einem weitläufigen Areal wurde drei Tage lang in Kreuzberg diskutiert, gerungen, gelacht und der Atem angehalten. Die Vielfalt der Themen, die in zehn verschiedenen Tracks aufbereitet waren, beeindruckte nicht nur den*die Erstbesucher*in. Auch unter langjährigen Konferenztreuen war man sich einig, dass die Mischung gelungen war: Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Verantwortung, Technolo - gie und Wissenschaft, Medien, Arbeitswelten, Stadt und Land, Lernen und Wissen waren nur ein paar Themenfelder, die reichlich Stoff für spannende Vorträge und Diskussionen boten. So sprach die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über Cash, Gender Gap und gesellschaftliche Ungleichheiten. Dabei machte sie anhand von einschlägigen Studien eindrücklich deutlich, dass wir von einer Erwerbstätigkeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft kommen müssen. Wenn wir nicht Cash gegen Care, Care gegen Health, Väter gegen Mütter ausspielen wollen, dann brauchen wir eine Gleichstellungspolitik, die die tatsächlichen Realitäten anerkennt und ihr politisches Handeln daran ausrichtet, so Allmendinger. Gleichstellungspolitik dürfe sich dann nicht mehr primär auf Frauen beziehen, sondern müsse die Menschen an sich in den Blick nehmen. Für eine funktionierende Gesellschaft müssen Erwerb, Care-Arbeit und Ehrenamt in eine flexible Balance gebracht werden. Um Frauen als revolutionärer Stein des Anstoßes ging es auch in weiteren beeindruckenden Keynotes. Gilda Sahebi und Natalie Amiri schilderten unter dem Titel Frau, Leben, Freiheit – dem politischen Slogan der iranischen Freiheitsbewegung – eindrücklich die dramatische Lage der Menschen im Iran. Wer glaubt, es seien Proteste der Frauen, irre, machten die beiden Journalistinnen deutlich. Die Bewegung ging von Frauen aus, mittlerweile ist sie zu einer geschlechts- und milieuübergreifenden Revolution geworden, bei der nichts Geringeres als die Frage der Demokratisierung des Irans auf dem Spiel steht. Mahsa Alimardani, die als Forscherin seit mehr als zehn Jahren Fragen zu Menschenrechten, Technologie und der freien Meinungsäußerung untersucht, widmete sich im selben Themenfeld der Perspektive, wie Technologie dabei helfen kann, die Menschenrechte im Iran zu stärken und den Stimmen der Bevölkerung Gehör zu verschaffen. Mit exit RACISM.Rassismuskritisch denken lernen übernahm Tupoka Ogette das Mikrophon und gab sehr emotionale Einblicke in Lebensrealitäten, Perspektiven und Herausforderungen Schwarzer Frauen in Deutschland. Die Notwendigkeit und gleichzeitige Erschöpfung Betroffener, immer wieder vom erlittenen Alltagsrassismus zu erzählen, war im vollbesetzten Auditorium mit Händen zu greifen. People of colour in einer weißen Mehrheitsgesellschaft sind wichtige Laut-Sprecher*innen, die zeigen, dass Rassismus nur dekonstruiert werden kann, wenn er als gesamtgesellschaftliches Problem begriffen wird, das zum Handeln herausfordert. Natürlich gaben sich auf einer gesellschaftspolitischen Konferenz dieser Art auch diverse Bundesminister*innen das Mikrophon in die Hand. So durfte Volker Wissing Fragen zum aktuellen Stand der Digitalstrategie beantworten, Robert Habeck widmete sich der ökologischen Transformation, Claudia Roth entwickelte Ideen zur Kulturpolitik nach Corona und Christian Lindner musste ein Gespräch zur Finanzierung unserer Zukunft überstehen. So weit, so erwartbar – auch in den politisch vorhersehbaren Antworten. Deutlich spannender waren die politischen Gespräche abseits der großen Bühnen. Gute Tradition auf diesem Digitalfestival ist es von Anfang an, sich in einem der zahlreichen Spaces auf Augenhöhe zu begegnen und jenseits hier - archischer Unterschiede die Diskurse der Bühnen fortzusetzen. Hier wird diskutiert, gerungen und gelacht, hier werden Kontakte geknüpft, Ideen weitergesponnen und Visionen vorangetrieben. Und so beginnen nicht selten viele Mails und Textnachrichten nach der Konferenz mit den Worten „bezugnehmend auf unser Gespräch auf der re:publica …“ Zwei Specials hatte die re:publica auch in diesem Jahr wieder zu bieten: Mit dem Media Summit wurde ein inhaltlicher Bereich geschaffen, der alles rund um Bewegtbild bündelte. Hier wachsen Content Creation und gesellschaftspolitische Diskurse zusammen, denn gerade letztere kommen nicht ohne ein gutes Storytelling aus. Auf der einen Tag überlappenden Tincon stand die junge Generation im Zentrum. Bei der Konferenz für digitale Jugendkultur ging es um Interessen und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen. Und dass sie etwas zu sagen haben, machten sie auf unschlagbare Weise deutlich: In Maker - spaces, Hands-ons, Diskussionsrunden und auf Podien. Dabei waren die thematische Vielfalt, die Komplexität und Professionalität, mit der Menschen zwischen 13 und 25 Jahren ihre Themen präsentierten, hoch beeindruckend. Bleibt zu guter Letzt nur die Frage, wie man ein Digitalfestival mit 25.000 Besucher*innen und 608 Sessions im Sommer 2023 ohne ChatGPT gestalten kann? Die Antwort dürfte nicht überraschen: Gar nicht! Denn natürlich kam kaum ein Talk ohne den Bezug zu digitalen Trendthemen wie KI aus. So wichtig diese Perspektive ist, so wohltuend war es aber auch, dass die fortschreitende Digitalisierung als ein Element gesamtgesellschaftlicher Transformationsaufgaben gesehen wurde. Auf der re:publica stand die Gesellschaft im Zentrum und nicht die KI.
Viele Vorträge sind als Videomitschnitt abrufbar.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Kerstin Heinemann
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Nicole Lohfink/Axel Danielson/Maximilien Van Aertryck: Humor-Ein machtvolles Instrument, um Ernstes zu thematisieren. Ein Gespräch mit Maximilien Van Aertryck und Axel Danielson, Plattform Produktion
In ihrem neuesten Film ‚And the king said what a fantastic machine‘ setzen sich Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck mit unserer von Medien durchdrungenen Welt auseinander. Was passiert, wenn die Selbstverliebtheit der Menschheit und ein ungezügelter Markt auf 45 Milliarden Kameras treffen? Es ist eine Chronik darüber, wie in nur 200 Jahren über das erste Einfangen des Bildes eines Hinterhofs eine Multi-Millionen Content Industrie entstanden ist, sowie ein humorvolles medienpädagogisches Lehrstück.
MERZ Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Projekt über die Medienwirksamkeit von Bildern zu verwirklichen?
DANIELSON Wir alle in Plattform Produktion arbeiten eng zusammen, wie in einer Art Filmkollektiv, unser Produzent, Ruben Östlund, ist auch Regisseur (Triangle of sadness, 2022). Wir waren alle zu unterschiedlichen Zeiten auf der gleichen kleinen Filmschule in Gotheburg. Und als ich als Lehrer dort war und Max als Student, haben wir gleich entdeckt, wie ähnlich wir die Kamera nutzen. Die Kamera hat die fantastische Eigenschaft, soziale Interaktion einzufangen – wie wir uns zueinander verhalten, wie wir uns gegenüber der Kamera verhalten, und unser jeweiliger Weg, Wirklichkeit zu transportieren.
VAN AERTRYCK Wir glauben, dass die Bilder, die wir konsumieren, beeinflussen, wie wir die Welt sehen und dementsprechend auch unser Verhalten.
MERZ Die Kamera als soziale Funktion also?
VAN AERTRYCK Ja, das ist eine Passion von uns allen in der Firma, der Einfluss des fotografischen Bildes und des bewegten Bildes auf die Gesellschaft als Ganzes. MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
VAN AERTRYCK Mindestens seit zehn Jahren – es war ein Stück weit an den Aufstieg von YouTube geknüpft: Plötzlich war es möglich, kurze Filmclips herunterzuladen und wir wollten zusammen darüber diskutieren, sie unseren Freund*innen und Familien zeigen, Vorlesungen darüber halten. Uns fiel dabei auf, dass zuerst die Clips kamen, wie Menschen imitieren, was sie gesehen haben, im TV zum Beispiel.
MERZ Spätestens seit der Nutzung von Social Media für politischen Einfluss, sowie dem Anstieg von autokratischen Tendenzen ist der mediale Einfluss mehr ins Rampenlicht gerückt. War das der auschlaggebende Moment, diesen Film zu realisieren?
VAN AERTRYCK Das war mehr oder weniger vor fünf Jahren: unsere Wahrnehmung, dass die Welt mehr und mehr polarisiert ist, dass die Demokratie in der Welt tatsächlich auf dem Rückzug ist. Was in uns ein Gefühl der Dringlichkeit ausgelöst hat, war die Analyse, dass diese Tendenzen durch bestimmte Faktoren noch zugespitzt werden: Und zwar die Art und Weise, wie wir das bewegte Bild in der Gesellschaft nutzen in Verbindung mit dem fehlenden Wissen darüber, wie wir gut informiert bleiben und nicht in diese individualistischen Blasen rutschen; Blasen, die von den Algorithmen noch gefördert werden. Also sagten wir: Lass uns einen Film zu Medienkompetenz machen – aber es soll wirklich lustig und unterhaltsam sein.
MERZ Der Wunsch, Medienkompetenz zu stärken war also besonders im Fokus des Films?
DANIELSON Ja, Medienkompetenz wird zunehmend wichtiger. Zum Beispiel die Fragen, was sollte Basis-Wissen in einer Demokratie sein oder was sollten alle wissen, wenn wir nach demokratischen Prinzipien leben wollen. Wie wir dieses gemeinsame Wissen vermitteln, ist eng verwoben mit dem demokratischen System, das wir haben. Aus unserer Sicht werden dieses Bedürfnis und daraus entstehende Konsequenzen selten mitgedacht, sobald Bilder entstehen. Wir als Filmemacher haben das Interesse und praktisches Wissen darüber, daher wollten wir gewisse Konzepte auf den Tisch bringen. Zum Beispiel die Perspektive – es gibt immer eine Perspektive – und, dass man wahrscheinlich mehrere Perspektiven braucht, um umfängliches Verständnis für eine Sache zu bewirken. Es gibt immer einen Bildausschnitt – und es gibt immer etwas außerhalb eines Ausschnitts. Zum Beispiel der Clip, in dem der ISIS-Krieger ein Propaganda-Video drehen will und dabei über seinen Text stolpert – dieses Material haben wir in einem 10-Sekunden-Clip in den Nachrichten gefunden. Es war sehr kurz geschnitten, damit Zuschauer*innen darüber lachen können, wie über einen Patzer. Bei solchem Material wollten wir sofort die Quelle finden und nach sehr langer Recherche ist uns das gelungen und wir haben den 25-minütigen Original Clip gefunden.
MERZ Es gibt sehr viel Material in dem Film, das nicht einfach zu finden gewesen sein kann. Wie seid ihr vorgegangen, wie habt ihr zum Beispiel dieses Material recherchiert?
VAN AERTRYCK Das ist ähnlich wie beim Filmdreh. Wir fühlen uns wie Jäger, die nach dem perfekten Moment suchen, den wir einfangen oder der schon eingefangen wurde. Daher suchen wir immer nach dem Rohmaterial, meistens über sehr viele Netzwerke und über Gespräche mit vielen Menschen. In diesem Beispiel fanden wir einen amerikanischen Forscher, der eine ganze Datenbank mit Terroristen-Videos hatte. Hintergrund des ISIS-Videos ist, dass der Clip im Jemen gedreht wurde. Im Jemen sind ISIS und Al Quaida stark verfeindet. Al Quaida hat ein ISIS-Camp überfallen, einen ganzen Haufen Festplatten von den geflohenen ISIS-Soldaten gefunden und da war dieses Rohmaterial drauf. Dann hat Al Quaida das Material ins Internet hochgeladen, um die ISIS-Soldaten zu diskreditieren. Das alles ist geradezu absurd, aber es fängt auch die gesamte Schönheit und die tragisch-komischen Aspekte des Lebens ein. Wenn du etwas in einem anderen Rhythmus ansiehst, als in Schlagzeilen oder in einem TikTok-Rhythmus, in das so vieles heutzutage gepresst wird, dann erhältst du eine ganz andere Deutung davon, was sich vor der Kamera abspielt. Das ist das Schöne, das Publikum tatsächlich über die Komplexität des Lebens und der menschlichen Natur nachdenken zu lassen. Indem wir gegen die Art und Weise angehen, in der so vieles in den Massenmedien dargestellt wird, fördern wir Medienkompetenz.
MERZ Wie war eure Perspektive auf den Gestaltungsprozess für so viel unterschiedlichen Inhalt?
DANIELSON Natürlich ist es ein Ziel, ein Projekt künstlerisch auf hohem Niveau zu gestalten – es wird eine Komposition, erhält eine Dramaturgie. Dabei wollten wir unbedingt Humor als wichtiges Stilmittel einsetzen. Wenn man ernste Dinge thematisiert, ist Humor ein machtvolles Instrument. Der humanistische Blickwinkel war ebenso wichtig: Wir wollten die Menschen nicht vom gezeigten Verhalten entfremden und sagen „diese Leute verhalten sich falsch“, sondern realistischer sein. Wir sind alle Teil eines stark wirtschaftlich ausgerichteten Systems, indem unser Verhalten sehr intensiv von Algorithmen getrieben wird – sowohl, wie wir sie gestalten, als auch wie wir sie konsumieren. Und natürlich wollten wir auf lange Sicht mit dem Film darauf aufmerksam machen, dass dieses Instrument Kamera so mächtig ist, dass wir nicht glauben, die Ethik im Umgang damit kann nur von fünf großen Konzernen entschieden werden. Es ist mehr eine Frage für die Bürger*innen.
MERZ Ihr habt euch dafür entschieden, diesen Film für den Kinosaal zu kreieren. Warum dieses Format?
DANIELSON Der Kinosaal ist ein großartiger Platz für uns Bürger*innen, um fotografische Bilder und die Reaktionen darauf gemeinsam zu erleben. Diese Bilder werden produziert und verbreitet mit der Absicht, dass sie individuell konsumiert werden. Von Anfang an wollten wir diese Bilder auf eine große Leinwand in einem Raum bringen, um eine gemeinsame Sprache dafür zu entwickeln, was wir sehen. Was bedeuten diese Bilder? Darauf haben wir keine Antwort, aber wir wollen sie nutzen, um eine Diskussion über die Antworten anzuregen.
VAN AERTRYCK Es gibt einen Unterschied, ob du Bilder auf deinem Smartphone oder im Kino konsumierst, und das hat nicht nur mit großer Leinwand und gutem Sound zu tun. Es geht um die gemeinsame Erfahrung. Der Raum und der große Bildschirm sind Teil der Erfahrung. Es ist zusätzlich auch unsere Wertschätzung gegenüber diesem Raum, den wir lieben, und ein Vorschlag dazu, was wir denken, das dort gezeigt werden sollte.
MERZ Was wollt ihr bei euren Zuschauer*innen bewirken?
DANIELSON Reflexion – wir wollen kritisches Denken inspirieren; nicht das kritische Denken, das zu Dogmen führt oder zur Verbannung von Medien. Wir glauben an Bildung, Erziehung und an Inspiration. Wenn wir diese polarisierte Welt ändern wollen, diese Welt von richtig oder falsch, wahr oder unwahr, dann benötigen wir mehr Wissen darüber, wie jedes Bild entsteht. Wir wissen aus Erfahrung, dass jeder Mensch Anteile von Gut und Böse in sich trägt, aber bei Bildern tendieren wir zu einer radikalen Idee von Wahrheit über die Welt. Wir wollen auf humorvolle Weise das Bewusstsein darüber erweitern.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Nicole Lohfink,
Axel Danielson,
Maximilien Van Aertryck
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Katharina Stengl: The Legend of Zelda
Nintendo (2023). The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Game für die Nintendo Switch. 69,99 €.
Nach The Legend of Zelda: Breath of the Wild geht das Abenteuer von Prinzessin Zelda und dem Helden Link nun weiter. Die Geschichte beginnt in einem alten Gewölbe unter dem Schloss Hyrule. Bei seiner Erkundung finden die beiden Protagonist*innen Überbleibsel einer antiken, technologischen Zivilisation, den sogenannten Sonau. Als Prinzessin Zelda und Link jedoch tiefer in den Untergrund vordringen, erwartet sie eine böse Überraschung. Die Mumie des Dämonenkönigs Ganondorf ist zu neuem Leben erwacht. Bei dem Versuch Prinzessin Zelda zu beschützen, wird Links rechter Arm durch eine giftige Substanz namens Miasma schwer verletzt und selbst das Master-Schwert kann dem Bösen nicht standhalten. Es wird zerstört. Eine ungeheure Macht lässt Schloss Hyrule in den Himmel schweben und die Held*innen Link und Zelda stürzen in die Tiefe. Das Abenteuer startet, als Link allein auf einer der zahlreichen Himmelsinseln erwacht. Er wurde von einem alten Geist der Sonau, welcher den Namen Rauru trägt, gerettet. Jener Geist hilft den Spielenden im Tutorial auf der gefährlichen Reise durch die Himmelsinseln, gibt Ratschläge und navigiert durch die Welt. Auf der Suche nach der verschwundenen Prinzessin und der Wahrheit, die hinter dem katastrophalen Ereignis steckt und das Königreich ins Chaos stürzte, ist es den Spielenden selbst überlassen, ihren eigenen Weg durch die weitläufigen Landschaften Hyrules und über die geheimnisvollen Himmelsinseln zu finden. Es handelt sich demnach um ein Spiel aus dem Genre Open-World-Action-Adventure. Die bunte, detailreiche Grafik und insbesondere die atmosphärischen Soundeffekte tragen dazu bei, dass Spieler*innen vollständig in die Welt von Zelda und Link eintauchen können. In einem circa zweistündigen Tutorial werden die Steuerung und Spielmechanismen einfach erklärt. Auf der Reise begegnet man dann den Dienerkonstrukten der Sonau, welche den Spielenden nützliches Wissen über erlernbare Fähigkeiten und Kenntnisse, wie beispielsweise das Holzhacken, Jagen und Kochen vermitteln. Allgemein dreht sich das Gameplay stark um die Nutzung spezieller Fähigkeiten, welche in uralten Schreinen freigeschaltet werden können. Dazu zählt zum Beispiel die neue Ultrahand- sowie die Synthese-Fähigkeit, mithilfe derer eigenständig Waffen, Flöße oder andere Fahrzeuge gecraftet werden können. Neben einem großen Anteil an Abenteuerlust werden nun auch Erfindungsmut und Kreativität gefordert und auch belohnt. Dies spiegelt sich zum Beispiel in den Kampfszenen wider. Je ausgefallener die Waffen, umso mehr Schaden kann verursacht werden. Es lohnt sich verschiedene Synthesekombinationen von Gegenständen und Waffen zu erforschen. Doch Vorsicht, die Waffen können kaputt gehen. Man sollte stets darauf achten, genügend Materialien bei den Bosskämpfen mit sich zu führen. Auch die Bedeutung von Medizin und Essen sollte nicht unterschätzt werden. Mit einer überschaubaren Spielzeit von 35 Stunden für das Vollenden der Hauptstory hat das Spiel eine angenehme Länge. Für diejenigen, die jeden Winkel der fantastischen Welt erkunden, alle Geheimnisse lüften und Nebenquests lösen wollen, sind ca. 150 Spielstunden1 realistisch, um die 100 Prozent zu erreichen. Bei The Legend of Zelda: Tears of the kingdom handelt es sich um ein Spiel, welches sowohl für geübte Gamer*innen als auch Anfänger*innen geeignet ist. Das lange Tutorial erlaubt es Anfänger*innen und jüngeren Spieler*innen sich im eigenen Tempo an die Steuerung und das Gameplay zu gewöhnen, während erfahrene Spieler*innen bereits zu Beginn die ersten Bosse herausfordern können. Insgesamt ist Nintendo mit The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom ein hervorragendes Spiel und gebührender Nachfolger von The Legend of Zelda: Breath of the Wild gelungen. Das Spiel hält sowohl stundenlange Unterhaltung, also auch Abenteuer mit teils kniffligen Rätseln und Craftingelementen bereit. Gerade diese Vielfalt macht das Spiel zu einem besonderen Erlebnis. Die zahlreichen Rätsel fördern wichtige Fähigkeiten wie strategisches Denken, Problemlösung und Kreativität. Die Spielenden tauchen ein in eine Welt der Geheimnisse. Daher eignet sich das Spiel besonders für Entdeckerfreund*innen, Abenteuerlustige und Personen mit einer gesunden Portion an Neugier und Erfindungsdrang.
1 Zelda: Tears of the Kingdom – Spielzeit für jeden Spielstil - CHIP
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Katharina Stengl
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Kati Struckmeyer: Trauer und Turnschuh. Ein Podcast zur deutschen Erinnerungskultur
S. Fischer Verlag (2023). Trauer & Turnschuh. Podcast, kostenfrei, diverse Podcast-Plattformen
Die „emotionale Afterhour der Vergangenheit“, so nennen Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek im Trailer ihren Podcast Trauer und Turnschuh, in dem sie einmal im Monat darüber reden, was ihrer Meinung nach aus unserer Vergangenheit vergessen und verdrängt wurde, und was das mit unserer Gesellschaft macht. Sowohl Haruna-Oelker also auch Czollek sind Bestsellerautor*innen. Czollek brachte 2018 mit Desintegriert euch! eine Streitschrift heraus, die große Beachtung fand und viel diskutiert wurde. Haruna-Oelker zeichnet für Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken verantwortlich, das 2022 erschienen ist. In Trauer und Turnschuh reden die beiden über das Erinnern, vor allem aber auch über das Vergessen, nämlich das Vergessen der Geschichten, die nicht erzählt werden, weil sie nicht in die deutsche Erinnerungskultur ‚passen‘. Damit das Thema nicht zu schwer erscheint, reden Czollek und Haruna-Oelker sehr locker und meist leicht zugänglich darüber – dafür steht auch der Turnschuh im Titel. In der ersten Folge wird zu Beginn der sprachliche Unterschied zwischen Vergangenheit, Geschichte und Erinnerung ausdifferenziert, der eine der Grundlagen des Podcasts ist. Vergangenheit wird von Haruna-Oelker und Czollek als die Masse der Dinge, die passiert sind, verstanden. Geschichte wiederum als das, was wir davon auswählen und erzählen, verbunden mit einer bestimmten Dramaturgie. Erinnern schließlich ist sehr individuell und wird gleichzeitig gesellschaftlich verhandelt. Die beiden Podcast-Hosts machen es sich zur Aufgabe, das Erinnern ‚zu stören‘, indem sie den Fokus vor allem auf die Leerstellen des Erinnerns richten, und finden in weiteren Folgen verschiedene Antworten darauf, warum das Erinnern so wichtig ist.
Nachdem in der ersten Folge verschiedene Schlaglichter auf ganz unterschiedliche Themen und Begriffe gesetzt wurden, geht es in der zweiten Folge sehr konkret um das Sterben von Täter*innen. Der mediale Fokus liege immer auf den Opfern, so dass Haruna-Oelker und Czollek versuchen, die dadurch entstehende Lücke zu schließen, und die Frage der Täter*innen und ihrer Bestrafung zu beleuchten. Sie sehen in der Erzählung der Opfer eine Ersatzerzählung, die etabliert wurde, um die ausbleibende Strafe der Täter*innen nicht thematisieren zu müssen. Dazu befragen sie den Juristen und Philosophen Achim Dörfer, der die juristische Perspektive der Gerechtigkeit einbringt. Folge 3 und 4 widmen sich den Spezifika der ost- bzw. westdeutschen Erinnerungskultur. Dabei wird zum Beispiel auf den kommunistischen Widerstand und die DDR-Migrationsgesellschaft sowie bürgerlich-mittige Kulissen, postnationalsozialistische Befindlichkeiten und postmigrantische Aufbrüche in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. In Folge 5 widmen sich Haruna-Oelker und Czollek dem Kolonialismus und der Erinnerung daran. Sie wollen ein größeres Bild als allgemein üblich zeichnen, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Vorkapitel des Kolonialismus verbinden. An der Neuperspektivierung dieser Zusammenhänge wirkt die Historikerin Manuela Bauche mit. In Folge 6 mit dem Titel Was lernst du da? Unterricht und Gegenwartsbewältigung geht es darum, wie die bisher diskutierten Themen an Heranwachsende vermittelt werden können. Mit der Politikwissenschaftlerin und Gymnasiallehrerin Michal Schwartze sprechen Haruna-Oelker und Czollek über antisemitismus- und rassismuskritischen Lernstoff und Leerstellen dazu im Curriculum. Weiter diskutieren sie, was nötig ist, um Geschichte zu vermitteln und wie dabei kein rassistisches oder antisemitisches Framing reproduziert wird. Ein komplexes Thema, aus dem die Hörenden viel Wissen und neue Perspektiven gewinnen können. Hervorzuheben sind auch die Shownotes der jeweiligen Folgen. Wer sich weiter belesen, Wissen vertiefen und zusätzliche Perspektiven gewinnen möchte, findet hier viele Inspirationen. Haruna-Oelker und Czollek haben die Mission, mit ihrem Podcast viele Menschen zu erreichen, und wollen deshalb nicht elitär in der Sprache sein. Das gelingt leider nicht immer. Trotzdem ist der Podcast sehr hörenswert und man kann gespannt sein, welche Themen noch behandelt werden.
Trauer & Turnschuh ist Teil der Initiative Wissen Erinnern Fragen1 der S. Fischer Verlage.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Kati Struckmeyer: Nachrichten im Showformat. Deutschland 3000 – Die Woche mit Eva Schulz
Südwestrundfunk (2023). Deutschland 3000 - Die Woche mit Eva Schulz. Fernsehsendung, kostenfrei, ARD Mediathek.
„Hallo, das ist Deutschland 3000 und ich bin Eva Schulz. Unser Ziel ist, dass ihr nach der Sendung ein Stückchen schlauer seid, und vor allem, dass ihr euch besser ́ne eigene Meinung bilden könnt.“ So beginnt jeden Donnerstag die Sendung in der ARD Mediathek. Gastgeberin ist Journalistin und Podcasterin Eva Schulz, die jeweils mit zwei sehr gut informierten und vor allem meinungsstarken Gäst*innen Nachrichten der vergangenen Woche reflektiert. Ausführliche Recherchen, gute Fragen und teilweise ungewöhnliche Perspektiven sollen vor allem jüngere Zuschauer*innen erreichen und sie dabei unterstützen, sich in Zeiten von Polarisierung und Polemisierung eine fundierte eigene Meinung zu bilden.
So weit, so ambitioniert. Gleich in der ersten Sendung wartet Schulz mit zwei hochkarätigen Gäst*innen auf: Aline Abboud, Journalistin und Moderatorin, sowie Michel Abdollahi, Journalist und Entertainer. Die drei Themen, die vor Live-Publikum diskutiert und reflektiert werden, sind die Proteste im Iran, die Oscars für Im Westen nichts Neues sowie die deutsche Waffengesetzgebung. Jedem Thema sind ungefähr zehn Minuten vorbehalten. Drei Nachrichten für eine Woche – da stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden. Vor allem die iranischen Proteste geraten medial gerade etwas in den Hintergrund. Schulz und ihre Gäst*innen diskutieren deshalb unter anderem, wie wichtig es ist, bestimmte Nachrichten immer wieder in den Scheinwerfer zu holen, und welche Verantwortung Journalist*innen hierbei zukommt. Abboud und Abdollahi diskutieren nicht nur aus ihrer journalistischen Warte heraus, sondern lassen auch ihre persönliche Perspektive – mit Wurzeln im Libanon bzw. im Iran – einfließen. Dementsprechend wird die Diskussion auch emotional – teils berührend, teils aufbrausend, teils lustig.
Auch in den Folgesendungen schafft es Schulz, spannende Gäst*innen zu gewinnen, und eine gelungene Mischung aus Information, Diskussion und Unterhaltung zu bieten. Die Gäst*innen sind meist durch Fernsehen, Streaming oder Soziale Medien bekannt und sorgen für fundierte, abwechslungsreich präsentierte Informationen und Diskussionsbeiträge. Manchmal führt die Diskussion aktueller Themen auch zu grundsätzlichen Diskussionen. So diskutiert Schultz gemeinsam mit Ariana Baborie, Moderatorin und Podcasterin, und Hubertus Koch, Journalist und Filmemacher, in einer Sendung anhand der aktuell durchgeführten Streiks in Deutschland: „Sind Gewerkschaften noch sexy?“. Mit solchen Fragestellungen wird versucht, das Interesse junger Leute zu wecken – auch bei Themen, die jener Zielgruppe teilweise eher fremd oder angestaubt erscheinen. Mit Journalistin und Podcasterin Yasmine M’Barek und Autor und Journalist Friedemann Karig bekommen neben dem Streit in der Ampelkoalition sowie der Reichsbürger*innen-Problematik auch Themen wie Fußball und die Gästeliste der Met-Gala eine Bühne.
Insgesamt ist die Varianz bei Deutschland 3000 – die Woche mit Eva Schulz wirklich groß und dürfte viele junge (und natürlich auch ältere) Zuschauer*innen ansprechen. Abwechslungsreich sind zudem verschiedene Spiele, die im Laufe der Sendungen dazukommen. So müssen die Gäst*innen zum Beispiel schätzen, in welchem Bundesland es die meisten Reichsbürger*innen gibt, oder anhand von Twitter-Zitaten erraten, wer zuletzt aus welcher Redaktion oder von welcher Gäst*innenliste geflogen ist. Zusätzlich werden Videoumfragen in der Bevölkerung als auflockerndes Element eingespielt. Bei den Umfragen wird offensichtlich sehr darauf geachtet, eine große Bandbreite der Bevölkerung abzubilden, was (leider) immer noch nicht selbstverständlich für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ist. Auch der Look der Sendung ist zeitgemäß – Kameraführung, Beleuchtung, Bühnenbild –, alles ist auf ein junges Publikum und dessen Sehgewohnheiten ausrichtet. Denn gerade diese Zielgruppe ist momentan oft verunsichert von Falschnachrichten und hat das Vertrauen in die Medien teilweise verloren. Zu arbeiten wäre manchmal noch an einer einfacheren Sprache in der Sendung, um die Zielgruppe besser zu erreichen.
Zu wünschen wäre Deutschland 3000 nicht nur durchschlagender Erfolg in der Mediathek, sondern auch ein prominenter Platz im linearen Fernsehen. Das könnte ein wichtiger Schritt sein, um das jüngere Publikum nicht völlig daraus zu verlieren.
Lisa Melzer: Serious Game auf den Spuren der Klimaforschung
Südwestrundfunk (2023). Die große Klima-Challenge – Reise zu den Hotspots der Klimaforschung. Bildungssoftware, Serious Game, kostenfrei, www.planet-schule.de/mm/klima-challenge
Der Klimawandel schreitet täglich voran, drängt zum Handeln und könnte in wenigen Jahrzehnten viele Regionen auf diesem Planeten für uns unbewohnbar machen. Vor allem junge Menschen auf der ganzen Welt engagieren sich gegen die globale Erwärmung und setzen sich intensiv mit der drohenden Klimakatastrophe auseinander. Daraus ergibt sich für pädagogische Fachkräfte der Auftrag, junge Menschen darauf vorzubereiten, was sie erwartet und sie zu befähigen, an der Entwicklung von Zukunftsstrategien zur Bearbeitung dieser komplexen Problemlagen mitzuwirken.
Gemeinsam mit Autorin Susanne Blech und Redakteur*innen des SWR bringt Planet Schule mit der interaktiven Klima-Challenge ein Lernspiel heraus, welches Schüler*innen auf eine spannende Reise zu vier Hotspots der Klimaforschung mitnimmt – darunter etwa das Mauna Loa Observatory auf Hawaii oder die Neumayer-Station in der Antarktis. Insgesamt werden Spieler*innen 16 Lerneinheiten geboten, die auf unterschiedliche Art und Weise komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse aufbereiten und Wissen zu komplexen Zusammenhängen des Klimawandels vermitteln. Wurden alle Aufgaben erfolgreich gemeistert, erhalten Spieler*innen am Ende die ‚Lizenz zum Mitreden‘, die es ihnen ermöglichen soll, sich als kompetente und kritische Diskussionspartner*innen im Kontext der Klimadiskussion zu verstehen.
Begleitet werden die Reisen von renommierten Wissenschaftler*innen wie Dr. Stefanie Arndt (Antarktis) oder Aidan Colton (Hawaii), welche das Spielgeschehen kommentieren, die Spieler*innen durch die einzelnen Aufgaben führen und sie durch Rückmeldungen bei der Lösungsfindung unterstützen. Die Spieler*innen können über einen Chat direkt mit den Wissenschaftler*innen interagieren, wodurch die Wirkungsweise von Spielentscheidungen visuell erlebbar wird. Verstärkt wird dies durch die grafische Gestaltung des Spiels: Im Stil einer Graphic Novel werden 3D-Szenen und 2D-Illustrationen miteinander verbunden, um eine eindrucksvolle Welt zu erzeugen, welche die Spieler*innen vollständig in das virtuelle Lernabenteuer eintauchen lässt. Das atmosphärische Design trägt wesentlich dazu bei, visuell die Weite und Einsamkeit der einzelnen Spiellocations zu betonen. Das interaktive Lernabenteuer soll nicht nur bereits informierte oder engagierte Spieler*innen ansprechen, sondern auch diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die Dringlichkeit einer klimaschonenden Lebensweise noch nicht verspüren und durch das Spielerlebnis erste Anregungen zur Auseinandersetzung mit der Thematik erhalten können.
Insgesamt eignet sich das Spiel sowohl für den Einsatz in schulischen als auch außerschulischen Lernumgebungen, da es pädagogischen Fachkräften vielfältige inhaltliche Anregungen zur Besprechung und Diskussion von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimathematik an die Hand gibt. So können Schüler*innen im Rahmen der spielerisch aufbereiteten Übungen Wasserproben entnehmen, Bohrkerne aus der antarktischen Eislandschaft entfernen oder Solarsegel reparieren, um die Stromversorgung im Weltraum wiederherzustellen. Die Inhalte können dabei als Unterstützung dienen, um komplexe und abstrakte Themen wie Klima- und Umweltschutz für Lernende greifbar zu machen – etwa mithilfe von Rätseln oder Erklärvideos, die zum Nachdenken, Diskutieren und Reflektieren anregen. Somit kann das Spiel Lehrkräfte dabei unterstützen, gemeinsam mit Schüler*innen digitale Werkzeuge zu erforschen und diese im Rahmen des Unterrichts zur Vermittlung von Kompetenzen für ein nachhaltiges Denken und Handeln einzubinden.
Mithilfe des liebevollen Designs und der interaktiven Gestaltung wird eine Atmosphäre erzeugt, die Spieler*innen das Gefühl gibt, in die Rolle von Klimaforschenden einzutauchen. Das Lernspiel leistet einen wichtigen Beitrag, um Lernende für gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen zu wappnen, die ihnen in der Zukunft bevorstehen und ihnen notwendige Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung zu vermitteln. Das Lernspiel eignet sich vor allem für den Einsatz im Unterricht, aber auch für außerschulische Bildungssettings, um das Interesse und Engagement von jungen Menschen für klimawissenschaftliche Fragestellungen und Lösungsansätze zu fördern und ein Bewusstsein für bestehende Handlungsbedarfe im Hinblick auf Auswirkungen und Folgewirkungen des Klimawandels herzustellen. Schulische und außerschulische BNE-Aktivitäten1 und Angebote können allerdings nicht durch Serious Games ersetzt werden, sondern sollten nur ergänzend zur Vertiefung oder Reflektion des Gelernten herangezogen werden. Das Lernspiel entstand in Zusammenarbeit mit den für Bildung zuständigen Ministerien der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland.
1BNE: Bildung für nachhaltige Entwicklung
Nicole Lohfink/Markus Achatz: Filmfestival inmitten gesellschaftlicher Krisen - Berlinale 2023
Nach zwei coronabedingt veränderten Jahren wollten die Internationalen Filmfestspiele in Berlin wieder durchstarten und mit dem Motto ‚Let’s get together‘ zu alter bzw. neuer Form finden. Filmteams reisten aus aller Welt an und waren bei den Premieren anwesend. Besonders politisch wollte die Leitung unter Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian deutliche Zeichen setzen und insbesondere die Kunst – und den Film als Mittel der Kunst – in ihrer gesellschaftlich wichtigen Rolle hervorheben. Politische Krisen spiegelten sich sowohl in der Eröffnung als auch im Programm der Sektionen wider: beginnend mit dem Krieg in der Ukraine, über die schwierige Situation im Iran, bis hin zum Schicksal der Kurd*innen und der Belagerung von Sarajewo im Balkankrieg der 1990er-Jahre. Das aktuelle Zeitgeschehen kam bereits zum Festivalauftakt mit einer Live-Video-Zuschaltung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi direkt in die Kinosäle. Kriegsgeschehen und gesellschaftliche Umbrüche sowie grundlegende gesellschaftliche Fragen dominierten das Festival. Das Angebot zeigte vielfach Widersprüchlichkeiten, Brüche und harte Realitäten auf. Geradezu als ‚Gegenbilder‘ zum Gewohnten waren einige Filme eine Demonstration von Sprachlosigkeit, indem sie Botschaften mal gänzlich und mal in Passagen ohne Worte transportierten.
SPRACHLOSIGKEIT ALS MITTEL DER KOMMUNIKATION
Survival of Kindness von Rolf de Heer
„Nach dem Verlust der Vernunft kommt das Überleben der Freundlichkeit“ titelt der Film aus dem BERLINALE WETTBEWERB. Stille und Sprache als etwas Befremdliches dominieren hier. Eine absurd anmutende Welt, in der gesprochene Worte nicht verständlich, Geräusche jedoch wichtige Orientierungspunkte für das Überleben sind und ganz offenkundig Feindschaft vorherrscht. Die Protagonistin beginnt ihre Reise in Gefangenschaft und das Publikum folgt ihr bei ihrem Ringen um Freiheit auf ihrem Weg zurück in ihre Heimat, zu einer Zukunft, in der die Freundlichkeit noch existiert. In langen, intensiven Bildern durchwandert die Figur dabei die Umgebung, erlebt kurze zwischenmenschliche Begegnungen, entwickelt Achtsamkeit und Überlebenskunst. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, ihre Hautfarbe ist der Verräter und kann nur mit Schminke und einer Gasmaske oberflächlich verborgen werden. Nur kurz erleben die Zuschauenden mit ihr so etwas wie eine Idylle, wenn sie etwa inmitten unberührter Natur an einem See sitzend ihr Gesicht in die Sonne hält. Das Ziel entpuppt sich als eine in eine Industrie-Wüste verwandelte Stadt in Feindeshand, die Heimat ist verloren und symbolisch verbrennt die Protagonistin eine Spielzeug-Flagge – ein Abschied. Erneut entkommt sie und macht sich auf den Weg. Nur einmal im Film kommt es zu einem echten Austausch von Worten zwischen der Protagonistin und einem anderen Mädchen. Beide sprechen unterschiedliche Sprachen, es gibt keine Untertitel für die Zuschauenden; somit sitzen alle im gleichen Boot. Es wird in dieser Szene deutlich, dass es auch ein Verständnis über Worte hinaus gibt. Der Rückweg der Protagonistin wird nicht mehr von steter Wachsamkeit überschattet. Am Ende sind es die unerfüllten Sehnsüchte und Vorstellungen, die das Geschehen steuern und noch ein letztes Mal Widerstand leisten. Survival of Kindness ist ein bildgewaltiger Film, der durch die Kameraführung und den Umgang mit Audio eine magnetisierende Dystopie entwirft und gleichzeitig den Fokus auf das Ungesagte und dessen ungeahnte Möglichkeiten lenkt.
Im toten Winkel von Ayşe Polat
Der Film der kurdisch-deutschen Regisseurin Ayşe Polat (aus dem Nebenwettbewerb ENCOUNTERS) macht die sechsjährige Melek, die kaum spricht, deren Blick aber durch Mark und Bein geht, zu einer Schlüsselfigur einer Geschichte über Schicksal und Traumata kurdischer Familien in der Türkei. Im Thrillerformat erzeugt Polat mehrere filmische Ebenen: zum einen als Actionkrimi zwischen wütenden Attentaten, geheimnisvollen Überwachungen und Mystery-Elementen. Melek scheint hellseherische Fähigkeiten zu besitzen und weiß Dinge, die sie mit ihren sechs Jahren eigentlich nicht wissen kann. Zum anderen der Film-im-Film durch das Drehen einer Dokumentation der deutschen Filmemacherin Simone im Nordosten der Türkei. Drittens das Doku-Material, das Portrait der kurdischen Frau Hatice, die ihren Sohn verloren hat. Seit dieser vor rund 25 Jahren nicht mehr nach Hause gekommen ist, kocht Hatice jeden Freitag eine Suppe für ihn und verteilt sie im Dorf. Die Schaffung ‚imaginärer Denkmäler‘ ist der Antrieb für Simones Dokumentation und basiert gleichzeitig auf der wahren Begebenheit, dass insbesondere in den 1990er-Jahren eine Vielzahl an jungen Kurd*innen spurlos verschwand. Bis heute demonstrieren die sogenannten ‚Samstagsmütter‘ in Istanbul, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Mit komplexen Perspektivwechseln zwischen den Fronten, geisterhaften Szenarien und nüchternen Überwachungsaufnahmen im ‚Blickwechsel‘ mit Melek, die als einzige die Kameras schon längst entdeckt hat, ist Ayşe Polat ein raffinierter Film gelungen. Sie schildert die Paranoia von Überwachung und Verfolgung und präsentiert gleichzeitig ein authentisches Sozialdrama.
VERLUST UND MEER
Sica von Carla Subirana
Die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion interessiert auch die spanische Regisseurin Carla Subirana. Ihr Spielfilm Sica (Weltpremiere bei GENERATION 14plus) wurde an der Küste Galiciens mit Lai*innen aus der Region gedreht. Die 14-jährige Sica hat ihren Vater verloren, der mit einer Fischer-Crew im Meer ertrunken ist. Ständig sucht sie das Meeresufer nach ihm ab. Es heißt, es blieben sieben Tage, bis das Meer seine Opfer zurückbringe. Wenn sie bis dahin nicht kämen, tot oder lebendig, behalte das Meer sie für immer. Nach dem tragischen Ereignis muss Sica sich im Ort auf neue Art behaupten und ein schwerer Zyklon steht bevor. Die Story bewegt sich zwischen der Naturgewalt der Costa del Morte und dem Mikrokosmos eines ärmlichen Fischerdorfs. Ein ruhiger, teils poetischer Film mit beeindruckenden Hauptdarstellerinnen (Sica und ihre Mutter), der streckenweise die zwischenmenschlichen Beziehungen Sicas tiefer hätte inszenieren können.
Zeevonk von Domien Huyghe
Die Symbolhaftigkeit des Meeres durchzieht auch Zeevonk (Meeresleuchten), den Eröffnungsfilm und ein Highlight im GENERATION Programmsegment Kplus des belgischen Filme-
machers Domien Huyghe. Auch hier ist ein Fischerboot auf dem Meer verschollen und die 12-jährige Lena und ihre beste Freundin Kaz haben ihre Väter darin verloren. In den ersten
Minuten werden Lenas unbeschwerte Kindheit und ihre Liebe zum Meer und zu ihrem Vater eingeführt, ehe in einem jähen Szenenwechsel die Trauerfeier auf See den tragischen Tod der Seeleute ins Zentrum rückt. Lena sieht einen riesigen schwarzen Schatten unter dem Boot tauchen und ist überzeugt, dass ein Seeungeheuer für den Tod des Vaters verantwortlich ist. Auf dem Grat zwischen Kindheit und Erwachsenwerden erscheint Lena die mystische Variante des Monsters greifbarer, als den realen Tod des Vaters zu akzeptieren. Der Film konzentriert sich stark auf die Hauptprotagonistin, die beinahe wie im Wahn an der Idee der bösen Kreatur festhält. In diesem Sinne wird Zeevonk zu einer Fabel. Lenas Handeln wird egozentrischer und ungerecht gegenüber anderen, die ebenfalls mit Trauer und Verlust umgehen müssen. Dabei behält die Inszenierung Lenas Mutter, Geschwister sowie auch die beste Freundin Kaz und deren Familie immer im Auge. Das Meer in seiner Symbolik bleibt die unergründliche Konstante: mächtig, unbezähmbar, aber auch Lebensgrundlage der Fischerfamilien. Das Drehbuch haben Regisseur Domien Huyghe und seine Schwester Wendy gemeinsam geschrieben und den Verlust des eigenen Vaters in jungen Jahren autobiographisch einfließen lassen. Zeevonk ist ein eindrücklicher Jugendfilm, der verstärkt wird durch die schauspielerische Leistung von Saar Rogiers (Lena), den Soundtrack und die tolle Kameraarbeit von Anton Mertens.
TRAUERBEWÄLTIGUNG UND SINNSUCHE
Samsara von Lois Patiño
Der Abschied von geliebten Menschen, das Leben nach dem Tod, was passiert mit der Seele des Menschen ... In Samsara sind diese Fragen zentral und das Publikum darf das Sterben und die Wiedergeburt auf ungewöhnliche Weise begleiten. Eine alte Frau bereitet sich auf ihren Tod vor und ein Junge liest ihr gemäß eines Ritus’ aus einem Buch mit buddhistischen Lehren vor. In Gesprächen zwischen den beiden erfahren die Zusehenden etwas über den buddhistischen Übertritt, wie er in Laos verstanden wird; über den Weg sowie über die Wünsche der alten Frau für ihre Wiedergeburt. Als es soweit ist, kommt der Übertritt und für die Kinobesucher*innen ist es eine ungewöhnliche, experimentelle auditiv-visuelle Erfahrung. Ein spiritueller Film, der zugleich die Seh-
gewohnheiten und die spirituelle Erwartung und Erfahrung des Publikums nutzt und damit spielt.
Dancing Queen von Aurora Gossé
Mina hat Spaß am Lernen, einen besten Freund, eine coole Großmutter und verständnisvolle Eltern. Als ein neuer, tanzbegeisterter Schüler auftaucht, ist sie voller Aufregung. Sie beginnt ebenfalls zu tanzen, koste es, was es wolle und wird dabei immer von ihrer Großmutter bestätigt. In ihrer Begeisterung weckt Mina auch bei ihrem besten Freund die Tanzfreude, verliert sich aber auch in ihren und den Ansprüchen anderer an sie. Auch hier ist ihre Großmutter diejenige, die Orientierung gibt. Am Ende macht Mina das Beste aus den Erfahrungen und gewinnt an Vielfalt, Nähe, Freundschaft und der Liebe zum Tanz. Der Film beleuchtet Themen des Erwachsenwerdens wie Eigen- und Fremd-Wahrnehmung, die Suche nach den eigenen Wünschen, das Streben nach äußerlichen Idealen, aber auch das Überwinden von Schwächen und Ängsten und die Wichtigkeit von Bezugspersonen, die Halt geben können. IhreOma hilft Mina beim Ausprobieren ihrer heimlichen Leidenschaft, bestärkt sie im Scheitern und im Dazugewinnen. Vor allem bestärkt sie Minas Weg der Selbstfindung. In klarer Erzählstruktur und mit viel Situationskomik entwickelt sich Minas Geschichte und die Liebe zur Großmutter kommt in einer bodenständigen Poetik zum Ausdruck. Ein Wohlfühl-Film mit glaubwürdiger Botschaft.
KAMMERSPIEL MIT KAKTUS
Adolfo von Sofía Auza
Ein Kaktus ist nicht schön, aber sehr robust. Anders als die beiden jungen Filmfiguren, die sich an einer abgelegenen Bushaltestelle irgendwo im Nirgendwo begegnen. Momo sitzt mit ihrem Skateboard auf der einen Straßenseite. Am Bushäuschen auf der anderen Seite zischt ein Bus vorbei – der letzte für heute. Hugo hat ihn verpasst. Damit beginnt die Story von Adolfo der mexikanischen Regisseurin Sofía Auza. Die beiden unterhalten sich – zunächst über die Straße hinweg. Momo will zu einer Geburtstagsparty und ist gerade aus einer Rehaklinik zurück. Hugo hat einen Kaktus in der Hand und ist auf dem Weg zur Beerdigung seines Vaters. Alles, was er ihm vermacht hat, ist ein Zettel mit der Bitte, für Adolfo ein neues zu Hause zu finden: Adolfo ist der Kaktus. Wir begleiten Momo und Hugo durch die Nacht bis zum ersten Bus. Sofía Auza hat großartige Dialoge geschaffen. Die Ästhetik aus Licht, Farben und dem quadratischen Bildformat ist faszinierend. Ein Kammerspiel mit zwei sehr starken Charakteren und einer heimlichen Hauptrolle: dem Kaktus Adolfo. Die Geschichte ist warmherzig, manchmal sehr lustig und im nächsten Moment wieder nachdenklich und traurig. Sie könnte überall auf der Welt spielen. Im Zentrum stehen die Gefühle, Gedanken und Sehnsüchte der beiden Jugendlichen und die global gültige Sensibilität macht Adolfo zu einem ganz besonderen Film. Verdient erhielt er den Gläsernen Bären für den besten Film der 14plus-Jugendjury.
LEBEN(S)GESCHICHTE
Ha'mishlahat (Delegation) von Asaf Saban
Auf Klassenfahrt – Freundschaften werden erforscht, neu gebildet, Grenzen ausgetestet. Nur geht es auch darum, Gedenkstätten des Holocaust zu besuchen und in geschichtliche Gräuel einzutauchen, die beinahe unvorstellbar sind. Ein Zeitzeuge reist mit, um aus erster Hand zu berichten, die Lehrer*innen haben klare Vorstellungen, wie sich dem Thema genähert werden soll; auch, welche Wirkung bei den Schüler*innen erwünscht ist. Die persönlichen Themen der Jugendlichen finden dazwischen statt. Ein Thema, das zunächst schwere Erwartungen weckt, wird hier mit der Unmittelbarkeit der Erfahrungen Jugendlicher verknüpft. Ein Freundes-Trio steht dabei im Mittelpunkt. Aus verschiedenen Perspektiven werden erste Liebe, Facetten von Freundschaft und die Auseinandersetzung mit einer zutiefst persönlichen Verfolgungsgeschichte thematisiert. Dabei suchen die Jugendlichen nach ihrer eigenen Weise, mit dem Geschehen umzugehen. So werden mit einem dramaturgischen Kniff Erwartungshaltungen unterlaufen und ein anderer Blickwinkel eröffnet sich. Der verwunderte Blick auf politisches Gebaren eines der Protagonisten, als er Verursacher und alleiniger Ehrengast einer Impromptu-Gedenkfeier wird, lässt auch das Publikum neu hinsehen und seine Suche besser nachvollziehen. Schauspielerisch stark zeichnen sich die Erfahrungsschritte in den Gesichtern der Protagonist*innen ab. Ein einfühlsamer Film über die jugendliche Welt und die Orientierungssuche unabhängig von den Erwartungen Erwachsener. Ein nachdrücklicher Film auch angesichts dessen, dass der israelische Produzent Yoav Roeh beim Screening auf die aktuelle, prekäre politische Lage in Israel hingewiesen hat.
Beitrag aus Heft »2023/02: Social Media in der Beratung«
Autor:
Nicole Lohfink,
Markus Achatz
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Lisa Melzer: Exit the Fake
Brockhaus (2023). Exit the Fake. Serious Game zum Thema ‚Fake News‘, kostenpflichtig1 (nur auf Nachfrage).
www.brockhaus.de/info/schulen/escape-game
Fake-Profile, Propaganda, Gerüchte und Verschwörungen: Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge scheint im digitalen Zeitalter immer undurchsichtiger zu werden. In welchem Ausmaß besonders junge Menschen von Desinformationen im Netz betroffen sind, legt eine Studie der Vodafone Stiftung von 2020 nahe: So begegnen etwa 76 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland mindestens einmal pro Woche Falschnachrichten über Websites, Soziale Netzwerke oder Messenger-Dienste. Das ist ein Anstieg von 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Alarmierend ist außerdem, dass mehr als die Hälfte der Befragten Fake News nicht nur mit dem Internet, sondern zunehmend auch mit klassischen Medien wie Presse, Radio oder Fernsehen in Verbindung bringt. Doch wie können junge Menschen dabei unterstützt werden, Desinformationen zu erkennen und richtig einzuordnen? An dieser Stelle setzt das neue Serious Game Exit the Fake von Brockhaus an. Den Rahmen des Spiels bildet die Geschichte rund um Marie und Kemal, die als Content-Creator mit ihrem Kanal Die Wahrsager über die Auswirkungen des Klimawandels aufklären und Umweltskandale aufdecken. Als sie schließlich Opfer eines Hacker-Angriffs werden und ihnen die Veröffentlichung eines gefälschten Deepfake-Videos angedroht wird, sind sie auf die Unterstützung ihrer Community angewiesen, um ihren Kanal zu retten. Jede Spieleinheit umfasst verschiedene Rätsel und Aufgaben, mit denen die Spieler*innen schrittweise einen vierstelligen Code erarbeiten, den sie benötigen, um die Sicherheitsschleusen zu knacken und die Veröffentlichung des gefälschten Videos zu verhindern. Im Laufe des Spiels werden die Spieler*innen schrittweise darüber aufgeklärt, wie sie Fake News, Verschwörungstheorien und Troll-Kommentare leichter identifizieren und zuverlässig von seriösen, vertrauenswürdigen Informationen unterscheiden können. Außerdem werden ihnen konkrete Werkzeuge und Instrumente an die Hand gegeben, mit denen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur kritischen Einordnung,
Überprüfung und Bewertung von Quellen geschult werden können. Untermalt werden die Lerneinheiten durch animierte Erklärvideos, in denen die Protagonist*innen Marie und Kemal das Spielgeschehen kommentieren, Wissen über Absichten, Mechanismen und Wirkungen von Desinformationen vermitteln und die Spieler*innen zur Erprobung kreativer Strategien und Umgangsweisen mit Falschmeldungen anregen. Zu jedem Themenkapitel werden zudem Erklärtexte zu den in der Geschichte verwendeten Schlüsselbegriffen zur Verfügung gestellt, die ein differenziertes Verständnis der verschiedenen Formen von Fake News und deren Risikopotenzial ermöglichen. Mit diesem Zusatzmaterial können sich Spieler*innen intensiver mit einzelnen Thematiken und Interessensschwerpunkten befassen, was zur Reflexion des Gelernten anregt. Exit the Fake ist in erster Linie für Schüler*innen der siebten bis zehnten Klasse konzipiert und eignet sich vor allem für den Einsatz in Unterrichtsfächern wie Deutsch, Politik oder Sozialkunde. Vorausgesetzt werden lediglich Grundkenntnisse im Umgang mit digitalen Medien und dem Internet. Aufgrund der einfachen Bedienung und intuitiven Spielmechanik bietet das Game auch außerhalb schulischer Settings vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, um bei Jugendlichen ein Verständnis für komplexe Phänomene wie den Klimawandel zu schaffen und ein kritisches Bewusstsein für die damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen herzustellen. Eine wesentliche Besonderheit von Exit the Fake ist die gelungene Kombination aus Lern- oder Unterhaltungssoftware, da es Spieler*innen sowohl Möglichkeiten zum Wissens- bzw. Kompetenzerwerb als auch zum Erfahren von Selbstwirksamkeit bietet. Damit stellt es eine geeignete Ergänzung zu traditionellen Lehr- bzw. Unterrichtsmethoden dar, um unterschiedliche Entscheidungs-
möglichkeiten und Lösungswege auszuprobieren und zu erleben, welche Konsequenzen sich aus dem eigenen Handeln ergeben. Insgesamt zielt Exit the Fake somit auf die Förderung wichtiger Zukunftskompetenzen ab, die für einen verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien von hoher Bedeutung sind. Mit Blick auf die Ermöglichung eines inklusiven Spielerlebnisses wäre es jedoch wünschenswert, weitere Bedienungshilfen und/oder erweiterte Einstellungsoptionen zur Verfügung zu stellen, um das Tool für heterogene Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedarfen zugänglich zu machen und es ihnen zu ermöglichen, das Spielerlebnis nach ihren Bedürfnissen anzupassen.
1 Für Interessierte besteht die Möglichkeit, ein unverbindliches Angebot anzufordern und die Inhalte 14 Tage lang kostenlos zu testen. Das Spiel ist zudem Teil des Medienkompetenz-Pakets von Brockhaus für die Sekundarstufe I, welches neben dem Serious Game weitere Materialien zur Medienkompetenzförderung von Heranwachsenden umfasst.
Judith Bittner: Durch die Gipfel des Dschungels
Broken Rules (2022). Gibbon: Beyond the Trees. Game für den PC (Steam; 13,99 €) und die Nintendo Switch (13,99 €).
Hoch hinaus in neue Welten – das können Spieler*innen in Gibbon: Beyond the Trees. In dem Jump ‘n‘ Run-Abenteuer können sie die Lebenswelt der Gibbons selbst erkunden, indem sie einen solchen steuern, um ihn bei seiner Reise durch den Dschungel zu begleiten. Hierbei besteht die Aufgabe darin, ihn erfolgreich durch den Dschungel zu führen, sodass er alle Schwierigkeiten erfolgreich meistert und nicht abstürzt. Ist es zu Beginn noch leicht, den Gibbon die Baumwipfel und andere Hindernisse erklimmen zu lassen, wird das im Verlauf des Spiels immer schwerer. Spieler*innen können sich schnell auf den Ablauf der Handlungen einstimmen, da sie immer wieder mit einer ähnlichen Ausgangslage konfrontiert werden: Ein Gibbon auf seiner Reise durch die Wälder. Spieler*innen bleiben stets in der Außenperspektive, entscheiden über die Handlungen des Gibbons, können aber die Umgebung und Szenarien der Geschichte nicht beeinflussen. Die Spielfunktionen sind auf zwei Tastenkombinationen beschränkt.
Die Spielkulisse ist vornehmlich der Dschungel, welcher anhand der Bäume und weiterer grafischer Elemente erkennbar wird. Akustik-Musik und Schreie der Gibbons begleiten Spieler*innen durch den malerischen Lebensraum der Affen, welcher vom menschlichen Handeln nicht unberührt bleibt. So hangelt nicht nur der Gibbon durch einen naturbelassenen Dschungel, dieser wird auch von Menschen bewirtschaftet. Seine Reise ist in mehrere Kapitel unterteilt. In jedem sieht die Umgebung etwas anders aus und es steht eine sich chronologisch entwickelnde neue Thematik im Vordergrund. So wirkt der Dschungel zu Beginn des Spiels als ein Ort, in welchem naturbelassenes Leben stattfindet. Gleichzeitig wird der Gibbon im Spielverlauf mit einem brennenden Dschungel konfrontiert, welcher im Zeichen der Abholzung von Wäldern steht. Hier wird exemplarisch der menschliche Einfluss in die Lebenswelt der Gibbons sichtbar und anhand weiterer Merkmale, wie durch Bagger, Spieler*innen nähergebracht. Ein weiterer spezieller Gibbon-Affe begleitet und leitet Spieler*innen auf dem Weg durch den Dschungel. Die beiden Gibbons scheinen sich nahezustehen und so streifen oftmals beide zusammen durch die Wälder. Obwohl bei dem Spiel ähnliche Abläufe stattfinden, bleibt ein Spannungsbogen erhalten, da man es kaum abwarten kann, welche Wendung der Spielverlauf nehmen wird.
Von (medien-)pädagogischem Interesse ist die unterschwellige Auseinandersetzung mit Themen wie Artenschutz und Naturschutz. So wurde eine Affenart als Spielfigur gewählt, welche vom Aussterben bedroht ist. Dies wird im Spiel leider nicht direkt vermittelt, aber deutet auf den vermeintlichen Gedankengang gang der Entwickler*innen hin, auf das Aussterben der Gibbons aufmerksam zu machen. In den einzelnen Kapiteln werden Spieler*innen nämlich schon mit der harten Realität konfrontiert, dass die Naturbelassenheit des Dschungels unter den Einflüssen von Menschen teils äußerst negativ beeinflusst wird; indem Bäume abgeholzt werden, sich Menschen ansiedeln und Waldbrände entfachen. Dies regt zum Nachdenken an und führt die Relevanz des Erhalts des Dschungels vor Augen. Diese Botschaft könnten ältere Kinder wahrnehmen und sie zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik anregen, in der (medien-)pädagogischen Praxis oder an Schulen könnte es direkt dazu eingesetzt werden. Jedoch ist hervorzuheben, dass das Spiel hierfür lediglich als Anregung dienen kann, da im Fokus stets die Spielfreude steht.
Das Spiel Gibbon: Beyond the Trees wurde kürzlich mit dem Pädagogischen Medienpreis 2022 ausgezeichnet und überzeugte aufgrund der Atmosphäre und der geringen komplexen Spielmechanik. S.I.N – Studio im Netz empfiehlt das Spiel ab sieben Jahren. Diese Einschätzung erscheint aufgrund der Thematik und der simplen Spiellogik angemessen. Der Eingriff der Menschen in den Lebensraum wird nicht brutal dargestellt, sondern vielmehr durch Grafiken und Hindernisse vermittelt. Somit werden jüngere Spieler*innen angemessen herangeführt. Mithilfe des farbenfrohen Designs und grafischer Animationen schaffen es die Entwickler*innen das Gefühl auszulösen, nicht nur einen Gibbon zu steuern, sondern für die Spielzeit auch einen Teil der Geschichte zu verkörpern. Dies wird durch die Liebe zum Detail gefördert, welche das Spiel prägt. So sind die einzelnen Kapitel auch inhaltlich benannt, welche dabei helfen, sich als Spieler*in mit der Handlung zu identifizieren.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor:
Judith Bittner
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Lisa Melzer: Spielentwicklung leicht gemacht – Mit Candli zum eigenen Online-Game
Enlightware (2020). Candli. Online-Software. Kostenfreie Basisversion, Premiumversion auf Anfrage.
Einblicke in Berufsfelder wie Gamedesign oder Spieleentwicklung erhalten? Für viele Kinder und Jugendliche eine Traumvorstellung. Wer sich gerne Geschichten überlegt oder fantastische Welten ausdenkt, hat vielleicht schon mal davon geträumt, wie es wäre, die eigenen Gedankenkonstrukte zum Leben zu erwecken. Mit dem kostenlosen Programm fällt der Einstieg in den komplexen und aufwendigen Akt der Spieleentwicklung leicht. Alles, was dafür nötig ist, sind Stift, Papier und ein
Smartphone oder Tablet. Die Idee der App besteht darin, Zeichnungen, Malereien oder Bilder in ein selbst gestaltetes Videospiel mit eigenen Regeln einzubauen. Mit wenigen Klicks können Kinder auf diese Weise in einem komplett personalisierten Spiel aktiv werden und einzigartige Kreationen erschaffen.
Bis das fertige Spiel steht, gilt es mithilfe des Programms fünf Arbeitsschritte zu durchlaufen. Zunächst wählen die Nutzer*innen eine der vier Ansichten aus, die sich am besten zur Verwirklichung der eigenen Spielideen eignet. Steht der Rahmen des Spiels fest, kann der kreative Schaffensprozess beginnen. Nun müssen Figuren, Gegenstände und Objekte auf Papier festgehalten werden, die Teil des individuellen Spieleuniversums werden sollen. Welche Stifte und Farben dafür zur Anwendung kommen, bleibt den jungen Künstler*innen selbst überlassen. Um die analogen Spielelemente in die digitale Spielewelt zu importieren, werden alle Zeichnungen mit der Tablet- oder Handykamera fotografiert und in den Spieleeditor hochgeladen. Danach können die Objekte frei in der Spielewelt platziert und mithilfe einer visuellen Programmiersprache mit Wenn-Dann-Regeln versehen werden. Ist die Programmierung abgeschlossen, kann das personalisierte Spiel per QR-Code mit Familie, Freund*innen oder Mitschüler*innen geteilt werden.
Um einen Überblick über alle Funktionen und Möglichkeiten von Candli zu erhalten, stehen den Nutzer*innen KI-gestützte Erklärvideos zur Verfügung, die den Umgang mit der Programmoberfläche erleichtern und die einzelnen Arbeitsschritte bis hin zum fertigen Spiel auf kindgerechte Weise erläutern. Orientierung bietet dabei auch eine Übersicht über Spiele von anderen Nutzenden, die ebenfalls mit der Software erstellt wurden und als Inspiration für neue Ideen dienen können. Ob schnelle Autorennen, knifflige Rätsel oder nervenaufreibende Jump ’n Run-Abenteuer: dem Einfallsreichtum der Nutzer*innen sind keine Grenzen gesetzt. Gerade zu Beginn können diese Beispiele als Unterstützung dienen, um sich mit der Handhabung des Programms vertraut zu machen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Möglichkeiten die Software zum Experimentieren mit Formen, Farben und Spieloberflächen bietet. Zusätzlich steht ein Forum zum Austausch von Fragen oder anderen Anliegen zur Verfügung. Dort können Nutzer*innen nicht nur Hinweise zur Bedienung der Software erhalten, sondern auch sich und andere über Updates, Erweiterungen oder Verbesserungen des Programms informieren. Gerade diese Funktionen tragen wesentlich dazu bei, sich in der bunten Palette an Gestaltungsoptionen zurechtzufinden.
Wertvolle Lerneffekte ergeben sich vor allem durch eine eigenständige und selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Programms und dem Wissens- und Erfahrungsaustausch mit anderen Lernenden. Candli ermöglicht es somit insbesondere jungen Nutzer*innen, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und sich angesichts herausfordernder Aufgaben als selbstwirksam zu erleben. Besonders der Prozess des Umwandelns analoger Zeichnungen in virtuelle Spielwelten schafft Räume, auf Entdeckungsreise zu gehen, eine andere Perspektive einzunehmen und neue Zusammenhänge herzustellen.
Schlussendlich werden dadurch vielfältige Potenziale zum Einsatz derartiger Software zur Steigerung der Lernmotivation und/oder auch zur Gestaltung von Gruppen- oder Projektarbeiten deutlich.
Candli zeichnet sich gegenüber anderen Tools dadurch aus, dass es Nutzer*innen durch Experimentieren und Ausprobieren ermöglicht, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und sich eigenständig digitale Kompetenzen anzueignen. Die Anwendung überzeugt mit einem Konzept, welches über bisherige digitale Kreativ- oder Programmiertools für Kinder hinausgeht und vielfältige Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung und des Erwerbs von grundlegenden Programmierkenntnissen bietet. Insgesamt scheint das Programm daher auch für den Einsatz im Schulkontext geeignet, da keine Vorkenntnisse im Programmieren benötigt werden. Da die Bedienung der Software besonders jüngeren Nutzer*innen einiges abverlangt, lässt sich die Anwendung für Kinder ab einem Alter von zehn Jahren empfehlen.
Im November 2022 wurde die Online-Software Candli mit dem Pädagogischen Medienpreis in der Kategorie ‚Angebote für die pädagogische Praxis‘ ausgezeichnet. Sie wurde von Enlightware, einem Spin-off der ETH Zürich Game Technology Center entwickelt.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor:
Lisa Melzer
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Günther Anfang: Die Kunst der Welt. Zu Gast in Kassel und Venedig
Den Anspruch, die Kunst der Welt zu präsentieren, teilen sich Kassel und Venedig: Die alle fünf Jahre stattfindende documenta in Kassel wie auch die im Zweijahresrhythmus durchgeführte Biennale in Venedig sind Weltkunstausstellungen, die den Stand der gegenwärtigen Kunst dokumentieren. Daneben gibt es nur noch die Art Basel, die als größte Kunstmesse des internationalen Kunstmarktes gilt, und vor allem den Verkauf gegenwärtiger Kunst zum Ziel hat. Aber zurück zu Kassel und Venedig. Wenn man die Wahl zwischen den beiden hat, ist man zunächst geneigt, das Ticket nach Venedig zu lösen, denn das etwas verschlafene Kassel ist wahrlich kein Reiseziel erster Wahl. Allerdings gilt die documenta seit Jahren als wichtigster Seismograph für aktuelle Kunst und legendäre Aktionen. Die Pflanzung von 7.000 Eichen durch Joseph Beuys auf der do-cumenta 7 oder die Präsenz von Ai Weiwei auf der documenta 12 belegen die außergewöhnliche Bedeutung dieser Kunstausstellung. Die Biennale in Venedig punktet allein schon aufgrund der Verortung in der Lagunenstadt und der attraktiven Ausstellungsflächen im Gelände. Und auch hier fand Legendäres statt, sowohl im kuratierten Teil der Arsenale als auch in den Länderpavillons der Giardinis. Künstler wie Christoph Schlingensief oder Ai Weiwei gaben sich im deutschen Pavillon ein Stell-dichein und veranschaulichten, was in Sachen Kunst gerade angesagt ist. Darüber hinaus ist die Biennale die älteste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst, da sie bereits seit 1895 alle zwei Jahre stattfindet. Schließlich gehören zur Biennale auch noch ein Musikfestival (seit 1930), die Filmfestspiele (seit 1932), ein Theaterfestival (seit 1934) und ein Festival für zeitgenössischen Tanz (seit 1999). Ganz zu schweigen von der Architekturbiennale, die seit 1980 regelmäßig in den geraden Jahren zwischen den Kunst-Biennalen stattfindet. Somit ist ein Abwägen schwierig, ob man nun nach Kassel oder Venedig fährt. Die Lösung: beide Kunstausstellungen besuchen!
DOCUMENTA FIFTEEN
Die documenta fifteen hatte einen schwierigen Start, der im Prinzip die gesamte Ausstellung überschattete. Der Antisemitismus-Eklat beherrschte nicht nur die Diskussion, was man in Deutschland und der Welt zeigen darf und was nicht, sondern auch, wer, wann, wo und wie Verantwortung übernehmen muss. Es war durchaus revolutionär, die diesjährige documenta von dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa künstlerisch leiten zu lassen und den Blick der Kunstbetrachtung von der nördlichen auf die südliche Halbkugel zu lenken. Aber er war verantwortungslos, judenfeindliche Darstellungen einfach durchzuwinken. Angehörige des Jugentums als Blutsauger darzustellen mit blutroten Augen, Schläfenlocken und Vampirzähnen ist nicht nur im deutschen Kontext der Geschichte ein No-Go, sondern generell unzulässig.
Auch wenn sich die indonesische Künstlergruppe Taring Padi schließlich entschuldigte, die Generaldirektorin der documenta fifteen, Sabine Schormann, schritt viel zu spät ein, um den Skandal zu entschärfen. Das war auch deshalb schade, da damit der
Blick auf die vielen anderen künstlerischen Werke zu kurz kam. So zum Beispiel auf das des ostafrikanischen The Nest Collectiv, das mit seiner Installation Return to Sender – Delivery Details ein Statement zum Verhältnis zwischen Europa und Afrika abgibt. Afrika, das Europa als Müllabladeplatz für Altkleider und Computerschrott dient, schickt den Müll der Welt zurück nach Deutschland in die Karlsauen von Kassel. Hier liegt er nun, gut verschnürt und in Stoffballen aufgeschichtet, um einen Pavillon zu bilden. Im Innern kann man Videos sehen, in denen Afrikaner*innen berichten, was die Kleiderspenden aus deutschen Containern anrichten, wie die Lieferant*innen die afrikanische Textilindustrie zerstören und die kleinen Straßenhändler*innen und Ladenbesitzer*innen in Mitleidenschaft ziehen. Mehr als 30 Veranstaltungsorte sind auf dem documenta-Plan verzeichnet, mit mehr als 1.500 Künstler*innen und Aktivist*innen. Da gibt es viel zu entdecken, auch wenn einiges fragwürdig ist und als politische Aussage in der Agitation stecken bleibt. Hier wäre weniger manchmal mehr und eine bewusste und gezielte Auswahl besser gewesen.
59. BIENNALE
Das Fehlen einer gezielten Auswahl kann man der 59. Biennale in Venedig mit dem verheißungswürdigen Titel The milk of dreams, angelehnt an das gleichnamige Kinderbuch der Surrealistin Leonora Carrington, nicht vorwerfen. Vielmehr ist die von Cecilia Alemani kuratierte Weltkunstausstellung ein Spiegelbild vor allem der weiblichen Sicht auf die Welt und die Kunst. Fast 90 Prozent der Küstler*innen sind weiblichen Geschlechts und was Alemani hier zusammengetragen hat, ist durchaus beeindruckend. Allein schon in den Hallen der Arsenale, einer ehemaligen Schiffswerft, finden sich unzählige Installationen, Gemälde, Plastiken und Objekte, die Besucher*innen in den Bann ziehen. Da reihen sich riesige Tontöpfe neben einer gigantischen Frauenskulptur ohne Augen aneinander, Wandgobelins neben Korbgeflechten und immer wieder beeindruckende Gemälde von Künstler*innen aus allen Teilen der Welt. Verstörend auch ein ganzer Saal, der mit Erde gefüllt wurde, aus dem nichts außer eine Stahltreppe wächst. Beeindruckend auch die Schwarz-Weiß-Bilder mit figuralen weiblichen Darstellungen oder die skurrilen Figuren, die aus einem Karnevalszug stammen könnten. Das braucht Zeit, um das alles verarbeiten zu können. Und das ist erst der Beginn einer traumhaften Reise durch die Milk of dreams, die sich in den Giardinis fortsetzt. 80 Länder stellen hier in ihren Pavillons die jeweils aktuelle Kunst des Landes aus. So zum Beispiel Frankreich, das der arabischen Künstlerin Zineb Sedira den Pavillon zur Gestaltung anvertraut hat. Im Inneren des Pavillons sehen wir verschiedene Filmkulissen – mit viel Musik und einer Kamera. Das Ganze steht unter dem Titel Les rêves n‘ont pas de titre / Dreams Have No Titles und erinnert an Casablanca und das große französische Kino. Auch Großbritannien zeigt, wo es seine Stärken in der Kunst hat, nämlich in der Musik. Im Mittelpunkt der musikalischen Installation der Künstlerin Sonia Boyce stehen fünf schwarze Sängerinnen, die in den Abby Road Studio seine Musikaufnahme machen. Eine davon ist Tanita Tikaram, die mit dem Song Twist in My Sobriety international bekannt wurde.
Da tut sich Deutschland etwas schwerer, seine Kunst zu präsentieren. Denn der geschichtsträchtige deutsche Pavillon ist immer
wieder Anlass, sich mit der deutschen Geschichte und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn hat die Geschichte des Hauses recherchiert und dabei festgestellt, dass der 1909 hier errichtete Vorgängerbau, der Bayerische Pavillon, 1938 nicht beseitigt, sondern überformt und erweitert worden ist. Eichhorn hat die Übergänge beider Bauten sichtbar gemacht, und man begreift, dass das hier einst ein ganz angenehmer Ort gewesen sein muss, weniger einschüchternd, eher wie bei den Franzos*innen und den Brit*innen nebenan.
Da bleibt nur noch, im russischen Pavillon vorbeizuschauen, der allerdings verbarrikadiert ist. Vor dem Gebäude kontrolliert ein Wachmann. Nach Kriegsausbruch in der Ukraine sagten die russischen Künstler*innen ihre Teilnahme an der Biennale ab – so bleibt er leer, nur außen kann man die Jahreszahl 1914 erkennen. Wenn das nicht bezeichnend ist. Auch in Kassel auf der documenta sind russische Künstler*innen nur schwer auszumachen. Sie wollen anonym bleiben, da sie gegen den Krieg Stellung beziehen. Und eine geplante gemeinsame Ausstellung von russischen und ukrainischen Künstler*innen musste abgesagt werden, da sie für Unmut bei einigen ukrainischen Künstler*innen gesorgt hatte. Damit ist das wenig Verbindende zwischen Kassel und Venedig der Krieg in der Ukraine. Er wirft auf beide Weltkunstausstellungen seinen Schatten, so unterschiedlich die Ausstellungen auch sind. Die documenta lief bis 25.09.2022. Die Biennale läuft noch bis 27.11.2022.
Beitrag aus Heft »2022/05 Medien.Pädagogik und Rassismus.Kritik – Impulse einer Auseinandersetzung«
Autor:
Günther Anfang
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Katharina Stengl: Stray. Einmal Katze sein
BlueTwelveStudio/Annapurna Interactive (2022). Stray. Game für den PC (Steam; 26,99 €) und PS4/5 (39,99 €).
Einmal Katze sein – in dem Abenteuer-In-die-Spiel wird dieser Traum wahr. Stray1 ist kein typischer Katzensimulator des alltäglichen Lebens in einem mittelständigen Haushalt. Es ist die Geschichte eines kleinen rothaarigen Streuners inmitten einer dystopischen Welt. Von seiner Familie getrennt muss er uralte Rätsel lösen, um der verfallenen Cyberstadt zu entkommen. Gesäumt von Hindernissen, Gefahren, neuen Verbündeten und Freund*innen.
Stray stand bereits vor Release auf Platz 1 der weltweiten Steam-Wunschlisten. Es ist das erste Spiel des Publishers Annapurna Interactive, das mehr als 62.000 gleichzeitig aktive Spieler*innen bei Steam vorweisen konnte. In der Third-Person-Perspektive wird die zerstörte Cyberstadt erkundet, begleitet von der fliegenden Drohne B12, die ihr Gedächtnis verloren hat. Die Aufbereitung dessen ist eine schöne Art, Spielenden die Hintergründe dieser dystopischen Welt näherzubringen. Die Steuerung ist für Anfänger*innen geeignet. Beispielsweise kann der Kater nicht abstürzen, was Spielenden Sicherheit verleiht. Geschmeidig bewegt sich der Streuner auf und über den Straßen der Stadt und lernt deren Bewohner*innen kennen. Die Droiden. Streicht man diesen roboterartigen Wesen mit einem Bildschirm als Kopf liebevoll schnurrend um ihre Beine, erscheint ein Herz auf deren Bildschirm. Auch andere katzentypische Verhaltensweisen kommen in dem Spiel nicht zu kurz. Man kann an Sofas und Teppichen kratzen, Gegenstände von Regalen werfen und sich in Kartons verstecken. Spielerisch wird die Welt erkundet und kleinere Nebenquests, wie Gegenstände sammeln, erfüllt. Zum Weiterkommen finden sich in den Dialogen mit den Droiden oft wichtige Hinweise. Doch nicht immer bleibt es friedlich. Folgt man der linearen Storyline, wird man im Untergrund von den Gefahren bereits erwartet ...
In einer ausgeglichenen Mischung gibt es kleine Verfolgungs- und sogar Kampfszenen, in denen man sterben kann. Das sind kurz eingeworfene Szenen, die für Abwechslung und Spannung sorgen. Viele dieser Szenen können auch mittels geschicktem Ausweichen und Schleichen gemeistert werden. Die Altersfreigabe von zwölf Jahren hängt mit der postapokalyptischen, oft düsteren und im Untergrund teilweise gruseligen Stimmung zusammen. Außerdem könnten die Rätsel für jüngere Kinder knifflig sein. Explizite Gewalt gibt es keine.
Stray ist eine rührende Geschichte mit herzerwärmenden Szenen – für jede*n Katzenliebhaber*in und Fans einer Cyberpunkatmosphäre. Es ist ein gelungenes und liebevoll gestaltetes Spiel über Hoffnung und Freundschaft in einer längst vergessenen Welt. Die Liebe zum Detail macht es besonders und führt zu einem einmaligen Spielerlebnis – für ganze acht bis zehn Stunden.
1Eine ausführlichere Rezension finden Sie unter www.merz-zeitschrift.de/rezensionen.
Beitrag aus Heft »2022/05 Medien.Pädagogik und Rassismus.Kritik – Impulse einer Auseinandersetzung«
Autor:
Katharina Stengl
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Anna Clara-Pentz: Mit einem Game die Quantenphysik verstehen
Stollenmayer, Philipp (2021). Katze Q. Ein Quanten-Adventure. App-Game ab 9 Jahren, iOS/Android, kostenfrei.
Was hat eine halbtote Katze mit Quantenphysik zu tun? Und wie sie kann das eigentlich sein – ‚halbtot‘? In Katze Q des Gamedesigners Philipp Stollenmayer gilt es, dies herauszufinden. Nebenbei lernt man eine Menge über dieses Feld der Physik, das sich mit dem ‚Allerkleinsten‘ auseinandersetzt. Dabei muss mithilfe der Urenkelin des Physikers Erwin Schrödinger, Anna, und der mysteriösen halbtoten Katze aus einem geheimnisvollen Karton verschiedenen Rätseln nachgegangen werden. So erfahren die Spielenden beispielsweise, was es in der Quantenphysik mit Donuts auf sich hat. Mit der App wird Quantenphysik zum spannenden Erlebnis. Katze Q wurde im Juni mit dem Goldenen Spatz 2022 im Wettbewerb DIGITAL mit dem Schwerpunkt Gute Geschichten. Digital erzählt ausgezeichnet.
Das Game beginnt mit dem Öffnen eines mysteriösen Kartons. Darin: eine halbtote Katze – halb süßes Plüschkätzchen, halb Zombie-Katzen-Skelett. Und schon beginnt das große Rätsel, was es mit ‚Schrödingers Katze‘ auf sich hat. Gamedesigner Stollenmayer hat dabei das Gedankenexperiment des bekannten Physikers lustig und geistreich umgesetzt. Als sich der Nebel aus der Kiste verzieht, landet die*der Spielende in der Kiste, in der sich eine vollausgestattete Wohnung befindet. Hier finden sich zahlreiche merkwürdige Gegenstände, wie etwa eine Tüte Chips im Kühlschrank oder eine Katzen-Einstein-Lampe. In Kittypedia können auf einem Smartphone, das dem Karton beilag, Artikel zu Computerchips und deren Kühlung durch neue Materialien oder über den berühmten Physiker Albert Einstein nachgelesen werden.
So lernt man hier beispielsweise, dass mithilfe der Quantenphysik an Materialien geforscht wird, die durch elektrischen Strom nicht erhitzen oder dass Einstein sehr einflussreich im Bereich der Quantenphysik war, aber Schrödinger dessen Theorie, es gäbe keinen Zufall, mit seinem Gedankenexperiment widerlegte. Die freigespielten Kittypedia-Artikel lassen sich anschließend auch abspeichern. So erhält die*der Spielende kindgerecht aufgearbeitete Informationen zu Bereichen der Quantenphysik, wie etwa Hintergrundinformationen zu Erwin Schrödinger und seinen Errungenschaften oder Phänomenen von Wellen und Teilchen bis hin zu frustrierten Magneten. Auf dem Smartphone befindet sich auch ‚CatsApp‘, über das die*der Spielende im Game mit Anna Schrödinger in Kontakt tritt. Mit hilfreichen Tipps und Informationen unterstützt sie beim Lösen der Rätsel. Denn viele Gegenstände sind nicht am richtigen Ort und müssen erst gefunden werden, wozu es mal einen verschwundenen Schlüssel oder auch mal einen Code braucht.
Kaum werden neue Gegenstände gefunden, hat die Katze sie auch schon verschlungen und sie müssen mit einer Streichel-einheit wieder entlockt werden. Hierbei ist großes Fingerspitzengefühl gefragt. Außerdem bedarf es beim Lösen der Rätsel einigen Um-die-Ecke-Denkens. Jedoch kommt der Spaß nicht zu kurz: Beim Durchsuchen der Wohnung finden sich zahlreiche lustige Accessoires. So können der Katze neben einer individuellen Fellfarbe auch verschiedene Hüte, Bärte und Brillen ver-passt werden. Das Wissen wird somit sehr spielerisch und über viele lustige Bezüge zum Alltag der Kinder vermittelt. Als Bonus kann auch ein neuer Chat freigespielt werden, über den die*der Spielende mit Expert*innen aus dem Forschungsteam des Exzellenzclusters ct. qmat in Kontakt treten kann. Sie beantworten Fragen rund um Physik auf ihrem YouTube-Kanal ctqmat.
Da sich die Rätsel ohne Vorwissen lösen lassen, ist das Game ganz losgelöst vom Lehrplan und lässt sich für Kinder ab neun Jahren mit guten Lesefähigkeiten bewerkstelligen. Die Themen der Quantenphysik sind dabei sehr einfach aufbereitet und bieten in dieser Form auch Spaß für Ältere. Das Game wurde vom Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien beauftragt und gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Schirmherrschaft des Projekts hat Anna Braunizer, die Urenkelin von Erwin Schrödinger, gemeinsam mit ihrem Vater Leonhard.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Annemarie Holtzsch: Täglich TOGGO
SUPER RTL (2022). Täglich TOGGO. Nachrichtensendung für Kinder, kostenlos, www.toggo.de/radio.
Das aktuelle Weltgeschehen wirft bei vielen Kindern Fragen auf und verursacht auch Ängste. Deshalb ordnet Täglich TOGGO, das Nachrichtenformat auf TOGGO Radio, tagesaktuelle Nachrichten kindgerecht ein. Fragen der Kinder werden beantwortet und ihnen wird die Angst vor schwierigen Inhalten genommen. Vergleiche mit leicht verständlichen Alltagssituationen erleichtern das Verstehen. Der Fokus liegt auf Handlungsempfehlungen und konstruktiven Lösungsansätzen.
Die Kindernachrichten sind zu jeder vollen Stunde beim Kinder- und Familiensender TOGGO Radio zu hören, der vor rund einem Jahr gestartet ist. Dieser kann als digitales Audio-angebot über die TOGGO-App, toggo.de, die TOGGO-Fire und Android-TV-App sowie über Smartspeaker-Devices, Satellit und gängige Radio-Aggregatoren empfangen werden. Das Nachrichtenformat richtet sich an Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren. Profitieren können jedoch nicht nur junge Menschen, sondern auch Erwachsene, die Informationen von Täglich TOGGO als Hilfestellung nutzen können, um mit ihren Kindern über ernste Themen ins Gespräch zu kommen.
Die Nachrichten dauern im Schnitt drei Minuten, in denen vier bis fünf aktuelle Nachrichten besprochen werden. Das kann eine tagesaktuelle Nachricht wie der Krieg in der Ukraine sein, oder auch die Ergebnisse einer Studie, die für Kinder interessant ist.
Abschließend kommt noch ein deutschlandweiter Wetterbericht.
Ein aktuelles Beispiel aus Täglich TOGGO ist die Klimakrise. Erklärt wird sie daran, wie Eisbären sich dem Klimawandel anpassen. Forscher*innen haben in Grönland Eisbären entdeckt, die dort leben, obwohl die Umweltbedingungen deutlich anders sind als am Nordpol. Es wird darauf eingegangen, wo Grönland liegt und was die Orte unterscheidet. Der Fokus liegt auf der positiven Botschaft, dass Eisbären womöglich besser mit dem Klima wandel zurechtkommen als vermutet. Dennoch wird ab-schließend erwähnt, dass sich die Forscher*innen große Sorgen um die Eisbären machen, da durch die Eisschmelze viele ihr Zuhause verlieren. Diese Einordnung von beängstigenden Nachrichten ist eine Gratwanderung. Durch das Zusammenspiel von Beispielen, mit denen Kinder etwas anfangen können, Informationen und Transfer in die eigene Lebenswelt gelingt sie bei Täglich TOGGO.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Annemarie Holtzsch
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Kati Struckmeyer: Feel the News – Was Deutschland bewegt
Studio bummens (2022). Feel the News – was Deutschland bewegt. Podcast, kostenlos, diverse Plattformen.
Nachrichten prasseln täglich auf uns ein, viele davon verstörend, Angst einflößend, verunsichernd, oder auch euphorisierend. Das löst natürlich Emotionen bei den Rezipient*innen aus. Es wird kommentiert, diskutiert, beleidigt, gecancelt, geblockt. In feel the news wird einmal wöchentlich eine Nachricht herausgegriffen, die aus Sicht von Sascha und Jule Lobo, die den Podcast moderieren, für die am meisten erhitzten Gemüter sorgt. Sascha Lobo ist vielen als Publizist vor allem im Themenbereich Digitalisierung bekannt. Jule Lobo ist Juristin und Redakteurin und hostet verschiedene Podcasts. Die beiden sind miteinander verheiratet. Ihr gemeinsames Interesse bei feel the news ist es nicht nur, die Hintergründe aktueller Nachrichten zu beleuchten und verschiedene Perspektiven zu präsentieren, sondern auch zu analysieren, warum uns manche Nachrichten so besonders aufregen und emotional herausfordern. Mit dieser Mischung wollen sie ein „Meinungsangebot machen“, wie es Sascha Lobo im Trailer formuliert.
Der Podcast ist Ende März diesen Jahres gestartet, jeden Donnerstag werden neue Folgen veröffentlicht. Sie dauern ungefähr eine Stunde. Von Corona über den Krieg in der Ukraine bis hin zum ‚Ansturm auf Sylt‘ durch das 9-Euro-Ticket – das Themenspektrum ist groß. Dabei ist sicher nicht alles für jede*n interessant, aber es lohnt sich, ab und an einen Blick auf neue Folgen zu werfen. So zum Beispiel auf die Folge zu ‚Toxic Wokeness‘, in der es darum geht, das unsere Diskussions- und Debattenkultur darunter leidet, wenn es nicht mehr um konstruktive Kritik geht, sondern um das Anprangern und Erniedrigen Einzelner im Namen der vermeintlich besseren und wahrhaftigeren Sicht auf die Welt und die Dinge.
Die Folge ‚Toxic Twitter und die Shitstorms‘ wurde live von der re:publica gesendet. Sie beinhaltet einen kurzen persönlichen Rückblick auf die Geschichte der Plattform Twitter und eine Analyse des Jetzt-Zustands. Sascha Lobo stellt fest, dass mittlerweile „ein kompetitives ‚Wer schreibt den krasseren Tweet gegen X‘ ein beliebtes Spiel“ [16:26] sei. Es geht auch in dieser Folge nicht nur um Sender*innen, sondern vor allem um Empfänger*innen – so wird zum Beispiel diskutiert, ob man als Nutzer*in zu weich sein kann für Twitter, warum Shitstorms dort besonders hart auszuhalten sind und ob sie überhaupt ausgehalten werden müssen. Einig sind sich die Lobos darin, dass trotz aller toxischen Entwicklungen nicht auf Twitter verzichtet werden kann, denn die Plattform trage nach wie vor stark zur Meinungsbildung in Deutschland bei. So hätten die wichtigsten öffentlichen Bewegungen der letzten Jahre MeToo, Black Lives Matter und Fridays for Future ohne Twitter ihren Druck nicht entfalten können.
Diese und andere Folgen – zum Beispiel zu Frauenhass, Kriegsverbrechen oder dem Recht auf Abtreibung – liefern jede Menge Material für anschließende Diskussionen und bringen oft Perspektiven ein, die man selbst noch nicht bedacht oder innerhalb der eigenen ‚Bubble‘ rezipiert hat. Die Haltung von Jule und Sascha Lobo ist immer Teil des Inhalts. So analysieren sie in der Folge ‚Ist Olaf Scholz ein guter Kanzler?‘ nicht nur Scholz‘ Politik, Verhalten und Kommunikation, sondern geben auch zum Besten, wie sie zum Kanzler stehen und wo sie Kritikpunkte bzw. Potenzial sehen.
Hörer*innen von Feel the News haben die Möglichkeit, sich selbst in kommende Folgen einzubringen: Mittwochs wird jeweils das kommende Thema auf Twitter bekanntgegeben, dann kann man unter www.feelthe-news.de/mitdiskutieren/ eine Sprachnachricht hochladen, die es eventuell bis in den Podcast schafft. Auch Prominente und Politiker*innen kommen in einzelnen Folgen zu Wort.
Feel the News bringt eine neue Nuance in den deutschen Podcast-Markt – und dabei geht es nicht darum, dass die Zuhörer*innen die Gefühle der Lobos teilen. Trotzdem ist es angenehm zu merken, nicht allein damit zu sein, dass bestimmte Nachrichten einen in Aufruhr versetzen. Mit Hilfe des Podcasts findet man vielleicht ab und an auch die Möglichkeit, diese Gefühle zu reflektieren und einzuordnen, bevor sie wütend in die (digitale) Welt hinausgeschossen werden.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Thomas Meinicke: Kopfkino mit bunten Kästchen
Der Softwareentwickler Entwickler Josh Wardle veröffentlichte 2021 sein englischsprachiges Online-Buchstabenspiel Wordle. Es erreichte schnell weltweite Popularität, was sich an zahllosen Postings in Social-Media-Kanälen mit kleinen farbigen Blöcken ablesen lässt. Schnell entstanden zahlreiche Adaptionen und Weiterentwicklungen. Dieser Beitrag soll eine Bestandsaufnahme und Anregungen für den praktischen Einsatz liefern.1
Wordle: Das Spielprinzip
Das Wordle-Spielprinzip ist einfach. Gesucht wird jeweils ein aus fünf Buchstaben bestehendes englisches Wort. Nach Eingabe einer initialen Sequenz werden die Buchstaben farbig hinterlegt. An der richtigen Stelle Platzierte erscheinen grün, enthaltene, noch nicht richtig liegende, orange oder nicht vorkommende grau. Die Herausforderung liegt darin, das gesuchte Wort in maximal sechs Zügen zu ermitteln. Falls auch die letzte Reihe nicht zum Ziel geführt hat, erfährt man das eigentlich gesuchte Wort und wird auf das nächste Spiel am Folgetag vertröstet.
Interessant ist bei diesem und den weiteren hier beschriebenen Spielen die Möglichkeit, über einen Share-Button seiner Verfolgerschaft in Sozialen Medien Ergebnisse zu präsentieren. Dort erscheinen nur die Reihen mit den farbigen Kästchen ohne Rückschluss auf das (nicht) gefundene Ergebnis. Zudem wird die laufende Nummer des Rätsels und der Erfolgsgrad wie 3/6 angegeben – die Lösung wurde also in drei von sechs Zügen erhalten. Die mobilen Anwendungen speichern zudem Spielstände und zeigen statistische Auswertungen.
Wordle-Ableger
Kreative Ideen haben zu einer größeren Zahl an Alternativen geführt (Tab. 1). Falls englische Wörter weniger attraktiv erscheinen, können deutschsprachige Varianten wie 6mal5 und Wördl nach dem analogen Prinzip gespielt werden. Voortle stellt neben einer deutschen fünf weitere Sprachvarianten zur Verfügung (Abb. 1).
Abbildung 1: 6mal5 und Voortle
Hinzu gesellen sich anspruchsvollere Varianten mit zwei, vier oder acht parallel zu ermittelnden Buchstabensets (Dordle, Quordle, Octordle). Auch themenspezifische Wordle-Ausprägungen etwa für Fans von Disney, Harry Potter und Star Wars bereichern das Angebot.
Bei Waffle – einem von Wordle inspirierten Spiel in Waffelform – wird das Eintippen von Buchstaben durch Verschieben vorgegebener ersetzt. Es sind maximal 15 Züge (Swaps) möglich, um horizontal wie vertikal englischsprachige Begriffe anzuordnen. Am Ende erscheinen neben den üblichen statistischen Angaben und der Share-Möglichkeit des Ergebnisses kurze Erläuterungen zur Bedeutung und sprachlichen Herkunft. Im Beispiel von Abbildung 3 war das Ziel nach zehn Aktionen erreicht und wurde mit fünf Sternen honoriert.
Individuelle Buchstabenspiele lassen sich mit Custom Wordle in vier Sprachen erzeugen. Dabei wird ein Zielwort vorgegeben und der erzeugte Link kann weiter verteilt werden. Mit Reversle lässt sich der Weg zum fertigen Wordle umkehren. Es wird also die Lösung vorgegeben und anhand der farbigen Positionen sind entsprechende Zuordnungen gefragt.
Varianten mit Zahlen und Rechnungen
Neben Buchstabenrätseln tauchten Varianten mit Zahlen oder Rechenexperimenten auf. Bytle repräsentiert jeweils 1 Byte (8 Bits) in Form von 0 bzw. 1. Die Zuordnung erfolgt von rechts im Sinne von 20 (= 1) bis 27 (= 128). Sind also alle Bits gesetzt (1) kann maximal der Wert 255 entstehen. Das Spielprinzip geht jedoch umgekehrt vor. Man setzt einen dezimalen Wert von 0 bis 255 und erhält wiederum in den Farben der Wordle-Kästchen die jeweils getroffene Zuordnung. Nun geht es darum, den eigentlichen Wert durch Rückrechnung aufzufinden und neu einzugeben. Das lässt sich in zwei Zügen erreichen, da nur die noch nicht grün markierten Felder zu tauschen sind.
Hexle, ebenfalls vom Bytle-Autor stammend, sucht vierstellige hexadezimale Kombinationen. Hierzu muss man wissen, dass Hex-Werte aus den Ziffern 0 bis 9 und den Buchstaben A bis F bestehen, also 16 Zeichen vorkommen können. A bis F stehen für 10 bis 15. Zum Spielstart wird jeweils ein Hinweis zur Differenz aus höchstem und niedrigstem Wert (Digit) gegeben. Somit kann 7 bedeuten, dass maximal F (15) und minimal 8 vorkommen können, aber auch maximal 9 und minimal 2 sowie weitere Kombinationen (in Abbildung 4 rechts: D (13) – 6 = 7). Die genannten Zeichen dürfen pro Reihe mehrfach vorkommen.
Ein anders gelagertes Color-Hexleoperiert mit den typischen hexadezimalen Farbwerten auf Basis der drei RGB-Kanäle. Oben ist #Hexle in der zu bestimmenden Farbe hervorgehoben, welche nun mit den üblichen sechs Stellen zu notieren ist. Dabei sind wiederum die Ziffern 0 bis 9 und die Buchstaben A bis F zulässig. Der über bis zu sechs möglichen Zügen jeweils erreichte Grad der Annäherung wird über das erscheinende Farbkästchen mit der Aufteilung in aktuelle und gesuchte Farbe signalisiert (Abb. 5, links). Primelerwartet die Eingabe fünfstelliger Primzahlen. Es sollen also jene aus dem Bereich 10.000 bis 99.999 gefunden werden, welche nur durch sich selbst und 1 teilbar sind. Das klingt komplexer als es sich gestaltet. Am Ende keine gerade Zahl und keine 5 zu produzieren ist ein guter Anfang. Es gibt 8.363 Möglichkeiten in diesem Intervall.
Weitere numerische Anwendungen geben Raster für die Bestimmung von Gleichungen vor, entweder mit einem festen Zielergebnis oder wie im Fall von Nerdle einer völlig offene Gleichung. Es sind sowohl die üblichen Operatoren (+ – * /) als auch Ziffern so zu platzieren, dass die Gleichung aufgeht und im besten Fall die gesuchte darstellt (Abb. 6, links). Die in Tabelle 2 versammelten Angebote zu Gleichungen verhalten sich relativ ähnlich und unterscheiden sich vor allem durch die Anzahl der zu besetzenden Positionen und möglichen Operatoren.
Etwas anders ist Numble ausgelegt. Hier soll der erscheinende Zahlenwert über eine Gleichung berechnet werden, wobei nur bestimmte Werte innerhalb der Operationen zur Wahl stehen, aber nicht ausgeschöpft werden müssen. So wurde in Abbildung 6 rechts der Wert 100 nicht benötigt. Im am Ende kopierbaren Status wird auch die seit dem Start vergangene Zeit vermerkt.
Abbildung 2: Nerdle und Numble
Vom Wordle zum Worldle
Das Spektrum der Wordle-Alternativen wird stetig erweitert (Tab. 3). In Worldle macht das zweite „l“ Unterschied. Hier geht es um die Suche von Ländernamen anhand der vorgegebenen Grenzen ihres Territoriums. Wiederum sind maximal sechs Versuche möglich. Die Zuweisung von Ländern kann direkt per Text oder über eine eingeblendete Auswahlliste erfolgen. Ausgegeben wird jeweils der Abstand zum Ziel in Kilometern und die prozentuale Annäherung. Hinzu kommt ein Pfeil, der die Richtung für den nächsten Zug andeutet. Eine Funktion zum Teilen des Ergebnisses sowie die zusätzliche Veranschaulichung des ermittelten Landes über einen Link zu Google Maps komplettieren das Spiel.
Mit Globlelassen sich ebenfalls Länder erraten. Dabei werden die eingegebenen Vorschläge auf einem kleinen drehbaren Globus unterschiedlich farblich hinterlegt. Darüber wird die Annäherung an das Ziel reflektiert.
Ein weiterer Trend ist die Ausweitung auf mediale Inhalte. Heardle spielt wenige Takte von Songs an, die den Interpret*innen zugeordnet werden sollen. Die Zeitspanne lässt sich über den SKIP-Button von einer bis zu 16 Sekunden erhöhen. Um Erfolg zu haben, sind musikalische, vor allem radiokompatible, Erfahrungen über größere Zeiträume von Vorteil oder man erwischt mal den perfekten Auftakt.
Neben dem Erraten von Schauspieler*innen, Filmen anhand von Szenenbildern oder Bandnamen über Plattencover ist noch das relativ neue Factle erwähnenswert. Es wird täglich ein statistischer Datensatz präsentiert, dessen Top 5 jeweils in der richtigen Reihenfolge zu sortieren sind. Dabei werden wiederum die bereits bekannten Wordle-Farbzuordnungen sichtbar.
Anwendung | Thema / Details | Webadresse (URL) |
6mal5 | Deutsch | www.6mal5.com |
Absurdle | Beliebig viele Versuche | www.qntm.org/files/absurdle/absurdle.html |
Animordle | 37 Tiernamen (mit Archiv) | www.animordle.com |
Bikle | Radsport | |
Birdle | Vogelicons statt Buchstaben | www.birdle.dev |
Byrdle | Musikalisch, parodistisch | www.byrdle.net |
Crosswordle | 2 Begriffe horizontal + vertikal | |
Custom Wordle | Eigene Rätsel erstellen | |
Dordle | 2 Begriffe gesucht | |
Gordle | Hockeysport | |
HPWordle | Harry Potter | www.harrypotterwordle.com |
Lewdle | Derbe Sprache | www.lewdlegame.com |
Lordle Of The Rings | Herr der Ringe | |
Mickeyrdle | Disney | www.mickeyvisit.com/disney-wordle |
Murdle | 10 Buchstabenleben | |
Octordle | 8 Begriffe gesucht | www.octordle.com |
Ordle | Norwegisch | www.ordle.no |
Quordle | 4 Begriffe gesucht | www.quordle.com |
Queerdle | Queerer Sprachgebrauch | www.queerdle.com |
QWRTL | Wörter ohne E | www.limpet.net/qwrtl |
Reversle | Rückwärts von der Lösung | |
Squareword | 5 Begriffe horizontal + vertikal | |
Star Wordle | Star Wars | www.starwordle.com |
Taylordle | Taylor Swift | www.taylordle.com |
Termo | Portugiesisch | www.term.ooo |
Voortle | 6 Sprachen | |
Waffle | Buchstaben schieben | |
Wördl | Deutsch | www.wordle.at |
Wordle | Das Original | www.nytimes.com/games/wordle |
Tabelle 1: Die Bandbreite an Buchstabenrätseln
Fazit
Die beschriebenen ‚Casual Games‘ erfordern erfahrungsgemäß nur wenige Minuten Aufmerksamkeit und man muss ja auch nicht alle am Stück absolvieren. Zudem werden sich je nach Interessenlage gewisse Favoriten herausbilden.
Ein mögliches praktisches Einsatzkonzept ist die Nutzung eines ausgewählten Spiels zum motivierenden Beginn einer Lehrveranstaltung. Das wurde vom Autor im Sommersemester 2022 mit Studierenden im Bereich Informationsdesign im Rahmen von Kursen zu Webentwicklung erprobt. In diesem Umfeld erwiesen sich speziell rechenorientierte Spiele als vorteilhaft. Hinsichtlich eines allgemeinen schulischen Einsatzes haben ausgewählte Anwendungen offensichtlich Potenzial für die Fächer Deutsch, Englisch, Geografie, Informatik, Mathematik und Sachkunde.
Über die für diesen Beitrag getroffene inhaltliche Auswahl hinaus werden alle in den Tabellen vertretenen Anwendungen im Onlineartikel von Meinike 2022 ausführlich erläutert und mit weiterem Bildmaterial untersetzt.
Literatur
Meinike, Thomas (2022). Neues vom Denkspocht – Casual Games zur Lösung von Denksportaufgaben. www.datenverdrahten.de/projekte/casual_denksport [Zugriff: 27.07.2022]
The New York Times (2022). Wordle Is Joining The New York Times Games. www.nytco.com/press/wordle-new-york-times-games/ [Zugriff: 27.07.2022]
1Unter www.nytimes.com/games/wordle kann das Spiel tagesaktuell in einem (mobilen) Webbrowser aufgerufen werden. Smartphone-Apps zu Wordle & Co. werden hier nicht thematisiert.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Thomas Meinike
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Anna-Clara Pentz: Friend Controller. Ein Textadventure über Freundschaft
Es rauscht und flackert. Die Grafik ist verpixelt, Spielelemente sind verschwunden und Level komplett durcheinander. ‚Friend Controller‘ ist kaputt! Jetzt gilt es, das Spiel sofort zu reparieren, sonst löscht es sich selbst und die Avatare Issy und Bobbi sind für immer verschwunden. Damit das nicht geschieht, brauchen sie Hilfe. Issy und Bobbi kennen sich in ihrem Spiel gut aus, aber sie brauchen das Wissen der Spielenden über Freundschaft, um den ‚Friend Controller‘ zu retten. Die*der Spielende des Textadventure muss Rätsel lösen, Gedanken sortieren, Symbole sammeln und Puzzle zusammensetzen, um rechtzeitig die Level zu reparieren.
Das dialogbasierten Online-Spiel ist in Zusammenarbeit mit dem freien Kindertheaterkollektiv Show and Tell unter der Projektleitung von Julia Hart und der medienpädagogischen Begleitung von Christiane Schwinge entstanden und ist die Weitererzählung des Theaterstücks ‚Friend Simulator‘, das im September 2021 in Hamburg Premiere feierte. Es richtet sich an Kinder von 10 bis 12 Jahren und regt dazu an, über Freundschaft zu reflektieren. Genau wie sich die beteiligten Schüler*innen bei der Konzipierung des Games mit den wichtigsten Aspekten und der Definition von Freundschaft auseinandergesetzt haben, werden auch die Spieler*innen angeregt, intensiv darüber nachzudenken und sich auch darüber auszutauschen, was für sie selbst Freundschaft ausmacht. Was gehört zu Freundschaft dazu? Wie entsteht eine Freundschaft? In fünf Leveln werden verschiedene Themen rund um Freundschaft thematisiert.
Die*der Spielende wählt zunächst aus, ob ihr*ihm Issy oder Bobbi bei der Mission zur Seite stehen soll. Beide Avatare verfügen über coole Superkräfte. Nach Auswahl geht es damit los, Level 1 zu reparieren. Hier sind Freundschaftsbegriffe verloren gegangen. Um das Level zu retten, müssen diese Begriffe eingefangen werden, dabei haben sich einige irreführende Begriffe unter die richtigen gemischt. Wurden alle Freundschaftsbegriffe gefunden, gilt es, sie in der Freundschafts-Skala in die Reihenfolge zu bringen, was einem persönlich an Freundschaft wichtig ist. So landen etwa ‚Spaß haben‘ und ‚Etwas Schönes zusammen machen‘ weiter oben als ‚Beleidigen‘ oder ‚Nerven‘. Jedoch gibt es hier kein Richtig oder Falsch – es zählt allein, welche Freundschaftsbegriffe den Spielenden besonders wichtig sind. Dass hier sowohl positive als auch negative Begriffe auftauchen zeigt, dass in Freundschaften nicht immer alles toll ist. Weiter in Level 2 gilt es, einzuordnen, wie eine Freundschaft entsteht. So steht das Kennenlernen vor dem Anfreunden, bevor man schließlich zu besten Freund*innen wird. Wie und wo das am besten passiert und was beim Anfreunden besonders wichtig ist, entscheidet wieder die*der Spielende selbst. Auch hier gibt es verschiedene Antwortmöglichkeiten. Bobbi und Issy lernen durch die individuellen Antworten verschiedene Aspekte und Seiten von Freundschaft kennen. Und auch wenn den Spielenden in Level 3 besonders viele Freund*innen oder der gemeinsame Musikgeschmack besonders wichtig ist, führt Issys oder Bobbis Nachhaken, ob denn die Anzahl der Freund*innen oder die Gemeinsamkeiten so wichtig sind letztlich zur Lösung der Sicherheitsfragen, die das Level reparieren. Wurde ein Level erfolgreich gerettet, kann ein Move für einen Freundschafts-Check ausgesucht werden, ob High Five, Kreuzen der Füße, Verhaken der Finger ineinander… das coole Ergebnis des persönlichen Freundschafts-Checks gibt es nach Rettung des Spiels zu sehen.
Die Avatare Issy und Bobbi lernen das Konzept Freundschaft mithilfe der Spielenden kennen. Immer wieder haken sie mit neugierigen Fragen nach und hinterfragen Ansichten zu Freundschaft. Ist etwa ‚Sich aus Spaß ärgern‘ genauso wichtig in einer Freundschaft wie ‚füreinander da sein‘. Die Fragen der Avatare regen zum eigenen Nachdenken an. So eignet sich das Spiel zum Einsatz im Unterricht, um etwa bei Streit oder Spannungen in der Klassengemeinschaft über Freundschaft zu sprechen. Aber auch sonst lässt es sich gut einbinden, um das Thema Freundschaft zu behandeln. Außerdem kann auf Grundlage des Spiels weitergedacht werden, inwiefern in digitalen Spielen Freundschaften geknüpft und gepflegt werden können oder ob auch Avatare zu Freund*innen werden können. Auf der Website www.friend-controller.de finden sich für den Einsatz im Unterricht theater- und medienpädagogische Begleitmaterialien.
Schwinge, Christiane/Amet, Kemal/Hilmer, Alina/Wolff, Gidon (Entwickler*innen) (2022). Friend Controller. Online-Spiel, kostenlos. www.friend-controller.de
Beitrag aus Heft »2022/03 Digitale Jugendarbeit – Perspektiven zur Professionalisierung«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Kati Struckmeyer: Freitagnacht Jews – der Podcast
Neben der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Talkshow Freitagnacht Jews (besprochen in merz 21-3) präsentiert Multitalent Daniel Donskoy nun auch den thematisch weiterführenden Podcast. Im Stil bleibt sich das Format treu – unkonventionell, schnell und kontrovers – und ist damit eine Bereicherung auf verschiedenen Ebenen.
Vier 45-minütige Folgen wurden seit Anfang April veröffentlicht und erweitern das Talkshowformat, dem es gelang, einen neuen, frischen Blick auf jüdische Lebenswirklichkeiten zu werfen. Im Podcast geht es nun um „die großen Judenthemen“ unserer Zeit: das Festjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘, die öffentliche Berichterstattung, Framing sowie die deutsche Erinnerungskultur.
In den sehr gut und vielfältig recherchierten Folgen kommen ganz unterschiedliche Expert*innen zu Wort, so zum Beispiel Sozialpsychologin Pia Lamberty, Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Thomas Kasper, Politikerin Marina Weisband oder auch Autorin Mirna Funk. Diese und noch weitere verschiedene Akteur*innen aus Kultur, Wissenschaft und Politik unterhalten sich inhaltlich unheimlich dicht, dabei kontrovers und oft auch provokant mit Donskoy. Es wird zu jedem Thema ein Meinungsspektrum aufgemacht, das unterschiedliche Meinungen auch für sich stehen lässt – daraus Schlüsse für sich selbst zu ziehen, bleibt den Zuhörenden überlassen. So ist Freitagnacht Jews auch eine sehr gute Grundlage, um weiter zu denken und zu diskutieren.
Auf der ästhetischen Ebene sticht vor allem die Folge ‚Jew Noir! Who framed the Jew?‘ heraus, die auditive Umsetzung eines Film noirs. Hier werden zwei Fälle abgearbeitet, die einen Teil der deutschen Öffentlichkeit zuletzt stark beschäftigten: Die Antisemitismusvorwürfe gegen die Journalistin Nemi El-Hassan sowie die Vaterjudendebatte um Autor und Publizist Max Czollek. Donskoy, den man beim Hören förmlich im schwarz-weiß-getünchten, kalten Berlin umherstreifen sieht, begibt sich hier in Manier eines Privatdetektivs auf Spuren- bzw. Meinungssuche und bringt dabei wirkliche Denkanstöße zu Tage.
Insgesamt sticht Freitagnacht Jews – der Podcast sehr aus der deutschen Podcast Landschaft heraus, indem er die Zuhörenden nicht in eine angenehm-kuschelige Zuhörwolke einlullt, sondern provoziert, überrascht, vor allem aber Lust macht, weiter zu diskutieren und zu denken und dabei auch Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Also genau das, was wir gerade brauchen.
ARD (2022). Freitagnacht Jews – der Podcast. Podcast, kostenlos, verfügbar auf diversen Podcast-Plattformen.
Beitrag aus Heft »2022/03 Digitale Jugendarbeit – Perspektiven zur Professionalisierung«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Nicole Lohfink: Realität im Film. Starke Dokumentarfilme auf der Berlinale 2022
Nach der zweigeteilten Veranstaltung im Jahr 2021 wurde das internationale Filmfestival dieses Jahr unter strikten Pandemie-Bestimmungen wieder zusammengeführt und in physischer Präsenz mit den Filmemacher*innen vor Ort ausgerichtet. In der Sektion Generation entstand dabei mit Filmen rund um viel Bewegung, Musik und Begegnung ein Gegenprogramm zu inneren und äußeren Pandemie-Einschränkungen, gerade für die jungen Menschen. Dabei zeigte sich auch die Vielfalt und erzählerische Stärke des Dokumentarfilms: So blickt der portugiesische Film ‚Juunt Pastaza entsari‘ (‚Waters of Pastaza’) in die Lebenswelt der Kinder in einem Amazonas-Grenz-Gebiet. Die Bilder und Beobachtung entwickeln einen assoziativen Sog und einen Rhythmus, der die Zuschauer*innen schleichend in seinen Bann zieht und mit sich trägt, gleichsam wie auf dem allgegenwärtigen Wasser im Film. Mit dem niederländischen Film ‚Shabu‘ begegnet das Publikum einer klassischen Helden-Reise, die sich wie ein Spielfilm-Plot auftut und einen emotionalen Zugang zur Geschichte des 14-jährigen Jugendlichen Shabu bietet. ‚Allons enfants‘ (‚Rookies‘) aus Frankreich wiederum nähert sich mit investigativem Blick einer Idee und der daraus resultierenden Modellschule, sowie der Gefühlswelt und den Befindlichkeiten der jugendlichen Protagonist*innen.
‚ALLONS ENFANTS’ (ROOKIES) VON THIERRY DEMAIZIÈRE UND ALBAN TEURLAI
„Keine guten Noten – kein Tanz“ – das ist die Grundlage, die der Lehrer den Schüler*innen gleich zu Beginn in der neuen Schule mitgibt. In der Schule im Pariser Stadtzentrum ist Hip Hop für die aufgenommenen Schüler*innen eine wichtige Disziplin, in der sie mit Training auf Wettbewerbe hin leistungsorientiert herausgefordert werden. Dennoch ist Tanz hier auch als Weg gedacht, ein problematisches Umfeld und familiäre Belastungen zu bewältigen, das Lernen ernst zu nehmen, und Bildung und Zukunftschancen zu erhalten. Hip Hop ist für viele der einzige Weg, sich und alles was in ihrer Welt passiert auszudrücken, wo ihnen sonst die Worte fehlen. In Gesprächen teilen die Jugendlichen nach und nach ihre Geschichten mit, zum Beispiel die Erkenntnis, dass es eine Welt ohne ständig präsente, offensichtliche Gewalt gibt – und das einfach nur jenseits des eigenen Stadtviertels, obwohl noch immer in der gleichen Stadt. Die beeindruckte Verwunderung bei manchen Jugendlichen über den Unterschied zwischen dem, was sie erlebt haben und alternativen Lebensrealitäten regt das Hinterfragen der eigenen Erfahrungen an. Auch stark verwurzelte kulturelle Routinen, die Identifikation über Sprachgewohnheiten, über äußere Erscheinung und ethnische Zugehörigkeit werden durch das – gemeinsame – Tanzen plötzlich einfach nur eine Wahrnehmung, die nicht unbedingt eine Reaktion nach sich ziehen muss. Die Noten sind in der Schule immer noch wichtig, aber es findet ein Paradigmenwechsel statt, was den Weg zu einer guten Leistung angeht.
Thierry Demaizière arbeitete als Auslandskorrespondent für das französische Radio RTL weltweit in Krisengebieten. Alban Teurlai war über zehn Jahre als selbstständiger Editor tätig. 2009 gründeten sie die Produktionsfirma Falabracks und realisieren seither Dokumentarfilme. ‚Allons enfants‘ lief als Eröffnungsfilm in Generation 14plus der diesjährigen Berlinale.
‚JUUNT PASTAZA ENTSARI‘ (‚WATERS OF PASTAZA’) VON INÊS T: ALVES
Der Film begleitet Kinder in einer kleinen Dorfgemeinde, die zu den Achuar-Gemeinden im Regenwald des Amazonas gehört. Hier, in Grenznähe zwischen Ecuador und Peru, blickt das Publikum mit ihnen und durch sie in eine Parallelwelt zu den Erwachsenen. Die Kinder sind hier unter sich und ihre Lebenswelt beinhaltet unaufgeregt Abläufe des täglichen Lebens und der Haushaltsorganisation ebenso wie Schlamm-Fußball während einer Regenphase. Über lange Zeit gehen die Kinder ihren täglichen Arbeiten nach, in der zum Spielen neben selbstgestalteten Spielsachen genauso auch das Holz sammeln, Fischen, Backen, Töpfern und Obst Ernten gehört. Wasser ist ein Bestandteil der Arbeit, der Lebensgrundlage, beinahe der Wohnungseinrichtung. Die Behausung und das Werkzeug, alles ist sehr einfach, und dass es Strom gibt, wissen Zuschauende nur, weil hier und da auch mal ein Smartphone sichtbar wird, das für Hintergrundmusik sorgt oder für ein Spiel genutzt wird. Es sind so gut wie nie Erwachsene zu sehen – erst am Schluss gibt es eine Szene, in der Erwachsene eine Rolle spielen. Doch das wirkt beinahe wie ein Unfall, und wird so zu einer Umkehrung der Lebenswelten. Wenn die Gruppe der Erwachsenen ein frisch aus Holz gefertigtes Boot durch den dichten Regenwald schiebt und zerrt, auf dem Weg zum Fluss-Ufer, dabei lacht und ruft, sind die Gesichter jung und alt zugleich. So entsteht ein fast meditativer Einblick in eine ganz eigene Welt, tief geprägt von der Landschaft und dem Wasser des Amazonas Gebietes.
Inês T. Alves entwickelt Filmworkshops für verschiedene Altersgruppen und experimentiert mit dem portugiesischen Kino-Kollektiv Movimento mit Community-basierter Filmkultur. ‚Juunt Pastaza entsari‘ist ihr Langfilmdebüt undlief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
‚SHABU‘ VON SHAMIRA RAPHAËLA
Der niederländisch-karibische Shabu ist 14 Jahre alt und lebt in einem der berüchtigtsten Stadtviertel im Süden Rotterdams, im ‚The Paperclip’. Er träumt davon, Musiker zu werden und auf der Bühne zu stehen, inklusive viel Geld und einem schnellen Auto. In seiner Unbedarftheit hat er eine Dummheit gemacht und damit die wichtigste Frau in seinem Leben verärgert, seine geliebte Großmutter. Er muss wieder gutmachen, dass er ihr Auto auf einer Spritztour zu Schrott gefahren hat, während sie auf Verwandten-Besuch in Surinam ist. Die Erwachsenen waschen ihm gründlich den Kopf, machen ihm klar, dass er nun Schulden zurückzuzahlen hat und im Sommer Geld verdienen muss. Wenn sich der fröhliche Shabu mit Percussions-Rhythmen auf allen zur Verfügung stehenden Oberflächen durch seine Tagträume musiziert, ist die Sehnsucht, sich in der heißen Sommerzeit treiben zu lassen und jede Verantwortung zu vergessen, spürbar. Shabu merkt aber, dass es mit einer einfachen Entschuldigung nicht getan ist, als seine Großmutter nicht mehr täglich mit ihm spricht. Mit seiner Musik und der Unterstützung im Viertel will er ein sommerliches Konzert ausrichten, dessen Erlös seine Großmutter erhalten soll. An der Schwelle zwischen Kind und Heranwachsendem erinnert Shabu selbst das Publikum daran, hinter den ersten Eindruck zu schauen, wenn er seinen Freunden beschreibt, dass er aufgrund des Körperbaus immer älter wahrgenommen wird, obwohl er erst 14 Jahre alt ist. Und so erlebt seine Umgebung ihn entweder fröhlich und überschwänglich oder aber verhalten, beinahe distanziert. Dazwischen kämpft er mit der Umsetzung seines Plans, der Dynamik von Beziehungen, insbesondere zu seiner Freundin und zu seinem besten Freund, sowie der Auseinandersetzung mit der eigenen Musik. Erst in einem Schlüsselmoment ist zu erkennen, wie sehr es hinter dem ruhigen Äußeren arbeitet und das Kind und der junge Erwachsene in ihm ihren Weg suchen. Als seine zurück gekehrte Großmutter überraschend wieder vor ihm steht, bricht Shabu in Tränen aus, rennt zu ihr und schluchzt in ihren Armen mit den Worten „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!“.
Das Konzert ist ein Erfolg – für den geplanten Zweck ebenso, wie für Shabus Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und seiner Großmutter zu zeigen, wieviel ihm ihre Liebe bedeutet. Eine klassische Helden-Reise, die aus dem Leben gegriffen ist.
Regisseurin Shamira Raphaëla studierte an der ArtEZ Academy of Art & Design in Arnheim. Neben ihrer Arbeit als Filmemacherin ist sie für das Kurzfilmprogramm des Internationalen Film Festivals Rotterdam verantwortlich und Mitbegründerin der Initiative framing of us. Shabu erhielt eine Lobende Erwähnung der Jury und lief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Nicole Lohfink
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Anna-Clara Pentz: History Voices. Mit ‚Playbooks‘ die Geschichte der Demokratie erleben
Die Geschichte der Demokratie selbst mitzuerleben, das ermöglichen die Playbooks von History Voices. In der bisher erschienenen ersten Episode ‚Antike‘ tauchen Schüler*innen an der Seite des Protagonisten Tramos in die Entstehung der Demokratie ein und müssen sogar selbst dazu beitragen, dass die politische Reform gelingt. An Tramos‘ Seite erleben sie den Tag, an dem Solon der Weise, ein griechischer Aristokrat, zum Archon gewählt wird. Durch Solons Reformen wurden die Schuldsklaverei abgeschafft, die Volksversammlung und das Mitspracherecht der unterschiedlichen Klassen eingeführt und damit ein wichtiger Grundstein für die Demokratie in Athen gelegt. Er schränkte die Macht des Adels ein und verwandelte die Aristokratie in eine Timokratie. Die fiktive Figur Tramos, der Sohn eines Athener Aristokraten, erfährt an seinem 18. Geburtstag, wie wichtig es ist, die Schuldsklaverei abzuschaffen und auch den Kleinstbäuer*innenn Rechte zuzusprechen. Er überzeugt seinen Vater und weitere wichtige Entscheidungsträger, Solon wiederzuwählen.
Die Handlung beginnt am Morgen von Tramos‘ Geburtstag. Die Spieler*innen begleiten den Protagonisten zu einem Geburtstagspicknick mit seinem besten Freund Heloss in einem Olivenhain vor den Toren Athens. Auf dem Weg dorthin begegnet Tramos Solon und erfährt von seiner Idee einer Reform. Als nach dem Picknick sein bester Freund Heloss, ein Schuldsklave von Tramos‘ Familie, festgenommen wird und Tramos die Ungerechtigkeit gegenüber Sklav*innen mit eigenen Augen mitansieht, beginnt er, sich intensiv mit der Politik auseinanderzusetzen und sich für seinen Freund und die Schuldsklav*innen und Kleinstbäuer*innen einzusetzen und Solons Reform zu unterstützen. In Gesprächen mit Solon, Heloss und später mit seinem Vater und Großvater lernt Tramos viel über die politische Lage in Athen. Das Playbook vermittelt die historischen Ereignisse dieses wichtigen Tages für die Demokratie durch Storytelling und Gameplay-Elemente, zielt dabei jedoch nicht auf das Belohnungssystem im Gehirn ab, sondern weckt durch das Narrativ um Tramos und seinen Freund Heloss die Neugierde der Kinder und Jugendlichen. Sie erfahren nämlich in interaktiven Dialogen von der Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen den Klassen, die in der Polis Athen besteht. Die Dialoge werden dabei per Multiple-Choice bei Tramos‘ Interaktionsmöglichkeiten gelenkt. So schlüpft die*der Spielende in die Rolle von Tramos und kann, je nach Interesse, tiefer in die Politik Athens eintauchen oder auch nur die grundlegenden Informationen zur Demokratie erfahren. Größere Neugierde wird im Glossar belohnt. Hier kann eingesehen werden, wie viele Informationen zu bestimmten Themengebieten aufgedeckt wurden und eine kleine Eule oben in der Ecke belohnt dies mit dem Bronze-, Silber- oder Goldstatus. Ein weiteres spielerisches Element sind die Gegenstände, die betrachtet oder eingesammelt werden können. Sie liefern zusätzliche Informationen zu der Zeit und den religiösen und politischen Bräuchen. Am Ende gilt es, das Wissen und die gesammelten Argumente einzusetzen, um vor der Wahl weitere wichtige Aristokrat*innen davon zu überzeugen, Solon zu wählen.
Im Playbook begegnet den Spielenden zu Beginn und am Ende der Episode im ‚Tempel des Wissens‘ der ‚Geist der Menschheit‘. Der Geist liegt in Ketten. Man erfährt, dass die Taten der Menschen, wie Kriege, die Ausbeutung der Natur und Ungerechtigkeit, diese Ketten geschmiedet haben und dass mit dieser Episode eine der Ketten gesprengt werden kann. Befreit wird der Geist der Menschheit mit dem Wissen der Menschen um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Geschichten, die in fünf Episoden erzählt werden sollen, erklären je eines der fünf Symbole im Tempel des Wissens, die für Gewaltenteilung, Vernunft, Glaubensfreiheit, Humanismus und Säkularisierung stehen. Gemeinsam mit den vier folgenden Episoden, ‚Die Römer‘, ‚Das Mittelalter‘, ‚Die Rennaissance‘ und ‚Die Neuzeit‘ sollen also Demokratie und die Werte der Aufklärung vermittelt werden.
Die Playbooks basieren auf den Lehrplänen der Bundesländer. Mit den Begleitmaterialien, die QR-Codes und weiterführende Rätsel, Hinweise und Tipps enthalten, können sie also adäquat in den Geschichtsunterricht eingebaut werden. Eine entsprechende Schul-Lizenz ermöglicht einen Admin-Modus, in dem Lehrkräfte gezielt zu bestimmten Themen springen können. Doch auch außerhalb des Unterrichts vermitteln die Playbooks spielerisch und spannend Wissen zu Demokratie und den Werten der Aufklärung.
History Voices (2022). Playbook Antike. Bildungssoftware, Altersempfehlung: ab 5. Klasse, browserbasiert. www.history-voices.de. Ab 39,99 €.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Anna-Clara Pentz: Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ zu Euthanasie
Bereits seit den 1980er Jahren sind Medien ein wichtiges Mittel der Erinnerungsarbeit bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus‘. Von Dokumentationen über Spielfilme bis hin zu Apps und Games heute – es gibt vielfältige Angebote, die verschiedene Themen und Aspekte der NS-Zeit thematisieren, damit über die Generationen hinweg die Grausamkeit nicht vergessen wird und die Geschichte sich nicht wiederholt. Das Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ des Gedenkkreises Wehnen e.V. setzt sich mit der Euthanasie, der systematischen Vernichtung von sogenannten ‚Kranken‘ in der NS-Zeit, auseinander. Dieses dunkle Thema wird am Beispiel der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Wehnen erzählt. Im von der Produktionsfirma Playing History produzierten Game durchlebt die*der Spielende das Geschehene anhand der Geschichte der fiktiven Figuren Anna und Josephine. Josephine erzählt anhand des Tagebuchs ihrer Schwester die tragische Geschichte der Familie, die schon beim Selbstmord des Vaters 1936 beginnt, der von den Nationalsozialisten aufgrund seiner Melancholie, die vermutlich auf Traumata aus dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen war, als depressiv und damit als ‚erbkrank‘ eingestuft worden war. Damit wurde ihm nach der Gesundheitspolitik der Nazis seine Kriegsrente entzogen und der Familie somit ein großer Teil ihrer Lebensgrundlage. Anschließend beschreibt Josephine das Schicksal ihrer Schwester Anna, die ebenfalls unter der Diagnose ‚depressiv‘ in der Anstalt in Wehnen untergebracht war und dort letztendlich auf sehr fragliche Weise ‚verstirbt‘. Jedoch ist das Tagebuch zunächst leer. Die Geschichte muss erst ‚erspielt‘ werden.
In zehn Kapiteln erfährt die*der Spielende anhand von Tagebucheinträgen und Dokumenten, wie dem ärztlichen Befund, dem Einweisungsbericht und Auszügen aus der Krankenakte Annas von deren Schicksal. In Zeichnungen hat Anna ihre Gefühle und ihren Alltag in Wehnen festgehalten. In diesen Zeichnungen gilt es, Handlungen durchzuführen, etwa eine Person durch ein vernebeltes Labyrinth zu führen oder die Gitterstäbe vor einem Fenster zu verbiegen. Mit jeder Aktion werden neue Bruchstücke der Geschichte aufgedeckt. Dabei wird die Zwangssterilisation der ‚Kranken‘ in der Heil- und Pflegeanstalt ebenso thematisiert wie die schlimme Versorgungslage und das systematische Aushungern der Patient*innen während der Kriegsjahre. So tauchen etwa Zahlen und Rations-Zuweisungen auf, sowie ein Brief des Verwaltungsleiters der Anstalt Wehnen, Heinrich Siems, der sich in einem Schreiben an die Kreisbauernschaft 1942 seines Sparkurses rühmte. Durch seine Hungerpolitik starben zahlreiche überwiegend nicht arbeitsfähige Patient*innen. Die Dokumente um Annas persönliches Schicksal sind dabei alle Originalakten aus Wehnen nachempfunden, andere Dokumente, wie etwa der Brief, sind realhistorische Zeugnisse der Euthanasie. Die Geschichte Annas steht dabei exemplarisch für die Geschichte der Patient*innen in Wehnen und in anderen Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus‘.
Angelegt ist das Serious Game zur Einbindung in den Schulunterricht. Das Spiel sowie ein dazugehöriges Handbuch, das ebenfalls kostenfrei auf der Website verfügbar ist, sind für eine Doppelstunde für Schulklassen ab der 9. Klasse konzipiert. Das Handbuch liefert zusätzlich zum Spiel Hintergrundinformationen zu den im Tagebuch angesprochenen Themen und verifiziert die Quellen und die Informationen darin. ‚Spuren auf Papier‘ bietet jedoch für alle Geschichtsinteressierten auch außerhalb des Schulkontexts durch das selbstständige Aufdecken und Nachforschen eine kurzweilige Geschichtslektion zu Euthanasie. Das sensible Thema der Krankenmorde wird dabei angemessen behandelt und trotz des Computerspiel-Charakters geht die Ernsthaftigkeit nicht verloren, sondern wird in behutsamer und pietätvoller Weise vermittelt.
Dieses Projekt wurde entwickelt im Rahmen von ‚dive in. Programm für digitale Interaktion‘ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch das Rettungs- und Zukunftspaket der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm ‚NEUSTART KULTUR‘.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Lisa Melzer: weitklick. Das Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung
Seit Beginn der Pandemie hat die Verbreitung von Verschwörungsmythen, Halbwahrheiten und Falschmeldungen mit und durch die Sozialen Medien zugenommen. Insbesondere junge Menschen informieren sich jedoch häufig nur über den Newsfeed von Facebook, Instagram, Twitter und Co und nutzen vergleichsweise wenig unterschiedliche Nachrichten- und Wissensquellen. Dabei sind gerade sie in besonderem Maße darauf angewiesen, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden, um das gesellschaftliche und politische Geschehen richtig einordnen und sich auf dieser Basis eine fundierte Meinung bilden zu können. Bisher erhalten Heranwachsende jedoch nicht ausreichend Unterstützung dabei.
An dieser Stelle soll das Projekt weitklick Abhilfe schaffen, welches sich als ‚Netzwerk für digitale Medien und Weiterbildung‘ versteht, und Lehrende dabei unterstützen, das Thema Desinformation nachhaltig in Unterrichtskontexte zu integrieren. Mithilfe eines umfassenden Blended Learning-Angebots aus Onlinekursen, Unterrichtsmaterialien, Webinaren und Vor-Ort-Veranstaltungen richtet sich das bundesweite Bildungsprogramm vor allem an Lehrkräfte aus weiterführenden allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen.
Ziel des Projekts ist es, die Urteilsfähigkeit und Meinungsbildung von Heranwachsenden zu fördern. Um dies zu erreichen, können sich Nutzer*innen mithilfe des Angebots individuell fortbilden und sich so grundlegendes Wissen über die Mechanismen und Funktionsweisen digitaler Medien, Meinungsbildungsprozessen im Internet und die unterschiedlichen Formen und Wirkungsweisen von Desinformation aneignen.
Das Netzwerkprojekt wurde von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e. V.) ins Leben gerufen. Gefördert wird weitklick im Rahmen eines Förderprogramms von Google.org. Zur Qualitätssicherung wird das Projekt von einem Beirat mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Journalismus, Politik und Bildungspraxis begleitet.
Das Angebotsspektrum von weitklick ist riesig. Mithilfe von Online-Kursen zum individuellen Selbststudium werden Lehrkräften zahlreiche Impulse an die Hand gegeben, um über Falschnachrichten, Verschwörungsmythen und propagandistische Inhalte im digitalen Raum mit Schüler*innen ins Gespräch zu kommen. Gerade angesichts der hohen Verbreitung von Desinformation im Zuge der Pandemie ist es besonders wichtig, dass Schüler*innen dazu angeregt werden, ihr Mediennutzungsverhalten zu reflektieren, Wirkungsweisen von Desinformation zu hinterfragen und Strategien zum kritischen Umgang mit digitalen Quellen zu entwickeln. Mithilfe der Kurse werden Lehrkräfte nicht nur über Recherchemethoden, Bewertungsraster für Informationen oder die Anwendung von so genannten Fact-Checking-Tools aufgeklärt, sondern sie erhalten auch einen Überblick über journalistische Qualitätskriterien und Darstellungsformen, um ein Verständnis für Medienbildung im Allgemeinen und die mit Desinformation zusammenhängenden Hintergründe im Besonderen entwickeln zu können.
Ein weiterer wichtiger Baustein des Projekts sind informative Erklärvideos, Aufzeichnungen und Webinare zu den Themen Desinformation und Meinungsbildung im digitalen Raum, die sich an den Bedürfnissen und Bedarfen von Lehrkräften orientieren. Insbesondere die Webinare überzeugen dabei mit informativen, aber auch kritischen Beiträgen von unterschiedlichen Expert*innen. So klärt Mirko Drotschmann alias ‚MrWissen2go‘ darüber auf, mit welchen Methoden Journalist*innen arbeiten, wie Fakten-Checks funktionieren und wie sich prüfen lässt, welche Informationen und Quellen vertrauenswürdig sind. Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun widmet sich dagegen dem Thema Verschwörungsmythen und beleuchtet gängige Verbreitungswege sowie Strategien für den Umgang damit.
Um das hier erworbene Wissen auch praktisch anwenden zu können, finden Lehrkräfte auf der Website von weitklick eine große Auswahl an kostenlosen Download-Materialien, darunter Arbeitsblätter, Übungen, Spiele und Projektideen, die sie zur Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung heranziehen können. Durch die Filtermöglichkeit nach Themenfeld, Fächergruppen und Schulform werden Unterstützungsangebote vieler engagierter Institutionen und Akteur*innen gebündelt präsentiert und die Suche nach geeigneten Methoden und Materialien erleichtert.
Um Medienbildung stärker in Unterrichtskontexten zu verankern, organisiert weitklick zudem kostenlose Fortbildungen, die auf die Wünsche und Bedarfe von Lehrkräften zugeschnitten sind. Das Spektrum an Formaten, aus denen Lehrende wählen können, ist groß: digital und anlog, vom halbstündigen Expert*innen-Input innerhalb einer regulären Fortbildung über mehrstündige Workshops bis hin zur Organisation von schulinternen Fortbildungstagen. Darüber hinaus setzt das Netzwerk auch auf journalistische Expertise. So haben Medienschaffende die Möglichkeit, eigene Vorschläge für Projekte oder Veranstaltungen einzubringen, um mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen den Lernraum Schule zu bereichern. Von weitklick erhalten sie dabei Unterstützung und Beratung rund um Planung, Konzeption und Umsetzung ihrer Ideen und Vorhaben.
Insgesamt liefert weitklick Lehrkräften ein umfassendes Angebot an vielseitigen Unterrichtsanregungen und mediendidaktischen Werkzeugen, mit denen sie Schüler*innen an mögliche Erscheinungsformen, Charakteristika, Motive und Verbreitungswege von Desinformation heranführen können. Aber auch für pädagogische Fachkräfte aus anderen Handlungsfeldern und Medienschaffende kann das Netzwerk ein Wegbereiter sein, um junge Menschen dazu anzuregen, ihre eigene Verantwortung für den Umgang mit Desinformation im Netz zu reflektieren und sie für Gefahrenaspekte zu sensibilisieren.
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) (2020). weitklick – das Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung. Website. www.weitklick.de. Kostenlos verfügbar.
Anna-Clara Pentz: Programmieren mit dem Elefanten. Erste spielerische Programmier-Erfahrungen für Kinder
Mit dem neuen Spiel ‚Wenn-Dann-Maschine‘ in der Elefanten-App des Westdeutschen Rundfunks können schon die Kleinsten mit dem kleinen blauen Elefanten ganz einfach die ersten Grundzüge des Programmierens lernen. Dazu müssen die Kinder noch nicht einmal lesen oder schreiben können. Das Programmieren geschieht mithilfe von einfachen Bausteinen, mit welchen einer Wolke, dem Hasen, dem kleinen blauen Elefanten und einer Wiese lustige Aktionen zugewiesen werden können. Über die Bausteine ‚Kreis‘, ‚Dreieck‘, ‚Viereck‘ und ‚Stern‘ können verschiedene Aktionen wie Bewegungen, Geräusche, Wiederholungen oder Auslöser ausgesucht werden. Beim Anklicken des jeweiligen Symbols wird dabei erklärt, was zu tun ist. Die Formen der Bausteine tauchen dabei neben den Bildern der Wolke, der Wiese, des Hasen und des Elefanten wieder auf, sodass intuitiv klar wird, wie die Aktionen zugewiesen werden können. Wenn alle Aktionen ausgewählt wurden, können sich die Kinder ihr Ergebnis ansehen. So wird etwa beim Schütteln des Geräts oder durch Anklicken die Wiese unter Pups-Geräuschen zum Flauscheteppich, die Wolke zerplatzt lachend zu Seifenblasen, der Hase verkleidet sich unter Schnarchen und der Elefant präsentiert miauend einen Blumenstrauß. Hase und Elefant reagieren auf die lustige Programmierung mit Gelächter.
Zu der ‚Wenn-Dann-Maschine‘ gibt es auf der ‚Seite mit dem Elefanten‘ unter www.wdrmaus.de auch Lernmaterial für Eltern sowie pädagogische Fachkräfte in Kita und Grundschule. So kann das Angebot zu Hause, in der Kita oder Grundschule unkompliziert vermittelt werden. Zu den Materialien gehören Lernspiele zum Ausdrucken, mit Hilfe derer beispielsweise Wenn-Dann-Bedingungen oder auch ‚versteckte Computer‘ im Alltag besprochen und reflektiert werden können. Mit diesem Material können unabhängig von der ‚Wenn-Dann-Maschine‘ spielerisch die Grundzüge des Programmierens entdeckt und dabei auch ein Verständnis für Prinzipien der Logik im Alltag geschaffen werden. Dass Spiel in der App sowie die begleitenden Materialen fördern logisches Denken, Kreativität, sowie das Verständnis von Kausal-Zusammenhängen. In der App arbeiten die Kinder zudem an ihren motorischen Fähigkeiten und lernen nebenbei neue Begriffe.
Westdeutscher Rundfunk (2021). Der Elefant. Kreativ- und Lernapp für IOS und Android, Altersempfehlung: 4–7 Jahre, kostenfrei.
Anna-Clara Pentz: Das EXIT-Game für das Smartphone
Mit ‚EXIT – Der Fluch von Ophir‘ bringt KOSMOS die beliebte Escape-Game-Reihe EXIT erstmals auf das Smartphone. In bekannter EXIT-Manier schafft KOSMOS ein Mobile-Game, das die Spieler*innen in einen rätselhaften Fall hineinzieht, aus dem es durch das Lösen verschiedener Rätsel herauszukommen gilt. In ‚Der Fluch von Ophir‘ findet sich der*die Spieler*in im Hotel Ophir in den Wichita Mountains in Oklahoma wieder, in dem unnatürliche Dinge geschehen und zuletzt der berühmte Schriftsteller Tory Harlane spurlos verschwunden ist. Zu Beginn des Spiels führt eine Erzählstimme ein in die Geschichte des Hotels und die Gerüchte, die sich seit jeher um diesen geheimnisvollen Ort ranken: Gerüchte über eine angebliche Stadt aus Gold, über unerklärliche Phänomene, verschwundene Personen und einen Fluch.
Im Hotel gilt es nun, Hinweise zu suchen und Aufgaben und Rätsel zu lösen, um hinter das Geheimnis um das Hotel und Tory Harlanes Verschwinden zu kommen. Dabei wird die Suche etwa durch einen nicht auf Anhieb funktionierenden Fahrstuhl oder verschlossene Türen erschwert. Zu Beginn findet der*die Spieler*in sich in der leeren Lobby des Hotels wieder, mit einer Abwesenheitsnotiz der Hotelangestellten und einem Zimmerschlüssel auf dem Tresen beginnt nun das Abenteuer. Wie für die EXIT-Reihe üblich, bedarf es aufmerksamen Hinschauens, logischen Denkens und einigen Kombinationsvermögens, um die Aufgaben zu lösen. Glücklicherweise gibt es auch Tipps, sollte man bei einem Rätsel gar nicht weiterkommen. Allerdings zählen diese in die Auswertung am Ende hinein.
Das Hotel ist mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet und neben den für das Spiel relevanten Hinweisen, erfährt man durch Klicken auf manche Gegenstände im Hotel noch etwas über die Geschichte des Hotels oder beispielsweise die Tradition der Bärenjagd in Oklahoma, die zum Aussterben der Bären dort geführt hat.
Die Oberfläche des Games ist sehr intuitiv, teilweise leuchten relevante Gegenstände auf und machen so auf sich aufmerksam. Dennoch sind die Rätsel nicht allzu leicht zu lösen, weshalb sich das Spiel auch sehr ziehen kann. Die Option, das Spiel zu unterbrechen und an der abgebrochenen Stelle wieder fortzusetzen ist daher sehr nützlich. Die Altersempfehlung ab 12 Jahren ist aufgrund der Geschichte und der düsteren Stimmung, die durch die Hintergrundmusik noch deutlich verstärkt wird, angemessen. Für alle Rätsel-Fans ist das Spiel sehr zu empfehlen.
KOSMOS (2021). EXIT – Der Fluch von Ophir. App-Game ab 12 Jahren für IOS und Android. 5,99 €.
Anna-Clara Pentz: Hidden Codes. Lern-App zum Thema Radikalisierung.
Bildungsstätte Anne Frank (2021). Hidden Codes. Appstore/Playstore, kostenfrei.
Mit ‚Hidden Codes‘ präsentiert die Bildungsstätte Anne Frank ein Mobile Game, das junge Menschen spielerisch für Radikalisierung sensibilisieren soll. Selbst aktiv werden gegen Hass und Hetze – das ist darüber hinaus das Ziel des Games. In der App interagieren die Spieler*innen durch eine Social-Media-Oberfläche mit den Charakteren des Spiels und werden damit selbst Teil der fiktiven Geschichten. So ist Aufgabe der Spielenden, radikale Inhalte und Strategien radikaler Gruppierungen im Netz, insbesondere auf Social-Media-Kanälen, zu identifizieren und gegen sie vorzugehen. Auf der Game-Oberfläche legt sich die*der Spieler*in zunächst ein Profil an, stellt einen Username, einen Satus und einen Avatar ein und schon ploppt die erste Nachricht im Chatverlauf auf und die Handlung beginnt.
In den bisher verfügbaren zwei Episoden steht Rechtsradikalismus im Zentrum. Als Mitglied einer Schülerzeitung hilft die*der Spielende so etwa in Episode I der Mitredakteurin und Freundin Emilia, aus dem rechtsradikalen Umfeld herauszukommen. Durch die anderen Redaktions-Mitglieder wird die*der Spielende auf Anzeichen aufmerksam gemacht, die Emilias neue Freundin Patricia als rechtsradikal identifizieren. So erfährt man im Spiel etwa, dass es sich bei dem auf den ersten Blick harmlosen Anhänger an Emilias Freundschaftsarmband um ein bei rechtsradikalen Gruppierungen beliebtes Symbol handelt. Außerdem erkennt man durch Tipps der Mitredakteur*innen, dass eine als Demonstration für Frauenrechte getarnte Veranstaltung rassistisch motiviert ist und wird dabei auf die geschickt eingesetzten Strategien und Themensetzungen von Rechtsextremist*innen auf der Suche nach Nachwuchs hingewiesen. In der zweiten Episode soll die*der Spielende für einen Artikel für die Schülerzeitung aufdecken, ob ein Mitschüler hinter dem Profil eines rechtsradikalen Gamers steckt. Auf den Social-Media-Kanälen des Gamers sind zahlreiche Memes mit ganz expliziter und auch teils versteckter antisemitischer Aussage zu finden und auch in den Posts und Kommentaren des Mitschülers lassen sich solche entdecken. Auch hier erhält die*der Spielende bei der Suche nach radikalen Inhalten wieder Hilfe von der Schülerzeitungs-Redaktion. Die einzelnen Redaktions-Mitglieder kennen sich mit Symbolen der rechten Szene oder auch mit den Strukturen hinter rechten Akteur*innen aus, oder können mit Informationen zu Algorithmen oder auch ‚Fake News‘ weiterhelfen. Über die Chat-Funktion kommuniziert und interagiert die*der Spielende mit diesen Expert*innen, wird auf Bilder oder Videos auf den Social-Media-Plattformen aufmerksam gemacht und bekommt die nötigen Hintergrundinformationen. So sucht man etwa rechte oder antisemitische Symboliken auf geposteten Bildern, kann diese per Screenshot-Funktion an die Mitredakteur*innen weiterleiten und erhält von diesen Tipps, wonach zu suchen ist sowie Informationen zu bereits gefundenen Hinweisen. Durch eine Auswahlmöglichkeit an vorgefertigten Textbausteinen in der Messenger-Oberfläche können dabei je nach individuellem Hintergrundwissen weitere Informationen eingeholt werden.
Neben den beiden ersten Episoden, die das Thema Rechtsextremismus behandeln, sind weitere Episoden geplant, die auch islamistische Radikalisierung thematisieren sollen.
Das Wissen zu Radikalisierung wird im Game durch die Social-Media-Oberfläche unterschwellig und alltagsnah am Leben der jugendlichen Zielgruppe vermittelt. Jugendliche, die möglicherweise bereits in Chats und auf Social-Media-Plattformen mit (rechts-)radikalen Inhalten in Berührung gekommen sind, lernen durch das interaktive Spiel, wie sie sich in solchen Situationen gut verhalten können, wie sie beispielsweise auf Mitschüler*innen zugehen können, die in ein solches Umfeld geraten sind, aber auch, wie sie selbst die Strategien (rechts-)radikaler Akteur*innen durchschauen und damit nicht in diese Kreise geraten. Die Oberfläche ist mit sehr viel Liebe zum Detail ausgestaltet. So haben die Charaktere des Games Profilfotos in dem an Whatsapp erinnernden Massenger und man kann sich durch ihre Profile in einer an Instagram erinnernden Social-Media-Plattform klicken. Auch im Chatverlauf wurde viel mit Emojis und realitätsnahen Konversations-Elementen gearbeitet, sodass wirklich das Gefühl entsteht, mit den Figuren zu interagieren.
‚Hidden Codes‘ ist als Bildungs-Game konzipiert, das im Unterricht und anderen pädagogischen Kontexten eingesetzt werden kann. Die App soll Schüler*innen an das Thema Radikalisierung heranführen. Dazu eröffnet das Game viele Aspekte des Themas, wobei sowohl im interaktiven Chat als auch in Zwischensequenzen mit Auswertungen des Spielverlaufs sehr viele Hintergrundinformationen gegeben werden. Dennoch ist es den Entwickler*innen wichtig, die Jugendlichen mit den Inhalten nicht allein zu lassen, sondern die angesprochenen Themen zu vertiefen und das Gespielte zu reflektieren. Aus diesem Grund ist das Game auch nicht frei zugänglich, sondern muss mit einem Code freigeschaltet werden. Der Code sowie die umfangreiche Begleitmaterialien für Lehrkräften und anderen Multiplikator*innen können kostenfrei über die Website www.hidden-codes.de angefragt werden.
Anna-Clara Pentz ist seit Oktober 2020 Volontärin bei merz | medien + erziehung und im kopaed-Verlag. Sie studierte Anglistik/Amerikanistik mit Kunst- und Kulturgeschichte (B.A.) und Internationale Literatur (M.A.).
Beitrag aus Heft »2021/06 Kinder- und Jugendmedienschutz mitmachen«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Isabel Klotz: didab: Die erste Lernplattform für Menschen mit Behinderung.
gdw nord (2021). www.didab.net. Website, kostenpflichtig.
Nicht alle Menschen können ‚mal schnell googeln‘, wenn sie wissen wollen, wie man empfindliche Wollpullover wäscht, wie der Fahrkartenautomat funktioniert oder wie man eine Briefwahl beantragt. Denn auch in unserer digitalisierten Gesellschaft sind Informationen im Internet oft nicht so aufbereitet, dass alle sie nutzen können. Dem will die Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland e.G. (gdw nord) ein Ende bereiten: Ihre Lernplattform ‚didab‘ bietet Menschen mit Beeinträchtigung Wissen aus verschiedenen Lebensbereichen, das genau auf die Zielgruppe abgestimmt ist. Die Abkürzung ‚didab‘ steht hierbei für ‚digital dabei‘ und drückt genau aus, worum es dem Projekt geht: Eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – online und im alltäglichen Leben. Zu diesem Zweck steht auf der E-Learning Plattform in über 300 multimedialen Lernmodulen kurz und bündig aufbereitetes Wissen für den Alltag und das Berufsleben zur Verfügung.
Die Bildungsplattform kombiniert Erklärfilme, Audiobeiträge und Abbildungen mit interaktiven Inhalten wie Quiz und setzt dabei auf wiederkehrende Charaktere in Lerngeschichten. Das begünstigt die Identifikation mit den Figuren, begrenzt gleichzeitig die Anzahl der auftretenden Charaktere und kann zusätzlich motivieren. Durch die übersichtliche Gestaltung und barrierearme Menüführung ist die Plattform gut zu bedienen. Zudem sind alle Inhalte in Einfacher Sprache zugänglich. Derzeit sind die elf Themengebiete Arbeit und Bildung, Umgang mit Geld, Soziale Medien, Alltag und Wohnen, Ernährung und Kochen, Wissen und Recht, Soziales Miteinander, Computer und Internet, Freizeit und Sport sowie Gesundheit und Krankheit und Mobilität enthalten, sollen aber laufend ergänzt werden. Als webbasierte Bildungsplattform ist ‚didab‘ auf PCs, Tablets oder Smartphones anwendbar.
Entwickelt wurde das Projekt in Kooperation mit der Fakultät ‚Soziale Arbeit‘ der Ostfalia HochschuleBraunschweig Wolfenbüttel. Seit 2018 forschen sie gemeinsam mit der gdw nord an einem online Lernkonzept für Menschen mit Beeinträchtigung. Um zu ermitteln, worin genau ihr Lernbedarf besteht und worauf sie besonderen Wert legen, wurde zunächst eine Studie an zehn Einrichtungen der gdw nord durchgeführt. Dass schon im Planungsprozess Menschen mit Behinderung involviert und an der Erarbeitung wichtiger Bestandteile beteiligt waren, ist auch ein Exempel dafür, nicht nur über sondern auch mit Menschen mit Beeinträchtigung über ihre Bedürfnisse zu reden.
Die Bildungssoftware wird ständig weiterentwickelt: Seit Juli 2021 ist das Projekt um die Funktion ‚Meine Einrichtung‘ ergänzt, die es Einrichtungen der Behindertenhilfe erlaubt, für ihre Nutzer*innen eigene Inhalte aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Neu ist auch, dass Webinare und Schulungen angeboten werden, die einen Überblick darüber geben, wie ‚didab‘ zum Lernen eingesetzt und in den Alltag integriert werden kann. Für Einrichtungen richtet sich der Preis nach der Anzahl der Zugänge, beginnend bei 100 Euro monatlich, Privatpersonen können sich für 7,50 Euro monatlich registrieren.
Die Lernplattform richtet sich an Menschen jedes Alters und ist mit ihren vielfältigen Themengebieten für zahlreiche Personen interessant. Im Mai 2021 hatten schon mehr als 8000 Menschen mit Behinderung Zugang zu ‚didab‘.
‚Didab‘ macht vor, wie barrierefreie Bildung aussehen und wie Menschen mit Beeinträchtigung digitale Kompetenzen entwickeln können, um auch am Online-Geschehen teilzuhaben und mehr Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu erlangen. Damit leistet die Lernplattform einen großen Beitrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und wird als Pionierprojekt hoffentlich noch viele weitere Ansätze inspirieren, um Menschen mit Beeinträchtigung digitale und analoge Teilhabe zu ermöglichen.
Isabel Klotz ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung. Sie studiert Lehramt für Realschulen an der LudwigMaximilians-Universität München.
Beitrag aus Heft »2021/06 Kinder- und Jugendmedienschutz mitmachen«
Autor:
Isabel Klotz
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Isabel Klotz: Offene Geschichte. Digitale Lernplattform für historische Bildung
Verstaubte Geschichtsbücher könnten bald der Vergangenheit angehören, denn immer mehr Museen und Gedenkstätten entwickeln digitale Materialien für historisches Lernen. Digitale Lernformate bieten in Zeiten von Distanzunterricht und erschwerten Bedingungen für spannenden Geschichtsunterricht aber nicht nur in organisatorischen Fragen einen Mehrwert, wie die digitale Lernplattform offene-geschichte.eu beweist.
Die Plattform ging infolge der Dringlichkeit der Pandemie verfrüht als Beta-version online. Anhand von didaktisch aufbereiteten Modulen machen Forschende der Universität Tübingen für Lehrende und Lernende zugänglich, wie Menschen und Gesellschaften jeher mit Krisen und Extremsituationen umgehen. Dass die Lernplattform in genau solch einer Zeit Prämiere feiert, kommt der Zielgruppe entgegen: Jugendliche erfahren gerade selbst, wie ungewiss die Entwicklungen in einer weltweiten Extremsituation sind. Genau das macht sich die Forschungsgruppe der Universität Tübingen zum Ziel: Anhand der bisher fünf veröffentlichen Themenblöcke ‚Der erste Kreuzzug‘, ‚Die Pest‘, ‚Die Belagerung von Wien‘, ‚Kriegsende 1945‘ und ‚Die Katastrophe von Tschernobyl‘ sollen Schüler*innen Situationen nahegebracht werden, in denen sich Menschen in dramatischen Krisensituationen unterschiedlichster Art befanden. In solchen Momenten aus der Vergangenheit mussten oft unter hohem Zeitdruck weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Mit Hilfe von Bildern, Videos, Artikeln und Briefen sind historische Quellen in die Lernmodule integriert, die Jugendlichen die unsicheren Handlungsmöglichkeiten der Vergangenheit vermitteln sollen. Knappe Fragestellungen ermöglichen ihnen einen individuellen Zugang zu den Ereignissen, sie entscheiden sich durch die Wahl bestimmter Aufgaben für verschiedene Alternativen. Die Lernenden sollen so zum selbstständigen Denken animiert werden und selbst zu einem Bild über die Vorkommnisse der Geschichte kommen.
In den kommenden drei Jahren sollen weitere Module folgen (zum Beispiel der Untergang Roms, die französische Revolution und der Mauerbau) und technische sowie didaktische Erweiterungen ergänzt werden. Jeder Themenblock ist auf die Länge einer Doppelstunde ausgerichtet und kann als OER (Open Educational Ressource) an allen Schulen frei verwendet werden.
Entstanden ist das Projekt in der Zusammenarbeit des ‚Tübinger Sonderforschungsbereich 923‘ ‚Bedrohte Ordnungen‘ mit dem ‚Institut für Geschichtsdidaktik und Public History‘. Bereits seit knapp zehn Jahren nehmen die Forscher*innen in den Blick, wie Menschen in der Vergangenheit mit Bedrohungen ihrer sozialen Ordnung umgegangen sind.
Eberhard Karls Universität Tübingen (2020). www.offene-geschichte.eu. Website, kostenlos verfügbar.
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Isabel Klotz
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Anna-Clara Pentz: ‚tolerant statt ignorant‘. Eine virtuelle Ausstellung für Demokratie und gegen Antisemitismus
Die Arbeitsgemeinschaft Jugend + Bildung e. V. schafft mit der virtuellen Ausstellung ‚tolerant statt ignorant‘ in diesen Pandemie-Zeiten ein tolles Angebot für Jugendliche, sich durch spannend aufbereitete, multimediale Inhalte mit Demokratie und Antisemitismus auseinanderzusetzen. Die Ausstellung wird gefördert durch das Bundesland Hessen und Hessen aktiv für Demokratie und gegen Extremismus und richtet sich an Jugendliche ab 14 Jahren sowie junge Erwachsene.
Auf der Startseite der Website tolerant-statt-ignorant.de führt eine Bildergalerie mit Fotografien von Ausstellungsräumen durch das virtuelle Museum. Aus dem Foyer gelangt der*die Besucher*in in vier ‚Museumsräume‘. Hier hängen Gemälde, Fotografien, Zeitungsausschnitte oder etwa ein Stadtplan an der Wand und neben Skulpturen und dem typischen siebenarmigen Leuchter steht auch ein alter Lederkoffer. Mit einem Klick auf die Gegenstände öffnen sich Informationen zum Judentum und zu Antisemitismus – als Textbeiträge, mit Bildmaterial und eingebetteten Videobeiträgen oder auch Grafiken. Mit Fragen und Denkanstößen zu den Inhalten werden die Jugendlichen immer wieder animiert, Ähnlichkeiten mit und Unterschiede zu anderen Religionen zu erkennen oder auch über die eigene Einstellung gegenüber Menschen des jüdischen Glaubens und das Judentum zu reflektieren.
Im ersten virtuellen Raum der Ausstellung, ‚Was ist eigentlich jüdisch?‘, werden Hintergründe zum Judentum weltweit und speziell zur deutsch-jüdischen Geschichte beleuchtet. Mit einem Klick auf die ‚Menora‘, den siebenarmigen Leuchter, oder die Thora erfährt man mehr über religiöse Grundlagen sowie Moral und Ethik des jüdischen Glaubens. Andere Galeriebesucher*innen im Raum ‚berichten‘ über jüdische Vielfalt. Hier kommt in einem Video zum Beispiel die jüdische Schriftstellerin und Schauspielerin Lana Lux zu Wort. In einer Galerie trifft der*die Ausstellungsbesucher*in auf Bilder und Fotografien bekannter jüdischer Persönlichkeiten, wie etwa goldgerahmte Portraits Einsteins neben Siegmund Freud und Hannah Arendt. Informationen zu den Persönlichkeiten werden beim Anklicken der Bilder eingeblendet. ‚Alles koscher?‘ – hier betrachtet der*die Besucher*in eine reich-gedeckte Tafel mit allerlei Köstlichkeiten; besonders bei Milch- und Fleischprodukten gelten da jedoch ganz eigene Regeln – beim Bewegen der Maus über das Essen erfährt man mehr darüber, was ‚koscher‘ eigentlich ist.
Nach den allgemeinen Informationen über das Judentum geht es nun in Raum 2 mit ‚Antisemitismus hat Geschichte‘ weiter. Hier erfahren die Betrachter*innen, dass ‚Antijudaismus‘ in der Geschichte schon sehr weit zurück reicht. Das zeigen antijüdische Darstellungen vom Mittelalter, über Karikaturen aus dem Kaiserreich bis hin zu Propagandaplakaten aus dem Nationalsozialismus. Neben den Bildern sind auch hier wie der Videos eingebunden: in zwei Clips erzählen Zeitzeuginnen vom Gipfel des Judenhasses in der massenhaften Juden-Vernichtung, dem Holocaust, und im YouTube-Clip von MrWissen2go wird noch einmal die Geschichte des Antisemitismus zusammengefasst und deutlich gemacht, dass dieser nicht mit Ende des Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg endete.
Vertieft wird dann in Raum 3 auf ‚Antisemitismus heute‘ eingegangen. In verschiedenen Videos erfährt man hier etwa von fünf jungen Jüd*innen, dass sie sich in der heutigen Gesellschaft mit den aktuellen Vorkommnissen wieder deutlich unsicherer fühlen. Andere Videos nehmen die Besucher*innen mit in eine jüdische Schule oder zu einem jüdischen Fußballverein. Thema überall sind Anfeindungen und Bedrohungen. Hier wird der*die Besucher*in gefragt: „Ist dir ‚Jude‘ Schon einmal als Beleidigung begegnet? Wie hast du darauf reagiert und wie sollte man darauf reagieren?“ Mit Graphiken und Statistiken wird der Anstieg der antisemitischen Vorfälle in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Ein Klick auf Schilder mit der Aufschrift ‚Toleranz‘, ‚Nie wieder!‘, ,Gegen Antisemitismus‘, und ‚Vielfalt‘ führt nun zu dem Teil der Ausstellung, der zur Partizipation an Gegenbewegungen von Antisemitismus ermutigt. Das Video ‚Wie reagiert man auf Antisemitismus?‘ der Initiative Meet a Jew liefert einige Tipps, wie man auf antisemitische Äußerungen im Alltag reagieren kann und schließlich gibt es zahlreiche weiterführende Links zu Beratungsstellen für Betroffene von Antisemitismus oder Rassismus oder etwa zum Meldeportal des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. oder auch zu Meldestellen von Hatespeech im Netz.
In Raum 4 wird nun spezifisch ‚jüdisches Leben in Hessen‘ thematisiert, wobei neben der jüdischen Siedlungsgeschichte und den heutigen jüdischen Erinnerungsorten auch jüdische Sportvereine in Hessen und damit die Geschichte jüdischer Sportler*innen beleuchtet wird. Der Rundgang durch die vier Räume bietet somit einen schlüssigen und umfassenden Einblick in die Hintergründe des Judentums und der jüdischen Geschichte. Die zahlreichen Bilder, Graphiken und Videos liefern gelungene Einblicke in sämtliche Aspekte und machen das Thema für Jugendliche gut zugänglich. Auch interaktive Elemente bereichern die Ausstellung. Allerdings hätte die Interaktion auch medial mit Quizzen oder ähnlichem noch ansprechender für ein junges Publikum umgesetzt werden können. Insgesamt ist die Ausstellung sehr textbasiert, als klassische Museums-Ausstellung wäre das ein tagesfüllendes Programm. Das Positive an der virtuellen Ausstellung ist demgegenüber, dass man die Inhalte häppchenweiße rezipieren kann.
Die virtuelle Ausstellung kann gut in den Unterricht einbezogen werden. Die Schüler*innen können sich selbstständig über die Ausstellungsinhalte mit dem Thema auseinandersetzen, einzelne Aspekte können dann gemeinsam besprochen und erarbeitet werden, wobei die Denkanstöße eine gute Diskussionsbasis bieten.
Arbeitsgemeinschaft Jugend + Bildung e. V. (2021). tolerant statt ignorant. virtuelle Ausstellung. www.tolerant-statt-ignorant.de.
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Heinrike Paulus: Ist ‚fair‘ das neue ‚smart‘!?
Dass Telefonieren viel mit Nachhaltigkeit zu tun hat, beweist schon die zweifelhafte Herkunft der in Smartphones oder Tablets verbauten metallischen Rohstoffe. Die Edelmetalle kommen aus Ländern wie China, Peru oder dem Kongo. Um sie zu gewinnen, werden Menschenrechte verletzt, nicht zuletzt durch Kinderarbeit. Gleichzeitig landen abertausende Endgeräte auf dem Müll, ungeachtet ihrer eigentlichen technischen Lebensdauer. Es ist leider oft ein bewusst gewolltes frühes Ende als Elektroschrott, weil das neueste Smartphone für viele als wichtiges Statussymbol gilt.
Die Publikation ‚Digitalisierung und Klima‘ der österreichischen Initiative saferinternet.at möchte deshalb Lehrer*innen dazu animieren, Umwelt- und Medienbildung im Schulunterricht der Sekundarstufe II zu verknüpfen. Ziel ist es, durch einen umfassenden lebensweltlichen Bezug gleichzeitig das Umweltbewusstsein in der digitalen Welt und die Medienkompetenz der Schüler*innen zu fördern. In konkreten Projekten wird ihnen Gelegenheit gegeben, Wissen zu erwerben und praktisch anzuwenden: So sollen die Jugendlichen etwa Apps bewerten oder eine eigene Social-Media-Kampagne zu einem klima- bzw. gesellschaftspolitischen Thema planen.
Die Intention der Handreichung ist es, „Anregungen für ein bewusstes Leben in dem Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Klima zu geben“, schreibt saferinternet.at auf der eigenen Internetseite. So sollen Jugendliche ihr Medienhandeln reflektieren, persönliche Entscheidungsprozesse bewusst vollziehen oder den ökologischen Einfluss von digitalen Geräten hinterfragen. Es sei wichtig, die Zusammenhänge von Digitalisierung und Klima zu kennen. Schließlich gehe es darum, „die Tragweite der eigenen Entscheidungen und des eigenen Handelns abschätzen zu können“ (saferinternet.at). Die Initiative wird von der Europäischen Union, verschiedenen österreichischen Bundesministerien sowie den Großkonzernen Facebook, A1 und Huawei finanziell unterstützt.
Für Lehrer*innen und Medienpädagog*innen ist die Broschüre, die sich in neun Themen- und Übungseinheiten gliedert, daher ein fundierter Ideengeber für die Vermittlungsarbeit. Anhand von Gruppenarbeiten, Präsentationen und Diskussionen erfahren Jugendliche zum Beispiel, wie energieaufwändige, digitale Anwendungen das Klima beeinflussen. Zugleich erwerben sie Informationskompetenz, indem sie Einblicke in die Quellenkritik erhalten. Die jungen Mediennutzenden widmen sich auch den technischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen von Smartphones. Sie kommen etwa der Herkunft der Rohstoffe oder dem Ressourcen-Verbrauch bei Produktionen auf die Spur. Ohne erhobenen Zeigefinder wird den Schüler*innen so vor Augen geführt, wie bedeutend es für den Klima- und Umweltschutz ist, die Lebensdauer von Endgeräten auszunutzen.
saferinternet.at (2020). Digitalisierung und Klima. Umweltbewusstsein in der digitalen Welt: www.saferinternet.at/news-detail/neues-unterrichtsmaterial-digitalisierung-und-klima, kostenlos verfügbar
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Heinrike Paulus
Beitrag als PDF
Irene Fenzl: Ein Fuchs im Netz
Die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf Cybersicherheit ist ein Thema, das viele Erziehende beschäftigt. Wie ist es möglich, dass sich Kinder Wissen über Sicherheit im Netz aneignen? Mit dieser Frage haben sich die Entwickler*innen des Spiels ‚Ein Fuchs im Netz – Cybersecurity für Kinder‘ auseinandergesetzt und es sich zur Aufgabe gemacht, ein Point-and-Click Adventure für Kinder im Grundschulalter zu entwickeln, das die Grundlagen der Cybersicherheit spielerisch vermittelt. Das Lernspiel ist in den Sprachen Deutsch und Englisch verfügbar.
Die Geschichte des Spiels handelt von Finn dem Fuchs, der mit seinem Raumschiff auf der Erde notlanden muss und dort von Luka Pfeffer-Niesenbach und seinem Vater aufgenommen wird. Damit Finn sich in der Zeit, in der er auf der Erde wohnt, zurechtfindet, leiht ihm Lukas Vater Fred sein altes Smartphone. Im Spielverlauf lernt der Fuchs das Phone und verschiedene Apps mit Hilfe von Luka und Fred kennen. Da Finns Raumschiff beim Absturz kaputt gegangen ist, er aber wieder in den Weltraum zurück will, muss es in der Werkstatt repariert werden. Für die Reparatur benötigt der Fuchs Schrauben und Ersatzteile, die er in Sammelbildern und verschiedenen Spielen sammeln kann. Da der Fuchs auf der Erde als Alien gilt, werden die Agenten der Stadt auf ihn aufmerksam und versuchen ihn und sein Raumschiff zu fangen.
Grundsätzlich ist das Spiel in fünf Teile aufgebaut, wobei jeder Teil einem ähnlichen Ablauf folgt. Zu Beginn gibt es eine kurze Cutscene, die die Spielenden in die Geschichte mitnimmt und die Rahmenhandlung erzählt. Hier wird zum Beispiel eine Zwischenszene gezeigt, in der die Agent*innen in einem Gespräch über den Fuchs zu sehen sind. Anschließend an das Kurzvideo kommen meist Finn und Luka zum Vorschein, die sich unterhalten. Während der Unterhaltung zwischen dem Fuchs und anderen Figuren des Spiels wird es den Spielenden ermöglicht, aus Finns Sichtweise Antworten zu geben. Dabei gibt es immer eine Auswahl an Antwortmöglichkeiten, aus der die Spielendenden wählen können. Im Hauptteil des Spiels wird Finn, neben der Suche nach Schrauben und Ersatzteilen in Sammelbildern, mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert, die durch die Verwendung seines Smartphones aufkommen. Je nach Geschichtsverlauf werden neue Apps und Funktionen eingeführt, die der Fuchs kennenlernt und anwenden muss. Die Apps auf Finns Handy sind angelehnt an Funktionen eines Smartphones in der realen Welt. ‚Goosle Maps‘ zum Beispiel hilft dem Fuchs sich in der Stadt zu orientieren und von einem Ort zum anderen zu bewegen, ‚Hamstergram‘ soll eine Social-Media-Plattform darstellen und über eine Messenger-App kann Finn mit seinen Freund*innen und Bekannten chatten. Die Themen zur Cybersicherheit reichen von Datenschutz und Cybermobbing bis hin zu Kinderschutz und Passwörtern. Vor allem Letztere spielen im Spiel eine entscheidende Rolle. Jedes Mal, wenn der*die Spieler*in das Handy des Fuchses benutzen will, muss nämlich das selbstgewählte Passwort eingesetzt werden.
Zudem gibt es verschiedene Einheiten im Spiel, die erklären, wodurch sich ein sicheres Passwort auszeichnet. Durch kleine Spiele und ein Quiz wird das neue Wissen vermittelt und vertieft. Ähnlich wie zur Passwortsicherheit wird in der App auch mit den anderen Themen zur Cybersicherheit umgegangen. Finn und Luka machen im Spiel Erfahrungen, positive wie negative, und eignen sich dadurch neues Wissen im Umgang mit dem Smartphone und dessen Funktionen an. Neben den eigenen Erfahrungen hilft Vater Fred weiter und gibt Erklärungen zu den verschiedenen Problematiken.
Das Ende einer Spielsequenz läuft immer gleich ab: Es wird eine Szene gezeigt, in der der Fuchs am Abend ins Bett geht und einen Tagebucheintrag verfasst. Beim Tagebucheintrag bekommt der*die Spielende die Möglichkeit, in einen Lückentext eine vorgefertigte Auswahl an Antworten zu füllen. Der pädagogische Wert des Tagebuchs liegt darin, dass das Gelernte meist wiederholt oder noch einmal extra auf Gefahren hingewiesen wird.
Die Grafik der App überzeugt mit ihrer ansprechenden Gestaltung. Die Illustrationen sind zweidimensional, bunt und farbenfroh gestaltet und erleichtern den Umgang mit der Benutzeroberfläche. Auch die Auswahlmöglichkeiten, die im Spiel in unterschiedlichen Kontexten auftauchen – meist in Form von Sprechblasen – sind logisch gestaltet. Im Gegensatz zur restlichen Oberfläche ähneln die Cutscenes der Gestaltung und Erzählung eines Comics und bringen dadurch Abwechslung in das Spiel. Teilweise verwirrend ist der fließende Übergang zwischen den einzelnen Teilen des Spiels. Hier könnte es sinnvoll sein, die Übergänge zum Beispiel mit Hilfe eines Buttons abzugrenzen. Damit würden sich Spielpausen besser ergeben und es würde nicht der Eindruck entstehen, dass der*die Spielende sich gleich in das nächste Abenteuer mit dem Fuchs stürzen muss. Das Sounddesign ist der Altersgruppe entsprechend und umspielt den Spielverlauf angemessen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Spiel einen guten Beitrag zur Vermittlung von Cybersicherheit leistet. ‚Ein Fuchs im Netz‘ bringt für Kinder viele spielerische Erfahrungen mit sich, da die Funktionen und Apps des Smartphones von Finn der realen Welt sehr ähnlich und deshalb leicht übertragbar sind.
Der pädagogische Charakter des Spiels wird in vielen verschiedenen Situationen deutlich. Informationen können durch wiederholtes Erscheinen spielerisch entdeckt und verinnerlicht werden. Die teils komplexen Inhalte zu den Themen der Cybersicherheit wurden durch die Entwickler*innen einfach und verständlich aufbereitet. Das bedeutet, dass die Probleme den Kindern nicht nur aufgezeigt, sondern auch Lösungsansätze mitgegeben werden.
Foldio Adventures (2021). Ein Fuchs im Netz. Cybersecurity für Kinder. Appstore/Playstore, 3,49 €.
Kati Struckmeyer: Zwei Podcasts zur sexuellen Aufklärung und Bildung
Im Jahr 2021 könnte man denken, dass die sexuelle Revolution ‚durch‘ und die Gesellschaft eine aufgeklärte ist. Aber allein die Tatsache, dass ein nicht zu kleiner Teil der Bevölkerung immer noch nicht weiß, ob es nun Vulva, Scheide oder Vagina heißt und worin überhaupt der Unterschied liegt, zeigt, dass es da noch etwas zu tun gibt.
Der sexuellen Aufklärung und Bildung widmen sich schon seit 2017 zwei Podcasts: ‚Ist das normal?‘ und ‚Im Namen der Hose‘.
Ist das normal? – der Sexpodcast der ZEIT
Die Frage im Titel des Podcasts macht bereits das Spektrum auf, um das es hier geht – es geht um Vielfalt, vor allem in der Sexualität, letztendlich aber auch in der Gesellschaft, in der diese stattfindet. Der Wissenschaftsjournalist Sven Stockrahm und die Sexualtherapeutin und Ärztin Melanie Büttner sprechen über Themen wie ‚Wie oft, wie lang, wie gut?‘, ‚BDSM und das Spiel von Dominanz und Unterwerfung‘, ‚Sexuelle Traumata‘, ‚Sober Sex‘ oder ‚Analsex‘. Es werden darüber hinaus auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt, was an Folgen wie ‚Corona und die Beziehung – wie drehen wir nicht durch?‘ oder ‚Es ist krass zu denken, Mütter hätten keine Zeit für Sex‘ deutlich wird. Auch sehr komplexe Sachverhalte wie pädophile Präferenzstörungen werden (meist mit externen Expert*innen) erklärt, diskutiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auch klassische sexuelle Aufklärung findet ihren Platz: Bei Folgen zum männlichen bzw. weiblichen Orgasmus zum Beispiel haben sowohl biologische Grundlagen als auch Mythen sowie das Spannungsfeld zwischen Erwartung und Realität ihren Platz.
Der Podcast eignet sich sowohl für die eigene sexuelle Bildung, also auch für die Weitergabe des Wissens an Heranwachsende. Der Aufklärung der eigenen Kinder widmen sich Folgen wie ‚Sexualität fängt nicht erst mit 13 an‘ und ‚Wenn es um Sex geht, sollten wir Kinder nicht für dumm halten‘. Dabei wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch die Rolle der Sozialen Medien analysiert. In ‚Ist das normal?‘ dominiert ein ruhiger, sachlicher, teils therapeutischer Ton.
Für Jugendliche und junge Erwachsene wird der folgende Podcast attraktiver sein:
Im Namen der Hose – der Sexpodcast von PULS „Sex kann so schön sein – und scheiße. Wie können wir das ändern? Wir müssen drüber reden.“ So lautet das Motto des Podcasts ‚Im Namen der Hose‘ von PULS. Die Moderator*innen Ariane Alter und Kevin Ebert pflegen dabei einen sehr lockeren Ton, sprechen auch von eigenen Erfahrungen und funktionieren sehr gut als Identifikationsfiguren für ein jüngeres Publikum. Das Themenspektrum ähnelt dem von ‚Ist das normal?‘, wobei sich hier immer eine ‚Shorts‘-Folge von circa 15 Minuten Länge mit einer ausführlichen, einstündigen Folge abwechselt. In den ‚Shorts‘ wird eher Faktenwissen vermittelt, zum Beispiel zu Krankheiten und Verletzungen, aber auch um Organe wie die Klitoris oder die Prostata. Die einstündigen Folgen beschäftigen sich ausführlicher mit den gesetzten Themen, zu denen auch externe Expert*innen eingeladen werden.
Beide Podcasts beantworten regelmäßig auch Hörer*innenfragen, die das von der Redaktion gesetzte Spektrum noch einmal um alltagsnahe Fragen und Erfahrungen erweitern.
ZEIT online (seit 2017). Ist das normal? Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.
Bayerischer Rundfunk (seit 2017). Im Namen der Hose. Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.
Lara Moritz: Klasse Recherche! Ein Podcast nicht nur für die Schule
Theresa Höpfl (2020). Klasse Recherche! Podcast, kostenlos verfügbar bei diversen Podcast-Plattformen.
„Hallo ich bin Theresa und ihr hört ‚Klasse Recherche!‘, den Podcast über guten Journalismus“… und schon ist man mittendrin in der Welt des Journalismus – laut Theresa Höpfl dem „schönsten Beruf der Welt“. Höpfl ist Journalistin, Medienpädagogin und produziert außerdem seit Juni 2020 den Podcast ‚Klasse Recherche!‘. Mindestens einmal im Monat veröffentlicht sie auf Spotify, Apple Podcast und Co. mal kürzere, mal längere Folgen zu verschiedenen journalistischen Themen. Während manchmal in nur fünf bis zehn Minuten Tipps für die perfekte Überschrift zusammengefasst werden, gibt es auch Folgen, in denen innerhalb von 20 Minuten der Rundfunkbeitrag oder die Pressefreiheit erklärt werden. Seit Kurzem redet Höpfl in Interview-Folgen auch bis zu einer Stunde mit ihren dort vertretenen Gästen.
Ihr Ziel dabei ist es, frischen Wind in den Politik-, Sozialkunde- und Medienunterricht zu bringen und Lehrkräften, deren Beruf vor allem während Corona neue Herausforderungen birgt, auf diese Weise zu unterstützen. Dabei richten sich die meisten Folgen an die neunte und zehnte Klasse, wobei einige Themen durchaus bereits für die siebte und achte Klasse geeignet sind und auch in anderen als den genannten Fächern sehr gut zum Einsatz kommen können. Vor allem in den Deutschunterricht können sich Folgen, die beispielsweise die W-Fragen oder Rechtschreibtipps behandeln, gut einfügen.
Mit Ausnahme der ersten Folge, in der Höpfl sich und ihren Podcast kurz vorstellt, geht es in den Folgen immer direkt zur Sache. Nach einem Einstieg, der meist nicht zu viel und nicht zu wenig verrät und so das Interesse der Hörer*innen weckt, bereitet jede Folge ein bestimmtes Thema auf. Hier fließen sowohl Höpfls persönliche Erfahrungen als auch Informationen aus ihrer Recherche mit ein. Im Laufe der Folge bekommen die Schüler*innen stets eine Aufgabe, bei der diese dann selbst aktiv werden können und die Möglichkeit haben, das Gelernte zu verinnerlichen.
Während dafür in der ersten Folge noch eine mit Musik untermalte Pause im Podcast gemacht wurde, wird in den neueren Folgen auf die Möglichkeit, die Folge zu pausieren, gesetzt. So kann die Aufgabe von Lehrkräften flexibler eingesetzt und von den Schüler*innen beliebig lange bearbeitet werden. Um den Podcast abzurunden, wird in jeder Folge am Ende ein ‚Fundstück guten Journalismus‘ vorgestellt. Hier macht Höpfl die Hörer*innen auf verschiedene Angebote, wie Die News-WG auf Instagram oder den Kanal PULS Reportage auf YouTube aufmerksam. Einzig die sehr kurzen Folgen (mit dem Zusatz #küchenzuruf gekennzeichnet) und die Interview-Folgen weichen von diesem Schema ab.
Während bei den kurzen Folgen alles auf das Nötigste reduziert wird und somit Elemente wie der Arbeitsauftrag wegfallen, sind die Interview-Folgen durch ihre Länge eher ausführlicher. Denn wenn Höpfl Gäste interviewt, werden zwischendurch immer wieder Sequenzen mit Hintergrundinformationen und der Erklärung von Begriffen eingespielt, was diese Folgen besonders reichhaltig macht.
Trotz dieser schönen Aufbereitung sind wohl nicht alle Folgen direkt im Unterricht anwendbar. Vor allem bei den Interview-Folgen gestaltet sich dies durch deren Länge schwierig, sodass hier für eine Verwendung in der Schule Ausschnitte ausgesucht oder das Hören des Podcasts ausgelagert werden müssten. Beim Hören des Podcasts sind die Schüler*innen im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin. Höpfl spricht diese nämlich immer wieder direkt an und stellt Fragen. So listet sie bei der Folge zum Rundfunkbeitrag nicht nur Argumente für das duale System auf, sondern fragt die Hörer*innen auch nach deren Nutzungsverhalten der Öffentlich-Rechtlichen und regt so immer wieder (Klassen-)Gespräche an. Dies kann zu einer fundierten Meinungsbildung beitragen, die in unserer heutigen Zeit bei der Fülle an täglichen Nachrichten und Diskussionen wichtiger ist denn je. Mit seiner lockeren Sprache wirkt der Podcast trotz der Menge an Informationen, die er vermittelt, keineswegs verstaubt. Wenn Höpfl über persönliche Erfahrungen redet, Filterblasen „creepy“ findet und es „total feiern würde“, wenn wir alle online wieder ein bisschen netter zueinander sind, spricht sie die Schüler*innen auf Augenhöhe an und schafft dadurch eine Atmosphäre, die sich gar nicht so sehr nach Schule anfühlt.
Dennoch wird sich in den Folgen kritisch und differenziert mit den verschiedenen Themen auseinandergesetzt. So werden stets die Aspekte verschiedener Seiten ausgelotet, um ein möglichst ganzheitliches Bild der Thematiken zu zeichnen. Journalist*innen sind nicht per se sensationsgeil und egoistisch oder die Retter*innen der Welt und auch Social Media ist nicht nur gut oder nur böse. Das stellt Höpfl immer wieder heraus und trennt dabei die feststehenden Fakten von ihren persönlichen Ansichten – ganz im Sinne ihrer Folge zur Trennung von Nachricht und Meinung. Dabei verweist sie auch auf die Quellen in den Shownotes und regt so interessierte Hörer*innen dazu an, sich über den Podcast hinaus zu informieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Weitere Materialien für Lehrpersonen
Über die Podcast-Folgen hinaus stehen Lehrkräften auf www.lehrermarktplatz.de ergänzende Begleitmaterialien und Arbeitsblätter zur Verfügung. In den Materialien finden sich Fragen und Aufgaben aus den dazugehörigen Podcast-Folgen wieder. Doch nicht nur das: Die Arbeitsblätter liefern auch zusätzliche Anregungen zur Reflexion vor und nach dem Hören des Podcasts sowie weitere Informationen. So gibt es zu der Folge über Wege in den Journalismus einen Entscheidungsbaum oder beim Arbeitsblatt zur Quellenkompetenz einen kurzen Fragebogen zur Reflexion des eigenen Rechercheverhaltens. Am Ende kann das ‚Fundstück guten Journalismus‘ nochmals von den Schüler*innen bewertet werden und natürlich dürfen auch bei den Arbeitsblättern die Quellen und Tipps zur weiteren Recherche nicht fehlen. Diese Materialien erleichtern Lehrkräften die Integration des Podcasts in den Unterricht und stellen eine praktische Möglichkeit zur Ergebnissicherung dar.
Somit ist der Podcast ‚Klasse Recherche!‘ eine gute Option, um etwas Abwechslung in den Medien- oder auch Deutschunterricht zu bringen und aktuelle Debatten zu Fake News und Co. aufzugreifen. Dabei sehen Schüler*innen außerdem, dass es etwa auf Spotify nicht nur Musik, sondern auch jede Menge Informatives zu hören gibt. Während in der ersten Folge der ein oder andere Übergang vielleicht noch etwas holprig ist, wird im Verlauf am Aufbau und der Umsetzung des Podcasts gefeilt, was das Hörerlebnis noch angenehmer macht. Auch für Interessierte, die vielleicht gar nicht mehr die Schule besuchen, sind einzelne Folgen, wie zum Beispiel das Interview zum Investigativ-Journalismus, sehr empfehlenswert.
Joana Baumgarten: Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt. Strom und Energie interaktiv per App entdecken
Mit der Lernapp ‚Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt‘ werden Lehrkräfte in der Grundschule unterstützt, Schüler*innen das Thema Strom und Energie näher zu bringen. Die Kinder können in der App selbstständig erkunden, was elektrische Energie ist, woher der Strom kommt und welche Geräte Energie benötigen. Durch eine Lernbegleitung von Lehrkräften können die Erkenntnisse vertieft werden. Dazu stehen den Lehrkräften ein Leitfaden zur Unterrichtsbegleitung sowie Zusatzmaterialien auf der Internetseite zum Download zur Verfügung.
Die Bedienung der App ist sehr intuitiv – ausprobieren zahlt sich aus! Die Kinder können sich frei durch zwei Räume bewegen. Im ersten Raum werden die verschiedenen Energieformen kennengelernt. Dazu sind verschiedene Versuche aufgebaut, die anfänglich nicht funktionieren. Die Kinder müssen dafür eine Lösung finden. Beispielsweise verdeckt das Rollo des Fensters das Licht der Sonne für die kleine Solaranlage. Nachdem das Rollo geöffnet wird, beginnt die Lampe zu leuchten, die an das Panel angeschlossen ist und es erscheint ein kleiner Infotext zur Solarenergie. Daneben gibt es noch viele weitere Geräte zu erkunden: einen Hometrainer, an den eine Lichterkette angeschlossen ist, einen Generator, der eine Futtermaschine für einen Fisch betreibt oder ein Windrad, das mit einer Seifenblasenmaschine verbunden ist. Immer im Anschluss an die Problemlösung erscheint ein Infotext zur jeweiligen Energieform. Diese spielerische Erkundung weckt die Neugier der Kinder und motiviert sie zur Erforschung von Strom und Energie. Den Kindern wird die Gelegenheit geboten frei auszuprobieren und den Raum mit seinen Möglichkeiten zu entdecken. Die Lehrkräfte können hier gemeinsam mit den Schüler*innen reflektieren, was sie herausgefunden haben. Damit wird ein Reiz zur Anschlusskommunikation geschaffen.
In dem Raum steht neben den vielen Geräten auch der Fernseher, welcher einen Erklärfilm mit dem Titel ‚Wie kommt der Strom in die Steckdose‘ abspielt. Im Film wird grundlegend erklärt, was Strom ist und woher dieser kommt. Die Erkenntnisse aus dem ersten Teil des Raums werden nun vertieft. Im Film werden erneut die verschiedenen Möglichkeiten aufgeführt, Strom zu erzeugen. Diesmal wird Bezug zu den Vor- und Nachteilen der einzelnen Erzeugerformen genommen, damit die Kinder erfahren, warum Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet und durch umweltfreundlichere Stromerzeugung ersetzt werden sollten. Zum Abschluss wird im Film erklärt, wie der Strom letztendlich zu jedem Kind nach Hause kommt. Der Film nimmt immer wieder Bezug zur Lebenswelt der Kinder, wodurch die Energieerzeugung sehr alltagsnah erfahren werden kann. Für die Lehrkräfte eignet sich der Film, um mit den Schüler*innen die Grundlagen aufzuarbeiten, Vor- und Nachteile der Energieerzeugung zu diskutieren und bisher unbekannte Begriffe zu klären.
Im letzten Bereich des Raums wartet noch das Stromkreisspiel auf die Kinder. Im Spiel können verschiedene Bauteile zu Stromkreisen verbunden werden, um Lampen zum Leuchten zu bringen. Als Materialien stehen zum Beispiel Batterien, Löffel, Büroklammern oder ein Radiergummi zur Verfügung. Die Kinder ziehen die Materialien in ihren Kreis und verbinden sie durch Kabel. Eine Rückmeldung erhalten sie sofort, indem sie sehen, ob ihre Lampe leuchtet oder nicht.
In diesem Spiel steht, wie zu Beginn, das selbstständige Ausprobieren und Erforschen im Vordergrund. Durch Impulse werden den Kindern Anregungen für neue Ideen gegeben. Hier sollte die Lehrkraft als Begleitperson zur Seite stehen, beispielsweise können Fragen geklärt oder genauere Spielanweisungen gegeben werden. Dieses Spiel kann den Anlass bieten, einen Stromkreis in der Realität aufzubauen und die Erfahrungen praktisch auszuprobieren.
Durch eine Tür gelangen die Spielenden nun in den zweiten Raum. Dieser stellt einen Simulator der ‚Stromspar-AG‘ dar. Allgemein geht es darum Alltagsgeräte auf ihren Stromverbrauch zu testen. Dafür steht eine bestimmte Zeit zur Verfügung. An zwei Anzeigen kann der Strombedarf der einzelnen Geräte überprüft und verglichen werden. Immer nach Ablauf der Zeit startet ein neues Level. Im ersten Level kann erst einmal alles erkundet und ausprobiert werden. Im zweiten Level werden dann die Geräte miteinander verglichen. Dazu werden wieder verschiedene Impulse gegeben, etwa die Suche nach dem Gerät, welches am wenigsten Strom verbraucht. Diese Einheit des Spiels knüpft wieder an die Lebenswelt der Kinder an und stellt einen hohen Alltagsbezug her. Somit kann dieses Spiel in die reale Welt übertragen werden, indem in der Schule oder zu Hause nach elektrischen Geräten gesucht wird. Hier eignet sich die Anknüpfung an die Themen Stromsparen und Nachhaltigkeit.
Zusammenfassend lernen die Kinder in der App ‚Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt‘ auf spielerische Art und Weise die Grundsätze von Energie und Strom kennen. Die App eignet sich vor allem für den Einsatz im Unterricht in Begleitung einer Lehrkraft oder zu Hause, wenn ein Elternteil das Spiel unterstützt. Der Mehrwert des Spiels entsteht vor allem durch die Gelegenheiten zur Reflektion und Kommunikation des Erlebten sowie durch die Übertragungsmöglichkeiten in die reale Welt. Hierfür müssen die Situationen von Lehrkräften oder Eltern geschaffen und begleitet werden. Die zusätzlichen Materialien und Impulsideen geben eine gute Grundlage für eine weiterführende Thematisierung von Strom und Energie. Besonders jüngere Kinder brauchen bei dem Spiel noch viel Anleitung, da die App
sehr auf Intuition beruht. Die Umsetzung ist ansonsten sehr einfach und weckt das Interesse der Kinder für Strom und Energie. Insgesamt verknüpft das Spiel die Bereiche Medienbildung und Naturwissenschaft und bietet sich sehr für den Einsatz im Unterricht an.
Dana Neuleitner: Rocky Beach im Piratenfieber
USM (2020). Die drei ??? – Fluch des Flaschenteufels. Android/iOS 7,99 € bzw. Windows/Mac 19,99 €; USK ab 0 Jahren bzw. ab 6 Jahren.
Seit über 50 Jahren begleiten Die Drei ??? schon junge Leser*innen und Hörer*innen. Seit letztem Jahr können Rätselfans gemeinsam mit den Detektiven den neuen Fall ‚Fluch des Flaschenteufels‘ als App oder Computerspiel lösen. Schauplatz ist – wie sollte es anders sein – Rocky Beach. Als ein seltsamer Übernachtungsgast im Hause Jonas sein Unwesen treibt und Beschwörungen mit einer alten Flasche durchführt, ist für den ersten Detektiv Justus Jonas klar: dem muss auf den Grund gegangen werden!
In der Rolle des ersten Detektivs geht es nun darum, Hinweise zu sammeln, Rücksprache mit den Detektivkollegen Peter Shaw und Bob Andrews zu halten und Onkel Titus und Tante Mathilda zu befragen. Nebenbei gilt es, das Ehepaar Jonas wieder zu versöhnen, denn Justus‘ Tante ist mit der Anwesenheit des ominösen Gastes, der sich nach einer Romanfigur in Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel John Silver nennt, äußerst unzufrieden. Bei der Untersuchung des Flascheninhalts kommt ein kleiner Flaschenteufel zu Tage. Bevor die Detektive ihn jedoch genauer untersuchen können, verschwindet Silver und mit ihm die Flasche sowie der Vogel Blacky, ihr Maskottchen. Neben dem verschollenen Gast scheint auch ganz Rocky Beach vom Piratenfieber angesteckt worden zu sein: Im Buchladen wird ein Literatentreffen zum Thema durchgeführt, eine Fastfoodkette wirft als Werbemaßnahme Golddublonen über der Stadt ab und auf einem Schiff soll eine Piratenshow ins Leben gerufen werden. Auf der Suche nach Silver und Blacky müssen Justus, Peter und Bob immer wieder ihren Mitmenschen helfen, beispielsweise indem sie für das leibliche Wohl des Stadtstreichers sorgen oder Kisten für einen alten Bekannten suchen. Wie bei echten Piraten geht es schließlich auch für das Trio auf Schatzsuche auf hoher See.
Das Sammeln von Gegenständen ist ein immer wiederkehrendes Prinzip des Spiels: Federn, Gläser, Kerzen, Flaschen… Die Gegenstände sind teils so gut versteckt, dass sich diese Aufgaben recht langwierig gestalten. Hinweise auf die Fundorte der fehlenden Gegenstände gibt es im Spiel nicht. Dafür werden einige Hinweise auf der USM-Website gegeben. Wesentlich kurzweiliger dagegen sind die zu absolvierenden Mini-Spiele. Diese orientieren sich an bekannten Spieleklassikern wie Mah-Jongg oder Pac-Man.
Leider können hier die Schwierigkeitslevel nicht angepasst werden, was möglicherweise zu Frustration bei den Spieler*innen führen könnte, da die Mini-Spiele auch nicht übersprungen werden können. Besonders der Weg zur Fabrik gestaltet sich schwierig. Für die Aufgaben, die zum Fortschritt der Geschichte dienen, gibt das Detektivtagebuch Hilfestellung. Dadurch sind Spieler*innen auch beim Fortsetzen des Spiels schnell auf dem aktuellen Stand.
Das Spiel selbst gestaltet sich als klassisches Point-and-Click-Abenteuer, das aufgelockert wird durch Zwischensequenzen, die durch Comic-Strips bebildert sind und bei denen ein Erzähler narrativ durch die Geschehnisse leitet. Dadurch wirkt das Spiel insgesamt sehr lebendig. Hierzu trägt auch bei, dass die drei Detektive von den Hörspielsprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich vertont wurden. Die Grafik des Spiels ist ebenfalls sehr ansprechend und erinnert an die Gestaltung der Buch- und Hörspielcover. Das Trio selbst wird nie gezeigt. Wie die Jungen aussehen, bleibt also der Fantasie überlassen.
Beim Lösen des Falls kommen immer wieder digitale Medien ins Spiel. Sei es die altbekannte Telefon-Lawine (nun mit Smartphone und SMS statt Anrufbeantworter), mit der sich Diedrei ??? Hinweise aus dem Bekanntenkreis erhoffen (und die sogar zu einer Spam-Nachricht führt) oder das Analysieren der Bild- und Tonspur in einem Erpresservideo. Auch Fingerabdrücke werden nun digital festgehalten und die Umgebung per Zoom-Funktion der Smartphonekamera in Augenschein genommen. Dass die drei Detektive mit der Zeit gehen, zeigt sich daneben auch an vielen Hinweisen zur Nachhaltigkeit. So wird beispielsweise im Lauf der Handlung die Werbemaßnahme der Fastfoodkette gestoppt und beim Angeln am Pier hat Justus einiges an Abfall am Haken. Deshalb weist er unter anderem auf Plastikinseln und Mikroplastik im Ozean hin. Die Spieler*innen erfahren beiläufig auch, wie lange es dauert, bis sich eine Plastikflasche zersetzt. Anschließend wird der herausgefischte Müll natürlich im Müllcontainer entsorgt.
Die App wird von USM ab zehn Jahren empfohlen. Die Rätsel sind knifflig, aber dennoch gut lösbar. Bei dem ein oder anderen Rätsel oder Mini-Spiel ist die Hilfe einer älteren Person aber sicherlich von Vorteil. Beim Lösen der Rätsel sind Wissen – beispielsweise zu chemischen Formeln wie NaHCO3 und verschiedenen Währungen – oder aber Recherchekenntnisse hilfreich. Nebenbei erfahren die Spieler*innen Wissenswertes über verschiedene Piratenflaggen und Louis Stevensons Werk Die Schatzinsel. Die drei ??? – Fluch des Flaschenteufels wurde mit dem Pädagogischen Medienpreis 2020 ausgezeichnet und in zwei Kategorien für den Kindersoftwarepreis TOMMI nominiert. Insgesamt können drei Spielstände in der App gespeichert werden. Schön ist, dass die Option auf Untertitel gegeben ist, wodurch beispielsweise Gehörlose das Abenteuer erleben können. Das aus acht Kapiteln bestehende Spiel ist spannend und unterhaltend – sowohl für jüngere Spieler*innen als auch für solche, die sich ein wenig an ihre Kindheit erinnern möchten.
Nicole Lohfink: Berlinale 2021. Ein internationales Filmfestival reiht sich in den Online-Reigen ein
Pandemiefolgen und Formatänderung
Wie viele Veranstalter haben auch die Verantwortlichen bei der Berlinale lange gehofft, das Festival in seiner kohärenten Struktur in Präsenz durchführen zu können. Ende 2020 stand schließlich fest, dass aufgrund der aktuellen COVID-19-Situation ein anderes Festivalformat für 2021 entstehen musste. Entwickelt wurde ein zweistufiges Format, dessen erste Etappe vom 01. bis 05. März online angeboten wurde.
So machten den Auftakt der 71. Berlinale die Branchenplattformen European Film Market (EFM), Berlinale Co-Production Market, Berlinale Talents und der World Cinema Fund. Dieses sogenannte Industry Event richtete sich weitestgehend an Filmbranche und Presse. Onlineveranstaltungen für das Publikum boten nur Berlinale Talents und der World Cinema Fund. Allerdings gab es auf der Website berlinale.de und den Social-Media-Kanälen dazu zahlreiche Videos, darunter auch Interviews mit den Filmemacher*innen und Hintergründe zur Filmauswahl für 2021. Interessierte konnten sich hier also durchaus Anregungen holen für die zweite Etappe der Berlinale, das Summer Special, das vom 09. bis 20. Juni in Präsenz stattfinden soll.
Tauziehen zwischen Online und Präsenz
Insgesamt also hat die Berlinale eine Flut an Online-Angeboten organisiert, allein beim Berlinale Co-Production Market wurden über 1.300 Onlinemeetings mit potenziellen Partner*innen für die eingeladenen Projekte durchgeführt. Daneben gab es, auch in den anderen Bereichen, zahlreiche Talks und weitere Networking-Formate.
Das Film-Angebot aus dem jeweiligen Tagesprogramm konnten die Teilnehmer*innen über den Berlinale Media Service streamen und ‚wie zu Hause auf der Couch‘ sichten. Das gemeinsame Kinoerlebnis fehlt hier deutlich, insbesondere in der Wahrnehmung, wie man selbst einen Film erlebt und wie beispielsweise ein kindliches Publikum um einen herum auf den Film reagiert. Das Sehen der Filme von zu Hause aus vermindert aber nicht den Fokus auf die Filme selbst. Und hier liegt auch die Stärke der Entscheidung der Veranstalter*innen, die wichtige Plattform, die ein so großes Festival in vielerlei Hinsicht bietet, zu erhalten. Laut Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek wurden die Onlinescreenings sehr gut angenommen und die Filme erhielten dadurch eine breite mediale Sichtbarkeit und Einladungen zu weiteren Festivals. Auch gute Verkäufe haben den Weg der Filme zum Publikum gesichert. Das Dilemma, eine internationale Kulturveranstaltung mit einer Pandemie zu vereinbaren, hätte für die Berlinale durchaus auf den Weg vieler anderer Kulturveranstaltungen führen können: Dem des Totalausfalls. So aber konnten unter anderem die Impulse der Filme, sowie der Ideen-Input, die Vernetzung von Gedanken- und Arbeitswelten und der Austausch von Herangehensweise und Themen-Perspektiven erhalten bleiben.
Die Jury-Entscheidungen waren eine kurze und prägnante Online-Angelegenheit. Die Feierlichkeit soll dann im Sommer in Berlin bei der Vergabe in Präsenz entstehen. Für die Sektion Generation war Pandemie-bedingt diesmal eine Jury für beide Wettbewerbe, Kplus und 14plus, zuständig. Über einen Livestream werden hier die Preisträger*innen in knapp 15 Minuten freundlich, aber unverbindlich bekanntgegeben.
Spannende Perspektiven junger Menschen
Gerade für junge Menschen zeichnet sich dieser Wechsel zwischen verbindlich und unverbindlich auch thematisch in den Filmen ab. In den insgesamt 15 Langfilmen in der Sektion Generation ziehen sich die Themen Orientierungssuche und Integration genauso als roter Faden durch, wie das Pendeln zwischen Abschieden und Zukunftsvisionen.
Zusammengefasst unter dem Programmtitel ‚Sanft flüsternd, laut schreiend‘ betreten die jungen Protagonist*innen hier Neuland, lassen Vertrautes hinter sich und ringen mit den Dingen, die sie nicht verstehen. Dabei durchlaufen sie entscheidende Stationen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Oft jedoch wird weder sanft geflüstert noch laut geschrien, sondern vielmehr stumm rebelliert. Innere Isolation trifft auf äußere Umstände.
Starke Identifikationsfiguren fordern mit dieser stummen Rebellion die ganze Empathiefähigkeit der Zusehenden ein. Dabei sind die Entstehungs- und Gestaltungsformen der Filme beinahe genauso vielfältig, wie die Ergebnisse selbst.
Den Großen Preis der Internationalen Jury für den Besten Film im Wettbewerb Generation Kplus erhielt ‚Han Nan Xia Ri‘ (‚Sommerflirren‘) aus China. Trotz klarer Narrative entwickelt sich die Geschichte um die zwölfjährige Hauptdarstellerin durch beinahe assoziative Eindrücke. Als Zuschauer*in wird man hin- und hergeworfen zwischen dem Gesamtblick auf das Geschehen und dem Druck, der auf der Hauptfigur lastet. So bezeichnet die Jury den Film in ihrer Begründung auch als „Sommermärchen, das immer wieder in einen Alptraum abzugleiten droht“. Der Fokus liegt auf den Gefühlen und Wahrnehmungen der Kinder auf der Suche nach sich Selbst und dem eigenen Weg, die Intensität ihrer Gefühlswelt ist konstant spürbar, ebenso wie der Mangel einer menschlichen Orientierungsfigur.
Eine lobende Erwähnung erhält ‚Una escuela en Cerro Hueso‘ (‚Eine Schule in Cerro Hueso‘) (Argentinien). Die Geschichte begleitet eine in sich gekehrte Hauptfigur, die nach 17 Ablehnungen in einer kleinen Dorfschule eingeschult wird und durch die entspannte Offenheit, mit der man ihr dort begegnet, aufzublühen beginnt. Der sehr persönliche Film überzeugt mit der leisen Kraft der Aufgeschlossenheit und dem Bild von gelebter Solidarität.
Im Wettbewerb Generation 14plus geht der Preis für den besten Film an ‚La Mif‘ (‚Die Fam‘) aus der Schweiz. Vor dem Hintergrund des Jugendsozialsystems hat der Film die Geschichten und Begegnungen junger Frauen miteinander verknüpft und entwickelt seine Stärke auch durch die Besetzung, die die Geschichte mitentwickelt hat.
Eine lobende Erwähnung ging an den Animationsfilm ‚Cryptozoo‘ (USA), für eine fantasievolle Dystopie mit Hoffnungsschimmer. Bemerkenswert ist auch der Gewinner des Silbernen Bären im Hauptwettbewerb: Mit dem deutschen Dokumentarfilm ‚Herr Bachmann und seine Klasse‘ wirft die Regisseurin Maria Speth einen Blick in eine Schulklasse, wie sie überall in Deutschland zu finden ist. Ein rund dreieinhalb Stunden langer Film über eine Klasse und ihren Lehrer, im Grunde über Integration, Orientierungssuche, Zukunftsängste und Solidarität – mit den Schüler*innen. Die Themen sind ganz nah an der aktuellen Zeit.
Ausblick auf 2022
Die diesjährige Berlinale könnte also nicht näher am Puls der Zeit liegen, sowohl in der Format-Umsetzung als auch zum großen Teil in der Filmauswahl. Die Bedeutung um die persönliche Begegnung ist den Berlinale-Veranstalter*innen umso bewusster geworden, trotz oder gerade nach einem gelungenen Online-Einstieg.
Vor allem die Filme selbst verdienen es, unterstützt und gesehen zu werden. Deren Inhalte, das gemeinsame Erleben und der Austausch darüber, bieten darüber hinaus eine Chance des Aufarbeitens der vielfältigen Themen. Und die abgebildeten Themen verdienen Gehör.
Von Seiten des Leitungsteams her soll das Festival nächstes Jahr wieder traditionell im Februar gemeinsam mit dem European Film Market, dem Berlinale Co-Production Market, Berlinale Talents und dem World Cinema Fund durchgeführt werden. Die 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden dann voraussichtlich vom 10. bis 20.02.2022 statt.
Dana Neuleitner: SWR Fakefinder Kids
Südwestrundfunk (2021). SWR Fakefinder Kids. Browser-Lernspiel ab 8 Jahren für Laptop, Smartphone und Tablet. Kostenlos.
Dass Kinder nicht allen Inhalten, die sie in Apps bzw. im Internet zu sehen bekommen, glauben dürfen, will ihnen der SWR Fakefinder Kids näherbringen. Hier werden Kindern ab acht Jahren reale Videos und Chatverläufe aus drei in ihrer Altersgruppe beliebten Apps gezeigt: YouTube, TikTok und WhatsApp. Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, geht es nicht darum, Falschnachrichten zu identifizieren, sondern die Spieler*innen sollen dafür sensibilisiert werden, Werbung, Tricksereien auf der Bildebene und Kettenbriefe zu erkennen.
Die animierten Figuren Mona und Henri leiten die Spieler*innen durch insgesamt vier Level und erklären vor jedem Abschnitt das folgende Thema. Pro Kategorie stellen sich die Spieler*innen mehreren Beispielvideos. Im Level ‚Werbung‘ sehen sie etwa TikTok-Clips von einem singenden Nico Santos, einem tanzenden Robert Lewandowski und einer Kidfluencerin. Die kurzen Videos können beliebig oft abgespielt werden. Ob (versteckte) Werbung zu sehen ist oder nicht, können die Kinder per Klick auf die entsprechenden Buttons angeben und bekommen von Mona und Henri sofort eine kurze und leicht verständliche Rückmeldung, ob und warum ihre Entscheidung richtig bzw. falsch war.
Im Level ‚Bildtrick‘ werden Filter, mit denen beispielsweise das Gesicht verändert werden kann, und die Möglichkeit des Tricksens durch Bildausschnitt und Winkel aufgegriffen. Gerade beim Thema Bearbeitung von Bildern hätten auch Instagram-Beispiele genutzt werden können.
Das dritte Level setzt sich mit dem wichtigen Thema Kettenbriefe auseinander. In diesen werden oft verstörende Konsequenzen angekündigt, sollten die Empfänger*innen die Nachrichten nicht an eine gewisse Anzahl an Personen weiterleiten. Die Kinder erfahren hier, dass sie diese Drohungen nicht ernst zu nehmen brauchen und dass Links in Kettenbriefen genutzt werden können, um ihre Daten abzugreifen.
Im abschließenden ‚Superlevel‘ werden die Elemente aus den vorigen Kapiteln anhand neuer Clips wieder abgerufen. Bei einem Beispiel fällt die Einordnung in die Kategorie ‚Werbung’ jedoch schwer, da die Aufschrift auf dem T-Shirt eines YouTubers auch als Aussage gewertet werden kann, wenn man seine Marke nicht kennt. Wird ein Clip falsch eingeordnet, muss das jeweilige Level komplett wiederholt werden. Die Reihenfolge der Fragen hätte hier allerdings durchgemischt werden können. Das Lernspiel ist kindgerecht gestaltet und vermittelt den jungen Spieler*innen in etwa einer halben Stunde einfach und lebensnah, wie sie Werbung und Tricksereien erkennen können.
Für Lehrkräfte steht online ein Infobogen zum Lernspiel zur Verfügung. Sie finden hier Informationen zu den behandelten Phänomenen und Internetplattformen, zu der Funktionsweise des Lernspiels und dessen technischen Voraussetzungen sowie Lehrplanbezüge und einen Elternbrief zum Thema. Auch ein Vorschlag zum Unterrichtsaufbau und ein Arbeitsblatt zur Festigung des Erlernten werden bereitgestellt.
Fakefinder Kids ist neben Fakefinder und Fakefinder School das dritte Modul des Südwestrundfunks zum Thema Fake im Internet. Das Lernspiel ist abrufbar unter: www.SWR.de/fakefinder
Isabelle Schlecht: Ratz Fatz durch die Mauer
Scala Z Media GmbH (2019). Ratz Fatz. Appstore/ Playstore, 3,49 €.
Das Adventure Game ‚Ratz Fatz durch die Mauer‘ beinhaltet verschiedene Rätsel und erzählt die Geschichte des Mauerfalls sowie der Wiedervereinigung Berlins aus der Perspektive eines Raben namens Ratz Fatz. Abwechselnd schlüpft die bzw. der Spieler*in in die Rolle des Mauerhasen Viktor und der Zirkusschimpansin Miss Magic. Dabei lernt sie bzw. er, dass die Grenze im Spiel nur überwunden werden kann, wenn sich die beiden Figuren gegenseitig unterstützen. Zu Beginn des Spiels flüchtet jeder Charakter allein, im späteren Verlauf müssen sie sich helfen, um ihr Ziel zu erreichen. Die beiden Spielfiguren verfügen über besondere Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen über die Mauer zu fliehen. Miss Magic wendet mit ihrem Zauberstab Magie an und hangelt sich an Seilen entlang, während Viktor dazu fähig ist besonders weit zu springen und sich durch verschiedene Tunnel hindurchzubewegen. Im ersten Level gibt der Rabe der bzw. dem Spieler*in den Rat, in den Westen zu ziehen und sich auf die Flucht zu begeben. Im zweiten Level wird die Zirkusschimpansin gesucht. Sollte die bzw. der Spieler*in von einem Suchscheinwerfer ertappt werden, landet sie bzw. er im Gefängnis. Doch das ist noch nicht alles. Als Spieler*in muss man einige Gegner*innen bezwingen, beispielsweise das Schreddermonster, welches die Grenzanlage symbolisiert oder die Wachhunde entlang der Mauer. Die Entwickler*innen des Spiels ließen sich von einem Dokumentarfilm namens ‚Mauerhase‘ (Polen 2009) von Bartek Konopka inspirieren, der die Geschichte der im Todesstreifen lebenden Hasen erzählt.
Die App richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 13 Jahren. Ziel des Spiels ist es, den Mauerhasen Viktor und die Zirkusschimpansin Miss Magic sicher von Ost- nach Westberlin zu bringen. Der Rabe Ratz Fatz gibt den Spielenden dabei hilfreiche Tipps. Spielerisch können in der App die Probleme kennengelernt werden, die sich damals durch die Teilung Berlins entwickelten. Doch nicht nur die Geschichte Berlins kann so vermittelt werden. Der bzw. dem Spieler*in wird auch bewusst, dass Freiheit immer wieder erkämpft werden muss. Die Rätsel sind sehr einfach gestaltet und relativ leicht zu lösen, damit auch die Jüngsten nicht den Spaß verlieren. So gelingt es der App, eine Verbindung zwischen pädagogischem Ansatz und Spaßfaktor herzustellen.
Die unterschiedlichen Kulissen sind äußerst kreativ gestaltet. Die bzw. der Nutzer*in kann einige bekannte Orte Berlins im Spiel erkennen, zum Beispiel verschiedene Sehenswürdigkeiten, den Görlitzer Bahnhof, die Abwasserkanäle unter der Stadt oder den berühmten Checkpoint Charlie. Der bzw. die Spieler*in findet sich in einer interaktiven Umgebung wieder, in der sie bzw. er durch verschiedene Bewegungen Kisten verschieben oder Schalter betätigen muss. Durch einen Algorithmus erhöht sich die Schwierigkeit der einzelnen Level innerhalb der fünf Kapitel. In Bezug auf die Grafik des Spiels lässt sich feststellen, dass diese sehr detailreich gestaltet wurde. Besonders beeindruckend sind beispielsweise die Plakate im Bahnhof, die authentische Werbung aus der damaligen Zeit zeigen. Der grafische Stil bleibt in den einzelnen Leveln stets optisch ansprechend. Das Sounddesign von ‚Ratzfatz durch die Mauer‘ ist durch eine angenehme Hintergrundmusik geprägt. Auch die Synchronsprecher*innen haben ihre Aufgabe sehr gut gemeistert. Sie verleihen den Figuren erst ihren individuellen Charakter. Störend sind hingegen die Bewegungsgeräusche der Charaktere, zum Beispiel beim Laufen, Schwimmen oder Klettern. Sie sind zu laut und wiederholen sich ständig.
Besonders gelungen sind die animierten und vertonten Cutscenes, welche die spannende Geschichte stets zu Beginn eines Kapitels weitererzählen. Eine interessante Besonderheit stellt zudem ein sogenannter Train-Driving-Modus dar, bei dem man als Spieler*in selbst eine schwarze Fluchtlokomotive navigiert. Ergänzt wird das Spiel durch eine multimediale und interaktive Website mit gleichem Namen, die das Wissen der Spieler*innen aus der App weiter vertieft und somit einen Mehrwert für das Spiel bietet.
In Bezug zum Repertoire der Rätsel lässt sich feststellen, dass es dem Spiel ein wenig an Abwechslung und Ideenreichtum fehlt. Geschicklichkeit und Geschwindigkeit sind leider nicht gefragt, da sich die Figuren stets im gleichen Tempo weiterbewegen und das Spiel nicht auf Zeit läuft. Ein Kritikpunkt ist auch die mangelnde technische Umsetzung bei den Bewegungen der Spielfiguren. Die Sprungbewegungen der Charaktere sind an manchen Stationen des Spiels kaum oder erst nach einigen Versuchen umsetzbar. Die Steuerung der Bewegungen über den Touchscreen des Smartphones hängt oft, die Figur bewegt sich dann nicht weiter, sondern bleibt an Ort und Stelle verhaftet oder führt andere, in diesem Moment unerwünschte, Aktionen durch. Dies führt während des Spielverlaufs oft zu Frust. Wenn dieses Problem in Zukunft behoben werden könnte, kann die App als ein lehrreiches und zufriedenstellendes Spiel deklariert werden.
Zusammenfassend handelt es sich bei der Spiele-App ‚Ratz Fatz durch die Mauer‘ um ein sehr gelungenes Adventure Game, welches jedoch durch technische Verbesserungen perfektioniert werden könnte. Die Idee der App, Kindern auf spielerische Art und Weise die Teilung Deutschlands näher zu bringen, ist großartig. Leider hapert es ein wenig an der Umsetzung. Der pädagogische Hintergedanke konnte aber erfolgreich umgesetzt werden. Es lohnt sich, zusätzlich die Website zu ‚Ratzfatz durch die Mauer‘ zu besuchen und die Informationen rund um die Historie und den Fall der Mauer weiter zu vertiefen. So kann vor allem bei Kindern und Jugendlichen ein Interesse für das Thema geweckt werden.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Isabelle Schlecht
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Jerome Wohlfarth: LEGO® Mindstorms 51515
LEGO® (2020). LEGO MINDSTORMS Roboter-Erfinder (51515). ca. 350 €.
Im Sommer 2020 veröffentlichte LEGO ein neues Set in der Mindstorms Serie des Unternehmens. Es ist der LEGO MINDSTORMS Roboter-Erfinder (51515). Bei diesem Set handelt es sich nicht um einen Nachfolger des LEGO MINDSTORMS EV3 (31313), sondern eher um eine kommerziell käufliche Version des LEGO Education SPIKE Prime-Sets. Dies zeigt sich vor allem darin, dass beide Sets das gleiche HUB-Modul verwenden, wenn auch in unterschiedlichen Farben und mit geänderter Firmware.
Das neue Set richtet sich vor allem an Personen, die sich der Thematik ‚Programmieren lernen‘ annähern wollen. Es bietet einen vielseitigen, intuitiven und benutzerfreundlichen Einstieg in das Gebiet. Es ist somit auch für jüngere Kinder geeignet. Innerhalb des Prozesses des Zusammenbauens werden die einzelnen Funktionen sowohl der Bauteile als auch der Programmierungsbausteine sehr anschaulich vorgestellt. Dies sorgt für einen niedrigschwelligen Einstieg und verlangt kaum Vorwissen. Es ist natürlich von Vorteil, schon gewisse Vorerfahrungen zu haben, was die Logik hinter dem Erstellen von Codes angeht. Das neue Set schafft es aber auch ohne dieses Vorwissen gut, die nötigen Kenntnisse zu vermitteln. Für Personen, die möglichst große und freie Projekte verfolgen wollen, stellt der Vorgänger jedoch die passendere Wahl dar. Die Möglichkeit, den Speicher zu erweitern sowie mehrere Smartbricks miteinander zu verbinden, um mehr als acht Anschlüsse nutzen zu können, bietet erfahrenen Programmierenden große Freiheit. Zum jetzigen Zeitpunkt steht nicht fest, wie lange LEGO den Support für den EV3 noch beibehält, jedoch gibt es eine große Community, die sogar Turniere veranstaltet. Es zeigt sich in jedem Fall, dass jedes der Sets einen anderen Zweck erfüllt; die Wahl zwischen dem Komfort des neuen oder den Möglichkeiten des Vorgängermodells müssen projektabhängig gewählt werden.
Technische Details der Mindstorms Sets
Im Folgenden sollen die Unterschiede der beiden Sets aufgezeigt werden, um deren Alleinstellungsmerkmale aufzuzeigen. Die Preise der beiden Sets liegen im selben Bereich von circa 350 Euro. Das Roboter-Erfinder-Set enthält neben dem Smart HUB und vier Motoren einen Farb- und einen Ultraschallsensor. Insgesamt enthält es 949 Teile. Der EV3 enthält neben seinem Smartbrick und drei Motoren auch einen Farb-, einen Ultraschall- sowie einen Tastsensor. Insgesamt enthält das Set 601 Teile inklusive einer Fernbedienung. Hier sollte erwähnt werden, dass abgesehen von den universellen klassischen LEGO-Technic-Teilen keine der Komponenten mit denen des anderen Sets kompatibel ist. Dies bedeutet, dass keiner der Sensoren oder Motoren von beiden Steuerzentralen erkannt werden, sondern immer nur für ein System bestimmt sind. Das neue Modell ist deutlich leichter als der Vorgänger. Das Smart HUB hat ebenso acht Eingänge für Sensoren und Motoren wie der EV3, wiegt jedoch dank eines kompakteren Lithium-Akkus nur einen Bruchteil. Er hat kein direktes Display, dafür eckige LED-Panels, die aufleuchten können. Er hat einen eingebauten Geschwindigkeits- und Gyroskopsensor, die beim Vorläufer durch externe Sensoren ergänzt werden mussten. Dafür hat er jedoch nur einen begrenzten Speicherplatz, der nicht wie beim EV3 durch eine Micro-SD-Karte erweitert werden kann, ebenso ist die CPU-Leistung schwächer. Eine weitere Änderung ist, dass die neue Firmware nicht mehr auf Linux basiert, sondern auf einem eigenen Betriebssystem von LEGO. Das Modul hat einen Bluetooth Port, um die Programmierung entweder vom PC oder der App vom Tablet oder Smartphone zu übertragen. Dies kann auch über den USB-Anschluss des Hubs geschehen, jedoch hat es kein W-LAN-Modul wie der Vorgänger. Ihm fehlt ebenso die Möglichkeit, mehrere Hubs aneinander anzuschließen, um komplexere Maschinen zu konstruieren. Eine weitere Neuerung sind die Motoren: Diese sind kleiner, wodurch sie sich flexibler verbauen lassen. Dies hat zur Folge, dass sie weniger Drehmoment haben. Da jedoch die gebauten Modelle durch das leichtere Hub weniger Gewicht haben, ist dies kein Nachteil. Sie verfügen auch über eingebaute Positionssensoren, wodurch eine genaue Bewegung der Achsen ermöglicht werden kann, wie es die Motoren des EV3 auch konnten. Sie haben jedoch fest verbaute Kabel, was für größere Konstruktionen zum Problem werden könnte. Für Messungen von Entfernungen benutzt das neue Modell einen Ultraschallsensor anstatt wie zuvor einen Infrarotsensor, dadurch fällt die Infrarotfernbedienung des EV3 weg. Dafür kann der Roboter-Erfinder jedoch mit einem Playstation-Controller verbunden werden. Hierbei ist aber die Verzögerung in der Weitergabe der Befehle zu beachten, weswegen es sich nicht für schnelle, präzise Kommandos eignet. Der vorher enthaltende Berührungssensor ist in den neuen Sets nicht mehr enthalten, dafür bietet aber jeder der vier Motoren einen eingebauten Kraftmesser, der diese Aufgabe mit übernehmen kann. Vorteil ist, dass hierfür kein extra Sensor benötigt wird, der nur eine Aufgabe erfüllt, sondern diese direkt von den Motoren übernommen werden können. Außerdem ist das Smart HUB durch seinen eingebauten Beschleunigungssensor in der Lage, in drei Richtungen gedrückt zu werden, als Ersatz für einen Druckknopf. Der Farbsensor ist relativ unverändert, jedoch durch sein kompakteres Format deutlich leichter zu verbauen. Die Software wurde auch überarbeitet. Sie ist nicht mit dem EV3 kompatibel, besteht aber aus einem ähnlichen Baukastenprinzip, das jetzt im Aufbau stark an Scratch erinnert. Die passende App übernimmt hier den Aufbau und lässt somit auch fern des Computers die vollen Möglichkeiten weiter am ‚Code‘ zu arbeiten. Der Wechsel von horizontalen zu einer vertikalen Anordnung der Programmblöcke sorgt für einen übersichtlicheren Aufbau der Programmierung. Programmierer*innen mit mehr Erfahrung können sich neben der Bausteinvariante auch über Text mithilfe der Programmiersprache Python kreativ austoben.
Wie die Übersicht zeigt, gibt es einige Veränderungen zum Vorgänger, dabei wurde vor allem ein einfacherer Zugang für Personen, die noch nicht mit der MINDSTORMS Welt von LEGO zu tun hatten, gewährleistet. Dies geht jedoch gleichzeitig mit einem Verlust an Leistung einher. Durch den begrenzten Speicherplatz können weniger komplexe Programme erstellt werden als zuvor. Dazu kommt noch, dass zur Zeit keine Hubs miteinander verbunden werden können, wie es zuvor bei den Smartbricks möglich war. Diese Möglichkeit kann eventuell noch durch ein Software-Update kommen, im Moment können jedoch nur die acht Anschlüsse für Projekte genutzt werden.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Jerome Wohlfarth
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Judith Strohmayer: Traumjob Influencer
FWU Institut für Film und Bild gGmbH (2019). Traumjob Influencer. Grünwald. www.fwu-mediathek.de. Ab 32,70 €.
Ist Influencer*in ein Traumjob? Wie üben diese Einfluss auf das Konsumverhalten der Menschen aus? Und inwiefern entsprechen YouTuber*innen und Instagramer*innen Rollenklischees? Diese und weitere Fragen versucht die Produktion ‚Traumjob Influencer‘ zu beantworten. In 25 Minuten beschäftigt sich die Dokumentation des Institut für Film und Bild gGmbH (FWU) mit den Menschen, deren Job es ist, sich täglich in verschiedenen Medien zu präsentieren.
Zu Beginn kann sich die bzw. der Zuschauer*in entscheiden, ob das Video interaktiv oder klassisch konsumiert werden soll. In der interaktiven Wahl verweisen verschiedene Symbolbilder auf Zusatzmaterialien. So leitet eine eingeblendete Büroklammer auf Artikel über, die sich umfassender mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Außerdem wird bei dieser Einstellung auf Grafiken verwiesen, die Hintergrundwissen vermitteln. Des Weiteren stehen als Zusatzmaterialien noch zehn Arbeitsblätter zu verschiedenen Themengebieten zur Verfügung. Bei dem klassischen Video werden die Symbole nicht eingeblendet. Trotzdem besteht Zugriff auf die weiteren Informationen. Diese werden allerdings nicht während des Videos zu dem jeweiligen Themenblock angezeigt, sondern müssen separat aufgerufen werden.
Um einen umfassenden Einblick in das Leben eines*r Influencers*in zu erhalten, werden die zwei YouTuber*innen Justus und Annika vorgestellt. Ersterer beschäftigt sich mit Gaminginhalten rund um das Spiel ‚Grand Theft Auto'. Annika veröffentlicht zweimal die Woche Comedy-Videos auf ihrem Kanal Annikazion. Anhand der beiden wird aufgezeigt, dass Influencer*innen ihren Alltag selbst sehr stark strukturieren und dabei einem genauen Zeitplan folgen müssen. So beschreibt Justus, dass er für seinen Kanal Ju Lex täglich zwei Videos produziert. Für die Let’s Plays und andere Videos, die verschiedene Aspekte des Computerspiels behandeln, beginnt er bereits morgens mit dem Skript für das erste Video und startet anschließend mit der Aufnahme. Außerdem streamt er meist dreimal die Woche live.
Inwiefern Influencer*innen finanziell von ihren Tätigkeiten profitieren, wird ebenfalls in dem Video thematisiert. Dabei verdienen beispielsweise Youtuber*innen an Werbung und Partnerschaften, die Höhe der Einnahmen ist dabei von den Aufrufen und der Reichweite des Kanals abhängig. Um ein Produkt zu bewerben, können sie dieses in ihren Videos platzieren, Werbung für ihre eigene Marke machen oder Rabattcodes anbieten. Für die Konsument*innen muss dabei erkenntlich sein, dass es sich um Werbung handelt. Eine weitere Einnahmequelle ist die Vor- oder Zwischenschaltung von Werbeclips durch YouTube in dafür freigegebene Videos der Kanalbetreiber*innen. Ein gewisser Anteil der Einnahmen, die die Plattform dafür erhält, wird an die Influencer*innen weitergegeben.
In der Produktion wird auch die Ambivalenz der Sozialen Medien aufgezeigt. Auf der einen Seite bieten die verschiedenen Sozialen Netzwerke eine Teilhabechance für Menschen, die in der Öffentlichkeit eher unterpräsentiert sind, wie Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund. Beispielsweise berichtet der Kanal Gewitter im Kopf vom Leben mit Tourette und erreicht damit 1,3 Millionen Menschen. Außerdem haben 43 Prozent der 100 erfolgreichsten deutschen YouTuber*innen einen Migrationshintergrund.
Doch neben diesen Chancen für verschiedene Minderheiten werden auf der Plattform leider auch viele Rollenklischees wiedergegeben. Die Themen, mit denen die Influencerinnen sich hauptsächlich beschäftigen, finden sich überwiegend im häuslichen Umfeld. Dazu zählen Koch-, Do-It-Yourself- Videos oder Beauty-Tutorials. Darüber hinaus sind nur ein Drittel der 100 erfolgreichsten YouTuber*innen Frauen. Denn Influencer präsentieren sich in einem viel breiteren Feld wie Comedy, Unterhaltung, Musik oder Politik. Daraus lässt sich natürlich nicht herleiten, dass Frauen in diesen Feldern weniger kompetent sind. Allerdings sind sie bei Themen aus dem häuslichen Bereich geschützter vor Hatespeech, da Zuschauer*innen ihnen hier mehr Kompetenz zutrauen, während dies bei anderen Gebieten angezweifelt wird.
Die Videoproduktion richtet sich an Schulklassen zwischen der achten und 13. Jahrgangsstufe. Da diese Altersgruppe sehr aktiv in verschiedenen Sozialen Medien unterwegs ist, kennen sie den Begriff Influencer*in bereits. Den Einfluss, den diese ausüben können, sollen die Schüler*innen mithilfe dieses Videos verstärkt wahrnehmen. Außerdem ist in dieser Dokumentation zu sehen, dass hinter dem schönen Leben, das online präsentiert wird, selbstständige und umfassend strukturierte Arbeit steckt. Außerdem werden die Jugendlichen auf das ungleiche Geschlechterverhältnis und die Stereotypisierung von Geschlechterrollen in Sozialen Netzwerken aufmerksam gemacht. Das FWU empfiehlt die Bearbeitung dieses Themengebiets in den Fächern Deutsch, Religion oder Ethik. Für die Verwendung der Produktion gibt es verschiedene Lizenzen. Die Kosten für eine Einzellizenz für Lehrer*innen belaufen sich auf 32,70 Euro.
Für eine bessere Verständlichkeit ist ein deutscher Untertitel für das Video zuschaltbar. Außerdem ist auch der gesamte Filmtext einsehbar und kann heruntergeladen werden. Somit erfüllt das Format in gewissen Punkten die Barrierefreiheit. Allerdings wäre es wünschenswert, dass der Untertitel in mehr Sprachen verfügbar wäre. Die interaktiven Module können helfen, das Thema nochmals zu vertiefen und eine kritische Distanz zu entwickeln. Aufgrund der einfachen Bearbeitung der Arbeitsblätter sind diese letztlich eher für jüngere Schüler*innen geeignet, da die Produktion viele grundlegende Aspekte anspricht, die in älteren Jahrgangsstufen schon bekannt sein sollten.
Die Produktion behandelt das Thema ‚Traumjob Influencer‘ aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei werden sowohl die positiven wie auch die negativen Seiten aufgezeigt. Durch den Miteinbezug der Influencer*innen Annika und Justus konnte ein praktischer Zugang geschaffen werden, wobei ein noch umfassenderer Einblick in die Arbeit von ersterer wünschenswert wäre. Außerdem hätte kritisch behandelt werden können, dass nur ein geringer Teil der Influencer*innen sich durch ihre Kanäle ihr Leben finanzieren kann. Somit handelt es sich nicht um ein realistisch umzusetzendes Berufsbild.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Judith Strohmayer
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Elif Binici: Among Us. Das Kultspiel im Lockdown
InnerSloth (2018). Among Us. App unter anderem für iOS, Android, Steam, Nintendo Switch. Kostenlos für mobile Endgeräte, 3,99 € für PC.
Trotz einer pandemiebedingten Isolation müssen Spielende dank ‚Among us‘ nicht auf den Spieleabend mit Freund*innen verzichten. Bereits 2018 haben die Entwickler*innen des US-amerikanischen Indie-Studios InnerSloth eine digitale Adaption des Gesellschaftsspiels auf den Markt gebracht. Anfangs nur als kleines Spiel gedacht, erfährt ‚Among Us‘ im Sommer 2020 einen regelrechten Hype, als Nutzende der Streaming-Plattform Twitch das Online-Game für sich entdecken. In Corona-Zeiten, in denen Online-Spiele ohnehin große Beliebtheit genießen, schafft es das Indie-Unternehmen sogar einen neuen Rekord aufzustellen: Gemäß der Daten des Marktforschungsinstituts Superdata hat die Gaming-App im November 2020 mit 500 Millionen aktiven Nutzer*innen mehr monatliche Spieler*innen vorweisen können als je ein Spiel zuvor.
Dabei ist das Spielprinzip sehr simpel und sowohl für eingefleischte Gamer*innen als auch für komplette Neueinsteiger*innen geeignet. Vier bis zehn Spieler*innen besiedeln ein beschädigtes Raumschiff oder eine Basis. Ihre Aufgabe ist es durch kleine Minispiele Wartungsarbeiten zu erledigen, um die Flugtauglichkeit zurück zu erlangen. Es gibt jedoch einen Haken: Unter die Crewmitglieder haben sich ein bis drei Hochstapler*innen geschlichen, sogenannte ‚Imposter‘. Diese werden zu Beginn der Partie ausgelost. Während die Betrüger*innen die wahre Identität voneinander kennen, sind die Besatzungsmitglieder ahnungslos. Ihr Ziel ist es die Mission der Crew zu sabotieren und jene nach und nach auszuschalten, ohne selbst entlarvt zu werden. Um unauffällig zu meucheln, können jene im Gegensatz zu den ‚normalen‘ Crewmitgliedern durch Lüftungsschächte kriechen. Das Astronaut*innenteam kann den Sieg jedoch für sich entscheiden, wenn alle Aufgaben abgeschlossen sind, bevor die Truppe gänzlich eliminiert worden ist oder sie es schaffen, sämtliche Übeltäter*innen zu überführen.
Den Mitspieler*innen ist es dabei nur möglich, sich während der Notfallsitzungen auszutauschen, denn nur dann ist der In-Game-Chat aktiviert. Die Besprechung kann einberufen werden, sobald die Leiche eines Crewmitglieds gesichtet oder der Notfallknopf betätigt wurde. Abhängig von den Einstellungen, kann diese Funktion von jeder*m Spielenden nur einmal pro Spiel genutzt werden. In der Beratungsrunde wird im Textchat darüber diskutiert, wer eine*r der Übeltäter*innen sein könnte. Hierfür werden einander Beobachtungen geschildert, die auffällig erschienen und gegenseitige Verdächtigungen angestellt: Warum hat der gelbe Astronaut die Leiche nicht gemeldet, obwohl er sich in unmittelbarer Nähe befand? Wie konnte das rote Männchen so schnell von einem Ort zum anderen gelangen? Es lohnt sich daher das Umfeld im Blick zu behalten. Doch Achtung, die Bösen werden ihre Schuld abstreiten, falsche Fährten legen, um von sich abzulenken und Falschanschuldigungen tätigen, um die anderen Spieler*innen davon zu überzeugen, dass sie eine*r der Guten sind. Am Ende der Diskussionsrunde wird ein*e Verdächtige*r per Mehrheitsentscheid des Raumschiffes verwiesen. Erst nachdem jemand über Bord geworfen wurde, wird aufgelöst, ob es sich dabei tatsächlich um eine*n Widersacher*in oder doch um eine*n Unschuldige*n gehandelt hat.
Logisches Denken, Überzeugungskraft und eine gute Auffassungsgabe sind gefragt um, je nach Rolle, diese Täuschungsmanöver zu erkennen oder die Crew zu überlisten.
Im Google Play Store ist das Multiplayer-Game entsprechend des IARC-Systems mit einer Freigabe ab sechs Jahren gekennzeichnet, im Apple Store hingegen ab neun. Weder auf der Homepage der USK noch der des PEGI sind derzeit Angaben zur Altersbeschränkung zu finden. Aufgrund der abstrakten Cartoon-Grafiken, der überspitzten Darstellungen der Todesanimationen (die lediglich für wenige Sekunden zu sehen sind und auch nur dann, wenn man selbst das Opfer war) und des leichten Einstiegs empfiehlt der Spieleratgeber NRW die Nutzung schon ab acht Jahren. Im November 2020 wurde das Deduktionsspiel mit dem Pädagogischen Medienpreis 2020 des Studio im Netz e.V. München (SIN) ausgezeichnet, dabei wurde die Altersstufe ab zwölf angesetzt. Besonders die spannenden Gruppendynamiken, die das Strategiespiel auf Grund seiner Interaktivität hervorrufe, seien Grund für den Preis gewesen.
Das Spiel fördert in der Tat die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, denn nur durch die enge Zusammenarbeit der Spieler*innen ist es möglich das Endziel zu erreichen und die Tricks der Gegenspieler*innen zu durchschauen. Als Möglichkeit zur Schlichtung oder Konfliktbewältigung in Gruppen hat es ebenfalls einen pädagogischen Nutzen. In Schulen oder in der Jugendarbeit kann das Spiel insbesondere zum Kennenlernen und zum Aufbau einer Gemeinschaft eingesetzt werden. Zudem kann anhand des Spiels über die Debattenkultur, demokratische Strukturen, wie etwa Abstimmungen und Entscheidungsprozesse reflektiert werden.
‚Among Us‘ lässt sich in drei verschiedenen Optionen spielen. So kann es im öffentlichen Modus mit neun zufälligen Mitspieler*innen gespielt werden. Hier ist der Kontakt mit Fremden unmittelbar. Unangebrachte Nachrichten können durch einen Filter im Chat zwar zensiert werden, jedoch werden die Diskussionen nicht moderiert. Auch wenn der Zeitraum eingeschränkt ist, in dem der Chat aktiv ist, bleibt es dadurch möglich über jegliche Themen zu schreiben, die nicht unbedingt mit dem Spiel zu tun haben müssen. Personen mit Hintergedanken könnten etwa persönliche Informationen erfragen, weshalb Eltern empfohlen wird, einen Blick auf die Gruppe zu haben, mit der das Kind interagiert, diese auf Gefahren des offenen Chats hinzuweisen und/oder den privaten Spielmodus vorzuziehen. Im privaten Modus kann mit lokalen Spieler*innen, also mit Personen gespielt werden, die im gleichen WLAN eingeloggt sind, oder über das Teilen eines Freischaltcodes, welcher den Zugang zu einem privaten Spielraum ermöglicht, sogar mit Familie und Freunden, die nicht dem eigenen Hausstand angehören. Dem virtuellen Spieleabend steht damit nichts mehr im Wege.
Auf allen Plattformen können kostenpflichtig Zusatz-Items per In-Game-Kauf erworben werden. Diese sind jedoch nicht zwingend notwendig. Seit dem 15. Dezember ist auch eine Version für die Nintendo Switch verfügbar. Auch auf anderen Konsolen sollen in Zukunft in digitalen Sphären Hochstapler*innen identifiziert werden können. Derzeit ist es nicht möglich, das Spiel auf Deutsch zu spielen. Updates mit neuen Features und mehr Sprachen sind jedoch in Arbeit.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Elif Binici
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Judith Strohmayer: Jugendhilfe-Navi
Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (2018). Jugendhilfe-Navi. YouTube-Kanal. Kostenlos.
„Hallo und herzlich willkommen zum Jugendhilfe-Navi, mein Name ist Kok Hung Cheong [...]“, mit diesen Worten leitet der Redakteur des YouTube-Formats Jugendhilfe-Navi seine Videos ein. In einem Büro sitzend oder bei Interviews mit Praktiker*innen widmet er sich in dem Format allen möglichen Fragen rund um das Thema Medien und Jugendhilfe.
Die Palette der behandelten Themen ist weitreichend. Zum einen finden sich auf dem Kanal Erklärvideos, in denen auch immer Pro und Contra der vorgestellten Themen verhandelt werden. Hierzu zählen die kurzen Zusammenfassungen über TikTok, Influencer*innen, Cybermobbing, Instagram und Facebook. Zum anderen bietet das Jugendhilfe-Navi auch Tutorials an, welche in der Praxis umgesetzt werden können. Allein rund um das Thema Let’s play sind fünf Videos verfügbar. Hier finden Pädagog*innen und andere Interessierte Informationen über die notwendige Vorbereitung, Produktion, die Aufnahme und die Nachbereitung. Damit die angesprochenen Inhalte auch weiterhin relevant für die Praxis sind, werden die Zuschauer*innen aufgefordert, Vorschläge für neue Beiträge zu machen. In der Kommentarfunktion der Videos wird diesem Angebot allerdings noch nicht zahlreich nachgekommen.
Mit den Videos wird außerdem versucht, eine Brücke zwischen analogen und digitalen Angeboten zu schlagen, beispielsweise in dem Beitrag ‚Idee für ein digitales & analoges Fußballturnier‘. Dafür wird ein Fußballturnier zwischen den Teilnehmenden auf dem Feld und am Computer oder an der Konsole veranstaltet. Grundlage ist ein Turnierbaum auf Challonge, in welchem die Spieler*innen und die jeweiligen Ergebnisse eingetragen werden. Anschließend erfolgt der Wettbewerb digital und analog. Neben Tipps zur Anwendung in Projekten und Praxis beschäftigt sich das Format mit möglichen Problematiken des Medieneinsatzes in der Jugendarbeit. So stellt sich für Arbeitende in diesem Bereich beispielsweise stets die Frage, welcher Messenger am besten für die Kommunikation mit den Jugendlichen geeignet ist. Denn während WhatsApp der am meisten genutzte weltweit ist, weist dieser Dienst in Bezug auf Datenschutz erhebliche Mängel auf. Diesem Thema widmet sich das Jugendhilfe-Navi und stellt auch gängige Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Gerade in der Corona-Situation, den damit einhergehenden Schließungen von Jugendzentren und dem Wegfall von Fortbildungen für Fachkräfte kam es zu einem regelrechten Boom von digitalen Angeboten in Sozialen Medien und auf Streaming-Plattformen. Das Jugendhilfe-Navi veröffentlichte deswegen einige Videos, die sich besonders mit der digitalen Jugendarbeit und sicherer Kommunikation beschäftigen. Unter anderem wird darin besprochen, warum Jugendeinrichtungen mehr in Sozialen Medien vertreten sein sollten, welche Potenziale das bietet, wie kreative und partizipative Angebote gestaltet werden können und welche Chancen und Grenzen Streaming bietet. Hierbei wird die Plattform Discord mit ihren Funktionen vorgestellt. Außerdem werden auch wieder verschiedene Gründe für und gegen die Nutzung der Plattform aufgezählt. So ist das kostenlose Kommunikationstool für Jugendliche leicht verständlich und der Zugang zu dem genutzten Raum relativ kontrollierbar. Allerdings stellt auch das Thema Datenschutz bei Discord ein Problem dar.
Zusätzlich zu YouTube bietet das Jugendhilfe-Navi auf Instagram Content, welcher die aktuellen Videos ergänzt. Außerdem werden hier für Fachkräfte partizipative Möglichkeiten geboten, in denen diese beispielsweise ihre Jugendeinrichtungen vorstellen können. Auf der Website des Jugendhilfe-Navis finden sich auch nochmal alle Videos thematisch nach den Inhalten geordnet sowie Verlinkungen zu weiterem Informationsmaterial.Die Videos, welche sich mit der Wahl des richtigen Messengers auseinandersetzen oder die verschiedenen Plattformen der Sozialen Medien erklären, stechen mit besonders hohen Klickzahlen heraus. Hier ist zu sehen, dass diese Fragen die Jugendhilfe besonders beschäftigen. Auch die Vorschläge von Praxisprojekten wie das Gestalten eines Escape-Rooms als Jugendprojekt oder die Anleitung für ein Let’s Play können eine größere Reichweite verzeichnen.
Das Jugendhilfe-Navi versucht mit seinen Beiträgen die Digitalisierung auch in der Jugendhilfe mehr zu verankern. Teilweise wären allerdings etwas umfassendere Videos wünschenswert, damit die Praktiker*innen noch mehr Einblick in die Inhalte bekommen ohne selbst noch weiter recherchieren zu müssen. Die Entwicklung des Formats ist im Laufe der Videos festzustellen. Während zu Beginn des Formats Cheong durch seine sehr bedachte Sprechweise mit einigen Pausen auffiel, führt er jetzt sicher durch seine Videos. Die neueren Beiträge sind inzwischen auch nach Kapiteln geordnet, somit können die Zuschauer*innen Themen, die sie bereits kennen, überspringen und die für sie relevanten Inhalte aussuchen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Jugendhilfe-Navi eine gute Informationsgrundlage für Praktiker*innen bietet, welche in der Jugendhilfe mit Medien arbeiten. Hier werden verschiedene Methoden aufgezeigt, die in der Praxis angewendet oder auch noch weiterentwickelt werden können. Bisher werden monatlich ein bis zwei Videos veröffentlicht. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration Nordrhein-Westfalen.
Jounas Al Maana/Stefanie Neumaier: Kann Medienkompetenz gemessen werden? Der #DigitalCheckNRW im Überblick
Der #DigitalCheckNRW bietet zur Messung der individuellen Medienkompetenz einen Online-Test in Form von sechs Kompetenzbereichen an: Bedienen und Anwenden; Informieren und Recherchieren; Kommunizieren und Kooperieren; Produzieren und Präsentieren; Analysieren und Reflektieren; Problemlösen und Modellieren. Dabei gliedern sich die einzelnen Kompetenzbereiche in je zwei Level. Pro Level gilt es vier Fragen zu beantworten, woraus jeweils bis zu fünf Punkte für den eigenen Medienkompetenz-Score resultieren. Passend zu einzelnen Leveln bietet der #DigitalCheckNRW die Möglichkeit, adäquate Weiterbildungsangebote in der Umgebung bzw. online, zum Beispiel von Volkshochschulen und anderen Anbietern, ausfindig zu machen.
Mit dem Angebot der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) wird versucht, ein Tool bereitzustellen, mit dem eine kritische (Selbst-)Reflexion der eigenen Mediennutzung und den damit einhergehenden Kompetenzen angestrebt wird.
Für den Test spricht zunächst einmal, dass er kostenlos zur Verfügung steht. Ferner lädt ein Trailer durch dessen optisch ansprechende Aufbereitung zur Teilnahme am Check ein. Das farbenfrohe Design des Trailers findet sich in den einzelnen Leveln wieder und ist dabei gepaart mit einer klaren Struktur der Fragen und Antworten. Auch die Details zu den Fragen, welche im Nachgang erscheinen, bieten ein großes Spektrum an Hintergrundwissen und ermöglichen den Nutzer*innen, ihre eigenen Antworten zu überprüfen und so dazuzulernen. Schließlich gilt es hervorzuheben, dass die empfohlenen Weiterbildungsangebote – im Sinne einer digitalen (sozialen) Teilhabe – größtenteils kostenlos angeboten werden. Diese sind sehr spezifisch und bieten so gezielte Weiterbildungsmöglichkeit für die Nutzer*innen an.
Das Ziel ist hoch gesteckt: Das Schaffen einer Plattform, um möglichst viele Menschen zur Selbstreflexion der eigenen Medienkompetenz anzuregen, Defizite aufzuzeigen und konkrete Fördermaßnahmen anzubieten. Hierbei irritiert, dass die Antwortmöglichkeiten auf einzelne Fragen nicht deckungsgleich mit dem Spektrum an möglichen Standpunkten der Befragten sind. Beispielhaft wird bei der Frage nach einer gesunden Gestaltung des Umgangs mit Medien die bedürfnisorientierte Nutzung als Antwortmöglichkeit nicht bedacht. Ferner werden vereinzelt eindimensionale Hinweise gegeben. So wird den Nutzenden bei der gleichen Frage als richtige Antwort nahegelegt, mit Apps wie dem ‚Digitalen Wohlbefinden‘ das eigene Mediennutzungsverhalten zu optimieren. Bei dieser App geht es darum, die Häufigkeit und Nutzungslänge von Apps auszuwerten und wenn möglich, einzuschränken. Gerade medienpädagogische Fachkräfte wissen jedoch, dass ein rein quantifizierender Blick eine verkürzte Betrachtung dieser Materie darstellt.
Es wird dennoch versucht, das komplexe Konstrukt des (Medien-)Kompetenzbegriffs in verschiedenen Facetten für die Nutzer*innen greifbar zu machen. Am Ende jeder Einheit wird ein Punktescore angegeben. Durch dieses Punktesystem wird einerseits ein Anreiz geschaffen, sich verbessern zu können. Andererseits bleibt es schwierig, Medienkompetenz eindeutig mit einem Punktescore zu bewerten, da keinerlei Trennschärfe dahingehend besteht, was ein Punkt mehr oder weniger wirklich aussagt. Ferner kann auf der Metaebene konstatiert werden, dass es bei einem derart vielseitigen Konstrukt, wie dem der Medienkompetenz, nichts auf Grundlage einer einheitlichen Definition zu messen gibt.
Insgesamt ist der #DigitalCheckNRW eine Plattform, die das Potenzial hat, viele Menschen zu erreichen und ihnen die Möglichkeit zur Reflexion ihrer Mediennutzung und -kompetenz zu ermöglichen. Außerdem können so zahlreiche Angebote zur medienpädagogischen Fort- und Weiterbildung spezifisch verbreitet und wahrgenommen werden.
Die GMK wurde von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit dem #DigitalCheckNRW beauftragt. Ausschlaggebend war die Digitalstrategie des Bundeslandes. Den Grundstein für den Test bildet der für Schulen konzipierte ‚Medienkompetenzrahmen Nordrhein-Westfalen‘. Um lebensbegleitendes Lernen zu unterstützen, wurde dieser nun für Erwachsene ausgeweitet.
Sebastian Hirschbeck/Dominik Joachim: Gamescom digital. Innovativ mit Startschwierigkeiten
„Hello and welcome to the Gamescom Opening Night Live 2020 Preshow“, so wurden am 27. August gegen 17:30 Uhr die Besucher*innen zur Eröffnung der Gamescom begrüßt. Anders als die letzten Jahre nicht auf dem Messegelände in Köln, sondern zuhause vor ihren Computern.
Denn wie viele andere Veranstaltungen im Jahr 2020 konnte die Gamescom nicht als Präsenzveranstaltung realisiert werden. Statt sich also zusammen mit etwa 300.000 Besucher*innen durch die Messehallen zu drängen und die neuesten Spiele auszuprobieren, saß man vor einem eigenen Endgerät und hörte sich an, was die Entwickler*innen dieses Jahr zu präsentieren hatten.
Spieleankündigungen
Im Bereich der AAA-Titel wurden den Zuschauer*innen dieses Jahr nur wenige Neuerscheinungen präsentiert. Dafür warteten die Entwickler*innen mit einer Vielzahl an Fortsetzungen bereits bekannter Spielereihen auf.
So wurde der erste Next-Gen-Konsolentitel für die kommende Playstation 5 mit Ratchet & Clank: Rift Apart angekündigt und die ersten Einblicke in das Spiel selbst gezeigt. Die Spielereihe unter dem Publisher Sony Computer Entertainment ist seit dem ersten Titel aus dem Jahre 2002 ein Kaufargument für die hauseigene Spielekonsole Playstation. Das klassische ‚Jump and Run‘-Abenteuer beschränkt sich diesmal nicht auf eine Welt. Spieler*innen kämpfen sich nun durch eine abwechslungsreiche Umgebung und nutzen erstmals Portale, um die Regeln von Zeit und Raum zu ihren Gunsten zu brechen.
Auch Activision Blizzard machte mit der Ankündigung der neuesten Erweiterung für das Gamescom MMORPG World of Warcraft deutlich, dass dieses Spielgenre seit 16 Jahren nach wie vor Millionen Fans begeistern kann. Für die kommende Erweiterung World of Warcraft: Shadowlands wurde das Erscheinungsdatum angekündigt, auf welches Spieler*innen bereits seit Monaten warten. Am 27. Oktober 2020 dürfen sich dann alle Spieler*innen in das Reich des Todes wagen.
Von der legendären Spieleschmiede Gearbox Software, welche Titel wie Half-Life, die Borderlands-Reihe oder auch Duke Nukem entwickelte, gab es Einblicke in den neu angekündigten Titel Godfall, welcher Ende 2020 für Windows PCs und Playstation 5 erscheinen wird. Godfall ist ein ‚action role-playing game‘ in einem Fantasy-Setting. Die Spieler*innen bekämpfen mit einem dynamischen Kampfsystem ihre Gegner*innen, um die Welt vor dem Untergang zu retten.
Zudem wurden zahlreiche Spiele angekündigt, welche aktiv auf Virtual Reality ausgerichtet sind. Dabei sind erstmals auch Fortsetzungen bekannter Spielereihen zu finden, wie der Flight Simulator von Microsoft, bei dem die Spielenden in die Rolle von Pilot*innen schlüpfen, um unter realistischen Bedingungen alle nur erdenklichen Arten von Flugobjekten zu steuern. Neu dabei ist, dass sämtliche Bedienelemente den Spielenden nicht mehr nur per Knopfdruck, sondern nun auch visuell zur Verfügung stehen.
Ein weiterer Virtual-Reality-Titel wurde mit Medal of Honor: Above and Beyond angekündigt, bei dem Spieler*innen die Rolle eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg übernehmen. Durch die aktive Ausrichtung auf Virtual Reality werden die gezeigten Szenarien noch dramatischer und realistischer als man es von dem Urgestein des Shooter-Genres (Ersterscheinung: Medal of Honor 1999) ohnehin gewohnt ist.
Gamescom – alles digital
Anstelle einer Erkundungstour durch die Hallen, bei der sich die Besucher*innen genau aussuchen können, was sie sehen möchten, wurden sie dieses Mal von einer freundlichen und lustigen Moderator*innen-Crew durch das Programm geführt. Es entstand weniger der Charakter eines Städtetrips in eine Spielestadt, als vielmehr der einer Rundtour durch eben jene.
Dies hatte viele Vorteile. Die schiere Masse an Ständen auf der Gamescom führt fast immer dazu, dass Dinge übersehen und nicht entsprechend gewürdigt werden. Zudem sind die Laufwege durch die rund 200.000 Quadratmeter großen Hallen entsprechend lang, und man ‚verliert‘ viel Zeit dabei, sich von einer Halle in die nächste durch die Menschenmassen zu quetschen.
Allerdings büßt diese Art der Veranstaltung den Reiz des selbst Entdeckens ein. Zwar wurden die großen Ankündigungen so häufig wiederholt, dass es nahezu unmöglich war, sie zu verpassen, gerade im Bereich der Indie-Games wurde aber nur ein Ausschnitt der Szene gezeigt. Zudem konnten sämtliche Spiele nur anhand von Trailern oder kurzen Spielausschnitten vorgestellt werden, das ‚Vorab-Testen‘ entfiel gänzlich.
Zusätzlich hatten die Livestreams häufig Verbindungsprobleme, wodurch es schwierig war, dem Programm zu folgen. Die Internetverbindung der Veranstalter war nicht auf die Massen an Zuschauenden ausgelegt (zum Beispiel ca. 2 Millionen Zuschauer*innen für die Eröffnungs-Show ‚Opening Night Live‘; Quelle: gamescom.de), was immer wieder zu technischen Problemen führte. Das Konzept der Livestreams war dabei nicht auf einen Kanal beschränkt. Neben dem Hauptkanal gab es zusätzlich themenbasierte Kanäle, zum Beispiel für Cosplay oder Retro-Games.
Insgesamt wurden aber nicht nur die neusten Games und Erweiterungen angekündigt. Wie bereits in den Jahren davor gab es Gespräche mit den jeweiligen Entwickler*innen rund um ihre Games, von der Entwicklung bis hin zu Hintergründen und Erzählungen zur Entstehung. Begleitet wurden diese von Talks zu verschiedensten Themen aus dem Gaming-Bereich, wie zum Beispiel der Talk über ‚toxisches Gaming‘, welcher neben einer Streamerin, die direkten Kontakt mit einer jungen Zielgruppe hat, auch mit einem Cyber-Kriminologen geführt wurde.Insgesamt war der Gamescom-Besuch dieses Jahr ungewohnt, doch obwohl der direkte Kontakt zu anderen Besucher*innen fehlte, mangelte es durch den aktiven Livestream-Chat nicht an Interaktion. Die Probleme, welche durch die Umstellung auf ein Digitalkonzept entstanden sind, erübrigten sich innerhalb der Gamescom weitestgehend wieder.
Beitrag aus Heft »2020/05 Ethik und KI«
Autor:
Sebastian Hirschbeck,
Dominik Joachim
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Kati Struckmeyer: Futurium Berlin. Ein Museum zur Entdeckung möglicher ‚Zukünfte‘
Futurium Berlin. Alexanderufer 2, 10117 Berlin. www.futurium.de. Kostenloser Eintritt.
„Wie wollen wir leben?“ Dieser zentralen Frage unserer Gegenwart und Zukunft können Besucher*innen des Futuriums in Berlin seit rund einem Jahr nachgehen. In der Ausstellung sollen mögliche Zukünfte entdeckt, im Forum gemeinsam diskutiert und im Futurium Lab eigene Ideen ausprobiert werden. Das Futurium soll somit Museum, Bühne und Forum für offene Fragen der Zukunft sein. Als Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum will das Futurium interessierte Besucher*innen über aktuelle und künftige Entwicklungen aus Wissenschaft, Forschung und Gesellschaft informieren.
Architektur
Bereits das Gebäude, malerisch am Spreebogen gelegen und in der Nähe wichtiger politischer und wirtschaftlicher Orte Berlins, mutet futuristisch an und stimmt auf den Besuch ein. Der Grundriss des Futuriums ist ein unregelmäßiges Fünfeck, der so wie das Gebäude von dem Berliner Architektenduo Christoph Richter und Jan Musikowski entworfen wurde. Steht man davor, stellt sich schnell eine Assoziation zu einem Raumschiff ein, das gerade gelandet ist. Betritt man das Futurium, geht die Reise in die Zukunft weiter. Während das lichte Foyer einer Fahrt durch die Wolken gleichkommt, muten die obere Etage mit der Ausstellung und die untere Etage mit dem Lab durch die andere Beleuchtung eher wie Black Boxes an.
Ausstellung
In einer zentralen, sich immer weiter verändernden Ausstellung werden aktuelle gesellschaftliche Fragen behandelt, so zum Beispiel die Frage nachhaltiger Energiewirtschaft, nach einem Zusammenleben von Mensch und Roboter und anderen, die Zukunft bestimmende Fragen. Alle Informationen sind dabei grundlegend vom Konzept des Anthropozäns beeinflusst, also dem Zeitabschnitt, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse der Erde geworden ist. In diesem Konzept hängen Mensch, Technik und Natur nicht nur zusammen, sondern müssen auch zusammen gedacht werden. Somit gibt es statt einer mehrere, unterschiedlich denkbare ‚Zukünfte‘. Die Besucher*innen des Futuriums sollen durch das Ausprobieren verschiedener Prozesse ein Bewusstsein dafür bekommen, dass Zukunft gestaltbar ist – durch ihren Einfluss. Dem Auftrag, Wissen zu generieren und zu verhandeln, wie diese ‚Zukünfte‘ aussehen können, kommt das Futurium in einem breiten Spektrum nach. Hands on – auch mit Hilfe digitaler Technologie – ist ein zentrales Prinzip des Vermittlungskonzepts. Interaktive Installationen, diverse Sensoren und ungewöhnliche Steuerelemente gestatten verschiedene Zugriffe auf Wissen. Die Besucher*innen erhalten am Eingang zudem ein Armband mit RFID-Chip, mit dem sie an ausgewählten Stationen individuell interagieren können, Zusatzwissen abrufen oder für die spätere Vertiefung im Web speichern können.
Futurium Lab
Inspiriert durch die Ausstellung kann es, angekommen im Futurium Lab, ans Experimentieren gehen. Es können zum Beispiel eigene Prototypen entwickelt oder die Funktionsweise eines 3D-Druckers ausprobiert werden. Wer auch kulinarisch experimentierfreudig ist, kann in der Versuchsküche ausprobieren, ob Insekten die Nahrung der Wahl von morgen sind. Auch ein Medienlabor und eine Werkstatt stehen für die Ideen der Gäste bereit. Interaktive und künstlerische Installationen machen komplexe Technologie nachvollziehbar und erlebbar, zum Beispiel die Rolle künstlicher Intelligenz im Kontext von Malerei oder digitale Technologie für Wahlen. Aufgrund von Corona finden begleitende Workshops und Seminare gerade nur digital statt, das Programm kann man sich auf der Website www.futurium.de ansehen.
Skywalk
Will man sich zwischendrin einmal durchlüften, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten, ist ein Spaziergang über das Dach des Gebäudes empfehlenswert. Abgesehen von einmaligen Blicken auf Berlin überzeugt hier auch das Konzept der nachhaltigen Energiegewinnung. Das Dach des Futuriums ist großflächig mit Solar- und Photovoltaik-Modulen bestückt, die man beim Skywalk genau betrachten kann. Um die Sonnenwärme und hausinterne Energiegewinne für den Betrieb des Gebäudes nutzbar zu machen, wurde auch ein neuartiger Hybridspeicher eingesetzt, so dass das Gebäude dem Standard eines Niedrigst-Energiehauses entspricht.Insgesamt lohnt sich der Besuch des Futuriums für alle Technik- und Zukunftsinteressierten, sowie jede*n, die*der sich – auch im Rahmen von Ethik und KI – mit der eigenen Rolle in der Gestaltung der möglichen ‚Zukünfte‘ beschäftigt.
Das Futurium ist eine Projektinitiative wissenschaftlicher Einrichtungen und Netzwerke mehrerer Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen sowie der deutschen Bundesregierung in Berlin, Träger ist die gemeinnützige Einrichtung Futurium gGmbH.
Jounas Al Maana: Filmreihe über Alltagsrassismus bei Jugendlichen
Medienprojekt Wuppertal (2019). Alltagsrassismus. Filmreihe als DVD, 32,00 €, zum Streamen, 9,00 € oder als Download, 25,00 €.
Woher kommst du? Für Menschen mit Migrationsbiografie ist die Frage jedes Mal ein Drahtseilakt. Geht es jetzt darum, in welcher Stadt ich aufgewachsen bin oder ob ich gerade aus der Schule komme? Denn oft ist die Frage verbunden mit einem ‚ursprünglich‘. Es geht vielmehr um die Herkunft der Eltern und bezieht sich auf ein nicht-weißes Erscheinungsbild. Kinder und Jugendliche, die äufig mit dieser Form des ‚Andersmachens‘ und dem entsprechenden Antwortdruck konfrontiert sind, entwickeln im Laufe der Zeit eine individuelle Methode, mit dieser Frage umzugehen. Dabei werden essentielle Fragen der eigenen Identität und Zugehörigkeit aufgeworfen, die oft zu inneren und äußeren Konflikten führen. In der Filmreihe ‚Alltagsrassismus‘ werden genau diese Fragen nach Identität und rassistischen Erfahrungen von nichtweißen Jugendlichen in einem Kurzfilm sowie zwei Dokumentarfilmen behandelt.
In den beiden Dokumentarfilmen, auf denen der Fokus hier liegen soll, werden Jugendliche interviewt und zu ihren Erfahrungen und Perspektiven befragt. Im Folgenden wird auf einige zentrale Aspekte aus den Interviews eingegangen.
„Wir sind so gut wie Deutsche“
In der Interviewreihe ‚Bruder, Bruder, Bruder‘ wird das Thema der Identität und Zugehörigkeit aus den unterschiedlichen Perspektiven der Jugendlichen diskutiert. Es zeigt sich die Krise, in der viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte stecken: „Ich habe immer versucht, das zu machen, was sie von mir erwartet haben.“ Sie leben in zwei Realitäten Filmreihe über Alltagsrassismus bei Jugendlichen und entwickeln unterschiedliche Handlungsmuster – je nachdem, in welchen Kontexten sie sich befinden. Diese Kontextabhängigkeit wird auch an weiteren Stellen deutlich: „In der Schule bin ich
mehr so Deutscher. Zuhause bin ich der, der ich wirklich bin“.
Die Suche nach dem wahren ‚Ich‘ der Jugendlichen wird durch die unterschiedlichen Kontexte und den damit einhergehenden Erwartungsdruck erschwert. Von diesen individuellen und kontextabhängigen Verhaltensmustern geht auch die übergeordnete Frage nach Zugehörigkeit zu Deutschland einher. Den Konflikt vieler Deutscher mit Migrationsbiografie beschreibt folgende Aussage: „Hier werden wir nicht anerkannt, aber wenn wir im Ausland sind, sind wir da die Deutschen“ Dieses fehlende Zugehörigkeitsgefühl und die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft begleitet viele Jugendliche in ihrer Identitätsfindung. In Deutschland wird die vermeintliche Andersartigkeit durch ihre Migrationsbiografie hervorgehoben und durch die Frage, wo man denn ‚ursprünglich herkomme‘ bis hin zu rassistischen Anfeindungen tagtäglich vor Augen geführt. In den Ursprungsländern ihrer Eltern oder Großeltern ist eine Zugehörigkeit auch nur bedingt möglich, da man schließlich in Deutschland sozialisiert wurde.
„Vielleicht versuchen die einfach, die besseren Ausländer zu sein“
Ein interessanter Aspekt der Filmreihe ist auch die Frage nach ‚den Deutschen‘, womit wohl weiße deutsche Menschen ohne Migrationsbiografie gemeint sind. Die Jugendlichen erzählen, dass es in der Jugendkultur mittlerweile ‚cool‘ sei, ‚Ausländer‘ zu sein. Mit lachendem Auge blicken die Jugendlichen dabei auf ihre Mitschüler*innen, die nun arabische Wörter und Redewendungen
in ihre Sprache aufnehmen. Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, wie Diversität bei jungen
Menschen immer mehr zur Normalität wird.
Stopp, hör mal auf damit!
In der Interviewreihe ‚Ich geh dazwischen‘ berichten Jugendliche, dass rassistische Stereotype innerhalb von Freundschaften weit verbreitet sind. Viele bewerten dies als harmlos, solange eine sehr enge Beziehung mit den Personen besteht. Gleichzeitig setzen die Jugendlichen auch klare Grenzen: „In manchen Situationen darf man sowas einfach nicht, weil man nicht weiß, ob man die Person verletzt“, so eine Schülerin. Die Jugendlichen wurden auch nach eigenen rassistischen Erfahrungen befragt und berichten aus ihrem Alltag in der Schule sowie im öffentlichen Raum von starken rassistisch-verbalen Angriffen. Dabei werden Erfahrungen von anti-schwarzem Rassismus, anti-kurdischem Rassismus und anti-muslimischen Rassismus aus der Perspektive der betroffenen Jugendlichen geteilt. Auch, wenn die Jugendlichen von grenzüberschreitenden Erfahrungen in ihren Peergroups berichten, liegt der Fokus doch auch auf Erfahrungen mit ‚älteren‘ Menschen. „Wir sind alle miteinander aufgewachsen […] Die meisten, die dann irgendetwas gesagt haben waren die Eltern, die gesagt haben: Nein, mein Kind kann nicht mit irgendwelchen Ausländern zusammen sitzen.“ Das Aufwachsen in diversen Milieus führt laut den Jugendlichen zu mehr Offenheit und der Normalisierung von vermeintlichen Unterschieden. Die Schüler*innen appellieren daran, in (alltags-)rassistischen Situationen sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit Erwachsenen Zivilcourage zu beweisen und den Betroffenen zur Seite zu stehen.
Die multiplen Perspektiven der Jugendlichen und die Breite der angesprochenen Themen von Identität und Zugehörigkeit über Rassismus bis hin zu Handlungsmöglichkeiten bieten eine Vielzahl an Gelegenheiten, mit Jugendlichen in den Austausch zu kommen. Was der Reihe fehlt, ist begleitendes Material, welches konkret Alltagsrassismus thematisiert. Allein die oben zitierten Aussagen der Jugendlichen bieten genug Potential, um tiefergehende Diskussionen über Rassismus zu führen. Ohne Anleitung und Einbettung in größere Zusammenhänge bleibt diese Diskussion jedoch nur schwer einzugrenzen. Über den Titel ‚Alltagsrassismus‘ hinaus werden letztlich viel mehr Themen besprochen und grundlegende Fragen der Zugehörigkeit und Identität behandelt. Das selbst ausgeschriebene Ziel der Filmreihe – Diskussionen anzuregen – kann in der Praxis auf jeden Fall gelingen.
Das Filmprojekt wurde durchgeführt vom Fachbereich Jugend & Freizeit Wuppertal, Kinder- und Jugendschutz, und dem Haus der Jugend Barmen (Close Up-Theater) mit dem Medienprojekt Wuppertal, gefördert durch das Landesprogramm NRWeltoffen.
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Jounas Al Maana
Beitrag als PDF
Dana Neuleitner: Widerstand in dunklen Zeiten
HandyGames (2020). Through the Darkest of Times. App für Android und iOS. USK 12, 7,99 €.
In einem dunklen Raum sitzen ein paar Menschen um einen Tisch herum. Vor ihnen liegen ein Stadtplan und ein Stapel Zeitungen. Die Stimmung ist gedrückt, denn Deutschland steht Kopf. Die Nationalsozialisten sind an die Macht gekommen und beginnen damit, ihre Ideologien unter das Volk zu bringen. Die Aufgabe der Spieler*innen bei ‚Through the Darkest of Times‘ ist es nun, Mitglieder für eine Widerstandsgruppe zu rekrutieren und verschiedene Missionen gegen die Nazis durchzuführen.
Im Gegensatz zu anderen Spielen geht es in diesem nicht darum, heldenmäßig das Regime zu stürzen, im Krieg möglichst viele Gegner*innen zu töten oder den Zweiten Weltkrieg zu verhindern: Die Spieler*innen nehmen die Rollen normaler Zivilist*innen ein, die ab Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 versuchen, von einem Berliner Hinterzimmer aus mit einfachen Mitteln Widerstand zu leisten. In vier Kapiteln werden Machtergreifung, Höhepunkt der Macht, Krieg und Zusammenbruch des Regimes thematisiert. Es müssen Entscheidungen getroffen, Unterstützer*innen gesucht und die Moral der Gruppe gestärkt werden. Am Rundenanfang werden stets drei kurze fiktive Zeitungsartikel eingeblendet, die einzelne zeitliche Ereignisse überblicksartig anschneiden. Hier erhalten die Spieler*innen beispielsweise Details aus den Nachbarländern, die seit dem Geschichtsunterricht möglicherweise nicht mehr allzu präsent sind oder dort nicht behandelt wurden.
Welche Aufgaben im jeweiligen Spielabschnitt zur Verfügung stehen, ist auf dem Berliner Stadtplan zu erkennen. Je nach ausgeführter Handlung erscheinen weitere Optionen, die erfüllt werden können. Das Spektrum reicht von elementaren Tätigkeiten wie Spendensammeln oder Kontakte knüpfen bis hin zu Befreiungsaktionen, Informationsübermittlung ans Ausland, Aufdeckung einer Wunderwaffe oder Angriffen auf SS-Truppen. Das Gefahrenlevel und dadurch mögliche Auswirkungen auf die Gruppe variieren – es gilt, die Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder richtig einzusetzen und mit ihren Schwächen und Charaktereigenschaften gut umzugehen. Viele Tätigkeiten bauen aufeinander auf, oft ist aber nicht sofort erkennbar, wo die Vorbereitungen stattfinden müssen, da etwa deren Symbole nicht immer eindeutig zuzuordnen sind.
Das Planen der Aktionen selbst wird immer wieder von Dialogen und Story-Episoden unterbrochen, in denen die Geschehnisse der damaligen Zeit und die Schicksale der einzelnen Figuren besonders in den Fokus rücken. Die zeitlichen Phasen des Nationalsozialismus werden in diesen Sequenzen gut sichtbar und nachvollziehbar. Hier warten teils schwere Entscheidungen auf die Spieler*innen. So kann es beispielsweise zwischen den Gruppenmitgliedern zu Unstimmigkeiten und gegenseitigen Verdächtigungen kommen. Die Spieler*innen stehen etwa vor der Wahl, einen vermeintlichen Spitzel rauszuwerfen, einem verarmten Mitglied die spärlichen Ersparnisse zur Verfügung zu stellen oder einem alten wehrlosen Mann gegen die Braunhemden zu helfen oder sich lieber rauszuhalten. Wie würden die Spieler*innen wohl im echten Leben handeln? Das Spiel regt zum Nachdenken an, ob man diese digitale Zivilcourage auch im realen Alltag beweisen würde. In diesen Zwischensequenzen werden die Alltagsprobleme oft überlagert von düsteren Einblicken in die Taten der Nationalsozialisten. In den comicartigen Einblendungen, die von teils sehr langen Texten begleitet werden, finden beispielsweise die Köpenicker Blutwoche, die Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 und ein Bericht zu den Taten des Auschwitz-Lagerarzts Mengele statt. Die dunkel gehaltenen Zeichnungen unterstreichen den Grundton des Spiels. Die Lage erscheint oft aussichtslos, nicht immer kann man helfen. Doch obwohl man eigentlich weiß, dass die kleine Widerstandsgruppe nicht viel an den großen Geschehnissen ändern kann, möchte man dennoch so viel wie möglich bewirken. Jede noch so kleine Entscheidung kann dabei enorme Auswirkungen auf den Spielverlauf und die möglichen Missionen nehmen. Taktisches Geschick und Fingerspitzengefühl sind gefragt, sonst gerät man schnell selbst in Verdacht und gefährdet das Team.
Hin und wieder schleichen sich kleine Logikfehler ein. Zum Beispiel verliert eine Unterstützerin zunächst ihr ungeborenes Kind, bekommt es dann aber doch und manche weiblichen Charaktere werden permanent mit „Herr“ angesprochen. Das Strategiespiel des Berliner Entwickler-Teams Paintbucket Games arbeitet viel mit Vorstellungskraft. In den Dialogen und Story-Sequenzen wird Gewalt zwar im Text beschrieben oder angedeutet, aber höchstens silhouettenhaft verbildlicht. Das ab zwölf Jahren freigegebene ‚Through the Darkest of Times‘ ist dennoch eher für ältere Jugendliche und Erwachsene geeignet – immer vorausgesetzt, die Spieler*innen wollen sich Zeit nehmen für lange Textpassagen und Dialoge. Agiert werden kann in zwei Spielmodi. Sowohl die ‚Erzählung‘ als auch der ‚Widerstand‘ erfordern viel strategisches Denken, wobei letzterer Modus herausfordernder ist, da die einzelnen Entscheidungen größere Auswirkungen haben und die Moral der Gruppe schwerer zu erhalten ist. Auf diese Weise bietet das Spiel für erfahrene Strateg*innen und für Neulinge gleichermaßen Spielerlebnis.
Aufgrund der Länge des Spiels scheint ein Einsatz im Unterricht eher schwer umsetzbar. Eher denkbar wäre die Verwendung zumindest einzelner Kapitel in der offenen Jugendarbeit unter pädagogischer Anleitung. Den Geschichtsunterricht kann das Spiel nicht ersetzen, es bietet aber einen anderen, interaktiven Zugang und zeigt, welcher Druck damals auf den Menschen lastete und welche Anstrengungen sie unternahmen. Spieler*innen können so ihr Wissen auffrischen, vertiefen oder zu weiterer Beschäftigung mit dem Thema animiert werden. Positiv hervorzuheben ist die Herangehensweise an das Thema. Das Fokussieren auf die Schicksale normaler Bürger*innen grenzt ‚Through the Darkest of Times‘ von anderen Videospielen ab, in denen vor allem Weltkriegsabenteuer im Vordergrund stehen. Die Spieler*innen setzen sich mit einer einschneidenden Epoche deutscher Geschichte auseinander, deren Aufarbeitung nie an Relevanz verliert. „Du bist nicht verantwortlich für das, was passiert ist. Aber du bist sicherlich dafür verantwortlich, dass es nicht wieder passiert.“ mit diesen Worten endet das letzte Kapitel und gibt den Spieler*innen einen Denkanstoß und eine Mission für das reale Leben mit auf den Weg. Die App ist sowohl für Android als auch für iOS erhältlich, der Titel kann ebenfalls als Computerspiel erstanden werden.
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Dana Neuleitner
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Kati Struckmeyer: Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien
Haus Eins (2020). Nur 30 Minuten? Podcast, kostenlos verfügbar bei diversen Podcast Apps.
„Darf ich TikTok haben? Darf ich YouTube? Mama, ich will Instagram! Darf ich ZOCKEN???" „Na gut, aber nur 30 Minuten. Und dann machst du aus, ja?“ Der Trailer des Podcasts macht gleich das große Thema auf, das Patricia Cammarata, Speakerin, Autorin und Podcasterin und Marcus Richter, Journalist und Moderator, in ihrem Podcast bearbeiten. Es wird über relevante Themen in Sachen Medienerziehung gesprochen, und das sehr fundiert, sehr sympathisch und auch sehr unterhaltsam.
Der von Ende 2019 bis März 2020 erschienene Podcast widmet sich dabei in jeweils einzelnen Folgen à circa 45 Minuten folgenden Themen: Wie gelingt Medienerziehung? YouTube, WhatsApp, Cyber-Mobbing, wie schätze ich neue Medienphänomene ein? Computerspiele, Sucht, Internetpornografie, Kinderfotos im Netz sowie individuelle Hörer*innenfragen in der letzten Folge.
Cammarata und Richter sehen Eltern in der Rolle als Lernbegleiter*innen, die nicht alles wissen, aber den (medialen) Weg ihrer Kinder mitgehen müssen. Wichtigste Voraussetzung für diesen Weg sei eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kind. Wobei Medien hier sogar helfen können. Gespräche über Medien bzw. gemeinsame Nutzung von Medien können und sollten auch Teil der Beziehungsarbeit innerhalb einer Familie sein. Hierfür liefern die Podcaster*innen auch konkrete Tipps – zum Beispiel Apps, Computerspiele sowie YouTube-Kanäle, die sie aus Sicht der Kinder und der Eltern sowie auch auf ihr Potenzial für eine gemeinsame Nutzung beleuchten. Eine weitere wichtige Grundsäule Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien ist für Cammarata und Richter die künstliche Trennung von analoger und digitaler Welt, die es aufzuheben gelte. Medien seien Teil der Wirklichkeit fast aller Heranwachsenden und müssten auch so behandelt werden, statt sie in eine Parallelwelt zu verschieben, was viele Probleme mit sich bringe.
Wenn die Podcaster*innen Medienangebote genauer beleuchten und erklären, dann immer aus der Sicht von zwei Kulturoptimist*innen. Diese Sicht müsste sich aufgrund der sachlichfundierten, angenehm unaufgeregten Art und Weise auch auf eher kulturpessimistisch angehauchte Hörer*innen übertragen.
Besonders hervorgehoben seien die Folgen zu Computerspielen und Sucht – zwei Themen, die auch auf medienpädagogischen Elternabenden regelmäßig heiß diskutiert werden. Die Folge ‚Ist alles Sucht, was wir Sucht nennen?‘ macht dieses sehr polarisierende Thema ganz sachlich und ruhig auf. Was ist laut dem Internationalen Klassifizierungssystem für Krankheiten (ICD 11) überhaupt Sucht? Beim Blick auf die Definition wird schnell klar, dass vieles, was gerade von Medienkritiker*innen als Sucht bezeichnet wird, eher Phänomene sind, die in diesem Zusammenhang falsch diskutiert werden. Gerade das Phänomen der exzessiven Mediennutzung entsteht wiederum oft im Zusammenhang mit Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden und muss individuell betrachtet werden. Professionelle Hilfe sei dabei immer ratsam, sind Cammarata und Richter sich einig, und nennen auch gleich mehrere Anlaufstellen für Eltern, deren Kinder zu viele Medien (welcher Art auch immer) nutzen. Außerdem folgen Tipps, wie man mit Kindern Strategien einüben kann, ihre Impulse in Bezug auf Mediennutzung zu kontrollieren, was eine wichtige Entwicklungsaufgabe Heranwachsender sei. Auch dem Zustand des Flows in Bezug auf Medien wird genau auf den Grund gegangen. In der Folge zu Computerspielen wird vor allem Eltern Hilfestellung gegeben, die selbst wenig Erfahrung damit haben. Es geht um die Frage, wie man in das Thema eintauchen kann (auch, wenn man nicht selbst spielen will), wie man mit Kindern ins Gespräch darüber kommt, was man beim Thema Kommunikation in Online-Spielen beachten muss, wie es in Spielen um Datenschutz und Werbung steht sowie, wann es ein Zuviel an Spielen wird. Auch hier wird die Folge von konkreten Spiele- und Ratgebertipps abgerundet.
Zwei Regeln geben die Podcaster*innen den Zuhörenden immer wieder mit:
1. Redet miteinander!
2. Ohne Aufwand geht es nicht!
Gerade die zweite Regel beinhaltet die dringende Aufforderung, sich mit den Medienvorlieben und der Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen, was mühsam sein kann, aber unabdingbar und fast immer auch lohnenswert ist. Ziel sei es dabei immer, bei den Heranwachsenden das Bewusstsein zu schaffen bzw. zu schärfen, dass auch sie die Welt in ihren Händen halten und mitgestalten können und sollen.
Der Podcast ist eine Inspirations- und Wissensquelle für alle, die in der medienpädagogischen Elternarbeit unterwegs sind. Sowohl, um den eigenen Wissens- und Erfahrungshorizont zu erweitern, als auch als Handreichung, die Eltern mitgegeben werden kann. Unterstützt wurde die Produktion der ersten Staffel des Podcasts vom Elternratgeber SCHAU HIN!. Nach den Sommerferien erscheinen noch zwei Folgen, dann ist das Projekt beendet. Eltern können ihre Fragen zu digitalen Medien ab August aber auf SCHAU HIN! in der Rubrik #fragdasNuf stellen, die dann von Patricia Cammarata
beanwortet werden.
Ebenfalls verfügbar sind die Inhalte des Podcasts in dem 2020 im Eichborn Verlag erschienen Buch ‚Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss! Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel' von Patricia Cammarata (16,60 €).
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Kati Struckmeyer
Beitrag als PDF
Stefanie Neumaier: Disney+. „If you can dream it, you can do it“
The Walt Disney Company (2020). Disney+. App u. a. für iOS, Android und Windows. Als monatlich kündbares Abonnement 6,99 € monatlich bzw. 69,99 € jährlich.
Willkommen am magischsten Ort der Welt. Hier werden (nicht nur) Kinderträume wahr: Kaum zurück aus den unzähligen Abenteuern von Jack Sparrow und seiner Crew, schwingt im nächsten Augenblick bereits ein*e Jedi-Meister*in sein*ihr Lichtschwert im Kampf gegen das Imperium. Und auch der süße Honigfanatiker Winnie Puuh ist mit von der Partie, wenn nicht gerade Wolverine ein paar Schurken mithilfe seiner X-MEN zur Strecke bringt oder Hannah Montana die Zuschauer*innen auf ein Privatkonzert entführt. Selbst für eine Prinzessinnen-Teeparty fehlt es an nichts, Gäste wie Cinderella, Dornröschen und Die Eiskönigin können es kaum erwarten!
Wenn etwas diese berühmten Figuren vereint, dann ist es wohl ihre Zugehörigkeit zur Walt Disney Company. Und so hieß es in Deutschland ab dem 24. März dieses Jahres: Vorhang auf! Bühne frei für den neuen Streaming-Dienst Disney+. Dabei glänzt die Plattform neben altbekannten Eigenproduktionen unter anderem mit Werken der Pixar Animation Studios, dem Marvel-Universum, der Star Wars Saga sowie graphisch höchst anspruchsvollen Filmen, Serien und Dokumentationen von National Geographic. Mit der Kategorie Disney+ Original platziert die Walt Disney Company zudem Neuheiten aus eigenem Hause, beispielhaft genannt seien hier die finale Staffel von Star Wars: The Clone Wars sowie die erste Staffel der Familienkomödie Tagebuch einer zukünftigen Präsidentin.
Mangelt es an neuen Inhalten? Am Beispiel des Remakes von High School Musical zeigt sich, dass mit der Angebotspalette von Disney+ nicht nur mit alt bewährten Klassikern den etablierten Plattformen Konkurrenz gemacht, sondern auch neue Pferde ins Rennen geschickt werden. So erscheint derzeit im wöchentlichen Rhythmus eine neue Folge von High School Musical: Das Musical: Die Serie, wenngleich dieses Beispiel nicht gerade die erste Wahl für bahnbrechende Inszenierungen sein sollte. Außerdem halten Motto-Events, wie May the 4th be with You, anlässlich des internationalen Star Wars Day am 4. Mai eines jeden Jahres, Einzug. Passend hierzu wurde in diesem Jahr die neunte und letzte Episode der Star Wars Filmreihe, Der Aufstieg Skywalkers, gelauncht.
Blickt man durch medienpädagogische Brillengläser auf die Inhalte von Disney+ so kann konstatiert werden, dass insbesondere durch die zahlreichen Dokumentationen ein (Weiter-)Bildungspotenzial vorhanden ist. Dennoch darf die Gefahr der Bespaßungsfunktion, insbesondere in Zeiten von geschlossenen Kitas, Homeschooling und Doppelbelastung durch Homeoffice und Kinderbetreuung, nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich überwiegen die unterhaltenden, zeitvertreibenden Inhalte bei weitem. Ferner sollte seit eh und je im medienpädagogischen Kontext bedacht werden, Gender-Klischees der Disney-Produktionen mit Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten und entsprechend zu reflektieren, um beispielsweise nicht den konstruierten Schönheitsidealen der makellosen Prinzessinnen und muskelbepackten Superhelden zu verfallen.
Neben der intuitiven Handhabung spricht aus Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes für die Plattform, dass diese nicht nur die Option eines mit ausschließlich kindgerechten Inhalten befüllten Kontos bietet, sondern auch bei allen Titeln stets die Altersfreigabe zu Beginn eingeblendet und gegebenenfalls auf gewalthaltige Szenen im Vorfeld hingewiesen wird. Die Möglichkeit zum Download der Filme und Serien auf mobile Endgeräte bietet den Vorteil, dass Nutzende orts- und zeitunabhängig darauf zugreifen können. Aus rein technischer Perspektive gilt es hierbei jedoch zu kritisieren, dass die App bei mobilen Endgeräten Nachbesserungen in der Auflösung zu benötigen scheint.
Ob sich eine langfristige Investition in das Abonnement lohnt wird sich erst noch mit Neuerscheinungen aus der Magiemanufaktur zeigen. Bisweilen steht fest, dass Liebhaber*innen von Marvel und Co. wohl nicht darauf verzichten können, ein Abonnement abzuschließen. Für Nutzende, die allzeit Zugriff auf das gesamte Spektrum der Disney-Film- und Serienlandschaft genießen wollen, scheinen die monatlichen 6,99 € beziehungsweise das in der Summe günstigere Jahresabonnement für 69,99 € unabdingbar. Aber auch ein monatliches Rotieren bei einzelnen Streamingdiensten scheint, mit der zunehmenden Unmöglichkeit, alles zu sehen, für Gelegenheits-Konsument*innen sinnvoll. Fest steht: die Disney+ Plattform verspricht Serien, Filme, Dokumentationen und Behind-the-Scenes Darbietungen, welche allesamt die einzigartige Magie beinhalten, die die Walt Disney Company seit jeher ihren Zuschauer*innen näherbringt. Ein Zauber für Jung und Alt.
Michael Gurt: RingFit Adventures für Nintendo Switch. Digitaler Breitensport für Anfänger?
Nintendo Entertainment (2019). Ring Fit Adventures, für Nintendo Switch, 79,99 €.
Ein Nachteil am Berufsbild von Medienpädagog*innen ist die häufige ungesunde Sitzhaltung während der Arbeitszeit. Bei manchen kommt eine ausgeprägte Leidenschaft für digitale Spiele oder andere mediale Ablenkungen erschwerend hinzu, die sich ungünstig auf die allgemeine körperliche Verfassung auswirken können. Wie heißt es doch so schön: Sitzen ist das neue Rauchen. Das Spiel RingFit Adventures für Nintendo Switch verspricht Abhilfe. Wie schon zu Wii-Zeiten will Nintendo den Gamer*innen Beine machen. Mit Ring Fit Adventures veröffentlichte Nintendo am 18. Oktober 2019 ein Rundum-Fitness-Angebot für das heimische Wohnzimmer. Das Fitness-Programm ist in eine simple, aber effektive Spielmechanik integriert: Um einem gefährlichen Widersacher, dem wüsten Drachen Draco, den Garaus zu machen, müssen die Spielenden in einer Art Parcours in einer 3D-Landschaft Aufgaben erfüllen, Gegner*innen bekämpfen und Ausrüstung einsammeln. Im Prinzip wie in einem Action Adventure für Einsteiger*innen. Nur, dass die die Bewegung der Spielfigur und der gesamte Spielverlauf durch die eigene Muskelkraft gesteuert bzw. vorangetrieben werden.
Was wird hier gespielt? Begleitet werden die Spielenden auf dieser schweißtreibenden virtuellen Reise von einem ringförmigen Sportsfreund, der dem Spiel seinen Namen gibt. In der virtuellen Welt ist der Ring eine Art Reiseführer, der Kommandos gibt, motiviert und korrigiert – je nach Bedarf und Belastbarkeit der Spielenden. In der Realität ist der Ring ein Trainingsgerät, das je nach eingeblendeter Übung auf andere Weise gestreckt, gequetscht oder angehoben wird. Das zweite Eingabegerät ist eine Beinschlaufe, die – ebenso wie der Ring – mit einem der beiden Joy-Cons (den abnehmbaren und einzeln verwendbaren Controller-Hälften der Switch) bestückt wird. Durch die Sensoren in den Joy-Cons können die Bewegungen in das Programm übertragen werden. Damit werden Bewegungen der Spieler*innen wie Laufen, Springen, Dehnen und Hüpfen ins Spiel gebracht. Zunächst gibt es aber erstmal einen Fitness-Check. Die Spielenden dürfen Alter, Gewicht und Trainingsstand eingeben, außerdem wird der Ruhepuls gemessen. Danach werden Trainingsziele und Spielmodus eingestellt. Im Abenteuermodus wird die Spielfigur durch einzelne Abschnitte der Landkarte einer Fantasy-Welt bewegt. In einzelnen Kapiteln, die jeweils etwa fünf bis zehn Minuten dauern, geht es durch verschiedene Welten, mal idyllisch durch den Wald, mal durch die Wüste. Dabei zeigt sich die vielseitige Verwendbarkeit des Fitness-Rings: Unterwegs werden Hindernisse zerstört, indem der Ring zusammengedrückt wird. Münzen können eingesammelt werden, indem der Ring in die jeweilige Richtung gedreht und zusammengedrückt wird. Treppensteigen funktioniert, indem die Knie beim Laufen in die Höhe schnellen. Die Steuerung ist schnell gelernt und intuitiv.
Durch die spaßige Spielmechanik fühlt sich das Ganze nicht wie Training an – man kommt aber auf jeden Fall ins Schwitzen. In fast jedem Abschnitt gibt es Kämpfe, die in Form von Fitnessübungen absolviert werden. Will man einen Kampf siegreich gestalten, kommt es auf die korrekte Ausführung der Übungen und ein gutes Timing an. Damit es nicht zu schwierig wird, gibt es Hilfsmittel im Spiel: Die Möglichkeit, sich mit virtuellen Tränken zu stärken, seine Werte durch Ausrüstung zu verbessern und Attacken zu stärken, erinnert an ein Rollenspiel. Für die kurze Trainingseinheit zwischendurch bietet Ring Fit Adventures die Schnellspiele an, in denen die Spieler*innen in diversen Minispielen auf Punktejagd gehen. Für etwas ‚ernsthaftere‘ Trainingseinheiten lassen sich Übungen aus dem Abenteuermodus auch ohne Hintergrundgeschichte auswählen. Das Spiel verfügt übrigens über einen ‚leisen Modus‘, der jederzeit aktiviert werden kann. Damit benachbarte Menschen nicht gestört werden, ersetzt diese Einstellung das Joggen auf der Stelle durch Mini-Kniebeuge. Das Konzept geht auf. Originelle Spielideen haben bei Nintendo Tradition: Die zu ihrer Zeit enorm beliebten Wii Bewegungsspiele wie etwa Boxen oder Tennis haben die Bewegungssteuerung salonfähig gemacht und besonders Familien neue, interaktive Spielformen ermöglicht. Ebenfalls enormen Einfallsreichtum hat Nintendo mit dem Konstruktionsspielzeug Nintendo Labo für die Switch bewiesen. Bastelbögen aus Karton werden in Kombination mit den Joy-Cons zu interaktivem Spielzeug. Das Konzept von RingFit Adventures ist ähnlich innovativ und geht voll auf: Selten durfte auf so spielerische Weise am eigenen Fitnesszustand gearbeitet werden. Das Spiel ersetzt Sport nicht im traditionellen Sinn. Joggen im Freien, Mannschaftssportarten oder ‚richtiges‘ Fitnesstraining sind wahrscheinlich besser geeignet, die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern und gesundheitlichen Problemen vorzubeugen. Das Spiel kann aber die Lust an der Bewegung fördern und regt Fitnessmuffel an, auf spielerische Weise in Bewegung zu bleiben. Gerade für Menschen, die für Sport eigentlich wenig übrig haben und viel am Computer sitzen, kann so ein Ausgleich geschaffen werden. Als Spiel funktioniert RingFit Adventures erstaunlich gut: Der Einstieg ist sehr leicht, die Lernkurve nicht besonders steil und die Motivation weiterzuspielen ist durch ein ausbalanciertes Anreizsystem und immer neue Herausforderungen gegeben. Zugegeben ist die Geschichte nicht sehr originell und die grafische Umsetzung eher auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten. Kindern ab etwa sechs Jahren dürfte das Spiel viel Spaß machen. Das Spiel ist ohne Altersbeschränkung freigegeben, die Aufgaben und Trainingseinheiten sind gut für eine jüngere Zielgruppe anpassbar. Die bunte Comicgrafik dürfte spielbegeisterten Mädchen und Jungen gefallen, die Geschichte rund um die Rettung einer geheimnisvollen Welt sowieso. Der Humor des ‚Trainingspartners‘, dem virtuellen Ring, ist ebenfalls eher kindlicher Natur. Auch die Kämpfe, die in Form von Übungen ausgetragen werden, dürften selbst jüngere Kinder nicht schrecken. Einziger Kritikpunkt ist, dass es keinen echten Multiplayermodus gibt. Zwar können sich zwei Spieler*innen abwechseln und Leistungen vergleichen, echtes Teamwork ist aber nicht vorgesehen. Eigentlich schade, denn gerade für Kinder wäre es sicher besonders reizvoll, sich gemeinsam mit Freund*innen oder der Familie ins virtuelle Fitnessabenteuer zu stürzen.
Dana Neuleitner: KryptoKids. Datenschutz spielerisch erklärt
Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (2020). KryptoKids. App für iOS. Kostenfrei.
Ein weißer Krake mit roten Augen flimmert über den Bildschirm. Seine Fangarme bewegen sich wild, als er verkündet, alle Geheimnisse der Zuschauer*innen zu kennen – dann sind nur noch Pixel zu sehen. Gerade noch hat die Nachrichtensprecherin eröffnet, dass eine Hackergruppe deutschlandweit personenbezogene Daten gestohlen hat, da hat diese auch schon die Fernsehübertragung lahmgelegt. Nun liegt es an den KryptoKids, die Daten zurückzuholen, ehe die Kriminellen sie für ihre Zwecke missbrauchen und an die Höchstbietenden verkaufen.
Dieses Szenario bildet den narrativen Grundstein der App KryptoKids, die den Spieler*innen Medienkompetenz im Bezug auf Datenschutz vermitteln möchte. Inzwischen ist es beinahe allen Kindern möglich, zuhause auf das Internet zuzugreifen. Gerade deshalb ist es wichtig, bereits diese junge Zielgruppe für das Thema zu sensibilisieren. Anders als bei anderen Apps, die sich in der Regel an ältere Kinder und Jugendliche richten, soll hier bereits Acht- bis Zwölfjährigen der richtige Umgang mit Passwörtern und eigenen Daten nahegelegt werden. Dafür setzt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW in Kooperation mit Entwickler*innen des Gluon Studios auf ein Abenteuerspiel, das aus drei Kapiteln besteht. Diese bauen aufeinander auf und führen die Heranwachsenden mit niedlichem, farbenfrohem Gamedesign durch die Themenbereiche ‚Datenschutz‘, ‚Datensicherheit‘ sowie ‚Datenspuren und Hacking‘. Die Teilnehmenden werden dabei von den KryptoKids um Hilfe gebeten, die gestohlenen Daten zurückzuholen.
Nach einer einleitenden animierten Videosequenz und einer kurzen Erklärung der spielinternen Apps, zu denen beispielsweise ein E-Mail-Postfach, ein Wiki und ein Scanner gehören, sollen im ersten Teil der Detektivgeschichte die gestohlenen Daten gefunden werden. Diese werden mit Hilfe der Kamera in einer Augmented-Reality-Umgebung eingefangen und deren Wert auf dem Schwarzmarkt geschätzt – wer hier gut aufpasst, kann sich allerdings die bereits angezeigten Lösungen für die nächsten Runden merken. Das zweite Kapitel beschäftigt sich zunächst mit der Sicherheit durch Updates, eine Firewall oder ein Antivirus-Programm, wobei sich die Spieler*innen prinzipiell einfach durchklicken können, ohne über die Botschaft dahinter nachzudenken.
Komplizierter wird es erst bei der Verschlüsselung von Daten. Veranschaulicht wird dieser komplexe Bereich mit der einfachen symmetrischen Cäsar-Verschlüsselung, wie sie laut Überlieferung bereits der gleichnamige Feldherr verwendete. Hier ist besonders viel Konzentration gefragt, denn es muss nicht nur ein neues, sichereres Passwort statt des bisherigen Passworts „admin“ gefunden und mit der Cäsar-Scheibe codiert werden, sondern nach einem kleinen Rätsel auch eine Nachricht der DatenKraken dechiffriert werden. Diese Verschlüsselungstechnik nimmt entsprechend viel Raum innerhalb der App ein und wirkt dadurch etwas repetitiv. Für ein sicheres Passwort in der Realität ist diese Technik nicht unbedingt notwendig, sie kann jedoch dafür dienen, bei der jungen Zielgruppe ein Grundverständnis für Kryptographie zu schaffen. Anschließend folgt das zweite AR-Minispiel, in dem die Spieler*innen die durch kleine Dreiecke dargestellten Daten in eine Box feuern müssen, welche nach erfolgreicher Mission verschlossen wird. Diese AR-Elemente machen Spaß, da sie die Umgebung mit ins Spiel holen und etwas Action gefragt ist. Die Bedeutung der Verschlüsselungsaufgabe rückt nach dem Spielspaß jedoch etwas in den Hintergrund. Das dritte Kapitel gestaltet sich im Vergleich einfacher, obwohl die KryptoKids nun von den Hacker*innen angegriffen werden, die sich durch eine realitätsnah mit Rechtschreibfehlern und Dateianhang ausgestattete, betrügerische E-Mail Zugang erschlichen haben. Denn sobald einige Viren durch Drauftippen und -schießen in der Augmented Reality erledigt wurden, können die Hacker*innen endlich über ihre IP-Adresse ausfindig gemacht werden.
KryptoKids besticht mit einer kindgerechten Herangehensweise an ein komplexes Thema, das gut heruntergebrochen und dadurch für Pädagog*innen leichter vermittelbar wird. Durch den Einbau in eine narrative Ebene innerhalb des Spiels werden die sonst trockenen Inhalte nachvollziehbarer und ansprechender – wenn man die App nicht bloß durchspielt, sondern die Inhalte in einem pädagogischen Rahmen präsentiert bekommt. Darauf weisen auch die Herausgeber*innen selbst auf ihrer Webseite hin. Dort finden sich zahlreiche Begleitmaterialien, welche für den Einsatz der App zum einen nötig sind, das Erlebnis zum anderen aber auch nachhaltig erweitern können. Dazu gehören etwa Quizkarten, Marker für die AR-Elemente sowie eine ausführliche Handreichung mit ergänzenden Fragen und Gruppenspielen. Hieraus folgt auch, dass die App nicht ohne die Hilfe von Erwachsenen sinnvoll nutzbar ist, die Aufgabenstellung manchmal nur durch die Handreichung transportiert wird, und diese Vorgänge viel Vorbereitungsaufwand erfordern. Deswegen ist ihr Einsatz eher für außerschulische Aktivitäten, etwa in Jugendzentren, oder für ganze Projekttage statt in einzelnen Unterrichtsstunden denkbar.
Der App gelingt es, auf reduzierte Weise viele Bereiche des Themas Datenschutz anzusprechen und Verständnis für die Wichtigkeit von Datenschutz zu entwickeln, wobei die nachhaltige Vermittlung durch eine pädagogische Begleitung erreicht werden muss. Das integrierte Wiki ist mit kurzen, verständlichen Erklärungen ausgestattet, die eine oder andere Vokabel aus dem Spiel, wie Datensicherheit oder Geokoordinaten, taucht jedoch nicht auf. Ein mögliches Hindernis für die Verwendung der App ist, dass sie bisher nur für iOS-Geräte erhältlich ist. Die Ausstattung mit iPads ist allerdings längst nicht in allen Schulen, vor allem Grundschulen, Standard. Das Projekt bietet jedoch die Möglichkeit, Koffer mit Tablets und dem ergänzenden Spielmaterial gegen einen Aufpreis zu leihen oder auch eine*n Medienpädagog*in hinzuzuziehen. Die Mischung aus Spieleinheiten mit der App und einer genaueren Auseinandersetzung in der Gruppe verspricht viel Abwechslung und die Chance, Kinder in ihrer kompetenten Mediennutzung zu fördern. Schließlich sollte ihnen bestenfalls bereits bei der ersten Nutzung von Smartphone, Tablet und Co. zumindest in den Grundzügen bewusst sein, wie sie sich und ihre Daten schützen können.
Markus Achatz: Keine Zeit für gewöhnliches Kino
Die Jubiläumsausgabe der Berlinale: neue Leitung, leichte Änderungen der Programmsektionen, ein durchschnittlicher WettbewerB und gute Filmen in GENERATION, der Schiene mit Filmen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (Kplus und 14plus). Viele Diskussionen und Berichterstattungen drehten sich dieses Mal um das neue Berlinale Leitungs-Duo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, wie beinahe in jedem Jahr wurde viel über die Qualität der Wettbewerbsfilme gesprochen und die Frage, welche Stars nach Berlin kämen. An dieser Stelle soll es jedoch um die Filme gehen.
Bei den 70. Internationalen Filmfestspielen 2020 konnte durchaus wieder die Vielfalt der Kunstform Kino gefeiert werden. Die Vorführungen waren bestens besucht und das Publikum hat sich den gesellschaftlichen und politischen Themen vieler Filmbeiträge gestellt. Insbesondere in der Sektion GENERATION war es ein guter Jahrgang, in dem die Zuschauer*innen manche Filme frenetisch bejubelt haben, aber auch die Q&A-Runden für kritische und unbequeme Fragen nutzten. Es gab formal wie inhaltlich anspruchsvolle Filmerzählungen, die auch das junge Publikum herausforderten und bewiesen, dass Kino nach wie vor ein politischer Raum sein kann. GENERATION-Leiterin Maryanne Redpath fasste treffend zusammen: „Dies ist keine Zeit für gewöhnliches Kino“.
Starke Filme von Regisseurinnen
Im Generation Programm liefen insgesamt 59 Filme (ca. die Hälfte davon Langfilme) aus 34 Nationen. 29 Filme waren Weltpremieren und bei knapp 60 Prozent führten Frauen Regie. Eine verstärkt weibliche Perspektive sorgte im Hinblick auf die Themen und Inhalte für spannende Beiträge. Zahlreiche Geschichten stellten Protagonistinnen ins Zentrum und zeigten facettenreiche jugendliche Hauptfiguren: heldenhaft, rebellisch, mutig und provokant, aber auch fragend, offen, verletzlich und einzigartig.
Mädchen, die nicht aufgeben
Drei der Filme für Jüngere in GENERATION Kplus zeichneten sich durch starke Ensembleleistungen aus. Las Niñas (Schoolgirls) handelt von einer Gruppe Schülerinnen in einer katholischen Mädchenschule im Spanien der 1990er Jahre. Nachdem eine neue Mitschülerin in die Klassen gekommen ist, beginnt die eher zurückhaltende Celia (Andrea Fandos) gegen die strengen Regeln aufzubegehren. Zunächst in eher kleinen Gesten, bestärkt durch Texte aus Popsongs und die Dynamik ihrer Peergroup wird die Elfjährige rebellisch und stellt für die Erwachsenen unangenehme Fragen. Nicht zuletzt an die Mutter (Natalia de Molina), die Celias Herkunft bislang hinter einer Fassade aus Lügen verstecken konnte. Regisseurin Pilar Palomero hat in Sarajevo Regie studiert und zeigt mit Las Niñas ihr Spielfilmdebüt.
Zwischen Zugehörigkeit und Abrenzung
Der französische Film Mignonnes (Die Süßen) von Maïmouna Doucouré hat eine thematische Parallelität zu Las Niñas. Auch hier prallen konservative, religiös-motivierte Traditionen der Elterngeneration mit den aufkeimenden Wünschen der Heranwachsenden aufeinander. Amy ist elf und mit ihrer Familie aus dem Senegal nach Paris gezogen. Das Mädchen ist fasziniert von einer Gruppe Mädchen, die für sie ungewohnt freizügig gekleidet sind und jede freie Minute nutzen, um Tanzübungen zu machen. Amys Mutter erfährt, dass der Vater eine Zweitfrau heiraten und sie mit nach Paris bringen wird. Die Mutter ist entsetzt und traurig und ahnt nicht, dass Amy alles mitgehört hat. Unter den wachsamen Augen der streng konservativen Tante muss Amy zur muslimischen Betstunde gehen und helfen, die Zweithochzeit des Vaters vorzubereiten. Sie will aber unbedingt bei der Tanzgruppe dabei sein und auch so modern und sexy aussehen, wie die anderen Mädchen. Das familiäre Drama verdrängend, setzt sie alles daran, zu Tanzen, in der Clique dazu zu gehören – und überschreitet dabei immer mehr die Grenzen. Mignonnes ist bunt und musikalisch. Die ausschweifenden Tanzperformances, in denen sich die Teenies lasziv tanzend zur Schau stellen, irritieren im Verlauf der Geschichte jedoch mehr und mehr. Gegen den Eindruck, dass der Film selbst mit stereotypen Geschlechtsrollen spielt, helfen die Auskünfte der Regisseurin beim Q&A nach dem Screening: Maïmouna Doucouré wollte das Extreme am Zwiespalt der heranwachsen Mädchen zeigen, wenn sie auf der Suche nach ihrer weiblichen Identität sind und sich mit tradierten Rollenbildern auseinandersetzen müssen. Doucourés eigene Erfahrungen sind in die Geschichte eingeflossen. Wirklich stark machen den Film letztlich vor allem die Nachwuchsdarstellerinnen – allen voran Fathia Youssouf (Amy) und Médina El Aidi-Azouni (Angelica).
Trauma des Verlusts
Nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera, bestand das komplette Team im argentinischen Film Mamá, Mamá, Mamá ausschließlich aus weiblichen Akteurinnen. Wie auch in den anderen beiden genannten Filmen, ist auch hier die Regisseurin gleichzeitig die Autorin. Sol Berruezo Pichon-Rivières Debütfilm hat eine starke Exposition: Cleo ist 12 Jahre alt und soeben ist ihre kleine Schwester Erin im familieneigenen Pool hinter dem Haus ertrunken. Das Haus wird nun von Cleos Tante und ihren Töchtern bevölkert, während sich ihre Mutter in ihr Schlafzimmer zurückzieht und nicht mehr ansprechbar ist. Hieraus entwickelt sich ein Kammerspiel, das Cleos nun völlig auf den Kopf gestellte Welt in Bruchstücken aus Gesprächen mit und zwischen ihren Cousinen zeigt, die durch Trauer und Erinnerungsfetzen durchbrochen werden. Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Zäh und wie in Trance geht das Leben weiter.
In diesem Jahr hat sich die Internationale Jury von Generation Kplus entschieden, zwei „Lobende Erwähnungen“ auszusprechen, die gleichermaßen an Mignonnes und Mamá, Mamá, Mamá gingen. Den Großen Preis in Kplus hat der Film Los Lobos erhalten.
Wölfe weinen nicht
Gemeinsam mit ihrer Mutter Lucía haben der achtjährige Max und sein drei Jahre jüngerer Bruder Leo ihre mexikanische Heimat verlassen und es in die USA geschafft. In Albuquerque/New Mexico kommen sie in einem kahlen 1-Zimmer-Appartement unter. Die völlig verdreckte Wohnung lässt einem den Atem stocken und alles ist ganz anders, als es sich Max und Leo vorgestellt haben. Sie wollten nach Disneyland und nun müssen sie jeden Tag allein in der notdürftigen Unterkunft bleiben, während ihre Mutter auf Arbeitssuche ist.
Der Film Los Lobos (Die Wölfe) des mexikanischen Filmemachers Samuel Kishi Leopo stellt die Perspektive der beiden Jungs zentral in den Mittelpunkt und rückt dabei stets sehr nah an sie heran. Auf dem mitgebrachten Kassettenrecorder hat Lucía Regeln für die Kinder aufgenommen: Nur mit Schuhen auf den verdreckten Teppich gehen, nicht weinen, sich nach einem Streit umarmen, das Zimmer aufräumen, auf gar keinen Fall jemals das Appartement verlassen. Lucía findet Arbeit, während für die beiden Jungen die Tage allein endlos werden. Die Situation wird zunehmend schwieriger. Sie erhalten die Aufgabe, mit Hilfe des Kassettenrecorders Englisch zu üben. „We want to go Disney. A ticket please.“ Die kahlen Wände des Zimmers werden zu einer Projektionsfläche für Max und Leo, sie zeichnen dort Heldenfiguren, die sie mit ihrer Fantasie zum Leben erwecken. Kishi Leopo webt dazu animierte Szenen in den Film ein. Die Jungen wissen, sie müssen starke Wölfe sein, um zu überleben. „Wölfe weinen nicht. Wölfe beißen. Sie heulen. Und beschützen ihr Zuhause.“
Migrationserfahrung
Los Lobos ist ein Highlight der Berlinale 2020: eindrücklich wie schonungslos, gleichermaßen authentisch und poetisch – der Film fesselt und berührt. Samuel Kishi Leopo erzählt darin seine eigene Geschichte – und die seines jüngeren Bruders. Sie sind in den 1980er Jahren mit ihrer Mutter aus Mexiko in die USA emigriert. Samuels Bruder Kenji Kishi Leopo hat die Musik für den Film komponiert. Sie verstärkt die Intensität der Story noch, indem den einzelnen Hauptfiguren Instrumente und Melodielinien zugeordnet werden. Besonders hervorzuheben sind zudem die außerordentliche Kameraarbeit von Octavio Arauz und die schauspielerische Leistung. Martha Reyes Arias spielt Lucía liebevoll und bestimmt. Die beiden Jungen Maximiliano Nájar Márquez und Leonardo Nájar Márquez sind auch in Wirklichkeit ein Brüderpaar, deren Besetzung sich als wahrer Glücksfall erwiesen hat.
Es sind tiefgehende Szenen, die Los Lobos unvergesslich machen. Beispielsweise wie Max hadert, wenn er zu den im Hof spielenden Kindern gehen möchte, aber weiß, dass er die Wohnung nicht verlassen darf oder wenn die alte chinesische Vermieterin mit den als Ninjas verkleideten Kindern zu Halloween durch die Nachbarschaft zieht.
Die autobiographischen Züge machen Los Lobos zu Samuel Kishi Leopos bislang wichtigsten Film. Vier Jahre hat er am Buch gearbeitet und bei der Recherche für den Dreh im heutigen Albuquerque die Stimmung vorgefunden, die ihn an die eigenen Erlebnisse der 1980er in Santa Ana (Kalifornien) erinnert haben. Angesichts der heutigen Lage an der Grenze zwischen Mexiko und den USA sowie den weltweiten Flüchtlingsbewegungen ist die Geschichte von Max, Leo und Lucía top aktuell und politisch. Bei seinen Vorarbeiten ist Samuel Kishi Leopo auf den Roman Archiv der verlorenen Kinder der mexikanischen Autorin Valeria Luiselli gestoßen. Das Buch schildert ebenfalls sehr empathisch und leidenschaftlich individuelle Schicksale von Flucht anhand von biographischen Elementen vor dem Hintergrund globaler humanitärer Tragödien (erschienen 2019 im Verlag Antje Kunstmann).
Wähle das Leben!
Im 14plus-Beitrag Kaze No Denwa (Voices in the Wind) nimmt der renommierte japanische Autorenfilmer Nobuhiro Suwa uns und seine Hauptfigur, die 17-jährige Schülerin Haru (Serena Motola) auf eine Reise durch Japan mit. Die Eingangssequenz des Films zeigt eine Texttafel, die erläutert, dass Haru beim Tsunami des Jahres 2011 ihre Eltern und ihren Bruder verloren hat. Wie viele andere Opfer, sind sie bis heute vermisst. Damals war Haru neun Jahre alt. Seit der Katastrophe lebt sie bei ihrer Tante Hiroko (Makiko Watanabe) in der Präfektur Hiroshima. Als beide zum Essen zusammensitzen, überlegt die Tante, bald nach Ōtsuchi zu reisen. Dem Ort, an dem Haru und ihre Familie bis zum Tōhoku-Erdbeben gelebt haben. Haru murmelt nur etwas. Sie redet ohnehin wenig, was sich durch die gesamte Geschichte zieht. Mit einigen wenigen Ausnahmen, wenn sie ihren Schmerz und ihre Trauer in die Welt hinausschreit. Der Verlust lastet schwer auf Haru, aber mindestens genauso stark bedrückt sie die Tatsache, die einzige Überlebende ihrer näheren Familie zu sein. Für das Mädchen wird die Lage noch prekärer, als sie die Tante ohne Bewusstsein im Haus findet. Wartend verbringt sie die Nacht im Krankenhausflur. Die Tante lebt, ist aber nicht ansprechbar. Haru macht sich auf den Weg, um Antworten auf ihre vielen offenen Fragen zu suchen. Die Reise führt sie durch ganz Japan von Hiroshima über Tokio nach Fukushima und weiter bis Ōtsuchi. Dort wartet ein Ziel auf sie, von dem sie zunächst nichts ahnt.
Der 60-jährige Regisseur Nobuhiro Suwa thematisiert in seinen Filmen häufig Reisen und Aufbrüche, lässt seine Protagonist*innen Streunen und Suchen. Er war bereits vor zehn Jahren mit der Filmparabel Yuki & Nina (2009) bei Generation auf der Berlinale vertreten (Rezension in merz 3-2010) und drehte für Paris, je t’aime (2006) die Episode „Place des Victoires“ (mit Juliette Binoche und Willem Dafoe). Auch in Kaze No Denwa verläuft der Roadtrip in Etappen. Das Mädchen trifft auf unterschiedliche Menschen, die für eigene Episoden stehen und jeweils auf empathische Weise Haru auf ihrer Reise weiterhelfen. In den kurzen, aber intensiven Begegnungen lassen sie Haru an ihrem eigenen Schicksal teilhaben und die schweigsame 17-Jährige lernt, dass sie mit ihrem Verlust nicht allein ist. Gleichzeitig nimmt das Mädchen, wenn es weiterzieht, stets ein kleines bisschen von der Last der Menschen mit. Da ist zum Beispiel Kohei (Tomokazu Miura), der Haru weinend auffindet und zu seinem Haus mitnimmt, das durch Zufall von einem Erdrutsch verschont geblieben ist. Hier lebt er mit seiner dementen Mutter. Diese hält Haru zunächst für ihre Tochter, die wie sich herausstellt, vor Jahren Selbstmord begangen hat. In ihren lichten Momenten hat die alte Frau noch gute Erinnerungen an die Atombombe auf Hiroshima. Nach weiteren Episoden trifft Haru auf den ebenfalls stillen Morio (Hidetoshi Nishijima) aus Fukushima, der in seinem Van wohnt, aber ruhelos umherfährt. Morio beschließt Haru bis nach Ōtsuchi zu bringen. Unterwegs halten sie in Fukushima an Morios Haus, das er und seine Familie vor acht Jahren verlassenen haben. Haru erfährt, dass Morio im Atomkraftwerk von Fukushima tätig war und bei der Katastrophe seine Frau und seine Tochter verloren hat. Schließlich erreicht Haru nach rund 1.300 km Ōtsuchi und findet bei den letzten Fundamenten ihres ehemaligen Zuhauses nichts weiter als eine unendliche Einsamkeit. Sie kann jedoch hier ihre Trauer zulassen und hat auf der Reise erkannt, dass es Viele gibt, die Grund zum Verzweifeln haben, aber dennoch nicht aufgeben.
Telefonanschluss ins Jenseits
Harus Weg führt sie noch an ein weiteres Ziel: im Hinterland von Ōtsuchi steht in einem blühenden Garten ein weißes Telefonhäuschen mit einem alten Wählscheibenapparat. Dieser hat keinen Anschluss, kann aber genutzt werden, um mit jenen zu sprechen, die anders nicht mehr zu erreichen sind. Haru hat noch so viele Fragen an ihre Eltern, die sie über das „Wind-Telefon“ stellen kann und die ihr helfen, das zu bewältigen, was noch kommen wird. Haru spricht die längsten Sätze des gesamten Films und aus ihnen klingt nicht nur die unermessliche Trauer, sondern auch ein bisschen Hoffnung: „Ich werde am Leben bleiben. Wenn ich zu euch komme, werde ich eine richtig alte Dame sein. Ich freue mich darauf."
Kaze No Denwa (Voices in the Wind) beruht auf der realen Erdbeben- und Nuklear-Katastrophe vom März 2011 und der wahren Geschichte des „Wind-Telefons“, das sich tatsächlich in diesem idyllischen Garten über dem Meer befindet. Nobuhiro Suwa hat seinen Spielfilm Itaru Sasaki gewidmet, der bereits 2010 – zunächst nur für sich – den Garten und das Telefonhäuschen errichtet hat, um mit seinem verstorbenen Cousin in Kontakt bleiben zu können. Nach dem Tōhoku-Erdbeben und Tsunami, der die Region hart getroffen hat, wurde der magische Ort immer bekannter. Bis heute haben um die 30.000 Menschen Itaru Sasakis Telefon benutzt, das an keine Leitung angeschlossen ist, aber mit dem dennoch eine Verbindung aufgebaut werden kann. Der Film erhielt die „Lobende Erwähnung“ der Internationalen Jury Generation 14plus.
Diversität und Politik
Der Große Preis der Internationalen Jury 14plus wurde an den brasilianischen Film Meu Nome é Bagdá (My Name is Baghdad) vergeben. Ein originelles und engagiertes Plädoyer für Gleichberechtigung und eine offene, tolerante Gesellschaft. Regisseurin Caru Alves de Souza stellt die 17-jährige Skaterin Bagdá ins Zentrum der Geschichte. Sie ist ein selbstbewusstes Mädchen, das Ungerechtigkeit anmahnt und vor allem von ihren männlichen Skater-Kollegen mehr Respekt einfordert. Hauptdarstellerin Grace Orsato stammt selbst aus der riesigen Skaterszene von São Paulo. Sie engagiert sich für bessere Bedingungen der weiblichen Skaterinnen und für einen offeneren Umgang in der brasilianischen Gesellschaft. Der Film macht auf Diskriminierung, Gewalt und Sexismus aufmerksam und zeigt sehr authentisch – auch durch die eingesetzten Laiendarsteller –Anderssein und Vielfalt als Werte des Zusammenlebens. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Brasilien ein hoch politisches Statement.
Dana Neuleitner: KonterBUNT – Kontern gegen Stammtischparolen
Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (2019). KonterBUNT. App für iOS und Android. kostenfrei. USK 12.
Ein sonniger Tag in der Stadt könnte so schön sein, würde man nicht an jeder Ecke auf Stereotype und Stammtischparolen treffen. So geht es zumindest den Spieler*innen der App KonterBUNT. Zwischen den farbenfrohen Gebäuden, die dem Namen der App alle Ehre verleihen, wimmelt es nur so vor Aussagen wie „Homosexualität ist ansteckend!“ oder „Sinti und Roma gehören alle abgeschoben!“. Wie soll man da nur reagieren? Genau das will die App der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung zeigen. User*innen sollen Hilfestellungen erhalten, anhand derer sie Argumentationsstrategien ausprobieren und konstruktive Argumente sammeln können.
Im Minispiel begeben sich die Spieler*innen auf einen Stadtrundgang zu verschiedenen Schauplätzen: Angefangen zwischen Spielplatz und Supermarkt werden die Nutzenden etwa zu einer Bushaltestelle oder einer Bar gelotst, wo sie mit unterschiedlichen Parolen konfrontiert werden. Die Zuordnung von Themen zu gewissen Orten lässt sich dabei nicht immer nachvollziehen, beispielsweise spielt Sexismus beim Besuch der KonterBUNT-Disco keine Rolle. Pro Minilevel warten vier virtuelle Pöbler*innen darauf, innerhalb einer Minute gekontert zu werden. Dabei sind pro Parole vier Antwortmöglichkeiten gegeben. Ziel des Spiels ist es, die richtige Antwort zu finden, und so dem im oberen Bildrand dargestellten „Gegner“ den bestmöglichen Konter zu bieten. Je nach Qualität der Antwort ändert sich dessen Stimmung: Wandert der Zeiger durch gute Antworten in den grünen Bereich, können Spieler*innen die Diskussion für sich entscheiden. Rutscht die Stimmung aber durch unpassende Äußerungen in den roten Bereich ab, eskaliert das Gespräch und die Spieler*innen müssen das Level wiederholen.
Nach acht Zwischenstationen, bei denen sich die Parolen leider ziemlich schnell wiederholen, folgt schließlich der Endgegner: die Familienfeier. Hier geht es besonders hoch her, denn während bisher jeweils Parolen aus meist zwei Themenbereichen bewältigt werden mussten, prasseln hier Aussagen aus allen Feldern auf einen ein. Daneben wird auch der Zeitdruck erhöht: Sieben Aussagen müssen in 40 Sekunden gekontert werden.
Die Spieler*innen müssen sich mit Äußerungen aus acht verschiedenen Themengebieten gegen verschiedene Teile der Gesellschaft behaupten – sei es aufgrund ihrer (sozialen) Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, gewisser Eigenschaften oder ihres Glaubens. Auf diesen Ebenen will die App Anregungen für Nutzende bieten, die sich mit Vorurteilen dieser Kategorien auseinandersetzen wollen, und Tipps für Reaktionen auf ähnliche Kommentare erhalten möchten. Sie können Argumentationsstrategien und Argumente in einem geschützten Umfeld ausprobieren. Auch wenn die Antwortmöglichkeiten vorgegeben sind, können sie sich so einen Überblick verschaffen, welche funktionieren könnten. Denn dass die Antworten der App nicht in jeder Situation und gegenüber jeder*m Gesprächspartner*in die richtigen sein mögen, wird nie behauptet. Es kann schließlich auch nicht davon ausgegangen werden, dass die aufgezeigten Parolen den Spieler*innen genauso beim echten Stadtspaziergang oder der nächsten Familienfeier unterkommen. Doch mithilfe der in der App beschriebenen Strategien werden Nutzende sensibilisiert und könnten den Mut fassen, sich der nächsten Äußerung von Hetze, Hass oder Vorurteilen kritisch gegenüber zu stellen – und sie nicht einfach unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Ähnliche Argumente könnten entkräftet und der Frieden bei Familienfeiern oder dergleichen durch Strategien wie das ‚Brückenbauen‘ oder den Verzicht auf Belehrungen bzw. den moralischen Zeigefinger gewahrt werden.
Die Anzahl der jeweiligen Beispiele ist mit fünf bis sieben begrenzt, und bietet somit nur einen kleinen Einblick in mögliche prekäre Szenarien. Dass nicht alle Stammtischparolen aufgeführt werden, ist verständlich. In der Kategorie Sexismus wäre es jedoch wünschenswert, wenn nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch auf Männer bezogene Stereotype eingebaut worden wären. Ebenso wären im Bereich Klassismus nicht nur abwertende Aussagen gegenüber der sozialen Unterschicht, sondern auch gegenüber höhergestellten Personen denkbar. Daneben sind die Grenzen zwischen den Bereichen Ablehnung von Geflüchteten und Rassismus nicht trennscharf.
KonterBUNT bietet nicht nur mögliche Konter, sondern nebenbei auch Anstoß zur Reflexion der Lebensumstände der Parolenverbreitenden und versorgt die Nutzenden mit hilfreichen Hintergrundinformationen. Bei Kontern ist in der Realität jedoch zu beachten, dass Hetze und Co. differenzierter ausfallen können als sie in der App dargestellt werden, und Schlagfertigkeit kein Indiz für das stichhaltigere Argument ist.
Dass die App nicht bei jeder*m Nutzenden auf Zufriedenheit stößt, lässt sich aus den Rezensionen erahnen: Im Google Play Store etwa erreicht die App lediglich eine Bewertung von 2,3 von 5 Sternen, was auf eine hohe Anzahl von Bewertungen zurückzuführen ist, bei denen ein Stern vergeben wurde. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass viele entsprechende Kommentare befürchten, die App diene der Wahlbeeinflussung, Meinungsmache oder „Hetze gegen Andersdenkende“.
Die App, deren gesamtes Angebot auch ohne Download auf der zugehörigen Website abrufbar ist, wurde für ihren Beitrag zu einer toleranten Demokratie 2019 mit dem Pädagogischen Medienpreisausgezeichnet. Die Website bietet zusätzlich vertiefende Informationen und weiterführende Quellen, etwa zu Rassismus und dessen Entstehung. Während der Einsatz der App in Alltagsdiskussionen nicht denkbar ist, könnte sie theoretisch bei Online- Diskussionen verwendet werden.
Von der KonterBUNT-App können übrigens nicht nur Heranwachsende ab zwölf Jahren profitieren, sondern auch Erwachsene können auf dieser Basis ihre Argumentationsstrategien auf den Prüfstand stellen, kritisch hinterfragen und erweitern.
Dana Neuleitner: Alle auf einen. Wenn der Hass das Netz bestimmt
Der Bildschirm bleibt schwarz, lediglich schemenhaft eingeblendete Icons verschiedener Plattformen sind zu sehen, während Schülerinnen und Schüler die scheinbar nicht enden wollenden Botschaften vorlesen: „Ab ins Paddelboot mit denen, die sich nicht an unsere Regeln halten!“, „Heul‘ nicht rum, geh sterben!“ Wenn sich Heranwachsende im Internet bewegen, sehen sie sich bisweilen mit ähnlichen Beleidigungen oder Kommentaren konfrontiert. In Sozialen Netzwerken ist Diskriminierung keine Seltenheit mehr. Bereits in der ersten Minute der Filmreihe Alle auf einen wird das Bewusstsein der Rezipierenden für die Konfrontation mit Diffamierungen und Hetzkommentaren geschärft. Die Filmreihe des Medienprojekt Wuppertal beschäftigt sich mit dem Umgang junger Internetnutzender mit Hass, Hetze und Beleidigungen im Netz. Werden Ergebnisse einer Untersuchung von Campact e. V. hinzugezogen, ist davon auszugehen, dass im Jahr 2019 die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen besonders häufig mit Hate Speech in Kontakt gekommen ist, was die Relevanz des Themas unterstreicht. Es drängt sich die Frage auf, ob es sich noch um Soziale Netzwerke oder eher um ‚Asoziale Hetzwerke‘ handelt, wie der Titel des ersten Beitrags von Alle auf einen propagiert?! In 15 Beiträgen widmen sich junge Filmschaffende in 185 Minuten den Beweggründen hinter dem Online-Handeln: Zwei dokumentarische Kurzfilme geben Auskunft über Hate Speech im politischen Kontext sowie über Cybermobbing. Schülerinnen und Schüler, Studierende, eine Aktivistin sowie Expertinnen und Experten sprechen über ihre Erfahrungen mit Hassreden. Sie geben aus verschiedenen Perspektiven Lösungsmöglichkeiten für Betroffene und indirekt betroffene Bystander. Durch das Einbringen ihrer Erfahrungen wird deutlich, welchen Konfrontationen aktive Onlinerinnen und Onliner in Sozialen Netzwerken ausgesetzt sind. So wird unter anderem die Befürchtung laut, durch Gegenrede könne man selbst zur Zielscheibe werden. Den persönlichen Einschätzungen der Befragten – wie etwa, dass Twitter oder YouTube die am meisten mit Hate Speech belasteten Sozialen Netzwerke seien – könnten jedoch weitere Überprüfungen in Form eines Faktenchecks folgen. Zum Einstieg definiert Anna-Lena von Hodenberg, Leiterin von HateAid, Hate Speech. Dabei erweitert sie gängige Definitionen von Hassrede um persönliche Beleidigungen. Hier spiegelt sich die Problematik in der Verwendung des Begriffs: Es existiert bisher keine rechtlich verankerte Definition, weswegen sich eine Rechtsprechung schwierig gestaltet. Spannende Einblicke bietet Medienpädagoge Heiko Wolf, der verbreitete Strategien von Hatern und Trollen anhand des Internet-Handbuchs Shitposting 1×1 erklärt. In diesem werden Haterinnen und Hater explizit animiert, sich am Trollen oder Ähnlichem zu beteiligen. Hieraus ergeben sich mögliche Ansatzpunkte für die (medien-) pädagogische Praxis, für die Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern oder auch die Analyse von Fallbeispielen. Mit aktuellen Bezügen und prominenten Beispielen, wie den Hassattacken gegenüber Klimaaktivistin Greta Thunberg oder den Twitter-Anfeindungen Donald Trumps, bietet die Filmreihe hohen Aktualitäts bezug, der gleichzeitig einen leichten Zugang zu Hass und Hetze in den Sozialen Medien bereitstellt. Im Anschluss werden in einem Straßeninterview junge Einwohnerinnen und Einwohner Wuppertals zu ihren Erfahrungen mit Hate Speech befragt. Dabei kristallisiert sich zum einen heraus, dass viele der Befragten der Hassrede im Netz durchaus kritisch gegenüberstehen. Andererseits geben einige Passantinnen und Passanten zu, sich selbst auch im Internet beleidigend zu äußern: „Wenn ich mal gehatet hab, dann auf Tellonym. Ist normal“, kommentiert beispielsweise eine Schülerin; wie schwerwiegend ihre Kommentare waren, bleibt im Verborgenen. Diese empfundene Normalität lässt aufhorchen. Nicht nur wird die bloße Anwesenheit von Hate Speech durch die ausbleibende Einordnung gewissermaßen toleriert, sondern diese selbst auch unreflektiert weiterverbreitet. Etwas irritierend erscheint, dass die Interviewfragen teilweise nicht eingeblendet und damit nicht nachvollziehbar werden. Etwas kritischer setzt sich das Format einer fiktiven Night Show mit Hass auseinander. Hier treffen ein YouTuber und dessen Hater aufeinander. Da sich die beiden weder im Internet noch in der realen Welt unter Kontrolle haben, kommt es zur Eskalation. Nur die Erfindung Hate Buster 3000 kann noch Abhilfe schaffen. Die Lösung: Die Beteiligten werden in den Stummmodus überführt. Im ‚echten‘ Leben müssen die Beteiligten aber wohl vorerst mit den Funktionen Blockieren und Löschen auskommen. Alle auf einen gelingt es, in vier Kurzfilmen verschiedene Aspekte von Beleidigungen, Verleumdungen und Hate-Speech-Kommentaren im schulischen Kontext nachzuspielen. Die Konflikte werden dabei nicht nur in der Offline- sondern auch in der Online-Welt ausgetragen. Unangebrachte Inhalte in Klassenchats – wie Volksverhetzung oder Beleidigungen – erfahren derzeit große mediale Aufmerksamkeit. Diesbezüglich wäre ein zusätzlicher Hinweis auf rechtliche Folgen für die dargestellten Szenarien denkbar gewesen. Den Abschluss bilden ein Musikvideo sowie vier Interviews mit Expertinnen und Experten. Hier werden unter anderem das Beratungsangebot HateAid (mehr hierzu S. 52 f. in dieser Ausgabe) und das kostenfreie Onlinetraining LOVEStorm vorgestellt. Die Filmreihe ist offiziell mit der Altersfreigabe FSK 0 gekennzeichnet. Bei der Auseinandersetzung mit jüngeren Kindern ist dennoch zu bedenken, dass potenziell verstörende manipulierte Bilder – wie eine erhängte Greta Thunberg – zu sehen sind und unter anderem in den Kurzfilmen zahlreiche Beschimpfungen fallen. Alle auf einen schafft einen überzeugenden Überblick zu Hate Speech und setzt sich auf Augenhöhe mit Heranwachsenden und angrenzenden Themen wie Cybermobbing oder Filterblasen auseinander. Manchmal kommt es jedoch zu Vermischungen, weil die Begriffe nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden. So wird der Begriff ‚Hate‘ in den Kurzfilmen beispielsweise etwas inflationär verwendet, was die Frage aufwirft, wo Hass eigentlich beginnt und endet. Hier liefert Nils Viefs (Universität Marburg) eine hilfreiche Unterscheidung zwischen ‚Hass‘ als affektive Emotion und deren strategischem Transport durch Hassrede. Diese kann bei Diskussionen eine gute Grundlage bieten und könnte auch Heranwachsenden nähergebracht werden. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Experiment seiner Studierenden, in dem untersucht wird, ob und wie schnell Test-Accounts durch Äußerung politischer Einstellungen via Facebook durch die Funktionsweise des Algorithmus mit Hass-Kommentaren in Berührung kommen. Die einzelnen Filmbeiträge stehen für sich und bauen nicht aufeinander auf. Eine getrennte Behandlung etwa in der Sekundarstufe I in Sozial- oder Gemeinschaftskunde ist daher nicht nur denkbar, sondern drängt sich geradezu auf.
Dana Neuleitner: Kann ich meinen Augen noch trauen? Im Zeitalter digitaler Bildbearbeitung
Kaum ein Foto wird heute noch online gestellt, ohne vorher in Kontakt mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop oder Instagram zu kommen. Einen anderen Hintergrund einfügen, ein störendes Detail herausretuschieren – die Möglichkeiten sind beinahe unbegrenzt. Dass das Manipulieren von Fotos jedoch schon länger existiert als Instagram und Co., zeigt die Lehr-DVD Manipulation von Bildern anhand historischer Beispiele. Was damals nur Fachleuten möglich war, ist heute beinahe schon ein Kinderspiel. Da viele der so entstandenen Bilder täuschend echt aussehen, ist es wichtig, bereits Schülerinnen und Schüler in dieser Hinsicht zu sensibilisieren. „Wir glauben gerne, was wir sehen“ – mit diesem Satz beginnt das Lehrvideo von didactmedia. Im Folgenden wird jedoch bald klar, dass man seinen Augen nicht immer trauen sollte: Anschaulich wird in etwa 16 Minuten erläutert, wie Bilder inszeniert, manipuliert oder in einen falschen Zusammenhang gestellt werden, um Rezipientinnen und Rezipienten zu täuschen. Dieser Vorgang wird mit Hilfe von historischen und aktuelleren Bildern gut verständlich erklärt. Den Einstieg bildet im Kapitel ‚Manipulieren und falsch darstellen‘ ein Videoausschnitt, der eine Gruppe von Kindern zeigt, eine Person ist dabei etwas abseits. Der O-Ton wird in zwei Varianten gegeben: Die erste Version ist eine Berichterstattung über eine Schülergruppe, die beim Talentwettbewerb Jugend forscht gewonnen hat, die zweite Cybermobbing. Die gezeigte Szene eignet sich aufgrund der Nähe zum Schulalltag gut für eine Einführung in die Materie. Die Vertiefung geschieht durch die geschichtlichen Beispiele eines Propagandafotos der Nationalsozialisten zur Verharmlosung des Überfalls auf Polen 1939 und eine manipulierte Aufnahme aus der Sowjetunion, bei der zwei in Ungnade Gefallene wegretuschiert wurden. Den Schülerinnen und Schülern wird dabei jeweils kurz erklärt, worin die Beweggründe hinter den Manipulationen lagen. Im Anschluss werden Täuschungsversuche aus der Vergangenheit eingeblendet; sowohl anhand des nationalsozialistischen Propagandafilms Theresienstadt, anhand retuschierter Bilder aus der DDR als auch am Beispiel einer Broschüre der Thüringer Landesregierung zum Besuch des damaligen Präsidenten der USA, Bill Clinton. Die bearbeiteten Fotos werden jeweils ihren Originalen gegenübergestellt und in ihren Bedeutungszusammenhang gesetzt. Die Lehr-DVD gewährleistet so auf spannende Weise, dass die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die weitreichenden Zusammenhänge erhalten. Wie groß die Wirkungsmacht der Bilder ist, wird insbesondere im Kapitel ‚Bilder führen Krieg‘ eindrucksvoll dargestellt. Hier wird beispielsweise auf den Auslöser des Golfkriegs, das Mädchen ‚Nayirah‘, eingegangen. Die 15-Jährige hatte 1990 vor laufenden Kameras ausgesagt, dass irakische Soldaten kuwaitische Säuglinge aus ihren Brutkästen geholt und hingerichtet hätten. Die Macht der Bilder führte zur Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen. Erst später wurde bekannt, dass es sich lediglich um eine PR-Kampagne handelte, um die amerikanische Bevölkerung von einem Krieg gegen den Irak zu überzeugen. Hier wird verdeutlicht, welchen Einfluss die Darstellung des Materials auf die Glaubwürdigkeit besitzt und dass auch Erwachsene der Macht der Bilder unterliegen. Den Produzierenden gelingt es gut, die Rezipierenden dafür zu sensibilisieren, die Interessen der Absenderinnen bzw. Absender von Bildern zu hinterfragen. Denn wer abschätzen kann, aus welchen Beweggründen ein Foto oder Video veröffentlicht wird, dem wird es auch leichter fallen, das Material einzuordnen. Im folgenden Kapitel lernen Schülerinnen und Schüler, welche (politischen) Interessen und Quellen zu beachten sind. Der Film beschreibt, welche Medien über Demonstrationen in Russland oder einen Hungerstreik syrischer Flüchtlinge vor dem griechischen Parlament (nicht) berichteten und nennt Beispiele, anhand derer sichere Internetquellen identifiziert werden können. Dies bietet einen guten Ansatz für Lehrkräfte, um weitere Erkennungsmerkmale sicherer und unsicherer Quellen herauszuarbeiten. Es wird auch erwähnt, dass etwa die Sperrung von Internetseiten in China zum Alltag gehört. Die dahinter liegenden Beweggründe werden jedoch nicht im Detail beschrieben, sodass vor allem Rezipierende mit ausreichend Hintergrundwissen zum eigenständigen Nachdenken angeregt werden. Mit denjenigen, die diese Verbindungen (noch) nicht verstehen, sollte an gegebener Stelle eine begleitete Einordnung erfolgen. In der letzten Einheit werden Bilder erneut kritisch hinterfragt und die angesprochenen Möglichkeiten der Manipulation wiederholt. Zur Festigung des Gelernten wird außerdem der Arbeitsauftrag gegeben, mit Bildern eine eigene Kampagne zu einem selbstgewählten Thema zu entwickeln. An den Lehrfilm schließen sich Materialien für den Unterricht an. Hierzu gehört ein sehr umfangreiches Glossar. Allerdings entstammt der Großteil der Definitionen Wikipedia-Artikeln, was dem eigentlichen Anliegen der Sensibilisierung für seriöse Quellen widerspricht. Des Weiteren finden sich – neben einer nicht besonders umfangreichen Bildergalerie – fünf Arbeitsblätter, die nach dem Film bzw. den einzelnen Sequenzen bearbeitet werden können. Hierbei ist darauf zu achten, dass manche Aufgaben für jüngere Kinder zu anspruchsvoll sein könnten. Hierzu gehört etwa, ein Foto von sich in historische Szenen zu integrieren. Auch interaktive Aufgaben sind im Umfang enthalten. So sind die Schülerinnen und Schüler hier angehalten, zu kurzen Filmsequenzen einen Lückentext auszufüllen und dabei zwischen manipulierten und authentischen Bildern zu unterscheiden. Diese Aufgaben bieten sich zwar zur Selbstreflexion an, die Ergebnisse können allerdings nicht an die Lehrkraft weitergegeben werden, wodurch diese keinen Einblick in die Lernfortschritte erhält. Durch das Sichtbarmachen verschiedener Manipulationen schärft das Lehrvideo den kritischen Blick der Rezipientinnen und Rezipienten und fördert so die Medienkompetenz der Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte. Wünschenswert wäre, dass auch Beispiele der letzten Jahre aufgegriffen worden wären. Gleichzeitig ergibt sich hier eine Anschlussstelle für weitere Unterrichtsstunden etwa in der Sekundarstufe I, wofür sich insbesondere die hilfreiche Liste mit weiterführenden Links eignen würde. Durch die zahlreichen historischen Beispiele ist etwa der Einsatz im Geschichtsunterricht denkbar. Aufgrund der Wichtigkeit der Materie könnte die Lehr-DVD aber grundsätzlich auch beispielsweise im Sozialkundeunterricht und anderen Fächern verwendet werden.
Monika Himmelsbach: How we roll online. Digitale Tools im Rollenspiel
Die Zeit ist vorbei, in der Rollenspielerinnen und -spieler abgeschottet im Keller sitzen und angeblichem Teufelswerk nachgehen. Zumindest in bestimmten Kreisen haben Spiele wie Dungeons & Dragons, Das Schwarze Auge und Midgard das Internet erobert. Spielsessions werden auf YouTube und Twitch1gestreamt, Foren beschäftigen sich mit den Entwicklungen der Szene und Websites helfen Spielleitenden, ihre Welt zu erschaffen. Schon lange bilden Stift und Papier nicht mehr die einzige Grundlage für ein Rollenspiel. Seinen Anfang hatte das Rollenspiel im Jahre 1974 mit der ersten Edition von Dungeons & Dragons in den USA. Mittlerweile gibt es unzählige andere Systeme wie Vampire: Die Maskerade, Der Herr der Ringe oder Shadowrun. Gemeint sind hier übrigens sogenannte Pen-&-Paper-Rollenspiele, nicht etwa das sozialtherapeutische Rollenspiel in der psychosozialen Arbeit. Pen-&-Paper-Rollenspiele sind eine Mischung aus Improvisationstheater, Erzählung und Gesellschaftsspiel. Teilnehmende nehmen eine von zwei Rollen ein: Die Spielleitung, die die Welt und die darin lebenden Wesen handhabt, gibt Situationen vor und entscheidet über den Ausgang von Handlungen. Die Spielenden übernehmen währenddessen Charaktere in jener fiktiven Welt und erleben Abenteuer. Alle Fähig- und Fertigkeiten der Heldinnen und Helden befinden sich meist auf einem als Charakterbogen bezeichneten Dokument. Mithilfe der Werte auf dem Blatt Papier und Würfelaugen wird der Ausgang einer Aktion entschieden: Schafft es die Elfe, über die Mauer zu klettern oder rutscht sie ab? Trifft der Schlag des Ritters? Kann der Zwerg den Schützen davon überzeugen, ihm zu helfen? Anhand des Würfelergebnisses bestimmt die Spielleitung, welche Folgen sich für den Charakter ergeben. So schafft die Elfe es zwar zum Beispiel, über die Mauer zu klettern, tritt bei der Landung jedoch ungünstig auf und verletzt sich. Die Visualisierung der Geschehnisse findet hauptsächlich in den Köpfen der Teilnehmenden statt. Zur atmosphärischen Darstellung werden unter anderem Welt- bzw. Umgebungskarten, Figuren und Musik eingesetzt. Aufgrund der Digitalisierung werden Karten nicht mehr nur gekauft oder selbst auf Papier gezeichnet, sondern auch am PC erstellt. Würfel können digital geworfen, Spielfiguren virtuell dargestellt und Effekte animiert werden. Gerade in den letzten Jahren sind diese Tools immer ausgefeilter geworden, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung über lange Distanzen mit (Un-)Bekannten mit denselben Interessen. Bevor die Möglichkeit zum Videochat aufkam, gab es Rollenspielgruppen, die über Textchat spielten. Diese Art des Spiels wird noch immer genutzt, wobei sich neben Browserversionen auch Apps für mobile Endgeräte etabliert haben. So ist zum Beispiel Role Gate auch auf Smartphones verfügbar. Diese Anwendung ermöglicht neben dem Chatten das Würfeln, den Zugriff auf den Charakterbogen, das Schicken von Bildern oder das Erstellen von stark vereinfachten Karten. Websites wie Fantasy Grounds oder Roll20 hingegen werden meist zusammen mit Voice-Chatdiensten genutzt. Unter den Angeboten, die der Visualisierung helfen sollen, haben sich diese zwei Plattformen – neben Astral Table Top und D20Pro – etabliert. Abbildung 1 zeigt, wie dies aussehen kann: In der Mitte befindet sich die Karte, in diesem Fall die Innenansicht einer Taverne. Auf dieser können Tokens2 platziert werden. In Situationen, in denen die genaue Platzierung von Objekten und Personen wichtig wird, ist dies besonders praktisch. Am rechten Rand befinden sich der Chat, der auch die Würfelwürfe anzeigt, eine Jukebox sowie ein Journal mit Informationen zu unter anderem Personen und Orten. Auch bietet die Website den bereits genannten Voice- und Videochat an. Vieles ist mit einem kostenlosen Account zugänglich, für Funktionen wie animierte Effekte oder den vollständigen Zugang mit mobilen Geräten bedarf es eines Bezahlabonnements. Die seit 2004 verfügbare Plattform Fantasy Grounds ist nur für Windows, macOs sowie Linux verfügbar, konnte sich aber mehr offizielle Rollenspielsystemlizenzen sichern als Roll20. Nutzende mit kostenfreien Zugängen können nur Spielen von bezahlenden Mitgliedern beitreten, was bedeutet, dass zumindest eine Person einer Spielgruppe eine monatliche oder einmalige Gebühr bezahlt haben muss. Die Angebote der bezahlten Versionen sind meist für länger bestehende oder auf längere Zeit ausgelegte Gruppen interessant. Da ist Fantasy Grounds günstiger, da es die Option gibt, mit einer einmaligen Zahlung alle Features zu nutzen. Roll20 hingegen verfügt nur über das Abomodell – bei Kampagnen über mehrere Jahre wird das teuer. Vor allem in den letzten Jahren gab es einen Boom um sogenannte Worldbuilding-Tools wie Dungeonfog, WorldAnvil (Abb. 2) oder ArkenForge. Diese sollen durch die Erschaffung von Enzyklopädien das Verschriftlichen und Verwalten von selbsterstellten Welten erleichtern. Aufzeichnungen über Geschichten, Personen oder Völker können miteinander verknüpft und durch Bilder ergänzt werden. Anfangs können die Möglichkeiten und Schaltflächen überwältigend wirken, nach einer Eingewöhnung sind sie jedoch Gold wert. Gerade der Spielleitung erleichtern sie es, den Überblick zu behalten: Wie heißt der Verkäufer noch einmal? In welcher Stadt hat er seinen Laden? Zudem regen die Schaltflächen an, kreativ tätig zu werden und die selbst erstellte Welt weiterzuentwickeln. Wer ins Rollenspiel hineinschnuppern möchte, ohne (viel) Geld auszugeben, dem spielt die digitale Entwicklung entgegen; analoge Regelbücher oder Figuren sind nämlich wesentlich teurer. Viele Spiele systeme bieten verkürzte Regeln als GratisPDF an, Würfel können online geworfen und Karten sowie Tokens digital erstellt werden. Dies bietet auch Personen Zugang, denen es sonst Schwierigkeiten bereitet, an Rollenspielsitzungen teilzunehmen. Sei es durch physische oder psychische Beeinträchtigungen oder die Distanz. Seit ein paar Jahren werden Pen-&-Paper-Rollenspiele auch immer häufiger in die therapeutische Praxis einbezogen, beispielsweise um Personen mit Depressionen, Angstzuständen oder Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zu helfen. Auch in anderen (medien-)pädagogischen Kontexten ist der Einsatz gewinnbringend denkbar.
Anmerkungen:
1 Ein Live-Streaming-Videoportal, das vorrangig zur Übertragung von Videospielen genutzt wird.
2 Spielfiguren für Charaktere, Monster und unbelebte Gegenstände.
Beitrag aus Heft »2020/01 Wie analog ist digitale Gewalt?«
Autor:
Monika Himmelsbach
Beitrag als PDF
Andrea Stephani: Mit dem Hörstift auf Entdeckungsreise
Der digitale Hörstift BOOkii ist ein spielerisches Lernmedium für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren, das Neugier erweckt, Kreativität fördert und das Erschließen neuer Welten eröffnet. Mit dem Stift werden die passenden Bücher durch digitale Inhalte ergänzt. Durch Antippen des Buches liest der integrierte optische Infrarot-Sensor den aufgedruckten, mit bloßem Auge kaum wahrnehmbaren Code aus und startet das Vorlesen der Texte oder bringt Geräusche hervor und lässt Figuren sprechen. Im Lieferumfang eines Starter-Sets enthalten sind ein Hörstift, ein paar Aufnahmesticker, ein Aufbewahrungsetui mit Ladekabel und ein Buch. Je nach Buchthematik variiert auch die angesprochene Altersgruppe. Mit Einblicken in Demografie und Politik, Natur und Tiere, Geschichte und Kultur verschiedener Länder ist beispielsweise COLUMBUS Globus für Kinder ab acht Jahren umgesetzt, während sich Zähle die Tiere von 1 bis 10 bereits für Kinder ab drei Jahren eignet. Auch der Einsatz im Kindergarten oder in der Schule wird von Tessloff empfohlen. Als Nachfolger des TINGHörstifts bietet BOOkii bereits eine Vielzahl an unterschiedlichsten relevanten und unterrichtsbezogenen Themen. Wer noch alte TINGBücher besitzt, kann auch diese mit BOOkii auslesen. Neben fachbezogenen Schwerpunkten wie Geografie, Mathematik oder Englisch gibt es auch lebensnahe, alltagsrelevante Themen wie den Arbeitsalltag von Feuerwehrfrauen und -männern oder das Leben auf einem Ponyhof. Damit behandelt BOOkii direkt auch Wunschberufe und Interessen von Kindern. Bevor eine Leserunde gestartet werden kann, ermöglicht eine kurze Anleitung eine Einführung in den Spielverlauf. Diese wird bei jeder neuen Frage oder Aufgabe wiederholt, kann jedoch auch vorgespult oder übersprungen werden. Wird der Stift nach dem Antippen entfernt, fängt der Text wieder von vorn an; das passiert leider auch schon beim leichten Verrücken. Mit Hilfe einer kleinen Einführung seitens eines Erwachsenen finden sich Kinder ab acht Jahren sicher schnell mit der Handhabung zurecht, die Dreijährigen benötigen bestimmt noch mehr Unterstützung von Erwachsenen oder Geschwistern. Nach dem gemeinsamen Lesen oder Anhören erster Texte sind jedoch auch sie in der Lage, sich selbstständig auszuprobieren. Auf ausgewählten Seiten stehen Fragen zum Text zur Verfügung, die von den Kindern mit richtig oder falsch beantwortet werden können. Bei aufmerksamen Leserinnen und Lesern kann sich schnell der Wissenserwerb steigern und Erfolgserlebnisse stellen sich bei der Beantwortung der Fragen zügig ein. Neben den Wissensquizzen gibt es auch spielerische Aufgaben, bei deren Bewältigung Kinder nicht nur ihre Feinmotorik, sondern auch die Hand-Augenkoordination und das reflexive Denkvermögen verbessern können. Bei der Abbildung von Menschen am Strand werden die Kinder zum Beispiel gebeten, alle Mädchen oder Sandspielzeuge anzutippen. Doch während im Vorlesemodus das einmalige Antippen genügt, um die gesamte Erzählung anzuhören und somit ein intensiveres Erkunden einzelner Seiten elemente möglich ist, erfordern Spiele eine höhere Aufmerksamkeit und das wiederholte Antippen für weitere Fragen bzw. Aufgaben. Dabei treten innerhalb der Quizze einige Fragestellungen häufiger auf, bevor im Anschluss neue Fragen gestellt werden. Eine Information über die Anzahl der Fragen bei der Spielanleitung wäre jedoch sinnvoll, um das Suchen nach neuen Fragen einzugrenzen und die Frustrationstoleranz niedrig sowie den Spaß am Spiel aufrechtzuerhalten. Mit den mitgelieferten BOOkii-Aufnahmestickern sind die Kinder und auch ihre Eltern und Erziehenden in der Lage, ihre eigenen Geschichten und Lieder aufzunehmen. Die vertrauten Stimmen stehen somit jederzeit zur Verfügung und können auch dann angehört werden, wenn die Bezugspersonen gerade nicht anwesend sind. Tessloff empfiehlt die Sticker besonders zur Nutzung in Schulheften, auf Lernkarten, als Grußbotschaft, als Reisetage-Hörbuch oder, um eine Schnitzeljagd zu veranstalten. Die Aufnahmefunktion der BOOkii-Hörstifte unterscheidet sich deutlich von den tiptoi-Stiften, die ausschließlich mit CREATE-Produkten nutzbar sind und auf die Freiheit zur Selbstgestaltung der Aufnahmethemen verzichten. Mit dem Aufbewahrungsetui und dem kurzen Ladekabel ist der Hörstift auch ohne großen Aufwand für Reisen geeignet. Ausgestattet mit einer MP3-Funktion können die aufgenommenen Geschichten und Lieder beispielsweise mit Kopfhörern auch während der Autofahrt angehört und die Lautstärke dabei beliebig reguliert werden. Zu den weiteren interessanten Aspekten gehört unter anderem die BOOkii-App. In Verbindung mit einem internetfähigen Smartphone oder Tablet können so via Bluetooth weiterführende Videos und Weblinks geöffnet werden. Beim Konzipieren der App wurde Wert auf eine kindersichere Gestaltung gelegt. So haben Kinder nur Zugriffsrechte auf die von Tessloff freigegebenen, für sie geeigneten Videos und Weblinks und können mit der App bedenkenlos alleine spielen. Zudem ist der Hörstift mit einem Akku ausgestattet, der sechs Stunden Laufzeit garantiert. Integriert ist eine automatische Energiesparfunktion, die das Gerät nach fünf Minuten Nichtnutzung wieder ausschaltet. Insgesamt bietet BOOkii – Der Hörstift eine tolle Ergänzung im Kinderzimmer, in der Schule oder im Kindergarten. Der Stift fördert das selbstständige Spielen der Kinder ohne kontinuierliche Hilfestellung der Eltern und unterstützt ihre kreative Entwicklung. Innerhalb der Beschäftigung mit den BOOkii-Ausgaben lässt sich immer wieder Neues entdecken, sodass die mitgelieferten Bücher auch bei mehrmaligen Durchgängen der Seiten nicht langweilig werden. BOOkii kann in der Schule, im Kindergarten oder in der Familie auch wunderbar von mehreren Kindern gleichzeitig genutzt werden und fördert auf diese Weise die gemeinsame soziale Interaktion. Auch für Kinder, die des Lesens noch nicht mächtig sind, eignet sich der Hörstift gut zum Trainieren des Hörverstehens und der Erhöhung der Lesekompetenz, indem zusammen mit der Erzählerstimme mitgelesen werden kann. Damit macht der Hörstift das Lernen zu einer spielerischen Angelegenheit für die Kinder. Trotz der zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten, die der Hörstift anbietet, steht das Buch weiterhin im Mittelpunkt des Spiels und ist auch ohne die digitalen Inhalte nutzbar. Der BOOkii-Hörstift ist für alle Erziehenden, Eltern, Lehrende oder pädagogischen Fachkräfte empfehlenswert, die ihren Kindern, Schülerinnen und Schülern, einen abwechslungsreichen Alltag ermöglichen möchten.
Jerome Wohlfarth: Komm, spiel mit!
Die Messe für Brett- und Kartenspiele Internationale Spieletage SPIEL in Essen konnte im vergangenen Oktober knapp 209.000 Interessierte begeistern. Mit über 1.200 Ausstellenden und beinahe 1.500 neuen Spielen gab es in jedem Genre etwas Neues zu entdecken. Diese Zahlen sind beeindruckend und zeigen erneut: Die analoge Brettspielbranche wächst parallel zum Erfolg digitaler Videospiele.
Bildungsmöglichkeiten durch Brettspiele
Zum ersten Mal hat im Rahmen der SPIEL der Educators Day stattgefunden. Neben grundsätzlichen Informationen über die Verbindung von Brettspielen und Bildung haben verschiedene Vorträge und Workshops Interessierten die Möglichkeit geboten, sich über Tätigkeiten und Mitgestaltungsmöglichkeiten von BrettspieleAGs zu informieren; oder welche Spiele als pädagogisch wertvoll einzustufen sind. Anhand einer Diskussionsrunde zu Gesellschaftsspielen im Iran erhielten Besucherinnen und Besucher auch Einblicke in die Wahrnehmung von Spielen in anderen Ländern. Das Spielesortiment des Verlags Genius Games, der sich dem Thema Bildung besonders angenommen hat, basiert auf Thematiken, Mechanismen oder Strukturen, mit deren Hilfe komplexe Inhalte vermittelt werden. So versetzt Cytosis Spielende in das Innere einer Zelle, worin sie den Stoffwechsel unter Kontrolle halten müssen. Ein weiteres Beispiel unter den MINT-Games ist Periodic, das zeigt, aus welchen Elementen bestimmte Stoffe bestehen. Auch historische Themen kommen nicht zu kurz: Lovelace & Babbage behandelt zum Beispiel Computerarbeit zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und zeigt auf, wie erste Rechenmaschinen und Frauen für einen Großteil der Berechnungen zuständig waren.
Brettspiele in der Familie
Die Trennung analoger Brettspiele und digitaler Videogames ist in der Entwicklung von Neuheiten noch immer sehr ausgeprägt, doch gibt es immer mehr Ideen, diese Grenzen aufzuweichen. Zu Beginn waren dies häufig Apps, in denen bereits bekannte analoge Spiele wie Die Siedler von Catan, Zug um Zug oder Monopoly digital und auch mobil gespielt werden konnten. Dieses Konzept scheint jedoch eher bei den mittlerweile erwachsenen Gamerinnen und Gamern anzukommen, die ihre früheren Lieblingsspiele auch gerne auf dem Weg zur Arbeit oder entspannt auf dem Sofa spielen möchten. Andere Ansätze erfordern die Nutzung einer App zum Erleben des analogen Spielgeschehens, wie das Game World of YoHo. Spielende übernehmen die Rolle eines Schiffsführenden und steuern Schiff und Seeleute. Alle Aktionen können an einem mobilen Endgerät ausgeführt werden. Solche Spiele richten sich vor allem an eine jüngere Zielgruppe, mit dem Versuch, durch den Einsatz digitaler Medien neues Interesse für Brettspiele zu wecken. XCOM: Das Brettspiel basiert wiederum auf dem gleichnamigen Videospiel, in dem Spielende in verschiedenen Rollen versuchen, die Welt zu retten. Die App fungiert als Spielleitung und übernimmt die Steuerung aller Nicht-Spielerinnen bzw. -Spieler hinsichtlich Charakter, Bewegung oder Aktionen. Spielenden kann so mitgeteilt werden, was geschieht, wenn sie mit der Spielwelt interagieren. Auch können so Zeitspannen vorgegeben werden, innerhalb derer Aufgaben gelöst werden müssen. Die ständigen Veränderungen und das kooperative Zusammenarbeiten der Gruppe unter Zeitdruck sind Faktoren, die erst durch die App-Komponente überschaubar und damit nachvollziehbar in das analoge Brettspielerlebnis implementiert werden können. Apps übernehmen auch in Fantasy-Genres unter den Brettspielen öfter das Narrativ. Neben Herr der Ringe: Reise durch Mittelerde zählen auch Detektiv-Spiele zu den didaktisch interessanten Beispielen, welche den Einsatz digitaler Elemente mit analogen Spielwelten verknüpfen: Chronicles of Crime und Detective versorgen Spielende zum Beispiel beim Lösen fiktiver
Fälle mit Hinweisen in Form von VR-Elementen und kurzen Video sequenzen. Auch müssen die Ermittelnden auf Internet-Datenbanken und echte Plattformen wie Google Maps zugreifen, um Aussagen zu überprüfen. Knallhartes Fachwissen ist dagegen beim analogen Kennerspiel des Jahres 2019 Flügelschlag gefragt, welches erlaubt, in die Rollen von Vogelliebhaberinnen bzw. -liebhabern zu schlüpfen, um spielerisch mit einem größtmöglichen Maß an ornithologischen Kenntnissen zu glänzen.
Eindrücke von der Messe
Beim Durchstreifen der Messehallen lässt sich bald erkennen, dass ein besonderer Trend in diesem Jahr auf sogenannten Legacy-Spielen liegt. Kern dieses Spielprinzips ist das Treffen von Entscheidungen, die den weiteren Spielverlauf maßgeblich beeinflussen und dauerhaft verändern. Unter Umständen wird dabei auch Spielmaterial zerstört, sodass zwar ein sehr individuelles, aber auch unumkehrbares Spieleerlebnis entsteht. Aufgrund der Fülle an Informationen, die sich über die einzelnen Kapitel verteilen, wird hier die Achtsamkeit der Teilnehmenden besonders gefordert. Das bekannteste LegacySpiel ist Pandemic Legacy, bei dem Spielende versuchen, den Ausbruch einer weltweiten Epidemie zu verhindern. Auch die Themen Klimawandel und Artenschutz wurden durch einige Verleger in Szene gesetzt, insbesondere durch Spiele, die sich in vielfältiger Weise mit Bienen beschäftigen, wie Ambrosia, Line Up! Bees oder Bee Lives: We Will Only Know Summer. Spielende erkunden hierin die Produktion von Honig oder das Bestäuben von Blüten. Neben Spielspaß bieten sie damit die Möglichkeit, sich Wissen zum Insektensterben, dem Klimawandel und zu den Ursachen sowie Folgen des Bienensterbens anzueignen und dafür sensibilisiert zu werden. Die Verbindung von analogen und digitalen Spielelementen bietet Spielenden ein besonderes Erlebnis. Doch ob digital oder analog – Spiele gestatten in all ihren Formen Spaß für viele Stunden.
Nicole Lohfink, Eric Müller: Exkursion in die EU: Digitale Jugendarbeit in Finnland und Estland
Unter dem Stichwort Digital Youth Work findet sich im europäischen Vergleich eine große Bandbreite von Strategien, wie digitale Medien in der Jugendarbeit nutzbar gemacht werden. Daher entwickelt die EU-Expertengruppe für Chancen, Risiken und Auswirkungen der Digitalisierung auf Jugendliche, Jugendarbeit und Jugendpolitik eine gemeinsame offene Definition für digitale Jugendarbeit in Europa (vgl. European Commission 2018).
Diese Bandbreite der Ansätze digitaler Jugendarbeit zu erkunden und Ideen mit den europäischen Partnerinnen und Partnern auszutauschen war Ziel eines durch den Bayerischen Jugendring initiierten Fachkräfteaustauschs im Mai 2019. Der Weg der 19 Teilnehmenden, die sich haupt- und ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagieren, führte zunächst nach Helsinki und infolge nach Tallinn.
Jugendarbeit in Finnland: Digitale Kommunikation und europäischer Vergleich
In der Jugendarbeit in Finnland haben sich schon früh online Jugendaktivitäten etabliert. In den 1980er-Jahren wurden Computerspiele und Videotex, eine frühe Version eines Messenger- und Informationssystems, angeboten, um Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu digitalen Technologien zu eröffnen. Die digitale Kommunikation ist in Finnland bis heute ein Werkzeug in der Jugendarbeit, wie eine aktuelle Studie von Verke zeigt. Die Organisation untersucht und entwickelt im Auftrag der finnischen Regierung Strategien für die Digitalisierung der Jugendarbeit und ist unterstützender Ansprechpartner für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verke waren es auch, die der Delegation die verschiedenen Zusammenhänge von gewachsenen Strukturen und aktuellen Vorgängen in Finnland erläuterten. In der Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen und Verbänden ist Verke bemüht, diese Strukturen zu pflegen und die vergleichsweise noch relativ junge aktive Medienarbeit zu fördern. So wird beispielsweise die ehrenamtliche Jugendarbeit im Pfadfinderverband im dünn besiedelten Finnland durch eine digitale Kommunikations- und Organisationsplattform koordiniert, während die mitgliederstärkste Kirche in Finnland in ihrer Jugendarbeit jährlich Konfirmations- und Freizeitcamps organisiert, in denen die digitalen Themen der Jugendlichen aktiv aufgegriffen und begleitet werden.
Ein finnisches Projekt stellt der Ausbau der Bibliotheken als kommunalen Ort dar, der gleichermaßen Gemeinde-Dienstleistungen und Jugendlichen einen Freizeitort bietet. Mit Iso Omena existiert bereits ein funktionierendes Beispiel der Kooperation von Bücherei, öffentlicher Elternberatung, Amt für Soziales, Maker-Space, Jugendraum und Musikstudio.
Finnland hat mit 16,7 Prozent eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das Projekt Digitalents eröffnet deshalb im Auftrag der finnischen Regierung Jugendlichen einen Zugang zur digitalen Arbeitswelt. Für durchschnittlich etwa acht Monate werden Jugendliche hier individuell betreut und arbeiten an Projekten zu Augmented Reality, Open-Source-Spaces und Social-Robotics. Ziel ist es, eine starke und sichere Umgebung zu kreieren und Orientierung für die berufliche Zukunft zu bieten. Daneben veranstaltet Digitalents E-Sports-Tourniere und Hacker-Workshops, in denen Jugendliche eigene Spiele programmieren, eine sichere Umgebung in der Spiele-Kultur vermittelt bekommen und regelmäßig an der Global Game Jam-Session teilnehmen, die jährlich im Januar veranstaltet wird.
In Helsinki ist deutlich geworden, dass digitale Jugendarbeit in der Europäischen Union unterschiedliche Ansätze verfolgt. Neben der Ausrichtung auf digitale Kommunikation profitiert die Jugendarbeit in Finnland von der Orientierung an der britischen Maker-Bewegung und der eher deutschen Perspektive der aktiven Medienarbeit. Auch in Finnland sind die Herausforderungen von Einrichtungen wie Verke und Digitalents dabei gekennzeichnet durch bürokratische Hürden und die Sicherung der Finanzierung für eine kontinuierliche Arbeit.
Jugendarbeit in Estland: Digitalisierung der Verwaltung
Eine weitere Perspektive auf digitale Jugendarbeit in der EU erhielt die Delegation anschließend in Tallinn, wo das estnische Zentrum für Jugendarbeit die Verwaltung weitgehend digitalisiert hat. Digitale
Jugendarbeit in Estland bedeutet die Bündelung von allen mit der Jugendarbeit verbundenen Verwaltungsvorgängen in einer landesweit vernetzten Onlineumgebung. Auf der Plattform stellen Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter Förderanträge für Aktivitäten in ihren Einrichtungen, geben Sachberichte ein und kommunizieren mit dem Zentrum für Jugendarbeit. Gleichzeitig werden auf der Plattform Anträge begutachtet und evaluiert, sodass auch hier die Kommunikation zur Jugendarbeit auf dem Portal zentralisiert ist. Über das digitale Verwaltungstool werden alle Teilnehmenden an den Aktivitäten erfasst und laufen im estnischen Zentrum für Jugendarbeit zusammen, um die Qualitätskontrolle über die landesweit verteilten Jugendeinrichtungen sicherzustellen.
Hieran zeigt sich, dass digitale Jugendarbeit für die Kolleginnen und Kollegen in Finnland wie in Estland nur der erste Schritt ist, um danach in die ‚smart youth work‘ überzugehen. Es geht dort also um die Frage, wie Technologie in der Entwicklung genutzt werden und Big Data dazu verhelfen kann, die Bedingungen in der Jugendarbeit zu verbessern. Es geht weniger um reine Praxis, als vielmehr um politische Betrachtungen, um im Gesamtbild lösungsorientiert zu arbeiten. Diese umfassende Vernetzung und Organisation der Aktivitäten der Jugendarbeit ist in Estland im Kontext einer umfassenden Digitalisierung nahezu aller Verwaltungsaktivitäten zu sehen.
Im e-Estonian Show-Room führt ein aus Hamburg nach Tallinn emmigrierter Mitarbeiter das estnische Bürgerportal vor. Um Zugang zu erhalten, führt er seinen elektronischen Personalausweis in seinen Laptop ein und bestätigt seine Identität mit einem persönlichen Passwort. Im Bürgerportal sieht man die digitalen Äquivalente zum Einwohnermeldeamt, dem Wahlamt, der KFZ-Zulassungsstelle und dem Finanzamt. Der hohe Verschlüsselungsstandard und das dezentral organisierte Datenbanksystem sollen vor unberechtigten Zugriffen schützen. Jeder Zugriff der estnischen Behörden auf den eigenen Datensatz wird zudem protokolliert und die Architektur der Open-Access-Software ist für die Nutzenden einsehbar. Um den Bürgerinnen und Bürgern in dem Flächenland den Zugang zum estnischen Bürgerportal zu eröffnen, waren landesweit Busse unterwegs, die digitale Aufklärung zum Bürgerportal betrieben haben.
Mitglieder des estonischen Jugendrings erklären der deutschen Delegation, dass in der Arbeit mit der russischen Minderheit sprachliche Herausforderungen bei der Bildung und Teilhabe von Heranwachsenden liegen. Durch die Übersetzung der Plattform ins Russische und Englische konnten auch Minderheiten im Land an den Plattformdiensten teilhaben. Die kulturelle Spaltung der estnischen Bevölkerung können sie dennoch nicht überbrücken.
Aktive Medienarbeit als Entwicklungspfad digitaler Jugendarbeit in Deutschland
In der kontrastierenden Betrachtung digitaler Jugendarbeit in Finnland und Estland zeichnen sich nationale Entwicklungspfade ab, die in die geografischen und historischen Bedingungen verankert sind. Im dünn besiedelten Finnland wurden die ersten Online-Technologien schon in den 1980er-Jahren in der Jugendarbeit eingesetzt, um landesweit Informationen zu Aktivitäten der Jugendarbeit zu bekommen. Diese Entwicklung zeigt sich noch heute, wo Jugendarbeiterinnen und -arbeiter unter anderem über Messenger-Dienste Beratungsangebote zur Verfügung stellen. Die Entwicklung der digitalen Jugendarbeit in Estland ist wesentlich durch die weitgehende Digitalisierung der Staatsverwaltung gekennzeichnet, die seit den späten 1990er-Jahren vorangetrieben wird. Diese Bemühungen wurden durch landesweite Medienbildungsprogramme orchestriert, um den Menschen die Teilhabe an diesen Verwaltungssystemen zu eröffnen.
Digitale Jugendarbeit in Deutschland scheint im Vergleich zu Finnland und Estland häufig rückständig und im Kontext der kommunalen Organisation der Jugendarbeit keine übergreifenden Ziele zu verfolgen. Um die Entwicklung der digitalen Jugendarbeit hierzulande besser zu verstehen, hilft auch hier der Blick auf die nationalen Pfade: Digitale Jugendarbeit entwickelte sich in Deutschland im Kontext der aktiven Medienarbeit, in der Jugendliche medienvermittelte Inhalte selbst erstellen. Diese ist in der Entwicklung der Medienpädagogik der 1970er- und 1980er-Jahre mit einem bildnerisch-emanzipatorischen Anspruch verortet, die im Bürgerfunk über die Herstellung von Radio- und Fernsehbeiträgen eine Gegenöffentlichkeit zum politischen Mainstream herstellt und in der Gegenwart in digitalen Artikulationskanälen eine Fortsetzung dieser Tradition erlebt. Damit einher geht eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen von Medientechnologien für das gesellschaftliche Leben, die in der digitalen Jugendarbeit über eine Sensibilität für Themen wie Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre transportiert werden. Die Zukunft digitaler Jugendarbeit kann in Deutschland angesichts dieser Tradition darin liegen, sich über die Produktion von Algorithmen das emanzipatorische und partizipative Potenzial der aktiven Medienarbeit anzueignen. Zusätzlich können die Erfahrungen aus Finnland und Estland eine Orientierung bieten, um Jugendarbeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Hier können insbesondere die über mehrere Jahre entwickelten Digitalisierungsstrategien eine Ressource sein, von der die digitale Jugendarbeit in Deutschland profitieren kann.
Beitrag aus Heft »2019/05 Digitale Bildung inklusiv«
Autor:
Nicole Lohfink,
Eric Müller
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Monika Himmelsbach: Love, Death & Robots. Es war einmal die Zukunft
Blur Studio (2019). Love, Death & Robots. Produktion. 18 Folgen in 1+ Staffeln, jeweils zwischen fünf und 20 Minuten. FSK 18. Erstauststrahlung auf Netflix.
Wie sähe die Welt aus, wenn ein Joghurt die Herrschaft übernommen hätte? Wonach sehnt sich ein Putzroboter, der zum Leben erwacht ist? Und was haben Katzen mit der Rettung der Menschheit zu tun? In 18 teils rasanten Folgen führt Love, Death & Robots das Publikum durch Kurzgeschichten in andere mögliche Parallelen unserer Welt.
Zwischen fünf und 20 Minuten lang sind die einzelnen sogenannten ‚Shorts' –, die Produzenten David Fincher (u. a. Gone Girl) und Tim Miller (u. a. Regie bei Deadpool) lehnen den Begriff Episode ab. Sie wollen mit dem Konzept der herkömmlichen Serien brechen und lieber mit kurzen, animierten Erzählungen einen Einblick in denkwürdige Schicksale geben – statt in 40 Minuten eine komplette Geschichte schildern zu müssen. Vorbild ist der Zeichentrickfilm Heavy Metal, welcher sich schon in den 1980er-Jahren mit Science-Fiction und Fantasy-Abenteuer an Erwachsene richtete. Love, Death & Robots reflektiert Themen wie Gewalt, Nacktheit und Fragen der eigenen Existenz. Die Shorts erhielten bei Netflix insgesamt vier verschiedene mögliche Reihungen, es gibt somit keine allgemeine ‚erste‘ oder ‚letzte‘ Folge. Nach eigener Aussage wollen die Betreiber der Streaming-Plattform ausprobieren, wie verschiedene Reihenfolgen ankommen. Bisher gibt es jedoch keine Auskunft darüber, inwieweit dies die Rezeption der Serie verändert oder ob die Reihung der Shorts anderen Kriterien folgt. Alle Folgen der Serie sind animiert, nur in Eiszeit wurden echte Schauspielerinnen und Schauspieler außerhalb des Motion Capturings eingesetzt. An der Produktion waren insgesamt 15 verschiedene Animationsstudios beteiligt, was jeder Folge Einzigartigkeit verleiht. Gleichzeitig erschwert es jedoch die Bedingungen, eine allgemeingültige Aussage über unter anderem Handlung, Dramaturgie, Schnitt oder Montage zu treffen.
Jeder Short kennzeichnet sich durch einen raschen Einstieg in die Welt bzw. Geschichte, Exposition ist kaum vorhanden. Die Erzählung nimmt ihren Lauf und wirft mit ihrem Cliffhänger meist mehr Fragen auf als sie beantwortet. Hierin zeigt sich die Stärke der Serie: Sie erzählt vieles mit dem, was sie nicht explizit macht.
Im Short Zima Blue zum Beispiel erzählt der Künstler Zima von seinem Leben. Statt zu erzählen, dass er von Kindesbeinen an Kunst interessiert war, beschreibt er sein einzigartiges Schicksal. Er begann als einfacher Saugroboter in einem Pool. Seine handwerklich versierte Besitzerin hatte es sich allerdings zur Aufgabe gemacht, ihm immer spezifischere Fähigkeiten zu verleihen. Zum Putzen kommen das Ausmalen des Pools und danach das Verrichten der meisten Arbeiten rund um das Haus. Künstliche Intelligenz gibt ihm später die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann etwas repariert, gestrichen oder geputzt werden muss. Zima beginnt, sich eine menschliche Form zuzulegen und seine Herkunft zu verschleiern. Während seiner Karriere bemalt er immer wieder Objekte und sogar Planeten mit Zima Blue, jenes Blau, das den Pool seiner ehemaligen Besitzerin ziert. Er sehnt sich danach und beschließt, vom Künstlerdasein zurückzutreten und wieder ein einfacher Putzroboter zu sein. Am Ende stellt sich die Frage: War Zima nun ein Mensch? Wo beginnt das Menschsein, wo endet es? Wenn diese Zukunft real werden würde, wären Androiden dann Menschen? Diese und andere existentielle und Was-wäre-wenn-Fragen zeichnen die Serie aus und fordern die Zuschauenden gleichzeitig darin, sich auf derartige Gedankenspiele einzulassen bzw. einlassen zu können.
Doch auch ohne den Willen zur Kontemplation ist Love, Death & Robots gute Unterhaltung, allein das handwerkliche Geschick hinter den Animationen ist beachtenswert und gewinnt durch Reflexion über aufgeworfene existenzielle Fragen weiter an Tiefe.
Trotz zahlreicher Kontraste und erzählerischer Unterschiedlichkeit verweisen die Shorts mit dystopischer Erzählmanier immer wieder auf gesellschaftliche und politische Probleme. So wandern die Androiden in Drei Roboter in einem verlassenen Gebiet umher und fragen sich, was so katastrophal gewesen war, dass Menschheit ausgestorben ist. Gegen Ende dieser Folge wird klar: Es ist der Klimawandel. Gute Jagdgründe erzählt hingegen die Geschichte von japanischen Sagengestalten, die durch die Industrialisierung immer weiter zurückgedrängt werden. Wie so oft wird in dieser Legende Wachstum, Gier und Fortschritt kritisch betrachtet. Alternative Zeitachsen stellt dazu eine moralische Frage: Was wäre, wenn Hitler gestorben wäre? Die ‚Lehre‘ ist trotz nicht allzu ernsthafter Präsentation ernüchternd: Irgendetwas oder irgendjemand hätte etwas ähnlich Schreckliches getan. Der Verweis auf moralisch relevante Fragen erfolgt bei solchen Beispielen direkter als bei manch anderen. Dennoch – und das ist auch dem Format geschuldet – wird nicht immer ganz deutlich, ob überhaupt eine bestimmte Schlussfolgerung bzw. Interpretationsweise forciert werden sollte.
Love, Death & Robots richtet sich an all diejenigen, die sich in Zukunftsvisionen hineindenken möchten und dem Format filmischer Kurzgeschichten mit kreativen Animationsumsetzungen einiges abgewinnen können. Dass die Serie in ihrer Gesamtheit nichts für sensible Gemüter darstellt, verrät bereits die Altersfreigabe ab 18 Jahren. Gewalt wird in den comicähnlichen Animationen explizit
dargestellt, an digitalem Blut wird nicht gespart!
Dank der Unabhängigkeit der einzelnen Shorts besteht allerdings auch die Möglichkeit, Folgen wie Zima Blue zu wählen, die ohne Gewalt auskommen. Diese Shorts könnten in den entsprechend geeigneten Altersstufen eingesetzt werden, um im Unterricht oder Seminar Denkansätze zu bestimmten Themen wie Transhumanismus bereitzustellen. Zugleich können sie als Vorlage für den Entstehungsprozess und die Machart von Filmen herangezogen werden: Sei es zur filmerischen oder erzählerischen Umsetzung von Kurzgeschichten, als Vorlage für mögliche Darstellungsformen von Animation oder Funktionsprinzipien dystopischer Visionen.
Love, Death & Robots erfüllt die Vision der Produzenten, die Konventionen herkömmlicher Serien zu brechen, hervorragend. Auch wenn sich nicht jede bzw. jeder in allen Kurzgeschichten wiederfinden wird, punktet die Serie mit ihrer einzigartigen Kombination von Kurzgeschichte und Animationsstilen, was sie als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen kann. Love, Death & Robots eignet sich insbesondere für pädagogische und wissenschaftliche Fachkräfte mit Schwerpunkt Film, Animation und Narration, aber auch für Studierende und Interessierte im Bereich Digitalisierung, die aus erzählerischen Impulsen und kritischen Denkanstößen in Form von Bewegtbild schöpfen wollen.
Monika Himmelsbach war Praktikantin bei merz I medien + erziehung. Sie studiert Theater- und Medienwissenschaft sowie Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Marvin Fendt: Von Videospielen und Cloud-Gaming. gamescom 2019
Jede Menge Spiel und Spaß für die Massen bietet die gamescom seit mehreren Jahren. Bereits zum elften Mal konnten sich Interessierte auf den Weg nach Köln zur weltweit größten Spielemesse machen, um Neuigkeiten rund um Videospiele, Nerdkultur und Hardware zu erhalten. Die Messe zeigte erneut, dass Spiele und Spielekultur längst in der breiten Masse angekommen sowie akzeptiert sind, was bereits auf der Eröffnungsveranstaltung deutlich wurde: Mehrere Politikerinnen und Politiker waren präsent – unter anderem Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, der die Innovationskraft der Branche betonte.
Spieleankündigungen
Eine vielfältige Mischung aktueller Spiele konnte ausprobiert werden – aufgrund des Ausbleibens größerer Neuankündigungen wurde allerdings auch Kritik laut. Gezockt werden konnte natürlich dennoch, beispielsweise das kommende Remake des Rollenspiel-Klassikers Final Fantasy VII. Beim nächsten Teil der Autorennspielserie Need for Speed: Heat konnten Straßen im Geschwindigkeitsrausch unsicher gemacht werden. Das Rollenspiel Watch Dogs: Legion, in dem die Rolle eines Hackers übernommen wird, zeigt sich ungewohnt politisch und spielt in einer diktatorisch regierten Post-Brexit-Stadt. In Planet Zoo kann eine grafisch beeindruckende Landschaft aufgebaut und verwaltet werden. Ebenso wurde das in Entwicklung befindliche Action-Adventure Death Stranding von Entwickler Hideo Kojima, der unter anderem für die Metal Gear Solid-Reihe verantwortlich ist, vorgezeigt. Minecraft hat sich mit einem neuen Update präsentiert, welches mit der neuen Raytracing-Technologie für Nividia-Grafikkarten eine akkuratere Lichtberechnung in dem bereits in die Jahre gekommenen Spiel ermöglicht. Auch unter den bereits erwarteten und allgemein bekannten Spielen waren einige Highlights zu finden: Im textbasierten Role-Playing Game-Adventure (RPG) Through the Darkest of Times können Spielende die dunkle Vergangenheit Deutschlands von 1933 bis 1945 – beginnend mit der Machtergreifung Hitlers – nachspielen und versuchen, eine Untergrundbewegung gegen das aufstrebende Nazi-Regime zu mobilisieren.
Wie schon im vergangenen Jahr bot die gamescom genügend Raum für einige Indie-Projekte in unterschiedlichsten Entwicklungsstadien. Einige dieser Entwicklerinnen und Entwickler waren mitunter so klein, dass sich mehrere Studios, gruppiert nach ihrem Herkunftsland, Entwürfe und Ideen vorzeigten, um mehr Reichweite zu erlangen. Die Bandbreite erstreckte sich von teils stark von anderen Spielen inspirierten Konzepten bis hin zu sehr vielversprechenden neuen Ideen, wie in dem Spiel VR Giants. Hierin kontrolliert eine Person mithilfe einer VR-Brille einen Riesen, welcher einem Mitspielenden in Gestalt eines Zwerges durch die Level hilft. Da erst kommendes Jahr eine neue Konsolengeneration erwartet wird mit mehr Ressourcen und Möglichkeiten für neue und aufwändigere Spiele, waren insgesamt weniger große Ankündigungen vertreten als üblich. Die angespielten Titel machten aber dennoch Lust auf mehr!
Cloud-Gaming im Trend
Der große Technik-Trend der Messe zeichnete sich im Cloud-Gaming ab. Hier wird ein Spiel nicht mehr am lokalen Endgerät, sondern von einem Server berechnet, der nur noch einen Videostream an das Gerät sendet. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die vor kurzem vorgestellte Spiele-Streaming-Plattform Stadia von Google, die sich durch eine besonders niedrige Latenz auszeichnen soll. Da die Spiele auf speziellen Servern berechnet werden, fällt beim Streaming die Leistungsgrenze herkömmlicher PCs weg, wodurch es möglich sein soll, ein Spiel mit nahezu fotorealistischer Grafik auf einem Smartphone zu spielen. Hiervon soll unter anderem der kommende, zeitlich für Stadia exklusiv verfügbare Titel Orcs Must Die! 3 stark profitieren, in dem hunderte Gegnerinnen und Gegner gleichzeitig dargestellt werden.
Retro-Gaming, CosPlay, Kontroversen
Seit mehreren Jahren gibt es auf der Spielemesse eine Dauerausstellung rund um Retro-Games zu bewundern. Dort konnten alle Interessierten wieder an alten Konsolen wie dem Atari 2600 in Nostalgie schwelgen, an Arcade-Automaten die Finger wund spielen oder Erinnerungen an eine der ersten VR-Spielekonsolen, den VirtualBoy von Nintendo, auffrischen. Da diese VR-Konsole keinerlei Bewegungserkennung integriert hatte, war das Spielen daran allerdings – dank schnell auftretender Übelkeit – häufig ein eher kurzes Vergnügen.
Ebenfalls seit mehreren Jahren können im CosPlay Village Cosplayerinnen und -player bewundert werden, wie sie ihre Lieblingscharaktere aus Spielen, Mangas, Filmen oder ähnlichen in kunstvollen Kostümen und mitunter mit bemerkenswertem schauspielerischem Talent nachstellen.
Wie bereits die Bundeswehr auf der letztjährigen re:publica, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen durchaus umstrittenen Auftritt zu verzeichnen, dessen Messeplatz durchzogen war mit standfüllenden Deutschlandfahnen, in die sich Salafistinnen und Salafisten, Neo-Nazis und Antifa einbrannten. Trotz Kontroverse im Vorfeld blieb der Stand eher zurückhaltend besucht. Besuchende, die aufgrund des Standdesigns mit spielerischen Highlights doch neugierig geworden waren, wurden allerdings enttäuscht: In der VR-Demo konnte – auf grafischer wie inhaltlicher Ebene unelegant gelöst – lediglich die Wohnung eines Salafisten anhand einfacher Kommandos durchsucht und Indizien für dessen Radikalisierung gefunden werden.
Deutlich beliebter war der Stand der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), bei dem die Besucherinnen und Besucher ihr Wissen rund um Spiele oder mediale Aufklärung testen konnten.
gamescom – bekannt und gut
Die Messe ist seit über einem Jahrzehnt fester Bestandteil der Spieleszene. Das verdeutlichen auch die stetig neuen Besucherrekorde und die stetig neuartigen Angebote – auch abseits des Gamings. Wer im kommenden Jahr mit in diese Welt eintauchen möchte, kann sich den 26. bis 29. August 2020 bereits vormerken.
Marvin Fendt ist Werkstudent im Medienzentrum München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Er studiert Soziale Arbeit an der Hochschule München.
Kira Thiel: von Neumann-Cosel, Maxie/Yxalag (2019). Miloš und die verzauberte Klarinette. Hörspiel, Yxalag/German- Pops Media. 58 Min., 12,00 €.
Als der neunjährige Elias an diesem Tag von der Schule nach Hause kommt, hat er richtig schlechte Laune. Grußlos stapft er an Opa Miloš vorbei und verbarrikadiert sich in seinem Kinderzimmer. Es ist aber auch wirklich zu blöd! Sein bester Freund und dessen Familie sollen zurück in ihr Heimatdorf im Kosovo – und das obwohl Luca doch schon seit Ewigkeiten in Deutschland lebt. Um seinen Enkel aufzuheitern, überreicht Opa Miloš ihm ein schwarzes Instrument mit vielen kleinen, silbernen Knöpfen: eine Klarinette. Die gehörte vor langer Zeit einem jungen Prinzen namens Miloš – das behauptet zumindest der gleichnamige Großvater. Und nicht nur das. Neben seiner royalen Herkunft zeichne sich das Holzblasinstrument auch noch durch seine magischen Kräfte aus. So habe die Zauber-Klarinette Prinz Miloš auf der Flucht vor einem bösen König nicht nur vor gefährlichen Tieren und einer Horde wilder Räuber beschützt, sondern ihn schließlich sogar zu seiner großen Liebe geführt. Dass das Märchen von Prinz Miloš auffällige Parallelen zum Leben seines Lieblingsopas aufweist, wird Elias erst klar, als sein Vater ihn über dessen Vergangenheit aufklärt: Opa Miloš ist vor vielen Jahren aus einem kleinen Dorf im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen – seine geliebte Klarinette im Gepäck.
Die märchenhafte Parabel vom Prinzen und seiner verzauberten Klarinette dürfte vor allem junge Hörspiel-Fans im Alter von sechs bis zehn Jahren begeistern. Kindgerecht illustriert sie, was Menschen dazu bewegt, ihre Heimat zu verlassen und wie es sich anfühlt, in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Dabei porträtiert das Musik-Hörspiel zwei entgegengesetzte migrantische Schicksale. So sind Luca und seine Familie gezwungen, ihre Wahlheimat zu verlassen und an einen Ort zurückzukehren, der für sie schon lange kein Zuhause mehr ist. Opa Miloš hingegen ist nach der Flucht nie wirklich angekommen und vermisst seine osteuropäische Heimat auch Jahrzehnte später noch schmerzlich. Diese beiden konträren Perspektiven verdeutlichen, dass Heimat subjektiv sehr unterschiedlich erlebt werden kann. Während der Begriff für die einen vor allem territoriale Aspekte wie das Herkunftsland, die Nationalität und kulturelle Eigenheiten umfasst, bedeutet er für die anderen ein ortsungebundenes Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit.
Neben der Frage, was Heimat eigentlich ausmacht, stellt das Abschiednehmen ein zentrales Motiv innerhalb der Geschichte dar. Einfühlsam behandelt das Hörspiel damit einen in Kindermedien vernachlässigten Themenbereich. So sieht sich Elias nicht nur mit dem nahenden Abschied seines besten Freundes konfrontiert. Auch sein alter, kranker Opa, das ahnt er, wird nicht für immer bei ihm bleiben. Umso schöner ist es, dass er mit der Klarinette nun ein Andenken an seine wichtigste Bezugsperson besitzt.
Generell wirkt das Hörspiel trotz der nicht ganz leichten Kost nie bedrückend oder beängstigend. Sein positiv-hoffnungsvoller Charakter ist nicht zuletzt auf die unaufgeregte, eher implizite Sprache zurückzuführen, in welcher der Text gehalten ist. Zudem ist Autorin Maxie von Neumann-Cosel offenkundig darum bemüht, den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern in der Kürze der Handlung ein zufriedenstellendes Happy End zu bieten. Was gut gemeint ist, will angesichts der Komplexität der behandelten Thematik allerdings nicht so recht gelingen. Die Vorstellung, dass er seinen Freund in den nächsten Ferien im Kosovo besuchen wird, der Abschied also nicht für immer ist, mag aus Sicht von Elias tröstlich sein. Lucas Perspektive – was die Abschiebung für die Familie bedeutet und wie es fernab der Heimat für sie weitergeht – wird durch diese einseitige Fokussierung allerdings gänzlich außer Acht gelassen. Hierdurch wirkt das Ende der Geschichte bedauerlicherweise etwas unvermittelt und eindimensional.
Nichtsdestotrotz ermöglicht das Hörspiel Kindern im Grundschulalter eine altersgerechte Annäherung an die Themen Heimat, Zuwanderung und Flucht. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen kann die Geschichte Eltern und Großeltern Anknüpfungspunkte für weiterführende Gespräche zur Flüchtlingsthematik bieten. Auch in der (medien-)pädagogischen Arbeit ist der Einsatz des Hörspiels denkbar. Vor allem in multikulturellen Kontexten kann es einen wertvollen Perspektivwechsel ermöglichen und auf diese Weise das Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Lebenssituation von Menschen aus anderen Kulturkreisen fördern.
Musikalisch untermalt wird die Geschichte von abwechslungsreichen Klängen im Klezmer-Stil. Die jüdische Volksmusiktradition kombiniert melancholische Moll- mit fröhlichen, tanzbaren Dur-Melodien und erschafft auf diese Weise einen einzigartig stimmungsvollen Sound. Die deutsche Klezmer-Band Yxalag, die in ihren Stücken passenderweise Einflüsse aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenführt, unterstreicht durch den Wechsel von schwermütigen und beschwingten Klängen die innere Zerrissenheit vieler Migrantinnen und Migranten: Ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Ferne stehen Ungewissheit und Abschiedsschmerz gegenüber. Unabhängig von der beschriebenen Metaphorik und Symbolik, die die junge Zielgruppe ohne eine elterliche bzw. (medien-)pädagogische Begleitung ohnehin kaum durchschauen dürfte, ist Miloš und die verzauberte Klarinette vor allem eines: die rührende Geschichte einer ganz besonderen Opa-Enkel-Beziehung mit einer schwungvollen musikalischen Begleitung.
Miloš und die verzauberte Klarinette wurde vom Verband deutscher Musikschulen für den Medienpreis LEOPOLD – Gute Musik fürKinder 2019/2020 nominiert und steht dementsprechend auf der Hörmedien-Empfehlungsliste des Verbandes. Preisgekrönt ist zudem Synchronsprecher Jonas Nay, der 2016 bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Die Geschichte ist auf CD erhältlich und hat eine Gesamtlaufzeit von 58 Minuten. Alternativ kann sie über die Streamingplattformen Spotify, Deezer und Google Play Music abgerufen werden. Einen Anreiz für den Kauf der CD stellt das beiliegende illustrierte Booklet dar, welches die serbische Künstlerin Andja Stanković fantasievoll gestaltet hat.
Kira Thiel war Volontärin bei merz | medien + erziehung und kopaed. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI).
Kira Thiel: #werbung
Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (2019). Influencer-Werkstatt. Interaktive Lernbausteine. https://apps.medienberatung.online/influencer, kostenfrei.
Auf ihren Social Media-Kanälen präsentieren sie sich im Fitnessstudio, beim Essen oder Schminken, mit den neuesten Sneakers, einem Kaffeebecher in der Hand oder im Flugzeug auf dem Weg in den Traumurlaub: Influencerinnen und Influencer. Zu den Fans der Internet-Stars zählen mehrheitlich Kinder und Jugendliche, die BibisBeautyPalace und Co. als Stars zum Anfassen erleben. Diese wahrgenommene Authentizität machen sich immer mehr Werbetreibende zunutze: Im Rahmen des sogenannten Influencer-Marketings (siehe stichwort in dieser Ausgabe, S. 4) binden sie Influencerinnen und Influencer gezielt in ihre Kampagnen ein, um die junge Zielgruppe mit ihren Werbebotschaften zu erreichen. Dabei integrieren die Internet-Testimonials die Produkte oft so geschickt in ihren Feed, dass es schwierig ist, entsprechende Inhalte als Werbung zu erkennen – insbesondere wenn eine eindeutige Kennzeichnung fehlt.
Vor diesem Hintergrund hat das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung in Zusammenarbeit mit der AMMMa AG die Influencer-Werkstatt erstellt, eine Lernplattform zum Thema „Influencerinnen, Influencer und Werbung“. Die digitalen Unterrichtsmaterialien ermöglichen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen I und II, ihren Internet-Idolen auf den Zahn zu fühlen. In sechs interaktiven Lernbausteinen, die jeweils mehrere Aufgaben umfassen, wird das Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: von einer ausführlichen Begriffsdefinition über die Betrachtung der wichtigsten Social Media-Plattformen und Marketingstrategien bis hin zu einer beispielhaften YouTube-Videoanalyse. Doch nicht nur die Meinungsmacherinnen und -macher stehen auf dem Prüfstand. Auch eine kritische Reflektion des eigenen Online- und Konsumverhaltens wird durch eine Selbsteinschätzung angeregt. Neben den sechs Basis-Bausteinen bietet die Website außerdem zwei praxisorientierte Module, die sich der selbstständigen und vergleichenden Filmanalyse sowie der Produktion eines eigenen Videos im Influencerinnen- bzw. Influencer-Stil widmen.
Der Aufbau der Lernplattform ist übersichtlich und verständlich. Die enthaltenen Arbeitsaufträge sind didaktisch bunt gemischt. Je nach Themenschwerpunkt sollen von den Schülerinnen und Schülern unter anderem Schaubilder und Steckbriefe erstellt und Texte sowie Praxisbeispiele in Form von Fotos und Videos analysiert werden. Letztere entstammen mehrheitlich den Plattformen YouTube und Instagram, die – wie die Leserinnen und Leser erfahren – im Influencerinnen- und Influencer-Business die größte Rolle spielen. Die Arbeitsaufträge sind dabei stets präzise formuliert. Sollten dennoch Verständnisschwierigkeiten auftreten, wird die Aufgabenstellung über verlinkte Schlüsselwörter noch einmal spezifiziert. Ebenso benutzerfreundlich ist die Bedienung der Plattform. Die Website kann ohne vorherige Anmeldung über jeden modernen Browser aufgerufen werden. Bei der Nutzung über ein mobiles Endgerät sollte für die Texteingabe allerdings eine externe Tastatur verwendet werden, da die virtuelle Tastatur am Tablet oder Smartphone einen großen Teil des Bildschirms verdeckt und somit die Bearbeitung erschwert. Ansonsten ist die Handhabung grundsätzlich selbsterklärend. Für den Fall, dass doch einmal technische Fragen auftreten sollten, gibt es im „Hilfe“-Bereich der Website ausführliche Erklärungen zur Nutzung der einzelnen Tools, die teilweise eigens für die Influencer-Werkstatt entwickelt wurden. Für die Videoanalysen beispielsweise steht den Schülerinnen und Schülern ein Auswertungswerkzeug zur Verfügung, mithilfe dessen Bildschirmfotos in ein Schaubild integriert werden können. Auf der virtuellen Arbeitsfläche sind zudem erklärende Elemente wie Textfelder, Pfeile und andere Symbole verfügbar, die einfach per Mausklick hinzugefügt und im Anschluss beliebig platziert werden können. Alternativ kann im Analyse-Modul das externe Tool Lichtblick verwendet werden. Praktischerweise besteht bereits eine Verknüpfung mit besagtem Programm, sodass ein Klick auf die verfügbaren Videos genügt, um den gewünschten Clip in diesem zu öffnen.
In einigen Modulen finden sich zudem aufklappbare Materialien-Texte, die grundlegende Informationen zur Bearbeitung des jeweiligen Themenschwerpunkts liefern. Bei der Zusammenstellung der Informationen wurde auf eine übersichtliche Textmenge geachtet. An manchen Stellen entsteht durch diese schülerfreundliche Komprimierung allerdings der Eindruck, dass komplexe Themen wie Schleichwerbung und Influencer-Marketing etwas zu oberflächlich behandelt werden. Hier wären weiterführende Informationen und Begriffsklärungen, beispielsweise in Form einer Linksammlung, wünschenswert.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die inhaltliche Zusammensetzung einzelner Bausteine. So folgt auf die Beantwortung der Frage „Was ist ein Influencer?“ im gleichnamigen Modul unvermittelt die Auseinandersetzung mit Schleichwerbung, ohne im Vorfeld den Aspekt der Werbung thematisiert zu haben.
Nichtsdestotrotz stellt das Webangebot eine gute Möglichkeit dar, das komplexe Thema „Influencerinnen, Influencer und Werbung“ im Unterricht aufzugreifen und multiperspektivisch zu bearbeiten. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik werden die Schülerinnen und Schüler für persuasive Werbebotschaften im Netz sensibilisiert und ihre Medien- und Werbekompetenz gefördert. Zudem dürften sie sich über den Lebensweltbezug der Unterrichtseinheit freuen. Die Influencer-Werkstatt eignet sich insbesondere für den Einsatz in den Fächern Deutsch, Werte und Normen, Sozialkunde sowie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn sich die Plattform offiziell an alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II richtet, scheint eine Bearbeitung vor allem in der Unter- und Mittelstufe lohnenswert. Doch nicht nur Lehrkräfte können das umfangreiche Webangebot nutzen. Einige Lehrbausteine sind auch für (medien-)pädagogische Fachkräfte von Interesse. So kann unter anderem das Modul „Produktionsplanung“, das auf die Konzeption und Umsetzung eines eigenen Influencerinnen- bzw. Influencer-Videos abzielt, auch in der außerschulischen Jugendarbeit eingesetzt werden. Während einige Bausteine klassisch didaktische Aufgabentypen umfassen und entsprechend stark auf den Einsatz im Unterricht ausgerichtet sind, ermöglicht das beschriebene Praxismodul eine gemeinschaftliche kreative Auseinandersetzung mit den Social Media-Stars – auch fernab der Schule.
Sonja Berger: Die Eroberung unbekannten Terrains in einer nicht mehr so neuen Welt
Hasso-Plattner-Institut (2019). Neuland. Podcast, abrufbar unter www.hpi.de/medien/podcast sowie iTunes und Spotify, kostenfrei.
Dass das Internet kein echtes „Neuland“ mehr ist, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen begriffen, obwohl sie 2013 bekanntlich noch von einem eben solchen gesprochen hat. Ganz Unrecht hat sie hingegen nicht, wenn gemeint ist, dass einige Gebiete dieses Neulands noch nicht bis ins letzte Detail erforscht sind. Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) widmet sich diesen leeren Stellen auf der Landkarte des Internets in einem Podcast. Wissbegierige finden hier Interviews mit Expertinnen und Experten des Instituts, die sich schon seit vielen Jahren mit Big Data und verwandten Themen beschäftigen.
Seit Anfang des Jahres erscheint alle zwei Wochen der Wissenspodcast Neuland, der über die zugehörige Website und über gängige Podcast-Streaming-Anbieter wie iTunes oder Spotify gehört werden kann. Neuland verfolgt ein hoch gestecktes Ziel: Aufklärung über Chancen und Risiken der Digitalisierung, verständlich und auf den Punkt gebracht.
Die Podcast-Folgen variieren in ihrer Länge zwischen 25 und gut 30 Minuten. Zu hören sind Interviews, geführt von Leon Stebe, der sonst dem Nachrichtensender Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) seine Stimme leiht. Er spricht mit Lehrstuhlinhabern des HPI, das gemeinsam mit der Universität Potsdam die Fakultät für Digital Engineering gegründet hat.
In den ersten vier Folgen spricht Stebe mit Führungskräften des HPI – über Digitale Welten, Big Data, Digital Health und Blockchain.
Dass unter den Gesprächsteilnehmenden nur sehr wenige Frauen sind, verwundert nicht in Anbetracht des hauptsächlich aus männlichen Vertretern bestehenden Führungskaders.1
Abgesehen von der Gender-Problematik, die bekanntlich unter Institutionen der Informationstechnologie auch viele andere betrifft, besteht Aufklärungsbedarf der Öffentlichkeit in puncto Aufklärung und Sensibilisierung im Internet. Die erste halbstündige Podcast-Folge mit Christoph Meinel, Geschäftsführer und Direktor des HPI, leuchtet die dunklen Bereiche des Neulands aus und liefert eine Brainstorm-artige Übersicht: Virtuelle Realität, IT-Sicherheit, Funktionsweise von technischen Systemen, Selbstbestimmung, Fake News, Datenschutz.
Die zweite Folge dreht sich um Datenschutz. Moderator Stebe befragt Felix Naumann, Professor für Informationssysteme, zum Berufsbild eines Data Scientists. Naumann erklärt hierbei, was zum Beruf des Data Scientist gehört, wie man diesen Beruf ergreifen kann und wie er sich von anderen Berufsbezeichnungen abgrenzt. Dabei problematisiert er eindringlich, warum die Sensibilität für den Schutz der eigenen privaten Daten in der Gesellschaft im Vergleich zu jener der 1970er-Jahre so stark abgenommen hat und warum anonymisierte Daten nicht zwangsläufig auch anonym sind.
Eine Vision davon, was vielleicht in Zukunft mit unseren Gesundheitsdaten möglich ist, teilt uns Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Center, in der dritten Folge mit. Statt tagelang auf Laborergebnisse zu warten, könnten Patientinnen und Patienten ihre Blutwerte mithilfe digitaler Mini Labore, die sie bei sich tragen, selbst messen und im Falle von Beschwerden die Anamnese mit Hilfe einer Software veranlassen. Digitale Innovation zur Prävention von Krankheiten nutzen – statt Dauerüberwachung – ist seine Devise.
Auf so manch komplexen Fachbegriff stoßen die Zuhörerinnen und Zuhörer beim Thema Blockchain in der Episode zu IT-Sicherheit. Bei Themen wie Hash-Funktion, Public Key und Konsensalgorithmen sollte – wer Christoph Meinel hier folgen können möchte – schon ein wenig Vorwissen mitbringen. Meinel bemüht sich jedoch sehr, die Konzepte anschaulich mit Beispielen zu unterfüttern. Zuhörerinnen und Zuhörer, die allerdings keinerlei Bezüge zum Programmieren, zu Kryptowährungen oder zumindest zu Buchhaltungssystemen besitzen, sind an manchen Stellen vermutlich überfordert. Co-Direktorin Claudia Nicolai und Programmmanager Holger Rhinow der School of Design Thinking stellen das Konzept des Design Thinking vor, eine Methode, wie Teams in Unternehmen effektiv an Problemlösungen – auch im Bereich der Digitalisierung – arbeiten können. Diese Episode bietet einen spannenden Einblick in das, was Führungskräfte in den Design Thinking Workshops des HPI erwartet: analoge Räume, Perspektivenwechsel und spielerisches Kennenlernen auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Die weiteren Folgen beschäftigen sich unter anderem mit Hass im Netz, Algorithmen, Wearables und dem Wert unserer Daten.
Der Podcast wirkt professionell. Er überzeugt nicht nur mit eigener Website im einheitlichen Look, sondern auch mit exzellenter Tonqualität. Inhaltlich ist er um Kompaktheit bemüht, was dank des Experteninterview-Formats auch gelingt. Stebe folgt dem Prinzip eines kurzen Einstiegs, um zügig mit den Expertinnen und Experten ins Thema einzusteigen. Andere Podcasts, wie der 45- bis 60-minütige Podcast zu Digital kompakt oder Wege der Digitalisierung, tauchen dagegen tiefer in die Materie ein. Dort wird weiter ausgeholt und die Sprecherinnen und Sprecher befinden sich in einer entspannten Atmosphäre auf Augenhöhe, wie es eher für Unterhaltungspodcasts üblich ist.
Alles in allem ist Neuland deshalb für eine Zielgruppe interessant, die mehr Wert auf Wissenszuwachs als auf Unterhaltung legt und zugleich über ein gewisses Maß an Vorwissen im IT-, Management- und Finanzbereich verfügt, um bei abstrakteren Konzepten nicht auszusteigen. Zu empfehlen ist der Podcast für pädagogische Fachkräfte der Medienbildung, die auf ihre Vorkenntnisse aufbauen und sich einen Überblick über die komplexeren Bereiche der Digitalisierung verschaffen möchten.
André Golling: Das Spiele-Universum für Jugendliche
David Bazucki/ROBLOX Corporation (Hrsg.) (2019). www. roblox.com, aktualisierte, deutsche Version für PC, Mac, iOS, Android, Amazon-Geräte und Xbox One, kostenfrei.
Eine Plattform – 60 Millionen Spiele – 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. ROBLOX ist ein sogenanntes Sandbox-Game, eine Spieleplattform, auf der Userinnen und User ihre eigenen Mini-Spiele erstellen und mit anderen teilen können. Mit rund 15 Millionen Nutzenden stellt Europa, neben den USA, bislang den größten Markt dar. Seit kurzem existiert auch eine deutschsprachige Version der Spieleplattform, womit nun auch die Community-Betreuung auf Deutsch verfügbar ist. Zum Großteil der Userinnen und User zählen Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen. Bei den unter 13-Jährigen ist die Nutzung von ROBLOX bereits dreimal höher als bei YouTube.
Die hohe Beliebtheit der Plattform insbesondere unter Kindern und Jugendlichen ist offenbar auf die einfache Handhabung der einzelnen Tools und die Gestaltung der Anwendungen im LEGO-Stil zurückzuführen. Die Benutzung der kostenfreien Spieleplattform kann sowohl als App auf Smartphones und Tablets als auch auf dem Computer erfolgen. Nachdem ein kostenloser Account angelegt wurde, können Nutzende ihren Avatar nach Belieben im Look einer LEGO-Figur gestalten.
Alle auf dem Portal angebotenen Spiele und Inhalte sind uneingeschränkt sowie ohne Altersbeschränkung verfügbar. Selektiert wird lediglich nach zwei Alterskategorien: unter und über 13 Jahren, was jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Spieleauswahl hat.
Die Thematiken sind genauso vielfältig wie die Stile der Spiele: In Jump‘n‘Runs, Simulationen oder Rollenspielen können sich Nutzende als Superheldinnen und Superhelden, Dinosaurier oder Pizzaboten gegen andere behaupten – ganz unabhängig davon, ob nun gekämpft, gebacken oder ein Autorennen angetreten wird. Die Möglichkeiten, sich in ROBLOX auszuleben und zu verwirklichen, sind nahezu unbegrenzt. Inhalte und Materialien können per In-Game-Kauf mit der virtuellen Währung ROBUX erworben werden. Durch den Kauf haben die Spielenden die Möglichkeit, ihren Avatar durch andere Kleidung und Materialien aufzuwerten, oder Spielerweiterungen sowie VIP-Zugänge zu erwerben. Die Hinweise für das Bezahlen mit echtem Geld sind zwar klar ersichtlich, dennoch kann der Wettbewerbsdruck zum unreflektierten In-App-Kauf verleiten.
Auffallend ist, dass sich zahlreiche (Mini-)Spiele mit realen (arbeits-)alltäglichen Themen beschäftigen. So befasst sich beispielsweise das Spiel Arbeite in einer Pizzeria auf spielerische Weise mit Arbeitsabläufen getreu dem Motto ‚Wer erfolgreich sein will, muss viel arbeiten und Geld verdienen‘. Hier ist es Spielenden freigestellt, ob sie wirklich arbeiten oder zu Lasten des Arbeitsablaufs anderen Tätigkeiten nachgehen. Darüber hinaus sind Spielende voneinander abhängig, um bestimmte Level oder Entwicklungen zu erreichen.
Bei dem Spiel Adopt Me! tritt die Kommunikation mit fremden Userinnen und Usern als unverzichtbares Element in Erscheinung. Wie der Titel bereits verrät, werden Spielende in Familien aufgenommen. Mit diesem Spielprinzip sollen virtuelle Beziehungen zwischen den Spielenden aufgebaut werden. Die Angst, etwas zu verpassen oder bei bestimmten Aktivitäten nicht dabei zu sein, kann dazu verleiten, ständig online zu sein oder sein zu wollen. Solche und weitere Kritikpunkte vieler ROBLOX-Spiele vereint das kostenpflichtige In-Game Welcome to Bloxburg. In einem eigens geschaffenen Zuhause können die Avatare unter anderem kochen, essen und fernsehen. Interaktion und Kommunikation erfolgen wie bei vielen anderen Spielen der Plattform via Chat.
Auch Spiele mit gewalttätigem Inhalt sind auf dem Portal in großer Zahl vertreten. Das Spiel CounterBlox beispielsweise ist angelehnt an den bekannten Ego-Shooter CounterStrike, welcher dessen Brutalität durch die verpixelte LEGO-Optik verharmlost widergibt. Gewalt ist fester Bestandteil des Spiels. Dass hierbei keinerlei Altersprüfungen stattfinden und solche Games somit auch Kindern und Jugendlichen frei zugänglich sind, erscheint mehr als fragwürdig.
Im ROBLOX-Studio, dem zugehörigen Spiele-Editor, tauchen Spielende in eine virtuelle 3D-Welt ein, die sie größtenteils selbst erstellen und anschließend für alle Userinnen und User auf dem Portal teilen können. Der Kreativität und dem Spaß sind hier keine Grenzen gesetzt. Doch nicht nur solche Absichten werden verfolgt: Entwicklerinnen und Entwickler können hierbei Millionen verdienen, wenn ihre Spiele erfolgreich sind. Aufgrund dieses wirtschaftlichen Aspekts wird dieser Editior nicht nur von Newbees, sondern vor allem auch von Profis oder sogar Unternehmen genutzt, die vorwiegend Reichweiten unter den ROBLOX-Nutzenden erzielen wollen.
Bei den Anwendungen in ROBLOX stehen Unterhaltung und der schlichte Zeitvertreib im Mittelpunkt. Ein pädagogischer Nutzen kann bei zahlreichen Spielen (der Top 150) dennoch nicht erkannt werden. Bei Spielen wie Unboxing, Bee Swarm und einigen anderen handelt es sich um Anwendungen, die darauf abzielen, den eigenen Status durch bestimmte Tätigkeiten zu verbessern, um so limitierte Zugänge zu exklusiven Räumen, Welten oder Ausrüstungen zu erhalten. Kompetenzerweiterungen oder Lerneffekte bleiben meistens aus. Dennoch kann durch die Kommunikation, welche in vielen Spielen einen wesentlichen Bestandteil darstellt, die Teamfähigkeit gefördert werden.
Generell wird jedoch bei der Nutzung der Plattform keineswegs auf Zumutbarkeitsgrenzen der Spielenden geachtet, Altersbeschränkungen sind nicht vorhanden. Kinder und Jugendliche könnten somit unfreiwillig gewalttätigen oder obszönen Inhalten ausgesetzt sein – sei es direkt im Spiel oder im Chat. Zudem ist durch die Kommunikation und Interaktion nicht ausgeschlossen, dass Nutzende mit Fremden in Kontakt treten, die andere Absichten pflegen als Spiele zu testen. Dennoch oder gerade aus diesen Gründen wird der Sicherheit der einzelnen Userinnen und User in dem Portal ein großer Stellenwert zugeschrieben: Auf der Website der Plattform sind ein spezieller Ratgeber für Eltern sowie ein Themenbereich zu Sicherheit und Vertrauen angelegt. Seit dem Ausbau des Netzwerks nach Deutschland arbeiten die Entwickelnden zudem eng mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) zusammen. Spiele mit ungeeigneten Inhalten werden sofort von der Plattform gelöscht und die jeweiligen Spieleentwicklerinnen und -entwickler zur Rechenschaft gezogen. Auch werden Moderierende eingesetzt, die gegen inkorrektes Verhalten in jeglicher Form auf dem Portal vorgehen. Die Anwendung eignet sich unter anderem für Jugendliche und Fachkräfte in Bereichen der aktiven Medienarbeit, Jugendarbeit oder auch für Lehrkräfte mit Bezug zu Gaming. Aufgrund der vielen verschiedenen In-Games und Interaktionen mit Dritten sind Spaß und Spannung zwar garantiert, jedoch ist von einer unbedachten Nutzung ohne Hintergrundwissen zu Motiven, Zielstellungen und Struktur der Plattform abzuraten.
Dana Neuleitner: Le Floid vs. The World
Orlowsky, Janosch/Studio 71 (2018). Le Floid vs.The World. YouTube Originals Serie. 8 Folgen, jeweils etwa 22 Minuten. FSK 6 bis 12.
„Travel the world, understand the world, change the world“ – das ist das Motto der Serie LeFloid vs. The World, die für den Grimme-Preis 2019 in der Kategorie Kinder und Jugend nominiert war. Die achtteilige Dokumentarserie rund um einen der bekanntesten deutschen YouTuber nimmt die Zuschauenden mit auf eine Reise rund um den Globus, auf der verschiedene gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden. Dabei will er aktuelle Fragen der jungen Generation klären. Welchen Einfluss haben Dating-Apps auf Liebe? Gibt es höhere Mächte? Welche Auswirkungen hat technischer Fortschritt? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, setzt sich Florian Diedrich, wie LeFloid mit bürgerlichem Namen heißt, mit einer Vielzahl an Bereichen auseinander: Angefangen bei Selbstwahrnehmung und Schönheit werden unter anderem die Bereiche Arbeit, Sport und Glaube in jeweils 22 Minuten genauer unter die Lupe genommen. Also Themen, mit denen LeFloid, der über drei Millionen Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube hat, sein junges Publikum zielgruppengerecht erreichen kann.
Bereits in der ersten Folge spricht er ein Thema an, das vor allem – aber nicht nur – für junge Menschen in der Selbstfindungsphase von hoher Wichtigkeit ist: Wie nehmen wir uns selbst (und andere) wahr? Dafür spricht er mit Supermodel Toni Garrn über die Wirkung von Instagram und ist bei einer Schönheitsoperation an einer jungen Frau dabei. Welche Auswirkungen es haben kann, wenn man den Bezug zu sich selbst verliert, wird anhand des Beispiels Südkorea deutlich. Die Selbstmordrate liegt dort bei etwa 15.000 Personen im Jahr – die höchste der Welt.
LeFloid zeigt in einem Interview mit Kim-Ki Ho, wie man dem mit einem außergewöhnlichen Gegenmittel vorbeugen könnte: Inszenierte Beerdigungen sollen den Menschen helfen, sich an den Wert des Lebens zu erinnern. Auch LeFloid wagt den Versuch, lässt sich wohlgemerkt nur zusammen mit seinem Markenzeichen, dem Cap, ‚beerdigen‘. Im Dunkeln brauchte er sich dann aber wenigstens keine Gedanken darüber machen, wie ihn die Welt wahrnimmt.
Anders sieht es bei den etwa 95 Millionen Fotos und Videos aus, die täglich auf Instagram hochgeladen werden. Oder den 500 Millionen Tweets auf Twitter im selben Zeitraum. Wie man sich der Welt präsentiert, spielt im Zeitalter der sozialen Medien nämlich eine große Rolle. Das geht für manche sogar so weit, dass sie sich Schönheitsoperationen unterziehen, um auch im echten Leben dem Selfie-Blickwinkel zu entsprechen. „Man schaut immer hoch, neigt leicht seinen Kopf und man sieht fröhlich aus“, erklärt Schönheitschirurg Oh Myungjun, bevor er LeFloid mit in den OP nimmt, wo er seiner Patientin Fett aus ihrem Oberschenkel in die Stirn spritzt. Nichts für empfindliche Augen. Das ungeschönte Präsentieren der ruppigen Operation könnte jedoch vielleicht dazu beitragen, dass etwa junge Menschen, die an ihrem Körper zweifeln, von einem möglichen Eingriff abgeschreckt werden. Die Show zeigt sich kritisch gegenüber dem Schönheitswahn, der durch das Streben nach Likes und einem guten Image entsteht, und betont, dass Identität und Persönlichkeit mehr als nur das Oberflächliche sind und Schönheit von innen kommt. Eine wichtige Botschaft besonders für Heranwachsende. Die Vorteile von Social Media werden zwar auch thematisiert, jedoch nur am Rande. Die Suche nach dem Selbst führt LeFloid weiter zu BINA48, einem Roboter, der Teil eines futuristisch anmutenden Projektes ist. Bruce Duncan arbeitet daran, menschliches Bewusstsein zu bewahren, herunterzuladen und Roboter damit zum Leben zu erwecken. Dies wirft unter anderem die Frage auf, ob dieses Vorhaben moralisch vertretbar ist. Mit Schülerinnen und Schülern könnte etwa diskutiert werden, inwiefern sich diese Prozedur von Sprachassistenten, die sie im Alltag nutzen, unterscheidet.
Die Serie wurde auf Englisch produziert, um ein größeres Publikum zu erreichen. Deutsche Untertitel sind durchgängig verfügbar und ein Teil der Interviews wurde außerdem auf Deutsch gedreht. Dass die Serie stets darauf achtet, Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und den Zuschauenden keine bestimmte Sichtweise aufzuzwingen, ist positiv hervorzuheben. Auch Sachverhalte, die vermutlich die wenigsten im Alltag hinterfragen, werden angesprochen und regen zum Nachdenken an. So wird in der Folge Money nachgeforscht, warum Geld für uns und in der Welt so eine große Bedeutung hat, und wie in Kenia durch die Einführung des innovativen bargeldlosen Bezahlsystems M-Pesa auch Menschen ohne Bankkonto eine neue Chance gegeben wird.
Darüber hinaus befasst sich die Serie mit Künstlicher Intelligenz und deren Einfluss auf unser zukünftiges Arbeitsleben und zeigt, welche Chancen Musik mit sich bringt. Beispielsweise, dass sich Musik bei Alzheimer am längsten im Gedächtnis hält, während andere Erinnerungen schneller verloren gehen. Den Rezipientinnen und Rezipienten werden viele wissenswerte Aspekte rund um Alltagsthemen aufgezeigt. Die Serie ermöglicht es, auch mal einen Blick über den Tellerrand hinauszuwerfen und beispielsweise zu erfahren, dass Musik junge Leute im geteilten Jerusalem zusammenbringt oder in Nairobi einen mentalen Ausweg aus den Slums bietet. Durch die durchdachte Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen können Vorurteile möglicherweise abgebaut werden. Nebenbei erhält man viele Information wie etwa, dass auf der größten Müllhalde Deutschlands täglich etwa 2.000 Tonnen Müll, unter anderem von Flughäfen, abgeladen werden. Dies könnte viele Menschen ermuntern, über ihre Lebensweise nachzudenken.
LeFloid vs. The World besticht durch seine qualitativen Inhalte – dass diese durch die Sendezeit von 22 Minuten oftmals nicht völlig ausgeschöpft werden können, ist zwar schade, da viele Aspekte nur oberflächlich behandelt werden, aber verständlich. Dennoch wären längere Interviews und eine tiefere Auseinandersetzung mit den einzelnen Unterthemen wünschenswert, wodurch die Sprunghaftigkeit von einem Thema zum nächsten möglicherweise ebenfalls unterbunden werden könnte. Die Interviewpartnerinnen und -partner sind in der Regel gut gewählt und verfügen über breites Fachwissen. Hervorzuheben ist hier, dass viele einflussreiche Personen darunter sind, wie etwa Dan Reynolds von Imagine Dragons, Basketballer Dirk Nowitzki, Rapper Ice-T oder der Nobelpreisträger Kip Thorne. Das spricht ebenfalls für die Qualität des Angebots, dessen Inhalte zu weiterer Auseinandersetzung anregen. Bis auf die erste Folge ist die Serie nur auf YouTube Premium verfügbar, kann aber über einen Probemonat kostenfrei abgerufen werden.
Markus Achatz: Die Schule und das Leben
Das Filmfest München befindet sich im Wandel. Höheres Budget, wachsende Ansprüche, ein zusätzlicher Wettbewerb und die Diskussion um größere Ambitionen für die Zukunft. Dieses Jahr wurden 180 Filme in mehr als 500 Screenings gezeigt. Das internationale Filmfest ist also in einer Phase der Veränderung. Es scheint manchmal so, als wisse es noch nicht so genau, was es werden soll, wenn es groß ist. Das parallel laufende Kinderfilmfest fristet eher ein Schattendasein. Im Vergleich zum neuen Wettbewerb Cinecopro-Award (mit 100.000 Euro dotiert) erhält der Kinderfilmfest-Publikumspreis gerade einmal 1.000 Euro. Insgesamt präsentierte das Filmfest München wieder eine Reihe an spannenden Erzählungen, die vom Heranwachsen in unsicheren Zeiten handeln, von der Suche nach Identität, Freundschaft und Zuneigung und in mehreren erwähnenswerten neuen Produktionen ging es auch um die Schule. Im Kinderfilmfest-Programm sind zwei Produktionen aus den Niederlanden herausgestochen, die jeweils auf erfolgreiche Jugendbuchvorlagen zurückgehen.
Erinnerungen im Küstensand: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
Von einer außergewöhnlichen Ferienbegegnung zweier Heranwachsender handelt Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess. Das gleichnamige Buch hat Anna Woltz geschrieben, Regie führte Steven Wouterlood. Die Geschichte wird aus der Perspektive des elfjährigen Sam erzählt, der mit seiner Familie auf der Insel Terschelling Urlaub macht. Gleich am ersten Tag bricht sich Sams älterer Bruder Jore ein Bein. Er ist in ein tiefes Sandloch gestolpert, das Sam zuvor gegraben hatte, um sich wie in ein Grab hineinzulegen. Sam beschäftigt vor allem der Gedanke als Jüngster alleine übrig zu bleiben, wenn alle anderen vor ihm sterben. Seine eigene Seltsamkeit relativiert sich, als er die quirlige Tess kennenlernt. Sie scheint eine verrückte Idee nach der anderen zu haben. Sam ist sogleich fasziniert von Tess, doch muss er im Laufe der folgenden Tage mehrfach erfahren, dass Tess schwer einzuschätzen ist und ihn auch mal in den Dünen stehen lässt. Eigentlich wollte Sam während der Ferien üben, wie es ist allein zu sein. Doch sein ‚Alleinheitstraining‘ wird durchkreuzt, da er am liebsten jede freie Minute mit Tess verbringen will. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Tess hat ihren leiblichen Vater, von dessen Identität sie eigentlich gar nichts wissen soll, heimlich auf die Insel gelenkt. Sie möchte nun herausfinden, ob er es wert ist, zu erfahren, dass er eine Tochter hat.
Der Film hält eine feinsinnige Balance zwischen Humor und Nachdenklichkeit und fängt dabei die faszinierende Insellandschaft ein. Die Figuren handeln so, dass auch die damit verbundenen Konsequenzen – positive wie negative – deutlich werden. Im Verlauf der Geschichte schimmern immer wieder unterschiedliche Möglichkeiten ihres Ausgangs auf. Das hält die Spannung, wenngleich sich am Ende – dies kann man den Machern vielleicht vorwerfen – einige der angerissenen Probleme relativ glatt lösen. Dennoch ist die Moral der Geschichte eine durchaus schöne: denn Sam hat gelernt, wie wichtig es ist, möglichst viele Erinnerungen zu sammeln, in denen man das Leben mit anderen teilt.
Junge Lehrerin mit Superkräften: Superjuffie
Vom Produktionsteam der beliebten Mister Twister-Filme aus den Niederlanden stammt Super Miss (Superjuffie). Darin gerät die Grundschullehrerin Josie kurz nach Ankunft an der neuen Schule in große Turbulenzen. Die junge ‚Miss‘ (niederländ. ‚Juffie‘ übliche Anrede für Lehrerinnen in Holland) zieht ins alte Haus ihrer Tante und findet dort eine geheimnisvolle Statue. Von dieser übertragen sich Superkräfte auf die junge Frau und plötzlich hört sie Tiere, die um Hilfe rufen. Ihre Mission: Tiere retten. Zunächst muss sie lernen, die neuen Superkräfte zu beherrschen, was sich als Lehrerin nicht ganz einfach erweist. Als vier Schülerinnen und Schüler beobachten, wie sich ihre Lehrerin in eine Superheldin verwandelt, lassen sie sich nicht davon abhalten, beim nächsten Abenteuer dabei zu sein.
Der Film basiert auf den Kinderbüchern von Janneke Schotveld. Ähnlich wie bei Mister Twister ist der hauptsächliche Handlungsort eine Grundschule mit einer jungen Lehrkraft als Hauptfigur. Dieser wird eine kuriose Schulleitung entgegengesetzt. Neu sind bei Super Miss die fantastischen Elemente und eine sich entspinnende Krimigeschichte. Leider bleiben aufgrund der vielen Spezialeffekte die meisten Figuren eher blass. Insbesondere die Schülerinnen und Schüler sind nicht viel mehr als namenlose Begleiterinnen bzw. Begleiter, wodurch die Filmemacher die Chance vergeben, den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern – abseits einer harmlosen Superheldin und süßen, sprechenden Tieren – weitere Identifikationsfiguren zu bieten. Trotzdem ist Super Miss unterhaltsames Familienkino mit Hauptfiguren wie der Super Miss oder dem trotteligen Schuldirektor Herr Schnauz, die auch jüngeren Kindern Spaß machen.
Schule als Herzenswunsch: Chuskit
Einen ganz anderen Blick auf Schule wirft der indische Film Chuskit. Die zehnjährige Chuskit lebt in einem Himalayadorf in Ladakh und wünscht sich nichts mehr, als gemeinsam mit ihren Freundinnen zur Schule zu gehen. Nach einem Unfall in den Bergen erleidet Chuskit eine Querschnittslähmung. Vor allem der konservative Großvater versucht das Mädchen davon zu überzeugen, sich das Hirngespinst ‚Schule‘ aus dem Kopf zu schlagen, doch sie will nicht aufgeben.
Der Film von Regisseurin Priya Ramasubban basiert teils auf wahren Begebenheiten und zeichnet Chuskits Charakter in unterschiedlichen Facetten. Das Kind hadert mit ihrem Schicksal, kommandiert die Familie herum und projiziert ihre Frustration auf den Großvater, der das Sagen hat. Gleichzeitig kann sie sich aber auch über Kleinigkeiten freuen, hat einen starken Willen und hält an ihrem großen Traum fest. Chuskit muss im Laufe der Geschichte lernen, mit ihrer Situation umzugehen, ohne ihre Träume und Ziele aufzugeben und ohne gegenüber den anderen ungerecht zu sein. Der Film macht deutlich, wie schwer diese Aufgabe ist und blendet auch nicht aus, wie Chuskit leidet. Die Stärke der Geschichte liegt auch darin, sich auf die Dynamik des Verhältnisses zwischen Chuskit und ihrem Großvater zu fokussieren. Mit jungen Protagonistinnen und Protagonisten auf Identitätssuche befassten sich auch mehrere Beiträge außerhalb des Kinderfilmfest.
Mitten im Übergang: Eighth Grade
Im Film Eighth Grade des US-Amerikaners Bo Burnham (Filmfestreihe Spotlight) dreht sich alles um die 13-jährige Kayla und ihre letzte Woche in der Middleschool. Sie ist mittendrin im Strudel der Veränderungen. Regisseur Bo Burnham ist als Comedian, Sänger und YouTuber bekannt und sagt, dass er viel von seinen eigenen
Unsicherheiten und Ängsten in die Figur von Kayla gepackt hat. Dabei setzt er seine Hauptprotagonistin in teils extremen Close-Ups in Szene. Dadurch nehmen Zuschauende an Kaylas Blick auf die Welt sehr intensiv Anteil. Im Übergang der Middleschool zur Highschool sehnt sie sich nach wahren Freunden und versucht mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Dabei macht Kayla ihre Sache eigentlich ganz gut. Sie traut sich beispielsweise auf YouTube über sich zu sprechen, darüber, was sie beschäftigt. Auch wenn sich kaum jemand dafür interessiert. Hauptdarstellerin Elsie Fisher spielt die Rolle unglaublich gut. Kaylas Charakter wächst im Laufe der Geschichte und hinterlässt uns – wie auch ihren Vater – mit der Überzeugung, dass sie das alles schon schaffen wird.
Täglicher Terror durch Mitschüler: The Pig
Ganz anders sieht das beim 13-jährigen Rumen in der bulgarisch-rumänischen Produktion The Pig (Filmfestreihe International Independents) aus. Hier steht ein absoluter Außenseiter im Mittelpunkt der Story. Rumen ist dick und unbeholfen und wird aufs Extremste in seiner Schule schikaniert. Auf dem Weg zur Schule steckt er schon die erste Tracht Prügel ein. Zunächst erträgt er all das mit bemerkenswertem Gleichmut, bis eines Tages ein neuer Mitschüler in die Klasse kommt und für Rumen das Fass überläuft. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Rumen muss abtauchen. Aber wo soll er denn hin? Mit seinem ersten Feature-Film Shelter (2010) hat der bulgarische Regisseur Dragomir Sholev weltweit mehr als 20 Preise gewonnen. Zuvor hat er mehrere Kurzfilme und eine Dokumentation gedreht. In The Pig gelingt es Sholev auf intensive Weise, die Gewalt und die Anspannung förmlich spürbar zu machen. Dabei hat er viel mit der Spontaneität seines Hauptdarstellers Rumen Georgiev gearbeitet, der sich bis zu einem gewissen Grad selbst gespielt und seine eigenen Erfahrungen als Mobbing- und Gewaltopfer eingebracht hat. Die beinahe dokumentarische Form macht den Film zu einem kontroversen, aber auch sehr eindringlichen Werk, das mit den Grenzen von Fiktion und Realität provokant zu spielen vermag.
Kristin Narr, Janina Carmesin: WebDaysMOOC
Sie sind leise, tanzen im Verborgenen Tango, formieren sich zu Kategorien und werden in Form von Werbebannern, maßgeschneiderten Empfehlungen und Vorhersagen laut – die Datenspuren, die wir alle täglich hinterlassen. Eine Auseinandersetzung mit genau diesen ganz persönlichen Datenspuren sollte der interaktiv gestaltete Online-Kurs WebDaysMOOC schaffen.
Der Massive Open Online Course („offener Online-Kurs für Viele“, kurz: MOOC) fand im Herbst 2018 zum ersten Mal statt, richtete sich an Jugendliche ab 14 Jahren und wurde von den WebDays, einem Projekt der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland (IJAB e. V.), auf der Plattform oncampus (oncampus.de/webdaysmooc) durchgeführt. Jährlich wird eine Konferenz mit Jugendlichen zu Themen des jugendgerechten Daten- und Verbraucherschutzes veranstaltet – und nun auch Online-Kurse für Jugendliche.
Der WebDaysMOOC verfolgte das Ziel, möglichst viele junge Menschen an das abstrakte Thema Datenschutz heranzuführen. Sie sollten angeregt werden, ihrem digitalen Ich „ins Gesicht zu schauen“ und eine eigene Haltung und einen möglichst praktikablen Weg zu den Themen Datenschutz und digitale Selbstbestimmung zu entwickeln.
Jugendliche waren sowohl in der Konzeption als auch bei der Erstellung von Inhalten beteiligt: An einem Konzeptionswochenende und im Laufe des Sommers wurden mit jungen Menschen, die bereits an WebDays-Konferenzen teilgenommen hatten, Themen und Ideen zur Ausgestaltung ausgearbeitet. Im Herbst folgte mit Unterstützung der Medienwerkstatt Leipzig die Produktion der Videos. Im Nachgang wurde der Kurs durch einen Fragebogen und Einzelinterviews mit Jugendlichen in einer Masterarbeit an der Universität Leipzig ausgewertet.
Das Angebot stieß auf großes Interesse. Zum Start waren über 200 Menschen angemeldet. Im Laufe des eigentlichen Kurszeitraums stiegen die Anmeldungen weiter an. Der WebDaysMOOC steht seither als unbetreutes Selbstlernangebot zur Verfügung. Mittlerweile sind fast 400 Menschen eingeschrieben und über 110 haben das Abschlusszertifikat erhalten (Stand: März 2019).
Die vier Kurswochen ergaben vier thematische Einheiten mit einer ähnlichen didaktischen Struktur: interaktive Videos mit Fragen und Aufgaben oder einem interaktiven Spiel als thematische Einführungen, Umfragen zur Selbsteinschätzung, Übungen und Aufgaben sowie Austausch und Reflexion der Kursteilnehmenden und Interviews mit Expertinnen und Experten zur Sortierung und Kommentierung.
Konzeptionell wurde Wert darauf gelegt, mit bekannten Phänomenen zu beginnen, schrittweise komplexer zu werden und stets die Alltagsrelevanz im Blick zu behalten. In der ersten Woche ging es um das Erkennen, wie die Beeinflussung durch Menschen und Maschinen funktioniert. Unter anderem wurde mit Moderator Philipp Walulis der Unterschied zwischen Schleichwerbung und Produktplatzierung und die Rolle von Influencern und Social Bots verdeutlicht. In der zweiten Woche stand das Verstehen, welche Daten über einen selbst und uns alle existieren und wie Daten verknüpft werden, im Fokus. Neben der Auseinandersetzung mit Datenspuren im eigenen Alltag erklärte Datenschützerin Katharina Nocun, welche Daten mächtige Unternehmen erheben und wie sie sie verwerten. Die Teilnehmenden richteten in der darauffolgenden Woche ihren Blick auf Zukunftsszenarien mit dem Augenmerk auf technische Entwicklungen. Mit Hilfe eines eigens für den WebDaysMOOC erstellten Spiels setzten sich die Teilnehmenden im Spielen mit unserer vernetzten Zukunft auseinander. Zur zusätzlichen Kommentierung dieser Einheit brachte Dr. Florina Speth die Szenarien mit Prognosen der Zukunftsforschung zusammen. Der Konkretisierung mit speziellen Werkzeugen und dem Gestalten der eigenen digitalen Umgebung wurde sich in der letzten Woche gewidmet, und mit einer Abschlussfeier in Form einer Online-Livesession gemeinsam mit Steffen Haschler von Chaos macht Schule beendet. Die ersten Ergebnisse der Abschlussumfrage unter den Jugendlichen werden im Folgenden vorgestellt.
Eine derart interaktiv ausgerichtete und multiperspektivische Lernumgebung, die von der Interaktion mit Lerninhalten und den Beteiligten lebt, ist zum einen eine lebendige, motivierende Art von Lernen. Zum anderen stellt sie jedoch nicht zuletzt durch das Maß an Selbststeuerung hohe Anforderungen an die Lernkompetenzen der Teilnehmenden. Doch es waren genau diese Flexibilität, die Zwanglosigkeit und Selbstorganisation, die die Jugendlichen am Lernen im Rahmen des WebDaysMOOC besonders schätzten. Die Motive für die Teilnahme waren beim überwiegenden Teil der Befragten von intentionaler Natur. Einige erfuhren im Rahmen von Bildungsinitiativen zur Medienerziehung, beispielsweise Medienscouts-Initiativen, oder durch verschiedene schulische Kontexte von diesem Angebot und hatten ein starkes Interesse am Thema und verhältnismäßig hohes Vorwissen. Aufgrund dessen war es ihr Wunsch, Wissen zu erweitern und sich mit „Gleichgesinnten“ austauschen zu können. Es zeigte sich, dass die üblichen Lernstrategien und Mediennutzungsgewohnheiten der Jugendlichen auch im virtuellen Lernraum Anwendung fanden und sie damit an gewissen Stellen an ihre Grenzen gestoßen sind. So waren den Jugendlichen die rezeptiven und interaktiven Elemente des MOOCs weitgehend vertraut und sie profitierten von der multimedialen Darstellungsweise und strukturierten Aufbereitung der Inhalte. Dennoch wünschten sie sich einen lebhafteren Austausch untereinander, der in den themenspezifischen Foren kaum zustande kam, zum Beispiel in der Schule. Das Konzept des WebDaysMOOC und hier ganz besonders die Erweiterung und Anpassung der Austauschelemente, neben denen, die die Plattform bietet, werden unter Berücksichtigung dieser Evaluation weiter ausgearbeitet. Denn für den Herbst 2019 befindet sich ein weiterer Online-Kurs in Planung. Dieser wird zusammen mit Jugendlichen zu dem Oberthema „jugendgerechter Daten- und Verbraucherschutz“ entstehen. Ideen für Themen wurden auf der letzten Konferenz bereits gesammelt.
Kristin Narr arbeitet als freiberufliche Medienpädagogin und hat den WebDaysMOOC im Auftrag des IJAB e. V. konzipiert und begleitet.
Janina Carmesin war an der Konzeption des MOOCs beteiligt und untersucht die subjektiven Anforderungen Jugendlicher an MOOCs im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Universität Leipzig.
Beitrag aus Heft »2019/03 Digitalität. Religion. Pluralismus«
Autor:
Kristin Narr,
Janina Carmesin
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Sonja Berger: Big Data – Unsere digitalen Spuren
FWU – Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. FWU-Mediathek. Zugang erhältlich als Einzellizenz für Lehrkräfte ab 32,70 €. https://fwu.de
Große Datenmengen, die von unseren mobilen Geräten an Firmen gesendet werden, damit diese mit ihnen arbeiten und uns personalisierte Werbung anbieten – so definieren viele Menschen den Begriff Big Data. Doch wie arbeiten die Firmen damit und in welchen Bereichen sind diese Daten relevant? Die FWU – Medieninstitut der Länder der BRD veröffentlichte 2018 eine kompakte Produktion hierüber, welche einen spannenden Einblick in die Verarbeitung und Auswertung von Daten liefert.
Das FWU bietet seit 2011 eine Online-Mediathek an, in der Filme und Begleitmaterialien zum Streamen und Herunterladen bereitgestellt werden. Bisher konnte man die Medien als Lehrkraft nur über die Schule oder ein Medienzentrum beziehen. Seit 2018 gibt es ebenso Einzellizenzen für Lehrkräfte. Das macht es diesen einfacher, unabhängig von der Bildungseinrichtung, eine ganze Woche lang FWU-Medien mit den eigenen Schülerinnen und Schülern zu teilen.
Eine FWU-Produktion besteht typischerweise aus einem ganzen Paket: Filmsequenzen, Arbeitsblätter, Grafiken und Filmtexte. Die Produktion kann in zwei unterschiedlichen Modi abspielen werden: klassisch oder interaktiv. Während im klassischen Modus lediglich das Video dargeboten wird, erscheinen im interaktiven Modus an einigen Stellen kleine Buttons am linken Bildrand, welche bei Anklicken zu den Zusatzmaterialien des Pakets führen.
Die einzelnen Sequenzen von Big Data dauern maximal fünfeinhalb Minuten und behandeln je einen Teilbereich. Sie lassen sich im Unterricht daher auch unabhängig vom Gesamtpaket als kleine Impulsgeber nutzen.
Im ersten Clip „Big Data und der Sport" erklären Prof. Dr. Tilman Rabl und Jonas Traub der TU Berlin beispielsweise wie Daten aus Fußballspielen mithilfe von Sensoren an Ball und Beinen erfasst und ausgewertet werden. Darin wird ebenfalls erläutert, was Big Data bedeutet, woher die Datenmengen stammen, was ein Algorithmus ist und wie komplexe Datenanalysen den Sport verändern. Zu diesem Film liefert das Paket, neben einem Link zum Berlin Big Data Center, zwei Arbeitsblätter, die als PDF-Dateien heruntergeladen werden können. Zu den Aufgaben der Schülerinnen und Schüler zählen unter anderem das Notieren von Vor- und Nachteilen von Big Data oder im Profi-Sport, das Vertiefen des Begriffs Algorithmus und Erstellen eines eigenen Sport-Algorithmus, welcher mit anderen Mitschülerinnen und -schülern ausprobiert werden kann.
Wie viele Daten im Gesundheitssystem jeden Tag erzeugt und für welche Zwecke sie genutzt werden, zeigt der Film „Gesundheitsdaten". Prof. Dr. Tim Konrad definiert darin auf lockere Weise den Begriff Korrelation und thematisiert am Beispiel der Versicherung und des Online-Shoppings das Schreckensbild, dass unsere Daten in die falschen Hände geraten. Das dazugehörige Arbeitsblatt regt dazu an, über problematische Interpretationen von Daten nachzudenken.
Welche Spuren wir mit unserem Handy hinterlassen während wir uns bewegen und was Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus diesen Daten herauslesen können verrät Robert Mirbaha, von der Firma Motionlogic, in der Sequenz Verkehrsdaten. Hier wird auch dargestellt, wie wir mit unseren personenbezogenen Daten für kostenlose Apps bezahlen. Als Aufgabe denken sich die Schülerinnen und Schüler eigene Beispiele für Korrelationen aus und können per Link die englischsprachige Webseite der Forschungsgruppe Medical Bioinformatics Group der Freien Universität Berlin erkunden.
Datenjournalist Michael Hörz berichtet im fünften Clip „Datenjournalismus" anhand zweier Beispiele, wie gefühlte, aber doch unwahre „Wahrheiten“ mithilfe von Big Data korrigiert werden können. Eine kreative und spannende Produktionsaufgabe findet sich auf dem zugehörigen Arbeitsblatt: Die Schülerinnen und Schüler versuchen sich als Pitcher ihrer eigenen Geschäftsidee. Dort überlegen sie gemeinsam, wie man mit Verkehrsdaten aus mobilen Geräten gleichzeitig ethisch und gewinnorientiert arbeiten kann. Ein Link-Button führt zum Lernbereich „Big Data“ auf der Webpräsenz der Bundeszentrale für politische Bildung.
Die Lernmaterialien bieten über die Anknüpfung an die Videos hinaus ein druckbares Arbeitsblatt zur Reflexion und Selbsteinschätzung des eigenen Nutzungsverhaltens im Hinblick auf die neuen Medien und Schutz der eigenen Daten an. Eine Tagebuch-Vorlage regt dazu an, sich eine Woche lang selbst zu beobachten, zu notieren und zu diskutieren, welche Daten bei welchen Aktivitäten im Internet hinterlegt werden und wie sie von Dritten genutzt werden könnten.
Aus mediendidaktischer Sicht ist die Idee der vernetzten, cross-medialen Darbietung im interaktiven Video effizient umgesetzt. Für erfahrene Schülerinnen und Schüler im Bereich Big Data ist exploratives Lernen möglich. Ansätze einer Vernetzung auf institutionaler Ebene sind durch die Verlinkungen zu erkennen.
Die Arbeitsaufträge sind insgesamt aktivierend, interaktiv und abwechslungsreich. An manchen Stellen könnten sie allerdings durch größer angelegte, konstruktiv-interaktive Aufgabensammlungen ergänzt werden. Kreative, fachübergreifende und ganzheitliche Methodenideen oder auch web-basierte Aufgaben (idealerweise in mebis zum Import für den eigenen Gebrauch bereitgestellt) würden das Angebot noch um einiges aufwerten. Es wäre aus Sicht der Lehrkräfte zudem hilfreich, Webquest-Ideen zu den bereitgestellten Links zu erhalten. Diese Art von Lernmaterialien sind aus mediendidaktischer Sicht vor allem dann wertvoll, wenn sie im Unterrichtskontext als Lerngegenstand genutzt und gemeinsam mit den Peers bearbeitet werden.
Festzuhalten ist, dass die Produktion sowohl für weniger Erfahrene als auch für Expertinnen und Experten geeignet ist. Für erstere ist das linear dargebotene klassische Video eher geeignet, während letztere im interaktiven Modus selbst erkunden können. Das FWU-Paket knüpft an Inhalte aus den Bereichen Biologie, Mathematik, Informatik, Deutsch, Wirtschaft, Politische Bildung, Physik, Erdkunde und Sport an. Es richtet sich an die Oberstufe allgemeinbildender Schulen (10. bis 13. Klasse), aber auch an Berufsschulen und Bildungseinrichtungen der Erwachsenenbildung.
Sonja Berger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, an dem sie zu didaktischen Methoden zur Förderung digitaler Kompetenzen forscht. Ehrenamtlich unterstützt sie die Jugendredaktion Dein LiFE des Medienzentrums München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Michael Bloech/Nicole Lohfink: Schlaglichter der Berlinale 2019
Stets blieb die Berlinale ihrem Anspruch treu, eine Plattform für politische und künstlerisch wertvolle Filme zu sein. Festivalleiter Kosslick gelang es, das Programm nicht nur für die internationale Fachkritik und Filmindustrie, sondern auch für das Berliner Kinopublikum zu öffnen. Zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Fachvorträge und Konferenzen sorgten zudem für ein internationales und professionelles Profil der Berlinale.
Berlinale 2019 – Die Ära Kosslick endet
Nach 18 Jahren verabschiedet sich Dieter Kosslick als Direktor der Berlinale: Und er kann eine beeindruckende Bilanz vorweisen. Positiv hervorzuheben sind auch seine Bemühungen um den deutschen Film. Zwar gab es schon vor Kosslick auf der Berlinale eine Plattform für den deutschen Film, unter anderem zunächst in der kleinen Filmbühneam Steinplatz, aber durch die Etablierung der Programmreihen Lola at Berlinale und Perspektive Deutsches Kino wurde dieses Angebot systematisch erweitert. Kosslicks besonderes Augenmerk lag dabei stets auf Filmen einer losen Gruppe von Filmschaffenden der sogenannten Berliner Schule, darunter bekannte Namen wie Christian Petzold, Thomas Arslan und Maren Ade. Gerade Filme der Berliner Schule stehen mit ihrem Anspruch in enger Beziehung zu dem politisch, ästhetischen Konzept der Berlinale: Jenseits vom Mainstream werden mit künstlerischem Anspruch alltägliche, persönliche Themen mit politischem Bezug bearbeitet. Unter Kosslick ist die Berlinale eine nicht zu unterschätzende Plattform für internationale Begegnung und Austausch geworden, was sich exemplarisch in der Sektion Generation beobachten lässt oder auch im Förderprogramm für Nachwuchsfilmschaffende Berlinale Talents. Erst kürzlich unterzeichnete Kosslick sogar mit dem 5050 x 2020 Festival Pledge eine internationale Vereinbarung zur „Geschlechtergerechtigkeit in der Filmindustrie“.
Unter Kosslick fand jedoch auch mit aktuell rund 400 präsentierten Filmen und 340.000 verkauften Tickets eine enorme Ausweitung des Programmangebots statt. Damit droht eine De-Strukturierung, De-Profilierung und Beliebigkeit der Zielgruppenorientierung. Zumindest im Ansatz besteht hier die Gefahr, den Kern des Festivals den Wettbewerb – aus den Augen zu verlieren. Ende 2017 forderten daher 79 deutsche Filmschaffende in einem offenen Brief über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachzudenken. Dennoch wird ein großer Verdienst Kosslicks bleiben: Einmal im Jahr dreht sich zehn Tage lang in Berlin alles nur um Kino und die Kunst des Films.
Systemsprenger – Vom Sprengen pädagogischer Konzepte
Filme, die sich mit grundlegenden, pädagogischen Problemen auseinandersetzen und dabei auch noch als Film ‚funktionieren‘, ohne dabei belehrend zu wirken, sind nicht allzu häufig zu finden. Das Spielfilmdebüt Systemsprenger von Nora Fingscheidt ist ein gutes Beispiel hierfür und zeigt ein wichtiges pädagogisches Thema durchaus spannend und emotional berührend umgesetzt werden kann.
Der Film stellt konkret die Frage, was passiert, wenn engagierte Pädagogik versagt, wenn es nicht gelingt, Kinder so zu stabilisieren, dass sie keine Gefahr für sich und andere mehr darstellen. Sollte sich herausstellen, wie im Film gezeigt, dass aktuelle pädagogische, pharmakologische und psychologische Konzepte versagen können, wo liegen dann die Konsequenzen? Vielleicht muss immer wieder schmerzlich diskutiert werden, bis zu welchem Grad offene Gesellschaften abweichendes Verhalten tolerieren sollten und wie Personen aufgefangen werden können, die sich außerhalb unseres Gesellschaftssystems bewegen.
Spontane Aggressivität
Konkret wird die Leidensgeschichte der neunjährigen Benni erzählt, die getrennt von ihrer alleinerziehenden Mutter und den Geschwistern übergangsweise in einer beschützenden Einrichtung leben muss. Ihr Verhalten ist gekennzeichnet durch exzessive Gewaltausbrüche, vor allem gegenüber anderen Kindern. Ein Auslöser könnte das Fehlen funktionierender, familiärer Bindungen sein, wobei die Ursache wohl vielmehr darin begründet liegt, dass Benni ständig mit widersprüchlichen emotionalen Signalen ihrer Mutter konfrontiert wird. Während sie in einem Moment von der Mutter geliebt wird, wird sie im nächsten von ihr verstoßen. Mit ihrer spontanen Aggressivität fällt das renitente Mädchen quasi durch alle Netze, die unser Gesellschaftssystem für abweichendes Verhalten von Kindern bereithält. Selbst die nette Dame vom Jugendamt und die Psychologin der Kinderpsychiatrie sind mit Bennis Gewaltausbrüchen völlig überfordert. Trotz aller Empathie gelingt es ihnen nicht, Benni in einen halbwegs normalen schulischen Alltag zu integrieren. Schließlich wird ihr der Schulwegbegleiter Micha zur Seite gestellt, der sie zu einem geregelten Schulbesuch hinführen soll. Als auch das misslingt, wird im Helferkreis beschlossen, es mit einer ungewöhnlichen Maßnahme zu versuchen. Micha soll mit Benni in einer abgeschiedenen Waldhütte ohne Strom, Telefon und Internet eine gewisse Zeit verbringen, damit Benni zur inneren Ruhe zurückfindet. Mit dieser Methode der Gewaltprävention hat Micha bei Jugendlichen bisher gute Erfolge gehabt. Doch nach einer Woche sieht Benni in Micha nur noch ihren ‚Papi‘ und versteht nicht, dass er eine eigene Familie hat und die Zeit im Wald lediglich eine pädagogische Maßnahme war. Es kommt zu einer drastischen Entscheidung. Benni soll nach Kenia in eine Einrichtung für besonders verhaltensauffällige Jugendliche geschickt werden. Damit würden jedoch alle Sozialkontakte, die Benni besitzt, auf einen Schlag enden.
Im Mittelpunkt ein Ausnahmetalent – Helena Zengel
In der Rolle der Benni spielt die sehr junge Helena Zengel mit einer atemberaubenden Authentizität und zwingt die Zuschauenden, trotz aller Aggressivität, Verständnis für das renitente Kind zu entwickeln. Sinnbildlich hierfür steht die Anfangsszene, bei der Benni im Innenhof der Klinik völlig ausrastet und Bobbycars an das Fenster schmettert, bis die Panzerglasscheibe schließlich bricht. Das Symbolhafte dieser Exposition macht deutlich, um welche fundamentale Auseinandersetzung es hier geht: Helena Zengel verkörpert ihren Widerstand gegen das „System“ derart glaubwürdig, dass einem der Atem stockt. Sie ist es, die den Film von der Wirkung her trägt und zu einem wirklichen Erlebnis werden lässt. Hervorzuheben ist auch der Rhythmus des Schnitts, der trotz einiger erzählerischer Längen, die Zuschauenden in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Systemsprenger erhielt mit einem Silbernen Bären den Alfred-Bauer-Preis, der für neue Perspektiven der Filmkunst vergeben wird sowie den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost.
Grâce à Dieu – Die befreite Sprache
Mit sexuellem Missbrauch und Pädophilie greift der französische Regisseur François Ozon in seinem Film Grâce à Dieu ein brisantes Thema auf. Unaufgeregt werden drei Schicksale von Männern erzählt, die verdeutlichen, welch gravierende psychische Verwerfungen die Übergriffe bei ihnen angerichtet haben. Zum einen ist da die Geschichte des katholischen Bankangestellten Alexandre, der als Kind bei einem Pfadfindertreffen von Pater Preynat missbraucht wurde. Alexandre setzt folglich alles daran, dass Pater Preynat generell der Umgang mit Minderjährigen untersagt und ihm die Priesterweihe entzogen wird. Als sein Unterfangen bei dem dafür zuständigen Kardinal Barbarin ins Leere läuft, beginnt er nach weiteren Missbrauchsopfern zu suchen. Dabei stößt Alexandre auf den ruppig wirkenden Atheisten François, der zunächst widerstrebend, dann umso vehementer, die Verbrechen des Paters anprangert. Zusammen mit Alexandre gründet er die Initiative La Parole Libérée und es kommt schließlich zu der Begegnung mit dem Missbrauchsopfer Emmanuel, einem labilen, gebrochenen jungen Mann. Der Fall Emmanuel erweist sich dabei als besonders wichtig, da die Straftaten an Emmanuel, im Gegensatz zu vielen anderen Fällen, noch nicht verjährt sind. Ein Strafverfahren gegen den Pater und den Kardinal scheint damit möglich.
La Parole Libérée – Stimme der Missbrauchsopfer
Ozon porträtiert einfühlsam die drei unterschiedlichen Männer, die das gleiche Schicksal in ihrer Kindheit erdulden mussten. Dramaturgisch gesehen interessieren jedoch weniger die Personen an sich, sondern es geht darum aufzuzeigen, dass der Missbrauch nicht auf Einzelfälle beschränkt ist und die Kirche diese als Machtapparat seit Jahrzehnten zu vertuschen sucht. Das Geschilderte selbst beruht auf Tatsachen. Die entsprechenden Gerichtsverfahren gegen Pater Preynat, der 70 Jungen mehrfach missbraucht haben soll, gegen Kardinal Barbarin und sechs seiner Mitarbeiter, die durch Mitwisserschaft selber zu Mittätern geworden sein sollen, spielt Anfang 2019 in Frankreich.
Die Unmöglichkeit, das Unfassbare zu zeigen
Bei aller aktuellen, politischen Brisanz erzeugt Ozon leider ein Gefühl der Distanz. Szenen, in denen der Pater mit den Jungen im Fotolabor oder in einem Zelt des Pfadfinderlagers verschwindet, um sich an ihnen zu vergehen, wirken deplatziert. Zu monströs sind die Verbrechen und es scheint nahezu unmöglich, sie angemessen zu visualisieren. Geschickter wäre es vermutlich gewesen, die Schilderungen der Missbrauchsopfer zu fokussieren, die bereits hohe emotionale Dichte besitzen. Darüber wirkt die Regie unentschlossen, auf welche der drei Protagonisten das Hauptaugenmerk gerichtet werden soll. Dennoch ist Grâce à Dieu ein politisch überaus wichtiger Film, da er einmal mehr zeigt, dass es sich lohnt, gemeinsam mit anderen für die eigenen Belange zu kämpfen. Der nahezu dokumentarisch wirkende Film erhielt mit dem Silbernen Bären den Großen Preis der Jury.
Une Colonie – Vom Grenzen überwinden
Eine absolute Entdeckung in der Kinderfilmsektion Generation Kplus war die kanadische Produktion Une Colonie (Eine Kolonie) der Franko-Kanadierin Geneviève Dulude-De Celles. Im Vordergrund des melancholisch ruhigen Films steht die Ambivalenz des Begriffes Kolonie. Bei einer Kolonisierung können bekanntlich herkömmliche Macht- und Herrschaftsstrukturen durch etwas Fremdes oder Neues durchbrochen, unterworfen oder auch völlig zerstört werden. Es kann sich dabei aber nicht nur um den Niedergang handeln, sondern auch im positiven Sinn um die Entfaltung von etwas völlig Neuem. Diese Widersprüchlichkeit kristallisiert sich in dem Film vor allem in der Geschichte der jungen Mylia, die neu in einer Vorortsiedlung in der Quebecer Provinz ihre Rolle, ihre Identität, erst finden muss, sich einleben muss in eine ihr fremde Situation. Sie hat keine Lust auf oberflächlichen Sex und Drogen, keine Lust auf die wilden Schmink-Orgien und Oberflächlichkeiten ihrer Schulkameradinnen. Damit wird sie sofort zur Außenseiterin, die sich aber in kühler Distanz hingezogen fühlt, zu ihrem Schulnachbarn Jimmy, einem Indianer, der weitab von ihrem Zuhause in einer Abenaki-Siedlung lebt. Jimmy ist völlig anders als all die anderen in ihrem Umfeld, ein sensibler Junge, der Souveränität, Beherrschtheit und völlige Ruhe ausstrahlt. Deutlich wird dies gleich zu Beginn des Films, als Jimmy ein totes Huhn aus dem Maul eines Hundes löst. Er zerrt und schreit nicht, vielmehr geht er ohne Angst beruhigend auf den fremden Hund zu und kann dadurch die knifflige Situation entschärfen. Eine weitere symbolhafte Situation zu Ende des Films zeigt die Verbundenheit von Mylia und Jimmy, als sie feststellen, dass sie in ihrer Kindheit beide beim Ausmalen von Bildern die vorgegebenen Umrisslinien stets missachteten. Erst das Durchbrechen der Linien ermöglichte ihnen das Einzigartige, das Persönliche und damit die Kolonisierung ihres Umfelds.
Die Entdeckung der Entschleunigung
Während andere Produktionen im Wettbewerb zum Beispiel auf grelle Farben, schnelle Schnitte, nahe Einstellungen und kompliziert verschachtelte Erzähltechniken setzten, besticht Une Colonie vor allem durch ruhige Bilder und entschleunigten Erzählfluss. Die Autorin und Regisseurin Geneviève Dulude-De Celles nimmt sich viel Zeit und erst allmählich entfaltet sie ihre symbolische Argumentation. Sie gibt damit glaubhafte Einblicke in die Gefühlswelt der heranwachsenden Heldin. Die Kolonisierung ist hier nicht ein eruptiver Überfall, der eine revolutionäre Entwicklung gebiert, sondern ein langsamer, evolutionärer Prozess des Erwachsenwerdens. Dabei ist es bewundernswert, mit welcher Nachdrücklichkeit der Film diesem ruhigen Erzählmuster treu bleibt. Émilie Bierre in der Rolle der Mylia verleiht mit ihrem faszinierenden, ruhigen Spiel dem Film eine fantastische Glaubwürdigkeit und schafft es überzeugend, das Symbolhafte ins Visuelle umzusetzen. Une Colonie erhielt von der Kplus Kinderjury den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm, wobei der Film einschränkend gesagt, erst ab zwölf Jahren wirklich zu verstehen und daher auch zu empfehlen ist.
Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied – vom Schmerz der ersten Trennung
Bei vielen Filmen auf der Berlinale war in diesem Jahr überraschend stark der dokumentarische Gedanke vertreten. So auch bei dem chinesisch-uigurischen Beitrag Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied. Zwei Jahre lang hat Regisseurin Lina Wang in ihrem Heimatdorf gefilmt, besonders die kindlichen Protagonisten mit der Kamera begleitet und in alltäglichen Situationen gefilmt. Weitere zwei Jahre lang hat sie dann aus dem Material eine Erzählung gebaut, in der es um das Leben in dem uigurischen Dorf inmitten Chinas geht. Dabei sind die Herausforderungen, zu einer sprachlichen Minderheit zu gehören, genauso angeschnitten, wie der Umgang mit einem Pflegefall in der Familie, wie auch die Wichtigkeit der Schulbildung, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Im Mittelpunkt des Films stehen der junge Isa und sein Alltag in dem Dorf weitab großer Städte. Isa erlebt zunächst unbeschwerte Tage, kümmert sich um seine kranke Mutter und hilft dem Vater auf dem kleinen Hof. Gemeinsam mit seiner Freundin Kalbinur zieht er mit viel Liebe und Hingabe ein Lämmchen auf. Doch schon bald stehen Veränderungen ins Haus und verlangen von Isa nicht nur äußerliche Anpassung, sondern auch erste emotionale Abschiede. Als Isas Mutter verwirrt aus dem Haus läuft, weil Isa aus Sehnsucht nach dem Lämmchen zur Freundin gelaufen ist, müssen sich sein älterer Bruder und er auf die Suche nach ihr machen. Die einsame Landschaft und Isas fruchtlose Suche vereinen sich, als die Dämmerung hereinbricht, in seinem schluchzenden Rufen nach der Mutter zu einem archaischen Wehklagen des Kindes. Hier deutet sich der erste Abschied an, denn, obwohl die Mutter wieder auftaucht, berät sich der Vater mit dem Dorfrat, weil er sich nicht mehr gleichzeitig um die Farmarbeit und seine Frau kümmern kann. Isa ist allerdings dagegen, die Mutter in einem Heim unterzubringen und will dafür lieber auf die Schule verzichten, als seine Mutter nicht mehr im Haus zu wissen. Doch die Abschiede ereignen sich dennoch. Sein Bruder geht zurück auf die entfernte Schule, sein Vater bringt seine Frau schweren Herzens in einem Pflegeheim unter und Isa muss sich auch noch von seiner Freundin Kalbinur verabschieden. Sie wird von ihrer Familie ebenfalls in einer weiter entfernten Schule untergebracht, da sie die chinesische Sprache zu schlecht beherrscht. In der uigurischen Gemeinde genügt es, uigurisch zu sprechen, doch den Eltern ist aus eigener Erfahrung schmerzhaft bewusst, wie schwierig es ist, sich ohne Chinesisch in der Stadt zurecht oder Arbeit zu finden. Dann verschwindet auch noch das kleine Lämmchen, um das sich Isa immer gekümmert hat. All diese Verluste sind unauffällig eingefangen und unspektakulär in das tägliche Leben des Jungen eingebettet, doch in dieser Unaufgeregtheit erscheint jeder Moment umso klarer. So berührt der Film Kinder wie Erwachsene gleichermaßen, die jungen Zuschauenden fühlen und durchleben jeden Verlust hautnah mit den Protagonistinnen und Protagonisten mit und die Erwachsenen erinnern sich an das Gefühl des ersten Abschieds im Leben. Dabei sind die individuellen Erlebnisse Isas trotz des spezifischen Hintergrundes durchaus Platzhalter für die universalen Themen, die unabhängig von Geografie greifen. Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied ist der diesjährige Gewinner des großen Preises der Internationalen Jury von Generation Kplus.
The body remembers when the world broke open – eine vielschichtige Momentaufnahme
Passend zur Unterzeichnung des 5050 x 2020 Festival Pledge umfasst die Sektion Generation erstmals einen Anteil an weiblichen Regisseurinnen von beinahe 50 Prozent. So stammt auch The body remembers when the world broke open aus der Feder zweier kanadischer Filmemacherinnen, die gemeinsam Regie geführt haben. Die kanadisch-norwegische Produktion liefert eine starke Geschichte über die Begegnung zweier Frauen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Sie wirkt dabei auf verschiedenen Ebenen, von einer allgemeingültigen über eine nahbare bis zum Besonderen, indem sie das Augenmerk auch auf die prekäre Situation indigener Frauen in Nordamerika richtet.
Regisseurin Elle-Máijá Tailfeathers ist Blackfoot von der Kainai First Nation (Blood Reserve) und Sami aus Norwegen und hat in ihrer Kultur bereits in der Kindheit den Wert des Geschichtenerzählens vermittelt bekommen, insbesondere als traditionelles Mittel, Erinnerung weiterzutragen. Das Drehbuch ist inspiriert von einer Geschichte, die Tailfeathers selbst erlebt hat und die sie nachhaltig geprägt hat. So entstand nun in Zusammenarbeit mit Kollegin Kathleen Hepburn ein Film, der die Zuschauenden ganz dicht an diese Erfahrung heranführt, unterstützt durch viele Nahaufnahmen und nahezu in Echtzeit gedreht.
Àila ist von einem Arztbesuch auf dem Weg nach Hause und begegnet in East Vancouver einer jungen Frau. Die 18-jährige Rosie steht sprichwörtlich barfuß und schwanger im Regen auf der Straße. Sie nimmt Rosie mit zu sich nach Hause und in einem vorsichtigen Annäherungsprozess entsteht eine Verbindung. Aber es prallen auch Realität und Wunschvorstellung aufeinander, als Àila versucht, Rosie zu helfen und ihre Probleme zu ‚richten´. Rosie ist vor ihrem gewalttätigen Freund geflüchtet, mit dem sie zusammenwohnte. Àila organisiert ihr daher einen Platz in einem Frauenhaus. Während sie ihre weibliche Selbstbestimmung ausüben kann, wenn sie mit ihrem Arzt darüber redet, ob und wann sie schwanger werden will, ist für Rosie das Baby ein Mensch, den sie um keinen Preis verlieren will und gleichzeitig eine Chance, endlich nie mehr allein zu sein. Daher ist ihr das Frauenhaus auch ein zu großes Risiko. Das soziale Gefälle ist augenscheinlich, dennoch erkennen beide in der anderen eine verwandte Seele. Am Ende sehen sich beide nie wieder. Einer der seltenen Momente im Leben, die an die Menschlichkeit erinnern und einen verändert zurücklassen. In dieser Eigenschaft spricht der Film ein internationales Publikum an, doch er bietet auch eine weitere Ebene, die das Brennglas auch auf unbequeme Fakten richtet:
So haben Frauen indigener Abstammung in Kanada laut einer laufenden nationalen Untersuchung eine fünfmal höhere Wahrscheinlichkeit, durch Gewalt zu sterben. 77 Prozent der Frauen, die durch einen intimen Partner ermordet wurden, starben, nachdem sie aus der Partnerschaft geflüchtet waren. Auch bei der Pflegeunterbringung von Kindern zeigt sich ein Ungleichgewicht, wenn beispielsweise in der kanadischen Provinz Manitoba rund 90 Prozent der Jugendlichen in den Pflegeeinrichtungen Angehörige von First Nations sind. Hier wirkt Kanadas Geschichte der politischen Assimilierungsversuche der Vergangenheit nach.
So gesehen erscheint Rosies Überzeugung, sicherer bei ihrem gewalttätigen Partner aufgehoben zu sein, plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Was bleibt: Facetten des internationalen Film-Festivals
Vor dem Hintergrund von Kosslicks Abschied zeichnete sich die diesjährige Berlinale vor allem durch qualitative Ambivalenz aus. So bot die mangelnde Qualität einiger Filme öffentlichen Diskussionsstoff. Und tatsächlich befanden sich diesmal, rein quantitativ gesehen, lediglich 16 Filme im Wettbewerb auf Bärenjagd. Ein chinesischer Wettbewerbsbeitrag, wie auch ein chinesischer Generation-Beitrag, wurden noch kurzfristig wegen technischer Probleme zurückgezogen. In Fachkreisen wurde daraufhin das Wirken chinesischer Zensurbehörden diskutiert, aber trotz naheliegendem Verdacht in den betreffenden Fällen bliebe das letztendlich zu beweisen. Anlass zur Verwunderung gab zudem, dass einige Filme überhaupt die Höhen des Wettbewerbs erklommen haben. So liegt Kunst natürlich auch immer im Auge des Betrachtenden, wie am Beispiel des deutschen Beitrags Ich war zu Hause, aber zu sehen von Angela Schanelec. Von der deutschen Presse einhellig bejubelt und von der Berlinale-Jury mit dem Preis für die beste Regie beglückt, wurde er vom internationalen und Berliner Publikum dagegen mit ausdauernden Buhrufen bedacht. Ebenfalls mehr als problematisch geriet Fatih Akins drastischer und verstörender Festivalbeitrag Der Goldene Handschuh über einen Hamburger Massenmörder. Der Länderschwerpunkt lag in diesem Jahr auf Norwegen, das mit Ut og stjæle hester (Pferde stehlen) von Hans Petter Moland zu Recht mit einem Silbernen Bären für die besteKameraarbeit des Dänen Rasmus Videbæk belohnt wurde.
Highlights außerhalb des Wettbewerbs
Jenseits des Wettbewerbs, in anderen Sektionen der Berlinale, hätten sich allerdings Film-Beispiele gefunden, die einem Regie-Film-Preis vielleicht eher entsprochen hätten. In der Sektion Generation KPlus, also dem Kinderfilmfest, manifestiert sich ein Dilemma, das sich schon seit Jahren wie ein roter Faden durch die Berlinale zieht: Filme für jüngere Kinder sind fast ausschließlich mit der Lupe zu finden, Filme für ältere Kinder und das Programm Generation 14plus, das sich an Jugendliche richtet, sind jedoch immer wieder für kleine Sensationsentdeckungen gut. So sollte beispielsweise Ausschau gehalten werden nach Filmen wie Kokdu – eine Geschichte von Schutzengeln aus Korea oder der schwedischen Perle Sune versus Sune. Der koreanische Beitrag Kokdu überzeugt zudem durch eine eindrucksvolle bildästhetische, formale sowie inhaltlich runde Erzählung über eine positive Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Verlust, die Einblicke in die koreanische Kulturgeschichte gewährt. In Sune versus Sune wird die Kraft der Fantasie in jeder Hinsicht beschworen, während die Protagonistinnen und Protagonisten die Tücken von Freundschaft und Identitätsfindung navigieren. Auch der deutsch-niederländische Film Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess ist sehenswert, ebenso, wie der amerikanische Beitrag Driveways der zwar ein wenig an Eastwoods Gran Torino erinnert, dafür jedoch auf persönlichen Erlebnissen der beiden Drehbuchautoren basiert.
Die Herausforderung für die Zukunft: Den Überblick finden
Es ist schon eine Herausforderung bei den vielen Programmen und Sektionen überhaupt einen Überblick zu gewinnen und so will das Entdecken unter 400 Filmen gelernt sein. Vielleicht liegt in diesem Punkt, nach der Ära Kosslick, eine der Hauptaufgaben des neuen Berlinale-Teams um Carlo Chatrian als künstlerischem Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin, hier eine stringentere Linie zu etablieren. Der Italiener Carlo Chatrian leitete sechs Jahre lang das renommierte, schweizerische Filmfest in Locarno und Mariette Rissenbeek, eine gebürtige Holländerin, war als Geschäftsführerin der Auslandsvertretung des deutschen Films German Films tätig. Genug Vorbereitungszeit bleibt dem neuen Zweigespann – mit der terminlichen Vorverlegung der Oscarverleihung rückt die nächste Berlinale das erste Mal hinter die US-Preisverleihung, an das Ende des Monats Februar 2020 – wir können gespannt sein!
Beitrag aus Heft »2019/02 Computerspiele in der Jugendarbeit«
Autor:
Michael Bloech,
Nicole Lohfink
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Antje Müller: 35. GMK-Forum Kommunikationskultur
Digitalisierung. Teilhabe. Vielfalt. Drei Schlagwörter, die das diesjährige Forum der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur bestimmten. Inklusion ist ein Thema, das den Fachdiskurs schon immer beschäftigt hat und seinem Wesen nach, nämlich andere einschließen und mitmachen lassen, schon immer zentraler Bestandteil der Medienwelt gewesen ist. Sei es bei der Informationssuche, Wissensbereitstellung, beim Produzieren oder Gestalten – es geht immer um ein ‚für‘ jemanden oder ‚mit‘ jemandem.
Potenziale digitaler Inklusion offenbaren sich dabei insbesondere in einem transdisziplinären Praxisfeld, das Benachteiligte durch Medien (wieder) einbeziehen lässt. Wichtig sei eine zielgruppenspezifische Bildung, so Ingo Bosse von der Universität Dortmund in seinem eröffnenden Impuls. Inklusive Teilhabe fange dabei an, ein Bewusstsein zu bilden, gemeinsam zu handeln und könne so in digitales Empowerment sowie Partizipationschancen münden, wie sie sich beispielsweise in der Bloggerszene eröffnet haben. Gestaltungsprinzipien gilt es dabei zu kennen und nutzbar zu machen. Und das heißt eben nicht nur Kompensation von Defiziten, sondern (Universal-)Gruppen einschließen. Es bedeutet miteinander und voneinander lernen, die jeweilige Lebenswelt zu berücksichtigen, zu kooperieren und Barrierefreiheit zu schaffen. Doch inklusives Denken UND auch Handeln ist leichter ausgerufen als umgesetzt. Eindrücklich schilderte dies die Moderatorin des Eröffnungstags und Autorin, Ninia LaGrande in ihrem abendschließenden Poetry-Slam. In rasanter, fast atemloser Rhythmik beschrieb sie ihr ‚Groß'-Werden, nur ohne das ‚groß'. Wir schluckten, aber LaGrande plauderte belustigt, manchmal zynisch und ab und an etwas genervt über die alltägliche Problematisierung des Nichtproblems ihrer Körpergröße von etwa 1,40 m. Über die Anteilnahme anderer, wo es eigentlich nichts anteilzuhaben gab. Über ein extra bisschen an Aufmerksamkeit, über Annahmen des Nicht-Könnens und vor allem -Erreichens. Spätestens hier wurde klar: Ungewohntes oder Unübliches kann keinen Maßstab stellen und trotzdem bewegt man sich träge im Kreis, eingekocht mit Stereotypen und Vorurteilen, verrührt mit Unmengen an Meinungen.
Aber wie über den Tellerrand schauen, im zähen Einheitsbrei? „Check your privilege!“ – so oder so ähnlich könnte ein erster Schritt hinaus in Richtung inklusives Denken aussehen. Mit dem Blick auf intersektionale Perspektiven digitaler Medienkulturen und dem Fokus auf sowohl Ein- als auch Ausschluss gesellschaftlicher Kategorien, wie unter anderem Herkunft oder Geschlecht, zeigte Ricarda Drüeke von der Universität Salzburg am zweiten Tag vor allem Eines auf: Wer alle teilhaben lassen möchte, muss bei sich selbst anfangen! Ohne ein ständiges Beobachten und kritisches Reflektieren des Selbst, des eigenen Standpunkts wie auch der Situation kann weder erfasst werden, welche Kategorien wirksam sind, noch aus welchen (historischen) Gründen sie aus Macht- und Herrschaftsverhältnissen geworden sind. Über aktuelle Beispiele wie Hashtags mit „Trending Topics“ (#IfTheyGunnedMeDown, #blacklivesmatter, #MeToo), Protesten mit pinken Katzenmützen bis hin zu Diskriminierungserfahrungen (Dunja Hayali, Collien Ulmen-Fernandes) via Hate Speech – das sogenannte „Traveling Concept“ zeigt beispielhaft, wie Diskriminierungen offengelegt und Teilhabemöglichkeiten erweitert können – auch wenn der Weg dorthin schwierig ist. Andere Wege und vor allem Perspektiven ließen sich in den anschließenden zahlreichen Workshops erkunden: Ob bei der Auseinandersetzung mit dem Einfluss der Algorithmen, die bei der „Inklusion des Exklusiven“ behilflich wie hinderlich sein können. Ob bei Beleuchtung von (digitalen) Bildungsmaterialien oder Apps und ihre Wirkung auf eine inklusive politische Bildung. Ob bei spielerischer Auseinandersetzung mit Fake News oder bei Einblicken in die inklusive Medienarbeit im schulischen wie auch außerschulischen Kontext.
War man nicht bereits beeindruckt von der Vielfältigkeit elektronischer Orientierungshilfen, die zum Beispiel Kommunikation unterstützen und als „expressiven“ Kanal für beeinträchtige Heranwachsende fungieren können, überraschten auch ganz grundsätzliche Fragen wie Zuständigkeiten, Rollenüberschneidungen, Anbieterverantwortlichkeit, Unterstützungsstrukturen und letztlich eben auch ein unvermeidlich großes Stück Selbstverantwortlichkeit und ein unverzichtbares Sich-Einbringen in der inklusiven Praxis. Die Qual der Wahl des passenden Inputs potenzierte sich nochmals in der zweiten nachmittäglichen Workshop-Runde. Es gab Tipps für Eltern, Medienmachende und bildungspolitisch Wirkende aber auch für pädagogische Fachkräfte, Sozialarbeitende und Therapeutinnen und Therapeuten – von allgemeiner inklusiver Medienbildung, über eine einfache Sprache oder Skills wie (Gaming-)Impulskontrolle, bis hin zum (beeinträchtigten) Sehen und Denken. Der Markt der Vielfalt mit seinen Medienkultur- und Aktivangeboten spiegelte sich nicht nur auf der Ausstellungsfläche mit Bee-Bots, Bloxel und Co., sondern kristallisierte sich als Wesensmerkmal des inhaltlichen Inputs wie auch des Outputs. Sichtbar machen. Einschließen. Aber auch Sehen und gesehen werden. Wer sich nicht zerteilen wollte, blieb im nahtlosen, rastlosen Austausch. Dies aber galt so oder so als Prämisse. Weite Wege wurden zum Teil auf sich genommen, um sich spätestens auf dem Netzwerkabend wiederzusehen und – oder vor allem: kennenzulernen. Krönenden Abschluss des GMK-Forums bildete traditionell die jährliche Dieter Baacke Preisverleihung mit ausgezeichneten Medienprojekten. Die Preisträgerinnen und Preisträger 2018 ragten insbesondere durch ihre einzigartigen Konzepte rund um Interkulturalität, Intergenerationalität, Minorität, Integration und Teilhabe heraus. Neben wieder auflebender und angereicherter klassischer Tools wie Video, Foto und Trickfilm, beeindruckten die damit neu verwobenen und folglich neu gedachten Möglichkeiten digitaler Synergien: Vom digitalen Storytelling, über ein Alternate Reality Game, interdisziplinäre Kunstformen und Patchwork-(Handyfoto-)Bildband bis hin zur App und letztlich auch Multimedialität – die gewählten Projekte standen auch hier ganz im Zeichen der Vielfalt. Und ja, endlich auch das mittlerweile 13-jährige Spieleratgeber-Projekt. Wir fragen uns auch, warum das so lang gedauert hat! Für Interessierte sei zum Weiterdenken zuletzt noch erwähnt: Das Positionspapier der GMK-Fachgruppe Inklusive Medienbildung, hervorgebracht und zur Diskussion gestellt am letzten Veranstaltungstag, bündelt zentrale Forderungen zur Weiterentwicklung inklusiver Medienbildung in Praxis und Theorie und fordert: „Medienbildung für alle: Medienbildung inklusiv gestalten!" Weitere Informationen unter: www.gmk-net.de/veranstaltungen/35-forum-kommunikationskultur-der-gmk-2018/
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Antje Müller
Beitrag als PDF
Pia Deutsch: Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0
Amadeu Antonio Stiftung (2017). Digital Streetwork. Pädagogische Interventionen im Web 2.0. Berlin: Druckzone. 40 S., kostenfrei downloadbar unter www.amadeu-antonio- stiftung.de/w/files/pdfs/digital_streetwork_web.pdf
Soziale Medien nehmen in den heutigen Lebenswirklichkeiten ein wesentlichen Raum ein. Hier werden Standards gesetzt und politische Meinungen junger Menschen ausgebildet, gefestigt und an Gleichaltrige weitergegeben. Digitale Lebenswelten sind folglich zu erschließen, um Jugendliche besser erreichen zu können. Insbesondere, wenn Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im Internet über die digitalen Grenzen hinweg aufbegehren. In Anbetracht der sich noch in den Anfängen befindlichen Präventionsarbeit in Sozialen Netzwerken sind weitere Erfahrungen und praktische Ansätze von Nöten, zu denen die Handreichung DIGITAL STREETWORK – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 von Christina Dinar und Cornelia Heyken einen Beitrag liefert. Aufbereitet für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wird Handwerkszeug in Form von Handlungsoptionen und hilfreichen Informationen zur Adressierung von Jugendliche im Netz, bereitgestellt. Dabei fokussiert das Angebot das Handlungsfeld des Sozialen Netzwerkdiensts Facebook. Ziel des Projekts ist es, das Klima in Online- Debatten positiver, ziviler und respektvoller zu gestalten und junge Menschen mit rechten Affinitäten zu erreichen, um so einer weiteren Verfestigung dieser Einstellungen entgegenzuwirken und eine Distanzierung zu fördern. Ebenso sollen Jugendliche, die sich gegen rechte Affinitäten im Netz einsetzen, gestärkt werden. Neben der Ansprache von rechtsextrem- affinen Jugendlichen ist die Ansprache von sogenannten ‚Bystandern‘, bzw. Beobachtenden und Zuschauenden, ein weiterer wichtiger Aspekt. Innerhalb der kostenlosen Broschüre wird zunächst ein Überblick über die Mediennutzung von Jugendlichen gegeben. Hierzu werden unter anderem Ergebnisse der JIM-Studie und der SINUS-Jugendstudie u18 herangezogen. Letztere zeigt auf, dass einige Jugendliche politische Vorgänge eher leidenschaftslos verfolgen und sich von den Themen nicht angesprochen fühlen, obwohl sie durchaus eine politische Agenda besitzen. Die Jugend(sozial)arbeit soll diese Einstellung off- wie online ändern, wobei Herausgeberinnen betonen, dass Soziale Netzwerke nicht nur als Lebenswelt, sondern ebenso als Sozialraum von Jugendlichen angesehen werden sollten. Digital Streetwork verdeutlicht somit, dass die pädagogische On- und Offline-Arbeit stärker miteinander verbunden werden sollte. Die Frage, wie diese Verknüpfung stattfinden soll, wird jedoch offengelassen. Derzeit finden sich jedoch nur vereinzelt Einrichtungen in Sozialen Online-Netzwerken, wobei repräsentative Zahlen durch systematische und umfassende Erhebungen fehlen. Somit stellt sich die Frage, ob und wie Jugendliche, die offline keinen Kontakt zur Jugendsozialarbeit aufnehmen, in Sozialen Netzwerkendiensten erreicht werden können. Dieser und anderer Fragesn nimmt sich debate// mit der Handreichung Digital Streetwork an. Das Projekt zielt darauf, Jugendlichen mit rechtsaffinem Kommentaren und menschenfeindlichen Inhalten auf Facebook online zu kontaktieren und über persönliche Nachrichten direkt in der digitalen Umgebung in einer „One-to-One“-Interaktion anzusprechen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von debate// sind mit ihren privaten Accounts selbst auf öffentlichen Facebook-Seiten aktiv und begegnen abwertenden Kommentaren im Sinne des sogenannten „One-to-Many“-Ansatzes mit sachlichen, aufklärenden Diskussionsbeiträgen und (Gegen-)Argumentationen bzw. Counter Speech. Dabei sollen auch Mitlesende erreicht und Jugendliche, die sich offen gegen Hetze positionieren, positiv bestärkt und unterstützt werden. Digital Streetwork legt offen, dass für eine erfolgreiche Arbeit im Netz nicht nur Faktoren wie ein glaubwürdiges, authentisches Profil, Medienkompetenz und Kenntnisse über die jugendliche Kommunikation sowie der Jugend- und Netzkultur entscheidend sind, sondern ebenso die Grenze zwischen privatem und professionellem Handeln nicht übertreten werden darf. Es gelingt einige Parallelen zur offline-Arbeit herzustellen und für die erste Kontaktaufnahme einen Leitfaden zu erstellen, welcher insbesondere die Bedeutung der Sprache und die persönliche Vorstellung für den Beziehungsaufbau mit einem Dialog auf Augenhöhe in den Fokus rückt. Hierzu wird eine Grafik angeboten, die bei der Einordnung der Äußerungen eines auffälligen Jugendlichen und der Identifikation der Präventionsstufe Orientierung bietet. Nach Kontaktaufnahme sollte demzufolge die pädagogische Fachkraft den Jugendlichen innerhalb einer sachlichen Argumentation mit den dargebotenen verzerrten Annahmen konfrontieren, um eine Selbstreflexion zu bewirken. Hilfreiche Tipps bietet Digital Streetwork dabei unter anderem zu wirksamen Maßnahmen im Falle eines hohen Widerstandes des Jugendlichen oder für den Umgang mit besonderen kommunikativen Herausforderungen, wie dem Verdrehen von Fakten oder Nichtanerkennung von Quellen. Jedoch werden keine Hinweise bezogen auf konkrete Fallbeispiele gegeben, in denen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter selbst zum Ziel von Hassattacken werden. Die Lesenden sind zudem dazu angehalten, diese bewährte Herangehensweise möglichst eigenständig, je nach spezifischer Bedarfslage, zu adaptieren und ist gefordert, adäquat einzuschätzen, ob und wie diese Form des Counter Speech auch auf andere Soziale Netzwerkedienste wie Instagram, Snapchat oder Twitter übertragen werden kann. Ein ausreichendes Maß an Medienkompetenz stellt demzufolge eine zwingende Voraussetzung dar. DIGITAL STREETWORK – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 ist eine gute Hilfestellung für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die ihr Arbeitsfeld auf das Internet ausweiten möchten und hierzu spezifische Kenntnisse sowie Best practice-Beispiele für erfolgreichen Counter Speech benötigen. Auf 40 Seiten wird ihnen nahezu eine Schritt-für-Schritt-Anleitung geboten, die detailliert verschiedene Ansatzpunkte aufzeigt und erläutert. Positiv fällt zudem auf, dass die wichtigsten Informationen noch einmal in grafischen Übersichten veranschaulicht oder in Merkkästen prägnant zusammengefasst werden und dabei die Bedeutung von ‚Bystandern‘ ebenfalls Berücksichtigung findet. Auf diese Weise wird ein umfassender Blick auf dieses Themengebiet gewährleistet und gleichzeitig ein wichtiger Impuls zur Erstarkung der Präventionsarbeit im Web gegeben. Die Handreichung Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 entstand aus dem Projekt debate//, welches von der Freudenberg Stiftung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!" gefördert und im vergangenen Jahr von der Amadeu Antonio Stiftung herausgegeben wurde.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Pia Deutsch
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Dana Neuleitner: Khan Academy Kids
Khan Academy (2018). Khan Academy Kids. App für iOS und Android. kostenfrei.
Digitale Medien sind selbst für die Kleinsten schon interessant – schließlich verbringen auch ihre Eltern einen Großteil des Tages vor mobilen Endgeräten. Doch wenn sich die Kinder selbst an Smartphone oder Tablet ausprobieren wollen, bekommen viele Erziehungsberechtigte Bauchschmerzen. Denn auf dem Markt gibt es kaum Applikationen, in denen sich die Heranwachsenden sicher und sinnvoll bewegen können und womöglich sogar noch etwas dazulernen. Khan Academy Kids verspricht hier Abhilfe. Als Gründer Salman Khan feststellen musste, dass kaum kindgerechte Apps existierten, mit denen sein dreijähriger Sohn spielend lernen konnte, entwickelte er seine App Khan Academy mit Lerninhalten für ältere Schüler und Erwachsene weiter und passte das bereits erfolgreiche Lernangebot auch auf Zwei- bis Fünfjährige an. Seit Mitte des Jahres kann die kostenlose App zur Vorbereitung der Kinder auf den Kindergarten oder die Schule genutzt werden.
Khans Wunsch ist es, bereits die Kleinsten für lebenslanges Lernen zu begeistern. Hier soll das Angebot nicht auf einen Aspekt wie etwa Lesen beschränkt werden, sondern erstreckt sich vielmehr auch auf Bereiche wie Rechnen und Farben lernen bis hin zum logischen Denken. Auch soziale Aspekte, wie etwa die Thematik des Teilens oder das Erkennen verschiedener Emotionen werden ebenso spielerisch aufbereitet und animieren die Kinder unter anderem mit Videos zum Mitmachen.
Nachdem unter Angabe des Alters und der Bestimmung eines Avatars ein Benutzerprofil für das Kind eingerichtet wurde, führt der Bär Kodi spielerisch in die Welt des Lernens ein. Die liebevoll gestalteten Tiercharaktere Füchsin Sandy, Elefant Ollo, Vogel Peck und Waschbär Reya begleiten die jungen Lernenden dann weiter durch die einzelnen Spielstationen. Das Kind kann auf zwei verschiedene Arten lernen: Es kann sich selbstständig altersentsprechende Lerninhalte über die Bibliothek aussuchen oder dem vorgeschlagenen Lernpfad folgen. Die Bibliothek ist in vier große Bereiche eingeteilt: Bücher, Videos, ein Kreativbereich sowie einzelne „Level“, die das Kind in selbstgewählter Reihenfolge bewältigen kann. In der zweiten Variante wird dem Kind ein Pfad vorgeschlagen, auf dem es Schritt für Schritt neue Aufgaben und Herausforderungen lösen bzw. bewältigen kann. Dieser Pfad wird fortlaufend auf die Entwicklung des Kindes und dessen Lernfortschritt angepasst. Die Lerneinheiten sind dabei bunt durchmischt mit abwechslungsreichen Themengebieten. Dementsprechend folgt auf eine Einheit zu Emotionen beispielsweise eine zu Buchstaben. Jede Lernthematik wird zunächst durch ein kurzes Video erklärt, bevor verschiedene Aufgaben dazu gestellt werden, bei denen unter anderem der Sprachgebrauch oder die Lautgebung einzelner Buchstaben in unterschiedlichen Wortzusammenhängen aufgezeigt werden. Viele Lerneinheiten werden von animierten Videos begleitet, in deren Verlauf interaktive Aufgaben gestellt werden. Aufgabenstellungen oder Erklärungen erfolgen hier zum Teil kurz aufeinander. Auch musische Untermalung wird geboten. Beliebte Kinderlieder sorgen dabei für zusätzlichen Spaß am Lernen.
Für weitere Motivation sorgt ein simples Belohnungssystem: Je mehr Erfahrung das Kind sammelt und je besser es die Aufgaben bewältigt, desto mehr Zubehör kann es für die Tiercharaktere beim ‚Faultier- Lieferdienst‘ aussuchen. So sammelt es für Elefant Ollo Spielzeug für die Badewanne, für Vogel Peck und Bär Kodi Kostüme für ihre Kleiderschränke, für Waschbär Reya Insekten oder für Füchsin Sandy Musikinstrumente. Mit diesen Objekten kann das Kind jederzeit spielen und dabei unter anderem Hand- Auge-Koordination oder Zählen üben.
Die Bedienung der App ist für Kinder, die zuvor schon ein digitales Gerät in der Hand hatten, recht einfach. Für alle anderen würde sich ein kurzes Erklärvideo anbieten, das in die Handhabung eines Smartphones einführt. Zwar findet sich in der Bibliothek eine Lerneinheit, die den Umgang mit virtuellen Büchern erklärt, doch im regulären Spielpfad fehlt diese Option.
Etwas zu einfach scheint es dagegen, den Elternbereich öffnen zu können. Dieser ist direkt im Hauptmenü auswählbar, lediglich gesichert durch eine schriftliche Aufforderung, in eine bestimmte Richtung zu wischen, um den Zugang zu entsperren. Verborgen sind in diesem Bereich jedoch nur Einstellungen für Benutzernamen und Avatare. Einen Überblick über den aktuellen Lernstand ihres Kindes erhalten Eltern lediglich über farbige Icons in der ‚Bibliothek‘. Darin erkennen sie, ob eine Lerneinheit noch nicht begonnen wurde, sich noch in Bearbeitung befindet oder bereits abgeschlossen ist. Hier wären beispielsweise Statistiken sinnvoll, die die Nutzungsdauer und -häufigkeit aufzeigen oder die Lernerfolge in den einzelnen Einheiten darstellen – etwa ob das Kind in allen Bereichen aktiv ist oder sich auf wenige beschränkt.
Hinsichtlich des Energie- und Datenverbrauchs der Anwendung schlägt allerdings die stetig erforderliche Internetverbindung zu Buche. Eine Nutzung auf dem Tablet scheint zudem empfehlenswert, da einige Aufgaben, wie etwa das Zeichnen, auf dem kleineren Display deutlich schwieriger zu lösen sind. Beim Zählenlernen würde es sich zudem anbieten, wenn das Kind seine Auswahl bestätigen müsste – so genügt ein stures Herumtippen auf dem Bildschirm, bis die geforderte Anzahl an Objekten schließlich erwischt wurde.
Positiv hervorzuheben ist, dass keine In-App- Käufe möglich sind und auch keine Werbung geschaltet wird. Für den Abruf der Spielstände, auch von anderen Geräten, müssen sich die Eltern mit ihrer E-Mail-Adresse registrieren. Allerdings wird bei der Installation unter anderem der Zugriff auf das Mikrofon und die Erlaubnis nach der Kontensuche auf dem Gerät eingefordert, bei dem jedoch in den AGBs versichert wird, dass die Daten nicht an Dritte weitergegeben werden. Khan Academy ist eine Non-Profit-Organisation, die unter anderem unterstützt wird durch Lernmaterialien- Spenden von Super Simple, National Geographic Young Explorer, National Head Start Association und Bellwether , wie etwa Tierfotos oder Videos. Die App gewann bereits einen Parent’s Choice Award.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Dana Neuleitner
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Dana Neuleitner: Chika, die Hündin im Ghetto
Batsheva Dagan (2018). Chika, die Hündin im Ghetto. Hörbuch, gelesen von Barbara Nüsse. 1 CD, etwa 30 Minuten. Hamburg: Oetinger Media GmbH. 13,00 €.
Vor über 80 Jahren begann in Deutschland eine Zeit des Schreckens: der offiziell größte Völkermord in der Geschichte Europas. Wer nicht in das System passte, wurde etwa weggesperrt oder ermordet. Darunter auch Kinder. Wie sah das Leben eines fünfjährigen Juden während des Dritten Reichs aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Filmhörspiel Chika, die Hündin im Ghetto. Die Geschichte, die basierend auf den Erinnerungen von Batsheva Dagan verfasst wurde, spielt im Sommer 1944 und beruht auf wahren Begebenheiten. Eingeleitet wird die Erzählung von einer kurzen, kindgerechten Erklärung zu den Anfängen und Verhältnissen im Zweiten Weltkrieg.
Der fünfjährige Mikasch lebt zusammen mit seinen Eltern in einem polnischen Ghetto. Dort muss er sich an genaue Regeln halten, denn die Nazis „taten Menschen, die anders waren als sie selbst oder anders dachten, schlimme Dinge an“. Beim Spielen auf der Straße gerät der Junge mit einem Soldaten aneinander. Dieser beschuldigt ihn, einen Apfel stehlen zu wollen. Die Hündin Chika beschützt Mikasch jedoch, indem sie den Soldaten ins Hosenbein beißt, wodurch der Junge davonlaufen kann. Während sich die Hörerin oder der Hörer zunächst noch über diese Tat freuen mag, erahnt man im weiteren Verlauf bald, dass Konsequenzen für die beiden drohen könnten. Und tatsächlich: Kurz darauf wird verkündet, dass Hunde von nun an im Ghetto verboten seien. Um die liebste Spielgefährtin des Sohnes zu retten, will Mikaschs Vater Chika in einer Nacht- und -Nebel-Aktion aus dem Viertel hinausbringen, denn durch die Hündin gelang es Mikasch, selbst unter den widrigsten Umständen im Ghetto unbeschwerte Momente zu genießen und beispielsweise das Pfeifen zu lernen. Der Gedanke daran, dass Chika zurückkommt, wenn der Krieg zu Ende ist, macht Mikasch das Leben im Ghetto erträglicher. Neben Chika hat der Fünfjährige auch noch die etwa gleichaltrige Johanna zum Spielen. Ihr erklärt er, dass „Krieg“ mit den Soldaten zu tun hat und auch damit, dass die Juden keine Hunde haben und keine Äpfel essen dürfen. Die neugierige Johanna fragt daraufhin nach, ob der Krieg auch damit zu tun habe, dass sie möglicherweise „totgeschossen werden“.
Kinder fassen unter den Begriff „Krieg“ oftmals etwas ganz anderes als andere Altersgenossen oder gar Erwachsene und können oftmals dessen weitreichende Bedeutung nicht gänzlich verstehen. Auch Mikasch, der diese schwere Zeit sogar selbst erlebt hat, hat das alles noch nicht ganz verstanden. Hierdurch bietet sich die Möglichkeit, mit den Heranwachsenden über ihr Wissen und ihre Gedanken zu Kriegen zu sprechen und ihnen den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen näher zu bringen. In einer kindgerechten Weise könnten ebenso Impulse gesetzt werden, um auch auf andere Konflikte auf der Welt einzugehen und Kindern so zu verdeutlichen, was womöglich Gleichaltrige anderer Herkunft erleben bzw. erlebt haben. Ebenso werden Kindern durch die Erzählung Chika, die Hündin im Ghetto Informationen geboten, die ihnen womöglich auch im massenmedialen Alltag und im Umgang mit Kriegsberichterstattungen weiterhelfen können. Das Hörbuch ist in der Lage dieses schwierige Thema fassbar zu machen, ohne die jungen Hörenden zu verängstigen. Für Lehrkräfte würde es sich darüber hinaus anbieten, die heute geltenden Menschenrechte und die von der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte anzusprechen, wonach beispielsweise festgestellt werden könnte, dass Kinder grundsätzlich sehr wohl Äpfel essen oder einen Hund haben dürfen und nicht „totgeschossen“ werden dürfen.
Das im Oktober 2018 bei Oetinger Media GmbH erschienene Hörspiel Chika, die Hündin im Ghetto basiert auf dem gleichnamigen Kurzfilm, der unter anderem auf dem Kurzfilmfestival ArtCity als Bester Animationsfilm ausgezeichnet worden ist. Der Film erhielt außerdem das Prädikat ‚besonders wervoll‘. Das Hörspiel wird für Grundschüler ab einem Alter von sechs Jahren empfohlen. Die gleichnamige Geschichte veröffentlichte die Autorin bereits 2008.
An das Hörspiel, welches unter der Regie von Sandra Schießl entstanden ist, schließt sich ein etwa zwölfminütiges Interview mit der Autorin an, das weitere Aspekte ihres eigenen Lebens im Ghetto aufzeigt. Die inzwischen 93-jährige Batsheva Dagan wurde Psychologin, Erzieherin und Dozentin in der Lehrerausbildung und widmete sich dem Kampf gegen das Vergessen. Im Interview erzählt sie, wie es ihr gelang, trotz des Lernverbots im Ghetto Französisch zu lernen und auch, wie den Kindern mit Hilfe von Sockenpuppen erklärt wurde, wie sie sich bei Christen verstecken können. Außerdem erfahren die Hörerinnen und Hörer, wie es mit Mikasch nach Ende der Geschichte weiterging und wo Chika versteckt wurde. Dagan erläutert außerdem die Bedeutung des Grußes „Shalom“, der Farbe Gelb und dass ihre Bücher immer ein Happy End haben, „denn [sie] will den Kindern die Hoffnung nicht rauben“. Die CD bietet außerdem noch Dagans Gedichte „Vom Abschneiden der Haare“ und „Dort träume ich“, die sich ebenfalls mit ihren Erfahrungen zur Thematik des Holocaust auseinandersetzen.
Durch die Hörspiellänge von etwa 30 Minuten kann Chika, die Hündin im Ghetto gut in Unterrichtsstunden eingebaut werden. Das etwa 15 Minuten umfassende Zusatzmaterial kann entweder gemeinsam mit den Kindern rezipiert werden oder der Lehrkraft dienen, sich auf mögliche Fragen der Kinder zum Thema (Welt-)Krieg vorzubereiten. Das liebevolle Hörspiel nähert sich auf leicht verständliche Weise einem ernsten und emotionalen Thema, das nach einer zusätzlichen Einordung durch einen Erwachsenen oder eine Lehrkraft verlangt. Eltern, die sich die Geschichte gemeinsam mit ihrem Nachwuchs anhören, sollten sich der Thematik aus der Perspektive des Kindes nähern und gegebenenfalls zusätzliche Informationen zur Vermittlung an Kinder heranziehen.
„Ihr habt immer eine Wahl zwischen Gut und Böse. Jede Stunde und überall. Es hängt von euch ab, wie ihr entscheidet“, lautete der Rat der Autorin an Grundschülerinnen und -schüler. Chika, die Hündin im Ghetto kann somit einer jungen und auch kriegsunvorbelasteten Generation dabei helfen, historische Fehler nicht zu vergessen und auch ihre eigenen Entscheidungen stets zu überdenken.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Dana Neuleitner
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Marko Junghänel: "Junait“ – ein webbasiertes Lernspiel
planpolitik Simon Raiser und Björn Warkalla (Hrsg.) (2017).Junait, das Medienkompetenzspiel. Im Unterricht den Umgang mit Sozialen Medien lernen. www. junait.de, kostenfrei.
Soziale Medien wie Instagram, YouTube oder Facebook sind sowohl im Alltag von Kindern und Jugendlichen als auch in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern von Pädagoginnen und Pädagogen permanent präsent. Nach zahlreichen Skandalen um den Datenmissbrauch durch Plattformbetreiber ist die Sensibilität bei der Nutzung dieser Netzwerke zwar durchaus vorhanden. Konsequenzen in Form einer endgültigen Abmeldung von diesen Diensten bleiben bei allen Altersgruppen jedoch eine Ausnahme.
Mit dem webbasierten Lernspiel Junait stellt das Unternehmen planpolitik eine browserbasierte Anwendung zur Verfügung, die über die häufigsten Gefahren innerhalb der verschiedenen Sozialen Netzwerke aufklärt und geeignete Handlungsstrategien vorstellt, um Privatsphäre, Persönlichkeitsrechte und eigene Daten wirksam zu schützen. Junait ist ein Online-Spiel, das Lehrkräfte und Schülerinnen bzw. Schüler kostenfrei nutzen können. Das Ziel, die Nutzerinnen und Nutzer auf reale Gefahren in Sozialen Netzwerken aufmerksam zu machen und ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, diese Gefahren zu bannen und medienkompetent Entscheidungen zu treffen, erreicht Junait durch einen leicht verständlichen Spielaufbau und die glaubwürdige Simulation echter Plattformen. Im Vorfeld müssen die Lehrkräfte über die Junait- Website einen Zugang zur Spielplattform für die Schulklasse beantragen. Mit dem unmittelbar danach per E-Mail verschickten „geheimen Codewort“ kann ein neues Spiel gestartet werden. Zunächst ist jedoch die Einrichtung eines Lehrkräfte-Kontos erforderlich, in dem Name, Mail-Adresse, Passwort und Postleitzahl angegeben werden müssen. Zusätzlich werden etwa die Schuhgröße, der Name des Lieblingsfilms oder das persönliche Lieblingsessen abgefragt. Dass der damit verbundene Abruf der IP-Adresse der Nutzenden und das Speichern der Pflichtangaben für die Dauer des Spieles notwendig sein sollen, hinterlässt trotz der Ankündigungen, dass nach Spielende alle Daten gelöscht würden, ein unangenehmes Gefühl. In Anbetracht der behandelten Thematik und der Spielelogik ist dieses Vorgehen allerdings nur konsequent und Teil der später umzusetzenden pädagogischen Intervention. Durch das eigentliche Spiel führen zwei Charaktere: Dr. SURIV, Erfinder des fiktiven sozialen Netzwerks Junait, der sich als datenstehlender Bösewicht entpuppt, und Condor, die Programmiererin, die die Spielenden beispielsweise dabei unterstützt, Bots zu identifizieren oder persönliche Daten zu schützen. Zunächst müssen jedoch einige organisatorische Vorbereitungen getroffen werden, um im Spiel aktiv mitwirken zu können. Dazu gehört beispielsweise die Einrichtung eines eigenen Avatars, mit dem man durch das Setting navigiert. Zudem ist ein Scroll-Test erforderlich. Für das Erledigen dieser und anderer Aufgaben erhält der Spielende bereits Münzen, mit denen verschiedene Items für den Avatar freigeschaltet werden können. Schließlich müssen die AGBs angenommen werden. Damit kann das eigentliche Spiel beginnen. Die Aufgabenstellungen hierzu können unter anderem folgendermaßen lauten:
- Freunde finden (Belohnung für das Hinzufügen von Freunden bekommen),
- etwas auf eine Pinnwand posten (daraufhin Meldung mit z. B. Werbung für Schuhe in der eingangs angegebenen Größe) oder kommentiere die Posts anderer (dabei auf Werbeanzeige stoßen, eine nicht weiter spezifizierte Fehlermeldung erhalten),
- einen Chat starten und beantworten (und dabei mit taktlosen Antworten oder Werbung konfrontiert werden),
- den versteckten Sicherheitsbereich im Profil aktivieren und dabei lernen, Bots zu melden und zu blockieren und
- den Virenscanner aktivieren (dazwischen tauchen Werbe-Pop-ups und Hinweise auf, dass gerade persönliche Daten verkauft werden), neue Einstellungen der Privatsphäre vornehmen und zum Schluss ein sicheres Passwort anlegen
Der interaktive Aufbau des Spiels ermöglicht auch im Umgang mit sozialen Netzwerken unerfahrenen Kindern und Jugendlichen eine problemlose Navigation durch das Setting. Eine Unterstützung durch die Lehrkraft ist jedoch ratsam. Am Ende werden die Spielenden aufgefordert, kurze Fragen zu beantworten, um das Gelernte zu wiederholen bzw. zu reflektieren: „Welche Daten sollte man nicht im Internet angeben?“, „Wo und warum habt ihr euch mit Viren angesteckt?“, „Wer waren die Fremden bei Junait und was wollten sie?“ Diese Antworten bilden bei der durch die Lehrkraft geleiteten Auswertung die Diskussionsgrundlage zur (medien-) pädagogischen Intervention. Die Pädagoginnen und Pädagogen sind selbst nicht in das Ziel eingebunden, können aber im „Lehrkraftbereich“ die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler verfolgen. Der Spielelogik liegt ein hoher Grad an Handlungsorientierung zugrunde, was nicht nur der Förderung von Medienkompetenz zuträglich ist, sondern das Spiel auch aus handlungspraktischer Sicht alltagsnah erscheinen lässt.
Die Vorbereitungszeit für Lehrkräfte ist verhältnismäßig hoch und liegt bei zirka vier Stunden. Das Spiel muss zunächst komplett durchgespielt werden. Andererseits wird mit den mitgelieferten Auswertungshilfen die abschließende Reflexion und Diskussion gut vorbereitet, eigene Recherchen sind nicht notwendig. Nachteilig am Spielkonzept ist zu werten, dass die Nutzung vor allem nur für stationäre Endgeräte (PCs in der Schule) begrenzt ist – eine mobile Version als App ist nicht verfügbar. Zudem können die bearbeiteten Folien nicht heruntergeladen oder modifiziert werden – ein Einstieg in das Lernspiel ist ebenfalls nicht variabel gestaltbar, sondern folgt einer strengen Chronologie. Hilfreich wäre darüber hinaus, wenn reale aktuelle Beispiele aus sozialen Netzwerken eingebunden worden wären.
„Junait, das Medienkompetenzspiel. Im Unterricht den Umgang mit Sozialen Medien lernen“, so der vollständige Titel, richtet sich an Schülerinnen und Schüler von acht bis 12 Jahren. Ein vollständiger Spielzyklus dauert zwischen 50 und 90 Minuten. Das Spiel wurde 2017 im Rahmen des Grimme-Online Awards mit dem klicksafe-Anerkennungspreis geehrt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband vergibt für das Spiel die Gesamtbewertung „Gut“. Junait ist ein Projekt, das sich seit über 20 Jahren mit der Entwicklung von Plan- und Simulationsspielen im gesellschaftspolitischen Kontext befasst. Dieses Bildungsangebot wurde von Ein Netz für Kinder und vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert
Dana Neuleitner: Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners
„Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar.“ „Dieser Post wurde gelöscht.“ Benachrichtigungen wie diese zeigen an, dass Inhalte aus den sozialen Medien entfernt wurden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber was wird alles gelöscht? Und wer bestimmt, was bleiben darf? Der investigative Dokumentarfilm Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners von Hans Block und Moritz Riesewieck, der zu diesem Thema schon ein Buch und ein Theaterstück verfasst hat, sucht nach Antworten. In 85 Minuten wird ein umfassendes Bild der Lage gezeichnet – allerdings mit geschärftem Blick auf die großen, den Markt bestimmenden Player wie Facebook, Google oder YouTube. Sie wollte keine Müllsammlerin werden, deshalb habe sie sich in der Schule angestrengt, erklärt eine junge Philippinerin. Die Berufsaussichten und die Bezahlung in ihrer Heimat sind oft schlecht. Doch anstatt wie viele andere sortiert sie nicht den Müll auf den großen Deponien, sondern digital: Sie ist Content-Moderatorin und arbeitet über eine Drittfirma für ein Soziales Netzwerk. Die philippinische Hauptstadt Manila ist der „weltweit größt[e] Standort für Content-Moderation“. „Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte der Nutzerinnen und Nutzer zu überwachen und zu moderieren. Ich helfe den Menschen. Ich kämpfe gegen die Verbreitung von Kindesmissbrauch. Ich muss Terrorismus identifizieren und Cybermobbing eindämmen“, erzählt sie im Dokumentarfilm, der am 28. August 2018 erstmals im Free-TV auf ARTE ausgestrahlt wurde und Anfang September in der Mediathek von Das Erste abrufbar war.
Der Film beschäftigt sich mit Zensur in den Sozialen Medien – ein sensibles und wichtiges Thema, mit dem sich auch junge Nutzerinnen und Nutzer auseinandersetzen sollten. Einerseits können gefährliche Inhalte von den etwa drei Milliarden aktiven Social Media-Userinnen und -Usern ferngehalten und sie so vor möglichem Schaden bewahrt werden. Andererseits bleibt Zensur eben Zensur, was im ungünstigsten Fall die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger beschneidet. Das Internet – und somit auch Soziale Netzwerke – kann für sie ein wichtiger Ort sein, um von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, besonders in Ländern, in denen es um dieses Recht schlecht bestellt ist. Die Autoren gehen hier etwa auf politisch motivierte Löschungen in der Türkei und Videos von Anschlägen in Syrien ein – Material, das etwa von NGOs schnellstmöglich gesammelt und vor dem Löschen bewahrt wird, um über die Lage dort zu berichten. In der Regel verfügen soziale Plattformen über eigene Nutzungsbedingungen – Gewalt, Pornografie und Hassrede verstoßen meistens dagegen. Diese Inhalte werden entfernt, wenn sie jemand meldet. Facebook etwa verbietet, „etwas zu tun oder zu teilen“, das „rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch“ ist oder „verletzt bzw. […] gegen die Rechte einer anderen Person [verstößt]“. Die Auslegung in der Praxis ist oft willkürlich. Schülerinnen und Schülern sollte diese Thematik nähergebracht werden. Dazu könnte im Unterricht darauf eingegangen werden, dass sich die Betreiber in Deutschland seit Anfang Oktober 2017 an den Richtlinien des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ‚orientieren‘ müssen. Jedoch entscheiden nicht etwa Juristinnen oder Juristen darüber, ob gemeldete Beiträge den Kategorien entsprechen und entfernt werden, sondern „Personen, […] [die] lediglich halbjährlich geschult werden“ müssen, wie No Hate Speech Movement Deutschland kritisiert. Sie – oder eben philippinische Cleaner, die oftmals über geringe Vorkenntnisse verfügen – formen durch ‚Löschen‘ oder ‚Ignorieren‘ das Welt- und Wertebild der Userinnen und User mit, bei denen Social Web fest im Alltag integriert ist und sie – auch unbewusst – beeinflusst.
Durch die bildhafte Sprache der geschilderten Erfahrungen und die Machart der Reportage und Dokumentation kann sich die Zuschauerin bzw. der Zuschauer in die Lage der Cleaner hineinversetzen. So werden beispielsweise ausgewählte, von Facebook gelöschte Bilder zum Teil nicht zensiert oder sehr detailliert beschrieben – etwa das einer erschossenen Person oder eines ertrunkenen Flüchtlingskindes sowie das provokative Gemälde eines nackten Donald Trumps der Künstlerin Illma Gore. The Cleaners trägt unter anderem deshalb FSK 16. Die Filmautoren verzichten dennoch auf eine Kommentatorin bzw. einen Kommentator. Somit lassen sie die Rezipientinnen und Rezipienten in der Verortung des Gesehenen zwar weitestgehend selbstbestimmt, allerdings in ihrer Eigenverantwortlichkeit zu wissen, zu verstehen und einzuordnen auch tendenziell auf sich gestellt.
The Cleaners könnte sich gut als Lehrvideo eignen, dabei sollte die Lehrkraft jedoch darauf achten, dass die Inhalte mit den Schülerinnen und Schülern ausreichend besprochen oder eventuell nur einige Szenen auswählt werden. Ob und wie die philippinischen Cleaner psychisch betreut werden, ist darüber hinaus fraglich.
Auch in den USA wird über psychische Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichtet. Facebook droht dort nun eine Sammelklage: Dem SPIEGEL zufolge werfen die Klägerinnen und Kläger der Plattform vor, ihre Angestellten – oft Zeitarbeiterinnen und -arbeiter – nicht ausreichend zu schützen. Es wird auch dargestellt, warum Algorithmen und schlecht ausgebildete Content-Moderatorinnen und -Moderatoren nicht zuverlässig arbeiten können: Oft muss der Kontext mit ausgewertet werden. Doch das nötige Hintergrundwissen fehlt. Ein philippinischer Content-Moderator erkennt beispielsweise den türkischen Präsidenten Erdoğan nicht und hält ihn lediglich für einen alten Mann. Jungen Lernenden kann so verdeutlicht werden, wie wichtig es ist, Inhalte aus dem Netz stets zu reflektieren und den eigenen Wissensstand zu vergrößern.
The Cleaners leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Inhalte, die gegen Gesetze oder Community-Richtlinien verstoßen und regt an, über mögliche Lösungen nachzudenken. Uploadfilter wie sie die EU-Kommission Mitte September vorschlug und die beispielsweise gegen terroristische Inhalte vorgehen sollen, könnten zwar nützen, jedoch auch schnell in Richtung Zensur schwenken. So betonte Nicole Wong, ehemalige Führungskraft bei Google und Twitter, im Film: „Wenn man Wert auf Meinungsfreiheit legt und eine demokratische Plattform will, dann entscheidet man sich für die liberaleren Grundsätze.“ Eltern oder pädagogischen Fachkräften ist demnach zu empfehlen, Jugendliche im Anschluss an den Film zu Gesprächen oder Diskussionen über Filminhalte anzuregen und unter anderem Arbeitsbedingungen der Cleaners sowie mögliche Lösungswege oder auch das eigene Nutzungsverhalten auf Sozialen Plattformen zu reflektieren.
Johannes Rockstuhl: Spiele, (für) groß und klein
Dienstag, den 21. August 2018, 9 Uhr in der Messe Köln. Die Tore öffnen sich und die Hallen beginnen sich langsam zu füllen. Noch sind die vielen Bildschirme der zehn Hallen mit rund 200.000 Quadratmetern leer und man kann sich ohne Mühe von Stand zu Stand der über 1.000 Aussteller bewegen. Am nächsten Tag um diese Zeit sollte das jedoch bereits ganz anders aussehen. Am Mittwoch startete nämlich zum zehnten Mal die alljährliche gamescom in Köln. Rund 370.000 leidenschaftliche Gamerinnen und Gamer feierten hier frei nach dem diesjährigen Motto „Vielfalt gewinnt“.
Vieles hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert. Zwar haben sich sowohl Fläche als auch Ticketpreis verdoppelt, doch bereits damals reisten schon rund 235.000 Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an, um die neuesten Spiele höchst persönlich zu testen. Die altbekannten Spielereihen waren bereits 2009 zu sehen. Während sich Fans zu dieser Zeit auf Fifa 10 und den zweiten Teil der Assasin’s Creed-Reihe stürzten, gab es in diesem Jahr die Möglichkeit, Fifa 19 und Assassin’s Creed Odyssey anzuspielen. Letzteres versetzte die Spielerin bzw. den Spieler in das antike Griechenland. Nach dem stark umstrittenen Teil Assassin’s Creed Syndicate hat sich das Team von Ubisoft zurückgezogen und Zeit genommen, um das grundlegende Spielkonzept zu überarbeiten und landete 2017 mit Origins einen sowohl von Fans, als auch von Kritikerinnen und Kritikern gelobten Hit. Nun kehrt Ubisoft mit Odyssey zurück und präsentiert ein Spiel, das, das fast ohne Grafikfehler und Ingame-Einkäufe auskommt. Ebenso kritisch beäugt wird Bethesdas neuer Ableger der Fallout-Reihe. Die postapokalyptischen Open-World-Singleplayer-Spiele werden nun mit einem Multiplayerspiel (Fallout 76) fortgesetzt, in dem jeder Charakter eine echte Person ist. Die Skepsis steigerte sich vor Ort jedoch noch weiter, denn Bethesda stellte das Spiel auf der Messe nicht zum Anspielen bereit. Lediglich ein paar Trailer konnten angesehen und angehört werden. Dies solle jedoch, wie der Direktor Todd Howard den Fans versicherte, das Spielerlebnis in keiner Weise hemmen.
Auf der Messe vertreten waren aber nicht nur AAA-Titel der großen Studios. Wenn man es einmal geschafft hatte, sich aus den überfüllten Hallen neun und sechs herauszuquetschen und einen Blick in Halle zehn zu werfen, traf man viele kleine, charmante Indie-Spiele an, wodurch auch die kleinsten Spielestudios die Chance erhalten sollten, ihre Games unter die Leute zu bringen. Diese sogenannte Indie Arena Booth hat sich nun schon seit ein paar Jahren etabliert, doch war sie in diesem Jahr größer denn je. Hier bestand die Möglichkeit, sich direkt mit den Entwicklerinnen und Entwicklern auszutauschen und die herrlich unkonventionellen Spiele auszuprobieren. In Felix the Reaper spielt man zum Beispiel ein Skelett, das sich nur tanzend bewegt und nicht aus dem Schatten hervortreten darf. Supermarket Shriek war wiederum ein Rennspiel, in dem ein Einkaufswagen gesteuert werden muss, mit dem man sich – beladen mit Mensch und Hund – durch diverse Supermärkte kämpft.
Ein Stockwerk darüber schlugen andere Herzen höher: Nämlich die der Retrospiele-Fans. In der Halle 10.2 bot sich eine Zeitreise durch vier Jahrzehnte Games-Geschichte. Für das freie Ausprobieren standen hier alte Pinball-Tische und liebevoll erhaltene alte oder auf alt gemachte Konsolen und C64-Computer bereit. An diversen Tischen durfte in die frühen Anfänge des Videospiels eingetaucht und alte Klassiker wie Pong, Space Invaders oder Moorhuhn wiederentdeckt werden. Hier trafen sich Jung und Alt, um sowohl nostalgische Gefühle als auch Neugier sprühen zu lassen. Praktisch hierbei war: Die Family & Friends-Area befand sich direkt nebenan und ermöglichte es auch den kleinsten Videospielbegeisterten, ihren Spielspaß ausleben zu können. Natürlich waren altbekannte Spiele wie Minecraft und Mario Kart anzutreffen, allerdings stand das Lernspiel klar im Fokus. Ubisoft baute zum Beispiel in seinem aktuellen Assassin’s Creed-Ableger Origins einen Lernmodus ein. Darin können Fans des alten Ägypten ohne Zeitdruck und (Überlebens-)Wettkampf die Landschaft erkunden und viel über die Kultur, Architektur und Lebensweisen der Ägypterinnen und Ägypter lernen.
Nicht nur vor den Bildschirmen stehend
Seit einigen Jahren ist die gamescom nicht mehr nur eine Messe für Gamerinnen und Gamer. Schon seit einiger Zeit scheint es viel mehr im Vordergrund zu stehen, die sich bietende einzigartige Chance zu ergreifen, in einer der Hallen sein großes Idol zu treffen. Gemeint sind hier nicht die Spieleentwicklerinnen und -entwickler, sondern die eigentlichen Stars der heutigen Zeit: YouTuberinnen und YouTuber. Es gab sogar eine eigene signing area, in der die Möglichkeit bestand, ein Foto und eine Unterschrift von diversen Let’s Playerinnen und Let’s Playern (z. B. Sarazar) oder Musikerinnen und Musikern (z. B. Rockstah) zu ergattern. An jeder Ecke fanden Events statt, die von YouTube-Stars moderiert wurden, bei denen E-Sport-Wettkämpfe geführt oder Livestreams eingeblendet wurden. Neben dem hautnahen Erleben der neuen ‚Popstars‘ präsentierte sich die gamescom aber auch gewohnt offen für ein ‚Nerdtum‘. Cosplayerinnen und Cosplayer, verkörpert als ihre Lieblingscharaktere, hatten beispielsweise Gelegenheit, in Halle fünf fündig zu werden – auch und vor allem ohne ein Kleidungsstück selbst zu nähen. Hier war der Ort, sein Geld liegen zu lassen! Man konnte T-Shirts seiner Lieblings-YouTuberin oder seines Lieblings-YouTubers kaufen oder Plakate zu Games und sogar Vinylplatten mit dem Soundtrack einzelner Spiele erwerben.
Die Vielfalt der Messe reichte jedoch nicht nur bis zu den Hallentoren. Auch wer mit Videospielen nichts am Hut hatte, konnte sich dem gamescom-Fieber nicht entziehen. Ganz Köln stand im Zeichen der Spielemesse und wurde durch Werbeplakate für diverse Spiele dekoriert. Selbst eine Brücke wurde vollkommen in die Farben von Nordrhein-Westfalen getaucht. Darüber hinaus wurde auf Werbeplakaten für diverse Spiele geworben und das alljährliche gamescomcity festival angeboten.
Sonja Berger: Datenschutz für eine enorme Zielgruppe
Digitale Gesellschaft e.V. (2018). Deine Daten. Deine Rechte. Ein Informationsportal für Verbraucher*innen zum Thema Datenschutz. deinedatendeinerechte.de, kostenfrei.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist seit dem 25. Mai 2018 gültig – dennoch kennen sich nur die wenigsten Internetnutzerinnen und -nutzer mit ihren neuen Rechten zum Datenschutz aus. Nicht zuletzt, weil die Flut an Ratgeber-Seiten, Forendiskussionen und Blogeinträgen, die dazu im Internet kursieren, kaum zu überblicken ist. Das neue Infoportal Deine Daten. Deine Rechte. schafft Abhilfe. Der Verein Digitale Gesellschaft e. V. hat sich der Herausforderung gestellt und die wichtigsten Informationen zur DSGVO aufbereitet.
Das vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz geförderte Portal stellt Informationen rund um das Thema Datenschutz zur Verfügung und will damit eine möglichst große Zielgruppe erreichen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist das Portal in vier Bereiche gegliedert, die definieren, in welchem Modus die neun Subthemen erschlossen werden können: durch Schauen, Lesen, Machen und Spielen.
Der Bereich Schauen enthält Erklärvideos zu den jeweiligen Subthemen des Datenschutzes. Deutschsprachige 3D-Animationen, unterlegt mit einer professionellen OFF-Stimme, erklären anschaulich, wie unsere personenbezogenen Daten unhinterfragt in die Firmen wandern. Eine Waage stellt das Macht-Ungleichgewicht dar, durch welches wir als Einzelne gegen die große Firma nicht bestehen können. Hier wird vermittelt: Die DSGVO verleiht uns buchstäblich mehr Gewicht und hilft uns, einen Teil der Kontrolle über die Verarbeitung unserer personenbezogenen Daten wiederzuerlangen, indem wir unsere Rechte kennen und einfordern. Die etwa zweiminütigen Erklärvideos können unabhängig voneinander betrachtet werden, um Schritt für Schritt Thema für Thema zu erschließen. Die Wiederholung der symbolhaften Waage in jedem Video macht das Schauen mehrerer Videos hintereinander ein wenig repetitiv, ist aus mediendidaktischer Sicht angesichts der vernetzten Struktur der Inhalte jedoch legitim. Die Rezeption der Videos erfordert nur bedingt Vorwissen, da sie anhand von alltagsnahen Beispielen in die Problematiken einführen und Tipps für die Praxis, die aus der Gesetzeslage hervorgehen, prägnant formulieren. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, welche mit Tutorial-Formaten vertraut sind, werden hier angesprochen. Beispielsweise erfahren wir, wie unsere Daten „umziehen“. Dabei sind die auf YouTube gehosteten Videos mit einem Erklärtext versehen, der die Nutzerinnen und Nutzer darüber aufklärt, dass trotz des erweiterten Datenschutzmodus beim Ansehen Daten an YouTube gesendet werden. Ein didaktischer Doppeldecker. Der Bereich Lesen beinhaltet ein großes Repertoire an Info-Texten zu verschiedenen Subthemen und der Bereich Machen stellt Musterschreiben bereit, die genutzt werden können, wenn beispielsweise bei einem Anbieter Auskünfte zu den dort gespeicherten Daten eingeholt werden möchten. Die Subthemen behandeln unterschiedliche Fragestellungen. Welche Datenschutzeinstellungen kann ich vornehmen, um meine Daten präventiv zu schützen? Welche Informationspflichten haben die Firmen? Wie kann ich als Nutzerin bzw. Nutzer meine Rechte einfordern? Wie kann ich mich beschweren? Wie kann man seine Daten berichtigen oder löschen lassen?
Jede Textseite ist so gestaltet, dass sie einen Überblick über das Thema liefert und zusätzlich detaillierte Infos eingeblendet werden können. Das verleiht der Seite Übersichtlichkeit und Tiefgang zugleich. Die Texte sind kurz, dafür aber mit anschaulichen Beispielen versehen und richten sich in Du-Form an die Leserschaft. Eine vernetzte Benutzerführung sorgt zudem dafür, dass von den Textseiten in die anderen Bereiche gesprungen werden kann.
Weniger übersichtlich ist hingegen die Navigation im Bereich Lesen, wo der Spagat zwischen Überblick und Fokussierung deutlich wird: Die etwas groß geratenen Überschriften sind teilweise zweizeilig und überladen das Menü, was die Themenbereiche sehr komplex wirken lässt. Klickt man auf Spielen, gelangt man zu einem niedlich gestalteten Tower-Defense-Browserspiel namens Data Clash. Es richtet sich vorwiegend an Nutzerinnen und Nutzer mit wenig Vorwissen, wie Kinder und jüngere Jugendliche. Data Clash ist eine spielerische Darbietung der Idee, seine Daten vor Diebstahl zu schützen und sie sich zurückzuholen, wenn sie doch einmal abhanden kommen. Die in Wellen angreifenden Gegnerinnen und Gegner sind Anbieter aus dem Netz und sehen erst einmal harmlos aus: Beispielsweise werden die Mailanbieter von niedlichen blauen Brieftauben verkörpert. Die Mission: Türme errichten, um diese Fieslinge abzuhalten. Für jede erfolgreiche Verteidigung gibt es eine Währung: Wissen. Wer genügend davon gesammelt hat, kann seine Verteidigungsanlagen aufwerten.
Zur Einführung jedes neuen Gegners oder Items liefert das Spiel schriftliche Kurzerläuterungen. Diese seien, so erklärt das Entwicklerteam, „absichtlich sehr grob gehalten“. Es gehe „vor allem darum, mit dem Spiel für die Bedeutung von Datenschutz allgemein und den Datenschutzrechten zu sensibilisieren, ohne detaillierte juristische Kenntnisse zu benötigen (oder zu erlernen)“. Die Botschaft: Anbieter im Internet mögen zwar auf den ersten Blick harmlos erscheinen, sind aber bei näherer Betrachtung eine potenzielle Gefahr für den eigenen Datenschutz. Bei den letzten Leveln kommen Hilfswerkzeuge wie Anwälte hinzu, welche die gestohlenen Daten wieder zurückbringen können. Sehr junge Kinder können diese „Waffen“ zur Verteidigung der eigenen Daten noch nicht verstehen und sollten beim Spielen begleitet werden. Großer Pluspunkt: Es wird eine Textseite angeboten, die in leichter Sprache wesentliche Inhalte des Info-Portals wiedergibt und dabei die EU-Standards für Inklusion einhält. Außerdem ist ein Lexikon zu finden, das die grundlegenden Begriffe verständlich definiert. Ebenfalls mit dabei: eine englischsprachige Übersetzung des Info-Portals. Dabei werden die Textseiten auf englischer Sprache angezeigt und die Erklärvideos mit englischen Untertiteln abgespielt. Mit diesen Features ist die Seite für eine extrem große Zielgruppe zugänglich. Wenn auch diese Grätsche große Herausforderungen birgt: die Lösung, verschiedene Modi mit unterschiedlichen inhaltlichen Ansprüchen anzubieten, ist ein guter Anfang. Sicherlich könnte die Seite noch weiter differenzieren. Trotzdem: ob erfahren oder weniger erfahren, deutsch- oder englischsprachig, jung oder alt, mit oder ohne Beeinträchtigung – alle können in diesem Info-Portal etwas Neues zum Thema Datenschutz dazulernen.
Markus Achatz, Nicole Lohfink: Seelenverwandtschaften
Cineasten haben das asiatische Kino längst für sich entdeckt. Schon mit dem Hongkong-Kino der 1980er Jahre hat der asiatische Film Einfluss auf die westliche Filmgeschichte genommen, in dem vor allem die technische und erzählerische Seite der Actionsequenzen weiterentwickelt wurde. Aus dem japanischen Kino stechen immer wieder starke Dramen hervor, wie zuletzt beispielsweise der Film Like Father, Like Son (Regie: Hirokazu Koreeda), der den Weg in wenige deutsche Kinos gefunden hat. Doch nicht nur für Cineasten gibt es Perlen zu entdecken. Aktuelle Filme aus dem asiatischen Raum bieten vielfältige und spannende Facetten in einem sehr eigenen Stil. Aus Japan kommen das erfrischende Filmdebüt Amiko sowie das Drama Blue Wind Blows, die Sinnsuche eines 12-Jährigen zwischen Krimi und Poesie. Die tibetische Geschichte Wang zha de yuxue – Wangdraks Regenstiefel erhellt die kindliche Logik, wie seinerzeit eine Astrid Lindgren und der indische Kurzfilm Circle geht so unaufgeregt wie eindrücklich auf vererbte Gewalt ein. Dabei stechen vor allem die heranwachsenden Hauptprotagonistinnen und -protagonisten hervor, deren Themen, Wünsche und Hoffnungen im Zentrum des Geschehens stehen. Allen erwähnten Filmen gemeinsam sind inspirierende Momente, die eine Nähe zur dargestellten Lebenswelt erzeugen und verwandte Seelen in den Akteuren erkennen lassen, unabhängig von ihrem Wohnort. Die einzelnen Filmgeschichten sind jeweils eng mit den Orten verbunden, an denen sie spielen. Die Gefühle und Sehnsüchte ihrer Hauptfiguren sind jedoch global gültig und machen die Welt ein bisschen kleiner.
Gemeinsam gegen den Strom
Amiko ist das Filmdebüt der erst 20-jährigen Japanerin Yoko Yamanaka. Mit ihrem unkonventionellen Spielfilm war sie als eine der jüngsten Regisseurinnen im diesjährigen Berlinale-Programm zu Gast. Die 16-jährige Amiko ist darin die Hauptfigur und befindet sich ständig auf der Suche nach Zuneigung und Sinnhaftigkeit in ihrem Leben. Das Mädchen ist überzeugt, anders zu sein als alle anderen und sehnt sich nach Gleichgesinnten jenseits des Mainstreams. Als sie dem etwas älteren Mitschüler Aomi begegnet, glaubt sie jemanden gefunden zu haben, der denkt und fühlt wie sie. Er ist in Amikos Augen der süßeste Junge der Schule und seit einem langen gemeinsamen Winterspaziergang ist sie davon überzeugt, dass auch Aomi gegen den Strom schwimmt. Das Mädchen projiziert alle ihre Wünsche in Aomi hinein. Ihre Gefühle gehen weit über so etwas „Normales“ wie Liebe hinaus. Aomi ist ihr Seelenverwandter. Schließlich hatte er wie sie selbst den Song „Lotus Flower“ von Radiohead als Favoriten in der Playlist seines Smartphones. Doch nach dem Spaziergang vergeht immer mehr Zeit ohne einen einzigen Kontakt zwischen den beiden. Aomi ist für Amiko nicht mehr greifbar und sie verliert sich völlig darin, über ihn und sein Handeln nachzudenken. So wie in Amikos Gedankenwelt Realität und Fantasie auseinanderdriften, zeigt auch der Film Sequenzen, deren Geschehnisse kaum mehr einzuordnen sind. Eines Tages wird bekannt, dass Aomi aus dem provinziellen Nagano in Richtung Tokioabgehauen sei. Als auch noch das Gerücht umgeht, dass er dort mit Miyako zusammen sei, versteht Amiko die Welt nicht mehr. Ausgerechnet die unfassbar durchschnittliche Miyako – der „Inbegriff der Massenkultur“. Amiko sieht sich in der Pflicht zu handeln. Das rebellische Mädchen fährt nach Tokio, um die Konfrontation mit Aomi zu suchen. Gibt es noch eine Chance für Aomi und Amiko?
Yoko Yamanakas Filmdebüt Amiko sprüht vor Einfallsreichtum. Die Hauptfigur ist unberechenbar, wildromantisch und besitzt eine gewisse Besessenheit. Eigenschaften, die auf die gesamte Story übertragen werden können. So wird plötzlich eine U-Bahn-Station zur Musical-Szenerie oder Amiko schreit sich gemeinsam mit einem schimpfenden Mann auf der Straße in Rage über all die Dummheit in der Welt. Wie Yoko Yamanaka im Interview bestätigt, steckt auch ein Teil von ihr in Amiko. Schon als kleines Kind konnte Yoko nicht aufhören nachzudenken und Dinge zu hinterfragen. Bereits mit knapp 20 Jahren hat sie ein Kunststudium und danach ein Filmstudium abgebrochen – trotz einiger Auszeichnungen für Studienarbeiten. Aus der entstandenen Leere und Einsamkeit heraus, hat sie diesen Film gedreht. Insofern ist Amiko auch ein Statement zur japanischen NEET-Generation und dem verbreiteten Phänomen der Hikikomori – jungen Japanerinnen und Japanern, die sich abkapseln und ihre Wohnungen kaum verlassen. Beides gesellschaftliche Entwicklungen, die auch in aktuellen Mangas häufiger aufgegriffen werden. Yoko Yamanakas Humor tritt zu Tage, wenn sie beispielsweise erzählt, dass ein nicht unwesentlicher Teil des kleinen Filmbudgets für die Reparatur des Autos aufzubringen war, welches sie auf dem Weg zum Dreh nach Nagano kaputt gefahren habe. Amiko erschien in der Sektion FORUM auf der Berlinale 2018 und hat beim japanischen PIA FILM FESTIVAL 2017 den Publikums-Preis sowie den Hikari TV-Award gewonnen.
Stille Vertrautheit
Das Langfilmdebüt Blue Wind Blows (Küstennebel) des japanischen Regisseurs Tetsuya Tomina handelt von der engen Seelenverwandtschaft zwischen den Heranwachsenden Ao und Sayoko. Der zwölfjährige Ao lebt mit seiner Mutter Midori und seiner kleinen Schwester Kii auf der Insel Sado. Ao vermisst seinen vor kurzem spurlos verschwundenen Vater. Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist. Als der zurückhaltende Junge der geheimnisvollen Gastschülerin Sayoko begegnet, spüren die beiden Kinder eine enge Vertrautheit. Obwohl auch das Mädchen kaum spricht und noch stärker in sich gekehrt scheint, nähern sich die beiden behutsam an und verstehen sich ohne viele Worte. Die beiden Außenseiter suchen gemeinsam nach Spuren von Aos Vater. Aus früheren Zeiten existiert eine Kinderzeichnung des Vaters. Er hat damals ein Monster gezeichnet, das an der Küste aufgetaucht war und sich zwischen dieser Welt und der nächsten Welt bewegte. Ao erinnert sich an die Erzählungen dazu: Wer das Monster sehen könne, wird von ihm in die nächste Welt mitgenommen. Die Sehnsucht nach dem Vater treibt Ao immer wieder an den Rand der Steilküste. Mit der wachsenden Freundschaft beginnen die beiden Kinder mehr und mehr ihre Sorgen und Nöte zu teilen. Sayoko lebt in einer Pflegefamilie, wo sie von den anderen Kindern schikaniert wird. Nachdem sie begonnen hat, sich zu wehren, ist sie in der Folge auch der offenen Gewalt durch Erwachsene ausgesetzt. Auf der Insel geschehen immer wieder merkwürdige Dinge und eines Tages verschwindet auch Sayoko. Ao muss sich nun auch auf die Suche nach dem Mädchen machen.
Blue Wind Blows ist ein ausgesprochen ruhiger Film, der streckenweise eine triste Atmosphäre erzeugt. Jedoch wird die Geschichte durch die intensiven Bilder vor der eindrucksvollen Kulisse der Küstenlandschaft umso eindringlicher. Es geht um Verlust und Tod, aber auch um Freundschaft und Zusammenhalt. Tetsuya Tomina inszeniert mit viel Gespür für die Erlebnisse der kindlichen Protagonistinnen und Protagonisten. Die Kinder sind trotz des begrenzten Raums auf der Insel ständig unterwegs und machen den Film zu einer poetischen und geheimnisvollen – manchmal gar gespenstischen Reise. Für den Regisseur ist eine wichtige Botschaft, dass alle Dinge einer permanenten Veränderung unterworfen sind. Was sich verändert, wird nie wieder so sein wie zuvor. Etwas, das aus der einen Perspektive betrachtet wird, kann aus einer anderen völlig unterschiedlich aussehen. Tomina vergleicht dies mit dem blinkenden Licht einer Lampe im Wind. Und so bleibt die letzte Begegnung zwischen Ao und Sayoko wie ein kurzes Aufflackern. War sie real oder nur ein Teil von Aos Vorstellung? Hat Sayoko wirklich das Monster gesehen? Blue Wind Blows lief im Februar 2018 als Weltpremiere in der Sektion GENERATION Kplus auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin (mit einer Altersempfehlung ab elf Jahren).
Die Kraft der Sehnsucht des kleinen Kindes
Mit Wang zha de yuxue (Wangdraks Regenstiefel) hat Regisseur Lhapal Gyal ein sensibles und poetisches Portrait einer Kindheit in den Bergen Tibets geschaffen. Der neunjährige Wangdrak hat während der Regenzeit in Tibet nichts zu lachen, denn er besitzt als einziger in dem Bergdorf keine Gummistiefel und muss mit durchnässten Turnschuhen laufen. Damit die Turnschuhe nicht ständig völlig durchweicht sind, trägt ihn seine Freudin Lhamo schon mal auf ihrem Rücken durch Pfützen, doch dafür handelt Wangdrak sich den Spott der anderen Kinder ein. Wangdrak wünscht sich endlich eigene Gummistiefel. Doch die Familie hat kein Geld dafür. Besonders der Vater hat zudem andere Sorgen. Denn die Getreideernte steht an, die Lebensgrundlage der Familie, und es gibt Zwist unter den Bauern. Als die Mutter entscheidet, ein Ziegenfell gegen neue, hellblaue Stiefel für ihn einzutauschen, ist Wangdraks Freude groß. Stolz trägt er sie zur Schule, trotz strahlendem Sonnenschein. Wieder erntet er Spott von den anderen Kindern. So wartet Wangdrak sehnsüchtig auf Regen. Mit Hilfe von Lhamo versucht er sogar, Regenwetter zu ‚organisieren‘, denn dann wäre alles endlich gut. Inmitten dieser weiten Landschaft und ihrer Dorfgemeinschaft, die beherrscht wird von der Holz- und Landwirtschaft und der das ganze Leben bestimmenden Ernte, folgt Regisseur Lhapal Gyal den Wünschen eines kleinen Jungen und weckt die Erinnerung an die eigene Kindheit. Erinnerungen daran, als das kleine Kind, das man war, sich das erste Mal etwas wirklich fest wünschte, egal, was andere davon halten. Und an die kleinen Momente der Freude, wenn die Welt in Ordnung ist. Um das zu erreichen, folgt Gyal dabei konsequent dem Blickwinkel seiner jungen Protagonistinnen bzw. Protagonisten und verweilt innerhalb der Grenzen ihrer Welt, an die sie hier und da stoßen.
Wenn Wangdrak seine nassen Turnschuhe ans Feuer stellt, seine Not demonstrierend, allen Mut zusammennimmt, um mit seinem Vater über sein Bedürfnis zu sprechen und darin scheitert, dann spüren wir mit ihm die Machtlosigkeit, für seine Gefühle Worte zu finden, das Ringen um Verständnis. Nur mit der Mutter findet er ebensolche vertrauten Momente. So können sich die Zuschauenden dem Weltverständnis der Kinder nicht entziehen, denn alles ist aus ihrer Sicht erlebt. Allein in den wenigen Szenen, in denen nur Erwachsene sind, zum Beispiel in einem Gespräch zwischen den Eltern oder einer Versammlung der Dorfbauern, gibt es auch kurze Einblicke in die Welt der Erwachsenen.
Mit diesen Informationen und den Situationen aus der Erlebniswelt von Wangdrak ergibt sich ein Gesamtbild, das anschaulich, aber auch liebevoll die Spannung zeigt, die sich aus der Reibung zwischen den Bedürfnissen der Kinder und denen der Erwachsenen-Welt speist. Dazwischen offenbaren sich die kleinen und größeren Brücken zwischen ihnen. Und so endet der Film versöhnlich mit dem Schwenk über die weite Landschaft, die diese Menschen prägt, und die beiden Kinder, die darin umherlaufen und zuhause sind. Und ganz unverhofft sind wir mit ihnen dort zuhause.Lhapal Gyal selbst stammt aus Hainan, dem autonomen Bezirk der Tibeter in der chinesischen Provinz Qinghai und studierte in Peking an der Filmhochschule. Wang zha de yuxue ist sein erster Langfilm und basiert auf einem Roman des tibetischen Schriftstellers Cai Langdong Zhu. In der Originalfassung wird in tibetischer Sprache gesprochen. Wang zha de yuxue – Wangdraks Regenstiefel lief im Februar in der Sektion GENERATION Kplus auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin (mit einer Altersempfehlung ab sieben Jahren).
Die Macht des Ungesagten
Nicht unerwähnt bleiben soll der Dokumentarkurzfilm Circle, von der britisch-indischen Filmemacherin Jayisha Patel. Circle folgt drei Generationen von Frauen in ihrem Lebensumfeld in Indien, blickt dabei hinter die Fassaden und deckt den Kreislauf der Gewalt auf. Dabei fokussiert der Film auf die 13-jährige Khushboo, die sich nach einer Gruppenvergewaltigung mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass ihre eigene Großmutter das organisiert hat und sich schließlich in einer Kinderheirat mit einem Mann, den sie nicht kennt, wiederfindet. Die Regisseurin begegnete Khushboo während sie in Uttar
Pradesh für ein anderes Filmprojekt tätig war. Was folgte, waren drei Jahre, in denen Patel die Familie begleitete und in deren Prozess es möglich war, auf die tieferen Beweggründe für die Gewaltbereitschaft der Großmutter zu blicken – auf die Internalisierung von negativen Sichtweisen, um in Machtstrukturen, die nicht zum eigenen Vorteil sind, zu überleben. In unaufgeregten Bildern und in Alltags-Situationen und Gesprächen zeigt Patel diese Internalisierung von Gewalt und Misogynie, im Sinne von subtil in der Gesellschaft verankerten frauenverachtenden Mustern. Da tauschen sich Mutter und Tochter geradezu distanziert über ihnen widerfahrene Gewalt aus. Die Großmutter beschimpft Tochter und Enkelin und hält sie zum schnelleren Arbeiten an, lässt in ihren Begründungen für diese Handlungsweise aber erkennen, dass sie es schließlich auch nicht anders kennt. So schält sich nach und nach heraus, dass der Kreislauf der Gewalt schon viel früher begann. In dem Film wird vieles mit Worten angesprochen, doch letztlich sind es die Momente, in denen niemand etwas sagt, die am aussagekräftigsten sind: Wenn die Mutter Khushboo ihre Haare flicht, wenn Khushboo den Boden schrubbt und die Großmutter zusieht, dann wird die innere Anspannung und Zerrissenheit unwillkürlich spürbar. So ist es auch die letzte Einstellung des Films, die noch lange nachwirkt: Die 13-jährige Khushboo in vollem Braut-Ornat auf ihrer Hochzeit, blickt ein letztes Mal in die Kamera, hinter der Patel steht, ein langer, konzentrierter Blick. Es ist ein Abschiedsgruß an die Filmemacherin, die sie drei Jahre begleitet hat und die nach der Hochzeit auch keinen Kontakt mehr zu ihr hat. Es wäre zu gefährlich für Khushboo.
Seine Aktualität bezieht der Film nicht nur aus der MeToo-Debatte, sondern aus dem Gegenpol zu der Wohlstands-Gesellschaft und den damit einhergehenden Privilegien, in denen die Debatte hauptsächlich stattfindet. Im ländlichen Indien ist es ungleich schwerer, Strukturen der Gewalt zu durchbrechen und wo Internet sowieso kaum eine Rolle spielt, lassen sich lange verankerte Ansichten und Gewohnheiten auch nicht durch eine Facebook- Debatte ins Wanken bringen. Der Film befasst sich mit keinem leichten Thema und er macht es ohne Effekthascherei durch die beobachtende Linse. So kann Circle in seiner geografischen und kulturellen Ferne, seiner menschlichen Nähe und der Tragweite zum Thema Gewalt und ihre Ursachen ein wertvoller Anreiz sein, um wichtige Fragen zu stellen. Circle lief im Februar in der Sektion BERLINALE SHORTS auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Nicole Lohfink ist freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin, medienpädagogische Referentin und derzeit in Elternzeitvertretung für Birgit Irrgang, Leiterin der Medienstelle Augsburg, tätig.
Beitrag aus Heft »2018/04 Medienpädagogik und Informatik«
Autor:
Nicole Lohfink,
Markus Achatz
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Elisa Eberle: Psychospiele im Klassenraum
Oppermann, Lea-Lina (2017). Was wir dachten, was wir taten. Hörbuch, Hörcompany. 259 Min., 14,95 €.
Was tust du, wenn deine Matheklausur plötzlich von einem Amoklauf unterbrochen wird und eine maskierte fremde Person deine Mitschüler zwingt, Stück für Stück ihre dunkelsten Geheimnisse der Klasse zu offenbaren? Für Fiona Nikolaus, ihren Mitschüler Mark Winter und ihren Lehrer Anton Filler wird Gedankenexperiment in Was wir dachten, was wir taten zur Realität. Gelesen von Birte Schnöink, Julian Greis und Sebastian Rudolph – allesamt Mimen des Hamburger Thalia Theater – schildern die drei Hauptfiguren des Hörbuchs von Lea-Lina Oppermann aus verschiedenen Perspektiven, „was WIRKLICH passiert ist“, während Radio und Presse ihrer Meinung nach eine andere Wahrheit erzählen. Die Handlung beginnt inmitten einer Situation, die eigentlich jede Hörerin und jeder Hörer aus der Schulzeit kennt: Vierzehn Jugendliche brüten über einer schweren Matheklausur. Dabei sind alle typischen Charaktere einer durchschnittlichen Schulklasse vorzufinden: Die coolen Jungs, die den Anschein erwecken, gerade aus die Muckibude zu kommen, das püppchenhafte Modelmädchen, das nur an sich denkt, und die Desinteressierten aus der letzten Reihe. Alles ist wie immer, bis auf einmal eine Lautsprecherdurchsage die Stille durchbricht und vor einem Sicherheitsproblem warnt. Zunächst reagieren alle wie sie es gelernt haben: Tür verriegeln, ruhig verhalten, abwarten. Doch als ein kleines Mädchen weinend von außen an die Klassenzimmertüre klopft ist es vorbei mit der Gelassenheit. Was sollen sie jetzt tun? Sollen sie das Mädchen hereinlassen – oder etwa nicht? Nach einer langen Diskussion lassen sie das Mädchen, gefolgt von einer bewaffneten Gestalt, herein. Was jetzt passiert, hat niemand erwartet: Aus der jeweils eigenen Perspektive erzählen die drei Hauptfiguren, wie maskierte Person mit erhobener Pistole zehn nummerierte Umschläge zum Vorschein holt und den Mathelehrer dazu zwingt, die darin enthaltenen letzten Wünsche vorzulesen. Es sind Wünsche, die Rache üben, demütigen, Träume zerstören und die dunkelsten Seiten der einzelnen Schüler zum Vorschein bringen. Sie alle werden systematisch zu den im Verlauf immer drastischeren Straftaten gezwungen, die von Nötigung über Sachbeschädigung bis hin zu Körperverletzung reichen. All das dauert so lange, bis selbst der Lehrer seine regelkonforme Fassade verliert und blind gehorcht. Bis schließlich der letzte Zettel vorgelesen wird…
Was wir dachten, was wir taten ist ein psychologisches Kammerspiel, welches ausschließlich in einem geschlossenen Klassenzimmer spielt und die Gedanken, Sorgen und Ängste der Schüler aufgreift und mit einem spannenden Zugang bearbeitet. Selbst wenn manche Aufgaben der maskierten Person für Außenstehende lächerlich wirken – die Betroffene und damit auch Hörenden sind gezwungen, sich mit ihren Taten und Wünschen auseinanderzusetzen. Wie zum Beispiel Fiona, die gezwungen wird, ihren heimlichen Schwarm zu küssen und dabei feststellen muss, dass sie nichts an ihm wirklich anspricht. Durch diese tiefen psychologischen Bezüge wirken die Figuren glaubwürdig und real. Jungen Hörern kann mithilfe dieses Hörbuchs vermittelt werden, dass jeder Mensch eine dunkle Seite hat und es sich lohnt, gegen unfaires Verhalten gegenüber Mitmenschen zu kämpfen. Eifersucht, jugendliche Schwärmerei für die Lehrerin oder den Lehrer, Diebstahl, Magersucht – viele der im Hörspiel behandelten Themen kennen die meisten Hörer selbst aus ihrem Alltag. Das Hörspiel spielt außerdem mit einigen typischen Schüler-Lehrer-Klischees, die eigentlich jede und jeder aus seiner Schulzeit kennt, auch wenn sie nicht immer widerspruchslos von der Gesellschaft akzeptiert werden. In Kombination mit der Vermittlung von Schülerweisheiten, wie zum Beispiel, dass der beste Sitzplatz bei einer Klausur in der Ecke sei, und einem regelkonformen, überforderten Lehrer generieren eine besonders faszinierende Spannung, die durch die direkte Ansprache des Hörenden als eine Art ‚Eingeweihte‘ verstärkt wird. Durch diese emotional-psychologische Komponente lernen Jugendliche einige wichtige Lektionen: Wie verhalte ich mich bei Amoklauf? Was kann passieren? Und wozu können Mut und Zivilcourage führen? Durch die Tatsache, dass einige Rettungsversuche der Figuren scheitern, erhält die Erzählung einerseits einen realistischen Charakter. Andererseits können die misslungenen Versuche unter Umständen besonders sensible, kleine Heldinnen und Helden auch desillusionieren. Neben den psychologischen Lerneffekten auf die Rezipierenden sticht jedoch auch die metatextuelle Gestaltungsebene der Geschichte ins Auge: Auffallend häufig spielt der Text mit Alliterationen und Wortspielen wie ‚Schweiß auf weiß‘. Aussagen wie „kein Ring, kein Tarnumhang, um mich unsichtbar zu machen“ hingegen verweisen auf andere Medien und Geschichten, wie in diesem Fall Der Herr der Ringe oder Harry Potter. Genauso werden Geschehnisse von den Schülerfiguren mit Szenen aus Horror- oder Westernfilmen verglichen sowie literarische Figuren wie Winnetou oder die Todesser in die Erzählung integriert. Diese popkulturellen und intermedialen Verweise machen den Text besonders lebhaft und ansprechend für junge Hörer. Selbst wenn Hörer einige Zitate nicht durchdringen und zuordnen können, bleibt das gesamte Hörbuch trotzdem nachvollziehbar und regt im Idealfall zur Auseinandersetzung mit unbekannten Geschichten an.
Zusammenfassend gelingt Lea-Lina Oppermann in ihrem Hörspiel Was wir dachten, was wir taten eine interessante und kurzweilige Geschichte, die die jugendlichen Rezipienten zum Nachdenken über ihr eigenes Sozialverhalten anregt. Dazu trägen insbesondere die thematische Schwerpunktverschiebung auf einer psychologischen Ebene – weg von einem klassischen Amoklauf – bei.
Elisa Eberle war Praktikantin bei merz | medien + erziehung. Sie studiert derzeit den Masterstudiengang Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ulrich Tausend: Die re:publica – am digitalen Puls?
Was macht das Internet mit der Gesellschaft? Was kann die Gesellschaft mit dem Internet anstellen? Um diese Fragen zu diskutieren, treffen sich jährlich Tausende Akteure aus der Netzgemeinde, Wissenschaft, Politik und Kultur zur re:publica- Konferenz in Berlin. Vor 12 Jahren als Blogger- Konferenz, von den Betreibern von Spreeblick und netzpolitik.org gestartet, hat sie sich zu einer international beachteten Veranstaltung mit einem vielfältigen Themenspektrum rund um Digitales und Gesellschaft entwickelt. Teil dieses digitalen Zeitgeschens wollte in diesem Jahr auch die Bundeswehr sein, was gleich zur ersten Kontroverse unter den Teilnehmenden der Konferenz führte. Drei Soldaten in Flecktarn standen zum Start der Tagung vor dem Veranstaltungsgelände, sprachen die Wartenden an und verteilten Flyer, um für die Zulassung mit einem eigenen Stand zu werben. Begleitet wurde der Auftritt von einer re:publica-kritischen Social Media-Kampagne. Ich persönlich kenne keine Veranstaltung bei der Twitter so stark genutzt wird wie auf der re:publica. Hier wird der Puls der Konferenz spürbar, und man bekommt einen kleinen Ausschnitt in das, was auf den 19 Bühnen gerade passiert. Vieles davon hatte mit dem diesjährigen Thema der Konferenz POP zu tun, das in verschiedenen Spielarten interpretiert wurde. Es sollten beispielsweise Filterblasen zum Platzen gebracht werden. Zudem wurden drängende Fragen nach den aktuellen Entwicklungen in der Medienlandschaft gestellt: Welchen Einfluss haben (Scripted) Reality Shows, Insta-Stars und Influencer auf die Gesellschaft? Was macht alternative Fakten so ‚sexy‘ für besorgte Bürgerinnen und Bürger? Sascha Lobo stellte hingegen die Frage nach dem Pop und Antipop(ulismus). Häufigstes Deutungsschema war aber "Power Of People", also wo die Macht der Masse liegt. Unverkennbar: Es wurde die politischste re:publica bisher. Der Stargast der diesjährigen Konferenz war die Whistleblowerin Chelsea Manning. Im Jahr 2010 hat sie, noch als Nachrichtenanalytikerin des US-Militärs unter dem Namen Bradley Manning, Hunderttausende Dokumente an Wikileaks weitergegeben.
Diese enthüllten unter anderem, dass Merkels Handy durch die NSA abgehört wurde und enthielten brisante Informationen über unrechtmäßig Inhaftierte in Guantanamo. Bekannt wurde auch ein Video, in dem US-Soldaten aus einem Kampfhubschrauber mehr als ein Dutzend Zivilisten erschossen. Nach sieben Jahren Haft wurde sie in einer der letzten Amtshandlungen Barack Obamas begnadigt. Auf der re:publica wurde ihr ein sehr herzlicher Empfang bereitet. Die größte Bühne war überfüllt und es gab viel Applaus für ihre Äußerungen. Manning kritisierte, dass in den zurückliegenden Jahren das Sammeln von Daten durch Staaten und Unternehmen immer weiter zu¬genommen hätte. "Wir dürfen nicht darauf warten, dass Institutionen sich verändern. Wir müssen sie selbst verändern", so appellierte sie an Programmiererinnen und Programmierer. Sie wandte sich auch an die versammelten Medienvertreterinnen bzw. -vertreter: Meinungsfreiheit bedeute nicht, jedem ein Mikrophon in die Hand zu geben, der eine Meinung habe. Manning selbst will kein Vorbild sein. Für viele re:publica-Besucherinnen und Besucher ist sie aber genau das. Jemand, der nicht nur redet und die Hoffnung auf Veränderung in Tweets ausdrückt, sondern handelt und für Überzeugungen – auch im Gefängnis – einsteht. Chelsea Menning hinterließ den Eindruck, dass die Netzgemeinde Heldinnen und Helden sucht und braucht. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Euphorie, die viele noch mit dem Internet der Anfangsjahre verbinden, mehr und mehr verfliegt. Für Sascha Lobo war das Internet zwar schon auf der re:publica 2014 kaputt. Die Bedenken gegenüber neuen technischen Entwicklungen und deren Einfluss auf die Gesellschaft haben wohl aber erst jetzt die Mitwirkenden über die Jahre eingeholt. Besonders häufig problematisiert wurde dabei die Rolle von Algorithmen in Entscheidungsprozessen. So sah Harald Lesch einen Verlust der Erkenntnisbegründungen, die zu einem Ende der Aufklärung führen könne. Man würde die Kontrolle durch von Algorithmen gesteuerte Prozesse verlieren. Die aktuell am weitesten fortgeschrittene Entwicklung in diesem Bereich beschrieb Katika Künreich. Sie gab einen Einblick in Chinas Social Credit-Systeme, bei der Konzerne die gesammelten Daten zu Suchverhalten, Social Media oder Finanztransaktionen kombinieren – mit vollumfänglich ‚legitimierten‘ Zugriff eines auf "Harmonie" zielenden Staates. 2020 wird die Nutzung solcher Systeme für alle Chinesinnen und Chinesen obligatorisch sein. Der Vortrag zeigte, wie sich die Digitalisierung zu einer massiven Bedrohung kritischen und damit auch demokratischen Denkens entwickeln kann.
Dagegen positioniert sich die p≡p coop, ein Zusammenschluss von Internet-Aktivistinnen und Aktivisten (Autorinnen wie Sibylle Berg, Juli Zeh und der Autor Marc-Uwe Kling sind Gründungsmitglieder), die auf der re:publica ihre Idee präsentierten: "Es wird allerhöchste Zeit, uns Bürgerinnen und Bürgern wirksam vor den Folgen der Digitalisierung zu schützen. Weil die Politik nichts unternimmt, machen wir das jetzt eben selbst", erklärte Zeh. p≡p steht für "pretty easy privacy" und will uns ermöglichen, auf CryptoPartys endlich wirklich zu feiern, da deren Verschlüsselungstechnik keiner langen Erklärung bedarf. Die düstere Show ließ viele Zuschauenden lange zweifeln, ob es sich um eine ernsthafte Initiative oder um eine Kunstaktion handelt. Als ich mit zwei Medienpädagogen über die Aktion sprach, zeigte sich, wie stark sie polarisierte. Für den einen war es die inspirierendste Session. Beim zweiten fiel sie komplett durch. Der kontroverse Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, gerade auf einer nicht rein medienpädagogischen Veranstaltung stellt einen großen (Mehr-)Wert der re:publica dar. Auf der re:publica laufen einem ständig Medienpädagoginnen und -pädagogen über den Weg. Besonders viele sieht man natürlich bei den unter dem Begriff re:learn zusammengefassten Vorträgen. Dort wurde gefragt, wie die Digitalisierung der Bildung gelingen kann. Es wurde über Making und Open Source in Bildungskontexten debattiert und besprochen, was der DigitalPakt so (nicht) mit sich bringt. Aber bei der re:publica handelt es sich eben nicht um eine medienpädagogische Fachkonferenz. Viele Vorträge bleiben eher an der Oberfläche. Die Stärke der re:pulica ist ihre Vielschichtigkeit. So konnte man dieses Jahr in vielen von den 400 Vorträgen, welche größtenteils online verfügbar sind, auch in Themen wie Blockchain oder Smart City eintauchen. Dazu gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, dessen kommerzieller Einfluss durch die hohe Präsenz von (Medien-)Unternehmen in Ausstellungsständen und Vorträgen spürbar ist. Insbesondere bei der angedockten Media Convention kann es passieren, dass eine Session weniger kritisch ausfällt und eher einer Werbeveranstaltung gleicht. Einige Besucherinnen und Besucher schwärmen in solchen Momenten vom weniger kommerziellen Chaos Computer Congress. Dennoch: Ein Besuch der re:publica gibt die Chance auf das Einverleiben des Hier und Jetzt – dem Spüren des digitalen Pulses.
Daphne Schubert: eKidz.eu – "Kind+iPad+eKidz.eu = Lesenlernen macht Spaß!"
eKidz.eu GmbH (2017). eKidz.eu – Deutsch lernen. App für iOS. kostenfreie Testversion.
"Lesenlernen leichtgemacht! – Spannende digitale Inhalte und mehr Motivation zum Lernen." Mit diesem Versprechen präsentiert sich eKidz.eu als neuer Player auf den Markt der Lern- Apps. Innerhalb von neun Stufen soll die Anwendung Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren darin unterstützen, ihrem Lernstand entsprechend, Lesefähigkeiten auszubauen und somit das Sprachverständnis zu schulen. Die aktuell kostenfrei zur Verfügung stehende Testversion richtet sich vorrangig an Kinder der Vorschule und der ersten bis zweiten Grundschulklasse. Auf der Basis der Erfahrungen von Akademikerinnen und Akademikern, Lehrenden und pädagogischen Fachkräften werden die Leselevels, den Vorkenntnissen der Kinder entsprechend, in drei Gruppen unterschieden und unterteilen sich jeweils in drei Stufen: Leseanfänger (Stufe 1-3), Frühleser (Stufe 4-6) und fortgeschrittene Frühleser (Stufe 7-9). Je Lese-Stufe stehen drei bis fünf Texte in Form von ‚Büchern‘ zu verschiedenen klassischen Unterrichtsthemen, wie zum Beispiel zu gesunder Ernährung, Kunstformen oder dem Wetter aber auch zu Alltagsthemen zur Verfügung. Diese können nach einem wiederkehrenden Schema bearbeitet werden: Das Kind kann einen Text lesen, sich vorlesen lassen und – sobald diese beiden Schritte abgeschlossen sind – fünf Fragen zu den behandelten Themen beantworten. Im Unterschied zu anderen Apps können nicht nur das Erkennen von Buchstaben oder einzelnen Wörtern geübt, sondern ebenfalls Wort- und Satzerfassung, der Lesefluss sowie das Textverständnis trainiert werden.
Nach Installation der App muss zunächst ein Hauptkonto eingerichtet werden, das auf bis zu 35 weitere Konten erweitert werden kann. Jeder Account kann durch ein von der App vorgeschlagenes Passwort gesichert werden. In diesem Account sind für jedes Kind die Lesestufe sowie die Sprache für die Anleitungen individuell festgelegt. Sowohl die volljährige Inhaberin oder der Inhaber des Hauptkontos bzw. Mentorin und Mentor als auch das Kind haben die Möglichkeit, die in der App verbrachte Zeit sowie den Stand der bereits bearbeiteten Bücher mit entsprechendem Lernfortschritt einzusehen und nachzuverfolgen. So stellt eKidz.eu ein gut geeignetes Instrument für Lehrende oder Erziehende dar, den Entwicklungsstand der Lernenden zu beobachten und individuell zu unterstützen.
Der Textumfang pro Buch bzw. pattern book beginnt auf Stufe eins mit 30 Wörtern und steigert sich nach und nach auf 550 Wörter in der letzten Lesestufe. Bei zunehmender Länge der Texte erhöht sich auch die Anzahl der dargestellten Wörter pro Seite. Dabei werden die Texte durch lebendige Illustrationen in kräftigen Farben begleitet, die das Verständnis des Erzählten durch visuellen Bezug erhöhen. Zum erleichterten Nachvollzug von Lautverbindungen wird in den Stufen eins bis drei sehr langsam und silbenbetont vorgelesen. Die Vorlesegeschwindigkeit sowie die Verbindung der Silben nimmt für die Gruppe der Frühleserinnen und -leser zu und mündet für Fortgeschrittene in eine natürliche Sprechgeschwindigkeit mit erhöhter Komplexität der Satzstrukturen. Die vorgelesenen Wörter werden parallel zum Ton farbig hervorgehoben, sodass das Kind eine visuelle Orientierung innerhalb des angezeigten Textes erhält. Sobald die Aufgaben Hören und Lesen erfüllt wurden, werden – bei bestehendem Internetzugang – Verständnisfragen zu den Texten gestellt. Falls dabei noch Fehler auftreten, haben die jungen Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, den Text erneut zu lesen. Dabei stehen alle vorab heruntergeladenen Texte auch offline zur Verfügung.
eKidz.eu ist eine gut durchdachte und kindgerecht gestaltete App, die intuitiv zu bedienen ist und in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden kann: Zur Unterstützung des Lernprozesses zu Hause, innerhalb von Lerngruppen oder – bei vorhandener technischer Ausstattung – durchaus auch im schulischen Kontext. Der übersichtliche Aufbau und die klar strukturierten Lernabläufe ermöglichen Kindern eine selbstständige Beschäftigung mit der Anwendung. Motivationale Impulse erhalten die Übenden durch eine Lernfortschrittsanzeige, die sowohl die Intensität der Auseinandersetzung mit Texten steigert als auch mit den Inhalten. Die Angabe von Prozentzahlen erscheint für die adressierten Kinder jedoch etwas abstrakt und könnte durch eine visuelle Aufbereitung mit Piktogrammen kindgerechter ausfallen. Zudem findet sich noch keine Aufgabe zum Schreiben, wodurch der Erwerb von Lese- und Sprachkompetenzen beschleunigt und erhöht werden könnte.
Bei der Einrichtung der Kinderkonten müssen die Eltern oder Lehrkräfte den Lernstand der Kinder vorab bereits gut einschätzen können, da die Stufenangaben der Anwendung keine näheren Erläuterungen enthalten. Mehr Transparenz darüber, welchem Lernstand diese Angaben entsprechen, könnte eine bedürfnisgerechtere Lernbegleitung durch Eltern und Lehrer erleichtern.
In Bezug auf die inhaltliche Gestaltung zeigt eKidz.eu, dass sich die Entwickler intensiv mit Unterrichtsinhalten und einer alters- wie kindgerechten Umsetzung auseinandergesetzt haben. Es werden altersgemäße Themen aus dem Alltag und Lehrplaninhalte wie beispielsweise für den Sach- und Heimatkundeunterricht angeboten, aber auch bekannte Märchen und klassische Literatur wie Tom Sawyer und Der Fischer und seine Frau aufgegriffen und entsprechend aufbereitet. Hierdurch kann nicht nur die Lese- und Sprachkompetenz geschult und der Grundwortschatz erweitert, sondern ebenso Allgemeinwissen aufgebaut werden, welches durch Informationen zu verschiedenen Fachbereichen wie unter anderem Kunst oder Biologie angereichert werden kann.
Die Arbeit mit abgeschlossenen Geschichten statt mit isolierten Aufgaben bietet Kindern einen geeigneten Rahmen für den Aufbau von Kompetenzen zur zunehmend eigenständigen Beschäftigung mit Büchern und Texten und verhilft ihnen dabei zu Erfolgserlebnissen.
eKidz.eu ist eine fundiert entwickelte App, deren derzeitige Weiterentwicklung und Funktionserweiterung sich zu verfolgen lohnt. Unter anderem ist eine Erweiterung der Zielgruppe auch auf die dritte und vierte Grundschulklasse in Planung. In der Endversion sollen Basisfunktionen weiterhin kostenlos zur Verfügung stehen. Ergänzend dazu sind verschiedene kostenpflichtige Abonnementmöglichkeiten und In-App-Käufe angedacht.
Aktuell ist die App als iOS-Anwendung erhältlich. Eine Android-Version ist laut Entwickler in Planung.
Daphne Schubert
Beitrag aus Heft »2018/03 Orientierung in der komplexen Welt«
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Daphne Schubert
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Elisa Eberle: Wer hat Urheberrecht?
Vision Kino (Hrsg.) (2017). Wer hat Urheberrecht? www.wer-hat-urheberrecht.de, kostenfrei.
Wie entsteht ein Film? Wer ist alles am Dreh beteiligt? Und wem gehört das fertige Produkt? Diesen Fragen widmet sich die multimediale Plattform von VISION KINO mit ihrem umfangreichen und kostenfreien Angebot an Unterrichtsmaterialien für Lehrende. Die Website bietet Interviews von Filmschaffenden, Erklärvideos, Filmplakate sowie -trailer und verfolgt das Ziel, Kinder und Jugendliche für Urheberrecht zu sensibilisieren und sie mit dem Medium Film vertraut zu machen. Inhaltlich gliedert sich das Angebot in sechs Themen, je drei für eher jüngere bzw. eher ältere Schülerinnen und Schüler. Das ganze Angebot lässt sich über eine Filterfunktion auf der Startseite nach Altersstufe (Primar-, Sekundarstufe I und II) sowie Schulfach selektieren. Einzelne Arbeitsschritte einer Filmproduktion und Formen der Filmrezeption werden über Interviews mit Filmschaffenden sowie in Form von Arbeitsblättern kurz angesprochen. Jüngere Schulkinder lernen auf diese Weise Filmberufe näher kennen und erhalten über ihren Lieblingsfilm einen direkten Zugang zum Thema. Ältere können sich dagegen mit den unterschiedlichen Formaten einer Filmkritik, beispielsweise auf Twitter oder im Feuilleton, auseinandersetzen. Den eigentlichen Schwerpunkt der Seite bilden die hinteren Themen: Zunächst rückt die ‚Medieninstitution Kino‘ in den Fokus, wobei unter anderem verschiedene Kinotypen vorgestellt sowie Jugendliche der Sekundarstufen mit wirtschaftlichen Aspekten des Kinos, wie der Filmfinanzierung, der Verwertung und den Urheberrechten vertraut gemacht werden. Ebenso wird erklärt, aus welchen Teilen sich der Preis einer Blu-ray zusammensetzt und welche Kosten eine Filmproduktion verursacht. Gleichzeitig werden die Jugendlichen für das Thema Raubkopie sensibilisiert. Auch das Filmmarketing eines Kassenschlagers wie Fack ju Göhte wird intensiv analysiert und mit kreativen Arbeitsaufträgen verknüpft. Die zentrale Frage ‚Wer hat Urheberrecht?‘ stellt das letzte Thema. Als Einleitung in den Diskurs werden Grundschülerinnen und -schülern die Unterschiede zwischen geistigem Eigentum und Sacheigentum erklärt. Altersadäquate Praxisbeispiele illustrieren zudem die Entstehungsgeschichte des Animationsfilms und die Bedeutung von Filmmusik. Daneben liefert ein Infoblatt Tipps, welche Filmmusik für eigene Produktionen verwendet werden darf und dabei legale Bezugsmöglichkeiten vorstellt. Außerdem werden die Präsentation von Marken und der Umgang mit Persönlichkeitsrechten in dokumentarischen Filmen erläutert sowie die Unterschiede zwischen Parodie und Remake definiert. Urheberrechtsverletzungen und ihre Folgen werden abschließend auf leicht zugängliche Weise erörtert. Für Grundschülerinnen und -schüler steht ein Beispiel aus dem Schulalltag zur Verfügung, Ältere können sich über legale und illegale Streaming- und Download-Angebote informieren. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II debattieren in den Rollen aller am Urheberrechtsstreit Beteiligten in einer großen Podiumsdiskussion. Daneben bieten zwei Infotheken auch für pädagogische Fachkräfte eine übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Informationen rund um das Urheberrecht und alle verwandten Themenbereiche.
Das Angebot von Wer hat Urheberrecht? ist zielgruppenorientiert und abwechslungsreich gestaltet: Besonders der Regionalbezug sowie die Zitate aus aktuell populären Kinohits transferieren die Arbeitsaufträge aus einem rein theoretischen Kontext in die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler. Dabei spornt das Erstellen eines Steckbriefes für den eigenen Lieblingsfilm oder die Durchführung von Interviews mit prominenten Filmschaffenden kleine wie große Filminteressierte zusätzlich an. Sämtliche Arbeitsblätter sind abwechslungsreich, kreativitätsfördernd und informativ. Selbst ‚unliebsame‘ Fächer wie Mathematik oder Wirtschaft werden durch den Filmbezug spannend aufbereitet. Neben der Theorie können Schülerinnen und Schüler in bekannte Momente der Filmgeschichte eintauchen. Durch Abschriften der Interviews und Umschreibungen von Fotos wird dabei gewährleistet, dass hör- oder sehbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche das Angebot ebenso rezipieren können. Somit überzeugt das Format auch methodisch und didaktisch. Die vorangestellte Übersicht über die relevanten Anforderungen zu Zielgruppe, Zeitaufwand sowie zu benötigten Vorkenntnissen oder Fachempfehlungen könnte lediglich durch Lösungsblätter zu den Aufgaben ergänzt werden. Einige Arbeitsblätter sind in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden verfügbar. Für die Sekundarstufe I könnte das Material jedoch noch ein breiteres Anforderungsspektrum abdecken, indem ein größerer thematischer Tiefgang und eine intensivere Auseinandersetzung mit filmmedialen Aspekten angeboten werden. Durch die fächerübergreifende Ausrichtung eignen sich die Arbeitsaufträge auch für Projektwochen, in denen unterschiedliche Methoden und Fähigkeiten spielerisch trainiert werden. Dabei reicht das Angebot von eigenständigen Internetrecherchen und Interviewtechniken über Diskussionen und Filmanalysen bis hin zum korrekten Umgang mit Zitaten. Weiterführende Beschäftigungen bieten schließlich wissensaufbauende Strukturen einzelner Subthemen, eine Verlinkung auf externe Seiten sowie die Rubrik "Fallbeispiele" in der "Infothek für Schüler*innen".
Zusammenfassend stellt die Plattform Wer hat Urheberrecht? mit ihrem Baukastenprinzip und einer stetigen Aktualisierung und Erweiterung eine Basis für eine fokussierte Arbeit dar, Kinder und Jugendliche im kreativen Umgang mit Film und Medien zu begleiten und in der Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess filmischer Werke ihre Wertschätzung des geistigen Eigentums zu fördern.
Die Website ist der Nachfolger der didaktischen DVD Im falschen Film? – Eine Unterrichts-DVD zu Fragen des Urheberrechts und zum Schutz des geistigen Eigentums (2012) und wird aus Mitteln der Filmförderungsanstalt finanziert. Die Unterrichtsmaterialien beziehen sich auf das von der Länderkonferenz MedienBildung und VISION KINO gemeinsam erarbeitete, mit den Bundesländern abgestimmte kompetenzorientierte Konzept fächerübergreifender Filmbildung für die Schule und verweisen auf Kompetenzerwartungen, die in der Handlungsstrategie Bildung in der digitalen Welt der Kultusministerkonferenz formuliert worden sind.
Elisa Eberle
Saskia Eilers: Kinderleichtes Programmieren
Wonder Workshop (2017). Dash. Ein Bildungsroboter zum Programmieren für Kinder. 179,99€
Er fährt geradeaus und summt dabei fröhlich vor sich hin. Wenn er ein Klatschgeräusch hört, bleibt er stehen und fängt zu tanzen an. Er tanzt so lange, bis jemand den großen weißen Knopf auf seinem Kopf drückt, dann ruft er ‚Howdy!‘ und fährt wieder los ... Der Spielzeugroboter Dash ist ein lustiges und durchaus intelligentes Kerlchen. Als Repräsentant moderner digitaler Spielfreude verbindet er Haptik, Experimentierfreude und digitalisierte Intelligenz zu einem neuen Erlebnis im Kinderzimmer. Mithilfe von eingebauten Mikrofonen kann Dash Geräusche orten und dabei sogar Händeklatschen von Stimmen unterscheiden. Die an den Rollfüßen befindlichen Sensoren ermöglichen es ihm, Hindernisse wahrzunehmen und zu umfahren.
Wenn sich mehrere Dash-Roboter in einem Raum befinden, können auch hier die Sensoren für ein gemeinsames Spiel genutzt werden. Daneben bieten vier Knöpfe am Kopf verschiedene Interaktionsmöglichkeiten. Die Vielzahl an komplexen Drehbewegungen, seine humanisierte Darstellung sowie seine Reaktion auf Ton und Bewegung lassen Dash somit zu einem lebendigen Spielkameraden werden, dessen Handlungsspektrum beinahe unerschöpflich erscheint. Die Bandbreite an unterschiedlichen Funktionen ermöglicht eine individuelle Verknüpfung und Ausgestaltung des eigenen Spielroboteres. Ob als Rennauto, als eifriger Nachplapperer oder als Gladiator in einer selbst gebauten Arena – der kleine Roboter kann vielseitig sein.
Dabei bietet er Kindern ab sechs Jahren nicht nur eine Menge kreativen Spielspaß, sondern vermittelt nebenbei auch grundlegende Programmierfunktionen wie Abfolgen oder bedingte Anweisungen. In Verbindung mit verschiedenen Apps kann die Programmierung von Funktionen für Dash erlernt und weiterentwickelt werden.Die App Wonder beispielsweise richtet sich an jüngere Kinder. Hier wird vordergründig mit einer bunten Symbolsprache gearbeitet, um Programmierfunktionen kennenzulernen. Die einzelnen Lernaufgaben werden dabei in eine fortlaufende Geschichte eingebettet. Doch auch der Kreativität wird im ‚Erfindermodus‘ der App keine Grenzen gesetzt. Denn hier können eigene Programme erstellt und im Anschluss über Codes mit Freunden und Freundinnen geteilt werden.
Die App Blockly richtet sich an ältere Kinder und weist bereits eine anspruchsvolle Ähnlichkeit zur Programmiersprache Scratch auf. In Form eines Baukastensystems werden bunte Funktionsblöcke miteinander verknüpft. Nachdem das Tutorial durchlaufen und somit der ‚Führerschein‘ für Dash erworben ist, können verschiedene Funktionen zu komplexeren Handlungsabläufen verbunden oder aber Lernkarten in Printform als Inspiration verwendet werden. Diese Lernkarten betten einzelne zu erlernende Programmierprinzipien in kleine Geschichten. So muss Dash zum Beispiel als bellender Hund programmiert werden und seinem Herrchen durchs Zimmer folgen.
Die verschiedenen Aufgaben der Lernkarten beinhalten überwiegend die Verwendung anderer Alltagsgegenstände, sodass die Fantasie der Kinder durch diese einfachen Mittel angeregt werden kann. Dash muss hier zum Beispiel einen Parcours aus Klebeband und anderem Spielzeug überwinden, ein Kuscheltier beschützen oder er wird so programmiert, dass er vor zwei Monstern – repräsentiert in Form von Bechern – ängstlich zurückschreckt. In unterschiedlichen Schwierigkeitslevel von A bis E werden die bisherigen Lernerfolge berücksichtigt und aufeinanderaufgebaut. Zu Beginn geben die Lernkarten noch konkrete Anweisungen für das Bausteinsystem. Bei fortgeschrittenem Level müssen Spielerinnen und Spieler selbst die richtige Funktion für eine gewünschte Handlung finden.
Über den Erwerb weiterer zusätzlicher Apps sowie materiellen Zusatzkäufen kann Dash zudem ein Katapult bedienen oder Xylophon spielen. Die Nutzung ist für eine Vielzahl mobiler Endgeräte mit den Betriebssystemen Android und iOS geeignet. Die Usability der Apps Wonder und Blockly ist allerdings auf Smartphones mit kleineren Bildschirmen eingeschränkt. Hier sind die notwendigen Hinweise und Erklärsätze sowie die Touchbereichsfelder zur Verbindung von Befehlen sehr klein und können kaum gelesen bzw. angesteuert werden. Entgegen der gegenwärtig aufkommenden Debatte über die Risiken eines zunehmend digitalisierten Kinderzimmers stellt Roboter Dash eine innovative und wertvolle Bereicherung für den Kinderzimmeralltag dar.
Der oftmals befürchtete Datenmissbrauch durch digitale Spielkameraden wird von Dash nicht unterstützt. Zwar reagiert der kleine Roboter auf Bild und Ton in seinem Umfeld, es findet jedoch kein Datenspeichern und -übermittlung statt. Nach der erstmalig erforderlichen Internetverbindung für das Herunterladen der Apps von Wonder Workshop ist für das tägliche Spiel mit Dash lediglich eine Bluetoothverbindung erforderlich. Die narrative Einbettung der einzelnen Lernaspekte in den Apps und Lernkarten sowie integrierte Gamification-Ansatz mittels Freischaltung von Belohnungen sowie weiteren Geschichten für Lernerfolge motivieren und vermitteln der Zielgruppe auf spielerische Weise ein technisches Verständnis. Dabei steht die Förderung von Kreativität, Neugier und Intuition im freien Spiel stets im Vordergrund. Eine hohe Spiel-Affinität wird durch die bunten Lichter erreicht und frechen Sounds, wie beispielsweise Rülps- und Pups-Geräusche, die einen kreativen Experimentierfreiraum gewährleisten.
Die Andockstellen für Lego-Bausteine geben Dash ein zusätzliches haptisches Feature, welches zu einer gelungenen Kombination aus traditioneller und moderner Spielfreude führt. Die geschlechtsneutrale Gestaltung sowie der weit gefasste Einsatzbereich von Dash bergen zudem den Vorteil, beide Geschlechter anzusprechen. So kann der kleine Roboter gewiss auch Mädchen und auch beide Elternteile für ein gemeinsames Spiel motivieren und nebenbei für das Programmieren begeistern. In den Vereinigten Staaten wurden das Bildungspotenzial von Dash bereits nutzbar gemacht, indem das Spielen und Lernen mit dem kleinen Roboter im amerikanischen Curriculum integriert wurde. Insbesondere die haptischen Lernkarten der Blockly-App eignen sich für den schulischen Unterricht und Gruppenarbeiten und vermitteln ein grundlegendes Verständnis für die Programmiersprache Scratch. Der kindgerechte Ansatz über farbige Symbolsprache rechtfertigt den Nutzungshinweis ab sechs Jahren des Herstellers. Die anfänglichen Schritte in den Apps sind dennoch sehr textlastig, so dass jüngere Kinder bei ihren ersten Interaktionen mit Dash begleitet werden sollten.
Michael Bloech, Markus Achatz, Nicole Lohfink: Berlinale 2018 – Politik und Filmkunst
Die Berlinale hat seit Jahren einen ausgesprochen politischen Anspruch. In diesem Jahr waren hier die Erwartungen allerdings besonders hoch: Ausgelöst durch die #MeToo-Debatte und aufgrund der geringen Frauenquote in nahezu allen Bereichen der Filmindustrie, wurde gespannt darauf gewartet, welche Schwerpunkte das Festival setzen würde. Doch vielleicht war die Berlinale von der Dynamik dieses Themas überrascht worden, denn es kam nur zu einzelnen, wichtigen Aktivitäten. Aus dem riesigen Programmangebot sind Michael Bloech, Markus Achatz und Nicole Lohfink einige bemerkenswerte Geschichten in Erinnerung geblie¬ben, die sie innerhalb von drei Schwerpunkten reflektieren.
Unterhaltung darf sein!
Neben der Setzung von relevanten Schwerpunkten möchte die Berlinale unbedingt ein attraktives Angebot für das breite Publikum bieten und bekanntlich ein Publikumsfestival sein. Zwar hat in punkto verkaufter Tickets das Filmfestival im kanadischen Toronto inzwischen die Nase vorne, doch das gesamte Filmangebot mit seinen vielfältigen Programmblöcken bedient auch auf der Berlinale ein sehr breites Publikum. Gewisse Zugeständnisse an das Unterhaltungsbedürfnis waren damit für eine positive Annahme des Angebots unumgänglich. Grund genug, sich unter dem Aspekt des Unterhaltungswertes die jeweiligen Eröffnungsfilme des Wettbewerbs und der Jugend- und Kinderfilm-Sektionen 14plus und Kplus anzuschauen.
Besonders „fabelhafte“ Eröffnung des Wettbewerbs
Eröffnet wurde der diesjährige Wettbewerb mit dem Puppentrick-Animationsfilm Isle of Dogs (Ataris Reise) von Wes Anderson, der seit 2001 bereits zum fünften Mal als Filmemacher bei einer Berlinale vertreten war. In der wunderbaren, moralischen Fabel geht es laut Wes Anderson in erster Linie um den Hund und erst in zweiter Linie um eine postmoderne, moralische Parabel: „Ich wollte unbedingt einen Film über Hunde machen“. Herausgekommen ist eine Dystopie über die Megacity Megasaki, die von dem omnipotenten, tyrannischen Bürgermeister Kobayashi regiert wird. Alle Hunde werden per Gesetz, wegen vorgeblich nicht behandelbarer Seuchengefahr, auf eine Insel deportiert. Die ferne Insel mit ihrer gigantischen Müllkippe und den monströsen Industrieruinen ist Heimat der streunenden, zotteligen Hunde, die zunehmend verwildern und vom Hungertod bedroht sind. Als sich Atari, der Pflegesohn des Despoten, auf den gefährlichen Weg dorthin macht, um seinen geliebten Hund Spots zu suchen, beginnt eine klassische Heldenreise. Allerdings ist es nicht Atari, der im Mittelpunkt der Geschichte steht, sondern die struppige und ungeheuer liebenswerte Hundemeute rund um Chief, Rex, King, Duke und Boss. Wes Anderson nimmt dabei Jung und Alt mit auf eine wunderbar altmodisch animierte Reise und transportiert dabei ganz nebenbei die wichtige Message, dass es im Leben immer Sinn macht, schier Unmögliches zu wagen, um gegen Missstände solidarisch organisierten Widerstand zu leisten. Anderson konnte mit Isle of Dogs, für einen Animationsfilm etwas überraschend, den Silbernen Bären für die Beste Regie gewinnen.
„Endlich erwachsen?“: Wiederkehrende Kernfrage im Eröffnungsfilm bei 14plus
Um eine Reise geht es auch in 303 von Hans Weingartner, dem Eröffnungsfilm der Jugendfilm- Sektion 14plus der Berlinale. Halb Europa bildet dabei den Hintergrund der gefühlsbetonten Geschichte zweier sehr unterschiedlicher, junger Menschen, die beide noch nicht zu sich selbst gefunden haben. Schon nach wenigen Minuten erinnert 303 an Richard Linklaters Independent- Filmklassiker Before Sunrise. Weingarnter hat 1995 bei dieser Produktion seine ersten Filmerfahrungen, sowohl als Nebendarsteller als auch Produktionsassistent gemacht. Hier wie dort sind es vor allem die pointierten, natürlich wirkenden Dialoge, die ein Zusehen spannend machen. Eine junge Frau und ein junger Mann treffen durch einen Zufall aufeinander und schon beginnt das spannende Sprachduell um Anziehung, Auseinandersetzung und Zurückweisung. Ort der Handlung bildet ein mehr als betagtes Mercedes Wohnmobil, dessen modifiziertes Typenschild für den Filmtitel verantwortlich zeichnet. Die Kombination von romantisch gefärbtem Dialogfilm und ästhetisch ansprechendem Roadmovie unterhält bestens, zumal dabei Themen diskutiert werden, die über den Austausch von Banalitäten weit hinausgehen.
Fantasievoll bunte Eröffnung des Kinderfilmprogramms bei Kplus
Das populäre Kinderbuch Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne von Jakob Martin Strid bildete die Vorlage für den gleichnamigen Auftaktfilm der Sektion Kplus: Den utrolige historie om den kæmpestore pære der Filmemacher Philip Einstein Lipski, Amalie Næsby Fick und Jørgen Lerdam. In diesem farbenfroh animierten Film wird die abenteuerliche Reise der wasserscheuen Katze Mika, dem ängstlichen Elefanten Sebastian und dem verschrobenen Professor Glykose erzählt. Gemeinsam machen sie sich, in einer als Boot umfunktionierten Riesenbirne, auf eine abenteuerliche Suche nach ihrem verschwundenen Bürgermeister. Dabei müssen sie auf hoher See mit diversen Widrigkeiten kämpfen, treffen auf vermeintlich böse Piraten und Seeungeheuer, bevor sie schließlich im Showdown auf den verbrecherischen, größenwahnsinnigen Stellvertreter des entführten Bürgermeisters treffen. Zwar mangelt es der Dramaturgie ein wenig an Eleganz, aber insgesamt wird die Geschichte für junge Zusehende durchaus fantasievoll und unterhaltsam präsentiert.
Michael Bloech arbeitete als Medienpädagoge am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinder- und Jugendfilm.
Das Gewicht von Verantwortung: Filme bei GENERATION der 68. Berlinale - Von den Sorgen um andere und den Grenzen des Lebens
Aus dem Programm der Berlinale-Sektion GENERATION ragten Filme heraus, die die jungen Hauptfiguren mit einer widersprüchlichen Welt und schwer verstehbaren Realitäten konfrontieren. Häufig ging es um die Übernahme von Verantwortung für andere und Fragen nach den Grenzen des Lebens.
Wenn Superhelden sterben
Ein berührendes Highlight im diesjährigen Berlinale-Programm der Sektion GENERATIONKplus war die kenianisch-deutsche Koproduktion Supa Modo. Die neunjährige Jo ist unheilbar an Krebs erkrankt. Jos Mutter Kathryn beschließt, ihr Kind für die verbleibende Zeit mit nach Hause zu nehmen. Kathryn ist eine starke Persönlichkeit, doch mit dem Wissen um das unaufhaltbare Sterben ihrer Tochter kann sie ihrer Arbeit als Hebamme nicht mehr nachkommen. In dieser Konstellation übernimmt Mwix, Jos ältere Schwester, mehr und mehr Verantwortung. Jo liebt Superhelden-Geschichten und Mwix erkennt in Jos Fantasie einen Schlüssel für glückliche Momente. Sie bestärkt das kranke Kind in der Vorstellung, selbst magische Superkräfte entwickeln zu können. Dabei gewinnt sie immer mehr Dorfbewohner, sich an dem Spiel zu beteiligen und gemeinsam erfüllen sie Jo den sehnlichen Wunsch, Superheldin in einem eigenen Film zu werden. Neben der herausragenden Darstellerleistung der drei Protagonistinnen liegt die Stärke von Supa Modo darin, aus dem todtraurigen Plot auch hoffnungsvolle Botschaften zu ziehen. Durch die Film-im-Film-Story schafft Regisseur Likarion Wainaina ein Element der Distanz, das Jos Familie (und letztlich auch den Zuschauenden) hilft, mit der Tragödie umzugehen. Supa Modo wurde durch das deutsch-kenianische Produktionskollektiv One Fine Day (gegründet von Marie Steinmann Tykwer und Tom Tykwer) realisiert und ist mit einem rein afrikanischen Team entstanden. Auf der Webseite von One Fine Day findet sich das mit Jugendlichen aus dem Kibera-Slum Nairobi gedrehte Tanzvideo „Ping“. Begrüßenswert wäre es, wenn es künftig mehr afrikanische Filme nach Europa schaffen würden. Supa Moda wurde unter anderem mit Zuschüssen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit gefördert. Über Bilder und Geschichten Emotionen zu wecken und den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern Wege zu mehr Empathie aufzuzeigen, sind gut angelegte Mittel zur Förderung der internationalen Gemeinschaft. Die Kplus-Kinderjury sprach dem Film eine Lobende Erwähnung aus.
Poetische Wege des Abschieds
Eine ungewöhnliche und bewegende Geschichte über das Abschiednehmen erzählt auch der balinesische Film Sekala Niskala (The Seen and Unseen). Auch hier bestimmt eine unheilvolle Diagnose den Verlauf des Geschehens. Tantris Zwillingsbruder Tantra wird schwerkrank. Im Hospiz wagt sich die zehnjährige Tantri nicht ans Krankenbett ihres Zwillingsbruders – außer, wenn sie völlig in magische Zwischenwelten abgleitet, in denen sie mit Tantra spielt und tanzt. Das Mädchen nutzt alles Mystische und Symbolhafte, was sich ihrer kindlichen Welt erschließt, um mit dem nahenden Verlust umzugehen. Mit Kostümen und Körperbemalungen beginnt sie der Trennung zu begegnen. Sekala Niskala – das Sichtbare und das Unsichtbare – spielt dabei auf einer hoch stilisierten Ebene mit langen Traumsequenzen, in denen sich Tantri mit der jenseitigen Welt befasst. Obwohl sie dies alles nicht wirklich begreifen kann, möchte sie mehr Verantwortung übernehmen. Sie äußert einmal, wie gerne sie mit Tantra tauschen würde, damit er weiterleben könnte. Eine Rückblende zeigt, wie sich die Kinder gekochte Eier teilen: Tantri das Eiweiß und Tantra das Eigelb. Eines Tages öffnet Tantri ein Ei, darin fehlt das Eigelb, so wie Tantra. Die indonesische Regisseurin Kamila Andini hat ebenso das Buch zum Film geschrieben. Ihr Regiedebüt The Mirror Never Lies lief 2012 bei Berlinale GENERATION. Mit Sekala Niskala hat sie 2018 den Großen Preis der Internationalen Jury Kplus gewonnen.
Fortuna – Moral und Verantwortung
Fortuna vom Schweizer Regisseur Germinal Roaux hat gleichzeitig den Gläsernen Bären der Jugendjury 14plus und den Großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhalten. Die 14-jährige Fortuna ist als Flüchtling aus Äthiopien in einem Kloster in den Schweizer Bergen gestrandet. Seit der Überquerung des Meeres in einem Boot fehlt von Fortunas Eltern jede Spur. Die Abgeschiedenheit und das rauhe Klima verstärken ihre Einsamkeit und Sehnsucht nach Geborgenheit. Auch andere Flüchtlinge haben vorübergehend im Kloster Zuflucht gefunden und dennoch kann sie nur mit den Tieren des Hofes über alles reden. Vor allem fürchtet sich Fortuna davor, Kabir die Wahrheit zu sagen: Sie ist schwanger von dem 26-Jährigen, der ebenfalls aus Äthiopien kommt. Als sie allen Mut zusammennimmt und es ihm erzählt, reagiert er schroff und gibt dem Mädchen die Schuld. Zunächst hofft das Mädchen auf eine gemeinsame Zukunft, doch bei einer unerwarteten Polizei-Razzia im Kloster verschwindet Kabir spurlos. Der Film besticht vor allem durch seine ästhetische Schärfe. In klaren Schwarz-Weiß-Bildern (im Format 4:3) erhält die Bergwelt eine eigene Hauptrolle. In den Rückblenden der Flucht fließen die tosenden Wellen des Meeres auf imposante Weise mit den Wolkenbewegungen über dem Gebirge ineinander. Fortunas Schwangerschaft kommt allmählich ans Licht und der Film wechselt den Blickwinkel auf andere Instanzen: Einerseits die Politik und Einwanderungsbehörden – repräsentiert in der Figur des Herrn Blanchet –, die auf Basis von Paragraphen Entscheidungen fällen. Er versucht, unbegleitete Minderjährige an Familien zu vermitteln und sieht in einer Abtreibung den einzigen Ausweg. Andererseits die Mönche des Klosters – allen voran Bruder Jean (dargestellt von Bruno Ganz) –, die ihr Haus als Zufluchtsort zur Verfügung stellen. Verantwortung richtet sich hier nach dem Prinzip von Nächstenliebe und göttlicher Weisung. Und es gibt noch eine dritte Ebene – in deren Perspektive wir am Ende zurückkehren: Was wünscht sich Fortuna selbst? Es ist ein Film über ein ergreifendes persönliches Schicksal vor dem Hintergrund der humanitären Katastrophe. Anhand von Fortunas jungem Leben stehen alle, die sich darauf einlassen, vor der Frage nach der Verantwortung. Roaux liefert am Ende keine Antwort, aber viele neue Fragen, die weit über das eine Leben hinausgehen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Die ‚persönliche‘ Seite der Berlinale - Die Attraktivität des Autobiographischen
Mit eindrücklichen Filmen quer durch die Sektionen rückten persönliche Lebensgeschichten in den Blickpunkt und verbanden zwei klassische Wahrheiten miteinander. Das Leben schreibt die interessantesten Geschichten – und Kunst, ob auf der Bühne, im Bild oder Film, bildet Leben ab, manchmal auch ‚larger than life'. Besonders beeindruckt dies, wenn es gelingt, diese Realität ganz nah an die Zuschauerin bzw. den Zuschauer heranzurücken. So erzählten folgende drei Beispiele aus dem diesjährigen Programm persönliche Geschichten von realen Menschen und schlagen eine Brücke zu anderen Lebenswelten, aber auch zu universalen Themen wie tiefe Freundschaft, der eigenen Verwundbarkeit und Stolpersteinen des Erwachsenwerdens.
Mut zur eigenen Schwäche – vom äußeren und inneren Terror
Ein bestechender Film aus der Sektion Panorama Special heißt Profile, ein Film von Timur Bekmambetov. Im Mittelpunkt steht die britische Journalistin Amy Whittaker und ihre Recherche über die Rekrutierung junger europäischer Frauen durch den IS. Die Journalistin nimmt über ein gefälschtes Facebook-Profil Kontakt zu einem IS-Kämpfer auf und gibt sich als junge Konvertitin aus. Hierauf folgt ein Katz-und-Maus-Spiel zweier Jäger. Der Film beginnt als Einblick in die Struktur des Terrors, legt aber später zunehmend Gewicht auf die verschwimmende Grenze zwischen sich einlassen und Distanz wahren, Zerbrechlichkeit der eigenen Persönlichkeit und emotionale Manipulationsmechanismen. Der gesamte Film verläuft dabei nur auf der Computer-Bildschirm-Oberfläche, auch das alltägliche Leben der Protagonistin wird über online geführte Unterhaltungen via diversen Web-Diensten gezeigt. Der Zuschauende wechselt zwischen Identifikation mit der Protagonistin und der Beobachterposition. Trotz Eile in der Erzählung, welche die Genauigkeit bestimmter Abläufe überholt, wird die gesamte Tragweite offenbar, wenn Protagonistin – und Zuschauende – mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen konfrontiert werden: Die französische Journalistin, auf deren Geschichte der Film basiert, lebt heute unter anderem Namen. Die Veröffentlichung ihres Berichts führte zu mehreren Verhaftungen und einer Todesdrohung durch den IS-Staat. Profile gewann den Publikums-Preis in der Sektion Panorama.
Spirituelle Begegnung mit einem Ausnahme-Musiker
Aus der Reihe Berlinale Special bewies der Dokumentarfilm Gurrumul aus down under erneut die verbindende Wirkung von Musik und macht mit der Persönlichkeit und Musiker Geoffrey Gurrumul Yunupingu, einem Aboriginal aus dem australischen Arnhemland, vertraut. Bewiesen als ein außerordentlich begabter Musiker von Kindheit an, aber blind geboren, bietet Gurrumuls Leben schon genug Stoff, um erzählt zu werden. Aber die Geschichte erlaubt der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer einen Einblick in die Würde einer Kultur mit deren Werten einer uns zunächst unvertrauten Gesellschaft. In persönlichen Bildern und Interviews erzählt Regisseur Paul Williams von der frühen Begabung des Musikers – der sich vier Instrumente selbst beibrachte –, von seinem Stammesleben, den Ängsten seiner Verwandten, dass er als blinder Mann keine Unabhängigkeit leben kann, aber auch von der Wertschätzung, die er in seinem Stamm erfährt. Der Zuschauende erfährt von der Begegnung Gurrumuls mit seinem langjährigen engen Freund und Wegbegleiter Michael Hohnen, einem Musiker und ‚baladan‘, das heißt ‚weißer Typ‘ auf Yolngu Matha. Hohnen wird zum Sprachrohr und Übersetzer für den extrem scheuen Musiker, der dennoch Konzerte vor vielen tausenden Menschen gibt. Vor dieser Hintergrundgeschichte schafft es der Film Gurrumul eine Geschichte von persönlicher Freiheit zu erzählen. Dazu kommen Momente, in denen mündlich überlieferte Lieder die Traditionen und Geschichten der früheren Generationen vermitteln und somit den kulturellen Reichtum erlebbar machen. Die Suche nach einer visuellen Entsprechung der Tiefgründigkeit der Musik gelingt durch intime Einblicke, die der Film in die Lebensumstände des Künstlers gewährt – Einblicke, die das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Musikern Michael und Gurrumul erst ermöglichen und welche so zwischen einem ‚baladan‘ und einem ‚yolnu‘ (schwarzer Typ) selten vorkommen. So findet sich der eigentliche Schatz des Films darin, dass ein ungewollter Star nicht nur Wissen über das kulturelle Erbe Australiens vermittelt, sondern auch die Universalität dieser Traditionen enthüllt. Geoffrey Gurrumul Yunupingu starb kurz vor Veröffentlichung des Films.
Erwachsenwerden – die Suche nach der Identität in turbulenten Bildern animiert
Der Animationsfilm Virus Tropical von Regisseur Santiago Caicedo ist die autobiographische Geschichte der kolumbianisch-ecuadorianischen Cartoonistin Paola Gaviria, basierend auf ihrem gleichnamigen Comic von 2014. Mit der eigenen Existenz als Ergebnis eines tropischen Virus startet der Film in eine humorvolle und bildgewaltige Reise zum Thema Stolpersteine der Kindheit und Jugend im Programm von GENERATION 14plus. Dabei geht es vordergründig um das Mädchen Paola und die Entwicklung ihrer Familienbeziehungen – insbesondere zur Mutter und zu den beiden Geschwistern. Es geht um den Umgang mit Veränderungen, den Umzug in eine andere Stadt, Zugehörigkeitsgefühle der Protagonistin und die eigene Definition. Es ist die Inventur eines Lebens und Konstruktion des eigenen Selbst, inklusive aller Elemente und Orte des Aufwachsens, die eine wichtige Rolle in der Kindheit und Jugendzeit der Autorin gespielt haben. Der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer bietet sich dadurch ein Spiegel der Erinnerung, während der Film mit Augenzwinkern und Rasanz die verschiedenen Stationen anläuft. Die Bedeutung von Familie, Erkundung von Sexualität und auch, was es bedeutet, eine Frau zu sein, samt der Entwicklung der persönlichen Identität als zentrale Themen des Erwachsenwerdens werden sowohl inhaltlich als auch stilistisch erfahrbar gemacht. Die turbulenten Wechsel der Kindheit und die Auseinandersetzung mit der Außenwelt spiegeln sich unentwegt in diversen graphischen Spielarten wider. Der Haupt-Charakter ist immer im Entwicklungszustand. Auch musikalisch wird handlungsorientiert gearbeitet – die Liedtexte stehen für die jeweilige Situation in Paolas Leben. Entstanden ist ein sehr ansprechendes und persönliches Werk, dem die Cartoonistin insgesamt neun Jahre ihres Lebens gewidmet hat. Vier Jahre für die Erarbeitung der Novelle und fünf Jahre für die Gestaltung des Films, für den sie über 1.000 Zeichnungen erstellt hat. Real existierende Menschen im Fokus der Filme schaffen so eine gelungene persönliche Begegnung zwischen Fremden und bieten in ihrer Vielseitigkeit noch lange Stoff zum Nachdenken und Nachspüren – und damit sicherlich eine Leistung von gesellschaftlicher Relevanz durch die Berlinale.
Nicole Lohfink ist freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin und medienpädagogische Referentin.
Beitrag aus Heft »2018/02 Kita digital: Frühe Medienerziehung«
Autor:
Michael Bloech,
Markus Achatz,
Nicole Lohfink
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Sophia Gesierich: Flucht hat viele Gesichter
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017).
Refugee Eleven.
Crossmediales Lernkonzept: 11-teilige Webserie und Arbeitsmaterialien für schulische und außerschulische Bildung. www.bpb.de/lernen/projekte/241079/refugee-eleven, kostenfrei.
Im Jahr 2015 waren 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, einige von ihnen versuchen seitdem, in Deutschland Fuß zu fassen. Die große Anzahl an Geflüchteten im Alltag – sei es in derSchule, in der Freizeit oder am Arbeitsplatz – polarisiert und verunsichert zahlreiche Menschen.
Vorurteile, einseitige Berichterstattung oder in sozialen Netzwerken verbreitete Lügen erschwereneine fundierte Meinungsbildung und ebnen den Weg für Rassismus.Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bietet aufgrund dessen eine elfteilige Webserie an: Junge geflüchtete Amateurfußballer der Mannschaft Refugee11 aus Erftstadt bei Köln begegnen einer Profifußballerin und zehn Profifußballern, die alle selbst Fluchterfahrungen haben. Die Serie thematisiert auf diese Weise elf Schwerpunkte rund um den Komplex Flucht und Asyl, eingebettet in ein crossmediales Lernkonzept für schulische und außerschulische Bildung für 14- bis 24-Jährige. In jedem etwa dreiminütigen Clip tauschen ein Amateur und ein Profi ihre persönliche Geschichte aus – mit Fokus auf ihr jeweiliges Schwerpunktthema. Schriftliche Einblendungen fassen die wichtigsten Aussagen kompakt zusammen oder liefern zusätzliche Hintergrundinformationen.
So wird abstraktes Wissen mit konkreten Beispielen und Erfahrungen untermauert. Situationen und Perspektiven von geflüchteten Menschen werden für jugendliche Zuschauende erfahrbar gemacht. Sehr hervorzuheben ist dabei die Barrierefreiheit, denn alle elf Videos gibt es in einigen Versionen: mit wahlweise deutschen, englischen, französischen oder arabischen Untertiteln, mit Audiodeskription, SDH-Untertitel und in Gebärdensprache.Die vorgeschlagene Reihenfolge der Webserie Refugee Eleven orientiert sich an der Chronologie eines Fluchtverlaufs: Zunächst werden Fluchtursachen beleuchtet, woraufhin konkrete Erfahrungen während der Flucht thematisiert werden. Um das Asylrecht (besser) zu verstehen, gibt es die drei Folgen Asylrecht, Asylentscheidung und Abschiebung. Weitere Videos zeigen auf, wie Geflüchtete teilweise ankommen, wie nervenaufreibend eine Phase des Wartens sein kann, wie manche mit erlebter Ablehnung umgehen und wie eigentlich jede und jeder Geflüchtetegezwungen ist, sich mit der eigenen Identität und einem neuen Heimatverständnis auseinanderzusetzen. Auch zur Integration sowie zu Sprache und Ausbildung gibt es eigene Folgen.
Ziel ist es, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Situation geflüchteter Menschen nachvollziehbar und informativ darzulegen. Dazu werden die verschiedenen Stationen und persönlich erlebten Phasen aus Sicht der Geflüchteten selbst thematisiert. Verbindendes Glied zwischen den Dialogpartnerinnen und -partnern ist die Liebe zum Fußball – ein kulturelles Phänomen, das angenehm unangestrengt eine gemeinsame Basis schafft und etwaige Exotik der Geflüchteten durch Nähe und Gemeinsamkeit ersetzt und vermittelt. Konkrete Fragen und Antworten wie ‚Woher wusstet ihr, in welcher Richtung Deutschland liegt?‘ – ‚Durch das GPS am Handy‘ wirken die Flucht und die kulturellen Hintergründe der jungen Protagonistinnen und Protagonisten weniger abstrakt und damit für die Zielgruppe besser nachvollziehbar.Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hält auf ihrer Website zudem Arbeitsmaterialien bereit, womit die jeweiligen Themen vertiefend behandelt werden können. Diese Einheiten des crossmedialen, integrativen Lernkonzepts, die online und als Lehr- und Aktionsheft mit DVD verfügbar sind, regen zur intensiveren Auseinandersetzung mit den Ursachen, Folgen und Erfahrungen an.
Aufgrund vielfältiger Ansätze eignen sich die Materialien dabei sowohl für Willkommensklassen und als Basis für Kurzvorträge und Diskussionen, aber auch für Gruppenarbeiten am PC oder zur Mediationsübung. Das vermittelte Wissen befähigt Jugendliche, Vorurteile zu hinterfragen, Medienberichterstattung kritisch zu reflektieren und eine eigene Position zu entwickeln, die bestenfalls gegenüber Mitmenschen in der Schule oder im Freundeskreis vertreten werden können.Das Material eignet sich bestens zum Einsatz in der schulischen und außerschulischen Bildung. Denn durch die Strukturierung des Programms in elf Kurzfilme, themenspezifische Arbeitsblätter und Sachtexte kann die Intensität, mit der die Themen behandelt werden, individuell auf die Lerngruppe, -situation oder auch die zeitlichen Kapazitäten abgestimmt werden. Eine Rezeption der Kurzfilme ohne die Bearbeitung der Arbeitsblätter kann als Anstoß für eine Diskussion oder als Einleitung themenverwandter Projekte verwendet werden.
Auch bauen die Kapitel positiver Weise nicht aufeinander auf, sondern arbeiten vielmehr mithilfe einer sehr verständlichen Umsetzung für sich selbst stehende Schwerpunkte heraus. Die Sprache ist einfach gehalten, komplexe Sachverhalte einschließlich verwendeter Fachtermini werden anschaulich erläutert, sodass durchweg ein niedrigschwelliger Zugang zum Thema Flucht, Asyl und Integration gewährleistet wird. Dies vergrößert das potenzielle Zielpublikum und macht die recht weite Altersspanneder Nutzergruppen realistisch.Insgesamt ist Refugee Eleven ein sehr empfehlenswertes Lehr- und Informationsprogramm. Auch eignet sich das gewählte Format des Kurzfilms für 14- bis 24-Jährige besonders, ebenso die Auswahl junger Protagonistinnen und Protagonisten. Das Lernprogramm zur Webserie hebt sich durch die Crossmedialität von reiner Sachvermittlung durch Schulbücher ab und vermittelt wichtiges Hintergrundwissen zeitgemäß lebendig. Die Ernsthaftigkeit der Darbietung wird dem Thema gerecht, ohne in Mitleidsmelancholie zu versinken.
Besonders gut umgesetzt ist der Dialog zwischen einem Jugendlichen, der noch relativ frisch in Deutschland ist, und einem Gesprächspartner, der Deutschland bereits zu seiner Heimat gemacht hat. So erhaltenZuschauende einen Einblick in eine mögliche Zukunft Geflüchteter. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit funktionierender Integration betont, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.Ergänzend zur Webserie kann übrigens auch der Dokumentationsfilm Heimat Fußball – Refugee 11 von Jean Boué zum Lehrprogramm hinzugezogen werden. Der Film ist parallel zum Webvideoprojekt entstanden und begleitet die Fußballmannschaft des 1. SC Germania Erftstadt-Lechtenich IV, bestehend aus 27 geflüchteten Spielern aus 16 Ländern, in ihrer ersten Saison. Beleuchtet werden dabei insbesondere drei Einzelschicksale, die die näheren Lebensumstände in Bezug auf die Hoffnung auf eine langfristige Eingliederung, Arbeit und Wohnung in Deutschland erfahrbar machen.
Saskia Eilers: Von großen Haien und kleinen Fischen
Funke Mediengruppe (Hrsg.) (2017). #screenshot. Hier schreiben deine YouTuber für dich. 86 S., 3,50 €.
Heutiges Aufwachsen vollzieht sich vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Kindheit und Jugend sind somit in einen Kontext multimedialer Konsumwelten eingebettet. Der gegenwärtige Trend zur Digitalisierung der Jugendkultur der medialen Handlungsräume der Altersgruppe einher und wird zugleich durch diese veränderten Nutzungspräferenzen erneut befeuert. Medienunternehmen müssen sich gemäß ihres wirtschaftlichen Bestrebens fortwährend um eine Anhaftung an die aktuellen Bedürfnisse und Ausprägungen der medialen Jugendszene bemühen, wodurch sich eine zunehmende Angebotsgenese im Bereich des Social Web erkennen lässt.
Neben neuen digitalen Angeboten für die jugendliche Zielgruppe lässt sich eine Digitalisierung bereits bestehender Medienprodukte erkennen. Insbesondere im Printbereich kann eine diesbezügliche Notwendigkeit angenommen und auch beobachtet werden. Während laut JIM-Studie 2017 lediglich 16 Prozent der befragten Jugendlichen regelmäßig Zeitschriften und Magazine lesen, schauen 86 Prozent regelmäßig Online-Videos. Dabei ist für 55 Prozent der Mädchen und 69 Prozent der Jungen die Multimedia-Plattform YouTube das bevorzugte Angebot. Dies führt berechtigterweise zur Frage nach der Zukunft von Printprodukten in der Jugendkultur.
Feste Instanzen der internationalen wie deutschen Landschaft jugendlicher Printangebote scheinen sich in ihrer Marktexistenz bedroht zu fühlen, sodass viele Verlagshäuser mittlerweile eine digitalisierte Erweiterung ihres Angebotes anbieten, um sich die Relevanz und Nähe zur Zielgruppe zu bewahren. Als eines von vielen Beispielen unternimmt das Jugendmagazin BRAVO seit einiger Zeit solche Digitalisierungsmaßnahmen. Neben der weiterhin regelmäßig erscheinenden Printversion existieren heutzutage sowohl eine App, ein WhatsApp-Abonnement als auch der YouTube-Kanal Dr. Sommer TV. Auch die Zeitschrift Mädchen bietet neuerdings mit der App Mädchen VIEW ein Mash-Up aus Magazin und Multimedia.Während sich viele Medienunternehmen scheinbar von dem sinkenden Schiff alleiniger Printangebote zu retten versuchen, begibt sich ein neu erschienenes Medienprodukt nun bewusst in das Feld hinein.
Entgegen des allgemeinen Trends hat die Funke Mediengruppe ein neues Printprodukt für die jugendliche Zielgruppe herausgebracht. Unter dem einschlägigen Namen #screenshot verbirgt sich ein Jugendmagazin, das sich vorrangig an Zwölf- bis 17-Jährige richtet. Das Printmagazin deckt verschiedene Bereiche der Jugendkultur ab, widmet sich dabei jedoch schwerpunktmäßig der YouTube-Szene in Deutschland. #screenshot ist ausschließlich als Printversion erhältlich. Eine dazugehörige App existiert nicht. Auch die Website dient lediglich als Werbebanner für das Magazin, ohne dabei die konkreten Inhalte digital zur Verfügung zu stellen. Zwar wird somit auf jegliche Digitalisierungselemente verzichtet, die heutzutage bei verwandten Angeboten bestehen, jedoch kann eine inhaltliche und gestalterische Orientierung an digitalen Angeboten beobachtet werden.
Die einzelnen Beiträge sind mit Hashtags versehen und bieten somit eine inhaltliche Orientierung für Lesende. Die Texte sind auf das Wesentliche reduziert und prägnant formuliert. Die schiefe Anordnung der Textfelder sowie optische Hervorhebungen und Bilder vermitteln einen dynamischen Leseeindruck, der vielmehr an das Scrollen im Social Web erinnert. Die Rubrik ‚What’s up?!‘ informiert die Leserinnen und Leser zu Beginn über die neuesten Meldungen der Multimedia-Plattform. Hier werden unter anderem das aktuell erfolgreichste YouTube-Video sowie ein Ranking deutscher YouTuber nach der höchsten Abonnentenzahl präsentiert. #story gruppiert Portraits bekannter deutscher YouTuber wie HeracAy, Emrah oder Enyadres. In kurzen Interviews, die in ihrer Gestaltung an einen Chatverlauf erinnern, werden die Social Web- Persönlichkeiten vorgestellt.
Dazugehörige, selbst geschriebene Texte handeln von den anfänglichen YouTube-Karrieren mit allen Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Die Portraits enthalten außerdem persönliche Tipps für nachahmungswillige Jugendliche und beziehen sich auf die Etablierung eines erfolgreichen YouTube-Kanals. In weiteren Artikeln werden Trends und Tipps zu bestimmten Themen wie #mode, #foodhacks oder #beziehungen vorgestellt. Dabei lässt sich der Bezug zur deutschen YouTube-Szene durchgehend in den einzelnen Artikeln wiederfinden. Entweder vermitteln YouTuber selbst die themenrelevanten Tipps und Trends oder aber die Redaktion verweist in dem jeweiligen Artikel auf einen themenverwandten YouTube-Kanal.
Funkes neues Printprodukt lässt zu Zeiten der Digitalisierung der Jugendkultur einige nicht unbeachtliche Fragen aufkommen: Was lässt ein Printprodukt in der digitalen Welt überleben? Reicht der inhaltliche Bezug zur digitalisierten Jugendkultur aus, um die Akzeptanz der Zielgruppe zu gewinnen? Oder wird ein konkreter Mehrwert zum Onlineangebot benötigt? #screenshot zeigt Elemente zweier Lösungswege auf. Die erste Ausgabe des Printmagazins vermittelt dabei den Eindruck, dass die Macherinnen und Macher sich noch nicht konkret für die Verfolgung einer Strategie entscheiden konnten. YouTube und verwandte Social Web-Angebote überzeugen Jugendlichedurch ihre Aktualität, Reziprozität und Authentizität, denen ein Printprodukt in der Regel nur schwer nachkommen kann.
Trotz seiner Printrealität bemüht sich #screenshot einerseits in Inhalt und Gestaltung einen deutlichen Social Web-Charakter aufzuweisen und orientiert sich damit an den heutigen Rezeptionsgewohnheiten und -präferenzen der Zielgruppe. Durch die Kooperation mit bekannten YouTuberinnen und YouTubern, die ihre Texte größtenteils selbst verfassen, bemüht sich das Magazin zudem um eine direkte Nahbarkeit und hält sich an Social Web-Persönlichkeiten fest, die eine hohe Akzeptanz von der Zielgruppe erfahren. Andererseits können die persönlichen Portraits und Tipps der YouTuberinnen und YouTuber schnell als Werbung für den jeweiligen YouTube-Kanal aufgefasst werden. Auf dieser Ebene leistet #screenshot ebenfalls einige Arbeit und bemüht sich um einen Überblick über die deutsche YouTube-Szene. Hier besteht somit das Potenzial, einen grundlegenden Wegweiser für eine interessensgeleitete YouTube-Rezeption zu entwickeln. Wagt Funke hier einen revolutionären Schritt oder wähnt sich die Mediengruppe durch die Kooperation mit YouTuberinnen und YouTuber zu sehr auf der sicheren Seite? Auch wenn die Beantwortung dieser Frage wohl erst in Zukunft erfolgen kann, so vermag das Printmagazin schon jetzt, neue Überlegungen zum Digitalisierungstrend und der Zukunft von Printprodukten für die jugendliche Zielgruppe anzustoßen.
Michael Gurt: Nintendo Switch
Im März 2017 brachte Nintendo eine neue Konsole auf dem Markt, die mit Spannung erwartet wurde. Ähnlich wie bei der Wii macht der Hersteller mit der Nintendo Switch wieder einiges anders als die Konkurrenz: Der modulare Aufbau erlaubt sowohl stationäre als auch mobile Nutzung, statt auf enorme Hardware-Power setzt Nintendo auf ein verspieltes und durchaus innovatives Gesamtkonzept, das eine große Zielgruppe jenseits der Hardcore-Zocker ansprechen soll.
Handhabung und Spielmodi:
Zunächst kann die Konsole ganz traditionell mittels einer Dockingstation mit dem Fernseher verbunden werden. Die Steuerung erfolgt wie gehabt über Controller, die Spiele können von einerGame-Card abgespielt oder im Nintendo-Shop heruntergeladen werden. Die Darstellung auf dem Fernseher ist sehr ansehnlich, kann aber mit der grafischen Brillanz einer PS4 oder Xbox One, geschweige denn den aufgebohrten Versionen PS4 Pro und Xbox One X nicht mithalten. Dafür punktet die Konsole mit einem völlig neuen Gesamtkonzept: Das aktuelle Spiel kann quasi übergangslos mitgenommen werden, indem die mobile Einheit – eine Art Tablet mit Controlleranschlüssen – aus der Station herausgenommen wird. Die beiden Controller, die einfach links und rechts eingerastet werden, sind dabei sehr variabel einsetzbar. Sie funktioniere als Steuergeräte im mobilen Modus, können aber auch einzeln genutzt werden, um zu zweit die mobile Konsole zu ‚bespielen‘.
Überhaupt sind die Möglichkeiten im Multiplayermodus sehr vielfältig: Sowohl am Fernseher als auch in der mobilen Variante können bis zu vier Spielerinnen und Spieler teilnehmen, entweder direkt vor Ort oder via Internet. Die beiden Controller können dabei unabhängig voneinander bedient werden und mittels Sensoren Bewegungen direkt in das Spielgeschehen übertragen. Wie innovativ das Konzept ist, deutet das Spiel 1-2-Switch an. In zahlreichen Minispielen treten die Spielerinnen und Spieler gegeneinander an, vom Revolverduell bis zur Tanzeinlage. Der Clou dabei: Die Kontrahentinnen und Kontrahenten stehen sich gegenüber und schauen nicht auf den Monitor, sondern agieren sprichwörtlich face-toface. Die Spiele selbst sind allerdings eher ein netter Zeitvertreib für Partys oder im Freundeskreis. Das Potenzial zeigt sich aber sehr deutlich und macht Lust auf mehr. Darüber hinaus ist der Bildschirm wie beim Wii U GamePad berührungssensitiv und bietet damit eine weitere Steuerungsoption.
Spieleauswahl:
Was das Spiele-Line-Up angeht, hat Nintendo natürlich die Klassiker im Programm: Mario Kart 8 Deluxe, Super Mario Odyssey oder auch der neuste Teil der Zelda-Reihe Breath of the Wild. Gerade letztere überzeugt durch eine stimmige Open-World-Spielmechanik, eine sehr überzeugende Grafik und insgesamt durch ein durchdachtes Spiel- und Charakterdesign.Daneben gibt es auch Switch-Ableger bekannter Spiele, die ein erwachsenes Publikum ansprechen: Von FIFA 18 über Skyrim bis hin zu Doom.Dass Spiele mit einer Freigabe ab 18 Jahren zum Portfolio gehören, ist für eine Nintendo-Konsole sehr ungewöhnlich, wurde doch bisher fast ausschließlich auf kindgerechte Inhalte gesetzt.Thema
Jugendschutz:
Den Eltern sollte bewusst sein, dass es auch bei dieser Konsole wichtig ist, sich über Regelungen von Inhalten und Zugängen Gedanken zu machen – am besten vor der Anschaffung. Da die Konsole über einen Internetzugang verfügt und Spiele direkt im Shop gekauft und heruntergeladen werden können, sind elterliche Vorgaben und Kontrollen unumgänglich. Zu diesem Zweck bietet Nintendo die App Nintendo Switch-Altersbeschränkung, die für iOS und Android verfügbar ist. Mit der App können Eltern unter anderem die tägliche Spieldauer oder Spielzeiten für einzelne Tage festlegen und Obergrenzen definieren, die nach Erreichen der vereinbarten Spielzeit eine automatische Sperrung des Geräts nach sich ziehen. Außerdem erhalten Eltern in einer monatlichen Übersicht Einblick in das Spielverhalten der Mädchen und Jungen. Über die Eingabe von Altersfreigaben können zudem Spiele wie Doom für Minderjährige gesperrt werden. Ebenso ist es möglich, die Onlinekommunikation oder den Zugang zum Shop zu unterbinden.
Natürlich sollte Eltern klar sein, dass solche technischen Hilfsmittel zur Medienerziehung nur unterstützende Funktion haben, viel wichtiger sind familiäre Kommunikation und ein stabiles Vertrauensverhältnis zu den Kindern. Wenn aber Grenzen gezogen werden müssen, weil sich nicht an Absprachen gehalten und/oder andere Aktivitäten vernachlässigt werden, kann die App durchaus gute Dienste leisten. Für manche Eltern mag es ein Ärgernis sein, für Jugendschutzmaßnahmen extra eine App installieren zu müssen, für andere gehört die Nutzung von Apps zum Alltag. Positiv anzumerken ist, dass Sinn und Funktion der App zur Altersbeschränkung mit einem unterhaltsamen Video erklärt werden. Somit ist die Schwelle, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sehr niedrig gehalten. Ebenfalls kann bei der App noch vor dem eigentlichen Start die Datenübertragung unterbunden werden, was in Zeiten hemmungsloser Datensammelwut von Geräteherstellern und Diensteabietern ebenfalls positiv zu vermerken ist.
Fazit:
Die Nintendo Switch setzt vor allem auf unkomplizierten (Multiplayer-)Spielspaß und ist in der Handhabung und den Spielmöglichkeiten sehr variabel – und damit auch und gerade für Kinder ab dem Grundschulalter attraktiv. Negativ zu Buche schlagen die hohen Preise, vor allem für Spiele und Zubehör. Wenn für Umsetzungen älterer Spiele wie Skyrim (aus dem Jahr 2011) noch um die 60 Euro veranschlagt werden, trübt das den Spielspaß durchaus. Die Verkaufszahlen scheinen dem Hersteller recht zu geben, über zehn Millionen Einheiten wurden noch vor Weihnachten gemeldet. Ob die Konsole in Familien mit spielebegeisterten Kindern einen Platz findet, müssen Eltern abwägen. Die attraktiven Spiele können durchaus Sogwirkung haben, gerade Jungen ab dem Grundschulalter fühlen sich oft magisch von den ‚Daddelkisten‘ angezogen. Die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden oder Verwandten zu spielen, eröffnet zumindest viele Ansatzpunkte für soziales Miteinander und gemeinsamen Spaß. Im Vergleich zu anderen Produkten wie Xbox oder Playstation, die mit den meisten Blockbustern auf ein erwachsenes Publikum abzielen, kann die Nintendo Switch aus pädagogischer Sicht jedenfalls durchaus punkten.
Nicole Lohfink: Schule und Spiel – mehr als reine Wissensvermittlung
Die öffentliche Schule Quest to learn in New York City ist eine Modell-Schule, die in ihren Lehrmethoden auf spielbasiertes Lernen, Game Design und den Game Design Prozess setzt. In Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Erziehern sowie Spielbegriff-Theoretikerinnen und -Theoretikern hat die Schule sukzessive ein Modell für jede Jahrgangstufe entwickelt, sodass nun von der sechsten bis zur zwölften Klasse in einem innovativen Lehr- und Lernansatz gearbeitet wird. Nicole Lohfink im Gespräch mit Rachelle Vallon, die die Entwicklung der Schule beinahe von Anfang an mitgestaltet hat.
merz: How do you define playfulness nowadays?
Vallon: I think there are different kinds of play. There isn’t just play in the form of a game. When you think about a game, it is usually a structure that has rules, a space, and some sort of organized system. Board or computer games are specific games with specific systems, certain rules. But play can also exist outside of a game. For example, an activity or an exercise has elements of a game. One thing we notice in a game is: The goal is always very clear. Or, students are always getting feedback. For example, when teachers create a lesson they create a narrative, an imaginary story line for the students to follow, especially for the younger students. That gives them a reason; they feel like they should learn the material. So it almost feels like a game: Maybe there are these fantastic creatures that need help building houses, and students need to learn about measurements in order to help these creative creatures to build their houses. In that way, they are not opening an iPad or Laptop to play a game about geometry or measurement. They are in fact engaged in something that is playful and creative through this narrative. Sometimes, we have students create a project of some sort that is hands on and they go through the design process. The design process we like to teach is used to create games but you can also use it to create a project or to find a way to express a different idea.
merz: So what do you think is the attraction of playfulness or this kind of playful learning?
Vallon: I think the biggest attraction is something that at our school we call ‘need to know’. That is one of the outcomes in the research that was done: Those scientists looked at games and wanted to know, why kids are always exited in games. Why, if they don’t succeed at first, do they always keep trying? Even if they fail twice, four times, six times. But in school, when they don’t succeed in math or writing, they don’t want to go back; they are scared or bored. And the answer is: It’s about those elements of a game! Knowing what the goal is in a game makes them want to go back. They want to complete the game or even be the winner. You always get immediate feedback and you are usually put into some sort of role. If you are playing monopoly you are asked to become a real estate mogul. Those are some of the things they realized kept students engaged and wanting to go back even if they didn’t succeed. Instead of putting students in a classroom and say: Okay, class. Turn to page 25, we are going to learn about algebra or graphs or American history. That might turn them off or make them fearful. When you make them a game-setting and incorporate those elements of having a clear goal, putting them in a role and that creative narrative – it makes it fun and gives them that need to know. Then, instead of just learning about geometry, they learn about geometry because they have to solve that mission. So it is about finding different ways to engage students, which is really building their perseverance. In fact, as a result they start to use the same habits of not wanting to give up in other lessons, not just in games.
merz: Regarding this sort of knowledge: “I know what have I done wrong in a game so I come back and know immediately what I have to do differently”. Isn't that also already giving a solution beforehand - like `this is how you have to behave in order to achieve´?
Vallon: Well, yes and no. I think in traditional schools sometimes they have one unit and that unit might be two to three months long. Let’s say they are studying literature: They might read one book for a couple of weeks, then they have an assessment test or a writing piece. And maybe that won’t be until a week from now, two weeks from now. But in a game, when you are playing, you are always getting feedback. Every single time you fail or every single time you move on to the next level. And usually, when you think about video games specifically, you need to use the skills that you learned in the previous level, to succeed in the next level. So nothing is done in isolation. Those are the aspects that move into the classrooms. Instead of just relaying, we do give tests along the way, every other day, maybe in the form of a game or an activity. This way you can always check in on every student to see: did they actually understand what I taught today or this week? And it also creates an environment for the students where they are not hesitant or fearful. Testing is a skill in itself that not everyone is good at. So when the assessment is not only a test but in a game or project maybe a student who does not well sitting and writing a test can do well in creating a project. So it is also providing multiple forms for students to show they actually learned what they were supposed to learn. That information will help to figure out how the teacher needs to proceed.
merz: What is the most prominent difference between Quest to learn and a classical school?
Vallon: The biggest difference is the mode of delivery of the instruction and the curriculum being developed from scratch. Also the narrative, the storyline is very unique, specifically for our school. Parents always ask if their child will be learning the same things as every other student in New York City. The answer is, of course, yes. We have to make sure of it! We have standards that every child has to master by the end of each grade. And when the teachers are creating their curriculum, the main difference from most other schools is, our teachers create their curriculum completely on their own from scratch, first based on the standards to make sure the students are learning what they should be learning. But then they go back and see where it’s useful to put in a game or a game-like activity. But every student has different strengths and weaknesses, every group of students is dissimilar, every year, over and over again. The great thing about creating your own curriculum is that you can change it year by year based on the precise skills. Teachers are completely responsible and have autonomy over their curriculum. Also, it is the most beneficial for incorporating games and game-like activities.
merz: But you can’t possibly create a personalized curriculum for each student, so you have to find something that is working for the majority?
Vallon: I will use one teacher as an example. Her curriculum is pretty set, she has been using the same story line and some of the same games - she had told me about one activity where the students start to identify positive traits about themselves. After they identify those positive traits they go on to the computer and use a program that creates comics and they create their own Superhero, an animated version of themselves. There are many steps to this larger project. The purpose is to empower themselves and they will then use this superhero to create a comic book about bullying and that way learn how to solve conflicts and that. She usually creates this comic book every year. This past year she said to me: I realized that this particular group of students struggled with the comic books. So she had to modify. Even if it is something as small as the amount of time she gives them to complete the comic book. But those are the little changes. Maybe it is not about changing the curriculum completely, but about the flexibility, to being able to see, day to day, week to week, what is working and what not. And there are also certain other things that we do. For example the homework requirements that the students get over their summer vacation. The teachers will use that to get some information on the student’s abilities, to see if there is anything they might need to change in their curriculum for the school year coming up. Teachers are completely responsible and have autonomy over all their curriculum.
merz: Is there any sort of supervision, for example, anything that helps teachers whilst struggling with the adjustment of a curriculum or whilst being creative throughout the year with the same time and energy?
Vallon: When the school was created, there was a smaller organization at the education department, called New visions for public schools, that heard about the Institute of Play and their research. Those two organizations created our school. So the philosophy is a really important part and we try to make sure we always maintain those standards. The first part is the hiring as the school is not the right fit for every student and might also not be the right fit for every teacher. We therefore want to make sure that the teachers know what the model is and if they are really interested in creating the curriculum themselves with additional support. And once they come in, we have various types of support. We have mentors to help them during the process of creating their curriculum. We have one teacher who serves as a curriculum developer, so they spend half of their schedule meeting with teachers, checking in on their curriculum, seeing what is working and what is maybe a little too overboard. Creating a good curriculum requires team work, input from other people. And our supervisors also make sure, the curriculums are holding to the game-based learning.
merz: But with every great idea, every system, some things work better and others less good. Where do you see areas of improvement?
Vallon: One thing we had to learn is how this model translates into the upper, the high school grades. Because in New York we have state examinations that students need to receive their diploma and go to college. And a lot of the high school courses are aligned to prepare them for these examinations. At the beginning, some of our teachers struggled in how to incorporate games and game-like activities under the pressure to make sure the students are prepared for these examinations. And that is definitely still going on, we always have to work on that. The model is the same but looks very different in the upper grades. For example, in the upper grade they have what is called problem set. Instead of helping a group of imaginary creatures build a house they might be working on global warming, hunger, or current issues in the world as those are more appropriate for their age-level. In a high school math class a teacher does a project based on the game-show ‘Shark Tank’ where they have to create their own Food-Trucks and use the math they learned about graphs and equations to create business portfolios. So I, for example, always advice our teachers and educators regarding to incorporate games or game-based learning: think about the audience, the age group of the students, the main learning goal and the most appropriate vehicle to get that accomplished.
merz: In what way are there any digital games involved in those vehicles?
Vallon: That was one misconception when we first opened the school. A lot of people had this understanding that we were a video-game school. We used to have students, who were interested in our school as they thought they would sit in front of a video game the whole day and magically learn math, science and English. When you look at the data-base of games, I would say, there are some digitally, but 85 percent of all the games we have are analog or paper-based games. Just a couple of games are on the iPad. For example, we use Minecraft a lot in art or math classes. We have one teacher who is very successfully teaching about slopes and incline by having the students create roller coasters on Minecraft. They have to create a video-game-walk through it and explain mathematically all the slopes in their roller coaster. Students participate in a huge design challenge at the end of the first term and the end of the year. Or, the students in sixth grade have to create a Rube-Goldberg-Machine. This way they learn about prototyping, about showing empathy, giving feedback and so forth. But we have a lot of technologies: computers, iPads, video game systems – but our biggest philosophy is their meaning and purpose!
merz: Media is still often perceived as dubious. Throughout time, each new development – books in medieval times, video in the 80s and nowadays computer games – has been perceived as a threat and sometimes people frown at the use of it in school. What do you think about that?
Vallon: It is a matter of fact that technology exists in today’s society. We like to say that our kids are born with iPads and cellphones in their hands – unlike us. This makes it all more important to teach students the appropriate usage of those devices as we need to look at students holistically. This starts by teaching them how to write a proper e-mail, or when to use or not to use your phone. All those things are thought directly and indirectly at our school. There is a lot of research showing that this is really becoming important to colleges and to employers - looking for individuals who can solve complex problems, who can think outside of the box, who can think critically. Who can work with others. And games and game design does that so well, even if you are not directly teaching it, it happens when you are playing a game that is collaborative and you are in a classroom environment. Not many of our games have a winning element where one person has to win over the other one. A collaborative game is teaching kids: I need to learn how to work with this individual, in order to succeed as a team, to be able to hear this other person’s ideas but I also have ideas that I can contribute. I need to learn time management, to learn organization.
merz: Children are also involved in game-design?
Vallon: In three ways: The first is direct game-design. We have a class specific to our school, called ‘Sports for the mind’ and it is a media, arts and game design class - probably the class where there is the most direct game play and game-design happening. The younger kids maybe will start at the beginning of the school year with learning how to modify games. We go through game modification, through the play-testing process and how to play test games, how to provide constructive feedback. They go through a game and the kids learn a game usually has a space, has rules etc. Once they learn about that they learn about modification. What will happen if we maybe change one rule. Then they are given the opportunity to do that with something as simple as tic-tac-toe. They are given an assignment to create their own version of tic-tac-toe. Then eventually that will level up a little bit. In some of the other classes the teacher will allow students to design their own games around the curriculum they are learning. With a health teacher, the students were learning about the negative effects of tobacco and alcohol use. And they have to create board-games about it. Then there is using the design process in general: we have a special component of our school, called boss level. Similar to a video game when it is usually the final round where you have to beat the boss and you have to use everything you learned in the game to complete this really tough mission. So with boss-level students participate in a huge design challenge at the end of the first term and the end of the year. The sixth grade students have to create a Rube-Goldberg-Machine. This way the students learn about prototyping, about showing empathy, giving feedback etc. The third way is: occasionally students participate in a focus group and they play-test certain games and provide feedback on how to develop certain games, or improve or modify games that devel
Sebastian Ring: Zwischen Konsole, Kanzlerin und Kongress
‚The Heart of Gaming‘, so lautete Mitte August in Köln das Motto der Gamescom. Allemal ist sie die weltweit größte Veranstaltung dieser Art und es wurden erneut Rekorde über Rekorde gebrochen, unter anderem an Ausstellerinnen und Ausstellern, Besucherinnen und Besuchern oder der Anzahl anwesender Politikerinnen und Politiker. Games sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen – diese Phrase ist so überflüssig und zeitlos wie eh und je: Immerhin ist nun auch ALDI in das Geschäft mit der digitalen Distribution von Games eingestiegen und beteiligte sich mit einer recht überschaubaren Präsenz am Massenspektakel in Köln. Games sind aber mittlerweile auch an der Spitze der Politik angekommen. Die Bundeskanzlerin beehrte die Messe zum ersten Mal, mitten im Wahlkampf und auch, um – nach ihren eigenen Worten – „der Branche meine Reverenz zu erweisen“. Solch hoher Besuch – im Schlepptau der neue NRW-Ministerpräsident Armin Laschet – ist tatsächlich eine Botschaft für sich. Schließlich hatte sich die Messe in den letzten Jahren noch mit Staatssekretärinnen und -sekretären sowie Landesministerinnen und -ministern begnügen müssen.
Die Sphäre der öffentlichen Hand ist auch an anderer Stelle präsent: Natürlich präsentierten sich – fast schon traditionell – unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Näher in den Fokus rückt aber die Förderung der Computerspiel-Branche mit öffentlichen Mitteln. So wurde verkündet, dass man die Stärkung des Standorts intensivieren möchte und sich dazu die in den letzten Jahren entstandenen 13 Netzwerke, Förderer und Standort-Initiativen stärker vernetzt haben, unter dem Label Games Germany – Regional Funds and Networks. Vorbild sind zum einen die Vereinigung der Filmförderinitiativen focus germany zum anderen jene Länder, wie Kanada oder Polen, die die Games-Branche bereits erfolgreich fördern.
Auch das Thema Bildung war prominent vertreten. Die Bundeskanzlerin machte sich auf ihrem Messerundgang eine Bild davon, wie Minecraft im Bereich der naturwissenschaftlichen Bildung ins Spiel kommt – auch wenn gerade bei diesem Beispiel die Widrigkeiten des Einsatzes von Games im Schulalltag sichtbar werden, wie mein Kollege Ulrich Tausend in seinem Blog www.tausend-medien.de illustriert. Auf dem Areal des Jugendforum NRW präsentierten sich auch etliche Akteurinnen und Akteure aus der Medienpädagogik, unter anderem die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und der Spielratgeber NRW. Auch der Gamescom Congress widmete sich zu Teilen der Bildung. Die GMK war einer der Veranstalter des Fortbildungstags ‚Schule und Games‘, der in Workshops und Paneldiskussionen Grundlagen vermittelte und praktische Wege des Einsatzes von Games im Unterricht aufzeigte.
Darüber hinaus wurden unter dem Dachthema des Kongresses ‚Mehr als Wissen‘ weitere Aspekte des Bildungspotenzials von Games beleuchtet, unter anderem durch Rachelle Vallon vom New Yorker Institute of Play oder Vera Marie Rodewald und Christiane Schwinge von der Initiative Creative Gaming.Natürlich nutzten viele Ausbildungsinstitute und Hochschulen die Plattform, um sich einem technikaffinen Publikum zu präsentieren. Auch die Bundeswehr präsentierte sich erneut – mit dem gesamten Medienarsenal zwischen VR und Snapchat, direkt neben den obligatorischen Panzern. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz war in Recruitingmission unterwegs und informierte unter dem Motto ‚Im Verborgenen Gutes tun‘ über Karriereoptionen.Friedlich ging es zu auf der Gamescom.
Geduldig warteten die Fans auf die Chance, die Neuauflage der bekannten Blockbusterserien anzuspielen. Auch wenn sich leider in der Fortsetzung von Serien bei den großen Publishern die Innovationskraft Jahr für Jahr erschöpft: FIFA 18 mit Cristiano Ronaldo als Coverboy, Assassin‘s Creed Origins, das zu den Anfängen der Erzählung ins antike Ägypten führt, Anno 1800, entwickelt mit Unterstützung der Gamingcommunity und Die Sims 4 lassen ab November 2017 Katzen und Hunde in ihre Häuser einziehen. Dabei begegnen einem an den Messeständen zunehmend Spielerinnen und Spieler mit VR-Brille auf der Nase.
Wohltuend sind da Nischen wie die Indie Arena Booth. Diese Plattform für unabhängige Entwicklerstudios, die im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde, zeigte erneut, was die Indie-Entwicklerszene zu bieten hat. Darunter einige vielversprechende Titel wie Orwell, das bereits Ende 2016 veröffentlicht wurde und mittlerweile fünf Episoden umfasst. Im Spiel geht es um die staatliche Überwachung der privaten Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern des fiktiven Staats the nation. Mit dem Rising Star Award ausgezeichnet wurde RITE of ILK, ein local multiplayer game, bei dem Spielende kooperativ zwei im Spiel aneinander gebundene Kinder steuern.Traditionell wurden auf der Gamescom natürlich nicht nur Games präsentiert.
Neben Software stehen Hardware, Gaming Gear und Merchandising im Fokus des Interesses. Auch die facettenreichen Aspekte der digitalen Spielkultur fanden hier ihre Bühne. Eine adäquate Bühne hatte zugleich Cosplay, zum einen mit dem eigenen Bereich cosplay village, zum anderen durch die Performances vieler Besucherinnen und Besuchern.Der digitalen Natur von Games und der über das Gaming hinaus führenden Funktionen von Konsolen als Multimedia-Hotspots in den Wohnungen ist geschuldet, dass die Messe auch für andere Technik- und Medienbereiche (3D-Druck, Spotify und Co.) interessant ist. Entsprechend macht deren Präsenz auch Sinn. Darüber hinaus präsentieren sich die einschlägigen Medien (YouTube Gaming, rocketbeans.tv, Twitch).
Ob das Herz des Gaming wirklich auf der Gamescom in Köln schlägt oder nicht viel mehr auf den vergleichsweise kleineren und intimeren Events wie dem PLAY – Creative Gaming Festival oder dem A MAZE Indepentdent Games And Playful Media Festival, auf denen mehr gespielt als gewartet werden kann, ist vielleicht eine Frage des Geschmacks. Für die professionell mit dem Thema Befassten steht die Bedeutung der Gamescom natürlich außer Frage (wobei auch einige namhafte Hersteller wie Crytek, Riot Games oder Rockstar Games nicht anwesend waren). Für viele zigtausende, nach wie vor sehr junge Besucherinnen und Besucher ist sie jedenfalls ein sozialer und emotionaler Höhepunkt des Jahres.
Nächstes Jahr dann wieder im August, wieder in Köln: 21. bis 25. August 2018.
Beitrag aus Heft »2017/05 Self-Tracking. Lifelogging. Quantified Self.«
Autor:
Sebastian Ring
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Nicole Lohfink: Mit (Computer-)Spielen zum Ernst des Lebens
Dr. Sonja Ganguin ist Professorin für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und Sprecherin auf der Gamescom für interaktive Spiele und Unterhaltung in Köln.
merz Auf der Gamescom haben sich auch die Generalsekretäre der Parteien zu Games und deren Rolle in unserer Gesellschaft geäußert. Welchen Eindruck haben Sie davon, wie hoch der Stellenwert von Games tatsächlich ist?
Ganguin Man merkt, dass wir im Wahlkampf sind. So sagen die Generalsekretäre zwar, wie wichtig Games sind und dass sie auch Entwickler in Deutschland fördern wollen. Frau Merkel hat bei der Eröffnung von Computerspielen als Kulturgut gesprochen. Aber abgesehen vom Deutschen Computerspielpreis braucht es noch einiges mehr an Unterstützung, auch für die Gamescom. Einer der Generalsekretäre, Hubertus Heil, hat sich beispielsweise für die Förderung von Computerspielen und ihre gesellschaftliche Relevanz ausgesprochen. Auf die Frage, ob E-Sport olympisch werden könnte, äußerte er jedoch, dass möglicherweise auch so „merkwürdige Sachen wie E-Sport“ olympisch werden könnten. Da hat er sich etwas verrannt.Auch die Aussage, dass die technische Infrastruktur das A und O für die Schule sei, sehe ich kritisch. Es müsste nämlich schon im Studium, bei der Ausbildung, wenn Fachdidaktiken eine große Rolle spielen, angesetzt werden. Medienkompetenz wird immer als Bildungs- und Erziehungsziel genannt, ist aber im Curriculum immer noch nicht konkret verankert.
merz Hat uns die technische Entwicklung insofern überrannt, dass vielen Menschen nun ein grundsätzliches Verständnis und damit der Mut zur Auseinandersetzung fehlt?
Ganguin Ja, aber das geht mir auch in bestimmten Bereichen so. Wenn ich mir beispielweise einen Smart-TV kaufe, bekomme ich keine Anleitung mehr, sondern soll mir alles aus dem Netz ziehen; ich muss das sogar, da einiges nicht mehr nur intuitiv zu bewältigen ist. Wenn auf der anderen Seite im Bildungsbereich neue Geräte angeschafft werden und niemand erklärt, wie sie genutzt werden können, frustriert das natürlich.
merz Was können Computerspiele dem Bildungsbereich bieten?
Ganguin Die Faszination von Computerspielen ist ihr unheimlicher Spaßfaktor. Das Potenzial besteht darin, dass man selbst aktiv werden und sich problemlösungsorientiert mit bestimmten Aufgaben auseinandersetzen kann. Dabei können parallel auch ganz viele Kompetenzen gefördert werden. Zum Beispiel spiele ich seit Jahren Civilisation und lerne immer wieder dazu. Unter Gamern existiert auch nicht dieser ‚einsam isolierte Nerd‘. Computerspielen ist eine sehr kommunikative, gesellige Tätigkeit, regt die Fantasie an. Man kann in virtuelle Welten eintauchen, ausprobieren, selber gestalten und entscheiden. Das meine ich nicht im Sinne einer medieneuphorischen Perspektive, möchte aber auch keine kulturpessimistische Perspektive einnehmen, im Sinne von Medienverwahrlosung, Mediensucht. Man muss beide Seiten kritisch-optimistisch beachten. Erfahrungen aus der Alpha- und der Beta-Welt sammeln. Computerspiele können eine wunderbare Ergänzung des Alltags sein, um sich auch mit anderen auszutauschen und viel über andere zu lernen. Sie haben unterschiedliche Wirkungen, je nachdem, wie man sie nutzt.
merz Auf der Gamescom hat auch Rachelle Vallon von der Modellschule quest2learn in New York gesprochen. Eine Schule, die sehr stark auf spielerische Lernweisen eingeht. Wie sieht es mit dem spielerischen Lernen bei uns aus?
Ganguin Zum einen haben wir einen historisch gewachsenen Spielbegriff: Spiele sind für Kinder da, Erwachsene spielen nicht. Spiele haben nichts mit Ernsthaftigkeit zu tun. Die historisch gewachsenen Gegenbegriffe, gar Antagonismen sind: Spiel und Arbeit; Arbeit bedeutet Ernst und Pflicht. In unserer Arbeitsethik ist das so fest verankert, dass wir der Ansicht sind, dass Spiele nichts mit dem wirklichen Leben zu tun haben. So hat sich der Spielbegriff durch eine jahrhundertelang gewachsene negative Semantik entwickelt und steckt in uns. Mit der Folge, dass Spielen nichts Relevantes sein kann.merz Kommt daher auch die Hemmschwelle, Gamification in der Schule einzusetzen?Ganguin Viele Lehrkräfte haben generell Angst, Medien in der Schule einzusetzen. Andere von ihnen meinen, alles zu wissen und zu können. In Bezug auf den Medieneinsatz haben sie Angst vor einem Kompetenzverlust; Eltern ebenso. Aber in Deutschland wird generell das Beispiel Classcraft herangezogen, wo durch Gamification-Elemente der Unterricht mitgestaltet werden kann. Computerspiel ist ein Lernprozess. Bei Minecraft hat man zum Beispiel viel Kreativität, aber man unterliegt natürlich auch den Möglichkeiten eines Programms.
merz Es herrscht also Einigkeit darüber, dass Computerspiele die Kreativität fördern und Mediennutzung wichtig ist. Aber wie sieht die Werteverteilung für den Unterricht aus: Was wird in der Ausbildung als wertvoll und notwendig erachtet?
Ganguin In einigen Fachdidaktiken werden Inhalte vermittelt, die für spezielle Situationen zwar ganz sinnvoll sein können, aber es findet zu wenig Transfer statt. Warum und wozu brauche ich beispielsweise den Dreisatz im Alltag? Unsere Mathematik-Lehrkräfte rechnen in ihrer Ausbildung auf höchstem Niveau, werden das alles aber gewiss nie ihren Schülern beibringen. Dagegen wird so etwas wie die Mediennutzung in der Ausbildung überhaupt nicht thematisiert. Gerade die Fähigkeit, sich kritisch mit bestimmten Entwicklungen auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, kommt einfach viel zu kurz.
merz Was wünschen Sie sich in der praktischen Umsetzung?
Ganguin Man muss Lehrkräften mehr Freiraum geben. Das Curriculum ist zu voll, lässt relativ wenig Flexibilität zum Auszuprobieren oder Scheitern. Fehler zu machen ist aber ganz wichtig, da darin immer auch eine Erkenntnis steckt. Die Tendenz zu schneller, höher und weiter führt eher dazu, dass Depressionen zunehmen, insbesondere an den Universitäten. Dass Beratungsstellen einen immer größeren Zulauf verzeichnen, ist ein gesellschaftliches Phänomen, das man ernst nehmen sollte. Heute kommen Kinder aus der Schule und müssen ein Spektrum an weiteren Aufgaben absolvieren, inklusive Hausaufgaben. Aber die Möglichkeit, auch mal Langeweile zu empfinden, dass Langeweile auch etwas Schönes ist und zugelassen werden darf, erleben Kinder heute fast gar nicht mehr. Die Schule muss, meiner Meinung nach, da neu ansetzen und mehr Freiheiten einräumen.merz Wie sehen Sie derzeit in Deutschland die Chancen dafür?Ganguin Nach meiner Erfahrung ist immer ganz viel von der Schulleitung abhängig. Wenn die hinter neuen (auch mediendidaktischen) Konzepten steht und Lehrkräfte unterstützt, ist vieles einfacher. Dabei müssen längst nicht alle medienaffin sein, man kann nicht von allen alles erwarten. Aber es gibt viele Lehrkräfte, deren Antrieb unterstützt werden sollte.
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Autor:
Nicole Lohfink
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Saskia Eilers: Ran an Maus und Tablet
Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien/Blickwechsel e. V. (Hrsg.) (2017).
Ran an Maus und Tablet.
www.rananmausundtablet.de, kostenfrei.In der Elementarbildung gewinnt die aktive Medienarbeit zunehmend an Bedeutung. Ein Bewusstsein für die entwicklungsfördernden medialen Bildungsprozesse ist vorhanden. Oftmals besteht auch ein großes Interesse von Seiten der pädagogischen Fachkräfte, jedoch mangelt es an konkreten Projektideen oder dem technischem Know-how, um Medienprojekte in den Einrichtungen umzusetzen. Die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien hat – in Zusammenarbeit mit Blickwechsel e. V. – das Webangebot Ran an Maus und Tablet initiiert, welches dieser Problematik Abhilfe schaffen soll.
Als Materialpaket für die aktive Medienarbeit mit Kindergarten- und Grundschulkindern richtet sich die Website gezielt an pädagogische Fachkräfte ohne Vorkenntnisse.In unterschiedlichen Hauptrubriken werden Informationstexte, Praxisvorschläge und weiterführende Verlinkungen präsentiert. Die Rubrik ‚Medien im Bildungseinsatz‘ dient als informativer Einstieg in das wissenschaftliche und praktische Gebiet der Medienpädagogik. Hier erfolgen zentrale Begriffserklärungen der Medienkompetenz sowie der Medienbildung. Die Präsentation einer groben Checkliste bietet zudem eine Orientierung bei der Planung und Durchführung medienpädagogischer Praxisprojekte. Es werden dabei unter anderem wichtige Aspekte der Materialbeschaffung, der Teamkoordination und der Projektdokumentation aufgegriffen sowie diesbezügliche Leitfäden von anderen Institutionen verlinkt.
In den gesonderten Tipps zur Technikanschaffung wird der Frage nachgegangen, welches Gerät für die jeweilige Einrichtung und das geplante Projekt sinnvoll ist und was beim Kauf berücksichtigt werden sollte. In der Rubrik ‚Ideen für die Praxis‘ ist eine Vielzahl einzelner Projektideen enthalten, welche thematisch gruppiert sind. Sie reichen von Sprache und Kommunikation über Natur und Umwelt bis hin zur ästhetisch-kulturellen Bildung sowie dem sozialen Lernen. Die Projektideen werden übersichtlich dargestellt, indem zunächst die wichtigsten Aspekte wie Zielgruppe, Dauer, benötigte Materialien und Lernziele präsentiert werden. Anschließend wird die Projektdurchführung in einem ausführlicheren Text beschrieben.
In der ‚Materialkiste‘ lassen sich Anleitungen zu einzelnen Softwareprogrammen und technischen Geräten finden, die in den Projektideen verwendet werden. Dabei vermitteln die dazugehörigen Texte einen detaillierten Einblick in die einzelnen Handlungsschritte und werden mit Bildern veranschaulicht. Diese Anleitungen umfassen die Erläuterung technischer Grundkompetenzen, das Hochladen von Fotos auf den PC oder spezifische Erklärungen wie die Bearbeitung von Audiodateien mit Audacity. Die Rubrik ‚Medien & Recht‘ bietet einen Einblick in relevante Aspekte der Gesetzeslage, die bei der Produktion oder Vorführung von Medienprojekten von Bedeutung sein können. Hier werden unter anderem die Persönlichkeitsrechte, das Urheberrecht und der Datenschutz in Grundzügen erläutert. Außerdem lässt sich eine Rechte-Checkliste für das eigene Medienprojekt finden.
‚Medien in der Familie‘ summiert zudem medienpädagogische Informations- und Beratungsangebote in Hinblick auf die Elternarbeit. Hier sind unter anderem Vorschläge für Elternabende zur Medienerziehung enthalten.Ran an Maus und Tablet bietet pädagogischen Fachkräften ein vielfältiges Materialpaket für die eigene aktive Medienarbeit mit Kindern. In verständlichen Informationstexten wird in das wissenschaftliche Fachgebiet eingeführt und für die Chancen aktiver Medienarbeit im kindlichen Bildungskontext sensibilisiert. Die Vielzahl an Projektideen stellt eine Inspirations- und Orientierungsquelle für die mediale Kreativarbeit in der eigenen Einrichtung oder dem eigenen Schulunterricht dar. Die Projektvorschläge und deren thematische Sortierung orientierten sich dabei an den Kernbereichen der Elementarbildung, die in den Bildungsplänen jedes Bundeslands vorhanden sind, sodass eine Integration der Ideen in den eigenen themenspezifischen Unterricht sehr leicht bewerkstelligt werden kann. Es wird auf die Verwendung aufwendiger Technik verzichtet und auch ein möglicher Platzmangel in Einrichtungen sowie Alternativbeschäftigungen für die restlichen Betreuungskinder werden berücksichtigt.
Das Angebot basiert somit auf den tatsächlichen Gegebenheiten in den Institutionen, sodass sich die vorgeschlagenen Medienprojekte fließend in den Grundschulunterricht oder in den Kitaalltag einbauen lassen. Neben der Fülle an Projektideen bietet die Website auch medienbezogene Anleitungen und Beratungen zum Kauf sowie zur Verwendung diverser Hardware und Software. Diese Anleitungen besitzen das Potenzial, dem Technikpessimismus entgegenzutreten und interessierte pädagogische Fachkräfte ohne technische Vorkenntnisse bei der Umsetzung von ersten Medienprojekten zu unterstützen. Somit berücksichtigt das Angebot neben den Strukturen der Bildungseinrichtungen auch den jeweiligen Kenntnisstand der Fachkraft und bedient somit verschiedene Bedürfnisse zugleich. Die durchgehende Verlinkung auf weiterführende Fortbildung- und Informationsprogramme der medienpädagogischen Landschaft in Deutschland reichert das Informations- und Orientierungsangebot der Website zusätzlich an.
Trotz der Fülle an relevantem Inhalt wirkt die Website eher rudimentär. Manche Verlinkungen führen ins Leere. Zudem ist der Aufbau der Website sehr verschachtelt, sodass ein Überblick über das Gesamtangebot erschwert wird. Dem Startmenü fehlt es an Vollständigkeit. Folglich sind manche Unterseiten lediglich über webseiteninterne Verlinkungen auffindbar, nicht aber über das Menü der Startseite. Wichtige Informationen können so leicht übersehen werden. Trotz der übersichtlichen Darstellung der Projektideen auf der Website mangelt es in dieser Rubrik noch an Usability, beispielsweise in Form einer integrierten Such- oder Filterfunktion nach Projekten für spezifische Zielgruppen oder Medien. Ran an Maus und Tablet stellt dennoch eine wissenschaftlich und bildungspolitisch fundierte Handreichung dar, die sowohl Einsteigerinnen und Einsteigern als auch Medienerprobten neue Inspirationen bietet. Das umfassende Angebot liefert gebündeltes Wissen aus Forschung und Praxis, vereint verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse und stellt somit eine begrüßenswerte Erweiterung zu inhaltsähnlichen Angeboten dar.
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Autor:
Saskia Eilers
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Melanie Theissler: Die Wahrheit auf den Kassetten
Wie geht man am besten mit Mobbing um, wenn man bereits tot ist? In der Serie Tote Mädchen lügen nicht zeigt Hannah, wie das möglich ist. Eine Schülerin ist tot. Ihr Spind in ihrer amerikanischen High School ist mit Fotos und Blumen dekoriert. Das ist jetzt eine Woche her. Zwei Schülerinnen besuchen auch jetzt noch diesen Ort. Man würde vermuten, dass sie etwa stehen bleiben und kurz inne halten, in Gedanken an die Verstorbene. Doch das wäre nicht mehr zeitgemäß und uncool … und so stellen sich diese zwei Mädchen vor den Spind der Toten und schießen ein Selfie. Damit auch jede andere Person ihres Freundeskreises mitbekommt, dass sie ‚angemessen‘ trauern, stellen sie dieses Selfie ins Internet, verlinken es mit #nievergessen und gehen weiter.
Ganz anders geht Clay mit dem Tod seiner toten Mitschülerin Hannah um. Sein Gesicht ist auch nach einer Woche noch von Trauer und Betroffenheit gezeichnet als er den Spind betrachtet. Der ruhige und sensible ‚Nerd‘ ist keiner der ‚coolen‘ Schüler seiner Schule, wird aber von den meisten in Ruhe gelassen. Sein bester Freund ist Tony, der ganz fasziniert ist von nostalgischen Gegenständen, daher einen alten Mustang fährt, Kassetten liebt und alte Modetrends verfolgt. Er fährt Clay gelegentlich von der Schule nach Hause. Mit ihm und Hannah hat Clay bisher die meiste Zeit verbracht. Hannah hatte versucht, den stillen Teenager ein wenig aus der Reserve zu locken und ihn auch auf ihre einzige Party eingeladen.
Dort hatte Clay beobachtet wie Hannah einen Jungen kennengelernt hat. Clay wusste, dass dieser keiner von denen war, die es gut mit Hannah meinen würden. Doch Hannah hatte ein weiteres Date mit ihrem neuen Schwarm Justin und keine Ahnung, dass er anzügliche Fotos von ihr machen und in der ganzen Klasse verbreiten werden würde. Ab hier hatte Hannahs Unglück seinen Lauf genommen. Als Tony Clay wieder einmal von der Schule nach Hause fährt, findet dieser vor seiner Haustür ein Päckchen mit Kassetten, auf dem kein Absender steht. Beim Abspielen erkennt er Hannahs Stimme sofort, die, trotz ihres Todes, ein ausgeklügeltes Spiel geplant hat. Für Clay steht die Welt Kopf und es beginnt eine nervenaufreibende Jagd nach der Wahrheit.
Tote Mädchen lügen nicht behandelt das omnipräsente Thema (Cyber-)Mobbing an Schulen sowie dessen Folgen. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, die zeigen, wie Mobbing beginnt und anschließend seinen Verlauf nimmt, wird gezeigt, wie sich die Mitschülerinnen und Mitschüler nach dem Tod ihres Mobbingopfers verhalten. Sowohl inhaltlich wie auch strukturell ist die Serie komplex aufgebaut. Während hauptsächlich das Geschehen aus der Sicht des Hauptprotagonisten Clay gezeigt wird, hört das Publikum zeitweise gleichzeitig Hannahs Stimme, die ihre Geschichte im Hintergrund mithilfe der Kassettenaufnahmen berichtet.
Mit jeder Folge lernt das Publikum mindestens eine weitere neue Person kennen, die von Bedeutung für den Verlauf der Geschichte ist. Dadurch gewinnt die Erzählung an zwischenmenschlicher Komplexität. Die Erzählung beginnt in der Gegenwart, springt jedoch immer wieder in die Vergangenheit, um so die Beziehung zwischen Hannah zu ihren nach und nach auftretenden Mitschülerinnen und Mitschülern zu erläutern. Die Serie zeigt auf diesem Weg erst Stück für Stück die gesamte Mobbinggeschichte auf.Auffallend sind emotionale und physische Gewalt, die grafisch teilweise sehr detailliert gezeigt werden und mithilfe von bewusst eingesetzten Farben, Musik und Kameraeinstellungen für eine äußerst düstere Stimmung sorgen.
Selbst auf erwachsene Zuschauerinnen und Zuschauer kann dies verstörend wirken. Für Jugendliche ist das hohe Identifikationspotenzial, das die Serie gekonnt einzusetzen weiß, mit Vorsicht zu beachten. Unter anderem verkörpern die Protagonistin Hannah und der Protagonist Clay mehrdimensionale, aber auch ambivalente Charaktere mit entsprechend breiter Projektionsfläche, deren Persönlichkeitsentwicklung sich wohlgemerkt im Verlauf der Serie unvorhersehbar gestaltet und die Handlungsweisen zum Teil fragwürdig erscheinen lässt. Dennoch kann gerade die Kombination aus sehr detaillierten, dramatisch untermalten Darstellungsweisen und lebensweltnahen Situationen zur Faszination und damit gar zu Nachahmung anregen.
Die Serie Tote Mädchen lügen nicht fällt mit hochaktuellen Situationen, schwierigen und in ihrer Darstellung zum Teil schwer aushaltbaren Themen, aber auch mit einer neuen Herangehensweise zur Behandlung von Mobbing sowie mit authentischen Akteurinnen und Akteuren auf. Aufgrund der drastischen emotionalen und physischen Gewaltszenen wird Jugendlichen empfohlen, die Serie nur mit entsprechender Betreuung von pädagogischen Fachkräften, Eltern oder Lehrkräften anzusehen. Unter diesen Nutzungsvoraussetzungen kann die Geschichte wiederum einen pädagogischen Mehrwert aufweisen. Sie kann Jugendlichen Sozialkompetenzen wie Wachsamkeit gegenüber Mobbingvermitteln und dazu anregen, den Mut zu haben, Opfern zu helfen. Weiterhin lehrt sie verändertes Verhalten bei Freundinnen und Freunden zu beobachten und ernst zu nehmen.
Pädagogische Fachkräfte können Jugendlichen dabei helfen, die Geschehnisse der Serie zu analysieren, zu reflektieren, einzuordnen und so beim Aufbau und der Festigung dieser sozialen Kernkompetenzen unterstützend zu wirken. Obwohl die Serie vorwiegend für den Privatgebrauch angeboten wird, kann sie als Lehrmaterial fungieren. Denn im Vergleich zu konventionellen Unterrichtsmaterialien bietet sie einen erhöhten emotionalen sowie kognitiven Zugang und gleichzeitig Anlass zur reflektierten Bearbeitung von selten so offen thematisierten Lebensthemen und Problemen wie Mobbing, Gewalt, Suizid oder sexuelle Belästigung. Genau deshalb kann eine pädagogische Verwendung allerdings nur unter Vorbehalt und unter verstärkter Berücksichtigung psychischer Verfassungen der Jugendlichen empfohlen werden.
Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why)USA 2017, 49 bis 61 Minuten13 Episoden in einer StaffelProduktion: Joseph IncapreraIdee: Brian YorkeyKamera: Ivan Strasburg, Andrij ParekhAusstrahlung: seit 31. März 2017 auf NetflixAltersfreigabe bei Netflix: 16 Jahre
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Melanie Theissler
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Melanie Theissler: Wie erkenne ich Fake News?
Neue Wege des Lernens e. V. (2017). Fake News Check. iOS/Android, kostenfrei.
Auf Social Media nutzen sie gerne Schlagwörter, wie ‚Must see!‘ oder ‚unglaublich!‘, auf Onlinevideoplattformen treten sie häufig mittels sogenannter Clickbaits in der Videovorschau auf. Immer stärker rücken Fake News in den Fokus vieler sozialwissenschaftlicher Fachkräfte und Internetnutzender. Sie alle stellen sich dabei die Fragen, wie wahre von falschen Nachrichten unterschieden und welcher Quelle noch getraut werden kann. Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. möchte Antworten darauf geben und stellt dazu die App Fake News Check als Hilfsmittel zur Aufklärung von Falschnachrichten zur Verfügung. Die Anwendung überprüft mithilfe eines Fragenkatalogs, ob es sich bei einer suspekten Nachricht um eine gefakte Meldung handelt oder ob ihrem Inhalt bedenkenlos vertraut werden kann.
Zur Überprüfung der Fake News werden die Userinnen und User durch 19 Fragen geführt, die auf virtuellen Karteikarten gezeigt werden. Jede Karteikarte beinhaltet eine Frage. Die nutzende Person kann diese Fragen in Bezug auf die von ihr verdächtige, falsche Nachricht beantworten. Die Fragen handeln von typischen Merkmalen falscher Nachrichten, ob es sich beispielsweise um besonders skandalöse Neuigkeiten handelt bzw. die Nachricht mit Quellen belegt wurde oder die Person zum Teilen der Nachricht aufgefordert wird. Nicht alle Fragen müssen beantwortet werden, um zur nächsten Frage zu gelangen. Am Ende der Befragung gibt Fake News Check in einer kurzen Auswertung eine Einschätzung, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei der von Nutzenden verdächtigten Nachricht um Fake News handelt. Je mehr Fragen beantwortet werden, desto qualitativ hochwertiger ist auch die Einschätzung. Wenn die Userinnen und User während der Beantwortung der Fragen dem Hintergrund der ihnen gestellten Frage nachgehen wollen, können sie auf das Feld ‚Karte umdrehen‘ klicken. Hier wird der Hintergrund jeder Frage erläutert.
Wer noch keine genauen Vorstellungen hat, wie die App richtig zu bedienen ist, kann über das Feld ‚Bedienen‘ mehr erfahren. Hier wird erklärt, welche Funktion die App hat, welcher Nutzen sich dahinter verbirgt und vor allem auch, was die Anwendung nicht leisten kann. Fake News Check ist zugunsten des informativen Charakters gestalterisch einfach und von der generellen Farbnutzung schlicht-freundlich gehalten. Farben werden nur gezielt im Zusammenhang zur positiven oder negativen Auswertung der Nachricht eingesetzt. Auch die Handhabung der Anwendung ist sehr nutzerfreundlich. Durch den Homescreen, von welchem aus alle Funktionen erreicht werden können, finden sich die Nutzerinnen und Nutzer leicht und intuitiv gut in der Anwendung zurecht.
Die App Fake News Check eignet sich sehr gut für pädagogische Zwecke und die Förderung von Medienkompetenz im Unterricht. Gemeinsam mit (medien-)pädagogischen Fachkräften und in Form des Blended Learning können Kinder und Jugendliche entsprechende Medienkompetenzen zum selbstständigen Identifizieren von Fake News erwerben. Die App kann als unterstützende Methode bzw. als zusätzliche praktische Übung zu anderen didaktischen Mitteln fungieren. Unter einer professionellen Anleitung kann der eigentliche Nutzungszweck der App vermittelt und die Anwendung adäquat angewandt werden. So können Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den Lehrenden anhand typischer Kennzeichen den Unterschied lernen, vertrauenswürdige Quellen von nicht-vertrauenswürdigen zu unterscheiden. Unterstützend wirken dabei das in die App inkludierte Glossar sowie eine Linkliste mit thematisch weiterführenden Internetadressen. Beide Funktionen ermöglichen Projektarbeiten in medienpädagogischen Kontexten, wie zum Beispiel das Lernen entsprechender Fachtermini oder das Kennenlernen von gemeinnützigen Vereinen, Blogs oder EU-Initiativen, die für die Sicherstellung und Verbreitung von wahrheitsgetreuen News arbeiten.
Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. bietet beispielsweise eine praktische Anleitung sowie Arbeitsmaterialien zum didaktischen Umgang mit der Anwendung Fake News Check im Unterricht. Dies bietet Lehrenden eine genaue Anweisung zum Umgang mit der Anwendung, um Schülerinnen und Schülern ein auf die App konzipiertes Projekt durchzuführen. Nach Beenden eines solchen Projekts helfen Fragenkatalog sowie Glossar den Jugendlichen, das erlernte Wissen beizubehalten und nach Belieben aufzufrischen. Personen außerhalb des (medien-)pädagogischen Rahmens allerdings, die sich nicht ausführlich mit der App Fake News Check beschäftigen und Nachrichten im Alltag kurzfristig auf ihre Tauglichkeit überprüfen möchten, neigen eher dazu, sich auf die Auswertungsergebnisse zu verlassen statt sich auf das eigene Hintergrundwissen und Reflexionsvermögen zu berufen. Der Namen der App ist hierbei tendenziell irreführend, da es die Nutzenden zur Annahme verleitet, sich auf die Richtigkeit des automatisch erzeugten Ergebnisses verlassen zu können. Zwar wird in der Anleitung der App erklärt, dass es sich hierbei um keine hundertprozentig zuverlässige Überprüfung von Falschnachrichten handelt, jedoch wird dies erst in der gesonderten weiterführenden Bedienungsanleitung deutlich.
Die edukativen Zwecke, nämlich das Lehren des selbstständigen Erkennens sowie ein sicherer Umgang mit Fake News, könnten zum Beispiel in Form eines im Homescreen inkludierten Hinweises verdeutlicht werden. Grundsätzlich erreicht der Weg des virtuellen Lernens insbesondere Kinder und Jugendliche aber hervorragend, da sie mit Apps ohnehin nahezu ausnahmslos vertraut sind. Jedoch könnte aufgrund einer vorschnellen Annahme über den Gebrauch der App als unhinterfragter Qualitätscheck der positive Anreiz schnell verloren gehen. Die ursprüngliche Intention, die Zielgruppe beim Kompetenzerwerb zu unterstützen, würde damit untergraben werden. Dieser ambivalente Charakter lässt fragen, ob junge Nutzende mit wenig Erfahrung im Umgang mit Falschberichterstattung den Fragenkatalog selbstständig und mit einer hohen sowie sicheren Antwortquote bearbeiten können. Daher kann die Anwendung verstärkt (medien-)pädagogischen Fachkräften der Praxis sowie Lehrkräften empfohlen werden, die das Ziel der Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen verfolgen.
Die Anwendung kann im Google Playstore bzw. Apple Store kostenfrei heruntergeladen werden.
Antje Müller: „musstewissen“, sagt funk
„Im Unterricht nicht aufgepasst? Bei den Hausaufgaben keinen Plan und morgen eine Klassenarbeit? Hättste wisse müsse? Kannste wissen – musstewissen ...“ – seit Mitte März diesen Jahres ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem Angebot musstewissen auf YouTube vertreten. Produziert von funk, entwickelt das ZDF in Kooperation mit der ARD ein schulbegleitendes Edutainment-Angebot, dass studierte Expertinnen und Experten aus Natur-, Geschichts- und Kommunikationswissenschaften zusammenführt und zu E-Lehrkräften macht. Adressiert an Achtklässlerinnen und -klässler soll Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren Grundwissen in Mathe, Deutsch, Chemie, Geschichte und Physik vermittelt werden, das ihnen bei Klausuren, Referaten oder Hausarbeiten helfen und ganz nebenbei auch noch Spaß machen soll.
Die Playlist erweitert sich wöchentlich um ein neues Erklärvideo, wobei die Inhalte auf die Lehrpläne der verschiedenen Bundesländer und Schulformen abgestimmt sind. Immer montags stehen Formeln, Gleichungen und Textaufgaben mit dem journalistisch bewanderten ‚Mathe- Kumpel‘ Nicole Valenzuela auf dem Stundenplan. Dienstags läuft ‚Die Klugscheisserin‘ und musikalische Europaexpertin Lisa Ruhfus im Kanal musstewissen Deutsch zur theatralischen Höchstform auf. Bergfest gefeiert wird mit der smarten Polymerforscherin Mai-Thi Nguyen-Kim von schönschlau und Terra X Lesch & Co, die jeden Mittwoch zu einem charmanten Ausflug in die Welt der Chemie einlädt. Donnerstags wird mit dem unterhaltsamen, pädagogisch versierten Geschichtenerzähler MrWissen2go Mirko Drotschmann in historisch bewegte Zeiten und das Leben spannender Persönlichkeiten eingetaucht. Und schließlich wird am Freitag mit dem witzigen, sportlich-musikalischen Dreamteam Simon Weßel-Therhorn und Eduard Flemmer von LekkerWissen und einer doppelten Portion physikalischer Experimente ins verdiente Wochenende gejumpt. Wer trotzdem noch nicht gut genug vorbereitet fühlt, findet auf Instagram und Facebook den passenden Spickzettel, einschließlich weiterer spannender Fakten zum behandelten Stoff. Alle musstewissen-Kanäle zeichnen sich durch eine einheitliche Struktur und Aufbereitung aus. Eingesetzt werden zahlreiche animierte Erklärgrafiken, um das Gesagte verständlich zu machen. Typisch sind die immer wiederkehrenden Merkkästen mit Begriffsklärungen, Schlagwörtern, Formeln oder Zusammenfassungen. In den Geschichts-‚lesungen‘ wird darüber hinaus mit unaufgeregten Hintergrundbildern gearbeitet, die – wie in einer Diaprojektor-Vorführung – regelmäßig wechseln.
Jeder Kanal fokussiert die Stärken seines Fachgebiets. So nutzt das Physiker-Duo die Chance auf Experimente unter Einsatz abwechslungsreicher Beispiele wie Skateboards, Taschenlampen oder Holzstäbe, während sich in Deutsch auf aufwendig produzierte, humorvolle Bühnendarbietungen mit Aha-Effekt konzentriert wird. In Mathematik gibt es dagegen Schritt-für-Schritt-Anleitungen für schwierige Formeln mit einer angenehmen Vortragsgeschwindigkeit und musstewissen Chemie wiederum bewegt sich im Spannungsfeld informatives Labor mit Coolnessfaktor und Augenzwinkern. Manche Themen werden relativ zügig innerhalb von drei Minuten erklärt, mit anderen setzt sich das YouTuber-Team in bis zu elf Minuten auseinander – und das gern auch auf Wunsch der Community. Generell wird auf Anschlusskommunikation und Interaktion in den Kommentaren hoher Wert gelegt. Die überwiegend positiven Resonanzen fallen dabei recht unterschiedlich aus und stammen gerade in den Kanälen Mathe und Deutsch häufig von Älteren, wie Studierenden oder auch kritischen pädagogischen Fachkräften. Auffallend hoch frequentiert kommt dagegen Geschichte bei der eigentlich adressierten Zielgruppe an. Die hohe Eignung zum Zuschauen oder auch Nebenbeihören der ersten musstewissen Geschichte- Produktionen scheinen einen Nerv zu treffen. Wer es dagegen lieber unterhaltsamer und dynamischer mag, schaltet musstewissen Deutsch oder Physik ein. Obgleich der zahlreichen humorvollen Analogien, Metaphern und anderer abwechslungsreicher (sprachlicher) Erklärmittel ist das Informationslevel mindestens immer gleich auf mit dem Unterhaltungslevel und hält konstant die Erklärlinie vom Einfachen zum Komplizierten, vom Konkreten zum Abstrakten. Doch trotz innovativer Elemente bleibt musstewissen eher dem klassischen Frontallehrer-Unterrichtsstil zugeneigt, der Schrift und Zahlen fixiert. Die Gestaltungsmittel sind zwar vielfältiger und helfen den visuellen Lerntypen, dennoch ist die Nähe zur Kindernachrichtensendung logo! auffällig.
Insbesondere die Animationen erinnern häufig an das bekannte Erklärstück. Dieses zentrale Element, welches alle Kanäle verbindet, könnte – entsprechend dem Innovationscharakter des Formats – einen eigenständigen Anstrich vertragen. Neben zum Teil hohen Sprechgeschwindigkeiten und Inhalte-Dynamiken, die je nach Thema auch gut angekommen, zeigt sich eine Entwicklung zum ‚Glattmachen‘ des Edutainment- Angebots. Wo sich am Anfang noch Versprecher, Lacher und sichtbare Begeisterung zeigten, stehen mittlerweile häufiger perfektionierte, monotone Vorträge ohne Höhen und Tiefen und konventionelle Unterrichtsbeispiele auf dem Plan. Mit Blick auf die beliebtesten YouTuberinnen und YouTuber der 14- bis 29-Jährigen und die hohe Bedeutsamkeit ihrer Persönlichkeit, besteht Potenzial, die Community mit einer stärkeren Nähe ganz individuell und authentisch anzusprechen. musstewissen bietet dennoch mit seinem umfangreichen Lernvideoangebot eine gute Ergänzung zum Unterricht. Durch die Besetzung wird das Klischeebild einzelner Fachgebiete aufgeweicht und die hohe Varianz eingesetzter Gestaltungs- und Aufbereitungsmittel zeigt die Experimentierfreudigkeit wie auch hohes Engagement der Macherinnen und Macher. Zwar erreicht das Angebot noch vorwiegend Studierende, Erwachsene und pädagogische Fachkräfte, nichtsdestotrotz schafft musstewissen ein gut aufbereitetes, ansprechendes Angebot, dass zum freiwilligen selbstständigen Lernen motiviert und denjenigen helfen kann, die neben der direkten Schüler-Lehrer-Interaktion nach alternativen, leicht verständlichen Lernmitteln suchen.
Günther Anfang: Von Athen lernen?
Vielleicht wäre es für die documenta 14, die aktuell in Kassel stattfindet, besser gewesen, erst einmal von den Erfahrungen der vergangenen documentas zu lernen. Denn was diese documenta auszeichnet, ist eher Beliebigkeit als ein stringentes und pfiffiges Konzept. Neues steht neben Altem, Kunst aus Griechenland neben Leihgaben aus aller Welt und das Ganze ist wenig inspirierend. Schon das Programmheft ist so unübersichtlich, dass man immer wieder darin blättert, um nachzuvollziehen, wo was warum ausgestellt wird. Relativ sicher ist dabei, dass alles, was im Fridericianeum ausgestellt wird, aus dem Athener Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst (EMST) stammt. Im Gegenzug wurde alles aus dem Fridericianeum nach Athen verfrachtet. Kulturaustausch nennt man das. Die Grundidee des Kurators der documenta 14, Adam Szymczyk, war ja, die documenta dieses Mal an zwei Orten – in Kassel und in Athen – stattfinden zu lassen.
Da waren die Athener gar nicht so begeistert, denn wieso sollen sie plötzlich eine Veranstaltung gut finden, die nicht ihre eigene ist? Kunst haben sie in Griechenland wahrlich genug. Und Sorgen haben sie wahrlich auch andere. Wir schenken euch ein bisschen Kunst, aber die Kredite erlassen wir euch nicht, könnte man böse behaupten. Einige sprechen sogar von Kulturimperialismus. Nun gut, das Festival in Athen kann von meiner Seite aus nicht weiter bewertet werden, da ich nicht selbst dort war. Aber dafür können Eindrücke von Kassel wiedergegeben werden. Und die sind leider nur bedingt positiv. Es fängt schon damit an, dass Kassel an und für sich keine besonders attraktive Stadt ist. Die documenta hätte da die Chance, alle fünf Jahre Glanz in die Stadt zu bringen. Auf dem Friedrichsplatz gelingt das auch ein bisschen, denn da steht ein großer, aus verbotenen Büchern bestehender Parthenon. Der macht erst einmal was her. Allerdings wird bei näherem Betrachten klar, welche Bücher da alles als verboten verbaut wurden. Da sind die Buddenbrooks ebenso dabei wie der Da Vinci Code. Insgesamt 50.000 Bücher, die irgendwo auf der Welt einmal verboten waren oder es heute sind, sollen den Parthenon der Bücher nach dem Willen der argentinischen Künstlerin Marta Minujín bilden. Als Kunstprojekt ist es eine Neuauflage des Parthenons, den sie 1983 in Argentinien zum Ende der Militärdiktatur errichten ließ. Damals waren es aber verbotene Bücher der Militärdiktatur. In Kassel sind es alle Bücher, die irgendwo und irgendwann einmal verboten waren.
Hier fängt die Beliebigkeit dieser documenta an. Vieles erschließt sich den Besucherinnen und Besuchern nicht, und bei vielen Exponaten bleibt unklar, warum sie ausgestellt wurden. Die Kunst der Gegenwart ist dieses Mal an viel zu vielen Orten verteilt und geht im Sammelsurium der bestehenden Ausstellungen unter. Irgendwie weiß man nie genau, gehört das nun dazu oder hängt es auch normalerweise im jeweiligen Ausstellungsgebäude. Somit bleiben wenig erhellende Eindrücke. Da sticht noch am meisten die Neue Galerie heraus, die in der ehemaligen Hauptpost und Briefzentrum von Kassel untergebracht ist. Hier beeindrucken sowohl der Ort der Ausstellung, eine riesige Industriehalle, als auch die verschiedenen zum Teil großflächigen Exponate. Und hier wird die documenta endlich auch politisch. Das Video 77sqm_9.26min (2017) rekonstruiert die Ermordung des 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé im Jahr 2006. Forscher des Forensic Architecture Institute London bezweifeln in dem Video, dass der damalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme von dem Mord durch den NSU nichts mitbekommen hat. Das Video ist auf drei Bildschirme aufgeteilt: Auf einem ist eine Zeitleiste zu sehen, auf dem anderen nachgestellte Szenen mit Schauspielern, auf einem anderen laufen Computeranimationen ab. Obwohl oder gerade weil es nüchtern gehalten ist, berührt das Video und lässt Besucherinnen und Besucher der documenta mit vielen Fragen zurück.
Mit einer ganz anderen Ausprägung von Gewalt beschäftigt sich eine Künstlerin, die der Gemeinschaft der Sámi in Norwegen angehört. Máret Ánne Sara hat einen morbiden Vorhang aus 300 Rentierschädeln mit Einschusslöchern (Pile o’ Sápmi, 2017) geknüpft. Sie erinnert damit an den Kampf der Sámi um die eigene Identität, zu der das Halten kleiner Rentierherden gehört. Die wiederum waren immer wieder von massenhaften Zwangskeulungen betroffen. Auch hier ist man unwillkürlich mit Fragen konfrontiert, die den Umgang mit Minderheiten im Land betreffen und warum sich hier niemand dagegen stellt. Eine weitere wichtige Fragestellung, die die documenta aufgreift, ist der Umgang mit Flucht in Europa. Diesem Thema widmen sich vor allem die Exponate in der documenta Halle. Der mexikanische Künstler Guillermo Galindo macht hier mit Wrackteilen von Booten (Fluchtzieleuropahavarieschallkörper, 2017) auf das Leid von Flüchtlingen aufmerksam. Allerdings stellt sich Besucherinnen und Besuchern auch hier die Frage, inwieweit ein pittoreskes kaputtes Boot das Leid der Flüchtlinge sichtbar machen kann. Hier steht man als Gaffer vor einer tragischen Geschichte und bekommt das Gefühl nicht los, sich am Leid der Flüchtlinge noch zu ergötzen.
Schließlich und endlich wird man auf der documenta 14 dann doch noch provoziert und es bleibt offen, ob hier nicht ein Skandal riskiert wird. Provokateur ist der Peruaner Sergio Zevallos, der in der Neuen Galerie seine Arbeit A War Machine ausstellt. Zavallos übernimmt in seiner Installation pseudodokumentarisch die Schädelmaße, mit denen Ethnologen zu Kolonialzeiten beweisen wollten, dass ‚Wilde‘ von Natur aus dumm sind. Die Maße legt er an (vermeintlich) geborene Kriminelle an. Am Ende formt er daraus Schrumpfköpfe und erstellt eine Fotowand mit Fotos, auf der man zum Beispiel das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe findet. Aber auch ein Foto von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder der IWF-Chefin Christine Lagarde. Fraglich bleibt hier, ob das dumm dreist oder einfach nur oberflächlich provokativ ist. Ich weiß es nicht, genau so wenig, wie ich etwas über das Konzept dieser documenta weiß.
Die documenta 14 in Kassel läuft noch bis 17. September 2017.
Günther Anfang: VIVA ARTE VIVA
Neulich fragte mich meine Tochter (8 Jahre), ob ich mit ihr nicht in die Pinakothek der Moderne in München gehen will, denn sie wolle mir dort etwas zeigen. Ich war erst einmal erstaunt, da die Pinakotheken ja nicht unbedingt ein Ort sind, den Kinder als erstes nennen, wenn sie Spaß haben wollen. Hintergrund war allerdings gleichzeitig auch, dass meine Tochter die Pinakotheken mit mir schon immer gerne besucht hat, da es da leckere Trinkschokolade (= Spaßfakator) gibt, und sie kurze Zeit zuvor mit ihrer Schulklasse eine Führung in dem Museum besucht hatte. So ließ ich mich gerne auf diesen Vorschlag ein und machte mich zusammen mit meinen beiden Töchtern (7 und 8 Jahre) auf den Weg ins Museum. Am Ort angekommen wurde ich auch gleich zielgerichtet zu drei Kunstwerken geführt. Das erste Bild war eines von Pablo Picasso, Madame Soler (1903), aus seiner blauen Periode. „Schau, das hat der Picasso in blau gemalt, weil die Frau traurig ist. Und jetzt zeig ich dir noch eines!“
Das nächste Bild stammte von Max Beckmann: Bildnis Quappi in Blau. „Hier ist die Frau auch in blau gemalt, weil sie auch traurig ist!“. Auf die Frage, woher sie das denn wisse, antwortete sie: „Von einer Frau, die uns das letzte Woche bei unserem Schulausflug gesagt hat. Und die hat uns noch ein Bild gezeigt!“. Sofort wurde ich an der Hand genommen und durch drei weitere Räume dirigiert, bis wir vor einem ziemlich düsteren Bild von Georg Baselitz standen. „Hier musst du dich auf den Kopf stellen, um das Bild erkennen zu können!“ Okay, nachdem ich mich auf den Kopf gestellt hatte, erkannte ich zwei männliche Figuren. „Der hat alles auf dem Kopf gemalt!“ Nun gut, ich hatte verstanden: blau ist traurig und Baselitz kopfüber. Die Erkenntnis über Kunst war für diesen Tag erst einmal perfekt, nun war Trinkschokolade angesagt. Mit Kindern Kunstausstellungen zu besuchen ist immer wieder spannend und macht Spaß. Vor allem dann, wenn es gelingt, dass die Kinder selbst durch die Ausstellung führen. Da reichen auch drei Exponate. Ganz anders ist es natürlich, wenn man ein ganzes Kunstfestival wie die Biennale 2017 in Venedig besucht, die dieses Jahr unter dem Motto VIVA ARTE VIVA steht. Auch da gelingt es, Kunst und Spaß miteinander zu verbinden, wenn man nur der Entdeckerfreude freien Raum lässt. Bei der Biennale wird vor allem im Arsenale, der ehemaligen Schiffswerft von Venedig, einiges geboten. In den riesigen Lagerhallen gelangt man von einer Installation zur anderen. Vieles ist beindruckend allein dadurch, dass es groß und farbenprächtig ist.
Auch bei der diesjährigen Biennale gibt es dort einiges zu bestaunen. Gleich am Eingang der Arsenale stößt man auf mehrere riesige Marmorkugeln der aus Polen stammenden Künstlerin Alicja Kwade: Pars pro Toto (2017, Naturstein, Sand). Hier könnte man natürlich herrlich damit spielen. Zumindest anfassen darf man die Kugeln und das ist ja auch schon etwas Besonderes. Für Kinder ist aber auch ein netzartiges Zeltdach, in das man hineinschlüpfen und darin auf Trommel-Musik machen kann, beeindruckend. Die Installation Um Sagrado Lugar (A Sacred Place) stammt von Ernesto Neto. In diesem Zelt können sich die Besucherinnen und Besucher in brasilianische Schamanenrituale einweisen lassen und Einblicke in das Leben von Huni-Kuin- Indianern aus dem Amazonas erhalten. Den Kindern bereit das sehr viel Freude, denn wer will nicht gerne mit anderen in einem Zelt trommeln und Schamanenrituale kennenlernen. Ebenso beeindruckend ist ein Kunstwerk, das aus bepflanzten Schuhen besteht. Die von Michel Blazy gestaltete Collection de Chaussures zeigt eine Installation mit Schuhen, Pflanzen, Erde und Wasser und sticht schon deshalb hervor, da man unweigerlich plötzlich aus allen Schuhen Pflanzen sprießen sieht. Genauso überwältigend ist ein Kunstwerk des Schweizer Künstlers Julian Charriere, der in Berlin lebt. In Venedig zeigt er eine Installation aus Salz des bolivianischen Salzsees Salar de Uyuni mit dem Titel Future Fossil Spaces. Die riesigen Salzsäulen kann man umrunden und sich dazwischen verstecken. Wenn das kein Abenteuer ist! Schließlich und endlich gelangt man bei der Biennale 2017 noch zu einer riesigen Textilinstallation der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks, die in Paris lebt. In Venedig zeigt sie ihre Installation Scalata al di la dei terreni cromatici / Escalade Beyond Chromatic Lands, das sind bunte Wollknäuel im gigantischen Ausmaß. Bei deren Anblick möchte man sich am liebsten mittenreinlegen und Pause machen. Doch beim Stichwort Pause machen sollte man nicht vergessen, dass Kinder beim Besuch von Kunstausstellungen einige Pausen brauchen, in denen es Eis, Getränke und Zeit zum Spielen gibt. Dann kann ein Besuch einer Kunstausstellung gelingen, und muss auch nicht immer mit heißer Schokolade sein. Die 57. Biennale in Venedig läuft noch bis 26. November 2017.
Antje Müller: Extreme Dialogue
Institute of Strategic Dialogue, Duckrabbit, Tim Parry Johnathan Ball Foundation for Peace (Hrsg.) (2017). Extreme Dialogue. www.extremedialogue.org, kostenfrei.
Sich fremd, ausgegrenzt oder allein gelassen fühlen, auf sich gestellt sein, umgeben von Problemen – das schürt manchmal die Entwicklung extremer Vorstellungen und führt zu einer Spirale von Denkweisen, die unter anderem auch zur Festigung ideologisierter Haltungen und Einstellungen beiträgt, und sich in der Unterstützung extremistischer Gruppierungen kanalisiert.Mitwirkung, Offenheit und gemeinschaftliches Lernen ist aus diesem Grund der zentrale Ansatz des aus Großbritannien stammenden Lernbegleiters Extreme Dialogue, welcher für ‚schwierige‘ Themen wie Gewalt, Extremismus, Terrorismus und Islamismus bei der Aufklärung und Schulung 14- bis 16-Jähriger genutzt werden kann. Das kostenfreie Online-Materialpaket besteht aus einer Reihe dokumentarischer Kurzfilme und offen zugänglicher Lehrmittel für insgesamt dreieinhalb- bis viereinhalbstündige Workshops, die sich aus ein- bis eineinhalbstündigen Themenblöcke zusammensetzen.
Derzeit sind fünf Sets verfügbar, die sich mit erlebten und überlebten Taten auseinandersetzen. Gefördert werden sollen damit eine kritische Denkweise und die digitale Bildung, welche sich durch sichere und konstruktive Diskussionen über Extremismus und Radikalisierung in einem schulischen oder gemeinschaftlichen Rahmen entwickeln können. Extreme Dialogue möchte Kontakt zu den Menschen herstellen, mit denen das junge Zielpublikum normalerweise keinen Umgang hat, um so dem Schwarz-Weiß-Denken ‚wir gegen die Anderen‘ entgegenzuwirken.Kernelement des Präventionskonzepts sind persönliche Geschichten von internationalen Täterinnen und Tätern wie auch von Opfern, die von Extremismus aus dem gesamten ideologischen Spektrum betroffen sind. Darunter finden sich unter anderem ein ehemaliges Mitglied einer rechtsextremen Gruppe in Kanada, ein Flüchtling aus Syrien und ein ehemaliges Mitglied der Ulster Volunteer Force (UVF), dessen Vater von der IRA getötet wurde.
Innerhalb von etwa fünf bis zehn Minuten berichten die Männer in ihrer Landessprache – untertitelt in wahlweise deutscher, englischer, ungarischer oder französischer Sprache – von ihrem düsteren Lebensweg und ihrer Kindheit, die oft verkettet ist mit verstörenden Erfahrungen. Innerhalb emotional geladener Erklärungen machen sie mit deutlichen Worten die Beweggründe für die vom Hass getriebenen Taten und Erlebnisse klar, und beschreiben nachvollziehbar den schwierigen Prozess, diese zu überwinden. Neben den Dokumentarfilmen stehen Prezi-Präsentationen und Ressourcenpakete zur jeweiligen Falldarstellung bereit, die über den Link ‚Unterrichtsmaterial‘ auf Deutsch, Englisch, Ungarisch und Französisch abrufbar sind. Diese eignen sich daher auch für den Einsatz im deutschsprachigen Unterricht; übrigens sind alle Filme auf Anfrage auch in Britischer Gebärdensprache erhältlich.
Darin enthalten sind partizipative Übungen und Aktivitäten zur Anregung und sicheren Durchführung robuster Diskussionen. Mithilfe von zum Beispiel Fragestellungen zum explorativen Lernen und narrativen Übungen kann das Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte sowie das Engagement zur Richtigstellung fragwürdiger Aussagen gefördert werden. Weiterhin wird Anlass gegeben über die Auswirkungen von Handlungen und Entscheidungen nachzudenken und nach neuen Möglichkeiten und Alternativen zu suchen.In Anbetracht der vielfältigen und zahlreichen Formen von Gewalt, denen vor allem junge Menschen ausgesetzt sind und auf die sie selbst zurückgreifen, liefert das Materialpaket ein gut durchdachtes interaktives Präventionskonzept, um die online wie offline geführten Gespräche unter Gleichaltrigen auch in Gegenwart eines sachkundigen Erwachsenen zu führen. Medial gestützt und vorrangig mit Diskussionsübungen in Klein- bis Großgruppen können so problematische Verhaltensweisen – wie Misstrauen, Entfremdung und Entmenschlichung – wirksam aufgebrochen werden, bevor sich extreme Einstellungen festigen.
Gleichzeitig liefert das Konzept wichtige Impulse zur eigenen Meinungsäußerung und fördert das soziale Engagement in Schulklassen und Jugendgruppen – durch eine anregende Auswahl und eine prägnante Beschreibung von ‚Aktivitäten‘ und einen Überblick über potenzielle ‚Lernleistungen‘ und ‚Lehreinheiten‘ mit jeweiligen Lernzielen und Empfehlungen zu möglichen Reaktionen und Herausforderungen. Mit einer ansprechenden und schnell realisierbaren Methodenmischung aus geschlossenen Abschnitten und Gruppenarbeitsvariationen könnten die einzelnen Ressourcenpakete im Webangebot jedoch dominanter platziert und um Schnellhilfen mit geringeren Seitenumfängen ergänzt werden. Zudem geht nicht immer klar hervor, wie sich die Filme und Prezi-Präsentationen ergänzend in die Vorschläge zur Seminargestaltung einfügen sollen. Die Kurzfilme und Einzelinterviews verkörpern ein wirksames Element, um die Eindringlichkeit des Themas zu verdeutlichen. Eingebettet in persönlichen und emotional aufgeladenen Berichten erhalten die Nutzenden ein umfassendes Bild von der Täterin, dem Täter bzw. vom Opfer, die bewusst auf eine Verschleierung, Verklärung oder Verharmlosung ihrer Situation verzichten.
Trotz der Brisanz des Themas, das durchaus auch beängstigende Potenziale birgt, wird auf die visuelle Darstellung von Gräueltaten, widrigen Lebensumständen oder gewalttätigen Methoden verzichtet – das kommt der jungen Zielgruppe entgegen. Auffällig ist jedoch die überwiegende Täterperspektive, die zudem ausschließlich von älteren Männern geschildert wird. Für gefährdete junge Frauen bzw. zur Extremismus-Prävention für weibliche Risikogruppen findet sich hier leider noch kein Anknüpfungspunkt. auch stellt sich die Frage, ob diese Tatbeschreibungen für Jugendliche genügend anschlussfähig sind. Zu beachten ist darüber hinaus, dass fast alle Täterperspektiven aus einer vorab geschilderten selbst durchlebten Opferrolle resultieren und somit die filmische Dokumentation, sofern sie alleinstehend angewandt wird, vorhandenes extremistisches Gedankengut möglichweise eher schüren statt verhindern könnte.
Bei der reflexiven Einordnung und Brückenleistung kommt den Lehrenden dementsprechend eine wichtige Rolle zu. Extreme Dialogue ermutigt insgesamt zum kritischen Denken und gibt Anlass zum Nachdenken über eigene Grundwerte und gemeinsame Überzeugungen. Ziel des Partizipationskonzepts ist die Erlangung von Kenntnissen über Wurzeln und Auswüchse extremistischer Taten, wie auch das Verstehen von Motiven und die Infragestellung von Mythen und Missverständnissen im Zusammenhang mit extremistischen Gruppierungen. Das Konzept eignet sich daher weniger zur Entradikalisierung als vielmehr zur Prävention. Der Aufbau von Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Analyse von Konsequenzen und Wirkungen des gewalttätigen Extremismus, leistet auf diese Weise einen Beitrag dazu, dass junge Leute gesellschaftliche Veränderungen aktiver mitgestalten.
Markus Achatz/Michael Bloech: Genre-Crossover und spannende Kinogeschichten aus Fernost
Vier aktuelle Filme aus Fernost bieten spannende Einblicke in gesellschaftliche Veränderungsprozesse und zeigen frische Crossover-Qualität mit vielfältigen Genremischungen. Alle Neuerscheinungen liefen als Weltpremieren auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2017 und stellen heranwachsende Protagonistinnen und Protagonisten ins Zentrum ihrer unterschiedlichen Geschichten: Die internationale Großproduktion Mr. Long spielt mit Genres und überwindet mühelos die Grenzen zwischen Action-Thriller und Gefühlskino. Den Kern bilden dabei ein untergetauchter Profikiller, ein achtjähriger Junge, dessen drogenabhängige Mutter sowie eine Handvoll merkwürdiger Nachbarn. Neben zwei einsamen jungen Menschen spielt in The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue die Großstadt eine weitere Hauptrolle. Der chinesische Independent-Film Ben Niao (The Foolish Bird) schildert die verzweifelte Suche einer 16-Jährigen nach Glück und eigener Identität. Ein Coming-of-Age-Film mit einem nüchternen Blick auf Perspektivlosigkeit und Isolation im heutigen China. Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) führt eine ungewöhnliche Patchwork-Familie zusammen und ist ein warmherziges Plädoyer für Toleranz.
Strick-Kurs für neue Familienformen
Grob übersetzt heißt der Originaltitel des japanischen Films Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) von Naoko Ogigami in etwa ‚Wenn sie anfangen, ernsthaft zu stricken‘. Die elfjährige Tomo ist laufend allein. Nach der Schule isst sie jeden Tag abgepackte Reisbällchen aus dem Supermarkt. Ihre Mutter kümmert sich kaum um das Kind und kommt häufig spätnachts betrunken nach Hause. Als sie – nicht zum ersten Mal – längere Zeit wegbleibt, kontaktiert Tomo ihren Onkel Makio. Der nimmt sie bei sich auf, allerdings unter neuen Vorzeichen: Er lebt inzwischen mit seiner Freundin Rinko zusammen. Nach anfänglicher Überraschung, dass Rinko eine Transgenderfrau ist, wird bald klar, mit welch großer Fürsorge und Liebe sich alle um Tomo kümmern. Das Mädchen fühlt sich schnell wohl und die drei wachsen zu einer kleinen Familie zusammen. Doch diese Idylle wird von der Außenwelt nicht mitgetragen. Beispielsweise zeigt die Mutter eines Klassenkameraden Tomos offen ihre Abneigung gegenüber Rinko und ihrer Transsexualität. Dabei geht Rinko in ihrer Aufgabe als Ersatzmutter völlig auf und genießt auch als Altenpflegerin im Beruf Anerkennung. Dennoch muss sie immer wieder neuen Mut fassen. Die Zweifel an ihrer sexuellen Identität kanalisiert Rinko durch permanentes Stricken. Der Griff zu den Stricknadeln verleiht der Geschichte eine beinahe meditative Atmosphäre, die an asiatische Filme ganz anderer Genres anknüpft. Auch Tomo lernt hierdurch mit ihren Verunsicherungen umzugehen. In einer ungemein entspannten Sequenz sitzen Rinko, Tomo und Makio strickend unter Kirschblüten an einem Flussufer. So gewinnen glückliche Momente die Überhand gegen gesellschaftliche Normen und Repressalien. Regisseurin Naoko Ogigami setzt dabei nicht auf zu viel Melodramatik, vielmehr webt sie leichtfüßigen und auch skurrilen Humor in die Geschichte. Rinko strickt nämlich nicht irgendetwas, sondern exakt 108 wollene Penisse. Diese sollen sie auf dem Weg bis zur offiziellen Änderung des Geschlechts in ihrem Pass begleiten, um dann – in Anlehnung an 108 Glieder einer buddhistischen Gebetskette – feierlich verbrannt zu werden.
Der Film idealisiert einerseits ein eher klassisch-konservatives Familienbild, konterkariert dieses aber durch eine eigene Dynamik aus Rinkos Transsexualität und ihrem Wunsch nach einer stereotypen Frauenrolle sowie ihrer Beziehung zu Makio und Tomo: Makio mit seiner vorbehaltlosen Zuneigung und beeindruckenden Besonnenheit, Tomo mit ihrem kindlichen Gemüt und Bedürfnis nach Geborgenheit. Wie kompliziert die Welt in Wahrheit ist, verdeutlicht die ungeschnittene Schlussszene, als Tomos Mutter zurückkehrt, um ihr Kind wieder abzuholen.
Close-Knit nähert sich einem Tabu-Thema auf sensible Weise und verknüpft dies mit einer Coming-of-Age Geschichte, die mit Tomo sowie (anhand von Rückblenden) mit Rinko gleich zwei starke Hauptfiguren hat. Bereits mit dem Debütfilm Barber Yoshino (Yoshinos Frisörsalon), der 2004 auf dem Kinderfilmfest der Berlinale lief, bewies Ogigami viel Gespür für feinen Humor und die Welt von Heranwachsenden. Zuletzt kam ihre bunte Komödie Rentaneko (Rent-a-Cat; Berlinale Panorama 2012) über eine junge Frau, die Katzen an einsame Menschen vermietet, in die Kinos. Close-Knit spiegelt die Torheit von Vorurteilen und ist ein empathisches Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Perspektivlosigkeit in einer chinesischen Kleinstadt
Deutlich düsterer und drastischer geht es im Alltag der jungen Hauptprotagonistin Lynn im chinesischen Film Ben Niao (The Foolish Bird) zu. Die 16-Jährige ist ebenfalls von ihrer Mutter verlassen, allerdings aufgrund der in vielen Regionen Chinas weit verbreiteten Arbeitsmigration. Das Mädchen und ihre kleinen Geschwister leben bei den Großeltern während Lynns Mutter in einer weit entfernten Großstadt arbeitet. Auf Druck der Mutter bewirbt sich Lynn an der örtlichen Polizeiakademie. Sie ist eine fleißige Schülerin, verstrickt sich aber mit ihrer Freundin May in gefährliche Geschäfte mit geklauten Handys. Die Mädchen verkaufen Smartphones, die Mitschülerinnen an ihrer Schule abgenommen wurden und dort lagerten. Dabei geraten die beiden Mädchen an einen korrupten Hehler und in ein Netz aus Kriminalität und sexueller Gewalt. Als May eines Tages nicht mehr auf Lynns Nachrichten antwortet, muss sie das Schlimmste befürchten.
Regisseurin Huang Ji hat Ben Niao gemeinsam mit Kameramann Ryuji Otsuka inszeniert, der auch für ihren Debütfilm Jidan he Shitou (Egg and Stone, 2012) hinter der Kamera stand. Beide Filme porträtieren zurückgelassene Kinder. Im Interview betont Huang Ji die starken autobiografischen Züge der Geschichte. Sie hätte viele Ereignisse, die der Film zeigt, selbst erlebt – bis hin zur Isolation und negativen ersten sexuellen Erfahrungen. Sie sei eines von diesen Tausenden jungen Mädchen gewesen, die sich alle ähneln und im immer gleichen Trainingsanzug herumlaufen. Der Film spielt in der Stadt Meiching (Provinz Hunan), in der Huang Ji viele Jahre gelebt hat. Mit etwa 100.000 Einwohnern eine typische Kleinstadt, in der heute immer mehr Kinder und Jugendliche ohne Eltern aufwachsen, weil diese fernab in den Metropolen arbeiten. Huang Ji und Ryuji Otsuka haben die Story in die Jetztzeit verlagert. Das Streben der Heranwachsenden nach materiellem Glück mündet im Verkauf der gestohlenen Smartphones, was aber nur wenige hundert Yuan einbringt. Social Media-Kommunikation und die Anonymität der virtuellen Welt sind omnipräsent im Leben der Teenager – im Film wunderbar konterkariert durch Lynns lange Fahrradfahrten durch die Stadt, ein Sinnbild ihrer verlorenen Suche nach Individualität, Zuneigung und Wärme. Bis heute ist unklar, ob und wann der Film in China gezeigt werden kann. Die Zensurbehörden haben noch keine Freigabe erteilt. Vielleicht nützt es, dass Ben Niao eine ‚Lobende Erwähnung‘ der internationalen Jury in der Sektion Generation 14plus der Berlinale 2017 erhalten hat.
Einsame Herzen in Tokios Großstadtdschungel
Yozora ha itsu demo saikou mitsudo no aoiro da (The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue) – der poetische Titel passt gut zur Geschichte dieses Films, die inspiriert wurde von der Melancholie junger Erwachsener und vom ‚Sich-Verlieren‘ im Puls der Großstadt. Das Protagonisten-Duo Mika und Shinji braucht eine ganze Weile bis es sich gegenseitig wahrnimmt und erkennt, dass das Leben und die Liebe kein Zufall sind. Mika geht zwei Jobs nach und arbeitet tagsüber als Krankenschwester, nachts als Bardame. Shinji jobbt als Bauarbeiter. Beide begegnen sich auf wundersame Weise immer wieder, wohl wissend, dass die Einsamkeit ebenso Bestandteil ihres Lebens ist wie ihre Überzeugung, seltsame Außenseiter zu sein. Mika leidet unter der Leere nach dem Tod ihrer Mutter und einer gescheiterten Beziehung. Shinji fühlt sich als Freak, auch weil er auf einem Auge blind ist. Dennoch glaubt er, dass er gerade deswegen viele Dinge anders sehen kann. In Szenen mit Shinji und drei seiner Kollegen auf der Großbaustelle für die Olympischen Spiele 2020 entstehen immer wieder tragikomische Momente. Regisseur und Drehbuchautor Yuya Ishii verweist auf Gedichte über Tokio als eine wichtige Vorlage für den Film und schildert beinahe zärtlich die Verlorenheit inmitten der Riesenmetropole, die von verunsicherten Menschen bevölkert wird. Am Ende steht die Frage, ob man nicht auch gemeinsam einsam sein kann. Mit Poesie und märchenhaften Stimmungsbildern begleitet Ishii seine Figuren durch eine Stadt, dessen Nachthimmel so blaue Nuancen hat wie sie nur zwei sehen können, die die Liebe gefunden haben.
SABUs Genre-Mix über einen kochenden Samurai
Der japanische Regisseur Hiroyuki Tanaka, der nur unter seinem Künstlernamen SABU firmiert, ist ein gern gesehener Gast auf der Berlinale. Bereits 1997 wurde er in die Sektion Panorama mit D.A.N.G.A.N Runner eingeladen. Anschließend tauchte er in loser Folge immer wieder mit Filmen im Programmblock Forum oder im Panorama auf. So gewann er im Jahr 2000 mit seinem Film Monday den renommierten FIPRESCI Award, den Preis der internationalen Filmkritik. Im Zentrum seiner Filme stehen oft gebrochene Heldinnen und Helden, sympathische Außenseiterinnen und Außenseiter, die in abstruse Situationen geworfen werden und ihre Probleme meistern müssen. Herausragendes Moment der Erzählkunst von SABU ist dabei der kühne Genre-Mix aus Martial Arts, Film Noir, Slapstick, Liebesfilm und dieses Mal in seinem neuen Werk Mr. Long zusätzlich aus Elementen des ‚Koch-Films‘. Gekonnt stürzt SABU die Zusehenden dabei in eine permanente Achterbahn der Gefühle, auf harte Action folgen Szenen skurriler Komik oder Augenblicke anrührender Emotionen.
Zu Beginn von Mr. Long erleben wir eine Szene, die den Helden bei seiner anstrengenden Arbeit zeigt. Emotionslos und nahezu wortlos verrichtet Long, wie schon zuvor in den 1970er-Jahren Jeff (Alain Delon) in Melvilles Klassiker Le samouraï (Der eiskalte Engel), seine Arbeit als Auftragskiller. Dabei gerät Mr. Long – wie auch Jeff – anschließend in eine schier ausweglose Situation. Nach einem Mordauftrag in seiner Heimat Taiwan wird Long nach Japan geschickt, allerdings misslingt sein Auftrag und er muss sich schwer verletzt, ohne Sprachkenntnisse und völlig mittellos in einer Abbruchszenerie am Rande von Tokio zurechtfinden. Ein kleiner Junge und auch nette, aber naive Menschen aus der Nachbarschaft kümmern sich hingebungsvoll um ihn. Sie basteln sogar eine kleine fahrbare Suppenküche, mit der Long nun seinen Lebensunterhalt kochend bestreitet. Dann tritt Lily, eine drogenabhängige Prostituierte, in sein Leben und er findet mit ihr eine neue, schwere Aufgabe. Mit Entschlossenheit kümmert er sich um sie und ihren Sohn, die beiden verlieben sich, doch das scheinbare Glück währt nicht lange.
Im Gegensatz zu Melville verlässt SABU dabei das strenge ästhetische Korsett des Film Noir und spielt kühn und gekonnt mit unterschiedlichsten Stilelementen. Er bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. Dennoch besitzt gerade diese Mixtur etwas magisches, sie überhöht die Wirkung der einzelnen Elemente. So bleibt einem beispielsweise die drastische Szene, in der Lily von einem Zuhälter in die Drogenabhängigkeit gezwungen wird, besonders nachhaltig im Bewusstsein, da sie eingebettet wurde in emotional kontroverse Szenen. SABU ist mit Mr. Long nicht nur der Sprung in das erlauchte Programm des Wettbewerbs der Berlinale geglückt, sondern ihm ist tatsächlich ein berührendes, kleines Kunstwerk gelungen. Ein Kunstwerk insofern, als dass es bei Mr. Long nicht um das nackte Abbilden oder Bebildern von Wirklichkeiten oder der Präsentation von Fantastischem geht, sondern vielmehr um eine unterhaltsame Fabel. Das ‚Fabelhafte‘, die moralische Komponente, erschließt sich dabei vollends in der unerwarteten Schlusssequenz, die hier natürlich nicht verraten werden soll. Der Film Mr. Long kommt am 14. September in die deutschen Kinos.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor:
Markus Achatz,
Michael Bloech
Beitrag als PDF
Melanie Theissler: Von der Straße ins Herrenhaus – und wieder zurück?
Ursula Poznanski (2015). Layers. Gelesen von Jens Wawrczeck. Hörverlag, 765 Min., 14,99 €.
Wo schlafe ich? Wo bekomme ich was zu essen? Solche Fragen stellt sich der 17-jährige Dorian. Er ist obdachlos, und das schon seit sechs Monaten. So lange versucht er schon, seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Tagtäglich kämpft er mit Sorgen über Kälte, Hunger, Schlafplatzmöglichkeiten, gegen die Polizei und potenziell gefährliche Menschen. Und so beginnt auch die Erzählung mitten in einer für Dorian brenzligen Situation, in der die Zuhörenden hineingezogen werden: Dorian wird mitten in der Nacht, die er in einem U-Bahnhof verbringt, urplötzlich der Rucksack entrissen. Der Dieb ist für Dorian ein altbekannter Obdachloser, der sich ebenfalls öfter im U-Bahnhof aufhält und Emil genannt wird. Er bereitet Dorian immer wieder Schwierigkeiten, doch er kann Emil für gewöhnlich ruhigstellen, indem er ihm ‚seinen‘ Alkohol besorgt. Doch da Emil sich diesmal nicht so einfach besänftigen lässt, muss Dorian ihn mittels körperlichen Einsatzes dazu zwingen, ihm seinen Rucksack, seine Wasserflasche und sein Taschenmesser wiederzugeben. Diese Geschehnisse werden emotional, eindrucksvoll und imaginativ beschrieben – und wechseln zwischen Dorians Gedanken und äußerlichen Beschreibungen. Grundsätzlich wird die Erzählung ausschließlich aus Dorians Perspektive dargestellt. So bekommen die Hörenden einen überaus anschaulichen Eindruck davon, welche Sorgen den 17-Jährigen anlässlich der aktuellen Umstände plagen; dass er zum Beispiel aufgrund der Kälte eine Winterjacke braucht, dass er nicht weiß, wann er in der Notunterkunft schlafen und wo er sein nächstes Essen besorgen soll, und wie oft er welchen Supermarkt aufsuchen kann. Denn eines möchte Dorian auf keinen Fall: Auffallen. Daher achtet er neben einem regelmäßigen Ortswechsel für die Nahrungsbeschaffung auch auf ein adäquates Aussehen und meidet Gewalt, wo es nur geht. Er möchte unerkannt bleiben. Dieses Verhalten passt auch sehr zu Dorians Charakter, der den Hörenden als sehr klug, freundlich, höflich, vorausschauend und planerisch sowie pazifistisch begegnet. Alkohol und Drogen lehnt er aus Prinzip ab, Betteln meidet er, bis es gar nicht mehr anders geht. Aufgrund seines jungen Alters, seiner Vorgeschichte und den eher untypischen Charakterzügen eines Obdachlosen, gibt Dorian einen bedauernswerten, aber gleichzeitig auch sehr liebevollen Protagonisten ab. Die Zuhörerinnen und Zuhörer können auf diese Weise einfach und sehr schnell eine emotionale und mitfühlende Bindung zu dem Teenager entwickeln. So auch, als Dorians Leben sich von einem auf den anderen Tag auf eine merkwürdige Weise ändert. Der findet nämlich eines Nachts seinen Bekannten Emil blutend, keine zwei Schritte neben seinem Schlafplatz entfernt. Erstochen – offenbar mir Dorians Taschenmesser, welches direkt neben Emil liegt. Aber Dorian kann sich nicht an die Tat erinnern. Er weiß lediglich, dass er mit dem Messer in der Hand eingeschlafen ist. Als Dorian völlig überfordert überlegt, was er nun tun soll, taucht wie aus dem Nichts ein fremder Mann auf, der sich ihm als Niko vorstellt und ihm anbietet, sich um die Leiche und die Angelegenheiten zu kümmern. Er möchte Dorian sogar aus der Obdachlosigkeit heraushelfen.
Die Hörerinnen und Hörer befinden sich an dieser Stelle noch in der Einleitung der Erzählung. Die Ereignisse werden zügig und spannungsreich erzählt, überfordern dennoch nicht. Informationen, die die Hörenden zum Verständnis der Charaktere oder der Handlung benötigen, werden geschickt an den richtigen Stellen erwähnt oder tauchen in Dorians Gedanken auf. So überlegt er beispielsweise, ob er dem fremden Mann trauen kann und auf sein Hilfsangebot eingehen soll. Denn er hat bereits jetzt schon gelernt: lieber einmal mehr misstrauisch sein, als aufgrund falschen Vertrauens in Schwierigkeiten geraten. Bei diesem seltsamen Angebot von Niko schreit eigentlich alles in ihm nach Misstrauen und die Hörenden erleben alles nahezu hautnah mit. Denn der Erzähler Wawrczeck weiß seine Stimme gekonnt einzusetzen. So emphatisiert er unterschiedlich stark, variiert gekonnt sein Sprachtempo und setzt an den richtigen Stellen Pausen, die für zusätzliche Spannung sorgen.
In der Haupthandlung entschließt sich Dorian tatsächlich, Nikos Hilfe anzunehmen, um sich dann – nach einer Fahrt in einem dubiosen Van – unerwartet in einem luxuriösen Herrenhaus wiederzufinden. Hier lernt er Antonia kennen, die ihn im Anwesen herumführt, ihm sein eigenes Zimmer zeigt und ihm erklärt, dass er von nun an wieder Schulunterricht hat. Als ihm Antonia klar macht, dass gewiss nicht jede Person in dem Haus aufgenommen wird, weiß Dorian nicht, ob er lachen oder weinen soll. Und er fragt sich erneut, was das alles soll, wer hinter all dem steckt und warum ausgerechnet er ‚auserwählt‘ wurde? Außerdem stutzt er darüber, dass es in dem prunkvollen Gebäude kein Internet und kein Fernsehen gibt. Wird Dorian in diesem Haus wirklich geholfen oder stellt es weitere Gefahren für ihn dar? Werden ihm seine neue Mitbewohnerin Stella oder sein Mitbewohner Melvin auf seinem Weg helfen, wenn es gefährlich wird?
Layers kann aufgrund teils gewalttätiger Beschreibungen sowie der anspruchsvollen und komplexen Handlungen Jugendlichen ab 14 Jahren empfohlen werden. Die Zielgruppe wird zum einen mit alterstypischen Problemen (z. B. Interesse am anderen Geschlecht) als auch mit Komplikationen eines jugendlichen Obdachlosen konfrontiert. So können die Zuhörenden sich gut bis sehr gut mit dem Protagonisten identifizieren und werden gleichzeitig zum Nachdenken über die Probleme von Obdachlosen angeregt. Weiterhin begegnet dem Publikum in der Erzählung ein von der Gesellschaft abgeschnittenes soziales Hierarchie-System, welches in ähnlichen Formen ebenfalls in der Realität auftaucht. In der Geschichte wird überaus gut veranschaulicht, wie der Protagonist als Neuzugang in das System integriert wird. Da die gesamte Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird, erleben die Zuhörenden sehr gut, wie es sich anfühlt, in so ein System integriert zu werden. Die Erzählung vermittelt Hintergrundinformationen über solche Systeme und macht ethische und soziale Werte wie Freundschaft erfahrbar. Es lädt die Zuhörenden aber auch dazu ein, gewisse Informationen kritisch zu hinterfragen.
Antje Müller: No secrets!
Fast ununterbrochen sind wir online, berichten über unseren aktuellen Status oder unser Befinden, teilen unsere Selfies oder gestreamte Musik und tracken dazwischen noch kurz die aktuelle Fitnessleistung. Digitale Nähe gibt vielen von uns ein gutes Gefühl und vervollständigt das fragmentierte, sich ständig in Bewegung befindende Selbst. Unsicher, wer ‚da draußen‘ bewertet, und in Schach gehalten durch ‚globale‘ Konsequenzen wird unermüdlich nach geeigneten Mitteln gesucht, den Ansprüchen der fiktiven Anderen gerecht zu werden. Bereitwillig wird das Selbst kontrolliert – wenn es die Anderen nicht schon tun, dann wollen wir wenigstens gewappnet sein.
Im schwarzen Loch der Netzwelt wird der Drang nach Selbstoptimierung jedoch schnell zur Selbstüberwachung. Mit der leichtfertigen Entscheidung, die eigenen Schlafleistung oder tägliche Verhaltensmuster zu protokollieren, und im festen Glauben, alles bliebe auf der eigenen kleinen ‚Black Box‘, ignorieren wir, wo die digitale Vernetzung aufhört, und verlieren den Überblick – ungeachtet dessen, dass wir mit der Flut an digitalen Informationen gegenwärtige wie künftige Überwachungssysteme versorgen. Das Stadtmuseum München legt mit seiner Sonderausstellung No secrets! – Bilder der Überwachung Datenüberwachungsmittel offen, die nicht nur zeigen, wo wir uns aktuell befinden, sondern auch, auf welche Ziele und künftiges Verhalten wir zusteuern.
Die Ausstellung stellt sich der herausfordernden Aufgabe, die Allgemeinheit bei der Erinnerung an Staats- und Geheimdienstaktivitäten zu unterstützen, während im selben Zuge das kontrollaffine Internet der Dinge und das mediale Ausmaß von Big Data sichtbar gemacht werden. We know you better than you know yourself – dem Slogan möchte das Stadtmuseum etwas entgegensetzen. Hierzu beleuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler das aktuelle Phänomen hinsichtlich unter anderem der Fragestellungen ‚Wie lässt sich die Bereitschaft zur Selbstüberwachung erklären?‘ und ‚Welche Gefahren birgt der Hang – oder Zwang – zur Transparenz?‘.Erste Annäherungen an das oft emotionale und kontrovers diskutierte Thema finden durch einen kurzen Rückblick auf die früheren staatlichen Kontrollen von Mensch und Raum statt. Dabei zeigen die Einführung der öffentlichen Straßenbeleuchtung und die erkennungsdienstliche Fotografie erste Erfassungs- und Kontrollpotenziale.
Im Hauptteil widmet sich No secrets! zeitgenössischen Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Video, Malerei, Plakat und Installation, mit Schwerpunkt auf der fotografischen und plakativen Umsetzung. Die Künstlerinnen und Künstler – wie Peter Neusser, Florian Freier, Max Eicke, Sebastian Arlt, Timm Ulrichs, Philipp Messner, Gretta Louw, Jens Massmann oder Jens Klein – nutzen hierbei verschiedenste Herangehensweisen und Blickwinkel, um „die heutigen Praktiken der Überwachung zu torpedieren, zu reflektieren oder zumindest sichtbar zu machen“. Ergänzend zum Ausstellungsthema soll die freiwillige Selbstüberwachung via Internet, Smartphone und Social Media thematisiert werden.
Die Ausstellung präsentiert sich klar strukturiert, mit einer guten Mischung aus historischer Dokumentation, staatlicher, privater Raumerfassung und Personenkontrolle, kombiniert mit künstlerischer Neuinterpretation des Gegenstands. In sechs Räumlichkeiten bearbeiten die Kunstschaffenden alte wie neue Überwachungssysteme sowie verdächtige, beobachtete und kontrollierte Räume, Landschaften und Personen. Zudem setzen sie sich mit dem Wechselspiel aus Schutz, Verlust und Neukonstruktion der Identität aufgrund von Kontrolle und Überwachung auseinander. Die Ausstellungsstücke wurden in klare Themenbereiche wie ‚Orte der Überwachung‘ gebündelt und auf genügend Wirkraum ausgestellt Die Besucherin bzw. der Besucher erhält dadurch eine jeweils gut dosierte Informationsmenge, die bleibende Eindrücke hinterlässt und zum Nachdenken anregt. Trotz der anfangs überschaubar wirkenden Größe lädt No Secrets! durch kleine Enthüllungen und versteckte Funde zu neuen Entdeckungen ein, so dass auch ein längerer Aufenthalt nicht langweilig wird.
Für jede und jeden ist etwas dabei: Älteren Besucherinnen und Besuchern wird die RAF-Problematik wieder in Erinnerung gerufen. Jüngere werden durch Snowden-, Trump- und Cloud-Darstellungen zur kritischen Reflexion ihrer Lieblings-Datenspeichersysteme, ihres Nachrichtenkonsums in Filterbubbles, aber auch zur Hinterfragung der Verfolgung von Whistleblowern und Vigilanten angeregt. Sogar durchschnittliche, ‚Vater Staat‘ vertrauende Bürgerinnen und Bürger werden durch kontrollartig angeordnete Fotoserien von Briefkasten-Gängerinnen und -gängern wachgerüttelt. Die zeitgeschichtlich Interessierten kommen am stärksten auf ihre Kosten: Neben Miniaturkameras, versteckt im Herrenanzug, historischen Filmen zur Zeit der Berliner Mauer oder Plakaten zur Volkszählung finden sich auch Dokumentationen früherer und heutiger Überwachungsorte.
Die politische Brisanz und die ironisch bis zynische Bearbeitung der Überwachungs- und Kontrollthematik durchziehen die gesamte Ausstellung wie ein aufklärerischer roter Faden. Außenseitercharakter hat dagegen die künstlerische Auseinandersetzung mit den auf Datensammelalgorithmen basierenden Marktplätzen von unter anderem Facebook, YouTube oder Instagram. Auch von Apps zur Selbstkontrolle und deren Folgen für die eigene Identitätsausbildung oder -verformung ist leider kaum die Rede. No secrets! ist insgesamt eine sehenswerte Ausstellung, die sich kennzeichnet durch ihre zeitgeschichtlich vielfältige Zusammenstellung, welche eine Vielzahl von Sinnen anspricht und damit den Zugang zur Thematik für Klein und Groß ebnet. Trotz der Unterpräsenz von wirtschaftlichen wie neueren technischen Entwicklungen überzeugt die Ausstellung mit ihrer Einladung zum intergenerationalen Wissens- und Erfahrungsaustausch, mit hohem Gewicht auf der Reflexionsebene.
No secrets! wurde kuratiert von Rudolf Scheutle und in einem Projekt der ERES-Stiftung und dem Münchener Stadtmuseum realisiert. Die Ausstellung kann noch bis zum 16. Juli 2017 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr im Münchner Stadtmuseum besucht werden.
Tillmann P. Gangloff: Mittagessen mit Zombies
Es ist still geworden um den Jugendmedienschutz. Selbst die Verabschiedung eines neuen Staatsvertrags im vergangenen Herbst hat keine größeren medialen Wellen geschlagen. Allein die Landesmedienanstalten melden sich hin und wieder zu Wort. Jüngster Stein des Anstoßes sind die im Tagesprogramm der privaten Fernsehsender ausgestrahlten Hinweise auf Sendungen nach 22 Uhr, die angeblich nicht für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Diese Trailer sind laut Kommission für Jugendmedienschutz ( KJM) teilweise „grenzwertig gestaltet“; das sei zumindest das Ergebnis einer Untersuchung, bei der die Jugendschützerinnen und -schützer 3.250 Trailer von 14 Sendern gesichtet hätten. Bei vielen sei ein „Anfangsverdacht auf eine Entwicklungsbeeinträchtigung“ festgestellt worden, teilt eine KJM Sprecherin mit. Details will sie jedoch nicht verraten, weder hinsichtlich konkreter Beispiele noch der genauen Anzahl der Verdachtsmomente. Ins gleiche Horn stößt der Medienrat der Stuttgarter Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg ( LFK). Das Gremium findet es bedenklich, dass überhaupt tagsüber mit bewegten Bildern auf Sendungen hingewiesen werden darf, „die aus Sicht des Jugendschutzes problematische Inhalte aufweisen“.
Als theoretisches Beispiel wird auf Nachfrage die bei RTL II gezeigte Zombie-Serie The Walking Dead genannt. Die entsprechenden Trailer entpuppen sich zwar als denkbar harmlos, zumal sie gar keine bewegten Bilder enthalten, aber es geht den Jugendschützerinnen und -schützern ohnehin ums Prinzip: Ein Trailer wecke bei jungen Zuschauerinnen und Zuschauern womöglich ein Bedürfnis, das vorher gar nicht da gewesen sei. Da Programmangebote mit einer Sendezeitbeschränkung ab 16 oder 18 Jahren rund um die Uhr in der Mediathek der Privatsender zur Verfügung stünden, könnten Kinder oder Jugendliche sie dort jederzeit aufrufen. Hintergrund der Diskussion sind zwei Änderungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Die eine betrifft die Programmtrailer. Die Landesmedienanstalten haben den entsprechenden Paragrafen früher so ausgelegt, als dürften Filme mit Sendezeitbeschränkung ab 22 Uhr auch generell erst ab 22 Uhr beworben werden.
Man hat sich dann mit den Sendern auf den Kompromiss geeinigt, dass die tagsüber ausgestrahlten Trailer für solche Sendungen keine bewegten Bilder enthalten dürfen. Im Kino wird das allerdings anders gehandhabt, hier dürfen selbst Filme mit einer Freigabe ab 18 Jahren theoretisch im Vorprogramm eines Kinderfilms beworben werden; allerdings werden die Trailer von der Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft ( FSK) geprüft. Die Sender forderten die gleichen Bedingungen für das Fernsehen, zumal jeder Trailer im Internet zur Verfügung stehe. Daniela Hansjosten, Leiterin Standards & Practices der Mediengruppe RTL, versichert, man sei sich der besonderen jugendschützerischen Verantwortung in diesem Bereich bewusst. Die Mediengruppe RTL habe schon seit einigen Jahren ein funktionierendes internes System der Trailer-Abnahme etabliert: „Alle Trailer durchlaufen einen engmaschigen Abnahmeprozess, in dessen Verlauf jeder jugendschutzrelevante Trailer vom Jugendschutzbeauftragten gesichtet, eingestuft und für die jeweilige Sendezeit freigegeben wird.“ Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), räumt dennoch ein, die Sender müssten noch lernen, mit diesem Instrument umzugehen. Sinnvoller als den Vorstoß der LFK hätte er es jedoch gefunden, eine gemeinsame Tagung mit der FSF, den Jugendschutzbeauftragten der Sender und Vertreterinnen und Vertretern der Programmdirektion zu veranstalten, und in diesem Rahmen über exemplarische Fälle zu diskutieren.
Die für diese Debatte maßgebliche zweite Änderung im neuen Staatsvertrag betrifft den technischen Jugendschutz: Während in den Bereichen Kino und DVD sämtliche Filme der FSK vorgelegt werden müssen, damit sie eine Jugendfreigabe erhalten, können Internetanbieter die entsprechende Kennzeichnung selbst vornehmen. Der Gesetzgeber erwartet von den Eltern, dass sie auf ihren Computern Jugendschutzprogramme wie etwa JusProg installieren, die automatisch alles herausfiltern, was nicht den elterlichen Parametern entspricht. In der Theorie klingt das gut. In der Praxis, glaubt von Gottberg, kenne kaum jemand diese Programme; er schätzt, dass allenfalls ein bis zwei Prozent der Eltern JusProg tatsächlich installiert hätten. Davon abgesehen kritisiert der FSF-Chef das „etwas veraltete Bild von Kindern und Jugendlichen“, das man bei den Landesmediananstalten habe: „Dort geht man offenbar davon aus, dass ein Kind im Fernsehen den Trailer zu einer Serie wie ‚Walking Dead’ sieht und umgehend zum Tablet greift, um die Mediathek von RTL II aufzurufen. In Wirklichkeit brauchen die Kinder keinen Trailer, um auf solche Angebote aufmerksam zu werden, so etwas erledigen ihre sozialen Netzwerke viel reibungsloser. Mit der gleichen Argumentation könnte man auch Hinweise in den Programmzeitschriften verbieten.“
Tillmann P. Gangloff ist Journalist und Medienkritiker.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Markus Achatz/Michael Bloech: Auf der Suche nach einem Platz
Mehr als 400 Filme liefen dieses Jahr auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Allein in der Sektion GENERATION für Kinder (Kplus) und Jugendliche (14plus) waren es 66 Filme aus 43 Nationen. In der 40. Ausgabe von GENERATION wurden 2017 mehr Dokumentarfilme ins Programm aufgenommen, was auch auf die anderen Berlinale-Sektionen zutraf. Ein Indiz dafür, dass viele Filmemacherinnen und -macher versuchen, näher an der Realität anzudocken. Die Berlinale versteht sich seit vielen Jahren auch als ein Anker für politische und gesellschaftliche Themen im Kino. Dokumentarischen Formen kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu, aber auch Fiktionales vermag den Blick auf gesellschaftliche und politische Prozesse zu schärfen und den Diskurs darüber zu befördern. Sowohl in den Filmen und ihren Storys als auch in den Kommentaren und Statements im Rahmen der Berlinale zeigte sich dieses Jahr politische Verunsicherung. Große Utopien sind gescheitert, die globalisierte Welt ist entzaubert. Festivaldirektor Dieter Kosslick bemerkte dazu, dass viele Filmkünstlerinnen und -künstler „versuchen, die verunsichernde Gegenwart vor dem Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Vielleicht sind es ja die Geschichten von starken Individuen und die Ideen herausragender Künstlerinnen und Künstler, die an die Stelle der großen Utopien treten.“
Leben im und nach dem Krieg
Im Dokumentarfilm Shkola nomer 3 (School Number 3) aus der Ukraine begegnen wir gleich 13 bemerkenswerten Persönlichkeiten: Es sind Jugendliche aus Mykolaivka (Slowjansk/Donbas), einer im Konflikt mit Russland 2014 zerstörten und teils wieder aufgebauten Stadt. Die Schülerinnen und Schüler berichten vor der Kamera jeweils eine persönliche Erinnerung aus ihrem jungen Leben. Mit Mut und deutlicher Emotion erzählen sie von ihren Gefühlen, von Erlebnissen, von Ängsten und Hoffnungen. Die Kamera bleibt während des Erzählens meist statisch. In Zwischenszenen sehen wir die Jugendlichen von einer bewegten Kamera begleitet, wie sie beispielsweise auf einer Anhöhe über der Stadt vor den Schornsteinen einer großen Fabrik herumstreunen oder mit dem geliebten Hund spielen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Jugendlichen sind geprägt von den Erlebnissen aus einem aktuellen Krieg. 13 Leben in einem Zwischenraum. Nicht mehr Krieg und auch kein Frieden, keine Resignation und keine reine Hoffnung, aber auf der Suche nach einem Platz in der Welt. Entstanden als Fortsetzung eines Theaterprojekts und erweitert mit den ästhetischen Mitteln eines Films erhielt Shkola nomer 3 den Großen Preis der Internationalen Jury in der Sektion GENERATION 14plus für den besten Film. Bemerkenswert am Gesamtkonzept ist vor allem die Intensität, mit der das Regie- Team einen Raum des Vertrauens zwischen der Kamerafrau und den jugendlichen Protagonistinnen und Protagonisten erzeugt hat. Zitat der Preisjury: „Dieser Film lässt dem Narrativ des Krieges keine Überhand gegenüber der emotionalen Welt seiner jungen Charaktere gewinnen, die uns erlauben, Zugang zu den innigsten und intimsten Details ihres Lebens zu erhalten.“
Vom Tod lernen
Innig und intensiv sind auch die Annäherungen an die Protagonistinnen und Protagonisten im ungewöhnlichen Dokumentarfilm Almost Heaven der britischen Regisseurin Carol Salter. Sie begleitet die 17-jährige Ying Ling bei ihrer Ausbildung zur Bestatterin in einem der größten Bestattungsunternehmen Chinas. Die Lehrlinge arbeiten in 24-Stunden-Schichten und kommen häufig aus weit entfernten Orten. Für Ying Ling ist der Umgang mit Toten anfangs schwierig und mit den anderen Lehrlingen gemeinsam übt sie zunächst an Puppen oder untereinander, bevor die Reinigungen an den Verstorbenen durchgeführt werden. Nach vorgebebenen Ritualen werden die Toten für das Begräbnis vorbereitet. Was Ying Ling erlebt, reicht von der Angst vor den Geistern der Toten in den kalten Gängen des Krematoriums bis zu den kindlichen Scherzen mit ihrem Teamkollegen. Zwischen ihr und dem gleichaltrigen Kollegen bahnt sich eine behutsame Freundschaft an. Carol Salter hat sich auf die Portraits besonderer Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen und auf ungewöhnliche Geschichten spezialisiert und nähert sich auch diesem Thema mit viel Sensibilität. Ein interessanter Einblick in eine uns sonst eher verborgene Welt.
Väter und Söhne auf Reisen
Jorge fährt mit seinem achtjährigen Sohn Valentino auf das Land. Primero enero (Anfang Januar) handelt im argentinischen Calamuchita-Tal, wo die Familie ein Ferienhaus besitzt, das aufgrund der Trennung der Eltern verkauft werden soll. In alter Tradition soll Valentino als Heranwachsender dort einige Aufgaben erfüllen: auf einen Berg wandern, einen Baum fällen, Fischen gehen oder im eiskalten Fluss tauchen. Der Junge beginnt zunehmend, den Sinn der Riten anzuzweifeln. Der Vater zeigt dafür aber wenig Verständnis. Das Spielfilmdebüt des 29-jährigen Regisseurs Darío Mascambroni, der in der Sektion GENERATION Kplus gezeigt wurde, ist ein schweigsamer Film und eine zähe Angelegenheit. Über weite Strecken bleibt das Zusammenspiel der beiden Figuren uninspiriert. Die Inszenierung ist hölzern und die Zuschauenden werden auf Distanz gehalten. In seltenen Augenblicken kommt die schöne Landschaft zur Geltung, wobei die Protagonistinnen und Protagonisten eher teilnahmslos bleiben. Bereits in der endlos wirkenden Eingangsszene blickt die Kamera in einer dialogfreien Autofahrt entweder von hinten starr auf Vater und Sohn, die durch das Gegenlicht der Windschutzscheibe unkenntlich bleiben, oder durch ein trübes Heckfenster, das die Umgebung kaum sichtbar macht. Das junge Publikum im Kino verhält sich mit Ausnahme einzelner Unmutsäußerungen überraschend ruhig, bis zu einer Szene, in der Valentino wohl erfahren muss, wie ein Lamm geschlachtet wird. Die Kamera rückt so nahe ans Geschehen, wie während der gesamten Zeit zuvor nicht, und zeigt das Abtrennen des Lammkopfes mit einem großen Messer. Wie die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer im Kino bleibt auch der kleine Valentino in der Geschichte nicht unbeeindruckt und verweigert am Abend den gegrillten Braten. Im Publikumsgespräch räumt der auf die Szene angesprochene Regisseur ein, dass das Lamm wirklich getötet wurde, und hinterlässt dennoch viele Fragen. Ein merkwürdiger Höhepunkt in einem Film, der das kindliche Publikum ‚ab 9 Jahren‘ irritiert und den erwachsenen Kinderfilmrezensenten ärgert.
Deutlich mehr Nähe zu seinen Hauptfiguren schafft Thomas Arslan im deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Helle Nächte. Auch hier wird die Reise eines Vaters mit seinem Sohn in die abgeschiedene Natur thematisiert: Der in Berlin lebende Österreicher Michael fährt zur Beerdigung seines Vaters nach Norwegen. Er nimmt seinen 15-jährigen Sohn Luis mit, zu dem er seit vielen Jahren kaum Kontakt hatte. So wie Michael mit seinem Vater jahrelang nicht gesprochen hatte, sind sich auch er und Luis fremd. Für Michael wird die Reise zu einem Versuch, Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten und an Luis wieder enger heranzurücken. Für Luis ist das Reiseziel Nordnorwegen zwar interessant, er weiß aber selbst nicht, was das alles überhaupt soll. Dem Vater gegenüber bleibt er reserviert bis ablehnend. Helle Nächte ist ebenfalls ausgesprochen langsam, beinahe träge. Nichtsdestotrotz ist Arslan ein emotional intensives Zusammenspiel von Vater und Sohn gelungen, das mit einigen dramaturgischen Finessen aufwartet. Die weite und karge Landschaft in der nordnorwegischen Provinz Troms trägt wesentlich zur Geschichte bei. Es gibt längere Passagen, die im Auto spielen. Für Vater und Sohn einerseits ein Schutzraum vor Wetter und Naturgewalt, andererseits ein Gefängnis, in dem sie zusammen eingepfercht sind – gleichsam in der Begrenzung des eigenen emotionalen Raums. Georg Friedrich hat den Silbernen Bären als bester Darsteller erhalten. Wenngleich sich die Art, wie er die Rolle des Vaters spielt, nicht so sehr von seinen anderen Auftritten unterscheidet, wirkt Friedrichs larmoyante, teils enervierende Sprechweise in diesem Film authentisch und macht das Unverständnis und die steigenden Aggressionen des Sohnes umso nachvollziehbarer. Tristan Göbel meistert dies in seiner Rolle als Luis ganz hervorragend und verleiht der Aura des schweigsamen, zuweilen geheimnisvollen Jungen, die er in Winnetous Sohn (2015) oder in den Rico und Oskar-Filmen zeigte, eine neue Facette. Im Verlauf der Geschichte tauchen die beiden Protagonisten immer tiefer in die Berg- und Nebelwelt ein. Das Tempo der Reise wird abermals gedrosselt und Worte werden gänzlich überflüssig. Am Ende steht eine große Offenheit für die Suche nach einem Platz in der Welt und vielleicht sogar für neue Utopien.
Das ‚schwache Geschlecht‘ auf der Berlinale ganz stark!
Generell glänzen im filmischen Mainstream primär männliche Helden, die ihre Probleme auch oft durch maskuline Autorität lösen. Daher scheint es legitim, Filme einmal genauer zu betrachten, die Heldinnen in den Mittelpunkt rücken.
Ein Mädchen im Kampf mit ihrer Krankheit
In der Sektion Kplus lief die turbulente deutschitalienische Produktion Amelie rennt von Tobias Wiemann, die den Kampf eines 13-jährigen Berliner Mädchens gegen ihre Asthmaerkrankung schildert. Eindringlich, aber ohne Betroffenheitsmelancholie, legt der humorvolle Film seinen Blick auf das Problem von Heranwachsenden, die vermeintlich keine eigenen Schwächen zeigen dürfen. Wie eine Drogenabhängige hängt das Mädchen an ihrem Asthmaspray, verheimlicht die ständige Benutzung und lehnt zunächst die für sie so dringend notwendige Behandlung in einer Südtiroler Klinik ab. All dies zeigt ihre innere Wut auf eine Krankheit, die ihr im wahrsten Sinne des Wortes den Atem abschnürt. Amelie isoliert sich immer mehr und verweigert alle Maßnahmen des Klinikteams. Schließlich reißt sie aus und muss dabei schmerzhaft lernen, sich ihren Dämonen zu stellen. So wird deutlich, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen und aktiv der Krankheit entgegen zu treten. Damit zeigt der sympathische Kinderfilm, dass es auch Chancen gibt, über sich selber hinaus zu wachsen.
Indigene Mystik
Wesentlich härter geht es in dem brasilianischen Beitrag Não devore meu coração! (Don‘t Swallow My Heart, Alligator Girl!) in der Sektion 14plus des Regisseurs Felipe Bragança zu. An der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay toben seit Jahrhunderten Konflikte zwischen der indigenen Landbevölkerung Paraguays und den weißen Farmern Brasiliens. Immer wieder treiben im Grenzfluss Apa Leichen und in mörderischen Straßenrennen bekämpfen sich Motorradgangs. Zwischen diesem Chaos müssen Kinder aus beiden Ländern ihren Alltag meistern und ihre kulturelle Identität sichern. Zunächst steht der kleine Junge Joca im Mittelpunkt, doch die wahre Heldin der Geschichte ist das starke Indio Mädchen Basano, das tätowierte ‚Alligator Girl‘, in das sich der Junge unsterblich verliebt hat. Das Alligator Girl hat durch ihre indigene Herkunft Macht, all diese Konflikte für einen Augenblick zu mildern. Doch der Preis dafür ist hoch, denn sie soll dafür die Liebe von Joca zu ihr opfern. Auf der Brücke über dem Apa kommt es schließlich zu einem dramatischen Showdown. Mittels symbolisch aufgeheizten Bildern wird eine ungeheure Spannung erzeugt, in der das Alligator Girl souverän ihre Entscheidung trifft. Zwar verfolgt der Film zu viele Handlungsstränge, präsentiert aber dennoch eine magische Persönlichkeit, die Zuschauende noch lange nach dem Kinobesuch beschäftigen wird.
Im Mumblecore-Märchen prügelnd durch Berlin
Noch drastischer erweist sich der deutsche Panorama- Beitrag Tiger Girl von Jakob Lass. In grellen Bildern wird die Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Frauen, der strebsamen Vanilla und der Nonkonformistin Tiger Girl geschildert. Schon in einer der ersten Szenen wird deutlich, dass hier ein etwas unübliches Frauenbild vorgestellt wird. Nachts im einsamen U-Bahnhof wird Vanilla von drei Halbstarken sexuell belästigt. Tiger Girl kommt hinzu, entwendet den Jungs den Baseballschläger und verdrischt sie: Der Beginn einer innigen Freundschaft zwischen den Frauen, die dann prügelnd ihren Alltag meistern. Was so alptraumhaft beginnt, wird leider nicht konsequent im Film durchgehalten. Immer mehr schleicht sich düstere Realität in die fiktionale Handlung. Improvisierte Dialoge, originelle Laiendarstellerinnen und -darsteller sowie eine Handkamera, die stets dicht am Geschehen ist, gaukeln Realitätsnähe vor. Diese Art des Filmemachens, quasi als Indie Subgenre, wird oft als Mumblecore bezeichnet und rückt dadurch den handelnden Personen ausgesprochen nah. Dennoch hält sich der Film nicht damit auf, psychologische Hintergründe für Handlungsmuster zu bemühen. Die beiden Frauen agieren aus sich heraus, das Ganze bleibt somit vornehmlich eine Situationsbeschreibung. Insgesamt büßt der Film damit leider ein wenig von seiner anarchistischen Haltung ein. Dennoch ist es interessant, wie traditionelle Rollenbilder systematisch im wahrsten Sinne gebrochen werden und Frauen sich in die männliche Domäne körperlicher Hoheit drängen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Markus Achatz,
Michael Bloech
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Michael Bloech: Der Kinderfilm auf der Berlinale feiert Geburtstag!
Immer jünger: Die späten 1970er-Jahre!
Wenn das kein Grund zur Freude ist: Genau vor 40 Jahren wurde der Grundstein für eine neue Sektion auf der Berlinale gelegt. Bislang richteten sich die Internationalen Filmfestspiele Berlin ausschließlich an ein erwachsenes Publikum, doch 1977 entwickelte sich die Berlinale unter dem damalig neuen Leiter Wolf Donner weiter in Richtung ‚junges Publikum‘. Außerdem setzte er starke inhaltliche Akzente in Richtung ‚junger deutscher Film‘. Schließlich gelang es Donner im Februar 1978, ein eigenes Kinderfilmfest in die Berlinale – unter dem schlichten Titel Kino für Leute ab sechs – zu integrieren. Was dann begann, war ein allmählicher Wandel im Kinderfilm-Programm, ausgehend von hauptsächlich deutschen Produktionen und Filmen skandinavischer und osteuropäischer Länder, generell hin zu Produktionen aus aller Welt. Zwar wurden zunächst keine Kinderfilme mit Preisen bedacht, dennoch konnte 1985 der Kinderfilmklassiker Ronja Räubertochter überraschend einen Silbernen Bären für eine besondere künstlerische Leistung erringen. Allerdings lief diese Produktion im Wettbewerbsprogramm und nicht auf dem Kinderfilmfest. Vielleicht führte diese Preisvergabe, als generelle Anerkennung für einen Kinderfilm, jedoch dazu, schon im Jahr darauf eine eigene Jury – bestehend aus Berliner Kindern – einzurichten. Bald darauf erweiterte eine international zusammengesetzte Jury aus dem professionellen Filmbereich die Preisvergabe der Kinderjury.
Der Kinderfilm wird erwachsen!
Allmählich veränderten sich aber nicht nur die Zusammensetzung der im Programm vertretenen Länder und die offizielle Anerkennung für den Kinderfilm an sich, sondern das Altersspektrum der Protagonistinnen und Protagonisten in den Filmen, und damit auch das Alter des anvisierten Publikums. Immer mehr Produktionen für ältere Jugendliche rückten in den Fokus, sodass unter dem damalig neuen und bis heute amtierenden Leiter Dieter Kosslick eine völlig eigene Sektion mit dem Titel 14plus ins Leben gerufen wurde. Diese Sektion präsentiert Filme, die sich mit der Lebenswelt von Heranwachsenden ab 14 Jahren beschäftigen. Die letzte große Veränderung wurde 2007 durch die Zusammenlegung der Kinderfilme – unter dem neuen Titel Kplus – und der Jugendfilme – 14plus – in die gemeinsame Sektion GENERATION eingeleitet. Was damit auf den ersten Blick als Umbenennung erscheinen mag, deutet jedoch eine grundsätzliche Richtungsänderung des gesamten Kinder- und Jugendfilmteils der Berlinale an. Mit dem generellen Anspruch der gesamten Berlinale, ein vornehmlich politisches Festival zu sein, kommt ein weiterer programmbildender Faktor hinzu. Daher geht es bei 14plus vornehmlich um Coming-of-Age-Produktionen, die eingebettet sind in sozioökonomische und politische Strukturen. Dieser Umstand erweist sich damit für das gesamte Berlinale-Programm als besonders bereichernd.
Filme über Kinder? Oder Filme für Kinder?
Bei Kplus führt dies teilweise zu Verwerfungen, denn jetzt steht primär nicht mehr das junge Publikum an sich im Vordergrund. Vielmehr werden überwiegend Filme über Kinder in bedrückenden, existenziellen Schicksalslagen präsentiert. Daher verwundert es nicht, dass dieses Jahr mit Estiu 1993 zwar ein wirklich wunderbarer Film über ein berührendes Kinderschicksal gezeigt und vielfach ausgezeichnet wurde, der es aber, wegen seiner unendlich langsamen Erzählweise und an Höhepunkten armen Dramaturgie, sehr schwer haben dürfte, ein begeistertes Kinder- Publikum zu finden. Kurz: Diese bewusste und gewollte Schwerpunktsetzung macht deutlich, warum viele Kinder nach dem Berlinale-Besuch das Kino oft etwas irritiert verlassen. Naturgemäß wirkt sich diese Diskrepanz, zwischen Filmen für eine Zielgruppe und Filmen über eine Zielgruppe, besonders bei Kinderfilmen gravierend aus. Bei Jugendproduktionen schmilzt diese Kluft natürlich komplett. So gesehen wäre ein Abtrennen der genuinen Kinderfilme mit einer etwas stärkeren Ausrichtung hin zum Kino für Leute ab sechs und ein eigenständiges Coming-of-Age-Programm unter dem Titel Generation konsequent und durchaus eine interessante Option. Und bis zum 50. Geburtstag ist ja noch genügend Zeit für eine kleine Neujustierung. Ach ja: Das Kino für Leute ab sechs hätte es verdient!
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Michael Bloech
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Melanie Theissler: Und welches Tier bist du?
Brandis, Katja (2016). Woodwalkers – Carags Verwandlung. Hörbuch, Arenaaudio. 309 Min., 16,99 €.
Wie wäre es, wenn sich ein Mensch mittels seiner Gedanken plötzlich in ein Tier verwandeln könnte? Wie würde dieses Leben als Gestaltwandlerin bzw. -wandler wohl aussehen? Der Junge Carag im Hörspiel Woodwalkers – Carags Verwandlung besitzt diese Fähigkeit schon seit seiner Geburt. Doch Carag und seine Familie leben nicht als Menschen in Häusern, sondern in ihrer Tiergestalt als Pumas im Wald in der Region rund um den Grand Canyon und die Rocky Mountains. Menschliche Sitten und Gebräuche sind ihm größtenteils fremd. Als seine Mutter zusammen mit ihm und seiner Schwester Mia zum ersten Mal in Form der Menschengestalt einen Ausflug in die Welt der Menschen macht, ist Carag fasziniert von dieser Welt und deren Gestalt. Und so beschließt Carag im Alter von elf Jahren, seine Familie zu verlassen, und sich in die Welt der Menschen zu begeben, um dort sein Leben als Mensch weiterzuführen. Mittels eines raffiniert ausgearbeiteten Plans schafft er es, unter dem Decknamen Jay in eine Pflegefamilie aufgenommen zu werden. Seine Pflegefamilie glaubt, Carag hätte sein Gedächtnis verloren und bringt ihm daher alles Notwendige bei, um in der Welt wieder klar zu kommen. Carag lebt dort zwei Jahre, besucht die Junior High und hat trotz der Bemühungen seiner Pflegefamilie Schwierigkeiten, sich vollständig einzuleben. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler mobben ihn, und er hat bis jetzt keine einzige Freundin und keinen einzigen Freund gefunden. Auch mit seinen Pflege-Geschwistern, besonders mit seinem Bruder, gibt es andauernd Streit. Mittlerweile belastet Carag sein neues Leben sehr, und er beginnt zu zweifeln, ob es eine gute Idee war, seine alte Familie hinter sich zu lassen und zu den Menschen zu ziehen. Als er sich eines Tages auf den Weg zur Schule macht, trifft er Lissa Clearwater, die ebenfalls eine Gestaltwandlerin – ein sogenannter Woodwalker – war. Sie erklärt ihm, dass sie ihn bereits seit geraumer Zeit beobachten lässt, dass Woodwalker andere Woodwalker wahrnehmen könnten, und dass sie ein Internat für Woodwalker gegründet habe: die Clearwater High. Sie lädt Carag ein, von nun an diese Schule zu besuchen, da ihm dort neben gewöhnlichen Fächern auch alles Notwendige über Gestaltwandlerinnen und -wandler beigebracht werden würde. Carag ist mit der Situation, dass es noch andere wie ihn gibt, zunächst überfordert und überlegt, wie er seiner Pflegefamilie erklären sollte, dass er ab sofort eine Schule für Gestaltwandlerinnen und -wandler besuchen möchte. In den darauffolgenden Tagen erhalten seine Pflegefamilie und er Besuch von Andrew Miller, einem sehr vermögenden, berühmten und einflussreichen Mann aus der Gegend, der behauptet, Carag fördern zu wollen. Tatsächlich spürt Carag, dass es sich hierbei um einen Gestaltwandler handelt, der ihm aber nicht wohlgesonnen ist. Trotz Millings zwielichtigem Erscheinen – und zu Carags völliger Überraschung – empfiehlt er Carags Familie die Clearwater High sehr. Seine Familie, die sich viel aus Millings Meinung macht, gibt Carag schlussendlich die Erlaubnis, die Clearwater High zu besuchen. Doch: Wie wird es ihm auf der neuen Schule unter seinesgleichen wirklich ergehen? Und welche Rolle spielt Andrew Milling noch für Carag?
Das Hörspiel Woodwalkers – Carags Verwandlung nach dem gleichnamigen Roman von Katja Brandis ist der erste Teil der Woodwalkers-Reihe. Er wird sehr emotional, einfühlsam und mit einer hervorragenden Intonation von Timo Weisschnur gelesen. Er präsentiert sich mit einer sehr warmen, fast noch jugendlichen energischen Stimme, die die Geschichte noch lebendiger macht. Obwohl die Zuhörenden gleich zu Beginn der Erzählung mit vielen verschiedenen Personen konfrontiert werden, lassen sie sich dank Weisschnur, der jeder Person eine auf deren Persönlichkeit zugeschnittene Stimme verleiht, sehr gut voneinander unterscheiden. Die Geschichte wird in einem ansprechenden Tempo aus der Ich-Perspektive erzählt. Es wird eine im Jugendstil gehaltene Sprache mit altersgemäßen Sprachelementen (z. B. keine komplizierten Sätze) verwendet sowie Wörter, wie sie eine heranwachsende Person ebenfalls im Alltag nutzen würde. Beschreibungen von Örtlichkeiten stehen weniger im Fokus, sondern eher das Leben des jungen Carag. Umschreibungen von zwischenmenschlichen Aktionen, wie Konflikte oder die erste große Liebe, werden realitätsnah und gut verständlich dargestellt. Der Hauptprotagonist Carag verkörpert einen klassischen Außenseiter hinsichtlich seines Charakters und Aussehens, der von der gewöhnlichen Gesellschaft gemobbt wird und Schwierigkeiten hat, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Dafür zeigt er aber eine ungewöhnlich hohe mentale Reife für sein Alter. Er erkennt stets, dass die Diskriminierung durch die menschliche Gesellschaft falsch ist, und zweifelt zu keinem Zeitpunkt an seinem Aussehen und Charakter. Stattdessen zeichnen Gerechtigkeit, Besonnenheit, geistige Stärke und Empathie seine Persönlichkeit aus. Carag stellt eine Identifikations- und Vorbildfigur für alle Jugendlichen dar, die selbst Erfahrungen mit Mobbing machen oder gemacht haben.Am Beispiel der Woodwalker lassen sich gesellschaftliche Schwierigkeiten von Randgruppen sowie das allgemeine Zusammenleben dieser gut darstellen. Das Hörbuch befasst sich mit realen Problemen eines 13-jährigen Jungen, der auf dem Weg ist, erwachsenen zu werden: Abschied und Neuanfang wie auch Mobbing aufgrund eines veränderten Aussehens und Verhaltens sowie die ständige Suche nach einem Anschluss an eine Gruppe sind allesamt sehr alterstypisch. Hier liegt auch der (medien-)pädagogische Mehrwert: Jugendlichen werden, neben der Ermunterung zum Ausleben ihrer Fantasie, wertvolle moralische und ethische Werte vermittelt. So stehen in Carags Welt Loyalität, Freundschaft und Gerechtigkeit immer an erster Stelle – und auch mit Diskriminierung lehrt die Geschichte einen sensiblen Umgang.
Die Erzählung wird auf vier CDs erzählt und hat eine Gesamtlaufzeit von 309 Minuten. Woodwalkers eignet sich für Kinder zwischen zehn und 13 Jahren wie auch für alle (medien-)pädagogischen Fachkräfte in der Praxis, die Kindern wichtige moralischen Werte auf fantasiefördernde Weise vermitteln möchten.
Melanie Theissler ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung. Sie studiert derzeit angewandte Psychologie an der Hochschule Fresenius.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Melanie Theissler
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Melanie Theissler: Wie eine unsichtbare Freundin tödlich sein kann
Interactive Media Foundation gGmbH (2016).
Ninette. www.ninette.berlin, interaktiver Comic, kostenfrei.
Kalorien zählen, Sport treiben, weniger oder gesünder Essen mit dem Ziel, endlich abzunehmen. All diese Gedanken um Gewicht und Gesundheit kennen viele von uns. Für manche Heranwachsenden können diese Gedanken jedoch so präsent werden, dass sie an nichts anderes mehr denken können und im schlimmsten Fall an einer Essstörung erkranken. Janette ist wohl eine von ihnen. Eigentlich ist sie, wie auch ihre beiden Freundinnen Lisa und Songül, einfach nur mitten in der Pubertät. Alle drei Mädchen beschäftigt ihre körperliche Veränderung, mit der jede von ihnen anders umzugehen scheint. Während bei Lisa die Pubertät gerade erst anfängt, gibt Songül mit ihrer Weiblichkeit regelrecht an. Beide Mädchen geben sich im Umgang mit sich und ihrem Umfeld selbstbewusst. Einzig Janette scheint mit ihrem wachsenden Busen und den weiblicheren Hüften eher überfordert zu sein. Interessierte Blicke oder kurze Berührungen der männlichen Gleichaltrigen irritieren sie, und beim Sport stört sie ihr Busen. Sie merkt, dass sich etwas verändert und ihre Freundinnen und Freunde damit scheinbar leichter umgehen können als sie. Ihrer Familie fällt Janettes Verunsicherung wegen ihres Körpers zunächst gar nicht auf. Im Gegenteil, sie necken sie diesbezüglich und fordern sie auf, mehr zu essen. Ihr Vater behauptet sogar, ihre Speckröllchen zu mögen und ärgert sie, indem er sie bei ihrem Spitznamen Nette ruft; ein Name, den sie nicht leiden kann. Als sie Leon, den neuen Klassenkameraden ihres Bruders, kennenlernt und auch noch Gefühle für ihn entwickelt, ist sie vollkommen verunsichert. Sie ist überzeugt, dass Leon sie aufgrund ihres Körpers nicht mögen kann. Und da beginnt die schon immer sehr disziplinierte Janette nun konsequent abzunehmen. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug ist ein interaktiver Comic, der in elf Folgen das Leben der 14-jährigen Janette zeigt. Dieser steht unter www.ninette.berlin kostenfrei zur Verfügung. Die Interactive Media Fondation gGmbH hat das Projekt – in Kooperation mit Waage e. V. – das Fachzentrum für Essstörungen in Hamburg, mit dem Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen und der Selbsthilfeorganisation ANAD e. V. – entwickelt, um über das Thema Essstörung zu informieren und aufzuklären. Janettes Geschichte wird als interaktive Bildergeschichte erzählt, die Nutzende selbstständig durchklicken können. Die Charaktere sind zwar im Comic-Stil illustriert, die Zeichnungen orientieren sich jedoch stark an realen Körperproportionen. Nutzende können somit Janettes Gewichtsreduktion und körperliche Veränderungen sehr gut anhand der Bilder mitverfolgen. Bis auf Geräusche aus der Umgebung finden keine hörbaren Dialoge statt, selbstverständlich gibt es die gewohnten Sprechblasen. Innerhalb der Geschichte tauchen außerdem immer wieder kleine pinkfarbene interaktive Schaltflächen in Form einer Glühbirne auf, die durch Anklicken weitere Informationen zum aktuellen Geschehen liefern. Dies kann beispielsweise eine kurze Erzählung einer Magersüchtigen sein oder weitere Tipps zum Klinikaufenthalt. Das Lesen der Zusatz informationen ist jedoch nicht maßgeblich für den Verlauf bzw. das Nachvollziehen der Geschichte.
Neben den Comic-Folgen enthält die Webseite noch zwei Rubriken: ‚Mehr erfahren’ und ‚Hilfe erhalten‘. Unter ‚Mehr erfahren‘ sind alle Informationen der interaktiven Glühbirnen chronologisch aufgelistet, so dass sie unabhängig von der Geschichte (nach-)gelesen werden können. Hinter der Rubrik ‚Hilfe erhalten‘ verbirgt sich eine Eingabemaske, mit der sich Betroffene anonym direkt an Beratungsstellen wenden können. Auch enthält sie weitere Kontaktmöglichkeiten und Links zu Beratungsstellen. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug ist liebevoll und realitätsnah illustriert, und modern und einfühlsam in Szene gesetzt. Die gesamte Internetseite, wie auch der Comic selbst, bedient sich freundlicher und heller Farben, wodurch eine offene, jedoch nicht zu kindliche Atmosphäre geschaffen wird. Einerseits werden gewöhnliche Probleme einer weiblichen Jugendlichen dargestellt, die in der Pubertät ist, sich zum ersten Mal in einen Jungen verliebt und immer wieder kleine Streitereien mit den Eltern hat. Anderseits werden den Nutzerinnen und Nutzern auch potenzielle Gefahrenbereiche sowie verzerrte authentische Gedankenmuster, die maßgeblich zur Entwicklung einer Magersucht beitragen können, sehr deutlich aufgezeigt. Letzteres zeigt sich beispielsweise in Form der personifizierten Darstellung der Magersucht, die mit immer stärkerem Wachstum grotesker und skurriler wird und nur von Janette selbst gesehen und gehört werden kann. Weiterhin befasst sich der Comic mit charakteristischen, (psycho-)sozialen Problemen bei Esstörungen, wie wechselseitigen Reaktionen zwischen Freundinnen bzw. Freunden und Janette. Auch werden Heilungsmethoden wie Klinikaufenthalte oder erste Orientierungsgedanken für Betroffene in Richtung einer Genesung bzw. auch für Angehörige von Betroffenen ausführlich erläutert. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug richtet sich damit zum einen in sehr ansprechender Weise an jugendliche Betroffene, gleichzeitig auch an Eltern, Freundinnen und Freunde sowie an Interessierte, die Hilfestellungen suchen, wie sie erste Signale richtig deuten bzw. an welche Adressen sie sich wenden können, welche Gedanken und Gefühle eine magersüchtige Person oftmals hat oder wie dieser am besten geholfen werden kann. Sehr wertvoll dabei ist, dass die Aufbereitung ihnen die Möglichkeit gibt, die Geschwindigkeit der Geschichte selbst zu bestimmen sowie eigenständig zu entscheiden, an welcher Stelle sie tiefergehende Informationen interessieren. Zum anderen ist das äußerst ansprechend aufbereitete Material sehr empfehlenswert für die (medien-)pädagogische Praxis, und eignet sich zum Einsatz sowohl im schulischen wie auch außerschulischen Kontext, um Jugendliche für diese psychische Störung zu sensibilisieren und darüber aufzuklären.
Antje Müller: Lingumi Play
Lingumi Ltd (2016). Lingumi Play. Box mit interaktiven Lernwürfeln, 49,90 €.
Globalisierung und ein beschleunigter interkultureller Austausch haben die uns heute vertraute Normalität geformt und fordern uns mit stetiger hochgradiger Offenheit und Toleranz gegenüber neuen Kulturen. Leben, arbeiten oder studieren findet kaum mehr an einem Ort oder auch in nur einem Land statt – und spätestens im alltäglichen interkulturellen Zusammenleben wird eine Kommunikation auf Augenhöhe erforderlich. Dies gelingt jedoch nur, wenn auf angemessene sprachliche Grundkenntnisse zurückgegriffen werden kann. Immer dringender wird das Bedürfnis, Heranwachsende so früh wie möglich an Fremdsprachen heranzuführen. Hierfür hat Lingumi ein appbasiertes Sprachlernspiel entwickelt, das sich für den ersten Kontakt mit einer fremden Sprache ideal eignet und sich gleichzeitig leicht in den Alltag eines Kindes integrieren lässt. Die selbsterklärende Spieloberfläche verbindet sowohl visuelle als auch auditive und taktile Lernprozesse und fördert auf spielerische Weise den Erwerb von Sprachkompetenz.
Lingumi Play ist ein soziales Spiel, das Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, Erzieherinnen und Erziehern oder Geschwistern und deren Tablet oder Smartphone spielen können, und richtet sich insbesondere an Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren. Das Startset besteht aus einer stabilen Box, vier Schaumstoffwürfeln, einem Fortschrittsposter inklusive Fortschrittssticker und einer Halterung für das mobile Endgerät. Die Würfel sind frei von BPA und Lösungsmitteln, enthalten weder Magnete noch sonstige Kleinteile und können ohne Bedenken in den Mund genommen werden. Vor Spielbeginn wird das Tablet bzw. das Smartphone im Querformat in die Halterung gelegt. Zur Verbindung mit Lingumi Play müssen die Schaumstoffwürfel auf die Schachtel des Startsets direkt vor dem mobilen Endgerät positioniert werden. Die Augmented Reality-Technologie sorgt anschließend dafür, dass die Würfel – mit Hilfe der zuvor installierten App – per Tabletoder Smartphone-Kamera erfasst werden. Der auf der Schachtel positionierte Würfel fungiert im Spiel als Antwortmöglichkeit und kann alternativ zum Touchscreen genutzt werden. Diese taktile Sprachlernmethode eignet sich besonders gut für die Jüngsten der Zielgruppe; für ältere Kinder eignet sich die Variante ohne Würfel via Touchscreen.
Zur Visualisierung des Lernerfolges kann das Fortschrittsposter genutzt werden. Bisher sind zwei Apps kostenlos downloadbar: Play Words und Play Verbs. Beide sind für die Betriebssysteme iOS- und Android verfügbar. Nach dem Starten der App muss die Registrierung eines Elternteils sowie eines Kindes erfolgen. Hierbei müssen sowohl E-Mail-Adresse und Passwort des Elternteils festgelegt und Name, Geschlecht sowie Alter des Kindes angegeben werden. Dies ermöglicht die Speicherung der Spielstände bzw. der absolvierten Lerneinheiten. Das Anlegen mehrerer Profile ist möglich. Am Anfang des Spiels werden vier Charaktere vorgestellt, die farblich zu den Lernwürfeln passen: Peek (roter Würfel), Hush (grüner Würfel), Yum (gelber Würfel) und Boo (blauer Würfel). Zusammen mit dem Elternteil und ohne, dass das Kind den Bildschirm berühren muss, wird innerhalb der physischen Interaktion eine gemeinsame Gestaltung des Lernprozesses gefördert. Weitere Einstellungen sind durch eine Sicherheitsabfrage geschützt und sollten am besten von den Eltern vorgenommen werden.
Eine Lerneinheit dauert zehn bis 15 Minuten. Die Länge der täglichen Einheit entspricht damit der kindlichen Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit, wobei die Schaumstoffwürfel dafür sorgen, dass zwischen der Virtualität und Technik sowie zwischen Realität und Greifbarkeit eine Verbindung hergestellt wird. Das Spiel besteht aus mehreren Unterrichtseinheiten pro Level. Wenn genügend Einheiten absolviert wurden, wird das nächsthöhere Level freigeschaltet. Pro Tag darf maximal eine neue Lerneinheit gespielt werden. So wird verhindert, dass die Spielenden einen zu großen Input erhalten und überfordert sind.Durch Anregungen zum Mitmachen, Interagieren und Nachsprechen werden nicht nur Sinne wie Sehen und Zuhören angesprochen, sondern ebenso das Fühlen. In allen Lerneinheiten spielt das regelmäßige Wiederholen der einzelnen Begriffe eine zentrale Rolle. Durch unterschiedliche Schwierigkeitsstufen und Speichern des Lernfortschritts passt sich jede Lerneinheit ideal an das individuelle Lerntempo des Kindes an. Darüber hinaus wird durch Audioaufnahmen von Muttersprachlerinnen und -sprachlern ein akzentfreies Erlernen der Fremdsprache gewährleistet. B
asierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde eine erprobte Methode entwickelt, die sich adaptiv an den Wissenstand des Kindes anpasst. So vermittelt Lingumi Play pro Sprache einen Grundwortschatz von über 100 Vokabeln mit landestypischer Aussprache und Syntax. Vor dem Start des Spiels kann zwischen den Sprachen Englisch und Deutsch ausgewählt werden. Als Einstiegsapp wird Play Words empfohlen, die ausschließlich Nomen wie Lebensmittel, Körperteile oder Tiere behandelt. In der weiterführenden App, Play Verbs, kommen Verben und Adjektive hinzu, die mit Nomen aus der ersten App kombiniert werden. In Play Verbs können – neben Englisch und Deutsch – auch Französisch, Italienisch, Chinesisch oder Spanisch erlernt werden. Mit Lingumi Play wird den jungen Einsteigerinnen und Einsteigern ein optimaler Start in eine Fremdsprache geebnet. Dabei bietet die Anwendung eine schnell erfassbare gut strukturierte Spieloberfläche sowie einfache Erklärungen, die der erwachsenen Spielpartnerin bzw. dem erwachsenen Spielpartner durch Instruktionserklärungen Anlass zur Interaktion und bei geringen Sprachkenntnissen auch Gelegenheit zum partizipativen Lernen gibt. Die einfach gestaltete Oberfläche und der dennoch kognitiv anspruchsvolle Spielaufbau ermöglichen nachhaltige Lerneffekte, die nach Belieben mehrfach täglich aufgefrischt werden können.
Die Registrierung für die Dokumentation des Lernerfolgs ist dabei hilfreich, beansprucht jedoch zusammen mit der Einstellung des Kamerawinkels vor Spielbeginn etwas Einrichtungszeit. Darüber hinaus sollte der begleitende Erwachsene über grundlegende Fremdsprachkenntnisse verfügen, um das Kind beim Ausführen der Spielinstruktionen unterstützen zu können. Dass auf ablenkende Kontextinformationen oder Hintergrundgeräusche verzichtet wurde, sorgt für eine hohe Zugänglichkeit, unterstützt eine schnelle Verarbeitung des Gehörten sowie Gesehenen und schafft eine insgesamt angenehme Lernatmosphäre. Einzig wünschenswert wäre, dass Play Words nachgerüstet wird auf die gleiche Vielfalt an Fremdsprachen wie Play Verbs. Darüber hinaus würden zusätzliche Einstellungen zur Sprechstimme für eine größere geschlechtsspezifische Variabilität sorgen und dem Kind die Möglichkeit bieten, das Spiel nach seinen eigenen Hörvorlieben mitzugestalten.
Sophia Stemmer: Mit Fiete durch den Zoo
Ahoiii Entertainment UG (2016). Fiete KinderZoo – Kinder füttern Tiere im Zoo. App für iOS/Android, kostenfrei.
Ob Löwen, Fische oder Affen – Tiere sorgen bei Kindern für große Begeisterung. Die Spiele-App Fiete KinderZoo – Kinder füttern Tiere im Zoo bietet ihnen einen neuen Ort, ihren tierischen Lieblingen nahe sein zu können. Dort leben allerdings nicht nur Löwen und Elefanten, auch Dinosaurier oder Einhörner sind anzutreffen. Gemeinsam mit Seemann Fiete können die jungen Userinnen und User diese wundersamen Kreaturen besuchen, über ihre eigentümlichen Klänge staunen und deren außergewöhnlichen Hunger stillen. Die spielbare Figur ist ein Junge im Matrosenanzug. Der junge Seemann lebt auf einer gemütlichen Insel in einem Leuchtturm. Aber von Zeit zu Zeit schnappt er sich auch sein Boot und lädt alle spielenden Kinder ein, ihn bei der Entdeckung der Welt zu begleiten. Fiete ist ein guter Freund und ein kurioser Reisender, der den jungen App-Nutzenden die Schönheit der Welt zeigt. Durch das Tippen auf den Bildschirm spaziert er durch den Zoo.
Auf seinem Weg begegnet er 32 sehr unterschiedlichen Wesen, zum Beispiel Schleife, dem Löwen, Walter, dem Wurm oder Herzchen, dem Einhorn. Tippt man die Tiere an, geben sie ein ungewöhnliches Geräusch von sich. Gefüttert werden können die Tiere durch die Nutzung des Besteck-Buttons in der rechten oberen Ecke des Displays, sodass auf Wunsch selbstgebastelte Torten, Angeln mit Fischen, Bananen oder Bonbons vom Himmel fallen. Fiete bewegt sich solange Spielende mit ihrem Finger auf der rechten oder linken Seite des Displays tippen. Löst man diesen vom Bildschirm, bleibt er stehen. Das Spiel endet, nachdem alle Zoobewohnerinnen und -bewohner einmal angeschaut wurden. Danach kann die Spielfigur zurück zum Eingangstor geführt oder eine neue App der Fiete-Reihe geöffnet werden. Entwickelt wurde die App von Ahoiii Entertainment, zusammen mit 30 Kindern im Alter von drei bis zehn Jahren; die im Rahmen des Türöffner- Tages 2016 der Sendung mit der Maus in die Fiete-Büros eingeladen worden waren, um für einen Tag selbst zu App-Entwicklerinnen und -entwicklern zu werden.
Jedes Kind hatte innerhalb des einstündigen Projekts die Möglichkeit, ein Tier aus Tonkarton zu basteln, diesem einen Namen zu geben und im Tonstudio eine Stimme zu verleihen. Anschließend wurden alle Tiere eingescannt und vom Ahoiii-Team in Fiete KinderZoo eingefügt – und durch eine Animation zum Leben erweckt. Die entstandene App wird für Kinder ab dem vierten Lebensjahr empfohlen und kann ab Version iOS 6.0 auf dem iPhone, iPad und iPad touch gespielt werden. Es ist eine unterhaltsame und unaufgeregte Gratis-App, die Raum zur Entfaltung der Kreativität junger App-Nutzender bietet. Durch die einfache, selbsterklärende Bewegungssteuerung von Fiete können Kinder auf spielerische Art ihre motorischen Fertigkeiten verfeinern und verbessern. Gleichzeitig trainieren sie ihre kognitiven Fähigkeiten, indem sie durch geräuschvolle Animationen bei Berührung der bunten Wesen Zusammenhänge zwischen Berührung und Auswirkung auf die Spielfiguren beobachten und hieraus logische Schlüsse ziehen. Ganz im Sinne einer alters- und kindgerechten Anwendung wird auf Werbung verzichtet.
Darüber hinaus bietet Fiete Kinder-Zoo Heranwachsenden durch eine unbeschränkte Spieldauer ohne kompetitive Aufgaben oder Punktestände die Möglichkeit, die Spieloberfläche im eigenen Tempo zu entdecken. Fraglich ist jedoch, ob der Fokus auf der sinnlichen Wahrnehmung nicht zu eng gefasst wird und die Anwendung, auch insbesondere durch das offene Spielende und den überschaubaren Pool an Zusatzfunktionen, von der mittleren Altersstufe der Zielgruppe gegebenenfalls zu schnell ‚fertig‘ gespielt wird. Die herrlich unrealistisch anmutenden Lebewesen und ihre ungewöhnlichen Mahlzeiten begünstigen die für diese Zielgruppe typische fantasievolle Phase und regen auf witzige Art und Weise zum kreativen Denken an. Dabei ist die Begleitung der App- Nutzung durch ein Elternteil empfehlenswert. Denn die kreative Aufbereitung des Zoos mit seinen Bewohnerinnen und Bewohnern bietet Anregung zum Gesprächsstoff und regt unter anderem zu Vergleichen mit realistischen Zootieren an.
Auch das Vorlesen der Namensschilder kann dem gemeinsamen Spiel dienlich sein und fördert zugleich die Ausbildung der Lesefähigkeit. Die App kann aber dennoch auch problemlos von Kindern alleine genutzt werden. Aus geschlechtsspezifischer Sicht ist es schade, dass die Spielfigur Fiete weder hinsichtlich des Geschlechts noch im Aussehen geändert werden kann und fest an einen männlichen Matrosen gebunden ist. Das Ahoiii-Team hat sich jedoch viel Mühe mit der Hintergrundgeschichte von Figur und Spielkontext gemacht, sodass Vorschulkinder ungehindert in die Spielwelt eintauchen können. Die subtile Hintergrundmusik mit Zoogeräuschen und Vogelgezwitscher begleitet die visuell-haptische Entdeckungsreise optimal und motiviert in cleverer Form zur Konzentration auf das Spielgeschehen. Ergänzt durch die freundlichen Farben wird eine beruhigende Spielatmosphäre geschaffen. Vorschulkinder können sich so voll und ganz auf ihre ersten App-Steuerungs-Erlebnisse einlassen, ohne überfordert zu werden.
Die App Fiete KinderZoo ist mit vielen Details liebevoll gestaltet und empfiehlt sich durch die einfach gehaltenen kindgerechten Inhalte besonders für Kindergartenkinder und für App- Neulinge mit geringen Sprachkenntnissen. Die Gestaltung ist zwar minimalistisch und verfügt über überschaubare Spielfunktionen, bietet jungen Spielenden jedoch gerade hierdurch eine angenehme Spieloberfläche, die sich ideal für den Einstieg in die App-Nutzung eignet.
Sophia Stemmer: Fabers Schatz
Funke, Cornelia (2016). Fabers Schatz. Hörbuch, gelesen von Rainer Strecker und Marianne Wagdy, zweisprachig. Silberfisch. 23 Min., 9,99 €.
Als Faber erfährt, dass sein Opa von Hamburg zu seinem Bruder nach Amerika zieht, ist er zunächst sehr traurig. Alte Leute ziehen doch nicht mehr um, und wenn, dann bestimmt nicht bis nach Amerika! Doch sein Opa ist und bleibt eben ein Weltenbummler – und so schenkt er ihm zu seinem Abschied einen seiner wertvollsten Reise- Schätze: einen alten Teppich aus Damaskus, der angeblich fliegen können soll. Mit diesem soll Faber ihn besuchen kommen. Aber wie genau das funktioniert, hat ihm sein Opa leider nicht verraten. Faber hofft, dass der Schlüssel zu seinem Glück in den Zeichen liegt, die auf dem Teppich geschrieben stehen. Faber kann natürlich schon lesen, aber diese Worte fallen ihm schwer, denn sie sind in einer anderen Sprache geschrieben. Aber irgendjemand muss mit der fremden Schrift auf dem Teppich doch etwas anfangen können. Also macht er sich auf die Suche. Zuerst fragt er seinen Freund Kamil, dessen Mutter aus Marokko kommt, was auf dem Globus nicht weit entfernt von Damaskus liegt. Und da kommt der Teppich schließlich her. Doch auch sie kann die Schrift nicht lesen. So sucht Faber am Hafen weiter. Dort ist er oft mit seinem Opa gewesen. „Guck dir die Leute an – von Milch bis Bitterschokolade. So bunt ist die Welt!“, hatte dieser dann immer gesagt. Auch heute ist dort ein buntes Treiben. Faber fragt Kinder, die am Hafen Fußball spielen, er fragt die Matrosen an der Imbissbude. Doch niemand kann die Wörter lesen. Niedergeschlagen und etwas hilflos setzt er sich auf seinen Teppich. Da vernimmt er plötzlich eine zarte Stimme: Sie kommt von einem Mädchen, einem kleinen, zarten Wesen mit schwarzem Haar und, naja, irgendwie seltsamen Klamotten, findet Faber. Das Mädchen zeigt auf den Teppich und die Worte, die jetzt aus ihrem Mund erklingen, findet Faber einfach nur wunderschön: yatir alssajad, wayatir!, oder so ähnlich. Es ist Arabisch und bedeutet auf Deutsch ‚Flieg, Teppich, flieg!’. Faber kann jetzt nicht nur seinen Ohren, sondern auch seinen Augen kaum trauen. Er fliegt, der Teppich, er erhebt sich und fliegt wirklich! Shaima, das Mädchen, verbietet dem Teppich zwar die Route nach Damaskus einzuschlagen, Faber aber ist überglücklich. Eine zauberhafte Reise beginnt ... auf der Shaima Faber unter anderem beweist, dass sein Opa schon immer Recht hatte: Die Welt ist bunt wie ein Teppich aus tausenden von Fäden. Das Hörbuch Fabers Schatz erzählt eine fantasievolle Geschichte über Freundschaft und Fremdheit. Durch die prägnanten Stimmen und die jeweils sensible Ausdrucksweise von Rainer Strecker und Marianne Wagdy, die das Buch gelesen und übersetzt haben, können sich Hörerinnen und Hörer nicht nur in die Handlung, sondern bis in die Figuren hineinversetzen, eben komplett in die Geschichte eintauchen. Die einfühlsame und ruhige Erzählweise verleitet in Kombination mit der orientalischen Musik zudem zum Träumen und Verweilen. Die Geschichte ist in einer deutschen und einer arabischen Fassung auf der CD enthalten, weshalb sie sich auch für Kinder mit arabischsprachigem Hintergrund eignet. Mit einer Laufzeit von acht Minuten (deutsche Fassung) und einer fantasievollen Erzählweise trifft Cornelia Funke ihre Zielgruppe der ab Dreijährigen sehr gut. Sie bietet ihnen zudem – durch die Übersetzung einiger Wörter – eine Lernerfahrung der besonderen Art: „Erde?“ „Ard.“ – „Fluss?“ „Nahr.“ – „Zuhause?“ „Watani.“. Die Handlung ist jedoch nicht sehr umfangreich: Ein Junge erhält einen Teppich, findet durch diesen eine Freundin und fliegt mit ihr los. Es wird kein Spannungsfeld erzeugt, vielmehr herrscht durchweg pure Harmonie, die mit dem Beginn des gemeinsamen Losfliegens positiv verstärkt und bekräftigt wird.
Fragwürdig ist allerdings auch, ob Kinder im Alter von drei Jahren die geschichtlichen Hintergründe überhaupt verstehen können. Warum verbietet Shaima beispielsweise dem Teppich, nach Damaskus zu fliegen und möchte nicht darüber sprechen? Und, da der Plot keinerlei Informationen zu Shaimas familiärem Hintergrund enthält, ist und bleibt ungewiss, wie oder wann sie nach Deutschland gekommen ist oder ob sie hier geboren wurde. Weiterhin erscheint das Thema Fremdheit etwas groß für die Zielgruppe. Kinder im Alter von drei Jahren erkennen, dass es Menschen mit verschiedenen Hautfarben und Sprachen gibt. Sie sind neugierig und möchten Erfahrungen sammeln. Die kindgerechte Vermittlung der Kulturen spricht zwar für die Handlung, andererseits wird Migration oft diskutiert und kann für dreijährige Kinder noch recht komplex erscheinen. Über kulturelle Zusammenhänge und Unterschiede sind sich Kinder dieses Alters schlicht noch nicht bewusst, da sie ihre Umwelt zwar wahrnehmen, aber nicht bewerten. Die Geschichte kann somit gut als Anreiz zur Gewinnung neuer Eindrücke dienen, jedoch werden Kinder durch Alltagserfahrungen und das Heranwachsen in der Gesellschaft auch mit (genügend) Erfahrungen und Wissen konfrontiert, um tatsächlich bewusst mit dem Thema umgehen zu können. Gleichzeitig ist das Hörbuch natürlich auch nur für Kinder ab dem dritten Lebensjahr empfohlen. Ältere Kinder können somit gewiss mehr aus der Handlung ziehen. Zudem ist und bleibt positiv hervorzuheben, dass die Autorin eine wichtige Botschaft vermittelt: Fremdheit ist nichts Schlimmes und Freundschaft ist wichtig. Es gibt keinen Grund, sich vor etwas Unbekanntem zu fürchten und es ist mutig, etwas Neues auszuprobieren. Die Freundschaft, welche zwischen Faber und Shaima entsteht, beschreibt kurz, wie fremdsprachliche Erfahrungen auf Kinder wirken und sie beeinflussen können. Immer häufiger wachsen Kinder bilingual auf, was die Fähigkeit fördern kann, im Sprachzentrum schnell umzuschalten und sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. So ist es unterstützenswert, Kindern verschiedene Sprachen zu zeigen und sie im Erlernen dieser zu fördern.
Fabers Schatz ist eine interessante, einfühlsame Geschichte über Freundschaft, die Fremde im eigenen Land und über die Sehnsucht nach der Ferne. Die Handlung zeigt durch die unaufdringliche Botschaft ,Hab keine Angst vor dem Anderen‘, dass man viel lernen und erleben kann, wenn man Fremdheit und Freundschaft verbindet. Das Hörbuch ist sehr empfehlenswert für Erzieherinnen und Erzieher, Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Medienpädagoginnen und -pädagogen, Eltern und für alle, die mit Kindern unterschiedlicher Sprachen zusammenarbeiten oder für die Themenkomplexe sensibilisieren wollen. Es bietet einen paradehaften Anreiz zur Diskussion über Mehrsprachigkeit, ein weltoffenes Miteinander und vermittelt, dass die Welt wunderschön, farbenfroh und vielfältig ist.
Stefan Piasecki: Unterhaltung, Kunst und Jugendschutz
Kino und Film im Iran
Von der nachrevolutionären Zeit über den Krieg zwischen Irak und Iran, die Golfkriege der 1990er- und frühen 2000er-Jahre bis zur damit eingetretenen Destabilisierung der gesamten regionalen Nachbarschaft – der moderne Iran war in den letzten Jahrzenten unterschiedlichsten Phasen und Ereignissen ausgesetzt. Eine bewegte Zeit, die sich auch in den filmisch produzierten Inhalten erspüren lässt. Das Kinomagazin Film überspannt all das in seiner Berichterstattung. Es existiert seit 1982, kurz nach der Islamischen Revolution 1979. Auch politischer Wandel, Reformen sowie UN-Sanktionen fließen in das Magazin ein.
Der iranische Filmmarkt – Ein Spiegel des 20. Jahrhunderts
Die iranische Filmindustrie gehört zu den jüngsten der Welt. Erst ab 1930 wurden im Iran kommerzielle Filme produziert, als erster iranischer Spielfilm gilt der Stummfilm Abi & Rabi. Von einer Filmindustrie lässt sich erst ab Mitte der 1950er-Jahre sprechen, als jährlich etwa zwölf Filme produziert wurden. Ihre Narrative und Perspektiven gründen in der jahrtausendealten Tradition persischer Dichtkunst und Erzähltradition. Wie alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wurde auch die Kulturproduktion von der Islamischen Revolution umgewälzt, die den Schah 1979 ins Exil trieb und Ayatollah Khomeini den Iran zu einer Islamischen Republik umgestalten ließ. Die iranische Filmindustrie wurde aus zweierlei Richtungen von diesen Ereignissen berührt. Einerseits sollten nun entschieden unmoralische und unislamische Inhalte aus dem öffentlichen Leben verbannt werden, andererseits richtete sich die Revolution nicht zuletzt gegen den amerikanischen Einfluss auf die iranische Innenpolitik – somit waren gerade ausländische Filmproduktionen Ziel von Behinderungen und Verboten. Viele Kinos im Iran wurden noch während der revolutionären Unruhen zerstört, weitere in den Jahren danach. Der Film als Medium der Unterhaltung wie auch der Information war jedoch zu wichtig, als dass er dauerhaft aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen gewesen wäre. Ab 1983 förderte der damalige Kulturminister Mohammed Khatami die Filmproduktion mit dem Ziel, sie auch international als kulturelle Stimme des Iran zu etablieren. Im Westen ist der Iran als Produktionsland von Filmen wenig bekannt, trotzdem werden etwa 100 Filme im Jahr produziert, die sich vielfach an ein jüngeres Publikum unter 25 Jahren wenden. Als erfolgreich gelten im Iran insbesondere Komödien, Beziehungs- und Sozialdramen sowie Actionfilme. Im Westen sind diese, anders als das indische Bollywood-Kino oder chinesische Actionstreifen, vornehmlich Cineastinnen und Cineasten bekannt. Gerade für sie gelten die Werke von Abbas Kiarostami, Ashgar Farhadi oder Jafar Panahi als cineastische Spezialitäten der besonderen Art. Nader & Simin (Seperation)oder Taxi Teheran ( Taxi) konnten auch in Deutschland größeres Interesse hervorrufen. Letzteres Werk gewann beispielsweise den Goldenen Bären der Berlinale 2015 und Ashgar Farhanis The Salesman die Goldene Palme 2016 für das beste Drehbuch. Abbas Yari berichtet, dass das Publikum in Cannes die Vorführung von The Salesman über zehn Minuten beklatscht habe. Im Gegensatz dazu gibt es eine ganze Reihe von iranischstämmigen Filmemachenden, die im Westen erfolgreich, im Iran selbst aber teilweise weniger bekannt sind. Zu ihnen gehört zum Beispiel der in Schweden aufgewachsene Babak Najafi (London Has Fallen, 2016).
Anders als in anderen islamischen Ländern haben weibliche Regisseurinnen wie Tahmineh Milani, Marziyeh Boromand oder Rakhan Banietemad einen festen Platz unter den Größen des iranischen Films. Science-Fiction oder Fantasy-Filme aus iranischer Produktion gibt es so gut wie gar nicht. Die Produktion sei zu teuer und die Konkurrenz durch ausländische Produktionen – die nicht selten als billige Raubkopien erhältlich sind – zu groß. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die im Juli 2016 in iranischen Kinos angelaufene Komödie Dracula ( Deracula) von Reza Attaran.
Im Kino dominieren inländische Produktionen
Die Dominanz der inländischen Produktionen im Kino liegt jedoch, so Abbas Yari, nicht etwa daran, dass Iranerinnen und Iraner keine ausländischen Filme mögen. Vielmehr sei der Raubkopie-Markt so stark, dass so gut wie alle internationalen Filme ab dem Zeitpunkt der Ausstrahlung oder schon früher auf gebrannten DVDs oder per Download erhältlich seien. Kämen sie dennoch ins Kino, wären sie oft um unmoralische oder stark gewalthaltige Szenen verkürzt – so wie auch in Deutschland Filme hinsichtlich ihrer Jugendgefährdungspotenziale untersucht und erst mit Schnittauflagen für bestimmte Altersstufen freigegeben werden. Der Begriff der ‚sozialethischen Desorientierung‘ spielt vorwiegend in Deutschland eine Rolle, im Iran werden vor allem Szenen entsprechend geschnitten, die gegen gängige moralisch-religiöse Auffassungen verstoßen. Iranische Kinogängerinnen und -gänger stünden so vor der Entscheidung, für wenig Geld eine ungeschnittene ausländische Grau- Fassung zu erstehen oder mehr für den Besuch eines aufbereiteten und freigegebenen Kinofilms zu bezahlen. Geschnitten und gekürzt wird gerade auch für das Fernsehen aus eben jenen religiösen oder moralischen Gründen. Die jahrelange politische Eiszeit aufgrund des internationalen Konflikts um das iranische Atomprogramm endete am 16. Januar 2016 mit der Aufhebung der UN-Sanktionen. Mit einer zu beobachtenden Öffnung des Landes und seines Kultur- und Medienmarktes wird sich hier möglicherweise größeres Interesse einstellen.
Jugendmedienschutz: Deutschland und der Iran im Vergleich
Die neue Offenheit und der Wandel in internationalen Geschäftsbeziehungen wird viele Bereiche des öffentlichen Lebens vor große Herausforderungen stellen. Fragen des Urheberrechts und des Jugendschutzes konnten in der Vergangenheit beispielsweise weitgehend unberücksichtigt bleiben. Schon bald könnten internationale Anbieter und Anwaltskanzleien Druck aufbauen und versuchen, auf den iranischen Markt mit immerhin 81 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu gelangen. Umso wichtiger erscheint es, dass rechtzeitig wichtige Fragen des Jugendschutzes sowie moralischer und kultureller Besonderheiten aufgeworfen und geklärt werden. Nur über sie lassen sich eine Steuerung der Importe und der Schutz bestimmter Altersgruppen erreichen. Inhaltlich ist der Jugendschutz im Iran gänzlich anders geregelt als in Deutschland. In der Bundesrepublik Deutschland obliegt die Altersfreigabe von Filmen den Obersten Landesjugendbehörden. Ihnen unterstehen:
- die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Trägermedien (Kinofilme und DVDs),
- die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) für ausgestrahlte Inhalte (TV) sowie
- die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle für Computerspiele (USK).
Der Jugendmedienschutz in Deutschland beruht zudem auf den Grundlagen des Jugendschutzgesetzes (JuSchG). Alle im Kino ausgestrahlten oder auf DVD erhältlichen Filme werden durch unabhängige Kommissionen und mittels transparenter Verfahren geprüft. Im Rahmen der Sichtprüfung werden die Bild- und Tonebene wie auch Einzeldarstellungen geprüft. Entscheidend ist jeweils der Gesamtzusammenhang. Während Filme nach dem Jugendschutzgesetz beurteilt werden, greift bei gesendeten Medien, also TV-Filmen, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Filme, die nicht verboten sind – wie etwa im Falle von Gewaltverherrlichung, Pornografie – werden über Sendezeitbeschränkungen Kindern und Jugendlichen unzugänglich gemacht. Während in Deutschland also grundsätzlich alle Filme in ihren unterschiedlichen Distributionsformen hinsichtlich der Tauglichkeit für verschiedene Altersgruppen bewertet werden, existiert eine institutionalisierte Altersfreigabe in der Islamischen Republik Iran bislang nicht. Dies liegt an der Produktionsweise iranischer Filme. Skripte sind vor Produktionsbeginn beim Ministerium für Kultur und islamische Führung einzureichen. Eine Kommission prüft das jeweilige Drehbuch und später in möglicherweise anderer Besetzung die fertige Produktion. Die Mitglieder dieser Kommission sind Regisseurinnen und Regisseure, aber auch Angestellte des Religionsministeriums und der Islamischen Universität in Ghom. Die Drehbücher werden auf mögliche Verstöße gegen Moral, Sitten und auf politische Korrektheit hin überprüft.
Bereits hier fallen anstößige oder gewalttätige Szenen auf und werden angepasst oder entfernt, bevor das Skript freigegeben wird. Während der Dreharbeiten gibt es zunächst keine weiteren Kontrollen. Erst nach der Prüfung des fertigen Films werden möglicherweise erneut Schnittauflagen erteilt – eine abermalige Altersfreigabe erscheint somit nicht nötig, da eine Produktion bereits mehrfach begutachtet wurde. Wie viele Produktionen von Änderungsauflagen betroffen sind, ist auch Abbas Yari nicht bekannt. Interessanterweise unterliegen Filme für Kinder weniger starken Reglementierungen; Produktionen für diese Altersgruppe werden von den Prüf- und Begutachtungsbehörden nicht so ernst genommen wie Filme für Erwachsene, was auch dazu führt, dass viele iranische Regisseurinnen und Regisseure zunächst mit Kinderfilmen in den Beruf einsteigen. Altersfreigaben werden also selten ausgesprochen, sind aber dennoch möglich. Jedoch gibt es bislang nicht einmal ein dutzend Filme, die im Nachhinein für eine bestimmte Altersgruppe beschränkt wurden, weil man den Grad an Gewaltdarstellungen oder die Menge gezeigten Blutes Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nicht zumuten wollte.
Fernsehen und Print
Das Fernsehen spielt im Iran nach Ansicht von Yari eine wichtige Rolle. Der durchschnittliche Familienhaushalt verfüge über zwei bis drei Fernsehgeräte oder Computer und der Fernseher laufe im Hintergrund ständig mit. Im Fernsehen, etwa im zweiten iranischen Programm, das sich vornehmlich an jüngere Zuschauerinnen und Zuschauerwendet, gibt es nur einige wenige Regelungen hinsichtlich der Alterstauglichkeit von Produktionen. Diese sind jedoch in ihrer Ausgestaltung nicht präzise gefasst und die Bewertungsergebnisse werden auch nicht veröffentlicht wie jene von FSK und FSF. Vorgenommen wird die Einschätzung von der Akquisitionsabteilung des Senders, der bei der Sichtung des zur Verfügung stehenden Materials entsprechend gewichten kann. Für ausländische Produktionen gibt es keine Vorlagepflicht, die sich auf die Tauglichkeit für bestimmte Altersgruppen bezieht. Sie werden für die Ausstrahlung im Fernsehen jedoch ebenfalls regelmäßig bearbeitet. Zuletzt stellt sich die Frage, ob auch gedruckte Erzeugnisse einer Kontrolle unterliegen. Film ist nach wie vor die auflagenstärkte Kinopublikation des Iran. Nachdem sie in der Spitze Auflagen von bis zu 100.000 verkauften Exemplaren erzielen konnte, hat sie, wie viele andere Zeitschriften weltweit, aufgrund des Internets und des dortigen Alternativangebots an Berichten und Rezensionen etwa 75 Prozent der Auflage eingebüßt, genießt unter iranischen Filmfans aber nach wie vor Kultcharakter und kann monatlich etwa 25.000 Exemplare verkaufen. An den monatlich erscheinenden Ausgaben arbeiten 25 feste und einige freie Redakteurinnen und Redakteure. Die Redaktion des Magazins Film unterliegt dabei keiner Zensur, bekräftigt Abbas Yari. Aufgrund der langjährigen Erfahrung auf dem Zeitschriftenmarkt wüsste das Teams bereits im Voraus um Inhalte, die anstößig sein könnten. Dabei ginge es nicht einmal um staatliche Kontrolle. Ihre Kundinnen und Kunden selbst würden unter Umständen negativ reagieren, wenn freizügige Bilder oder explizite Gewaltdarstellungen veröffentlicht würden. Für derlei Darstellungen gäbe es keine Tradition im Iran, die Menschen seien daran nicht gewöhnt. Auch würde man nicht über Filme berichten, die im Iran ohnehin keine realistische Chance auf Vorführung hätten, eben weil sie den Erwartungen und Gepflogenheiten widersprächen.
Fazit
Der iranische Medienmarkt ist vielfältig, aber gänzlich anders strukturiert als etwa der deutsche. Das iranische Kino ist ‚Erzählkino‘ in bester Tradition auch europäischer Autorenkinos. Im Fernsehen werden – anders als im Kino – eine Vielzahl internationaler, auch deutscher Produktionen und Serien gezeigt. Urheberrechtlichen Schutz gibt es kaum, insbesondere ausländische Produktionen werden offen als professionell aufbereitete Raubkopien verkauft. Einen Jugendschutz, der mit dem deutschen Modell vergleichbar wäre, gibt es nicht. Dennoch werden iranische Produktionen im Vorfeld und im Verlauf der Produktion hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundsätzen einer islamischen Gesellschaft überprüft. Abzuwarten wird sein, inwieweit die Öffnung des Landes zu einer Ausweitung der Märkte führen und welche Rolle die internationale Film- und Vertriebsindustrie spielen wird. Als Land mit 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die im mittleren Osten im Vergleich gut ausgebildet und wirtschaftlich unabhängig sind, könnte der Iran ein bevorzugtes Ziel für die Expansion von internationalen Vertrieben werden.
Dr. Stefan Piasecki ist Professor für Soziale Arbeit an der CVJM-Hochschule in Kassel. Er habilitierte in Religionspädagogik mit einer explorativen Studie zur Religion in Computer- und Videospielen. Seine Schwerpunkte sind Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und Medienpädagogik.
Nicolas Löffler: Spiel und Asyl
Tausende von Menschen müssen aufgrund von Krieg oder Armut aktuell ihre Heimat verlassen und stellen andere Länder vor eine gewaltige Herausforderung. Die Hintergründe und Motive ihrer Flucht sowie die Strapazen und Gefahren auf ihrer Reise gehen dabei jedoch oft unter. Journalistinnen und Journalisten sowie Computerspiele-Hersteller haben in sogenannten Newsgames versucht, die Situation und Entscheidungen von Flüchtlingen greifbarer zu machen und eine Möglichkeit zu bieten, sich spielerisch mit der Materie auseinanderzusetzen. So kann zu dem ansonsten meist sachlich behandelten Thema eine persönliche und emotionale Verbindung aufgebaut werden. Die folgenden Spiele sind besonders geeignet für die medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und können als Diskussionsgrundlage in der Schule wie auch zuhause dienen. Auch für Erwachsene kann diese neue Art der Auseinandersetzung sehr gewinnbringend sein. Syrian Journey In Syrian Journey, ein Spiel der BBC, müssen folgenreiche Entscheidungen getroffen werden. Es werden bei der Reise durch verschiedene Länder Situationen beschrieben, und die Spielerinnen und Spieler vor die Wahl zwischen zwei, manchmal auch drei Antworten gestellt, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Weiterreise haben.
Ziel ist die erfolgreiche Einreise in ein sicheres Land und die Gewährung von Asyl. Die skizzenhaft bebilderten Szenarien beruhen dabei auf Erlebnissen von echten Flüchtlingen.Da Syrian Journey haupsächlich aus Text mit einzelnen Illustrationen besteht, wirkt es weniger wie ein Computerspiel als eine interaktive Geschichte. Für Menschen mit Freude am Lesen bietet es jedoch einen interessanten Einblick in die Strapazen und schwierigen Entscheidungen, die Flüchtlinge häufig auf sich nehmen, und bietet durch seine Kürze einen schnellen Einstieg in das Thema.Papers, Please In Papers, Please nehmen die Spielenden die Rolle einer Bürgerin bzw. eines Bürgers in einem totalitären fiktiven Staat ein. Im Verlauf müssen sie unterschiedliche Aufgaben für die korrupte Regierung erfüllen. So müssen sie unter anderem Immigrantinnen und Immigranten an einem Grenzübergang kontrollieren und entscheiden, wer das Land betreten darf und wer nicht. Die Einreisebedingungen ändern sich jedoch in immer geringeren Zeitabständen. Zudem versuchen ominöse Geheimgesellschaften, die Spielenden für ihre Zecke zu missbrauchen. Beispielsweise haben Aufträge, die nicht erfolgreich oder innerhalb der vorgegebenen Zeit ausgeführt werden, Geldstrafen zur Folge. Das Spiel stellt die Spielerinnen und Spieler vor schwierige moralische Entscheidungen und lässt sie mit der Zeit immer stärker an die Grenzen von richtig und falsch stoßen. Die anspruchsvollen Verwaltungsaufgaben und der schnell ansteigende Schwierigkeitsgrad machen Papers, Please zu einem Spiel, das schnell frustrieren kann – und durchaus auch soll, denn die zermürbende Macht des fiktiven Staats wird hierdurch besonders eindrücklich.
Last Exit Flucht Dieses Spiel des UN-Flüchtlingswerk ( UNHCR) vermittelt den Spielenden in drei verschiedenen Stufen die Strapazen einer Flucht sowie die damit verbundenen Hürden. Die Spielenden stellen sich einem suggestiven Polizeiverhör, entscheiden, wie, wohin und mit wem sie flüchten wollen, beurteilen den Unterschied zwischen Flüchtling und Migrant und versuchen, sich nach dem genehmigten Asylantrag ein neues Leben aufzubauen. Last Exit Flucht besteht aus einzelnen Kapiteln und ist daher gut in mehreren Sitzungen spielbar, zwischen denen die Flucht-Etappen und moralischen Aspekte reflektiert werden können. In dunklen Tönen gehalten, versteht es das Spiel, die Stimmung einer nächtlichen Flucht eindrücklich festzuhalten. Stellenweise sind die Handlung und die damit verbundenen Entscheidungen etwas vorhersehbar, bieten aber dennoch einen guten Gesprächsansatz. Cloud ChasersDas für Smartphones konzipierte Spiel Cloud Chasers des Schweizer Gamestudios Blindflug führt die Spielenden durch eine postapokalyptische Welt, in der eine extreme Spaltung von Arm und Reich herrscht. Ein verzweifelter Farmer beschließt, sich mit seiner Tochter auf eine lange und riskante Reise durch karges Ödland zu machen, um so vielleicht ein besseres Leben führen zu können. Das Spiel bietet jedoch kein echtes örtliches Ziel, dass erreicht werden muss. Vielmehr liegt der Fokus auf der Reise selbst, der Gesamtatmosphäreund den Strapazen, die einer realen Flucht nachempfunden sind.
Anders als die bisher aufgeführten Spiele, verarbeitet dieses die Flüchtlingsthematik in einem eher fantastischen Kontext, der optisch mit realen Fluchtbedingungen wenig zu tun hat. Dieser Rahmen bietet die Möglichkeit, das Thema neutral und frei von belastenden Bildern zu reflektieren – und so auch jüngere Kinder und Jugendliche an die Materie heranzuführen.
Nicolas Löffler ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Derzeit studiert er Soziale Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.
Jana Schröpfer: Verräter oder Held?
Wer war Edward Joseph Snowden, bevor er im Sommer 2013 durch den NSA-Enthüllungs- Skandal weltweit bekannt wurde? Was kann einen Mann dazu bringen, Verfolgung und Hass eines ganzen Staatsapparates auf sich zu ziehen, um der Welt die Augen zu öffnen? Der Film von US-Regisseur Oliver Stone geht genau diesen Fragen nach. Schnell wird klar: Snowden lebte vor seinen Enthüllungen ein komfortables Leben in Hawaii, profierte von Anerkennung und verdiente eine Menge Geld – er hätte das alles nicht tun müssen. Doch sein Innenleben verhielt sich anders: Er konnte seine Arbeit, vor allem seine dadurch gewonnenen Erkenntnisse, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und entschied sich daher, sie der Gerichtsbarkeit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Diesen Gewissensweg zeichnet die Filmbiografie SNOWDEN in Hollywood-Manier nach.
Entsprechend weist eine zu Beginn eingeblendete Untertitelung darauf hin, dass es sich um eine Fiktionalisierung der realen Ereignisse handelt. Der Spielfilm beginnt mit einer ausgeschmückten Darstellung des bereits Bekannten. In einem Einkaufszentrum in Hong Kong warten eine Dokumentarfilmerin und ein Journalist des Guardian auf den noch identitätslosen Whistleblower. Der erste Auftritt Snowdens, dargestellt durch Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, zeigt einen jungen, seltsamen Kautz, der sich den Journalistinnen und Journalisten unsicher und befangen mit einem Zauberwürfel in der Hand nähert. Sein seltsam anmutendes Verhalten wird im Folgenden weiter ausgemalt, wenn er sich beispielsweise zum Schutz seiner Passwörter mit einem Laptop unter der Bettdecke versteckt oder die Handys der Journalistinnen und Journalisten in einer strahlungssicheren Mikrowelle verstaut. Was zunächst wie neurotisch-paranoides Verhalten wirkt, gewinnt durch die filmischen Erzählungen an erschreckender Rechtfertigung.
Auch der nerdige, verquere Snowden entwickelt sich im Laufe des Films zum Sympathieträger. Eingeschobene Flashbacks erzählen seine Geschichte, die mit einem jungen amerikanischen Mann beginnt, der einen nahezu stereotypen patriotischen Idealisten mimt. Mit einem Großvater, der eine wichtige Amtsstellung bekleidete, und einem Vater bei der US-Küstenwache wollte auch der junge Ed Snowden seinen Teil für Amerika leisten und in den Irakkrieg ziehen. Aufgrund zwei gebrochener Beine wird er jedoch ausgemustert und beginnt seine Karriere bei der CIA mit der Selbstaussage: „Ich will meinem Land dabei helfen, die Welt zu verbessern“. Zu dieser Zeit schweben ihm noch Terrorabwehr und das Abhören von Feindinnen und Feinden zum Schutz der USA vor. Als Computergenie wird er schnell zum Ausbildungsbesten der CIA und nimmt deren propagierte Ideologie zunächst pflichtbewusst an.
Doch bereits zu dieser Zeit wird er mit gegenläufigen Einflüssen konfrontiert. So lernt er zum Beispiel seine spätere Freundin Lindsay Mills – dargestellt von Shailene Woodley – kennen, eine liberale Demokratin und Irakkrieg-Gegnerin, die den konservativen Snowden zunehmend bekehrt. Auch einer seiner Ausbilder, in Person des ruhiggelassen agierenden Nicolas Cage, gibt ihm durch implizite Kritik an den Geheimdiensten erste Anlässe des Zweifels. Die wahren Momente des Augen-Öffnens‘ ergeben sich jedoch direkt aus Snowdens Arbeit für die US-Sicherheitsdienste. Sei es, als ein aufsässig-jugendlicher Kollege in Genf ihm erstmals zeigt, wie man durch Laptopkameras in die Schlafzimmer von Zivilistinnen und Zivilisten blicken kann, sei es der Missbrauch von privaten Informationen durch einen Vorgesetzten, der beinahe tödliche Folgen für die Bespitzelten hat, oder durch andere Szenarien. Wie sehr diese Ereignisse Snowden belasten wird im Film recht emotionalisiert dargestellt – durch seine epileptischen Anfälle und Probleme in seiner Liebesbeziehung zu Lindsay. Lindsay selbst steht dabei nicht selten für die Naivität des Normalbürgers, wenn sie beispielsweise Unverständnis darüber äußert, warum sie ihre Laptopkamera abkleben soll. „Ich habe doch nichts zu verbergen“ – ein Satz, der auch im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs nicht selten fällt. An seiner NSA-Arbeitsstelle in Hawaii werden Snowden schließlich die Ausmaße der amerikanischen Bespitzelung bewusst, die sich nicht – wie weiterhin erhofft – auf feindliche Staaten, sondern vor allem auf die amerikanische Bevölkerung richten. Sein Enthüllungsentschluss und der ‚Diebstahl‘ der geheimen NSA-Dokumente stellen schließlich den Spannungshöhepunkt des Filmes dar, welcher durch schnelle Schnitte, Erzählsprünge und unruhige Musik einem Actionfilm in nichts nachsteht.
Das Ende des Filmes widmet sich schließlich der heroischen Darstellung Edwards Snowdens. Seine gelingende Flucht nach den Enthüllungen erleichtert das Publikum und der Film läuft mit Vorträgen Snowdens aus, die er computerübermittelt von Russland aus führt. Eine wahre Überraschung erfährt der Film jedoch noch, wenn die Figur des Snowden plötzlich nicht mehr durch Schauspieler Gordon-Levitt vertreten wird, sondern die reale Person Edward Snowden auf die Leinwand tritt. In Interviewform darf dieser die letzten mahnenden Worte des Filmes sprechen. So wirkt die Erzählung – trotz der Fiktionalisierung der Ereignisse – wie eine Bestätigung, dass alles auf einer wahren Geschichte beruht. Der Spielfilm über Snowden könnte wie sein Titelheld selbst einige Kontroversen hervorrufen. Bemängeln lässt sich die Hollywood-Aufmachung des Filmes, vor allem die ausgiebige Konzentration auf die Liebesbeziehung zwischen Snowden und Mills. Dunkle Szenenbilder, enge Flure, Bildvariationen von Kameralinsen, übergroße Bildschirme mit flackernden Computercodes, beeindruckende Animationen und andere Stilmittel untergraben darüber hinaus das Dokumentarische an dem Film und machen ihn zu einem Politthriller, der auch von solchen genossen werden kann, die gar nicht wissen, dass Edward Snowden tatsächlich existiert. Doch ist das wirklich schlimm? Die Botschaft des Filmes ist dennoch klar und deckt sich mit der Intention des Whistleblowers: Man kann immer und überall überwacht werden, und dies von Menschen, die ihre Macht möglicherweise missbrauchen.
Zwar läuft der Film entgegen Snowdens Wunsch, dass sich die Öffentlichkeit eigenständig eine Meinung bildet, indem die ‚Verräter-Held-Frage‘ sehr eindeutig beantwortet wird und auch die Geschehnisse entsprechend und kaum anfechtbar gerahmt werden. Möglicherweise trifft dies aber den Kern der Zeit: Snowdens Enthüllungen sind bereits drei Jahre her, die öffentliche Debatte hat sich zusehends beruhigt und so gut wie nichts hat sich geändert. Vielleicht bedarf es hier – über die bereits veröffentlichten Dokumentationen und Interviews hinaus – schlichtweg einem massentauglichen Spielfilm, der ein breites Publikum mittels einer dramatischen Personalisierung ermahnt, die Enthüllungen jenes Mannes nicht zu vergessen.
Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Stefanie Brosz: Heroes in New Dimensions
Ganze 20 Minuten lang ein brandneues, noch nicht erschienenes Game anzocken? Dafür stellt man sich doch gerne vier Stunden lang an eine Menschenschlange an! Zumindest nahmen viele begeisterte Spielefans diese Wartezeit auf sich, um Final Fantasy XV, Mafia 3, Battlefield 1, Titanfall 2 oder FIFA 17 vor den offiziellen Releases schon einmal exklusiv auf der gamescom 2016 ausprobieren zu können. Die diesjährige Spielemesse stand unter dem Motto ‚Heroes in New Dimensions' und öffnete am 17. August für Fachbesucherinnen und -besucher sowie die Presse und vom 18. bis zum 21. August für alle Spiel- und Medienbegeisterten die Tore. Beim Einlass gab es die bereits angekündigten verstärkten Kontrollen von Taschen und Rucksäcken. Wer wie gewohnt in einer ausgefallenen Cosplay-Verkleidung kommen wollte, musste dieses Jahr die gebastelten Spielzeugwaffen nämlich zuhause lassen. Das tat der Messe selbst aber überhaupt keinen Abbruch: Bereits am ersten Messetag für die Öffentlichkeit war sofort ordentlich was los, es füllten sich alle elf Hallen des riesigen Messegeländes bis zum letzten Winkel.
Insgesamt konnte sich die gamescom 2016 über einen Besucheransturm von etwa 345.000 Schaulustigen aus 97 Ländern erfreuen. Ein neuer Rekord konnte mit den 877 teilgenommenen Unternehmen aus 54 Ländern vermerkt werden. Es gab auch in der Tat viel zu sehen: VR-Spiele sind zwar keine Weltneuheiten, doch trotzdem noch in den Kinderschuhen unter den Spieletechniken. Mit dem VR-Kletterspiel The Climb von Crytek konnte beispielsweise die Virtual Reality- Technologie ganz unblutrünstig ausprobiert werden. Neue Spielversionen oder Erweiterungen wie Final Fantasy Teil einhundert ... beziehungsweiseoffiziell Teil XV, Tekken 7 bis Gears of War 4 wurden vorgestellt und konnten meist entweder um die 20 Minuten lang am Computer oder einer Konsole angespielt werden – oder aber es gab, wie bei dem Action-Adventure Dishonored 2, einen exklusiven detaillierten Trailer zum Spiel zu sehen.
Hier ließ der Publisher Bethesda es sich nicht nehmen, gleich im Anschluss auch noch den Ego-Shooter Prey vorzustellen, der erst im Jahr 2017 veröffentlicht wird. Auch Spiele, die bereits auf dem Markt sind, konnten auf der Messe gezockt werden. Denn wenn der amerikanische Computerspiele-Entwickler Blizzard Entertainment schon gefühlt zwei Drittel einer gesamten Halle einnimmt, hat er natürlich alles im Gepäck, was der Konzern aktuell so zu bieten hat: Neben dem neuen World of Warcraft: Legion gab es auch Overwatch, anlässlich des 20. Geburtstags von Diablo gleich alle drei Teile dieses Action- Rollenspiels, außerdem noch Starcraft II, Heroes of the Storm und Hearthstone– alles zum Selberspielen auf insgesamt über 500 Gaming-Computern.
Wenn man selber keine Lust hatte, den Controller oder die Maus in die Hand zu nehmen, konnte man auch einfach nur als neugierige Beobachterin bzw. neugieriger Beobachter zuschauen, wie die Spielhungrigen nach bis zu vier Stunden Wartezeit endlich mal ran durften. Einfach mal testen So landeten beispielsweise auch wir irgendwann im neuen Deus Ex Teil Mankind Devided, in welchem ein Kampf von Mensch-Maschinen geschlagen werden muss. Denn durch einen Hackerangriff drehen die kypernetischen Verbesserungen in Form von Implantaten durch und die sogenannten augmentierten Menschen greifen plötzlich Mitmenschen an. Besonders war, dass wir auf der gamescom auch viele unbekanntere Spiele in der Beta-Version anzocken konnten. So zum Beispiel The Black Death, ein Survival-Spiel, das im Mittelalter stattfindet. Hierbei spielt, wie der Name schon sagt, die Pest eine Rolle und man sollte sich vor Infizierten in Acht nehmen. Sollte es aber doch zu einer zombieähnlichen Begegnung kommen, muss gekämpft werden. Es soll aber auch ein friedliches Spiel möglich sein, man muss sich eben nur gut genug verstecken.
Dieses Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG), in dem Spielende in bis zu zehn verschiedene Rollen schlüpfen können, befindet sich zwar noch in der Testphase, das interessante Setting und Roleplay lässt aber schon jetzt auf ein spannendes Spiel hoffen. Es kommt übrigens von einem Entwicklerteam der Syrin Studios aus England, auf die wir in der sogenannten Indie Arena gestoßen sind. In dieser Indie Arena Booth – auf einer Fläche von 620 Quadratmetern – wurden tatsächlich 80 unterschiedliche Indie-Spiele präsentiert. Indie steht kurz für ‚independent‘ – so ist das Besondere an den Spielen, dass sich deren Entwicklerinnen und Entwickler oft in ganz neue Richtungen, weg von der breiten Mainstream- Masse begeben (können), da sie unabhängig von großen Entwicklerfirmen arbeiten. Langes Anstehen gab es in dieser facettenreichen Entertainment- Area nicht, trotzdem wurde man mit Energizern wie Snacks und Getränken gut versorgt und konnte sich so leicht in den vielen Angeboten verlieren. Ein Highlight war beispielsweise das Jump’n'Run-Game Huntdown, das mit seiner oldschool-mäßigen 8-Bit-Grafik richtig Lust auf einen gemütlichen Nintendo- Abend macht. Für retrobegeisterte Spielerinnen und Spieler ohne Konsole gibt es das Spiel übrigens auch für das Smartphone zum Download. Die Indie Booth Arena ist – gerade für junge Studios und Newcomer – ein Raum für kreative Ausgestaltung.
Kein Wunder, dass die Organisatoren des Gemeinschaftsstands für Indie-Entwicklerinnen und -entwickler bereits mit einigen Preisen ausgezeichnet wurden, wie dem Deutschen Entwicklerpreis für die beste Marketing- Kampagne und dem Sonderpreis der Jury 2015 beim Deutschen Computerspielpreis. Die Zukunft spielt Wie schon erwähnt gab es einige Virtual Reality- Spiele – wie The Climb von Crytek oder mit etwas mehr Action von Ubisoft die neuen Spiele Eagle Flight und Star Trek: Brigde Crew – mit verschiedenen Herstellerbrillen zu testen. Zu Beginn ist diese VR-Technik leicht verwirrend, denn man befindet sich optisch in einem komplett anderen Raum, welcher dazu noch sehr invasiv wirkt. Bei gefährlichen oder angsteinflößenden Situationen im Spiel kann man damit nicht mal eben wegschauen oder mit einem Blick auf die eigenen Füße die Erinnerung zurückholen, dass alles nicht echt ist. Den Blick auf die eigenen Füße gibt es damit schlichtweg nicht mehr, man sieht ausschließlich jenen virtuellen Raum, ohne eigene Körperwahrnehmung. Ein fantastisches, sehr real wahrgenommenes Erlebnis, das nicht ohne Grund in vielen Vorträgen für die Fachbesucherinnen und -besuchern im Congress- Centrum aufgegriffen wurde. Unter anderem konnte man sich dort beispielsweise ausgiebig mit der Frage auseinandersetzen, ob Virtual Realtiy zu einnehmend sein könnte. Unter dem Dachthema „Die Zukunft spielt“ wurden insgesamt über 80 nationale und internationale Referentinnen und Referenten eingeladen, die über Wissen, Zukunftsvisionen und Potenziale, Einsatzmöglichkeiten von Computerspielen und Applied Interactive Technologies (APITS), aber auch über branchenübergreifende Grundlagenforschung beim Einsatz digitaler Technologien referierten.
Fazit Die gamescom hat damit auch dieses Jahr wieder die unterschiedlichsten Interessengruppen ausreichend bedient; egal, ob man sich nun einfach treiben lassen wollte oder mit festen Vorsätzen kam, spezielle Spiele definitiv anzuspielen. Die Indie Arena Booth ist dazu dieses Jahr ein Stück angewachsen, die VR-Technologie wurde deutlich präsenter ebenso wie die Sicherheitskontrollen. Und so kann davon ausgegangen werden, dass auch vom 22. bis 26. August 2017 Spaß und Action für alle Technik- und Spielebegeisterten wieder garantiert sein werden. Dann vornehmlich zu den vier Schwerpunkten ‚Interaktive Spiele', ‚Virtual Reality', ‚Neuerscheinungen' sowie ‚Medienkompetenz und -pädagogik‘.
Stefanie Brosz ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Medien- und Kommunikation mit Schwerpunkt Mediendidaktik an der Universität Augsburg.
Jana Schröpfer: Wenn ich …
Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V.(2016). Medien. Wenn-Ich-Karten zum Thema exzessive Nutzung. Mit Jugendlichen ins Gespräch kommen. München. Spiel mit 139 Karten, 44-seitiges Begleitheft, 15,50 €.
Lückenhaften Aussagen wie „Bei einer Hassgruppe würde ich (nicht) mitmachen, weil …“ auf gedruckten Spielkarten sollen Kinder und Jugendliche beim Erlernen eines risikoarmen und kritischen Gebrauchs von digitalen Medienangeboten unterstützen. Die Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V. hat mit den sogenannten Wenn-Ich-Karten eine Materialbox entwickelt, die einen Austausch unter Heranwachsenden über die Bedeutung und den Nutzen von Smartphones, Computerspielen und sozialen Netzwerken sowie deren Einstellungen und Erfahrungen diesbezüglich ermöglichen soll. Diese spielerische Form der Auseinandersetzung existiert bereits für andere erziehungsrelevante Themen, stellt mit den Karten zu exzessiver Mediennutzung aber erstmals medienpädagogische Anliegen ins Zentrum. Die Box besteht aus fünf Kartendecks, die ‚allgemeine Fragestellungen‘ sowie Lückensätze zu den Themenschwerpunkten ‚Computerspielen‘, ‚soziale Netzwerke‘, ‚Smartphone‘ und ‚Glücksspiel im Internet‘ enthalten.
Zentraler Bestandteil des medienpädagogischen Pakets ist das Begleitheft, das nicht nur eine Spielanleitung inklusive denkbarer Variationen enthält, sondern auch über das Phänomen der exzessiven Mediennutzung aufklärt. Mithilfe empirischer Studien wird einleitend über die Verbreitung digitaler Medien und die Mediennutzung Heranwachsender referiert. „Medienabstinenz kann heute kein Ziel mehr sein“ – so die Schlussfolgerung der Broschüre. Die Faszination, die von Computerspielen, Smartphones und sozialen Netzwerken ausgeht, wird daher ebenfalls mit sich daraus ergebenden Risiken beleuchtet. Auch Internetsucht, ihre tatsächliche Verbreitung und Diagnosekriterien finden ihren Platz – was pädagogische Fachkräfte für das beiliegende Gruppenspiel sensibilisiert und vorbereitet. Das tatsächliche Kartenspiel funktioniert sehr simpel.
In Gruppen von fünf bis etwa 15 Personen decken die Teilnehmenden nach und nach die verdeckten Satzkärtchen auf, was – ähnlich eines beliebten Teenagerspiels – unter anderem durch das Drehen einer Flasche initiiert werden kann. Nun gilt es die Sätze auf den Karten zu vervollständigen und gegebenenfalls in der Gruppe darüber zu diskutieren. Neben allgemeinen Fragestellungen zur digitalen Mediennutzung werden auch explizit suchtbezogene Aussagen in den Raum gestellt: „Ich habe (nicht) genug Zeit für Sport, Hobbys, Freunde, Schule, weil …“ oder „Als computersüchtig würde ich jemanden bezeichnen, der …“. Projektionsfragen wie letztere ermöglichen ehrlichere Antworten und vermeiden Effekte der sozialen Erwünschtheit. Karten, die zu einer tieferen Reflektion anregen – „Man sagt, dass einsame Menschen durch soziale Netzwerke in der realen Welt immer mehr vereinsamen. Das kann ich mir (nicht) vorstellen, weil …“ – ermöglichen zudem eine ideelle bzw. normative Auseinandersetzung mit der Thematik. Konfliktthemen wie Pornografie oder Datenschutz werden ebenfalls eingebunden: „Pornos haben viel/wenig mit der realen Sexualität zwischen Erwachsenen zu tun, weil …“ oder „Für eine Nutzung, die meine Daten sicher macht, würde ich (nicht) zahlen, weil …“. Von zentralem Vorteil ist dabei, dass die Formulierungen auf den Karten je eine positive und negative Valenz der Aussagen ermöglichen, sodass den Spielenden nicht durchweg negative Interpretationen in den Mund gelegt werden. Zudem werden auch erfreuliche Aspekte der Mediennutzung mit einbezogen, wenn es zum Beispiel um die schönste Erfahrung in sozialen Netzwerken geht. Letztendlich können sich die Heranwachsenden mit Hilfe der Stimulus-Karten auch eigne Handlungsempfehlungen aussprechen: „Im Umgang mit digitalen Medien sollte man folgende Regeln beachten …“.
Das Kartenspiel beruht auf der Annahme, dass Kinder und Jugendliche gerne erklären, was sie tun und warum etwas für sie wichtig ist. Darüber hinaus ermöglicht das simple Spiel einen aufrichtigen Austausch in der Peergroup: Gerade problematische Verhaltensweisen oder fragliche Äußerungen können in der Gruppe zur Diskussion gestellt werden und durch Gleichaltrige, die nicht nur als Gleichgesinnte sondern häufig auch als Expertinnen und Experten auf diesem Feld angesehen werden, reflektiert, kritisiert und im besten Fall korrigiert werden.
Das medienpädagogische Kartenspiel beruht sichtlich auf theoretischer und praktischer Expertise, jedoch mangelt es an Anreizen zur Umsetzung. Es stellt keine neue Methode zur Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex dar und ist gerade für die empfohlene Altersgruppe (ab zwölf Jahren) möglicherweise zu simpel. Der propagierte spielerische Umgang mit medienerzieherischen Themen ist sicherlich von großer Bedeutung, der bloße Einsatz von Satzkarten kann jedoch schnell zu Langeweile führen. Während vorhergehende Wenn-Ich-Karten zu Problemfeldern wie ‚Sucht‘ und ‚Gewalt‘ sicherlich ihren präventiven Zweck erfüllten, hätte die Spielkonzeption hinsichtlich des Themas exzessiver Mediennutzung erweitert werden und beispielsweise digitale Medien in das spielerische Szenario einbezogen werden können, wenn nicht sogar sollen, um die Auseinandersetzung mit den einhergehenden Möglichkeiten und Risiken authentischer zu gestalten. Zudem wirken die Satzkarten trotz der sowohl positiv als auch negativ auslegbaren Formulierung nicht vollständig suggestionsfrei und trotz des sehr reflektierten Begleitheftes lassen sich dem Gruppenspiel bewahrpädagogische Motive entnehmen. Nichtsdestotrotz eignet sich die Materialbox für pädagogische Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit, die kompetent aufbereiteten Input zu digitalen Medien und exzessiver Mediennutzung erhalten möchten und die dazu bereit sind, die Spielkarten auch mit eigener Kreativität einzusetzen.
Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Rebekka Köhler: Kompakte Einführung in die Medienpädagogik
Fleischer, Sandra/Hajok, Daniel (2016). Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung. Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld der Medien. Weinheim: Beltz. 270 S., 19,95 €.
Alltag, gesellschaftliches Zusammenleben, Bildung und Erziehung können schon lange nicht mehr getrennt von Medien betrachtet werden. Vor allem Kinder kommen immer früher und mit immer vielfältigeren Mediengeräten und -angeboten in Kontakt. Die Medienpädagogik als interdisziplinärer Forschungsbereich ist mit ihrer gesellschaftlichen Relevanz immer weiter gewachsen. Das Lehrbuch Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung aus der Reihe Studienmodule Kindheitspädagogik wagt einen zusammenfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Medienpädagogik in Praxis und Forschung. Diese Einführung erhebt gleichwohl nicht den Anspruch auf Vollständigkeit in einem inzwischen so weitreichenden Feld. Die Publikation richtet sich explizit an Bachelor- Studierende der Pädagogik, Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik und möchte einen ersten Zugang zur Praxis und Forschung der Medienpädagogik ermöglichen sowie Interesse für eine tiefergehende Beschäftigung wecken.
Das Lehrbuch ist in drei Teile aufgeteilt, welche jeweils mit einem kurzen, einleitenden Absatz die Ziele und Inhalte des jeweiligen Kapitels verdeutlichen. Jeder Teil besteht aus drei bis vier Unterkapiteln, an deren Schluss in grauen Kästchen Fragen und Hinweise zur weiterführenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt anregen sollen. Auch werden in diesen Anekdoten und Wissenswertes rund um die verschiedenen Themen zur Verfügung gestellt. Aufgrund dieses klaren Aufbaus und durch hilfreiche Querverweise im Fließtext ist auch ein nicht-lineares Lesen der Publikation gut möglich.
Im ersten Teil richtet das Autorenteam den Blick auf die Hauptzielgruppe der Medienpädagogik, indem sie das Spannungsfeld Kindheit, Jugend und Medien theoretisch und empirisch skizziert. Aus sozialisationstheoretischer Perspektive werden das Heranwachsen in mediatisierten Lebenswelten, die Bedeutung von Medien für Heranwachsende und deren Medienumgang geschildert. Im zweiten Teil rückt die Medienpädagogik als wissenschaftliche Disziplin mit ihrer theoretischen Fundierung und ihrer eigenen Forschungstradition in den Fokus. In Form eines Rückblicks wird die Entwicklung hin zur aktuellen medienpädagogischen Lage gezeichnet. Dabei werden drei gegenwärtige, nebeneinander existierende Ansätze der Medienpädagogik beschrieben: 1) die bewahrpädagogische bzw. normative Medienpädagogik, 2) die bildungstechnologische Medienpädagogik und 3) die handlungsorientierte Medienpädagogik. Zudem wird die Disziplin Medienpädagogik in Lehre und Forschung, ihre theoretischen Grundlagen sowie Perspektiven und Methoden ausführlich vorgestellt. Im dritten und letzten Teil wird schließlich ein Bild von der medienpädagogischen Praxis vermittelt, welches sich aus den vorherigen theoretischen und empirischen Informationen speist. Fleischer und Hajok erläutern hier zunächst Handlungskonzepte, -felder und Methoden der Medienarbeit. Dabei orientieren sie sich überwiegend an der handlungsorientierten Medienpädagogik. Anschließend wird Medienpädagogik als Berufsfeld skizziert, gespickt mit einer Auswahl medienpädagogischer Initiativen und Projekte. Abschließend wagt das Autorenteam einen Blick über den deutschen Tellerrandhinaus und betrachtet die Medienpädagogik international. Dabei werden die Vorteile und die Wichtigkeit einer internationalausgelegten Forschungsdisziplin betont, internationale Fachzeitschriften vorgestellt und Begriffe zur weltweiten Verständigung angeführt. Das Autorenteam hat es geschafft, den interdisziplinären Bereich der Medienpädagogik kurz und prägnant zu umreißen.
Ihr Ziel, die vielfältigen Ansätze der Erziehungswissenschaft, der pädagogischen Kindheitsforschung, der Jugendsoziologie, der Medienpädagogik, der Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie den Jugendmedienschutz vorzustellen, ist gelungen. Dabei nutzen sie eine leicht verständliche Sprache, die für eine akademische Arbeit teils sogar etwas zu locker erscheint. Der als „Plauderton“ (S. 8) bezeichnete Sprachstil kann jungen Studierenden als angenehme Abwechslung erscheinen, wirkt für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung allerdings manchmal deplatziert. Dennoch wird hierdurch vor allem auch unerfahrenen Leserinnen oder Lesern der Einstieg in die Medienpädagogik erleichtert. Durch die ausführliche Beschreibung kindlicher und jugendlicher Lebenswelten im Spannungsfeld der Medien zu Beginn des Lehrbuchs ist die anschließende theoretische Aufarbeitung der Medienpädagogik verständlich und nachvollziehbar. Mittels des konsequent subjektorientierten Zugangs zieht sich zudem ein roten Faden durch das Werk, der eine klare Orientierungslinie bietet. Besonders zu betonen ist der dritte Teil der Publikation: Der Abriss von der Arbeitswelt medienpädagogischer Fachkräfte ist informativ, bietet eine gute Übersicht zur aktuellen Arbeitslage und ist insbesondere für orientierungslose Studierende ein echter Mehrwert. Auch der internationale Blick auf die Medienpädagogik, mit Verweisen auf relevante Zeitschriften und Publikationen, ist erwähnenswert. Studierenden dürfte vor allem die Auflistung der im internationalen Kontext durchgesetzten Begrifflichkeiten für das weitere Studium hilfreich sein.
Dennoch gibt es in diesem Einführungswerk auch Schwächen. Vor allem mit Blick auf die Zielgruppe fällt der Umfang der weiterverweisenden Literaturangaben sehr mager aus. Während am Ende der Unterkapitel Fragen und Aufgaben zum Aktivwerden anregen, fehlen hier schlicht Literaturhinweise. Insbesondere für Studienanfängerinnen und -anfänger wären hier zusätzliche Literaturtipps wünschenswert gewesen. Auch fallen die Literaturbezüge für ein Lehrbuch und Einführungswerk insgesamt eher mau aus. Dem eigenen Anspruch, „Bezug auf die mittlerweile recht üppige medienpädagogische Fachliteratur“ (S. 8) zu nehmen und auf „Klassiker und aktuelle Texte“ (S. 8) zu verweisen, kommen Fleischer und Hajok leider nur bedingt nach.
Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung bietet einen guten, kompakten Überblick, der das Grundwissen zur Medienpädagogik auf den Punkt bringt. Die praktische Ausrichtung der Einführung macht sich nicht nur in der Titelwahl bemerkbar, sondern auch in der Aufbereitung. Es wird dem aktuellen Stand der Forschung gerecht und kann trotz der erwähnten Mängel für Studierende der Erziehungswissenschaft und (Medien-)Pädagogik sowie für Interessierte empfohlen werden. Rebekka Köhler ist studentische Hilfskraft beim FLIMMO – Programmberatung für Eltern. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Medien und Kommunikation an der Universität Augsburg.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Buch auf, Handy an – los geht das Gewusel und Gewimmel
Carlsen Verlag GmbH (Hrsg.) (2014). LeYo! – Entdecken, Lernen, Spielen mit Kinderbuch und App. App-Store/Play-Store, kostenfrei.Oftring, Bärbel/Henkel, Christine/Mähler, Maria (2016).LeYo! Im Wald. Pappbilderbuch. Hamburg: Carlsen Verlag. 16 Seiten, 19,99 €.
Neugierig blinzelt der Fuchs, als wir uns dem Wald nähern, der Schmetterling flattert gleich aufgeregt davon und auch der Hase setzt zum Sprung an. Und was ist das – klingt da hinten nicht das gleichmäßige Klopfen eines Spechtes zwischen den Bäumen hervor? Gleich mal näher heranpirschen. Aber psst, viele Tiere hier sind sehr scheu!Wirklich verschwinden können die Tiere zwar nicht, denn wir befinden uns nicht leibhaftig im Wald; stattdessen sind wir Flora und Fauna per Buch und App auf der Spur: LeYo! heißt das – im wahrsten Sinn multimediale – Angebot des Carlsen Verlag, das Bücher lebendig machen und seine Leserinnen und Leser in die spannendsten Welten entführen will. Die Idee ist denkbar simpel. Man nehme ein Kinderbuch – sei es eine Geschichte wie Connis erste Abenteuer im Kindergarten, ein Kleinkind-Wörterbuch, vollgepackt mit Bildern aus allen Lebensbereichen zum Anschauen und Kennenlernen, oder ein Sachbuch wie Im Wald –, halte ein Handy mit passender, geöffneter App daran und mache sich so die Vorteile beider Medien zu Nutze: Die Größe, Haptik und Gestaltbarkeit eines Buches sowie die schnelle Verfügbarkeit, multimediale Ausrüstung und vielfältige Nutzbarkeit des Smartphones.
Bei LeYo! bedeutet das konkret: Wer ein LeYo!- Buch mit all seinen Möglichkeiten nutzen möchte, lädt sich die LeYo!-App herunter, die sowohl für Apple- als auch für Android-Smartphones kostenfrei verfügbar ist, allerdings erst ab iOS 7.0 bzw. Android 4.2 funktioniert. In der App selbst wird das vorliegende Buch ausgewählt und heruntergeladen, dann kann der Lesespaß losgehen. Mit der Handykamera erfasst man eine Stelle im Buch, die App bietet die passenden Zusatz-Optionen. Auf diese Art werden die Figuren und Szenen im Buch lebendig, Tiere bewegen sich und springen umher, Menschen führen ihre Tätigkeiten aus, Fahrzeuge oder Häuser öffnen ihre Türen und erlauben einen Blick ins Innere. Das alles wird begleitet von passenden Geräuschen und Informationen. Zusätzlich können die Texte im Buch von der App vorgelesen werden, es lassen sich weiterführende Infos zu den Themen der Bücher abrufen und an vielen Stellen hat die App auch Gimmicks wie kleine Spielchen in petto. So wird eine eigentlich nur zweidimensionale Buchseite plötzlich zu einer eigenen Welt, voll mit witzigen Entdeckungen, spannenden Überraschungen, interessanten Einblicken, voll Gewusel, Gewimmel und Leben – weit über die Papierseiten hinaus. So lassen sich trotz übersichtlicher Seitengestaltung und kurzen, knackigen Texten so viele Ideen und Inhalte auf den Seiten unterbringen wie sonst nicht einmal in das vollgepackteste Wimmelbuch.
Die Bedienung der Bücher über die App hat – im Vergleich zu den bisher auf dem Markt angebotenen Möglichkeiten mit elektronischen Stiften – durchaus ihre Vorteile. Zum einen für den verlängerten, nämlich zahlenden Arm der kleinen Leserinnen und Leser. Musste zu interaktiven Büchern bisher nämlich noch für einen recht stolzen Preis der Stift zusätzlich erworben werden, funktioniert die Erweiterung der Buchinhalte jetzt über ein Gerät, das in den Haushalten sowieso vorhanden ist und lediglich – und kostenfrei – ‚aufgerüstet‘ werden muss. Zudem funktioniert die Bedienung über ein Touchpad relativ intuitiv, die Buttons in der App sind selbsterklärend. Durch die Navigation über die Handykamera können sich die Kinder einfach auf der Buchseite orientieren. Das Gerät wirkt optisch wie eine Erweiterung des Buches, da der betrachtete Buchausschnitt parallel auf dem Handy-Display angezeigt wird. Und zu guter Letzt bietet ein Smartphone einfach mehr Möglichkeiten der Präsentation und Inhalte-Vermittlung. So können Inhalte und Optionen auf einem Touchpad intuitiv und spontan ausgewählt werden und müssen nicht umständlich über Knöpfchen gefunden werden, es lässt sich nicht nur Ton, sondern auch (bewegtes) Bild anzeigen und eine tatsächliche ‚Erweiterung‘ der Buchseite gestalten, über die sich Kinder wirklich selbständig bewegen können, um sich die Inhalte zu erschließen. Natürlich ist auch die App nichts für ganz kleine Kinder, ein wenig Geschick und Feinmotorik wird durchaus vorausgesetzt. Bei vielen Büchern ‚ruckelt‘ die Anzeige auch noch ein wenig, Objekte rutschen bisweilen schneller als gedacht wieder aus dem Bildausschnitt, so dass ein Vogel, der gerade hoffnungsvoll zum Flug ansetzte, unverhofft wieder platt auf der Buchseite liegt oder der Feuerwehrschlauch, gerade zum Löschen erhoben, noch vor dem ersten Tropfen wieder entgleitet.
Ärgerlich ist das bei Info-Texten, die auf halber Strecke stoppen und den Rest ihrer Information verweigern. Hin und wieder braucht die App auch mehrere Anläufe, um ein Objekt wirklich zu erkennen und lässt sich lange bitten, ihre Schätze zu offenbaren – während sie nebenbei munter RAM-Speicher und Batterie aus dem benutzten Smartphone saugt. Jüngere Kinder sollten daher lieber noch auf die Hilfe eines erfahreneren Zeitgenossen mit ruhiger Hand zurückgreifen; spätestens ab dem Grundschulalter kann die App dann alleine bedient werden. Im Leyo!-Sortiment finden sich für sie auch tatsächlich viele Infotainment-Bücher wie der genannte Band Im Wald oder ein Atlas-Band. Damit können die jungen Forscherinnen und Forscher nicht nur Zeit vertreiben, das Handy nutzen, das ohnehin immer eine gewisse Faszination hat, und sich neue Fähigkeiten in Feinmotorik und Navigation erarbeiten, sondern nehmen ganz nebenbei noch eine Menge Wissen mit, das ‚nur‘ in ein zweidimensionales Buch gar nicht passen würde – und das mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ein vorlesendes Elternteil nicht gleich parat gehabt hätte. Wer aus ohnehin schon grenzenlosen Fantasiewelten der Bücher noch so fantastische Entdeckungsreisen zaubert und den kleinen Figuren und Szenen zwischen zwei Pappdeckeln Leben einhaucht, kann sich dafür ruhig auch mal ein paar Preise abholen.
So wurde Leyo! bereits für den Tommy Kindersoftwarepreis2015 in der Kategorie ‚Elektronisches Spielzeug‘ und als ‚Top 10 Spielzeug 2015‘ beim Bundesverband des Spielwaren- Einzelhandels nominiert.Schon jetzt lässt sich auf den Seiten des Carlsen Verlag eine recht ansehnliche Liste von Leyo!-Büchern durchstöbern, in denen Feuerwehrautos und Schneeschaufeln, einheimische Waldbewohnerinnen und -bewohner sowie exotische Raubtiere, Brotzeitboxen und Sandschaufeln darauf warten, durch Kinderzimmer zu fahren und zu kratzen, zu zwitschern und zu fauchen und Kindern ihre Talente und Hintergründe zu präsentieren.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz |medien + erziehung und Lektorin im kopaed Verlag.
Jana Schröpfer: Was bin ich, was will ich sein und welche Konsequenzen hat das?
Medienprojekt Wuppertal e. V. (2016). Alles Mädchen, alles Junge. Ein Film über Mädchen und Jungen. DVD, 30,00 €.
Medienprojekt Wuppertal e. V. (2015). I’m too sexy for my … Ein Film über Sexismus. DVD, 30,00 €.
Wann ist ein Junge ein Junge? Was ist typisch weiblich? Welche geschlechterspezifischen Rollenerwartungen werden an Heranwachsende gerichtet? Und: Welche Verhaltensweisen fallen unter Sexismus? All dies sind hochsensible Fragen, die unterschiedliche Aspekte der gesellschaftlichen Genderdebatte darstellen und gerade in der Entwicklung von Jugendlichen eine wichtige Rolle spielen. Mit Unterstützung des Medienprojekt Wuppertal haben sich gemischtgeschlechtliche Jugendgruppen daher in Videoprojekten mit Gender- und Sexismus-Themen auseinander gesetzt. Entstanden ist eine DVDReihe, die zur Reflexion der eigenen Geschlechterrolle anregt, aber auch intime Informationen über das andere Geschlecht bietet.
Alles Mädchen, alles Junge ist ein Zusammenschnitt der beiden zuvor veröffentlichten Schwerpunkt- Dokumentationen Alles Mädchen und Alles Junge und erlaubt authentische, personalisierte Einblicke in die Lebenswelten von Jungen und Mädchen mit verschiedenen sozio-kulturellen Hintergründen. Der episodenhafte Film setzt sich aus Interviews, Alltagsporträts und persönlichen Videotagebüchern der Jugendlichen zusammen. Das vierminütige Intro der Dokumentation ermöglicht einen schnellen Einstieg in die Thematik. Kontrastierend werden rollentypische Bilder der zwei Genderwelten gegenübergestellt: Raufende Jungen zu trommelartigen Tönen, Mädchen beim Shoppen, begleitet von Popmusik, sowie Selbstaussagendazu, warum es schön ist ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Trotz der dargestellten Eigenheiten der Geschlechter beschränkt sich der Film jedoch nicht auf Stereotype, sondern artikuliert und reflektiert diese bereits zu Beginn in kurzen Szenen. So hält ein Transgender orientiertes Mädchen – laut Videoprojekt ein sogenannter Tomboy – fest, dass „es uns ja einfach nur beigebracht [wurde], was Mädchen und was Junge ist.“ Gleichermaßen äußert sich ein älterer männlicher Jugendlicher kritisch dazu, dass „man auf das biologische Geschlecht heruntergestuft wird“ und trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf: „Es ist doch scheiß egal, ob man jetzt ein Mann oder eine Frau oder alles Mögliche ist.“ Neben dieser wichtigen Botschaft wird den Jugendlichen im Rahmen des Films aber auch die Chance gegeben, ihre genderspezifischen Merkmale herauszustellen und alltagsnah aufzuzeigen, was ihr biologischen oder soziales Geschlecht für sie bedeutet. Die sequenzhaften Beiträge der Jugendlichen gehen im Filmfluss zwar nahtlos ineinander über, doch die im Menü auswählbaren Kapitel geben Aufschluss darüber, wie das Rahmengerüst der Doku aufgebaut ist. An das themenöffnende Intro reihen sich Zusammenschnitte zu den in der Pubertät besonders relevanten Bereichen ‚Schönheit und Aussehen', ‚Was ist männlich, was ist weiblich?', ‚Erdbeerwoche', ‚Freundschaft und Liebe', ‚Sex und Sexobjekt' sowie ‚Erwachsenwerden'. Auch hier werden die Porträts der männlichen und weiblichen Jugendlichen gegenübergestellt, jedoch mit bewussten Überraschungen bzw. vermeintlichen Umkehrungen: Zwei Mädchen sprechen beispielsweise über ihre Begeisterung für Fußball und ein zuvor rollentypischer Junge referiert über seinen Berufswunsch als Tanzlehrer. Obwohl die Ausführungen der Jugendlichen unbekümmert und charmant artikuliert werden, schwingen gesellschaftskritische Aussagen mit. Besonders bildhaft wird das unter anderem in einer Szene, in der zwei Freunde bei einem Ikea Besuch die extrem klischeehaft ausgestalteten Kinder- und Jungendzimmer unter die Lupe nehmen. Auch zentrale Konfliktthemen der Jugendlichen finden ihren Platz, wenn es zum Beispiel um Gefühlsverletzungen durch das andere Geschlecht, um Übergriffe oder sexuelle Belästigung geht.
Letzteres Problem wird in einer weiteren DVD des Medienprojekt Wuppertal dezidiert aufgegriffen. I’m too sexy for my … ist ein Film über Sexismus. Die Reportage setzt sich aus separaten Sequenzen zusammen, die durch Umfragen, Porträts, nachgestellte Inszenierungen und (Experten-)Interviews, die Erfahrungen, Ängste und Wünsche von Mädchen und Frauen hinsichtlich Geschlechterungerechtigkeit beleuchten. Ein beklemmendes Gefühl erhalten die Zuschauerinnen und Zuschauer bereits in der ersten Szene, in der eine junge Schauspielerin die Kamera direkt und ungeniert fokussiert und typische sexistische Sprüche verlauten lässt. Daran schließen sich Aufnahmen von Straßenumfragen mit Mädchen und jungen Frauen an. Antworten wie „Aber ich glaube das ist normal“ zeigen eindrücklich, was bereits der Klappentext der DVD herausstellt: 100 Prozent aller Mädchen und Frauen sind von Sexismus betroffen. In einer Interviewsequenz macht Feministin Anne Wizorek, die 2013 mit dem Hashtag #aufschrei bekannt wurde, eine weite Definition von Sexismus auf. Sie bezeichnet damit „in erster Linie die stereotype Erwartung, wie Menschen Geschlechterrollen zu leben haben.“ Passend dazu werden in dem Wuppertaler Filmprojekt verschiedene Arten von Sexismus beleuchtet. Von verstecktem Sexismus über alltägliche Belästigungen oder Sexismus in den Medien bis hin zu nervigen Blicken – die Protagonistinnen der Dokumentation erzählen von bekannten Szenarien, sprechen aber auch neue, interessante Facetten an. Eine selbstbewusste junge Muslimin spricht beispielsweise über die Vorteile des Kopftuchs, welchen Wert es für sie hat und dass es ein Gefühl der Sicherheit verleiht, während die 16-jährige Mia sich in einem Zwiegespräch mit ihrem Partner damit auseinander setzt, was gut gemeinter Sexismus ist – also das Einnehmen einer Beschützer- oder Kavaliers- Rolle durch die Männer. Abschließend werden Wünsche danach formuliert, „dass man Frauen und Männer nicht so trennt“ und dass bestimmte Unterschiede „einfach nicht mehr relevant sind“. Dies deckt sich auch mit den Leitgedanken in Alles Mädchen, alles Junge. Das Ziel beider Filmprojekte ist es, über das andere Geschlecht zu informieren, Verständnis für Genderaspekte zu erzeugen und die Zuschauerinnen und Zuschauer für Themen der Geschlechterungerechtigkeit zu sensibilisieren. Beide Filme eignen sich als Lehrmaterial an weiterführenden Schulen bzw. sind sogar dementsprechend angelegt. Vor allem der Zusammenschnitt Alles Mädchen, alles Junge eignet sich dafür, kurze Einblicke in die Lebenswelt des anderen Geschlechtes zu geben. So können auch sensible Themen wie die weibliche Periode, die im Kapitel ‚Erdbeerwoche' behandelt wird, angesprochen werden – bedürfen aber gerade bei Schulklassen einer Begleitung durch Fachpersonal. Die halbstündige Zusammenfassung der Filme Alles Mädchen und Alles Junge ist leicht zu rezipieren, bietet genug Abwechslung und Humor, hält durch die filminternen Reflexionen zu Rollenstereotypen aber auch genug Diskussionspotenzial bereit. Der sehr szenenhafte Sexismus-Film hätte einer konkreteren Moderation oder einem stringenteren narrativen Faden bedurft, um gerade jungen Zuschauerinnen und Zuschauern das Filmerlebnis zu erleichtern und spannender zu gestalten. Dennoch erfüllt er sein Ziel und gibt zumindest Einblicke in eine Gesellschaft, in der Sexismus omnipräsent ist. Aufgrund der Filmlänge und Dichte der Thematik eignet sich die Rezeption der Dokumentation eher in Ausschnitten, die zur Veranschaulichung, Diskussionsanstoß oder einfach zum Hineinversetzen in beklemmende Situationen geeignet sind. Beide Filmproduktionen entspringen der Gedanken- und Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und sind im Umkehrschluss auch sehr gut geeignet um eben diese Zielgruppen über Geschlechteraspekte aufzuklären.
Jana Schröpfer ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Jana Schröpfer: Historische Filmclips online neu zum Leben erwecken
Vistarena GmbH (Hrsg.) (2015). historixx: Filmgeschichte zum Selbermachen. Bildungsportal. www.historixx.de, kostenfrei oder kostenpflichtiges Premiumabonnement.
Moderner Medienumgang und deutsche Zeitgeschichte schließen sich aus? Spannende Filmclips drehen und nebenbei für Geschichte pauken ist nicht möglich? Falsch gedacht! Die virtuelle Filmwerkstatt historixx bringt diese scheinbar unvereinbaren Gegensätze zusammen: Auf einer Bildungsplattform, die von Schülerinnen und Schülern, pädagogischen Fachkräften oder Geschichtsinteressierten gleichsam genutzt werden kann; sei es, um geschichtliche Themenbereiche in Eigeninitiative aufzubereiten, das Geschichtswissen der Schützlinge interaktiv zu vertiefen, kultur- und medienpädagogische Projekte anzustoßen oder sich kreativ auszuleben. Das Online-Angebot der Vistarena GmbH wird unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt und ist Teil der Förderinitiative Ein Netz für Kinder der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Ziel der Initiative ist es, mehr kindgerechte und qualitativ hochwertige Internetangebote zu schaffen und deren Auffindbarkeit im Netz zu erhöhen. Die Inhalte der Homepage richten sich an eine breite Altersklasse von technikaffinen Kindern und interessierten Jugendlichen über Studierende bis hin zu Erwachsenen – am ehesten eignen sie sich jedoch für Schülerinnen und Schüler ab der Sekundarstufe I.
Die Kernidee von historixx besteht darin, dass die Nutzenden auf ein reich bestücktes Archiv historischer Filmclips zugreifen und diese in einem Online-Schnitttool individuell bearbeiten können. Dadurch entstehen sowohl lehrreiche als auch kreative Geschichtsvideos. Um dieses Konzept herum bietet historixx noch zahlreiche Zusatzfunktionen. Neben historisch bedeutsamen Filmsequenzen sind auch thematisch sortierte Bilder, Originaltöne und Audioaufnahmen vorhanden. Die Themenbereiche setzen sich aus geschichtlichen Epochen – wie ‚Erster Weltkrieg‘ oder ‚Zwei Deutsche Staaten‘ –, wichtigen Ereignissen oder allgemeineren Kategorien – wie ‚Kindheit und Familie‘ oder ‚Rund um die Welt‘ – zusammen. Einige Bereiche werden durch ‚Lehrmaterialien‘ ergänzt: Erklärungstexte zu den Geschichtsthemen, inspirierende Vorlagentexte oder sogar ganze Storyboards. Diese sollen dabei helfen, Ideen für den eigenen Filmclip zu entwickeln. Das Archiv lädt daher nicht nur zum Browsen und Schmökern ein, sondern nimmt eine der größten Sorgen potenzieller Clip-Produzierender gleich vorweg – nämlich: Was mache ich, wenn ich keine Idee habe? Weiter geht es mit der Speicherung von geeignetem Material, das nach einer kostenlosen Registrierung in der eigenen Projekt-Mediathek abgelegt werden kann. In diese lassen sich ferner private Audio-, Musik-, Film- und Bildaufnahmen hochladen, was eine perfekte Individualisierung des späteren Clips ermöglicht. Im Schnitttool kann das eigene Projekt nach Herzenslust zusammengefügt werden. Die Schnittbühne bietet hierfür einiges: schneiden, trimmen, beschleunigen und allerlei Effekte. Ob die Filmemachenden nun einen Kommentar zu einer Stummfilmsequenz einsprechen, eine historische Rede mit eigenen Gedanken untertiteln oder aber einen ‚Iris-Übergang‘ zwischen zwei Filmclips einblenden möchten – nahezu alles ist möglich. Was die Werkstatt- Nutzenden hinterher mit ihren kreierten Kurzfilmen anfangen, bleibt ihnen selbst überlassen: Die Endprodukte können offline gespeichert, in sozialen Netzwerken geteilt oder aber im homepageeigenen ‚Schaufenster‘ zugänglich gemacht merz medienreport werden, um anderen historixx-Mitgliedern bei der Ideenfindung zu helfen. Wer mal eine Pause vom ‚Cutten‘ braucht oder sein neugewonnenes Geschichtswissen überprüfen möchte, kann eines der vielen kniffligen historixx-Rätsel lösen. Unter ‚Quiz‘ lassen sich zum Beispiel Filmclips in die richtige Reihenfolge ‚puzzeln‘, um den Verlauf von geschichtlichen Ereignissen nachzustellen. Oder die Geschichtsbegeisterten werden aufgefordert, sich nach der Sichtung verschiedener Clips zu entscheiden, welcher wohl die richtige Antwort zu der Frage „Wer waren die Suffragetten und was haben sie gemacht?“ bereithält. Die genannten Portalfunktionen gehören zur frei zugänglichen Basisversion – zum Erstellen eines eigenen Videos bedarf es jedoch einer kostenlosen Registrierung. Mit der zahlungspflichtigen Premiumvariante von historixx ist hingegen noch viel mehr möglich. Das Archivmaterial erweitert sich immens, neue Themenbereiche kommen hinzu und Lehrkräfte können Lehrfilme sowie didaktische Unterrichtsmaterialien herunterladen oder sogar Klassenprojekte samt Hausaufgaben und Bewertungsmechanismen anlegen. Das virtuelle Geschichtsportal bietet dadurch auch interessante Lehrpakete für Schulen und sogar Universitäten an.
Alles in allem ist historixx ein vielseitiges und bereicherndes Bildungsangebot. Auch wenn die Startseite zunächst etwas ‚erschlagend‘ wirkt und es einige Zeit benötigt, sich über die vielen verschiedenen Funktionen zu informieren, lohnt es sich, das Anwendungspotenzial von historixx auszuschöpfen. Pädagogischen Fachkräften erleichtert das Portal die Unterrichtsvorbereitung, die -durchführung kann attraktiver gestaltet oder spannende Medienprojekte angestoßen werden. Zweifelsfrei erfüllt historixx seinen Zweck und ermöglicht jungen Menschen, sich auf spannende Art und Weise mit deutscher Zeitgeschichte auseinanderzusetzen. Durch die erlebte Interaktivität und die Verwendung von Bewegtbildern wird spielerisches Lernen samt einhergehender Medienkompetenzförderung ermöglicht. Die (Schnitt-)Funktionen der Plattform sind für ‚Medienungeübte‘ zwar nicht unbedingt geeignet, Nutzende werden aber mit übersichtlichen Leitfäden oder Erklär-Videos versorgt. Vor allem die Quiz-Sammlung bereichert nicht nur Jugendliche, sondern bietet eine Beschäftigung für die ganze Familie. Bei all dem Spaß wird aber auch auf rechtliche Richtlinien geachtet und beispielsweise genau über das Urheberrecht informiert. Bevor ein Video einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden kann, wird es ferner vom historixx-Team geprüft, um möglichen Geschichtsverfälschungen vorzubeugen. Langfristig und optimal ist die Bildungsplattform wohl am ehesten über den kostenpflichtigen Premiumzugang nutzbar. Wünschenswert wäre, dass historixx noch partizipativer und die ‚Schaufenster‘-Funktion von mehr Clip-Produzierenden genutzt wird, um einen Austausch unter den jungen (und auch älteren) Geschichte-Begeisterten herzustellen. Abschließend bleibt zu sagen: Film ab und Geschichte lebendig werden lassen!
Jana Schröpfer ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Gemobbt im Netz? Ab in den App-Store!
klicksafe (Hrsg.) (2015). Cyber-Mobbing Erste-Hilfe App. Betriebssysteme Android und iOS, kostenfrei.
„Jemand hat dich übers Handy oder Internet verletzt und jetzt brauchst du Hilfe? Dann lade dir die App.“ Was im Google-Playstore so lapidar klingt, hat einen ziemlich ernsten Hintergrund: ‚Hass im Netz‘, ‚Gewalt im Netz‘, ‚Cybermobbing‘ ist nach wie vor ein großes Thema für Kinder und Jugendliche – und leider auch nach wie vor häufig ein Thema, mit dem sich Betroffene eher allein gelassen fühlen, weil es mit Angst, Scham oder Ratlosigkeit besetzt ist. Was tun, wenn Gleichaltrige, Klassenkameradinnen, Klassenkameraden oder Kinder aus der Nachbarschaft hänseln, ärgern oder sogar gewalttätig werden, sei es auf der Straße und in Schulfluren oder sei es – häufig die wesentlich grausamere Variante – im Kontext neuer Medien, in WhatsApp-Gruppen, auf Facebook-Seiten, in Instagram- oder Snapchat-Profilen et cetera? Wie kann man reagieren, wie sich wehren, wie einen Weg finden, den (häufig anonymen) Bullys zu begegnen und die Gewalt im besten Fall zu beenden?
klicksafe versucht, dieser Thematik da zu begegnen, wo sie meist stattfindet: auf den Smartphones der Kinder und Jugendlichen. Gemeinsam mit dem klicksafe Youth Panel, einer ‚Internet- Arbeitsgruppe‘, in der Jugendliche eingeladen sind, ihre Sichtweisen und Fragen zu Medien einzubringen und anzugehen, erarbeitete die Initiative eine App, die Mobbing-Opfern erste, aber auch langfristige Hilfe leisten soll. Dazu kommt die App zunächst einmal in ansprechender Optik und sehr übersichtlichem Aufbau daher. Satt großer Menüführung, Begrüßungsseiten oder ähnlichem Schnickschnack gibt es genau drei Seiten, die sich auswählen lassen: ‚Tutorials‘, ‚Hilfe‘ und ‚Info‘. Die ‚Info‘-Seite bietet einige erklärende Sätze dazu, was Cyber- Mobbing eigentlich ist, nützliche Links zu klicksafe und juuuport (von denen beim Testlauf leider nur die klicksafe-Links funktionierten) sowie anhand deutscher Strafgesetzbuch-Paragrafen erläuterte Erklärungen, warum bzw. inwiefern Cyber-Mobbing strafbar ist. All das in kurzen, informativen ‚Info-Häppchen‘, die auch ohne viel Lese-Zeit oder -Lust verstanden und genutzt werden können.
Auf der ‚Tutorials‘-Seite ist ebenfalls genau das zu finden, was angekündigt wurde, nicht weniger und nicht mehr. Sortiert nach den Plattformen, in denen Cybermobbing stattfinden könnte, gibt es hier kurze Anleitungen, wie bei Facebook, Instagram oder WhatsApp Personen bzw. Inhalte gemeldet oder blockiert werden können und eine Info, wie man Screenshots mit dem Handy erstellt. Letzteres ist leider nicht für alle Smartphone-Typen gültig, die anderen Tutorials sind dafür umso richtiger und wichtiger – und bestehen ausschließlich aus Fotos, in denen die jeweiligen Schritte zum Melden oder Blockieren markiert sind, keinerlei langatmige Erklärungen und Beschreibungen. Das Herzstück der App ist die ‚Hilfe‘-Seite. Hier lässt sich direkt per Klick auf ‚Beratung‘ die ‚Nummer gegen Kummer‘ aufrufen, um mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Oder aber man nimmt die Dienste der App in Anspruch, wählt sich dazu einen Guide aus (Tom oder Emilia, zwei Jugendliche ‚von nebenan‘) und lässt sich von diesem durch die ersten Schritte im Kampf gegen Cybermobbing begleiten.
In sechs aufeinanderfolgenden Tipps versuchen die beiden, Nutzerinnen und Nutzern erste Schritte aufzuzeigen. Diese gehen von ‚Bleib ruhig und lenk dich ab‘ (dazu werden eigens Links zu lustigen Spielchen und Videos zur Verfügung gestellt) über ‚Dokumentiere die Angriffe‘, ‚Vertrau dich jemandem an‘, ‚Blockiere, melde, lösche‘ und ‚Verteidige dich‘ bis hin zu ‚Du bist in Ordnung‘. In kurzen, aufmunternden Videos nehmen die ‚Guides‘ betroffene Jugendliche an die Hand und ermutigen sie, sich kurz zu sam¬meln, um anschließend nacheinander die notwendigen Schritte zu gehen, um ihren Peinigern erfolgreich die Stirn zu bieten und ihre Situation zum Besseren zu wenden. Auf jedes Video folgt eine Info-Seite mit den entsprechenden Informationen (etwa Tutorials), die direkt genutzt werden können. Wenn Tom und Emilia ihre ‚Schützlinge‘ schließlich mit einem „Du bist toll, so wie du bist! Niemand hat das Recht, dich zu verletzen!“ entlassen, ist deren Cybermobbing-Geschichte vielleicht noch nicht final beendet – hat aber möglicherweise einen dramatischen Wendepunkt erfahren, weil die Opfer den Mut und die Entschlossenheit aufbringen konnten, nicht mehr ausschließlich Opfer zu sein, sondern anfangen, Mobbing zu bekämpfen. Und dieser erste Wendepunkt ist nicht selten der wichtigste Part all dessen, was anschließend folgen kann und muss. Insgesamt also eine ansprechende, engagierte und mutmachende App von klicksafe – die zu Recht bereits mit dem ENABLE Hackathon-Preis ausgezeichnet wurde. Bleibt zu hoffen, dass viele Jugendliche in misslichen Lagen sich hierhin klicken und Cybermobbing erfolgreich zu einem Thema ihrer Vergangenheit machen.
Beitrag aus Heft »2016/03: Empowerment und inklusive Medienpraxis«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDF
Jana Schröpfer: Flucht und Asyl filmisch inszeniert
Medienprojekt Wuppertal (2016). HIN und WEG 1. Filmreihe bestehend aus acht Kurzfilmen. www.medienprojekt-wuppertal.de, kostenfrei.
Können Filme die Gesellschaft verändern? Und was können sie zu Zeiten von Krieg, Flucht, Asyl und Integration leisten? Das Jugendvideoprojekt HIN und WEG 1, das vom Medienprojekt Wuppertal ins Leben gerufen wurde, hat die Bearbeitung dieser Fragen in die Hände von jungen Menschen gelegt. Herausgekommen ist eine eindrucksvolle Filmreihe mit Kurzfilmen unterschiedlichster Art, die Jugendliche mit und ohne Migrations- bzw. Fluchthintergrund entwickelt und produziert haben. Das von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderte Modellprojekt besteht derzeit aus acht Beiträgen, die das gesellschaftliche Phänomen ‚Flucht‘ in dessen Facetten beleuchten.
In dem knapp vierminütigen Animationsfilm Vom Untergang des Schlaraffenlandes wird der vielprognostizierte Untergang des Abendlandes mit einer gehörigen Portion dunklem Humor eruiert. Dazu werden deutsche Werte und Tugenden vorgestellt: „Das Schlaraffenvolk feierte ein ewig währendes Oktoberfest, Bier floss in Strömen und Schweinshachsen wuchsen an den Bäumen. Umhüllt von christlich abendlichen Werten lebte und konsumierte das Volk glücklich, zufrieden und cool.“ Gezeigt werden derweil eine fesche Blondine mit Einkaufstüten, die fleißig Selfies knipst, Oktoberfest-Riesenräder und Bierkrüge, der WM-Pokal, Gartenzwerge sowie – zu allem Überdruss – rollende Panzer im Hintergrund. Ein überspitzes, aber dennoch treffend-trauriges Bild der deutschen Nation. Doch wie geht es weiter im Schlaraffenland? ‚Fremdlinge‘ wollen in das gelobte Land, die ‚Gutmenschen‘ locken sie herein und bald darauf bricht das Chaos aus: Grasende Kühe verwandeln sich in Kamele, palastartige Moscheen werden hochgezogen, Kulturgüter zerstört und Schlagzeilen zum Diebstahl von Arbeitsplätzen und entführten Kindern – „um sie zu verspeisen“, natürlich – machen die Runde. Doch die ‚Schlaraffen‘ begehren auf: Sie rotten sich zu einer wütenden Meute zusammen und setzen die Moschee-Paläste in Brand. Riesige Grenzzäune entstehen vor der Schlaraffenpforte, bewacht von einer schwerbewaffneten Vertreterin bzw. einem Vertreter: Frauke Petry und Horst Seehofer. Doch die Apokalypse im Land ist nicht mehr aufzuhalten und die Schlaraffen verwandeln sich. Die Botschaft des Kurzfilms ist klar: „Und die Moral von der Geschicht', zum Affen werden sollst du nicht“. Eine filmische Mischung aus hyperbelhafter Gesellschaftskritik, gar nicht so weit hergeholter Nachskizzierung aktueller Ereignisse und einer deutlichen Warnung, das eigene Paradies nicht durch animalisches Verhalten zu zerstören.
In der Kurzdokumentation Eine etwas andere Kindheit erzählen zwei 13-jährige Jungen, Faramoz Nasimi und Sayed Musa Abasy, von ihrer Flucht aus Afghanistan. An das „gute mittelständische Leben“, das ihre Familien einst führten, reihen sich unsägliche Erzählungen über Entführungen durch die Taliban, Angriffe durch bewaffnete Diebesbanden auf der Flucht, geldgierige Schlepper oder die Zustände im bulgarischen Gefängnis. Die enormen organisatorischen Probleme, die die Jungen auf der Flucht bewältigen mussten, oder die gewaltigen Geldsummen, die ihre Eltern im Heimatland an immer wieder neue Schlepper bezahlen mussten – „Man wird von Hand zu Hand weiterverkauft“ –, wirken dagegen fast nichtig. Der Titel der Doku macht bereits klar: Gemessen an ihren Erfahrungen handelt es sich bei Faramoz und Sayed nicht mehr um Kinder bzw. Jugendliche. Deshalb mutet es fast seltsam an, wenn man die beiden auf einem Fußballplatz in Deutschland beim Kicken beobachtet. Der Kurzfilm ist sehr sachlich gehalten und verzichtet auf jegliche Art der Emotionalisierung. Es ist ein Gespräch mit zwei sehr sympathischen Jungen, die in einem Wohnzimmer sitzend von ihren Erfahrungen berichten. Dennoch überkommen die Zuschauenden rührende Gefühle, wenn die Jungen von ihrem ‚Happy End‘ in Deutschland berichten. Über die Diakonie Wülfrath, in der sie nun untergebracht sind, hält Sayed fest: „Man wünscht sich, dass ich glücklich bin. Ich merke, dass ich den Menschen wirklich was bedeute.“ Am Ende des Films wünscht man sich, dass die erlebten Gefühle der Empathie und des Stolzes auf die deutschen Helferinnen und Helfer auch auf andere Teile der Bevölkerung überschwappen würden.
Eine etwas andere emotionale Wertigkeit trägt der Kurzfilm Eine Familie, in dem der 17-jährige Syrer Hussam, der nun seit mehreren Monaten in einer Wuppertaler Wohngruppe für Jugendliche lebt, von seiner beschwerlichen Flucht erzählt und davon, was es bedeutet, als ‚Flüchtling‘ erkannt und abgestempelt zu werden. Er berichtet von Abzocke und Ausbeutung sowie von Gefahren, die ihn wegen seines ungewollten Status zu Teil wurden (und werden). Auch er gehörte zu den ‚Glücklichen‘, die noch vergleichsweise problemlos in Deutschland einreisen durften, hier willkommen geheißen und aufgenommen wurden. Er hat in den anderen Jugendlichen der Wohngruppe eine Familie gefunden, dennoch erzählt er, dass es darüber hinaus schwer ist, Freundschaften zu schließen. Außerdem hat er im Gegensatz zu seinem Leben in Syrien – in dem er immer viel unterwegs war – in Deutschland nichts zu tun. Er kam, um zu studieren, langweilt sich stattdessen nun und verbringt gezwungenermaßen viel Zeit in seinem Zimmer und im Internet. Der Kurzfilm gibt keine Wertung vor. Wie viele andere Beiträge des Filmprojekts portraitiert er lediglich. Doch man bekommt das eindringliche Gefühl: Hussam wartet darauf, integriert zu werden.
Auch die anderen Kurzfilme der achtteiligen Reihe HIN und WEG 1 lassen Flüchtlinge zu Wort kommen und beleuchten verschiedene Aspekte ihres (Leidens-)Weges – so zum Beispiel in Abd Al & Malaz, Der einzige Weg oder Tomaten im Regen. In Füreinander da sein geht es ferner um ein selbstorganisiertes, beidseitig gewinnbringendes Familienpaten-Projekt, während Im Dschungel der Flüchtlinge von illegalen Flüchtlingscamps handelt.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Filmreihe der Komplexität des Themas ‚Flucht‘ gerecht wird und die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet – sei es die überspitze und fast schmerzhafte Selbstkritik in Vom Untergang des Schlaraffenlandes, das Empathie-auslösende Gespräch in Eine etwas andere Kindheit oder die problemzentrierte Darstellung in Eine Familie. Es bleibt zu hoffen, dass durch die diversen Blickwinkel und Positionen noch so manch meinungsverhärtete Filterblasen zum Platzen gebracht werden können. Die Filmreihe richtet sich an alle, die einen tiefen Einblick in die Themenlage erhalten und zur Reflexion angeregt werden wollen. Vor allem aber ist sie zur Vorführung geeignet, gerade auch in Schulklassen. Auf dem YouTube-Kanal des Medienprojekt Wuppertal sind alle Filme abrufbar, bald sind sie auch als DVD erhältlich.
Beitrag aus Heft »2016/03: Empowerment und inklusive Medienpraxis«
Autor:
Jana Schröpfer
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Franziska Schlachtbauer: Mehr als nur ein Tag
Baltscheit, Martin/Rauers, Wiebke (2016). Nur ein Tag. Hamburg: Dressler Verlag. 105 S., 12,99 €.
Was würdest du tun, wenn heute dein letzter und einziger Tag wäre? Mit dieser Frage ist die kleine Eintagsfliege konfrontiert – nur weiß sie gar nichts von ihrem Schicksal. Und selbst ihre Freunde Fuchs und Wildschwein bringen es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen ...
Aber von vorne. Als der Fuchs und das Wildschwein es sich gerade an einem See gemütlich gemacht haben, begegnen sie einer frisch geschlüpften Eintagsfliege. Diese ist so voller unbändiger Lebensfreude, dass die beiden gutherzigen Tiere es nicht schaffen, sie über ihre sehr kurze Lebenserwartung aufzuklären – und der misstrauischen Fliege in ihrer Not eine Lügengeschichte auftischen. Der Fuchs müsse in einem Tag bereits sterben, erklären die zwei dem erschrockenen Jungtier, und deshalb seien sie beide etwas traurig und geknickt. Doch die Eintagsfliege reagiert prompt: Wenn der Fuchs schon nur noch einen Tag zu leben hat, so beschließt sie, muss dieser Tag für ihn eben so schön und erlebnisreich gestaltet werden, wie es nur geht. So wirbeln die drei gemeinsam durch einen Tag voller aufregender Abenteuer, es wird die Schulbank gedrückt und es werden Hühner gejagt, es wird gelacht und geki-chert, geheiratet, gestritten und versöhnt und es wird in vollen Zügen gelebt. Immer mit dem drohenden Ende im Blick (wessen Ende das auch sein mag), schaffen die drei es, ihrem Leben einen herrlichen Tag lang alles abzuverlangen und es in seiner ganzen Herrlichkeit und seiner ganzen Dramatik auszuschöpfen. Selbst ein größerer Rückschlag muss verkraftet werden und lässt die Freunde, aber auch ihre Leserinnen und Leser, stärker, liebevoller und noch lebenslustiger als jemals zuvor zurück.
Die vielen farbig gestalteten, wunderbar verspielten Illustrationen von Wiebke Rauers, das übersichtliche und schöne Layout des Buches, aber auch die einfühlsamen, manchmal herzzerreißenden treffenden Texte von Martin Baltscheit – „Der Tod ist wie das Leben – unvermeidbar. Niemand weint über das Leben und deshalb sollte auch keiner über den Tod weinen.“ – treiben kleineren und größeren Leserinnen und Lesern von der ersten bis zur letzten Seite Tränen in die Augen, manchmal vor Ergriffenheit und manchmal vor Lachen. Durch die Teilüberschriften ist das Buch inhaltlich gut gegliedert, so dass auch kleinere Leserinnen und Leser gut verständlich an der Geschichte von Fuchs, Wildschwein und der kleinen Eintagsfliege teilhaben können. Nicht nur die Erlebnisse der zwei Waldbewohner und ihrer kleinen Freundin können Kinder und auch Erwachsene in den Bann ziehen, es werden zudem auch wichtige Botschaften und Lebensweisheiten vermittelt. Dass es beispielsweise nicht auf die Dauer des Lebens ankommt, sondern auf die Art und Weise, es zu gestalten: „Und weil das Leben kurz ist und niemand weiß, wie lange man noch davon kosten darf, sollte man feiern, bevor die Sonne das Licht ausmacht. Das weiß der Fuchs und auch die Fliege und das Wildschwein sowieso und alle singen.“ Insgesamt ist das Kinderbuch mit seiner an¬schaulichen Gestaltung und der erlebnisreichen Handlung gut gelungen und durchaus sowohl für Kinder als auch deren Eltern und/oder Vorleserinnen und Vorleser zu empfehlen.
Beitrag aus Heft »2016/03: Empowerment und inklusive Medienpraxis«
Autor:
Franziska Schlachtbauer
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Monster!
Robert Paul Weston (2014). Die Monsterabteilung. Hörbuch, gelesen von Bastian Pastewka. 4 CDs, etwa 310 Minuten. Berlin: Der Audio Verlag. 16,99 €.
Eine uralte, halb verfallene Villa – mitten auf dem Hof des fünftgrößten Elektronikherstellers der Welt und des modernsten Gebäudes der Stadt. Wände, die sich von Zauberhand öffnen, Türen, die keiner sehen kann, ein kleines Hinterzimmer, das viel größer ist, als das ganze Haus. Gügor und Goggelmoggel, Patti Matschmeyer und der General Admiral, ein Fledermauself, ein Bombastodon, eine Sumpfnymphe und ein Kopf auf Beinen … und mittendrin Elliot und Leslie. Das kann ja heiter werden. Aber von vorne. Denn eigentlich ist Elliot ein ganz normaler Junge. Sehr normal sogar. Seine Welt besteht, ganz normal, aus Schule und Ferien, Essen und Schlafen, ein bisschen Spaß und ein bisschen Langeweile. Und mit Zauberei, Monstern oder sonst irgendwelchen abgefahrenen Dingen hat er gar nichts am Hut. Besser gesagt: Hatte er nichts am Hut. Bis jetzt. Denn in diesen denkwürdigen Sommerferien geht Elliots größter Wunsch in Erfüllung – er darf die Mega-Fabrik DENKi-3000, in der sein Onkel Archie arbeitet, endlich einmal von innen sehen.
Doch was als harmloser Besuch mit Firmenrundgang beginnt – endet im größten Abenteuer in Elliots kurzem und an Abenteuern armem Leben. Kaum nämlich haben sich die hochmodernen Türen der DENKi-3000-Fabrik hinter Elliot, dessen (neuer) Freundin Leslie und Onkel Archie geschlossen, überschlagen sich die Ereignisse. Nicht nur, dass Elliot und Leslie, deren Freundeskreise vorher jeweils eher sparsam ausfie¬len, plötzlich schier unüberschaubar viele neue Freundinnen und Freunde gewinnen: solche nämlich, die über und über lila behaart sind oder solche, die nur wenige Zentimeter groß sind, dafür aber fliegen können oder auch solche, die zwar fürchterliche Ausmaße haben, mit ein paar Keksen im Mund aber die friedlichsten Gesellen sind. Kurz, viele neue Monster- Freundinnen und -Freunde, die alle in der DENKi-3000-Forschungsabteilung leben und arbeiten – oder zumindest arbeiten sollten, statt dort für Chaos zu sorgen. Auch trotzt die Fabrik jeder Logik dieser Welt, sie ist der abgefahrenste Ort, den man sich überhaupt vorstellen kann.Als wenn all das nicht genug wäre, purzeln Elliot und Leslie auch noch unversehens mitten in einen Krimi hinein. In eine feindliche Übernahme. In eine Entführung. In einen Wettlauf mit der Zeit. Und in … ach was, mehr wird nicht verraten.Wer den ganzen Krimi in all seiner Spannung, seiner Lustigkeit und seiner Verrücktheit hören will, muss schon selbst zu den CDs greifen und die Anlage mit der Die Monsterabteilung-CD füttern. Dann gibt es 300 Minuten lang Monsterquatsch auf die Ohren.
Bastian Pastewka hat das gleichnamige Kinderbuch von Robert Paul Weston eingesprochen und erzählt seinen jüngeren (und vielleicht auch älteren) Zuhörerinnen und Zuhörern launig und mit viel Stimm-Virtuosität von Elliot, Leslie und ihren monstermäßigen Sommerferien. Empfohlen ist das Hörspiel ab neun Jahren – und ist wohl auch erst dann interessant. Zum einen, weil mehr als fünf Stunden Spielzeit (die bereits eine gekürzte Version des Buches darstellen) doch einen einigermaßen langen Atem einfordern, den jüngere Kinder noch nicht unbedingt aufbringen können. Zum anderen aber, weil Weston seinem Publikum doch ein paar aktive Synapsen zutraut. Den Überblick über alle Monster zu behalten, den Humor und teilweise auch die Begrifflichkeiten zu verstehen ist eine Aufgabe, die eher für ältere Grundschulkinder zu meistern ist. Problematisch sollte es für Kleinere nicht sein – man kann also ganz unbesorgt auch auf der fünfstündigen Fahrt in den Urlaub die Monster ins Auto lassen. Vieles finden sicher alle witzig – manches eben nur manche. Insgesamt besticht Weston – und dessen deutsche Stimme Pastewka – durch einen sehr netten, feinsinnigen Humor.
Die Figuren sind liebevoll gezeichnet, jede eine ganz eigene, liebenswerte Persönlichkeit mit ihren ganz ei-genen, liebenswerten Macken. Die Story ist klar und übersichtlich, aber spannend. Und aus jeder Hör-Minute quellen witzige, kleine Ideen, unglaubliche Bilder, die der Zuhörerschaft in den schönsten Tönen vor das innere Auge gemalt werden und eine riesige Lust am Fantasieren und Traumwelten erkunden. Fast ist es nicht möglich, sich von der Fröhlichkeit und fantastischen Fabulier-Lust des Hörstücks und der herzlichen Liebenswürdigkeit der Monster nicht mitreißen zu lassen. Darüber hinaus ist die Geschichte eine schöne Fabel über Freundschaft und Teamwork, über das Zusammenhalten, selbst bei kleineren und größeren Unterschieden und darüber, wie kleine Leute (und Monster) Großes erreichen können. Und so etwas können Kinderohren schließlich gar nicht oft genug hören!
Beitrag aus Heft »2016/03: Empowerment und inklusive Medienpraxis«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Monaco, James (1980). Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films. Reinbek: Rowohlt.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Das Medium Film zu verstehen ist neben vielen anderen Dimensionen der Medienpädagogik ein wesentlicher Aspekt medienpädagogischer Praxis. Auch wenn in der aktiven Medienarbeit der Film als rezeptives Moment nicht im Mittelpunkt steht, ist es wichtig, sich auch mit der Entstehung des Films, seiner Geschichte, Sprache, Technik und Theorie auseinanderzusetzen. Das Buch von James Monaco eignet sich dafür hervorragend. Es schlüsselt alle Aspekte des Mediums und ihre Beziehung zueinander auf und vermittelt sehr anschaulich die Grundlagen des Films. Für mich war dieses Buch deshalb der Einstieg für mein Verstehen von Film in seinen verschiedenen Dimensionen, ausgehend vom Film als Kunstform in Bezug zu anderen Künsten wie Theater, Musik, Malerei und Literatur bis hin zu filmtheoretischen Aspekten eines Siegried Kracauers, Sergej Eisensteins und Béla Balázs. Die Publikation macht neugierig, andere Literatur heranzuziehen, um das alles zu vertiefen. Und dann vermittelt Monaco natürlich noch einen ersten Einblick in die Filmgeschichte – angefangen von Lumiére und Méliès über das frühe Hollywood bis hin zur Gegenwart. Das Buch ist inzwischen in der zehnten Auflage erschienen, immer noch aktuell und jederzeit empfehlenswert.
Günther Anfang ist Leiter des Medienzentrums München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Seine Schwerpunkte sind Medienprojekte mit Kindern und Jugendlichen, auch an Schulen und in Kindertagesstätten. Seit 1986 ist er in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Charlton, Michael/Neumann, Klaus (1986). Medienkonsum und Lebensbewältigung in der Familie. Methoden und Ergebnisse der strukturanalytischen Rezeptionsforschung – mit fünf Falldarstellungen. München/Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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In der Publikation Medienkonsum und Lebensbewältigung in der Familie wird basierend auf empirischen Studien die Bedeutung und Funktion von Medien, insbesondere Bilderbüchern, Hörkassetten sowie Fernsehern für die kindliche Entwicklung sowie für das Familiensystem analysiert. Anhand von hermeneutisch interpretierten Fallstudien wird sehr anschaulich deutlich gemacht, dass Medien Kindern in ihrer Identitätsfindung helfen können, indem sie sich mit diesen aktiv auseinandersetzen. Auch in Familien spielen Medien als Ausdruck der Regulierung von Nähe und Distanz eine bedeutende Rolle. Mit ihrem Konzept der thematischen Voreingenommenheit sowie dem methodischen Ansatz einer rekonstruktiven Hermeneutik haben die beiden Autoren für ihre Zeit Neuland betreten. Ihre umfangreichen empirischen Studien mit Kindern sowie in Familien haben einen neuen Einblick in die Medienrezeption gegeben und damit auch zu einem Paradigmenwechsel in der Medienpädagogik geführt. Auch heute noch kann dieses Konzept auf die Rezeption digitaler Medien sinnvoll angewandt werden und zu neuen Erkenntnissen führen.
Dr. Stefan Aufenanger ist Professor für Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik an der Universität Mainz. Seine Schwerpunkte im Bereich Medien sind Familie und Medien, Multimedia in pädagogischen Kontexten und Medienethik. Von 2004 bis 2010 war er außerdem als Gutachter und im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Mante, Harald (1969). Bildaufbau – Gestaltung in der Fotografie. Ravensburg: Otto Maier Verlag.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Der Fotograf, Didaktiker, Künstler und Designer Harald Mante erläutert in seinem 1969 erschienen Buch anhand von Schwarz-Weiß-Fotos wesentliche Prinzipien des klassischen Bildaufbaus. Didaktisch verfährt er so, dass 50 großformatige Fotos jeweils von einem knappen, erläuternden Textbaustein begleitet werden. Zusätzlich verdeutlichen kleine, anschauliche Piktogramme die jeweiligen Strukturelemente eines Bildes. So ist gut erfassbar, welche Wirkung sich aus der strukturellen Anordnung der Bildelemente ergibt. Vielleicht ist es etwas gewagt, sich mehr oder weniger losgelöst vom Inhalt auf die Strukturelemente zu konzentrieren. Oder aber dies ist eine effektive Möglichkeit, Fotografien schneller und präziser symbolisch zu entschlüsseln. Zudem ist das Handbuch eine ausgezeichnete Anregung, gezielt fotografisch aktiv zu werden – und Mantes kleine Fibel bereitet auch heute noch Spaß: Ich kann mich einfach nur an den interessanten Bildern erfreuen.Antiquarisch ist das Buch ab etwa 30 € erhältlich – auch in den diversen Neuauflagen zum Beispiel des Verlages Laterna Magica, München 1977.
Michael Bloech ist medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Seine Schwerpunkte sind Videoarbeit, Kinderfilm und Technik. Von 1994 bis 2001 war er in der Redaktion und im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Habermas, Jürgen [1962] (1990). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Habermas setzt sich in seinem 1962 erschienenen Werk mit der Frage auseinander, was eigentlich die ‚bürgerliche Öffentlichkeit‘ ist und wie sie sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Medien, die schon Ende des 17. Jahrhunderts „nicht in erster Linie Informationen, sondern auch pädagogische Instruktionen, sogar Kritik und Rezensionen enthalten“ (S. 83) und damit die Entwicklung der Gesellschaft beeinflussten.Am spannendsten war für mich Kapitel II, das die sozialen Strukturen der Öffentlichkeit analysiert und in dem deutlich wird, wie fündig die Menschen in den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen immer waren, um sich mit den für sie relevanten Themen auseinanderzusetzen und eine Öffentlichkeit dafür zu gewinnen, mit dem Ziel, sich von den Vorgaben der Herrschenden zu emanzipieren. Dieses Phänomen finde ich nach wie vor interessant. Die Medien haben sich zwar verändert, sind vielfältiger geworden und bieten Möglichkeiten der Artikulation und Präsentation, an die in den 1960er-Jahren noch nicht zu denken war. Aber schon damals legt Habermas das Fundament, um ihre Bedeutung für die Gesellschaft einordnen zu können.
Dr. Susanne Eggert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Schwerpunkte sind Medien in der Familie sowie Medien und Migration. Seit 2002 ist sie in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig, von 2006 bis 2015 war sie verantwortliche Redakteurin.
Postman, Neil (1983). Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt/M: Fischer.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Lohnt es, sich mit einem Buch zu beschäftigen, das 1983, weit vor dem Internetzeitalter, erschien? Ja – wenn es auch heute Inspiration und Herausforderung bietet. Postman tut genau dies. Er entwickelt – unter Zuhilfenahme der Zivilisationstheorien von Freud und Elias – eine Geschichte der Kindheit, die stets gebunden ist an Literalität in der Gesellschaft. Zunächst prägte der Buchdruck das Bild vom Kind, das als ‚lesend und lernend‘ gesehen wurde, mit der Wende von der literalen zur bildhaften Welt dreht sich dieses Bild: Wissen wird nicht mehr jahrelang erworben durch Lesen, sondern ist unmittelbar verfügbar. Der Trennungsstrich zwischen Kindheit und Erwachsensein ist damit aufgehoben – und stellt Postman und seine Leserschaft vor die grundsätzliche – und von ihm nicht beantwortete – Frage, was dies für die Neugier der Kinder und die Autorität der Erwachsenen bedeutet. Postmans Gedanken zu den Veränderungen der Kindheit durch das mediale Zeitalter und Folgerungen für die pädagogische Praxis machten dieses Buch – das ich gelesen habe, als ich in der offenen Jugendarbeit beschäftigt war – für mich zu einer großen Inspiration und zeigten mir: Ganz gleich wie man als Privatperson die medialen Entwicklungen bewertet, es führt für Pädagoginnen und Pädagogen kein Weg dran vorbei, deren Potenziale zu nutzen. Zugleich war das Buch immer auch Herausforderung: Die kulturpessimistischen Haltungen zwangen mich, genau hinzuschauen, selbst zu prüfen und zu erkennen: Postmans Beobachtungen stimmen, aber seine Bewertung, dass damit ein Niedergang der Kultur verbunden sei, liegt wohl eher seiner Wahrnehmung als Ostküsten (der USA)-Professor. Seinen negativen Blick auf die Entwicklung der Moral der Gesellschaft konnte ich bei Jugendlichen nicht nachvollziehen – zumal er soziale Fragen des Zugangs wie auch Fragen nach dem Erwerb einer digitalen Kompetenz generell außer Acht lässt.
Albert Fußmann ist Direktor des Institut für Jugendarbeit Gauting. Seine Schwerpunkte sind Neue Medien und Kulturelle Bildung. Seit 2013 ist er in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Lovink, Geert (1992). Hör zu – oder stirb! Fragmente einer Theorie der souveränen Medien. Berlin: ID Verlag.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Als akustischer Beitrag zu dem Bändchen der Agentur Bilwet aus der Niederlande erschien zusätzlich eine 90 minütige Kassette; 1992 noch ein warenförmiges Audiomedium der Verlagswahl. Dennoch lese ich Hör zu – oder stirb als Befassung mit dem digitalen Zeitalter. Radio als Pilotmedium digitaler Medientheorie. Die Echo-Chamber der ‚deutschen‘ Radiotheorie oder die Fixierung auf das Bewegtbild verstellt gerne den Blick dafür, dass Mixing, die Freude am Sampling, der Flow der Daten und ihre Gesellungsverhältnisse im Radio ankern. Nicht umsonst hat der Hörfunk durch die Digitalisierung dazugewonnen. Quantitativ und qualitativ. Das ist gut für die lebendige Medienpädagogik, jedoch schlecht für die Finanzen, weil die sterbenden Medien für ihre Särge alle Budgets absaugen. Die mitgelieferten Snippets im Klappentext beschreiben tatsächlich den Buch-Inhalt: Eine Kritik an „bürgerlichen oder linken Hörgewohnheiten”. Damit ist es auch eine Selbstkritik: Was habe ich früher ins Buch notiert, was glossiere ich heute?
Ralf Homann ist Bildhauer und Autor. Er untersucht das Verhältnis von physischem Raum und elektronischen Medien. Dabei interessieren ihn Narrative des Wissensdesigns. Er war von 1989 bis 1994 in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Reihe Medienpädagogik, Band 5. 4. Aufl. München: kopaed.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Medien als Unterhalter und Informierer, als Stimulanzien und Zeitfüller, als Lust-, Frust- oder gar Gefahren-Bringer, kurz: Medien als aktiv Einfluss-nehmende Instanzen, denen die Menschen passiv hingegeben bis hilflos ausgeliefert sind. Lange genug spukte dieses Bild durch Köpfe und Literatur. Fred Schell schuf mit seinem Werk zur ‚aktiven Medienarbeit‘ ein Gegengewicht, das lange überfällig war. Basierend sowohl auf Jugendforschung als auch auf Medientheorie stellt Schell das Konzept der aktiven Medienarbeit vor, in der Jugendliche den Medien nunmehr als Gestaltende und Nutzende begegnen, Medien selbst kritisch hinterfragen, für ihre eigenen Zwecke in Dienst nehmen und eigene, neue Produkte und Medien(-Inhalte) kreieren – und somit zu Schaffenden und Gestaltenden ihrer (medialen) Umwelt werden. Nach dem Motto: Wir machen was mit den Medien, nicht die Medien was mit uns. Durchexerziert wird das Konzept nach dessen theoretischer Erarbeitung am Beispiel der aktiven Videoarbeit, einer der ersten, grundlegendsten und immer noch beliebtesten Umsetzungsformen der aktiven Medienarbeit. In dieser doppelten, theoretischen und praktischen Verankerung liegt damit ein Werk vor, das die Medienpädagogik in Theorie und Praxis geprägt hat, das sowohl Begründung als auch praktische Anregung ist und aus medienpädagogischem Forschen und Agieren auch heute nicht wegzudenken ist.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Mitarbeiterin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie im kopaed Verlag. Seit 2009 arbeitet sie in der Redaktion von merz | medien + erziehung.
Beitrag aus Heft »2016/02: 60 Jahre merz – 60 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Turkle, Sherry (2011). Alone Together: Why We Expect More from Technology and Less from Each Other. New York: Basic Books.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Sherry Turkles Werk basiert auf der von ihr selbst benannten „intimen Ethnographie“, die über einen Zeitraum von 15 Jahren erfolgten. Die Soziologin und Sozialpsychologin beschäftigt sich mit zwei Kernthemen: Einmal der Mensch-Computer-Interaktion, bei der insbesondere digitale Geschöpfe wie Tamagotchis von ihr mit Blick auf Mensch-Maschine-Interaktionen analysiert und bewertet werden. Zum zweiten mit dem neueren Phänomen der permanenten Online-Aktivitäten. Insbesondere interessiert sie sich für die Aneignung neuer Technologien durch die junge Generation der sogenannten Digital Natives. Turkle mahnt dabei die Gefahren dieser Entwicklungen an und geht auf die Veränderungen sozialer Beziehungen, das Fehlen von echter Nähe, Intimität und Primärerfahrungen ein. Auch wenn viele empirische Studien die beunruhigenden und negativen Annahmen Turkles in dieser Deutlichkeit keinesfalls stützen, so ist dieses sehr anschaulich und fallbeispielorientierte Werk dennoch eine wertvolle Reflexionsanregung, die zur individuellen Positionierung, zu veränderten Kommunikationskulturen anregt.
Dr. Karin Knop ist akademische Rätin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim. Sie beschäftigt sich mit Rezeptionsforschung, aktuellen TV-Entwicklungen und Mobilkommunikation. Seit 2011 ist sie in der Reaktion von merz | medien + erziehung.
Selman, Robert (1984). Die Entwicklung sozialen Verstehens. Entwicklungspsychologische und klinische Untersuchungen. Frankfurt/M: Suhrkamp.
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(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Auf Basis von Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung und im Hinblick auf Kohlbergs Theorie der Moralentwicklung zeigt Selman empirisch, wie ein Kind soziales Verstehen erlernt: In vier Entwicklungsschritten erwirbt es grundlegende Fähigkeiten, in unterschiedlichen Handlungsfeldern die Wirklichkeit von sozial gerahmten individuellen Handlungsperspektiven in ihren komplexen Verschränkungen zu berücksichtigen. So versteht und gestaltet es Freundschaft zunächst als physische Interaktion, dann in aufeinanderfolgenden Phasen als einseitige Hilfestellung, konfliktfreie Schönwetter-Kooperation, intimen gegenseitigen Austausch und schließlich als durch Autonomie und Interdependenz geprägte Beziehung. Damit wird mit Hilfe des symbolisch-interaktionistischen Konzepts der Perspektivübernahme deutlich, wie Kinder aktiv Kompetenzen erlangen, die Beziehungen mit anderen sowie eine eigenständige innere Entwicklung ermöglichen – ein Basiswissen auch für Medienpädagogik.
Dr. Friedrich Krotz ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt soziale Kommunikation und Mediatisierungsforschung an der Universität Bremen. Er ist Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms 1505 „Mediatisierte Welten“. Seit 2006 ist er im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Turkle, Sherry (1998). Leben im Netz. Identität im Zeitalter des Internet. Reinbek: Rowohlt.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Sherry Turkle, eine am bekannten MIT arbeitende Psychoanalytikerin, hat sich vor allem mit der psychoanalytisch rekonstruierten Bedeutung der ‚Wunschmaschine Computer‘ und des Internets beschäftigt. In Leben im Netz stellt sie auf Basis qualitativer Interviews und eigener Erfahrungen auf sensible und empathische Weise dar, welche großartigen neuen Potenziale die digitalen Medien beinhalten, ohne dabei deren Gefahren zu übersehen. Unbedingt lesenswert, auch wenn es in der Vor-Facebook-Zeit geschrieben wurde: Damals war das Netz noch kein gigantischer Marktplatz und auch noch nicht von den heutigen Internetgiganten beherrscht, sondern eine zu erkundende und zu gestaltende neue Realität! In Turkles späteren Arbeiten wurde ihr Ton kritischer – aber es wird deutlich, dass nicht die Potenziale der Medienentwicklung die wachsenden Probleme erzeugen, sondern die Art des Umgangs mit diesen Medien, zu der Kinder und Jugendlichen durch Industrie und Ökonomie verführt bzw. veranlasst werden.
Dr. Friedrich Krotz ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt soziale Kommunikation und Mediatisierungsforschung an der Universität Bremen. Er ist Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms 1505 „Mediatisierte Welten“. Seit 2006 ist er im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Grünewald, Dietrich/Kaminski, Winfried (Hrsg.) (1984). Kinder- und Jugendmedien. Ein Handbuch für die Praxis. Weinheim und Basel: Beltz.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Spätestens mit dem Erfolg der Vorschulserie Sesame Street und ihrer internationalen Vermarktung seit Ende der 1960er-Jahre war offenkundig, dass auch Medien für Kinder den globalen Konditionen des Medienmarktes unterliegen. Ob und wieweit sie von deren Imaginations- und Vorstellungswelten zunehmend geprägt werden, wird seither leidenschaftlich diskutiert. Die sich bald formierende Medienwissenschaft für Kindermedien interessierte sich vor allem für Produkte, Genres und Inhalte in ihren jeweiligen medialen Figurationen und Verflechtungen. 1984 gaben die Kunst- und Literaturdidaktiker Dietrich Grünewald und Winfred Kaminski erstmals ein ‚Handbuch für die Praxis‘ zu Kinder- und Jugendmedien heraus. Sie begründeten ihre neue, ganzheitliche Sichtweise zum einen mit dem geschärften Blick auf die Kindheit – nach dem französischen Historiker Philippe Ariès –, zum anderen mit besagter kommerzieller Verquickung der Kindermedien. Die Artikel greifen daher nahezu jedes Medium auf: unter den Oberkategorien ‚Druck‘, ‚bewegtes Bild‘, ‚Audio‘, ‚Theater‘ und ‚Spielzeug‘. Diese Einteilung ist (noch) nicht trennscharf; zudem fehlen Computer, Konsole- und Videospiele gänzlich.
Interessant und bis heute ergiebig sind aber die beiden anderen Zugänge, hier – nicht ganz passend – unter ‚Aussage‘ gefasst: Zum einen sind es ‚Inhalte‘ (besser ‚Themen‘) wie Arbeitswelt, Behinderte, Gewalt, Liebe/Sexualität, Realität, Sport, Werbung, die in den diversen Medien behandelt, verklärt oder auch benutzt werden; zum anderen Gattungen bzw. Genres wie Abenteuer, Krimi, Science Fiction und Western.Die sich vielfältige weiterentwickelnde spezifische Medienwissenschaft beeindruckte mit vielen Befunden und Einblicken und überzeugte darin, dass der Kindermedienmarkt kontinuierlich einer kritischen Sichtung und Analyse bedarf. Allerdings scheint inzwischen das medienwissenschaftliche Interesse für Kindermedien nachgelassen zu haben; vielleicht lässt sich ihr ständig üppiger sprießender Markt nicht mehr angemessen überblicken. Aber brauchen Medienpädagoginnen und -pädagogen nicht just solch sachliche Einsichten in die Welten der kindlichen Illusionen und Begierden, um aktuell und kompetent arbeiten zu können? Darüber wäre zu diskutieren.
Dr. Hans-Dieter Kübler war Professor für Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg und Privatdozent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2004 bis 2014 war er als Gutachter und im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Fritz, Jürgen (Hrsg.) (1988). Programmiert zum Kriegsspielen. Weltbilder und Bilderwelten im Videospiel. Frankfurt am Main: Campus (bpb).
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Wenn man Titel von Ratgebern zur Medienerziehung liest, ist man nicht selten geneigt, sie eher in der Horror- oder Thrillerabteilung zu suchen als im Regal der Erziehungsratgeber. Da macht das Buch Programmiert zum Kriegsspielen, herausgegeben von Jürgen Fritz, keine Ausnahme. Aber anders als der Titel vermuten lässt, ist das 1988 erschienene Buch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Faszination, die Videospiele auf Jugendliche ausüben. Auch wenn die heutige Welt der Computerspiele nicht mehr mit der von 1988 vergleichbar ist, wurde in diesem Buch bereits versucht, die Faszination zu ergründen, die Videospiele ausüben und den einfachen Kausalzusammenhang zwischen Gewalt im Spiel und im realen Handeln Jugendlicher zu relativieren. Die zehn Thesen von Jürgen Fritz zur Wirkung von Videospielen sind heute noch ein interessanter Ausgangspunkt, wenn man sich mit der Wirkungsweise von Computerspielen beschäftigt. Jürgen Fritz hat mit seiner langjährigen Forschungsarbeit zum Thema Computerspiele einen Meilenstein in der Medienpädagogik gesetzt, indem er auch diese Spiele zunächst wie jedes andere Brett- oder Gesellschaftsspiel bewertete und sodann die Faszination beleuchtete, die sich aus dem Spielen am PC ergibt. Das Buch Programmiert zum Kriegsspielen ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Computerspiele. Es kann auch heute ein Impulsgeber für die Diskussion um moderne Computerspielwelten darstellen.
Klaus Lutz ist pädagogischer Leiter des Medienzentrum PARABOL e. V. in Nürnberg, Fachberater für Medienpädagogik in Mittelfranken, Dozent an der Simon-Georg-Ohm Hochschule Nürnberg sowie stellvertretender Vorsitzender des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Seit 2011 ist er in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Röll, Franz J. (2003). Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen durch Neue Medien. München: kopaed.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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In der heutigen Zeit navigieren uns Computer durch den Alltag. Kaum jemand versucht mehr, sich eine Fahrroute über das mühsame Studium von Karten oder Stadtplänen zu erarbeiten, man lässt sich fast ausschließlich von einer Computerstimme von A nach B lotsen. Der Begriff der Navigation hat im Jahr 2003 bei Franz Josef Röll jedoch eine ganz andere Bedeutung: Nicht Computer sind die Navigatoren, die er im Bildungsprozess einfordert, sondern er will die Transformation des Lehrenden (der alles Wissen in sich trägt) zum Navigator, der durch Begleitung und ‚Störungen‘ des Lernprozesses selbstgesteuertes Lernen befördert und dieses durch die Bereitstellung von Medien ermöglicht. Bezugnehmend auf die Debatte über Medienkompetenz stößt Franz Josef Röll mit seinen Thesen neue Türen auf. Nicht die Medien als Instrument des Lehrens stehen im Zentrum seiner Überlegungen, sondern die durch die Medien veränderten Lebensbedingungen, die ein neues Verständnis von Lernen erforderlich machen. „Vom Lehrer zum Mentor“ ist die von ihm geforderte Transformation. Sicherlich ist dies im Diskurs der Bildung keine neue Forderung. Dies macht aber auch die Stärke seiner Überlegungen aus. In der Tradition der Reformpädagogik untermauert er seine Forderungen nach Veränderung der Bildungslandschaft mit Blick auf die revolutionär veränderten Lebenswelten durch Medien. Die Medien verändern unsere Wahrnehmung und unser Denken und führen somit zu neuen Identitätskonstruktionen. Im Rahmen dieser neuen Identitätskonstruktionen plädiert er für die Vermittlung von ‚Wahrnehmungskompetenz‘ und hebt die Bedeutung der Bildkommunikation in der Mediengesellschaft hervor. In Anbetracht der hohen Nutzungszahlen von YouTube heute sind seine Gedanken von 2003 durchaus visionär.Das Buch von Franz Josef Röll ist ein Kompass durch den Mediendschungel für all jene, die sich ernsthaft mit Medienpädagogik beschäftigen.
Klaus Lutz ist pädagogischer Leiter des Medienzentrum PARABOL e. V. in Nürnberg, Fachberater für Medienpädagogik in Mittelfranken, Dozent an der Simon-Georg-Ohm Hochschule Nürnberg sowie stellvertretender Vorsitzender des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Seit 2011 ist er in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Beitrag aus Heft »2016/02: 60 Jahre merz – 60 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Klaus Lutz
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Negt, Oskar/Kluge, Alexander (1972). Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Oskar Negt und Alexander Kluge haben 1972 mit ihrem gemeinsam verfassten Werk eine umfassende und fundierte Öffentlichkeits- und Medienkritik vorgelegt. So analysieren die Autoren unter anderem ausführlich die Lebenswelt der Menschen unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen und leiten daraus ab, dass die Zerrissenheit dieser Lebenswelt zu einer Blockierung gesellschaftlicher Erfahrung führt. Dadurch kann der Einzelne seine eigene Position in dieser Gesellschaft nicht mehr objektiv bzw. authentisch wahrnehmen. Die Massenmedien als Instrumente bürgerlicher Öffentlichkeit verstärken die Blockierung des Bewusstseins. Um dies zu ändern, plädieren sie für die Herstellung von Gegenöffentlichkeit als Vorform proletarischer Öffentlichkeit, worunter sie den Prozess der Emanzipation der lohnabhängigen Menschen verstehen oder einfacher: eine neue, vernünftig organisierte Gesellschaft. Mir hat dieses Buch viele Erkenntnisse und Anregungen für meine eigene medienpädagogische Arbeit, vor allem für die konzeptionelle Begründung aktiver Medienarbeit gegeben.
Dr. Fred Schell war geschäftsführender Direktor des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Von 1994 bis 1998 war er in der Redaktion und von 1999 bis 2001 im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.
Beitrag aus Heft »2016/02: 60 Jahre merz – 60 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Fred Schell
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Sontag, Susan (2003). Das Leiden anderer betrachten. München: Carl Hanser Verlag.
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Die medial weltweit – mittlerweile fast zeitgleich zum Geschehen – verschickten Bilder der Gewalt, des Krieges und des Terrors, die Flut der ‚miterlebten‘ Tragödien überschwemmen die Menschen. Die Frage, ob diese Bilder abstumpfen oder dazu ermutigen, sich gegen Fanatismus und Töten zu engagieren, behandelt Susan Sontag bereits in ihrem 2003 erschienenen Essay Das Leiden anderer betrachten, der einen kulturgeschichtlichen Bogen von den Anfängen der Kriegsdokumentation bis Afghanistan spannt. Nachrichten und (Krieg-/Terror-)Bilder sind nicht zur bloßen Unterhaltung geworden und lassen die Menschen nicht gleichgültig zurück. Denn „die Bilder sagen: Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht“. Und sie sagen auch: „Setz dem ein Ende, interveniere, handle“. Dazwischen aber muss die Frage stehen, was diese Bilder des Leidens im Betrachter auslösen. Die eigenen Reaktionen und das Wissen über Absenderinnen und -sender bzw. Adressatinnen und Adressaten sowie das Medium zu hinterfragen ist das Eindrücklichste, was man aus diesem Essay immer wieder mitnimmt.
Claudia Schmiderer arbeitet als freiberufliche Publizistin und Dozentin. Ihre Schwerpunkte sind Europäische Kunst- und Kulturgeschichte, Sozialgeschichte Deutschlands nach 1945, urbane Zukunft sowie Medienforschung und Bildwissenschaft. Von 2001 bis 2004 war sie verantwortliche Redakteurin von merz | medien + erziehung.
Baacke, Dieter (1980). Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien. München: Juventa.
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In diesem Grundlagenwerk hat Dieter Baacke dargelegt, dass Kommunikation insbesondere im Zeitalter der Massenkommunikation nicht einfach nur stattfinden kann, sondern es nötig ist, Kommunikation zu erlernen. Kommunikation wird somit als Lernziel definiert. Es gilt, kommunikative Kompetenz zu erlangen, ganz besonders in Bezug auf die Massenkommunikation. Damit hat Baacke die Grundlage für die Entwicklung und Ausformung des Begriffs Medienkompetenz gelegt. Für ihn ist „Medienkompetenz eine moderne Ausfaltung der kommunikativen Kompetenz“ (Baacke in Schell et al. 1999, S. 19) und besteht aus vier Dimensionen: Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Auch wenn die Definition von Medienkompetenz gerade im Zeitalter von Internet und sozialen Netzwerken immer wieder diskutiert wird, hat Baackes Definition nichts an Aktualität verloren und gilt noch heute als Basis für die medienpädagogische Arbeit. LiteraturSchell, Fred et al. (Hrsg.) (1999). Medienkompetenz. Grundlagen und pädagogisches Handeln. München: kopaed, S. 19
Elke Stolzenburg ist medienpädagogische Referentin am Medienzentrum München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihr Schwerpunkt ist Medienarbeit mit Mädchen. Von 1994 bis 2001 war sie in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
Theunert, Helga/Lenssen, Margrit/Schorb, Bernd (1995). „Wir gucken besser fern als ihr!“ Fernsehen für Kinder. München: KoPäd.
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„Da kann man was lernen von der Welt“ (S. 70), so hat eine Elfjährige vor gut 20 Jahren ihre Begeisterung für das Fernsehen begründet. Generell lassen sich Kinder schnell vom Fernsehprogramm begeistern und können dabei alles um sich herum vergessen. Aber Kinder verstehen Fernsehen auch – anders: Mit zunehmendem Alter und wachsender Fernseherfahrung verändern sich Verständnis und Vorlieben, Nutzung und Umgangsweisen, Auswahl und Erwartungshaltungen. Helga Theunert, Margrit Lenssen und Bernd Schorb haben das in den 1990er-Jahren aus Kindersicht auf Basis einer Auswahl an Forschungsergebnissen aufgedröselt. Zwar gehen die technischen Möglichkeiten heute weit über den Apparat im häuslichen Wohnzimmer hinaus und manche der aufgeführten Sendungstipps und Fallbeispiele sind nicht mehr ganz aktuell, die kindliche Faszination folgt aber noch immer ihren eigenen Strukturen. Kinder sind noch immer Fernsehanfängerinnen und -anfänger. Die Publikation gewinnt damit heute sogar eine neue Bedeutung: Sie liefert das Angebot, die Fernsehwelt durch Kinderaugen zu sehen und zu verstehen – völlig unabhängig davon, dass das Gerät so einiges mehr bietet als im Fernsehprogramm steht.
Swenja Wütscher ist Mitarbeiterin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie im kopaed Verlag. Seit 2013 arbeitet sie in der Redaktion von merz | medien + erziehung, seit 2015 als verantwortliche Redakteurin.
Beitrag aus Heft »2016/02: 60 Jahre merz – 60 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Swenja Wütscher
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Benjamin, Walter [1936] (2011). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Stuttgart: Reclam.
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60 Jahre merz Buchklassiker
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Es ist ein kompaktes Werk, gerade mal knapp 70 Seiten im gelben RECLAM-Heft, das Walter Benjamin auf der Flucht vor dem Nazi-Regime im Pariser Exil geschrieben hat. Künste, Ästhetisches, Wahrnehmung und die damals aktuelle Mediendynamik werden hier entsprechend der darin vorhandenen Verbundsinnovation und Expansionserwartungen verknüpft. So ist das Werk sowohl zugespitzt analytisch komplex wie prophetisch innovativ. Thema sind vor allem die kulturell-ästhetische Transformation vom auratischen, ritualisierten, vor allem historischen Kunstwerk zum technisch (re-)produzierbaren Medienprodukt – damals etwa Druck, Foto, Film, Rundfunk. Die Veränderung betrifft ‚Original‘ und ‚Aura‘, ‚Einmaligkeit‘, ‚Einzigkeit‘ und den elitären Kultcharakter klassischer Künste hin zu kulturell-medialem ‚Schmutz und Schund‘. Benjamin befreit massenhaft reproduzierbare Medienprodukte von der Obsoleszenz des Minderwertigen – weil reproduzierbar und unabhängig von Zeit und Raum präsentabel.
Es ist eigentlich ein Plädoyer für ‚Kultur von, für, mit allen‘ – Jahrzehnte bevor diese Parole in den 1970er-Jahren prominent wurde. Eine zentrale Aussage: „Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung“ (S. 16). Benjamin schlägt eine erweiterte Neubesetzung des Ästhetischen, Künstlerischen, Kulturellen im medialen Kontext vor und dies ist gerade medienbildend und medienpädagogisch relevant: Medien sind ein sparten- und fachübergreifendes lebensweltliches Phänomen – sie gehen alle überall an. Die expansive Digitalisierung beweist und realisiert Benjamins Vision.Die „Masse ist eine Matrix: Die Quantität ist in Qualität umgeschlagen. Die sehr viel größeren Massen der Anteilnehmenden haben eine veränderte Art des Anteils hervorgebracht“ (S. 49). Diese Analyse am Beispiel Film – neu beispielsweise auf Internet bezogen – hat mich von der Genialität und Langzeitperspektive des Textes fasziniert und überzeugt.
Dr. Wolfgang Zacharias ist Vorstand des Vereins Pädagogische Aktion/SPIELkultur e. V. sowie Honorarprofessor für Kultur- und Spielpädagogik an der Hochschule Merseburg. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Kinder- und Jugendkultur sowie Kulturelle Bildung. Von 2004 bis 2006 war in der Redaktion von merz | medien + erziehung tätig.
McLuhan, Marshall (1968). Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf/Wien: Econ-Verlag.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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1964 im englischen Original erschienen beschreibt dieser spekulative und analytische Text die Transformationen durch die globale Medialität geradezu prophetisch als ‚Extension of Man‘ – ‚Erweiterung der menschlichen Sinne und Kommunikationen‘. McLuhan prägte medienrelevante Begrifflichkeiten, die bis heute Faszination ausüben undRelevanz haben: bereits 1962 in seiner ‚Gutenberg-Galaxie‘. 1968, als Die magischen Kanäle erstmals auf deutsch erschienen, faszinierten sie – auch im damaligen gesellschaftlich-pädagogischen Veränderungsinteresse – sofort mit der Ansage: Das Zeitalter der Buchdominanz ist vorbei. Ein Abschied von 500 Jahren Buchkultur. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe prognostiziert dazu: „Und das ist doch mit das Wesentlichste und Bedeutendste, was ich bisher über die Welt, die ich sehe und in der ich lebe, gelesen habe.“ Es geht um neue kommunikative und sich transformierende Verhältnisse der menschlichen Sinne und Wahrnehmungen sowie der medialen Apparate und Netze: Medien als ‚Ausweitung‘. Die zentrale Ansage ist gleich die Überschrift des ersten Kapitels: „Das Medium ist die Botschaft“ (S. 13).
Alles Weitere ist eigentlich Illustration und Beweisführung: Worte, Auge, Zahl, Kleidung, Geld, Zeit, Comics, TV, Presse, Auto, Sport, Telefon, Grammophon, Kino, Radio et cetera.Es ist das Medium, das Inhalt, Meinung, Ausdruck vermittelt, das Kommunikation bedeutet, mit welchen Interessen auch immer: gut und schlecht, sozial und herrschaftlich, individuell und kollektiv. Es geht um die Art und Weise, die Form – und neu deren globale Vermittelbarkeit, maschinenbedingt und massenrelevant, aber auch kontrolliert, prinzipiell von/für/mit allen. Eine Konsequenz: „Wenn die gestaltende Kraft bei Medien die Medien selbst sind so ergibt sich darauf eine Vielzahl von Fragekomplexen“ (S. 28). Diesen geht McLuhan auf 380 Seiten nach. Der großartige ‚Schock‘ des Buches ist eigentlich eine ästhetisch-künstlerisch-kulturelle Binsenweisheit – und zugleich ein maximaler Treffer: Dass die Form selbst Inhalt ist, Inhalte definieren und dominieren kann. Richtung 2000 (damals) global, technologisch, maschinell und potenziell von/für/mit allen und alle existentiellen menschlichen Kontexte betreffend: Sozusagen ‚magisch‘. Das war (damals) befreiend und faszinierend. Zu Recht.
Dr. Wolfgang Zacharias ist Vorstand des Vereins Pädagogische Aktion/SPIELkultur e. V. sowie Honorarprofessor für Kultur- und Spielpädagogik an der Hochschule Merseburg. Seine Schwerpunkte sind Kinder- und Jugendkultur sowie Kulturelle Bildung. Von 2004 bis 2006 war in der Redaktion von merz| medien + erziehung tätig.
Jos Schnurer: Aufklären statt Ausklinken!
Gärtner, Melanie (2015). Grenzen am Horizont. Drei Menschen. Drei Geschichten. Drei Wege nach Europa. Frankfurt: Brandes & Apsel. 190 S., 19,90 €. Gärtner, Melanie (2015). Im Land Dazwischen. Dokumentarfilm, DVD, 57 Min., 14,90 €.
Je nach Einstellung und Stand der individuellen und gesellschaftlichen Aufklärung wird bei der Flüchtlingsthematik entweder argumentiert, Deutschland sei kein (klassisches) Einwanderungsland oder es wird ein Einwanderungsgesetz für Deutschland gefordert, mit dem (scheinbar) die wesentlichen Probleme aus der Welt geschafft werden könnten. Die Auseinandersetzungen bewirken zudem, dass sich eine antidemokratische, fremdenfeindliche und rassistische Stimmung verbreitet, die die jahrzehntelangen, gesellschaftlichen Bemühungen zur Verwirklichung einer globalen Ethik gefährden. Die Autorin und Filmemacherin Melanie Gärtner bemüht sich darum, mit ihren Berichten und Dokumentationen Verständnis für die Menschen zu wecken, die sich auf der Flucht befinden. Sie spürt den Gründen nach, die Menschen dazu veranlassen, auf unsicheren, entbehrungsreichen, langwierigen und kostspieligen Wegen – nicht selten unter Lebensgefahr – nach einer besseren Perspektive für ihr Leben zu suchen.
Der harte Weg auf der Flucht
In der Publikation Grenzen am Horizont schildert Gärtner ihre Erfahrungen an den Küsten Marokkos, an denen viele Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern ankommen und über die Straße von Gibraltar Europa beinahe zum Greifen nahe sehen – und doch nicht erreichen können. Weil eine offizielle Einreise beinahe ausgeschlossen ist, bleibt den Flüchtlingen nichts anderes übrig, als im Schlauchboot über die stürmische und zudem streng überwachte Meerenge oder über den abgesicherten Grenzzaun in die spanische Exklave Ceuta zu gelangen. Sie erzählt exemplarisch die Geschichte von drei jungen Flüchtlingen: Sekou aus Mali, Babu aus Indien und Cyrille aus Kamerun. Sie verstecken sich vor der Polizei, bauen ihre Nachtlager in Wäldern und im Gestrüpp nahe der Küste auf und versuchen, mit Gelegenheitsarbeiten zu überleben. Sekou stammt aus Kita, einem malischen Dorf. Die fruchtbare Region ermöglichte den Bauern bisher immer eine gute Baumwollernte. Eine Dürre sorgt allerdings dafür, dass vor allem die jungen Männer nach anderen Möglichkeiten suchen müssen, sich selbst und vor allem ihre Großfamilien ernähren zu können. Als es Sekou eines Nachts nach vielen vergeblichen Versuchen gelingt, zusammen mit vier weiteren Flüchtlingen den Grenzzaun in die spanische Exklave Ceuta zu überwinden, muss er feststellen, dass er sich zwischen zwei Grenzen befindet, „hinter ihm der Zaun und Marokko, in das zurückkehren für ihn unvorstellbar [ist], und vor ihm das Meer, die natürliche Grenze zwischen den Kontinenten Afrika und Europa, die ihm auch in Ceuta den Weg [versperrt]“. Auch der junge Inder Babu, den maffiose Schlepper auf gefährlichen Wegen durch die afrikanische Wüste nach Ceuta gebracht haben, fristet mit anderen Flüchtlingen sein Leben im Versteck im Wald.
Etwas Geld zum Überleben verdient er mit illegalen Gelegenheitsarbeiten. Einmal in der Woche ruft er seine Eltern in Indien an und erzählt, wie gut es ihm gehe und dass er zurechtkomme. Seine Familienmitglieder im indischen Punjab sind nicht bettelarm, aber auch nicht wohlhabend. Es geht ihnen besser, wenn jemand aus der Familie etwas Geld nach Hause bringt. Deshalb hatten alle zusammengelegt, um es Babu zu ermöglichen, mit Hilfe von Schlepperorganisationen nach Bamako zu fliegen, um von dort aus über die Sahara nach Europa zu kommen. Cyrille wiederum schlug sich in Kamerun mit einem Kopierservice durchs Leben. Dieser brachte ihm zwar kein geregeltes Einkommen, er konnte davon aber einigermaßen leben. Bei einer Razzia zerstörte allerdings ein Polizist sein Kopiergerät, es kam zu einem Handgemenge und er landete im Gefängnis. Als er einige Tage später fliehen kann, macht er sich auf den Weg in die Fremde – die spanische Küstenwache rettet ihn später aus einem seeuntauglichen Schlauchboot. Während er sich tagsüber als Parkplatzeinweiser ein paar Euro verdient, versucht er nachts, sich zwischen die Gestänge unter LKWs zu klemmen, um so vielleicht in den streng abgeschirmten und bewachten Hafen von Ceuta zu kommen, sich auf einem Schiff verstecken zu können und nach Spanien zu gelangen.
Schicksale als authentische Aufklärungsmittel
Die Bemühungen, ‚Flüchtlinge‘ nicht als globales, anonymes Phänomen sondern als individuelle Schicksale zu betrachten, sind mittlerweile deutlich erkennbar. Es sind Versuche, den Blick auf die Wirklichkeiten von Menschen zu richten, die aus verschiedensten Gründen – wie lokalen und globalen Unsicherheiten – gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und anderswo, in Europa etwa, Lebensgrundlagen und -perspektiven zu finden. Eine wirksame Möglichkeit, nicht weg-, sondern hinzuschauen: Um nicht Ideologien und Menschenhass auf den Leim zu gehen, sondern sich vielmehr selbst ein Bild zu machen, etwa als Journalistin oder Journalist, Schriftstellerin oder Schriftsteller, Flüchtlingshelferin oder -helfer – und als politisches Lebewesen aufgrund von Vernunftbewusstsein und humanen Fähigkeiten zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Die Berichte in Grenzen am Horizont werden durch den Dokumentarfilm Im Land Dazwischen veranschaulicht und greifbar gemacht. Die Zuschauenden erhalten Antworten, warum genau Sekou, Babu und Cyrille ihre Heimat verlassen, um im verheißungsvollen Europa hoffentlich ein besseres, perspektivenreicheres Leben führen zu können. Die empathische, wirklichkeitsgetreue Darstellung von drei Fluchtschicksalen, den alltäglichen Nöten und Gefahren, aber auch dem festen Willen der Männer, ein besseres, menschenwürdiges Leben anzustreben, machen Film und Buch zu einem echten Aufklärungsunternehmen gegen die Kakophonien und unzumutbaren und falschen politischen und gesellschaftlichen Signale um die Flüchtlingsproblematik in Europa.
Die Frage danach, wie Menschen in ihrem existentiellen Denken und Tun human agieren und reagieren können und sollen, basiert schließlich auf der Überzeugung, dass der Mensch auch ein lernfähiges Lebewesen ist, darauf angewiesen, den ‚aufrechten Gang‘ nicht nur physisch, sondern auch psychisch und moralisch zu üben (vgl. Bayertz 2012). Mit den Konzepten und Methoden des interkulturellen und globalen Lernens kann es gelingen, ein Weltbild zu erlangen, das Menschlichkeit als oberstes, humanes Streben aufzeigt und leben lässt (vgl. Lang-Wojtasik/Klemm 2012). Die Publikation Grenzen am Horizont und der Dokumentarfilm Im Land dazwischen sind ausgezeichnet geeignet, Diskussionsmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu liefern. Die bewegenden Schicksale der einzelnen Personen bieten eine passende Grundlage, den Versuch zu unternehmen, Grenzen in den Köpfen aufzulösen und eine Öffnung hin zu mehr Menschlichkeit entstehen zu lassen.
Literatur:
Bayertz, Kurt (2012). Der aufrechte Gang. Eine Geschichte des anthropologischen Denkens. München: C. H. Beck. Lang-Wojtasik, Gregor/Klemm, Ulrich (Hrsg.) (2012). Handlexikon Globales Lernen, Münster: Klemm und Oelschläger.
Franziska Busse: Auf der Flucht vor dem roten Leuchten
Nemetschek Stiftung (2015). Utopolis – Aufbruch der Tiere. App für iOS/Android, kostenfrei.
Ein Wolf, eine Spinne, ein Hirschkäfer, ein Eichhörnchen und ein Wildschwein: Sie alle leben friedlich zusammen im Wald, bis eines Tages unerwartet das rote Leuchten ausbricht. Niemand weiß, was genau es ist oder woher es kommt. Die Eule Armin aber, die schon aus ihrer alten Heimat Utopolis fliehen musste, erzählt den anderen Tieren, wie gefährlich es sei. Schnell wird allen klar, dass sie fliehen müssen. An dieser Stelle beginnt die Spiel-App Utopolis − Aufbruch der Tiere: Spielerinnen und Spieler schlüpfen darin in jeweils eine der fünf Tierfiguren und treten einer Spielergruppe bei, mit der sie sich gemeinsam auf die Flucht begeben. Eine Gruppe kann aus 15 oder 25 Personen bestehen, sodass jedes der fünf Tiere darin mehrmals vertreten ist. Da es sich um ein Gemeinschaftsspiel handelt, müssen alle Mitspielenden etwa zur gleichen Zeit online sein. Diese Anforderung wird durch sogenannte Spielrunden gelöst, die immer zu festen Tageszeiten stattfinden und eine bestimmte Stundenanzahl andauern. Beides kann von den Spielenden beim Erstellen einer Spielergruppe selbst festgelegt werden. Ein Spielrundenwechsel findet in der Regel ein- bis zweimal pro Tag statt. Level für Level müssen sich die Waldbewohnerinnen und -bewohner nun vorankämpfen und immer neue Aufgaben erfüllen, um dem Leuchten zu entwischen. In Level 1 muss beispielsweise ein Planwagen fertiggestellt werden, mit dem die Tiere aus dem Wald fliehen können. Im zweiten Level muss ihr Wagen repariert werden – eine bereits viel schwierigere Gemeinschaftsaufgabe.
Der Spieleinstieg gestaltet sich leider etwas langwierig, da viele Funktionen wie die Beschaffung von Nahrung oder der allgemeine Spielablauf in der App selbst nicht erklärt werden. Es ist daher sehr hilfreich, sich vor Spielantritt auf der Webseite in die grundlegenden Anforderungen einzulesen. Diese Anfangsprobleme lösen sich natürlich nach und nach. Positiv ist das zur Verfügung stehende Zeitfenster, welches erlaubt, dass Handlungen sich auch über mehrere Spielrunden erstrecken. Dies ermöglicht beispielsweise, die tierische Spielfigur erst in Spielrunde 2 mit Nahrung zu versorgen. Außerdem können sich die Mitspielenden per Chatfunktion gegenseitig helfen. Schnell wird klar, dass ein erfolgreiches Spiel nur dann zustande kommt, wenn alle Mitspielenden zusammenhalten. Einen Planwagen bauen und reparieren ist nur möglich, wenn alle Tiere an einem Strang ziehen. Auch hat jedes Tier individuelle Fähigkeiten, die in verschiedenen Spielzügen gebraucht werden. So können beispielweise Eichhörnchen Seile herstellen, Spinnen hingegen sind Spezialisten für mystische Essenzen. Bringt sich eine Tierart nicht ein, haben alle verloren. Neben den gemeinsamen Levelzielen verfolgt jedes Tier aber gleichzeitig auch seine eigenen Ziele, wie die Nahrungsbeschaffung – das birgt Konfliktpotenzial, da allen Spielenden nur eine begrenzte Anzahl an Aktionspunkten zur Verfügung steht, mit welchen Nahrung und Baumaterial gleichzeitig gesammelt bzw. hergestellt werden müssen. Das erfolgreiche Abschließen der Spiellevel hängt also eng mit dem stetigen Aushandeln von Kompromissen zusammen, wie das ein oder andere Mal − zum Wohle der Gemeinschaft – auf Nahrung zu verzichten. Um ein effektives Zusammenspiel zu fördern, ist es möglich, Gesetzesvorschläge in die Gemeinschaft einzubringen und über diese demokratisch abzustimmen. Diese können beispielsweise besagen, dass niemand Mitspielende töten darf oder dass alle Mitspielenden den Besitz aller einsehen dürfen. So entscheiden der Zusammenhalt der Gruppe und die Motivation der einzelnen Mitspielenden über das Ziel des Spiels, gemeinsam dem roten Leuchten tatsächlich zu entkommen.
Zielgruppe der App sind Jugendliche, denen Utopolis – Aufbruch der Tiere ermöglichen möchte, gesellschaftliche Handlungsmuster und demokratisches Handeln zu erleben. Die Auszeichnungen des mobilen Spiels zeigen, dass die App ihr Ziel durchaus erreicht: Unter anderem gewann es als ‚bestes Serious Game‘ den Deutschen Computerspielpreis 2015, den Pädi 2015 in der Kategorie ‚Apps für Jugendliche‘ und die GIGA-Maus 2015 in der Kategorie ‚Familie‘. Zusätzlich existiert pädagogisches Begleitmaterial, sodass es auch gut in Schulklassen oder Jugendgruppen eingesetzt werden kann. Tatsächlich können die Spielerinnen und Spieler auf ihrer Flucht vor dem roten Leuchten mit wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen in Kontakt kommen: Während einer Testrunde für diesen Artikel fiel beispielsweise eine Spielerin mit Sabotagen negativ auf, wahllos griff sie andere Mitspielende an. Daraufhin wurde sie von einem Mitspieler getötet, gefolgt von den Worten im Chat: „Gern geschehen, Leute!“ Dieser Tatendrang traf bei den anderen Mitspielenden allerdings nicht nur auf Dankbarkeit. Eine Mitspielerin merkte an, dass man mit einem Gesetz den Störenfried einfach aus der Gruppe hätte werfen können. Die Selbstjustiz stieß auf wenig Akzeptanz, stattdessen gewannen demokratische Entscheidungen und Gerechtigkeitssinn die Oberhand in dieser Gruppe. So lassen sich einige Aspekte, die eine demokratische Gesellschaft ausmachen, auf die kleine Gemeinschaft der Tiere im Wald herunterbrechen.
Utopolis ist damit kein herkömmliches Lernspiel, mit dem sich die Spielenden konkretes Wissen aneignen. Vielmehr erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, sich selbst im Zusammenspiel mit anderen kennenzulernen, immer wieder konfrontiert von den Chancen und Schwierigkeiten einer Gesellschaft. Ob Utopolis aber tatsächlich immer einen Beitrag zur politischen Bildung leisten kann, ist fraglich. So ist beispielsweise ein erfolgreicher Spielabschluss ohne Gesetze genauso möglich wie mit diesen. Die meisten Mitspielerinnen und Mitspieler formen die Tier-Gesellschaft außerdem nicht, sie bringen keine Gesetze ein und beteiligen sich kaum an der Konversation. So hängt der Mehrwert des Spieles sehr von der Motivation der Spielenden ab. Vermutlich bringen diejenigen Spielerinnen bzw. Spieler, die eine Schlüsselposition in Utopolis einnehmen, bereits ein großes demokratisches und politisches Verständnis mit. Trotzdem ist das Spiel eine sehr gute Möglichkeit, mit gesellschaftlichen Handlungsweisen konfrontiert zu werden. Selbst Spielende, die sich wenig einbringen, merken, dass das Spiel schnell vorbei sein kann, wenn sich niemand für die Gemeinschaft einsetzt. So lernen sie, dass Zusammenhalt wichtig ist und allgemeine Interessen manchmal über den eigenen stehen, da es sonst zu spät für alle ist. Damit fördert Utopolis – Aufbruch der Tiere Solidarität und macht Demokratie auf unterhaltsame und spannende Weise erlebbar.
Teresa Strebel: Etwas mehr Respekt, bitte!
Stiftung Lesen (2015). Respekt, Respekt! Ideen für den Unterricht für die Klassenstufen 7–10. www.stiftunglesen. de/programmbereich/schule/sekundarstufe/respekt. 22 S., kostenfrei.
Wie möchte ich von meinen Mitmenschen behandelt werden? Wie gehe ich mit den Menschen in meinem Umfeld richtig um? Was genau steckt hinter Begriffen wie Toleranz, Fairness, Anerkennung, Mobbing oder Diskriminierung? Gerade in Pubertät geht es im Kontext von Orientierungs- und Identitätsbildungsprozessen Heranwachsender häufig um respektvolles oder respektloses Verhalten, da Grenzen, Autoritäten, eigenes Handeln und dessen Konsequenzen ausgetestet sowie neue Erfahrungen gesammelt werden (vgl. Albert et al. 2010; Geißler et al. 2013). Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! der Stiftung Lesen, die dieses mit Unterstützung der Kulturinitiative eXperimente der Aventis Foundation konzipiert hat, motiviert Lehrkräfte, diese Verhaltensweisen zum Thema zu machen. Arbeitsgrundlage sind Themenkarten für Schülerinnen und Schüler, mit deren Hilfe diese die aufeinander aufbauenden Schwerpunkte ‚Bedeutung von Respekt‘, ‚Kommunikation und Respekt‘ und ‚Respekt im Netz‘ erarbeiten. Auf jeder Karte finden sich zum einen Informationen zu einzelnen Aspekten des jeweiligen Schwerpunkts, zum anderen vielfältige Anschlussaufgaben, die selbständig – alleine oder im Team – bearbeitet werden sollen. Zum Einstieg geht es um den Begriff Respekt allgemein. Es werden erste Erläuterungen dargelegt, die verständlich und treffend beschreiben, was sich hinter dem Wort verbirgt. Auf Basis dessen machen sich die Jugendlichen Gedanken dazu, was sie selbst darunter verstehen. Auch wird auf den geschichtlichen und rechtlichen Hintergrund, also Respekt im Kontext von Menschenwürde eingegangen sowie respektvolles Verhalten in verschiedenen Situationen und gegenüber unterschiedlichen Personengruppen beleuchtet.
Der Zusammenhang von Respekt und Gefühlen bzw. Empathie-Fähigkeit ist Teil des zweiten Schwerpunkts. Hier geht es vor allem um respektvolles Verhalten in der alltäglichen Kommunikationund die Macht von Worten. Die Schülerinnen und Schüler werden angeregt, sich mit der Kommunikation innerhalb ihrer Peergroup und der Schule auseinanderzusetzen sowie zu reflektieren, was ‚rausgerutschte‘ oder ‚reingedrückte‘ Äußerungen und Sprüche bei ihnen selbst oder dem Gegenüber auslösen können. In diesem Kontext spielen auch die Selbstwahrnehmung bzw. eigene Stärken und Schwächen eine zentrale Rolle. Abschließend werden gemeinsame Regeln für einen fairen Umgang innerhalb der Klasse entwickelt. Gerade mit Blick auf sogenannte Hate Speeches und Cybermobbing-Problemfelder, mit denen sich viele junge Internetnutzende konfrontiert sehen (vgl. mpfs 2014; Schnetzer 2014), wird Respekt auch im Netz – speziell in sozialen Netzwerken – relevant. In diesem Kontext geht es immer wieder um den Missbrauch persönlicher Daten. Anhand ihrer eigenen Online-Profile analysieren und bewerten die Projektteilnehmenden daher im dritten Teil des Materialpakets die Informationen, die sie über sich im Internet finden. Sie erhalten Hilfestellungen sowie Tipps zu ihren Rechten im Netz. Außerdem werden sie zur besseren Nachvollziehbarkeit bei der Analyse eines Songtextes in die Position eines Täters bzw. Opfers versetzt. Abgerundet wird das Material durch eine umfassende Sammlung an Zusatzmaterialien in Form von Medien-, Linkund Lesetipps – für Lehrkräfte wie auch für die Jugendlichen selbst. Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! – kostenfrei downloadbar – ist modern und flippig designt und erinnert von der Aufmachung her an eine Jugendzeitschrift oder -Webseite. Die Themenkarten sind abwechslungsreich aufbereitet: eine Kombination aus informativen, aber auch feinfühligen Texten, Visualisierungen, Zitaten, Ausschnitte aus Studien und Songtexten sowie Links zu Videos und Webseiten. Auch die Aufgaben und Anregungen sind vielseitig und reichen von kreativen Inszenierungen über Diskussionen und Spiele bis hin zur Reflexion des eigenen Handelns.
Im Projekt wird eine sehr offene Herangehensweise gewählt, so dass sich die Jugendlichen auf Basis ihrer Vorstellungen, Gedanken und Erfahrungen zu Respekt und respektvollem bzw. respektlosem Verhalten das Thema selbst erschließen können – angeregt durch das Material. Die Themenkarten, die von Lehrenden zuvor lediglich ausgedruckt werden müssen, dienen als Grundlage und motivieren zur Auseinandersetzung mit den einzelnen Facetten von Respekt bzw. geben Anregungen, das eigenen Verhalten und das anderer zu reflektieren – und letztendlich eventuell auch aktiv zu überdenken. So erhalten die Projektteilnehmenden die Chance, sich selbst, aber auch andere besser kennenzulernen. In den Inhalten wird weder vorgegeben wie ‚richtiges‘ Verhalten und Respekt auszusehen haben noch zu solchem Verhalten belehrt. Die Materialen selbst sind konkret als Unterrichtsmaterial ausgezeichnet, sie können aber sehr gut auch in andere pädagogische Settings integriert werden. Empfohlen wird es für Schülerinnen und Schülern der siebten bis zehnten Jahrgangsstufe. Im Schulkontext kann das Material beispielsweise im Rahmen des fächerübergreifenden Projektunterrichts in Fächern wie Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre, Sozialkunde sowie dem Religions- und Ethikunterricht verwirklicht werden. Mit Blick auf die kommunikativen und sprachlichen Aspekte von Respekt ist es auch möglich, die Projektinhalte im Deutschunterricht zu thematisieren. Etwas unklar bleibt leider, welchen ungefähren zeitlichen Umfang die Projektbausteine in Anspruch nehmen, es besteht jedoch die Möglichkeit, einzelne Stationen zu kürzen oder auszulassen. So kann das Material an individuelle Gegebenheiten angepasst werden.
Literatur:
Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun/TNS Infratest Sozialforschung (2010). Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt: Fischer.
Geißler, Holger/Schöpe, Susanne/Klewes, Joachim/Rauh, Christina/von Alemann, Ulrich (2013). Wertestudie 2013: Wie groß ist die Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern? Köln: YouGov.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2014). JIM-Studie 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/ JIM-Studie_2014.pdf [Zugriff: 04.11.2015].
Schnetzer, Simon (2014). Toleranz Online 2014: Eine Jugendstudie über Respekt, Sicherheit und Freiheit im Internet. Hamburg: Diplomica.
Franziska Busse: Einfach Anders
Steinhöfel, Andres (2015). Anders. Hörbuch, Silberfisch. 331 Min., 19,99 €.
Es ist wie ein Wunder. Nach 263 Tagen erwacht der elfjährige Felix Winter aus seinem Koma. Darin hatte er seit seinem elften Geburtstag gelegen, nach einem Unfall, den seine Eltern verursacht hatten. Jetzt scheint Felix wieder gesund und wohlauf, doch ist er nicht mehr ganz derselbe: Er leidet an einer Amnesie und kann sich daher weder an Personen noch an Ereignisse aus der Zeit vor dem Koma erinnern. So sind seine Eltern für ihn zwei Fremde, die ihm in Zukunft sagen werden, wann er ins Bett gehen soll. Hinter dem Unfall selbst scheint allerdings mehr zu stecken als ein reines Unglück: Warum hatte Felix beispielsweise am Unfalltag einen längeren Nachhauseweg von der Schule genommen als sonst? Überhaupt scheint es bereits vor dem Unfall ein großes Geheimnis gegeben zu haben, das nicht ans Licht kommen soll – zumindest verbergen zwei Freunde von Felix, Ben und Nisse, irgendetwas vor ihm. In Zusammenhang damit steht scheinbar auch eine Datei auf Felix‘ Computer. Diese ist allerdings in ein passwortgeschütztes Truescript-Volumen eingebettet und sowohl Felix als auch sein Vater versuchen regelmäßig nur vergeblich, dieses zu knacken. Felix geht nun bereits wieder zur Schule. Das neue Schuljahr fängt gerade an – und schnell merken alle, dass er nicht mehr derselbe ist. Auch Felix selbst fühlt sich anders und kann sich mit seinem früheren Ich nicht mehr identifizieren. Er beschließt daher, sich ab jetzt auch so zu nennen: Anders. Im Gegensatz zu Felix nimmt Anders kein Blatt vor den Mund und spricht alles aus, was er denkt. Er ist nicht ängstlich und angepasst, sondern selbstbewusst. Und, er hat besondere Gaben: Anders kann Gefühle und Krankheiten erkennen. Menschen strahlen für ihn Farben aus, je nachdem, welche Aura sie besitzen. So bringt Anders beispielsweise seinen Pfleger Gary und die Ärztin Laura zusammen. Auch erkennt er, dass Stack, sein alter Nachhilfelehrer und neuer Freund, im Inneren seines Wesens immer noch tief um seine vor 15 Jahren verstorbene Frau trauert. Allerdings können nicht alle Menschen in Felix‘ Umgebung mit dieser Veränderung gut umgehen – vielen macht Anders sogar Angst. Zwar versucht er immer wieder nur zu helfen, wenn er seinen Mitmenschen erklärt, dass sie krank seien, eine Erkältung hätten oder sich untersuchen lassen sollten, doch meistens stößt er damit auf pures Unverständnis. Seiner Mutter macht die Veränderung von Felix am meisten zu schaffen. Sie ist eine kontrollierende, sich und andere ständig optimierende Person. So zieht sie beispielsweise Kreidestriche um Felix‘ Schuhe, um am nächsten Morgen nachzuvollziehen zu können, ob ihr Sohn nachts das Haus verlassen hat. Anders, der wiederum regelmäßig nachts nach draußen geht, um sich abzureagieren, stellt seine Schuhe immer sehr gewissenhaft und passgenau zurück in diese Linien. Manchmal muss Anders nämlich einfach etwas Verrücktes machen, das seine gesamte Aufmerksamkeit bündelt, um das Chaos in seinem Inneren unter Kontrolle zu bringen. So balanciert er ab und zu gerne auf dem Brückengeländer am Fluss entlang oder klettert in die meterhohe Bluteiche am Fluss. An dem mystischen Ort soll früher eine Nixe mit ihrem Baby gelebt haben, die in irgendeiner Verbindung zu Anders zu stehen scheinen …
Das Hörbuch Anders ist eine Mischung aus Kinder- und Jugendgeschichte, die vom Erwachsenwerden erzählt. Sie begleitet Felix, wie dieser sich von der Kontrollsucht seiner Mutter löst und anfängt, seine eigenen Gedanken zu formulieren. Schließlich lernt er sich selbst dabei neu kennen. Das Hörbuch wird vom Autor Andreas Steinhöfel selbst auf unsentimentale und gleichzeitig einfühlsame Art und Weise vorgelesen. So können die Hörerinnen und Hörer gut in die Geschichte eintauchen, ohne dabei allzu traurig oder wütend zu werden. Die einzelnen Kapitel sind zudem abwechslungsreich jeweils aus der Perspektive eines anderen Charakters erzählt. Steinhöfel schenkt diesen Protagonistinnen und Protagonisten mit seiner Stimme eine jeweils eigene Färbung und hebt dadurch besondere Charaktereigenschaften hervor. Unter anderem kommen die Nachbarin, Vater und Mutter, Stack, Felix‘ Freund Ben und die Lehrerin zu Wort. Anders ist zwar ab elf Jahren freigegeben, allerdings ist es sprachlich sehr komplex geschrieben. Gleichzeitig werden viele Details nicht eindeutig erklärt, sondern finden auf einer Metaebene statt. Da das Hörbuch über fünf Stunden dauert, kann die Geschichte zwar ab dem empfohlenen Alter angehört werden, wirklich verstanden wird sie aber vermutlich erst von Jugendlichen ab 14 Jahren. Zusätzlich kann das Hörbuch aber Erwachsenen empfohlen werden. Diese werden beim Hören mitunter auf versteckte Kritik stoßen, die die Geschichte am Verhalten gewisser Eltern gegenüber Kindern übt. Die vorkommenden Eltern haben beispielsweise eine ganz genaue Vorstellung davon, wie ihr Kind sein sollte. So kann sich die Mutter von Felix einfach nicht damit abfinden, dass er sich verändert hat.
Des Weiteren kommt Kritik zum Vorschein, dass Kindern im entscheidenden Moment oft nicht zugehört wird. So erklärt Felix beispielsweise immer wieder, er sehe Farben rund um die Menschen und könne Gefühle lesen. Doch niemandem fällt auf, dass es sich dabei um Anzeichen für Synästhesie handelt. Die meisten Erwachsenen versuchen zudem nicht, ihm zu helfen, sein neues Ich zu formen, sondern vielmehr, sein altes Ich wiederherzustellen. Insbesondere seine Mutter versperrt sich geradezu gegen neue bzw. andersartige Dinge. Die Legende von der Nixe im Erler Loch gibt der Geschichte eine Prise Märchenhaftigkeit und auch sonst werden nicht alle Rätsel und Unklarheiten gelöst. Durch eben diese mystischen und nicht ganz erklärbaren Elemente wird die Fantasie der Zuhörerinnen und Zuhörer angeregt. So können sie individuell weiterdenken, die Geschichte weiterspinnen oder eigene Ideen entwickeln – zu Meerjungfrauen, zu den Gefühlen von Menschen und vielleicht sogar zu sich selbst und darüber, wer sie eigentlich sind.
Maximilian Niesyt: „Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“
Der Schwindel von Newtopia
Als SAT.1 im Juli dieses Jahres die Tore von Newtopia schließen ließ, besiegelte der Münchener Privatsender nicht nur einen der größten kommerziellen Flops, sondern auch eine der aufsehenerregendsten Zuschauertäuschungen der deutschen TV-Geschichte. Mit immensem Aufwand hatte der Sender zuvor sein neues Reality TV-Format beworben, in der eine Gruppe aus 15 Kandidatinnen und Kandidaten, die sogenannten Pioniere, auf einem abgezäunten Landstrich in Brandenburg eine neue Gesellschaft mit eigenen Regeln und Normen aufbauen sollten. Natürlich begleitet von unzähligen Fernsehkameras, die Material für einen täglichen Zusammenschnitt der Ereignisse lieferten, mit dem die Zuschauerinnen und Zuschauer dauerhaft vor die Bildschirme gelockt werden sollten. Besonders betonte man bei Newtopia dabei stolz die vermeintliche Authentizität des Gezeigten: ‚echte‘ Protagonistinnen und Protagonisten fällen freie Entscheidungen, auf Eingriffe von Seiten der Produzierenden und des Senders wird komplett verzichtet – quasi ‚Unscripted Reality‘. Die ungefilterte Realität ohne Drehbuch. Eine glatte Lüge, wie sich Monate später herausstellte: Über den Internet-Stream von Newtopia konnten die Zuschauerinnen bzw. Zuschauer eines Nachts plötzlich verfolgen, wie die Kandidatinnen und Kandidaten seitens der Produktionsebene Regieanweisungen erhielten. Ein großer Schwindel, der ein vernichtendes Medienecho nach sich zog und die Einschaltquoten so in den Keller fallen ließ, dass SAT.1 nach nur 101 Tagen vorzeitig den Stecker zog und das Format absetzte.
Narratives und performatives Reality TV: Fragwürdige Zerrbilder von Welt
Der Fall Newtopia zeigt, dass speziell diese performative Gattung des sogenannten Reality TV, bei dem dramaturgisch in die tatsächlich stattfindende Wirklichkeit von Menschen eingegriffen wird, aus medienpädagogischer Sicht mehr denn je kritisch beäugt und bewertet werden muss. Ihr gegenüber stehen innerhalb des Genres Vertreter der narrativen Scripted Reality-Formate wie Mein dunkles Geheimnis (SAT.1), Schicksale (SAT.1) oder Verdachtsfälle (RTL), in denen Laiendarstellerinnen und -darsteller in fiktive Rollen schlüpfen und frei erfundene Geschichten inszenieren. Schon diese Sendungen entpuppen sich für Kinder und Jugendliche als nicht unproblematisch. Durch die dramatische Aufbereitung werden Konflikte stark überspitzt dargestellt, die Akteurinnen und Akteure streng in Gut und Böse eingeteilt und auf wenige Stereotype heruntergebrochen. Durch filmische Mittel wie eine bewusst dilettantische Kameraführung und eine pseudo-dokumentarische Erzählweise glauben nicht wenige jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer, dass die gestellten Szenen echt seien und orientieren sich unter Umständen an den fragwürdigen Vorbildern der Sendungen. Zumindest im Abspann solcher Formate wird der ‚Fake‘ jedoch stets kenntlich gemacht (meist durch die Texteinblendung „Die Fälle und handelnden Personen sind frei erfunden“), so dass sich für Eltern und pädagogische Fachkräfte abseits der oftmals übertriebenen Machart ein Anknüpfungspunkt zur Aufklärung bietet.
Wenn der ‚Fake‘ als echt verkauft wird
Doch auch mit Wissen um die Inszenierung bleiben Scripted Reality-Sendungen bei jungen Zuschauenden hoch im Kurs. Die ‚Währungen‘, die dabei hohe Einschaltquoten garantieren, sind zum einen Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit, zum anderen spannende und emotional packende Geschichten. Mit dem Bestreben, beide Erfolgsfaktoren miteinander zu kombinieren, haben performative Reality TV-Produktionen wie Newtopia oder das kürzlich zu Ende gegangene Promi Big Brother (SAT.1) eine zusätzliche problematische Ebene eröffnet – während Scripted Reality-Formate einen Hinweis auf die Inszenierung geben, liefern diese Produktionen keinerlei Einordnung. Stattdessen wird suggeriert: Hier agieren reale Menschen in Echtzeit unter ihrem Klarnamen. Das Gezeigte sei nichts anderes als das abgefilmte Leben. Inwiefern es produktionstechnischen Eingriffen unterliegt, bleibt offen. Dass diese tatsächlich existieren, das zeigen Berichte von ehemaligen Teilnehmenden an Sendungen wie Frauentausch (RTL II), Bauer sucht Frau (RTL) oder Schwiegertochter gesucht! (SAT.1). Aus dem offenen ‚Fake‘ wird so nicht selten eine undurchschaubare Täuschung.
„Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“
Egal, ob eine deutsche Familie beim Auswandern gefilmt oder Daniela Katzenberger während ihrer Schwangerschaft mit der Kamera begleitet wird – grundsätzliche Skepsis über den Authentizitätsgehalt der Aufnahmen ist angebracht. Zu sehr haben Produzierende und Redakteurinnen sowie Redakteure bereits verinnerlicht, dass die handelnden Akteurinnen und Akteure bei aller Realitätsnähe auch spannende Geschichten abliefern müssen. Kinder und Jugendliche können deshalb nicht früh genug dafür sensibilisiert werden, dass auch in non-fiktionalen Inhalten im Fernsehen gerne mal ‚nachgeholfen‘ wird. Das kann schon im Kleinen beginnen, wie zum Beispiel bei einem Kandidaten der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (RTL), der sich 2013 nach einem oberkörperfreien Gesangsauftritt vor laufenden Kameras ‚verplapperte‘, und gestand, die Produzierenden der Sendung hätten ihn zu der luftigen Kleiderwahl überredet („Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“) – aber eben auch im großen Stil wie bei Newtopia stattfinden.
Big Brother is watching you again – der Kreis schließt sich
Denn das quotenträchtige Geschäft mit dem ‚wahren Leben‘ im Fernsehen ist noch lange nicht am Ende – im Gegenteil: es erlebt derzeit eine Renaissance. Seit Mitte September hat der Sender sixx mit Big Brother sogar wieder die ‚Mutter‘ aller Reality TV-Shows im Programm. Das Format aus den Niederlanden läutete im Jahr 2000 im deutschen Fernsehen die große Welle des Reality TV ein. Doch vor allem die Gewohnheiten der jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich inzwischen verändert. Beim kontrovers diskutierten Start der ersten Big Brother-Staffel standen noch ethische Fragen zur Debatte: Ist es menschenwürdig, mit Fernsehkameras derart kompromisslos in die Privatsund Intimsphäre des Einzelnen einzugreifen und zu unterhaltenden Zwecken zur Schau zu stellen? 15 Jahre später ist der öffentliche Diskurs diesbezüglich weitestgehend verstummt. Soziale Netzwerke im Internet haben Einzug in die Wohn- und Kinderzimmer gehalten und mit ihnen ist es für viele Kinder und Jugendliche selbstverständlich geworden, das eigene Privatleben einer (Teil-)Öffentlichkeit zu präsentieren und auch bewusst zu inszenieren. Dementsprechend seltener wird auch im Fernsehen der Authentizitätsgrad von dargestellter Realität überprüft. Das Comeback von Big Brother gibt Eltern und pädagogischen Fachkräften Gelegenheit, mit Heranwachsenden endlich mal wieder etwas genauer hinzuschauen.
Maximilian Niesyt: Eine Reise in den Verstand
Übersprudelnde Innovationsfreude war in den letzten Jahren nicht gerade ein Attribut, dass sich die großen Hollywood-Animationsstudios bei der Produktion von Zeichentrickfilmen auf die Fahne schreiben konnten. Das trifft auch auf die kalifornischen Entwickler von Pixar zu – deren letzte Filmwerke wie Cars 2 (2011) und Die Monster Uni (2013) waren zwei familientaugliche, aber inhaltlich eher mediokre Fortsetzungen, die großen und kleinen Zuschauerinnen und Zuschauern über ihre bekannten Protagonistinnen und Protagonisten hinaus keine übermäßig spannenden neuen Geschichten bieten konnten. Umso erstaunlicher, welch ausgefallenes und originelles Szenario sich Pixar nun in seinem 15. Spielfilm Alles steht Kopf ausgedacht hat: Ein Großteil der Handlung spielt sich ausschließlich im Kopf der zwölfjährigen Riley ab, ein leicht burschikos wirkendes Mädchen aus einer Kleinstadt in Minnesota. In der Tradition älterer Pixar-Hits wie Toy Story (1995) existiert dort eine von den Menschen abgekoppelte Parallelwelt – eine Art Schaltzentrale, in der die fünf Gefühle Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel Tag für Tag versuchen, Rileys seelisches Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Ihre ‚Währung‘ sind durch Rileys positive und negative Erfahrungen produzierte Murmeln, die fünf mit dem Hauptquartier verbundene ‚Persönlichkeitsinseln‘ aufrechterhalten: die Familieninsel, die Freundschaftsinsel, die Quatschmachinsel, die Ehrlichkeitsinsel und die Eishockeyinsel (Eishockey ist Rileys großes Hobby). Jede dieser Inseln sorgt auf ihre Weise dafür, dass Riley sich glücklich und ausgeglichen fühlt.
Kein Wunder, dass die optisch an eine kleine, gelbe Fee erinnernde Freude die heimliche Anführerin der Kommandozentrale ist. Da Riley in einem liebevollen Umfeld aufwächst und viele Freundinnen und Freunde hat, sind die meisten Erinnerungen ihr zugeteilt. Doch auch Ekel (ein grünfarbenes, etwas zickig wirkendes Mädchen), Wut (ein Männchen mit knallrotem Kopf und zu eng gebundener Krawatte) und Angst (eine dünne, blasslilafarbene Gestalt) sorgen dafür, dass Riley jede Gefahrsituation meistert. Nur die Funktion des blaufarbenen lethargischen Mauerblümchens Kummer gibt den anderen Gefühlen Rätsel auf. Rileys Leben scheint perfekt, doch als ihre Eltern beschließen ins unübersichtliche Los Angeles zu ziehen, gerät ihr Gemütslage gefährlich ins Schwanken: Rileys Eltern haben im Umzugsstress keine Zeit mehr für sie, sie bricht am ersten Schultag vor Heimweh vor der ganzen Klasse in Tränen aus und ihr erstes Eishockeytraining auf neuem Boden endet im Desaster. Die große Stunde von Kummer scheint gekommen: Wie im Zwang produziert sie nonstop traurige Erinnerungen und gerät so in eine Auseinandersetzung mit Freude, woraufhin beide versehentlich in Rileys Langzeitgedächtnis gesaugt werden. Zurück bleiben Ekel, Wut und Angst, die zu dritt bedenkliches Chaos stiften und eine Persönlichkeitsinsel nach der anderen zum Einsturz bringen. Von da an lebt die Handlung in erster Linie von den Interaktionen zwischen dem ungleichen Paar Freude und Kummer. Um zurück ins Hauptquartier zu gelangen und zu verhindern, dass Riley jeglichen Halt verliert, müssen Freude und Kummer durch den Verstand des Mädchens ziehen: ins Traumland, durch das abstrakte Denken bis hin zur Erinnerungsdeponie, wo auch Rileys imaginärer Freund Bing Bong lagert. Schließlich erreichen sie die Zentrale wieder. Es ist alles wieder in Ordnung, doch Freude stellt fest: Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Riley wird erwachsen. Von jetzt an ist Kummer eine genauso wichtige, unentbehrliche Emotion wie alle anderen auch.
Die metaphorische Idee vom kindlichen Gemüt als Schaltzentrale bzw. ‚Fabrik‘ und von Emotionen als die dort tätigen ‚Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter‘ läuft bei Alles steht Kopf nur auf den ersten Blick Gefahr, Kindern zu kompliziert zu werden. Tatsächlich werden abstrakte Konzepte wie Stimmungen, Emotionen und Erinnerungen vom Filmteam so plastisch, ‚menschlich‘ und farbenfroh in Szene gesetzt, dass sie auch für jüngere Zuschauende ab dem Grundschulalter fassbar sind. Und da das aktuelle Pixar-Werk zudem wie gewohnt optisch nur so vor Ideenreichtum und Detailverliebtheit strotzt und von hochgradig albern bis hintergründig schlagfertig die gesamte Palette an Gags und Witzen nutzt, dürfte in allen Altersstufen zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen. Das ganz große emotionale Mitfiebern bricht bei aller Spannung und Spaß jedoch eher nicht aus: Um von den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern als Identifikationsfigur wahrgenommen zu werden, mangelt es der Hauptprotagonistin Riley als typisch amerikanisches Durchschnittskind aus der Mittelklasse zu sehr an Ecken und Kanten sowie individuellen Eigenschaften.
Die ‚Stars‘ des Films sind die Gefühle, aber auch diese sind aufgrund ihrer Funktion für die Handlung − wie Freude als Daueroptimistin und Kummer als durchgehend depressives Wesen − zu eindimensional angelegt, um als Bezugspersonen zu fungieren, um deren Schicksal Kinder wirklich bangen. So ist die neue Arbeit aus dem Hause Pixar ein echter Familienfilm – denn es ist bemerkenswert, mit welcher Doppelbödigkeit das Werk zwei für Kinder und Erwachsene unterschiedliche Lesarten bereitstellt. Aus kindlicher Sicht ist Alles steht Kopf ein witziges und kurzweiliges Filmangebot, das Mut macht. Die Botschaft: Auch negative Gefühle haben ihre Daseinsberechtigung und es kann befreiend sein, sie zuzulassen und sich mit ihnen vertrauenswürdigen Personen (wie den Eltern) anzuvertrauen. Erwachsene hingegen werden, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen, den Film als einen allegorischen Abgesang auf die unbeschwerte Kindheit auffassen und den Kinosaal mit Blick auf den eigenen größer werdenden Nachwuchs eventuell sogar mit einem Kloß im Hals verlassen.
Alles steht Kopf
USA 2014 , 94 MinutenRegie: Pete DocterVerleih: Walt DisneyFSK: ohne Altersbeschränkung
Filmstart: 1. Oktober 2015
Teresa Strebel: Das Leben ist unberechenbar − der Tod aber auch
McCloud, Scott (2015). Der Bildhauer. Hamburg: Carlsen. 490 S., 34,99 €.
Graphic Novels haben in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit von Feuilletons, Buchhandel und seitens der Wissenschaft erhalten (vgl. Dreier 2015). Giesa (2014) beschreibt Graphic Novels als „mediale Erscheinungsform“ (S. 67) und ordnet sie in das „Prinzip Bildergeschichte“ (S. 66) ein, welches auch Comics und Mangas umfasst. Der Begriff Graphic Novel wurde in seiner Entstehung vor allem durch den US-amerikanischen Comiczeichner Eisner geprägt, dessen ernsthafte und emotional aufgeladene Comics sich in den 1970er-Jahren an ein zunehmend erwachseneres Publikum richteten (vgl. Schikowski 2014). Damit unterschieden sich seine Erzählungen zwar von herkömmlichen, humoristisch- fantastischen Comics, die begriffliche Neuschöpfung Eisners war aber in erster Linie ein cleverer Marketingschachzug (vgl. ebd.) und kein Gattungsbegriff (vgl. Giesa 2014). Heute stellen Graphic Novels meist Comics in Buchform dar, die sich als abgeschlossene Geschichte mit einem größeren Umfang von seriellen Comics abgrenzen.
Eine Neuerscheinung auf dem Graphic Novel-Markt ist Scott McClouds Der Bildhauer. Der renommierte Comickünstler und -theoretiker veröffentlicht damit – nach mehr als 20 Schaffensjahren – seinen ersten langen Comic-Roman. Was ist Kunst? Was braucht es, damit ein Künstler seiner Kreativität Ausdruck verleihen kann? Und was, damit er Zugang zu seinem Innersten finden und es zum Leben erwecken kann? Diese Gedanken begleiten den jungen Bildhauer DavidSmith, der eine erfolgreiche Karriere in der modernen New Yorker Kunstszene anstrebt. Mitten in einer Schaffenskrise und verlassen von jeglicher Inspiration verbringt der Künstler seinen 26. Geburtstag allein in einer Kneipe in New York. Dort erscheint ihm plötzlich der Tod in Gestalt seines längst verstorbenen Großonkels Harry und erinnert ihn an seinen Lebenstraum: Als Bildhauer möchte David ein Werk für die Ewigkeit schaffen und sich einen Namen machen − ein Versprechen, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Vater gegeben hat. Dieser war erfolgreicher Autor, kam jedoch − wie auch Davids Mutter und Schwester − tragisch ums Leben. Dem jungen Bildhauer bedeutet Kunst alles. Um sich als Künstler verwirklichen zu können, würde er alles geben − sogar sein Leben. Da schlägt der Tod ihm einen ungewöhnlichen Pakt vor: In 200 Tagen werde sein Leben zu Ende sein, in dieser Zeit erhalte er jedoch die Gabe, alles Künstlerische zu erschaffen, was er sich je erträumt habe. Zunächst ungläubig, dann übermannt durch die Entdeckung seiner neuen Kräfte willigt David ein. Und tatsächlich: Der Tod schenkt ihm die Gabe, jedes Material mit bloßen Händen formen zu können. Alles, was er berührt, wird zum Ausdruck seiner Selbst − seiner Ideen, Gefühle, Erinnerungen −, seinem tiefen Wunsch, gesehen zu werden. Endlich meint er, sich aus der Abhängigkeit von Agentinnen und Agenten, Kritikerinnen und Kritikern sowie Käuferinnen und Käufern befreien zu können und Abstand vom ständigen Schaffensdruck und der Konkurrenz zu gewinnen. Langsam beginnt er, sein neues Talent zu ergründen und es sich zu Eigen zu machen. Wie im Rausch arbeitet er Tag und Nacht an seinen neuen Skulpturen, wird jedoch erneut enttäuscht und zurückgeworfen, als die Kritikerinnen und Kritiker sein Werk bei der Präsentation in der Luft zerreißen. Am Boden und von jeglichem Glauben an seine Kunst verlassen, wirft sich David gegen eine fahrende U-Bahn. Doch er stirbt nicht schon bevor sein Pakt endet, sondern wird in letzter Sekunde von der hilfsbereiten Amateurschauspielerin Meg gerettet. Sie lässt den jungen Künstler in ihrer Wohnung wieder zu Kräften kommen, versorgt ihn und lehrt ihm, Schritt für Schritt wieder an sein Talent zu glauben. Sie zeigt David eine Seite vom Leben, die er so noch nicht erfahren hat: Leichtigkeit, Unbeschwertheit − Leben und Lieben, ganz im Moment. Die beiden fühlen sich immer mehr verbunden, doch die Zeit tickt und David findet sich hin- und hergerissen zwischen dem Drang, sich in sein Schaffen zu stürzen und dem Verlangen, sein Leben gemeinsam mit Meg zu genießen.
In seiner Graphic Novel Der Bildhauer nimmt Scott McCloud seine Leserinnen und Leser mit auf ein rasantes Abenteuer, das emotional zwischen tiefer glückseliger Lebensfreude und kompletter Verzweiflung schwankt. Der Comickünstler schafft es, all seine ausdruckstarken Bilder für sich sprechen zu lassen und eine Geschichte vom Zu-Sich-Finden, vom Erwachsenwerden und der Liebe zu erzählen. Auf knapp 500 Buchseiten finden sich zeichnerische Nahaufnahmen von Gesichtern, Händen, Gegenständen und ganze Szenen − teilweise über eine gesamte Seite hinweg; das Geschehen wird Schritt für Schritt im Bild und Text dargestellt, Bewegungsabläufe werden im Detail abgebildet. Gleichzeitig sind auch schnappschuss-artige Bilderserien aneinandergereiht, von Zeitsprüngen durchzogen, mit unterbrochenen Textfetzen. Eine Flut an minimalistischen Zeichnungen übergießt die Seiten spiralförmig. „Vom Comic-Roman wird erwartet, dass er sich den Raum nimmt, den die Geschichte braucht, und nicht umgekehrt die Geschichte einem vorhandenen Raum anpasst. Befreiung ist das Stichwort, und zwar ohne Rücksicht auf formale Vorgaben oder Trends zu produzieren“ (Schikowski 2014, S. 173) – in Der Bildhauer wird dies sehr deutlich.
Scott McCloud verwendet eine unglaubliche Vielfalt an zeichnerischen Gestaltungsmöglichkeiten, zunehmend abseits vom figürlichen, um die Emotionen seiner Hauptfiguren mit all ihren sanften, liebevollen, traurigen und melancholischen Momenten auf der einen Seite und Wut, rauschhafter Begeisterung und Verzweiflung auf der anderen Seite darzustellen. Auch zeitliche und räumliche Komponenten sowie atmosphärische Gestaltung werden umgesetzt, vor allem durch die Anordnung der einzelnen Zeichnungen und deren Größenunterschiede zueinander. Dem Autor gelingt mit Der Bildhauer eine außergewöhnliche Darstellung von Gefühlen und Herausforderungen, mit denen sich ein junger Mensch auf der Suche nach sich selbst und dem Leben auseinandersetzen muss. Mit seinem manga-artigen Zeichenstil und der Verwendung von moderner Sprache, aufgelockert durch witzige und teils ironische Kommentare, ist McClouds Neuerscheinung vor allem für Leserinnen und Leser zwischen 14 und 30 Jahren geeignet.
Die faszinierende künstlerische Umsetzung und die Thematik der Geschichte sind nicht nur Comic- und Graphic Novel-Fans interessant, sondern auch für ein Publikum, das mit diesem Format bisher nicht in Berührung gekommen ist. Zudem ist es möglich, Der Bildhauer auch im Unterrichtskontext der Oberstufe oder der literarischen Bildung mit Jugendlichen einzusetzen. Anhand der Graphic Novel können beispielsweise narrative Strategien von grafischer Literatur analysiert oder Text-Bild- Analysen entlang von literarisch-künstlerischen Gestaltungsmitteln vorgenommen werden. So entsteht gleichzeitig ein interdisziplinärer Zugang, der im Unterrichtskontext die Fächer Kunsterziehung und Deutsch hervorragend miteinander verbinden kann.
Literatur:
Dreier, Ricarda (2015). Editorial. In: kjm&l, 67 (3), S. 2.
Giesa, Felix (2014). Comic, Graphic Novel & Co. als bildbasierte Erzählliteratur. In: Knopf, Julia/ Abraham, Ulf (Hrsg.), BilderBücher: Theorie. Deutschdidaktik für die Primarstufe, Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 66−77.
Schikowski, Klaus (2014). Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler. Stuttgart: Reclam.
Cornelia Pläsken: Social Media in der Box
Little Big Social (2015). Starter Box Facebook für die Jugendarbeit BASIC. www.littlebigsocial.de, 49,00 €.
Der richtige Umgang mit Social Media ist nicht immer so einfach: Beispielsweise stellen ein richtiges Maß an Posts und sich ändernde (Privatsphäre-) Einstellungen immer wieder neue Herausforderungen dar. Für eine Nutzung, die über die Pflege eines persönlichen Profils hinausgeht, versucht Little Big Social Unterstützung zu leisten. Die Webseite, die von Daniel Wagner ins Leben gerufen wurde, bietet verschiedene Starter-Boxen an, die Anleitungen zum richtigen Umgang mit Social Media wie Facebook und Twitter für kleine Firmen oder Freiberuflerinnen und -berufler beinhalten. Tipps, Anregungen und Hinweise für den Einsatz im Geschäftsumfeld sowie ein hoher Praxisbezug werden versprochen. Die Boxen gibt es – je nach Bedarf – in drei verschiedenen Ausführungen: BASIC, PREMIUM und WOW! Exemplarisch wird die Starter Box Facebookfür die Jugendarbeit in der Ausführung BASIC unter die Lupe genommen, die in Zusammenarbeit mit dem Bezirksjugendring Niederbayern sowie Sozial- und Medienpädagoginnen und -pädagogen entwickelt wurde.
Der erste Eindruck
Die ansprechend gestaltete Box mit der Aufschrift „Mache aus deiner Firma eine Little Big Social Company“ macht neugierig. Im Inneren befinden sich 48 Karten im DIN-A5-Format aus festerem Material. Diese sind doppelseitig bedruckt und einzeln herausnehmbar. Mit viel Liebe zum Detail wurden sie farbig illustriert. Der Großteil der Karten besteht aus kurzen Anleitungen – How-Tos genannt –, die konkrete Einsatzmöglichkeiten beschreiben. Die Anleitungen sind in drei Kategorien unterteilt, die jeweils zehn How-Tos enthalten: Social How-Tos, Content How-Tos und Reach How-Tos. Jede Anleitung verfügt über drei Symbole, die auf den Zeitaufwand, die Komplexität und die Häufigkeit der Wiederholungen des jeweiligen Schritts hinweisen. Auf diese Weise ist es schnell ersichtlich, wie viel Zeit ein How-To in Anspruch nimmt und ob es sich um eine einmalige oder andauernde Aufgabenstellung handelt.
Die How-Tos
In der Kategorie Social How-Tos geht es darum, wie mithilfe von Facebook Beziehungen gepflegt werden können. Das Social How-To #1 sieht vor, eine Leitidee für die Facebook-Seite zu formulieren. Auf der Vorderseite der Karte sind das übergeordnete Ziel, die konkrete Aufgabe und die Symbolisierung bezüglich Zeitaufwand, Komplexität und Wiederholungsbedarf beschrieben. Auf der Rückseite befindet sich ein Linktipp, unter welchem weitere Hilfestellungen aufgelistet sind, als Ergänzung zu den abgedruckten Vorschlägen. Darunter wird in Form einer Aufzählung genauer erklärt, was mit der Leitidee gemeint ist und wie diese exemplarisch aussehen könnte. Die How-To-Karten sind übersichtlich, durchdacht und ansprechend gestaltet, sodass die praktische Anwendung einfach umzusetzen ist. Das Social How-To #3 befasst sich beispielsweise mit der Darstellung der eigenen Seite, genauer mit dem Profilbild sowie der Profil- bzw. Seitenbeschreibung. Die Empfehlungen gehen dabei weit hinaus über Tipps zu anschaulichen Profilbilder: Es werden beispielsweise wichtigen Hinweisen zur passenden Pixelzahl für ein Profil- und Titelbild geliefert; Details, die bei der praktischen Umsetzung schnell übersehen werden können. Die Content How-Tos befassen sich mit inhaltlichen Aspekten einer Facebook-Seite: Welche Inhalte eignen sich zum Posten? Wie erstellt man diese? Die Anleitungen reichen von der Bewerbung des nächsten Freizeitangebots über das Teilen von angesagten Videos bis hin zu authentischen Spontan-Posts. Es werden also neben offensichtlichen auch kreative, zeitgemäße Vorschläge gemacht, die Jugendliche ansprechen könnten. In der letzten Kategorie, den Reach How-Tos, geht es um das Erreichen von mehr Reichweite. Dafür werden das Markieren von anderen Personen oder Einrichtungen, das Experimentieren mit der Graph Search, getimte Beiträge für nach Feierabend oder das Aufgreifen aktueller Internettrends vorgeschlagen. Auch in diesem Bereich werden aktuelle Entwicklungen einbezogen und aufwändige, aber sinnvolle Methoden präsentiert.
Der Rückblick
Die Starter Box Facebook für die Jugendarbeit, die als eierlegende Wollmilchsau dargestellt wird, kann den geschürten Erwartungen äußerst gut standhalten. Die Box ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit von fachlich kompetenten Personen ein reflektiertes und durchdachtes Produkt hervorbringen kann. Der Grundgedanke der Box, nach der Bearbeitung aller Karten eine erfolgreiche Facebook-Seite zu besitzen, wird klar verfolgt. Dazu ist es aber nicht zwingend vorgesehen, wirklich alle Karten abzuarbeiten. Bereits in der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass jede Einrichtung und damit auch jeder Internetauftritt individuelle Ansprüche hat – deshalb sei auch keine Einhaltung der vorgegebenen Karten-Reihenfolge von Nöten. Die versprochene Praxisorientierung zeigt sich in der Aufmachung der Box: Die relevanten Karten können einzeln entnommen und individuell sortiert werden. Auch die Angaben zu Zeitaufwand, Komplexität und Wiederholungen erscheinen realistisch und sehr hilfreich. Weiter erheben die How-Tos keinen Anspruch auf vollkommene Richtigkeit. Einleitend wird angemerkt, dass Authentizität in den Social Media sehr wichtig ist und deshalb die How-Tos auch auf einem anderen Weg als beschrieben angegangen werden können – ansonsten könne auch auf den Support zurückgegriffen werden, der laut eigenen Angaben schnell und unkompliziert Hilfe leistet. Die Starter Box Facebook für die Jugendarbeit eignet sich somit für alle Fachkräfte der Jugendarbeit, die eine neue Facebook-Seite für ihre Einrichtung erstellen oder eine bereits vorhandene Seite überarbeiten wollen. Aufgrund der Anregungen zum Umgang mit Daten werden aber gleichzeitig auch Privatpersonen angesprochen.
Cornelia Pläsken: Zwischen gebratenen Goldfischen und tanzenden Piranhas
Almond, David (2014). Der Junge, der mit den Piranhas schwamm. Hörbuch, Hörcompany. 336 Min., 16,95 €. „
Wie würde es euch gefallen, wenn jemand aus eurer Familie euer Zuhause zu einer Fischfabrik verwandeln würde?“ Stanley Potts ist ein Waisenjunge, der bei seiner Tante und seinem Onkel in einem hübschen Haus in der Fischzuchtgasse lebt. Als die beiden aber ihre Jobs verlieren, entscheidet Onkel Ernest, die Welt zu verändern und in die Fischindustrie einzusteigen. Dabei nehmen seine Begeisterung und seine Arbeitseinstellung mit der Zeit etwas wahnwitzige Züge an, beispielsweise wenn er schon am frühen Morgen lauthals „Dosen, Dosen, Dosen! Fische, Fische, Fische!“ durch das Haus schreit. Sein paranoider Enthusiasmus klingt nicht einmal am Geburtstag seines Neffen ab – an den aber glücklicherweise seine Frau zumindest denkt und Stanley etwas Geld schenkt, damit dieser sich einen schönen freien Tag machen kann; auch wenn sein Onkel dafür weniger Verständnis hat. Auf dem Weg in die Welt außerhalb der Fischverwertung entdeckt Stan einen Jahrmarkt, der erst seit kurzem seine Zelte aufgeschlagen hat. Ein Stand, an dem es lebendige Goldfische zu gewinnen gibt, weckt Stans Faszination. Bei näherem Hinsehen bemerkt er allerdings, dass die Fische kaum mehr Wasser haben.
Von Mitleid gerührt überzeugt er den Standbesitzer, Herrn Dostojewski, durch ein wenig Mitarbeit am Stand als Entlohnung alle Goldfische zu erlangen. Dieser ist sichtlich begeistert von Stans tatkräftiger Art und möchte ihn überzeugen, auch weiterhin für ihn zu arbeiten. Stan lehnt das Angebot jedoch ab, um seine Familie nicht hängenzulassen. Währenddessen bekommen sein Onkel und seine Tante Besuch von Beamten vom ‚Amt für fischige Angelegenheiten‘, die private Fischfabrik soll geschlossen werden. Clarence P., einer der etwas eigentümlichen Beamten, droht Ernest sogar mit einer Gerichtsvorladung, da es sich um das „Blamöseste und Skandabelste“ handele, dass er je gesehen habe. Stans Onkel – unbeirrt stur wie eh und je – denkt jedoch gar nicht daran, seine Produktion zu stoppen. Nein, er hat im Gegenteil – inspiriert durch seinen Neffen – eine glorreiche Idee, die ihn reich machen werde: gebratene Goldfische in der Dose. Gesagt, getan! Als Stan die grausame Tat seines Onkels entdeckt, erstarrt er innerlich zur Salzsäule, packt seine Sachen und verlässt etwas verstört, aber unaufhaltsam sein Zuhause. Ziellos geht er umher und steht plötzlich wieder vor dem Jahrmarkt. Bestürzt von der Tat seines Onkels beschließt Stan – etwas verängstigt, aber dennoch überzeugt –, das Angebot des Herrn Dostojewski doch anzunehmen und mit ihm und dem Jahrmarkt auf Reisen zu gehen. Der Junge erledigt seine Aufgaben gut, findet sich immer besser im Jahrmarktleben zurecht und wird vom eher mürrischen Herrn Dostojewski für seine Arbeit immer wieder gelobt. Eines Tages besucht der berühmt-berüchtigte Pancho Pirelli den Jahrmarkt und gibt eine seiner gefährlichen Vorführungen zum Besten.
Fasziniert von dem ihm vorauseilenden Ruf ist auch Stan bei der Vorführung mit im Publikum. Pirelli, ein Mann mit einnehmender Ausstrahlung und exotischer Kindheitsgeschichte, kündigt pompös an, dass er in ein Becken voller Piranhas, das mitten auf der Bühne steht, steigen und mit den gefährlichen Fischen im Wasser tanzen wird. Vermeintlich wie von Zauberhand gelingt es dem großen Pirelli, grazil und mit viel Geschick in jenem Becken zu tauchen und sich so gekonnt zu bewegen, dass sich die Piranhas um ihn scharen und es aussieht, als würden sie mit ihm tanzen. Nach dem spektakulären Auftritt kommen Stan und Pirelli ins Gespräch. Pirelli bietet Stan an, ihn unter seine Fittiche zu nehmen, auszubilden und ihm ebenfalls zu zeigen, wie man mit Piranhas schwimmen kann. Nach einer Nacht voller verrückter Träume entscheidet der Junge, das Wagnis einzugehen und schließt sich dem großen Pirelli an. Stan weiß jedoch noch nicht, dass diese Entscheidung sein ganzes Leben von Grund auf verändern soll … Der Junge, der mit den Piranhas schwamm – basierend auf der Geschichte von David Almond – nimmt innerhalb von 336 Minuten Kinder ab neun Jahren mit auf die Reise in eine fischige Welt. Eine Fischfabrik im eigenen Haus, Goldfische vom Jahrmarkt und tanzende Piranhas – das Leben von Stanley Potts, dem tüchtigen aber eher zurückhaltenden Waisenjungen, ist von Fischen aller Art geprägt.
Jörg Pohl erzählt die außergewöhnliche Geschichte rund um Stan und den Jahrmarkt mit viel Feingefühl und Hingabe – zu Recht wurde das Hörbuch für den Deutschen Kinderhörbuchpreis BEO nominiert und mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2015 in der Kategorie ‚Bestes Kinderhörbuch‘ sowie dem AUDITORIX Hörbuchsiegel 2014/2015 ausgezeichnet. Stan liebt seinen Onkel, fügt sich anfangs seines Schicksals und packt tatkräftig mit an. Dennoch muss er zusehen, wie sein Onkel seine geliebten Goldfische zu Dosenfutter verarbeitet. Als Zuhörerin bzw. Zuhörer fühlt man sich als Teil des Abenteuers und möchte Onkel Ernest am liebsten von seinen Dummheiten abhalten. Mitfühlend wird das Publikum auch in den Bann gezogen, als Stan seinen ganzen Mut zusammennimmt und einen völlig anderen Weg einschlägt. Er besitzt die Courage, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und ergreift eine Chance, die ihm das Leben bietet. Der Junge, der mit den Piranhas schwamm ist ein Hörbuch, das direkt ins Herz geschlossen wird, weil die hingebungsvolle und umsichtige Art des Protagonisten von Anfang an fasziniert. Andere Rollen wie die der Beamten werden durch ihre eigenartige Sprache mit einer gewissen Prise Humor versehen.
Trotz einer stolzen Länge, bei der die Aufmerksamkeit unter Umständen leiden kann, bleibt die Zuhörerin bzw. der Zuhörer vermutlich trotzdem immer gespannt mit dabei, weil sie bzw. er auf gar keinen Fall verpassen will, welche Herausforderungen und kleinen Abenteuer als nächstes auf Stan warten. Die Handlung zeigt, welche Widrigkeiten im Leben auftauchen können, es sich aber dennoch lohnt weiterzumachen. Stan stellt sich seinen neuen Aufgaben mit viel Geschick und Köpfchen und schafft es deshalb, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen. Sein Mut und seine Tapferkeit werden belohnt, denn am Ende ist Stan nicht mehr der schüchterne Junge, sondern der große Stanley Potts, der von allen bewundert und bejubelt wird – und nicht zu vergessen mit den Piranhas schwimmt. Der Junge, der mit den Piranhas schwamm zeigt sich somit als klassische Geschichte auf der Suche nach sich selbst, die durch einfallsreiche Ideen und einer spannenden Erzählweise heraussticht. Das Hörbuch eignet sich damit nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene mit ausgeprägter fischiger Seite.
Katrin Fleischmann: Klexikon: Eine Wikipedia für Kinder
Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e. V. (2014). Klexikon. Online-Enzyklopädie, kostenfrei
„Wikipedia [,viki‘pe:dia] ist ein am 15. Januar 2001 gegründetes Projekt zur Erstellung eines freien Onlinelexikons in zahlreichen Sprachen. Die Wikipedia ist gegenwärtig das meistbenutzte Online-Nachschlagewerk und liegt auf Platz sieben der weltweit meistbesuchten Websites“ (Wikipedia 2015). So beginnt der Eintrag auf Wikipedia über Wikipedia. Für viele gehört es zur Internetnutzungsroutine, eben mal schnell etwas bei Wikipedia nachzuschauen. Auch 27 Prozent der Kinder zwischen sechs und 13 Jahren nutzen die Online-Enzyklopädie (vgl. mpfs 2015, S. 34). Allerdings sind die Artikel dort nicht kindgerecht aufbereitet. Einige Artikel werden von ausgesprochenen Fachleuten geschrieben, was sich in Umfang und Komplexität des Inhalts widerspiegelt. Häufig sind die Artikel deshalb selbst für Erwachsene als Einstieg in ein Thema kaum geeignet. Zwar gibt es zahlreiche Suchmaschinen für Kinder wie beispielsweise FragFinn oder Blinde Kuh – eine Wikipedia für Kinder gab es allerdings bislang noch nicht. Deshalb haben Michael Schulte und Ziko van Dijk des Projekt Klexikon (www.klexikon.de) gestartet, welches unschwer als Verschnitt aus den Wörtern Kinder und Lexikon zu erkennen ist. Michael Schulte hat als Redakteur viel Erfahrung mit Kindersendungen wie Kakadu oder Kiraka gesammelt, Ziko van Dijk engagiert sich seit Jahren für Wikipedia und Wikimedia.
Die Beiträge des Klexikon sind so geschrieben, dass sie für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren gut verständlich sind. Interessant ist ein direkter Vergleich, so beginnt der Klexikon-Eintrag über Wikipedia folgendermaßen: „Die Wikipedia ist eine Enzyklopädie, also ein großes Lexikon, im Internet. Wenn man etwas nicht weiß, kann man es dort vielleicht erfahren. Dort sind also Texte gesammelt, in denen man etwas nachschlagen kann. Die Wikipedia ist das größte Nachschlagewerk der Welt“ (Klexikon 2015). Durch die Erklärung von Fachbegriffen und einer prägnanten einfachen Sprache wird die Passung an die Zielgruppe deutlich. In der Länge der Artikel wird die Zielgruppe ebenfalls berücksichtigt. Der Wikipedia-Eintrag umfasst etwa 7.000 Wörtern, der Klexikon- Beitrag nur rund 200 Wörter. Auch hinsichtlich der Präsentation der Inhalte ist Klexikon kindgerecht aufbereitet: Die Seite bietet über einen alphabetischen Zugriff und eine Suchleiste den Einstieg über zwölf Wissensgebiete. ‚Erdkunde‘ sowie ‚Wissenschaft und Technik‘ sind die Themen mit den meisten Einträgen. Bislang hat Klexikon etwa 750 Beiträge – bis Jahresende sollen 1.000 erreichet werden. Die Einträge orientieren sich im Wesentlichen an den kindlichen Interessensgebieten und auch an dem, was für den Schulunterricht interessant ist. Zusätzlich gibt es eine Wunschliste, in die Begriffe eingetragen werden können, zu denen ein Artikel geschrieben werden sollte. Um dem didaktischen Anspruch des eigenen Konzepts genügen zu können ist es wichtig, dass die Artikel von Personen geschrieben werden, die sich mit dem Wissenserwerb von Kindern auskennen. Wer also schreibt die Beiträge? Die Grundidee von Wikis ist, dass die Beiträge gemeinschaftlich erstellt werden.
Klexikon folgt dieser Idee. Um aber dennoch eine größere Kontrolle über die Beiträge zu haben, ist eine vorherige Registrierung der ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren nötig. Auch Kinder ab etwa zehn Jahren können Beiträge verfassen, sie brauchen für ihre Registrierung jedoch eine Erwachsene Kontaktperson. Kinder nutzen das Internet, um zu recherchieren – das belegt die KIM-Studie regelmäßig. Vielen jedoch fehlt das Bewusstsein, dass nicht alle Informationen im Internet dieselbe Glaubwürdigkeit besitzen. Dafür zu sensibilisieren ist eine wichtige Aufgabe von Elternhäusern, Schulen und Bibliotheken. Da Klexikon eine Online- Informationsquelle mit relativ gesichertem Qualitätsanspruch darstellt, ist es ein gutes Beispiel für eine solide Internetquelle. Leicht irritierend stößt an dieser Stelle auf, dass in Klexikon eigene Quellen bei den Artikelnnicht angegeben werden. Dies steht in einem Widerspruch dazu, dass Kinder beispielsweise für den schulischen Kontext dafür sensibilisiert werden müssen, widergegebene Fremdinformationen auch als solche zu kennzeichnen. Die Klexikon-Beiträge orientieren sich unter anderem an schulischen Themen, weshalb sie eine geeignete Basis für Referate und Hausaufgaben sind. Gleichzeitig sollte es jedoch nicht beim bloßen Aufzeigen einer ‚guten‘ Quelle im Internet bleiben. Es bietet sich an, den Gesprächsanlass zu nutzen, über Kriterien zu sprechen, nach denen Internetquellen beurteilt werden können. Wichtig ist beispielsweise zu erkennen, wer Urheberin bzw. Urheber einer Information ist. Es ist Aufgabe von Erwachsenen, gemeinsam mit Kindern einen Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Internetquellen zu finden.
Deshalb richtet sich Klexikon zwar inhaltlich an Kinder, als Vermittlerinnen und Vermittler sind jedoch in erster Linie Eltern sowie Pädagoginnen und Pädagogen die Zielgruppe. Eine solche Kinder-Wikipedia war längst überfällig, da sie Kindern gesichertes Text- und Bildmaterial zu interessanten Themen bietet. Um sich erfolgreich zu etablieren bedarf es jedoch zweier Faktoren: Zum einen wird die Nutzung vom Bekanntheitsgrad bei Vermittlerinnen und Vermittlern und deren Engagement abhängig sein, zum anderen braucht Klexikon Freiwillige, die das Online- Lexikon mit Inhalten füllen. Die Gründer gehen deshalb in Universitäten, um die Kinder-Wikipedia bei zukünftigen Lehrkräften bekannt zu machen und diese zum Mitmachen zu bewegen. Zusätzlich arbeiten sie mit Projektschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen.
Literaturn:
Klexikon (2015). Wikipedia. klexikon.zum.de/wiki/ Wikipedia [Zugriff: 05.07.2015].
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2015). KIM-Studie 2014.Kinder + Medien, Computer + Internet. www.mpfs.de/fileadmin/KIM-pdf14/KIM14.pdf [Zugriff: 05.07.2015].
Wikipedia (2015). Wikipedia. de.wikipedia.org/ wiki/Wikipedia [Zugriff: 05.07.2015]
Ulrike Lennartz & Dr. Stefan Piasecki: Fernsehen macht Geschichte? – Tatsächlich!
Bundeszentrale für politische Bildung (2014). Fernsehen macht Geschichte. Die Jahresschau 60x Deutschland im Unterricht. 6 DVDs, 1 DVD-Rom für Mac/Win, 15 €. www.bpb.de
Film und Fernsehen im Unterricht einsetzen führt schnell zu einem inhaltlichen Bruch – es ist mühsam, die Aufmerksamkeit danach wieder zu fokussieren. Historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen zur Politik- und Gesellschaftsgeschichte mit Wochenschau-Ton sind weit weg von der vielfarbigen, multimedialen und virtuellen Erlebensrealität von Jugendlichen heutzutage und vergrößern die mentale Distanz zur auch jüngeren Zeitgeschichte noch mehr. Eine audiovisuelle Combo der Bundeszentrale für politische Bildung setzt an diesem Problem an. Das Angebot besteht aus den gesammelten Folgen der Dokumentation Sechzig mal Deutschland und der Didaktik-DVD Fernsehen macht Geschichte.
Die Dokumentationsserie des Rundfunk Berlin- Brandenburg lief bereits ab 2009 auf ARD, die Didaktik-DVD wurde gemeinsam mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster konzipiert. Die beiden Produkte sind nicht einzeln bestellbar, sondern können nur als Kombination bezogen werden. Die Jahresschau bietet einen sehr kompakten, aber dennoch umfangreichen Überblick über die deutsch-deutsche Geschichte. Im Mittelpunkt stehen neben den großen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Konflikten bewusst auch ‚Normalereignisse‘: von der Kaffee- Krise in der Deutschen Demokratischen Republik (1977) bis zur ersten ‚Radarfalle‘ in der Bundesrepublik Deutschland (1959). Durch Filmausschnitte erfahren gerade junge Zuschauerinnen und Zuschauer im Schwarzwaldmädel (1950) von der Sehnsucht der Deutschen nach einer heilen Welt, sie erleben den Beginn lehrreichen Fernsehens für Kinder durch den Start der Sendung mit der Maus (1971) mit oder fiebern für die Protagonistinnen und Protagonisten der ARD-Daily-Soap Verbotene Liebe (1995). Sechs Jahrzehnte deutscher Politik, wirtschaftlichen Auf- und Durchbruchs, sportlicher Erfolge und Niederlagen sowie internationaler Schlagzeilen der Weltpresse werden so aufgelockert und interessant gestaltet, dass die Relevanz der Ereignisse für die alltägliche Lebenswelt des Publikums spürbar und ‚Geschichte‘ spannend und sogar unterhaltsam wird. Die sechs DVDs bieten Material zu jeweils einem Jahrzehnt:
Die erste DVD beginnt mit dem Gründungsjahr der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 und endet mit der Einführung einer neuen Staatsflagge für die Deutsche Demokratische Republik – nach immerhin zehn Jahren ihres Bestehens. Zwischendurch werden Themen wie die Flüchtlingspolitik der Heimatvertriebenen (1950), der wirtschaftliche Wiederaufbau im Osten durch den Fünfjahresplan und im Westen durch die Wiedereröffnung des KaDeWe (1950) behandelt. Die 1960er-Jahre auf der zweiten DVD werden eingeleitet durch die Nazi-Vergangenheit aktiver Politikerinnen und Politiker der neuen Bundesrepublik Deutschland, daraufhin folgen beispielsweise der Mauerbau, die Kubakrise, der Besuch John F. Kennedys in Berlin, der Höhepunkt der Studentenproteste und die erste bemannte Mondladung durch den amerikanischen Astronauten Neil Armstrong. Auch hier finden sich neben Großthemen etliche Beispiele politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltagshandelns. Die dritte DVD umfasst die 1970er-Jahre – vom spektakulären Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos (1970) bis zur Welle des Linksterrorismus ab 1975. Mit der vierten DVD dämmern die 1980er-Jahre und da mit der Anfang vom Ende des Eisernen Vorhangs herauf. Ökologie und Umweltschutz treten immer stärker in das Bewusstsein vieler Deutscher und am 9. November 1989 wird die bereits 1987 ausgerufene Forderung des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan Wirklichkeit: „Mr. Gorbachev, tear down this wall“. Die DVD endet also mit der Öffnung und dem anschließenden Fall der Berliner Mauer. Die fünfte DVD behandelt die Ereignisse der 1990er-Jahre mit beispielsweise der Gründung der deutschen Einheit, Brandanschlägen auf ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger und dem Abzug der West-Alliierten aus Berlin.
Die sechste und letzte DVD gibt Auskunft über die ersten neun Jahre des neuen Jahrtausends: vom Rinderwahn über die Anschläge des 11. September und den daraufhin beginnenden Irakkrieg bis zur Einführung des Euro als Zahlungsmittel. Die Didaktik-DVD Fernsehen macht Geschichte ist speziell durch viele Interviews von Zeitzeugen sowie Originalberichte aus dem Ost- und Westfernsehen herausragend – gerade Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die keine familiären Bezüge zur ‚oral history‘ haben, erfahren so die Kraft von Augenzeugenberichten. Diese Jahresschau ist nicht nur für den schulischen Geschichtsunterricht brauchbar, sondern kann auch an Volkshochschulen, in Familienbildungszentren und universitären Einführungsseminaren genutzt werden – auch als ‚Steinbruch‘ für studentische Projekte eignet sie sich durch ihre Materialvielfalt. Sie vermittelt durch unzählige Ausschnitte aus Radio und Fernsehen ein eindrückliches Bild der letzten Jahrzehnte. Das gut strukturierte Booklet erläutert die einzelnen DVDs noch einmal in Text und Bild und gibt kurze Inhaltsangaben, die sogar die Länge der Clips angeben. Auch hierdurch wird der Einsatz in Lernumgebungen erheblich erleichtert. Die Didaktik-DVD ist ein besonderes Werk: Von ihrer Bildschirmoberfläche aus können zusätzliche Daten wie Begleit- und Hintergrundtexte sowie Clips eruiert werden: Wer ein Smartphone bedienen kann, findet sich zurecht. Alle anderen benötigen einige Minuten der Orientierung, um die verschiedenen Piktogramme und ihre Funktionen zu verstehen. Filmbestandteile lassen sich in ihrer Wirkung analysieren bzw. bewerten und auch Ton-Kommentare können von den Nutzerinnen und Nutzern eigenständig eingesprochen werden – so sind unterschiedliche Wirkungen von Ton und Bild zu simulieren, indem eine eigentlich dramatische Meldung beispielsweise betont fröhlich kommentiert wird.
Mit dem Angebot wendet sich die Produktion jedoch nicht nur an Lernende, Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II, Studierende im Grundstudium der Geschichts- und Medienwissenschaften, sondern auch an Lehrende. Diese profitieren von didaktischem Material, Projektanregungen und innovativen Bearbeitungs- und Vermittlungsformen. Die Didaktik-DVD läuft im Internet-Browser. Das macht sie flexibel einsetzbar auf so gut wie jedem Betriebssystem – allerdings bedeutet das auch, dass sie von möglicherweise bereits vorhandenen Browser- oder Flash-Konflikten in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt wird. Falls Clips gar nicht oder unvollständig laufen, ist die Dokumentation kaum noch brauchbar. Eine weitere Lücke stellt das Fehlen von Untertiteln für Gehörlose dar – angesichts des ansonsten gut aufbereiteten Materials, dem diese sehr gut folgen können, ist das sehr schade. Ob die Produktion nun von den Zielgruppen angenommen wird, hängt zum Teil von der Empathie der Lehrenden bzw. Einführenden ab, aber auch vom Kenntnisstand, Erfahrungsgrad und Interesse der Nutzenden. Vorhanden sind eine Fülle an Material und Bearbeitungsmöglichkeiten, die nun auch genutzt werden müssen ... Allerdings: Wenn man häufig sagt, Lernende wollen mitwirken können und interaktiv an ihrem jeweiligen Kenntnisstand ‚abgeholt‘ werden, dann macht diese Combo exakt das. Über Style, Haptik und die nüchtern informative Benutzeroberfläche kann man sich streiten, aber das kann man auch über iOS- oder Android- Oberflächen. Die Kombination von TV-Dokumentation und Lernsoftware ergänzt sich ideal. Sie ist nicht nur Werkstatt, sondern durch die kreativen Interaktionsmöglichkeiten mit dem Material gleichzeitig Werklabor. Abschließend kann nur eine ganz klare Empfehlung ausgesprochen werden:
Sechzig mal Deutschland und Fernsehen macht Geschichte sollten – sogar nicht nur – Schule machen.
Cornelia Pläsken: Mit dem bestesten Freund auf monströsen Abenteuern
Bass, Guy (2014). Stichkopf und der Scheusalfinder. Hörbuch, Argon Verlag. 163 Min., 14,95 €.
Eines Nachts zieht Schadalbert Scheusalfinder mit seinem fahrenden Jahrmarkt unnatürlicher Wunder durch den kleinen Ort Raffaskaff. Dort bewirbt er wie gewöhnlich seine schrecklichen und furchteinflößenden Kreaturen, die er auf seinen Wagen dabei hat. Doch wieder einmal hält sich die Begeisterung und Furcht der Menschen in Grenzen, da seine Kreaturen eher mitleiderregende menschliche Wesen sind, die Scheusalfinder zu erschreckenden Monstern machen will. Selbst ein kleines Mädchen macht sich über die sogenannten Monster lustig. Da fragt er sich, was er denn tun könnte, um furchteinflößender zu werden. Das Mädchen bringt ihn auf eine Idee: In der Burg von Grottenow wohnt doch Erasmus, der verrückte Professor, der seine Zeit mit der Erschaffung von Monstern, Ungetümen und verrückten Wesen verbringt. Zeitgleich zu den Ereignissen in Raffaskaff ist Erasmus wieder einmal mit seinem neuesten Experiment beschäftigt: einem seltsamen, monströsen Wesen Fast-Leben einzuhauchen.
Doch jedes Mal, wenn seine neueste Schöpfung vollbracht ist, verliert er das Interesse, lässt das Monster ziehen und wendet sich einer neuen noch genialeren Kreation zu. Seine allererste Schöpfung war Stichkopf, eine kleine Kreatur zusammengesetzt aus Ersatzteilen, die er irgendwo gefunden hatte. Damals, als Stichkopf erschaffen wurde, war er lange Zeit der beste Freund des noch jungen Professors. Mit der Zeit veränderte sich dieser jedoch, verfiel dem Wahnsinn und strebte fortan nach der Erschaffung eines immer noch besseren Monsters. Er verließ Stichkopf und ließ ihn sogar einige Jahre eingesperrt in seinem Zimmer zurück. Als sich Stichkopf eines Tages befreien kann, muss dieser feststellen, dass sein Meister, der sein einziger Freund war, ihn wirklich vergessen hatte. Trotz des Wandels seines Meisters und der tiefen Enttäuschung bleibt Stichkopf auf der Burg, um die Fehlkreationen des Professors auszugleichen. Der will ein immer noch schauderhafteres und wahnsinnigeres Monster erschaffen, das in der Realität jedoch jedes Mal unzähmbar ist. Deshalb lernt Stichkopf über Jahre hinweg ebenso das Mischen von Elixieren und befreit jedes einzelne Monster von seinem Wahnsinn. Was das kleine Geschöpf damit für den Professor tat, war diesem zu Stichkopfs Bedauern nicht bewusst. Eines Tages beobachtet Stichkopf erneut, wie der Professor sein neuestes Wesen fertigstellt. Es erwacht zum Fast-Leben, befreit sich von seinen Fesseln, wirft den Professor um, stampft monströs aus dem Labor und hinterlässt dabei ein monstermäßiges Loch in der Wand. Die Freude des Professors über diese geniale Kreation ist für ein paar wenige Momente unbändig, dann widmet er sich unverzüglich seinem nächsten Werk. Stichkopf macht sich daraufhin auf die Suche nach dem Ungetüm und verabreicht ihm geschickt einen von ihm selbst zusammengestellten Entwolfungstrank, da der Professor es mit dem Werwolfserum etwas zu gut gemeint hatte.
Der Trank zeigt seine Wirkung, das Ungetüm wird etwas kleiner, weniger haarig, lässt einen Redeschwall los und entschuldigt sich für die bekloppte Monsterrandale, die es anscheinend aufgeführt hatte. Das Ungetüm – ein treu-doofes Geschöpf, das höchst motiviert ist, alles um sich herum zu erkunden und zu verstehen – ist Stichkopf so dankbar für seine Hilfe, dass es ihn gleich zu seinem besten Freund auf der ganzen Welt macht. Kurze Zeit später klopft es am Burgtor: Schadalbert Scheusalfinder steht davor, auf der Suche nach dem Professor. Doch Besucherinnen und Besucher sind auf der Burg unerwünscht, weshalb ihn Stichkopf wegschickt. Der Scheusalfinder lässt sich jedoch nicht einfach vertreiben. Er kommt die darauffolgenden Tage und Wochen immer wieder zur Burg – vergebens. Als Stichkopf sich eines Tages doch von Schadalbert erweichen lässt, folgt eine aufregende Zeit, da Stichkopf versucht, die Burg und den Professor zu retten. Um dies zu meistern, müsste er allerdings über seinen Schatten springen und sich wirklich auf eine Freundschaft mit dem Ungetüm einlassen …
Stichkopf und der Scheusalfinder ist ein herzerwärmendes Hörbuch von Guy Bass, das Kinder für 163 Minuten mit zu den Abenteuern und Monstern auf Burg Grottenow nimmt. Die mit dem AUDITORIX-Hörbuchsiegel 2014/15 und dem Deutschen Kinderhörbuchpreis BEO 2014 ausgezeichnete Geschichte wird von der Schauspielerin Katharina Thalbach – die schon einigen Hörbüchern ihre Stimme geliehen hat – liebevoll, schaurig und mitreißend erzählt. Sie schafft es, sich die einzigartigen Charaktere lebendig vorzustellen, so dass Zuhörerinnen und Zuhörer gemeinsam mit Stichkopf in dessen dunklem Kerker sitzen, in dem Stichkopfs Einsamkeit förmlich greifbar ist. Auch das Ungetüm, das mit drei Armen ausgestattet ist, wird durch seine naive, etwas tollpatschige und dennoch loyale Art direkt ins Herz geschlossen. Es beweist nicht nur durch seine Worte, sondern auch durch seine Taten, dass es der besteste Freund des kleinen Stichkopfs ist – hat es doch auf etwas plumpe, aber dennoch kreative und nette Art versucht, Stichkopf und den Professor wieder zusammenzubringen. Monster haben eben doch Mitgefühl und ein Herz. Die Abenteuer von Stichkopf schaffen es, dass Zuhörerinnen bzw. Zuhörer gespannt mitfiebern. Das Hörbuch vermittelt anschaulich eine Geschichte über das Entstehen einer Freundschaft, die dabei von Selbstzweifeln und Übersich- hinauswachsen geprägt ist. Gute Freundschaften müssen schließlich nicht immer seit Jahren bestehen – auch innerhalb kurzer Zeit kann echte Freundschaft entstehen, für die auch Opfer gebracht werden.
Das skurrile Leben von Stichkopf wird begleitet von schauderhaft schöner Musik, die die Stimmung der Geschichte harmonisch unterstreicht und jedem Kapitel einen passenden Rahmen gibt, und netten, einleitenden Versen, die die Zuhörerin oder den Zuhörer neugierig auf die weiteren Ereignisse machen. Kinder ab acht Jahren können sich somit bei Stichkopf und der Scheusalfinder auf eine spannende Geschichte rund um nette Monster und Freundschaft gefasst machen, die sie auf Burg Grottenow in ihren Bann zieht.
Verena Neumayr: poliWhat?!
e-politik.de/ e.V. (2014). poliWhat?!. Website: edeos.org/Mitwirkung/, kostenfrei.
Jugend und Politik – manch einer hält dies für einen unauflöslichen Widerspruch. Das Projekt poliWhat?! von jungen Menschen aus Brandenburg, Berlin und NRW räumt die weit verbreitete Meinung auf, Jugendliche interessierten sich nicht mehr für gesellschaftliche und politische Belange. Jenseits von Schule und Sozialkundeunterricht geht poliWhat?! der Frage nach, wie in Deutschland Politik gemacht wird, wer ihre Akteurinnen und Akteure sind und wie auch junge Menschen partizipieren sowie Politik und Gesellschaft mitgestalten können. Lässig, cool, witzig, dabei informativ und spannend – so präsentiert sich poliWhat?! den jugendlichen YouTube-Zuschauerinnen und -Zuschauern und macht dabei eines klar: Wer junge, politikinteressierte und engagierte Jugendliche finden will, der muss dorthin gehen, wo sie sich gerne aufhalten: ins Netz. Und, er muss ihre Sprache sprechen. Entsprechend setzt das Projekt bewusst auf Verständlichkeit, Unkompliziertheit und Authentizität, um sein junges Zielpublikum anzusprechen. Entstanden ist die Videoreihe im Rahmen des Projekts Mitwirkung mit Wirkung, das in einer Kooperation des Landesjugendrings Brandenburg, der Agentur edeos-digital education und der /e-politik.de/ e. V. durchgeführt wurde. poliWhat?! befasst sich mit den wichtigsten Prozessen, Institutionen und Einflussgrößen der deutschen Demokratie – Parteien, Wahlen, Gesetzgebung, Petitionen, Wirtschaft und Lobbyismus, Medien und die Zivilgesellschaft, und vergleicht das politische System in Deutschland mit denen in Frankreich und der Schweiz. Welche Parteien es in Deutschland gibt, welche Aufgaben sie haben, wie man eine Partei gründet und wie sich schon junge Leute parteipolitisch engagieren können, erklärt das erste der neun Videos.
Dem Thema Wahlen in Deutschland widmet sich poliwhat?! besonders ausführlich. Gleich zwei Videos hat die Reihe zu diesem Thema aufgelegt. Im Fokus stehen auch hier wiederum die Möglichkeiten junger Menschen, über Wahlen Einfluss auf die politischen Geschicke Deutschlands zu nehmen. So behandelt eines der beiden Videos neben Fragen wie ‚Wozu braucht man Wahlen?‘ und ‚Wer darf wählen?‘ besonders ausführlich die Möglichkeit der Mitbestimmung und Meinungsäußerung mittels Teilnahme in Kinder-, Jugendoder Schülerparlamenten und U18-Wahlen. Welche Möglichkeiten sich jungen Menschen ab 16 Jahren bieten, sich aktiv an Wahlen zu beteiligen, wo ihnen die Wahl bereits erlaubt ist und welche Argumente Befürworterinnen und Befürworter, Gegnerinnen und Gegner eines Wahlrechts ab 16 Jahren ins Feld führen, zeigt poliWhat?!seinen Zuschauerinnen und Zuschauern sogar in einem eigenen Video. Natürlich kommt die Videoreihe auch nicht an der Erklärung von Fachtermini vorbei; dies wird gerade beim Thema Wahlen deutlich. Von Schülerinnen und Schülern als weithin sperrig empfundene Begriffe wie ‚repräsentative Demokratie‘ oder ‚Wahlrechtsgrundsätze‘ werden mittels Legebildern illustriert. So bleibt bei den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern kein leeres Begriffsgebäude zurück, sondern ein Bild im Kopf. Alle der neun etwa siebenminütigen Clips befassen sich mit fünf bis sechs Kernfragen zu einem Sachverhalt, welcher meist mit Hilfe von Animationen und grafischen Darstellungen erklärt wird.
Die lebhafte Mischung zwischen Moderationssequenzen und animierten Clips bringt Abwechslung und bricht so auch die thematischen Frage stellungen in kleinere Untereinheiten. Plastisch und anschaulich kommen die poliWhat?!-Videos daher, vor allem durch die unterschiedlichen Aminationstechniken. Jedes der Videos ist anders gestaltet: Ob Strichmännchentechnik, Sketchbook- Zeichnungen, Legetrickfilm oder eine Gaming-Animation im 8-Bit-Look älterer Super Mario-Spiele – die Macherinnen und Macher von poliWhat?! setzten im Sinne des Verständnisses und der Einprägsamkeit der durchaus komplexen Themen nicht nur auf Erklärungen, sondern auch auf Illustration. Ein kleiner Fehler hat sich jedoch eingeschlichen: Im Video zu den politischen Systemen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz steckt bei den Erklärungen zum Prinzip des Föderalismus im Bundesland Bayern ein Fähnchen der CDU. Zumindest kann so jungen Menschen das Prinzip der Quellenkritik nahegebracht werden. Nichtsdestotrotz, poliWhat?! überzeugt mit seinem unspießigen Edutainment-Konzept. Ziel der Videoreihe ist es nicht nur zu informieren und politische Themen verständlich aufzubereiten, sondern auch Jugendliche zur Teilnahme an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu animieren. Der Aufbau der Videos folgt diesem Ziel: Nach einem Fakten-Input kommt der Aufruf zum Handeln, zum Engagement. Politikverdrossenheit lassen die Macherinnen und Macher von poliWhat?! nicht gelten, denn nur wer informiert ist, kann sich eine Meinung bilden und nur wer politisch und gesellschaftlich aktiv ist, kann auch kritisieren.
Für die politische Interessenentwicklung Jugendlicher setzt poliWhat?! ganz auf das Konzept der Peer Education. Nicht Erwachsene sondern ein Jugendlicher führt die Zuschauerinnen und Zuschauer durch die Themen. So überkommt das Projekt das vor allem für die Schule typische Alters- und Wissensgefälle zwischen Vermittlerinnen und Vermittlern politischer Bildung und ihren Rezipierenden. Immer geht es darum zu zeigen, dass politische Einflussnahme nicht erst im Alter von 18 Jahren beginnt und sie auch keineswegs von der Masse, sondern vom Einzelnen abhängt. Moderator Leonard kommentiert, äußert seine Meinung und bezieht sein Publikum direkt mit ein. Seine Botschaft ist eine Aufforderung zum Mitmachen und Sich-Äußern. Gelegenheit dazu haben die Jugendlichen in den YouTube-Kommentaren und Likes, die auch reichlich Anklang finden. Aber auch ohne speziell verfasste Kommentare stößt poliWhat?! beim Publikum auf großes Interesse. Bis April 2015 wurde allein das erste Video zum Thema Parteien bereits fast 8.500 Mal gesehen.
Beitrag aus Heft »2015/03: Digitale Medienwelt: Werte und Verwertung«
Autor:
Verena Neumayr
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Rebekka Leimig: Erwachsenwerden? Nein danke!
Die fünfzehndreivierteljährige Charleen ist eher eins von diesen blassen Augenring-Mädchen, die es nicht wirklich schaffen, glücklich und niedlich rüberzukommen. Oft scheint sie das Leiden der Welt auf den Schultern zu tragen und ist mehr Einzelgängerin als Cheerleaderin. Das Wachstum ihrer Brüste interessiert sie genauso wenig wie Schminktipps und pubertäres Jungsgehabe. Sie hört nur Musik von Leuten, die tot sind und macht ein Berufspraktikum beim Bestatter. In dieser Erwachsenwerden-Phase ist alles so fürchterlich kompliziert – am liebsten würde sie es einfach sein lassen. Und da beschließt sie aus einer schlechten Laune heraus, sich umzubringen. Doch was sich zunächst als einwandfreier Plan darstellt, läuft ordentlich schief. Statt im Jenseits erwacht Charleen mit einer Halskrause im Krankenhaus. Dabei war der Plan so einfach: ein bisschen gute Musik, eine halb volle Badewanne und ein Fön. Doch ein Telefonanruf der besten Freundin lenkt sie so sehr ab, dass sie glatt aus der Wanne fällt und dem Tod noch einmal von der Schippe springt. Ist ja mal wieder super gelaufen! Eigentlich wollte sie ja nur ihre Ruhe haben. Doch jetzt muss sie sich mit ihrer durchgeknallten Familie, einem kauzigen Psychologen und der humorlosen Tante vom sozialpsychiatrischen Dienst rumschlagen: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das irgendwem hätte erklären müssen!“ Doch das muss sie natürlich, allen voran der besorgten Mutter Sabine (Heike Makatsch). Vor allem hat sie die Nase gestrichen voll von ihrem Vater Jeff, einem Musiker und Tagträumer, den Charleens Mutter schon vor langer Zeit rausgeschmissen hat, und von ihrem Vater-Ersatz Volker (Simon Schwartz), der ausgerechnet auch noch ihr Biologie- und Sexualkundelehrer ist. Und auch ihr kleiner, verzogener Bruder Oscar (Lauritz Greve) geht ihr gehörig auf die Nerven. Doch wie geht es nach einem Selbstmordversuch weiter? Es folgen ein Versteckspiel mit der unglaublich unsympathischen Sozialarbeiterin, die regelmäßigen Besuche beim etwas unorthodoxen Kinder- und Jugend-Therapeuten und der Wiedereingliederungsprozess in der Schule. Eine Rettung aus ihrem eintönigen, nervigen Alltagstrott findet Charleen im Wartezimmer ihres Therapeuten: ihr Mitschüler Linus.
Obwohl sie ihn einen doofen Streber nennt, entwickelt sich zwischen den beiden nach und nach eine humorvolle Freundschaft. Linus, der sie mit Witz und Beharrlichkeit umwirbt, zeigt Charleen, dass sie nicht die Einzige ist, die nicht in diese seltsame Welt zu passen scheint. Die beiden verbindet etwas – und schließlich kommt es sogar zu einem ersten Kuss. Doch dann wird Charleens neugewonnener Lebensmut erneut auf die Probe gestellt: Linus macht einen Rückzieher, Charleen und ihre beste Freundin Isa streiten sich heftig und ihre geliebte Oma Emmi stirbt. Diese einschneidenden Ereignisse führen Charleen vor Augen, dass das Leben ein Geschenk ist, das man nicht wegwerfen darf. Sie versöhnt sich mit Isa und küsst Linus ein zweites Mal: denn das Gegenteil vom Tod ist die Liebe. About a Girl ist eine knallharte, lustige Komödie über die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens. In der Rolle der rebellischen Charleen ist die mit dem bayerischen Filmpreis ausgezeichnete Jasna Frizi Bauer zu sehen. Obwohl diese beim Dreh des Filmes schon 24 Jahre alt war, kauft man ihr den Teenie problemlos ab. Auch mit Heike Makatschals Mutter Sabine konnte der Jungregisseur Mark Mohnheim ein Hochkarat anwerben. Mit den einfallsreichen Dialogen aus ordentlichen Zickereien, neunmalklugen Jugendweisheiten und pubertärem Gefühlschaos, wie sie die meisten Eltern von zu Hause im Ohr haben, kommt der Film wenn auch in übertrie bener Art und Weise der Alltagswelt Jugendlicher überraschend nahe. Regisseur Mark Monheim schafft es mit Hilfe einer guten Portion schwarzen Humors, die sensiblen Themen der Jugend aufzugreifen: von Selbstzweifel, Unzugehörigkeitsgefühl und Weltschmerz bis hin zum Selbstmord.
Mit diesem Film ist ihm ein Plädoyer für die Liebe und das Leben gelungen und das ganz ohne Kitsch. Es ist keine klassischkommerzielle Komödie, sondern ein Film, der sowohl zum beherzten Lachen also auch zum Nachdenken einlädt. So reiht sich About a Girl in besondere Jugend-Filme wie Juno oder Little Miss Sunshine ein, die mit ihrer schlagfertigen und rotzfrechen Art auch einfühlsam und bewegend sind. Ähnlich erfrischend und unverkrampft wie die Dialoge sind Monheim auch die Gestaltung und musikalische Untermalung gelungen. Charleens eingeblendete, surreale Tagträume lockern viele Situationen auf und sorgen immer wieder für einen kurzen Überraschungsmoment. Für den Film-Soundtrack wurde auf Musik von relativ unbekannten und jungen Musikerinnen und Musikern zurückgegriffen. So gliedert sich der Soundtrack ganz natürlich in die jugendliche Lebenswirklichkeit ein, ohne zu gewollt oder aufdringlich zu wirken. Der Bedeutung von Musik für junge Menschen wird Rechnung getragen und sie wird symbolisch mit den Inhalt des Films verbunden. So ist die Titelwahl About a Girl an den gleichnamigen Song des verstorbenen Kurt Cobain angelehnt – sowieso ist Charleens Zimmernur mit toten Musik-Legenden wie Jimmy Hendrix oder Amy Winehouse tapeziert; jungen Menschen, die nach gängiger Meinung viel zu früh aus dem Leben ausgeschieden sind.
Der filmische Umgang mit dem Thema Tod ist bereichernd und wird im Jugendfilm viel zu oft vermieden. Doch dass man dieses Thema altersgerecht und humorvoll angehen kann, beweist About a Girl. Allerdings, so witzig und gut das Drehbuch und die Dialoge auch gelungen sind, ist der Handlungsverlauf etwas vorhersehbar und macht den Film dadurch gegen Ende zu einer etwas zähen Angelegenheit. Doch auch das Leben kann ja zuweilen etwas langatmig sein – vor allem, wenn man erwachsen werden muss.
About a Girl
Deutschland (2015), 105 MinutenRegie: Mark MonheimDarsteller: Jasna Fritzi Bauer, Heike Makatsch,Aurel Manthei, Simon Schwarz, Lauritz Greve,Dorothea WaldaVerleih: fp marketing & distributionFSK: 12 JahreKinostart: 23. Juli 2015
Beitrag aus Heft »2015/03: Digitale Medienwelt: Werte und Verwertung«
Autor:
Rebekka Leimig
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Cornelia Pläsken: Das Handy im Süßigkeitenland
Solidaritätsdienst International e. V. (2015). Handy Crash. Browser-Spiel, kostenfrei.
Im April 2015 fiel der Startschuss für das browserbasierte Online-Spiel Handy Crash (www. handycrash.org) und die dazugehörige Online- Plattform (www.handycrash.org/lernen), auf der didaktisches Material und Hintergrundinformationen zum Thema „Globales Lernen“ zu finden sind. Handy Crash ist ein kostenfreies, kurzweiliges Match-Three-Game, das sich an Jugendliche richtet und die Intention verfolgt, entwicklungspolitische Inhalte zu vermitteln. Ins Leben gerufen wurde das Spiel vom Solidaritätsdienst International e.V. (SODI) und Germanwatch e. V.
Die Einleitung
Einleitend erscheint ein kurzer Text, der die Spielerin oder den Spieler auf das Spiel einstimmen soll. Der Teaser „Begib dich mit dem Game ‚Handy Crash‘ auf eine Weltreise und erfahre, was in der globalen Handy-Industrie vor sich geht!“ verspricht einen interessanten und abwechslungsreichen Spielverlauf. Anschließend wird mithilfe einer Animation inhaltliches Grundwissen vermittelt, das gleichzeitig die Intention des Spiels verdeutlichen soll. Handy Crash besteht aus drei Levels, wobei sich jedes Level einem bestimmten Thema widmet: Handynutzung und Recycling, Rohstoffabbau sowie Produktion. Jedes Level beinhaltet zehn Aufgaben, die gelöst werden müssen. Grafisch verteilen sich die Aufgaben auf einer Landkarte, auf der sie miteinander verbunden sind.
Das Spiel
Klickt man die erste Aufgabe an, erscheint ein kurzer Input zu einem thematischen Teilbereich, der sich in diesem Fall auf die Reparatur von kaputten Handys bezieht. Im nächsten Schritt erhält man einen Arbeitsauftrag: „Finde Handys, die man reparieren kann. Bringe drei Handys nach unten, indem du andere Handys kombinierst. Du hast 35 Züge.“ Das Spielfeld ist wie bei dem allseits bekannten Spiel Candy Crush aufgebaut und folgt ebenso derselben Systematik. Um drei Handys nach unten zu bringen, müssen drei oder mehr Felder der gleichen Farbe unterhalb der Handys kombiniert werden, damit diese dann weiter nach unten rutschen können. Schließt man die Aufgabe erfolgreich ab, so gelangt man wieder zurück zur Landkarte und kann sich der nächsten Aufgabe widmen. Dabei ist es nicht möglich, die Aufgaben in beliebiger Reihenfolge zu bearbeiten. Die darauffolgenden Aufgaben im ersten Level sind entsprechend aufgebaut und unterscheiden sich nur durch ihre zusätzlichen thematischen Beschreibungen sowie Vorgaben, in welcher Zeit oder mithilfe wie vieler Spielzüge Dinge nach unten befördert werden sollen.
Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben ist nicht besonders hoch. Schafft man es während des Lösens der Aufgaben über 50 Herzen zu sammeln, die am oberen Spielfeldrand angezeigt werden, erscheint zwischendurch eine sogenannte Herzinfo, die Anregungen und Hinweise gibt, wie man beispielsweise das eigene Handy reparieren kann oder was es für Projekte gibt, die Arbeitskräfte schützen, die unter gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten müssen. Herzen werden durch das Kombinieren von vier oder fünf gleichfarbigen Feldern gesammelt. Absolviert man das erste Level erfolgreich, kann das erzielte Ergebnis in Facebook mit anderen geteilt werden(muss aber nicht). Am Anfang des zweiten Levels bekommt die Spielerin oder der Spieler wieder eine Animation zum Thema zu sehen, bevor es an das Lösen der nächsten zehn Aufgaben geht. Dabei verändern sich die Anforderungen an die spielende Person eher geringfügig. Der Schwierigkeitsgrad steigt etwas an, ist aber – wie bereits im ersten Level – gut zu meistern. Die Aufgabenstellungen sind im Vergleich etwas abgeändert, aber dennoch einfach zu verstehen. Im insgesamt elften Spiel muss man zum Beispiel drei Kupfer nach unten befördern, bevor fünf Wassertropfen unten angekommen sind. Hat man diese zehn Aufgaben durchgespielt, geht es im dritten Level – wie zu erwarten – genauso weiter. Die Aufgabenstellungen verändern sich etwas, das Grundprinzip bleibt gleich. Die Schwierigkeit nimmt allerdings etwas zu, sodass es durchaus vorkommen kann, eine Aufgabe zweimal lösen zu müssen, weil man etwas nicht in der vorgegebenen Zeit nach unten befördern konnte. Kommt es zu einem Fehlversuch, hat dies jedoch keine negativen Auswirkungen auf das Vorankommen im Spiel, da eine Aufgabe beliebig oft wiederholt werden kann. Hat man alle 30 Aufgaben innerhalb der drei Level gelöst, so erscheint abschließend ein Kasten mit Tipps, wie man die globalen Bedingungen in der Handyindustrie verbessern könnte.
Das Fazit
Konzeptionell ist Handy Crash dafür gedacht, die Handy- und Spielebegeisterung von jungen Menschen zu nutzen und sie mit globalen politischen und ökonomischen Zusammenhängen von Handys und den daraus resultierenden gravierenden Problemen wie Arbeits- und Umweltschutz zu konfrontieren. Grundsätzlich ein guter Gedanke – in der direkten Umsetzung ist es allerdings mehr als fraglich, ob die Zielsetzung tatsächlich erfüllt wird. Die Informationen zum Thema Handy, die fortwährend im Spiel auftauchen, sind interessant und erfüllen durchaus den intendierten Zweck. Problematisch ist eher die Implementierung der Inhalte im Spiel, da es sich bei Handy Crash nicht um ein gänzlich neu entwickeltes Spiel handelt, sondern nur um eine abgewandelte Form von Spielen wie Candy Crush. Der eingangs versprochene abwechslungsreiche Spielverlauf löst sich mit der Zeit in Luft auf, da die Aufgaben alles andere als das sind. Die Aufgaben der einzelnen Spiele sind zwar nicht immer identisch, vom Grundprinzip jedoch ähnlich. Das hat zur Folge, dass die Lust am Spielen bereits nach den ersten zehn Herausforderungen stark abflaut. Weiter stehen die Inhalte und der Spielvorgang nicht in direktem Zusammenhang, auch wenn man natürlich Aufgaben gestellt bekommt, die vorsehen, dass vier Ladegeräte innerhalb von 120 Sekunden nach unten befördert werden sollen. Lerneffekte hinsichtlich des Themas würden sich maximal dadurch einstellen, dass die spielende Person tatsächlich vor jeder Aufgabe den Input aufmerksam durchliest. Da die Textkästen allerdings ganz leicht umgangen werden können, sei es dahingestellt, ob sie aufmerksam durchgelesen werden oder nicht. Was an dieser Stelle jedoch nicht unterschlagen werden darf, ist das didaktische Begleitmaterial, das online abrufbar ist. Es bietet viele Einsatzmöglichkeiten im schulischen Kontext.
Vor diesem Hintergrund kann die Nutzung von Handy Crash wiederum sinnvoller sein, da die Lehrkraft den Einsatz des Spiels bewusst steuern und an vielen Stellen mit den Schülerinnen und Schülern kritisch diskutieren kann. Konkrete und ausführliche Einsatzmöglichkeiten des Begleitmaterials können online abgerufen werden. Da das Spiel wahrscheinlich nicht nur in Schulen, sondern theoretisch auch von Jugendlichen in ihrer Freizeit gespielt werden soll, stellt sich dennoch die Frage, ob Jugendliche wirklich zu Handy Crash greifen oder es sich lieber doch einfacher und angenehmer machen und Candy Crush wählen, weil sie dort ungestört ohne aufploppende Kästen spielen können. Somit ist Handy Crash theoretisch ein netter Versuch die Thematik medial sinnvoll zu bearbeiten, praktisch jedoch mehr eine kleine Spielerei für zwischendurch und maximal im schulischen Kontext pädagogisch einsetzbar.
Beitrag aus Heft »2015/03: Digitale Medienwelt: Werte und Verwertung«
Autor:
Cornelia Pläsken
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Markus Achatz und Michael Bloech: Starke Kinder – Schwache Eltern
Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Filme in der Sektion GENERATION der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele in Berlin bildete häufig ein aus den Fugen geratenes Verhältnis zwischen Kindern und Eltern. Konkret wurde in vielen Produktionen das Versagen der Eltern in den Vordergrund gestellt, auf das im Gegenzug die Kinder mit Stärke, Mut und anarchischer Selbstständigkeit reagieren mussten. In einigen Produktionen fehlten die Eltern sogar gänzlich, wie in der amerikanischen Produktion Golden Kingdomvon Brian Perkins, der das Leben von vier kleinen Jungen erzählt, die als burmesische Mönche eine Zeit lang völlig auf sich allein gestellt sind. Oder Im Spinnwebhaus von Mara Eibl-Eibesfeldt (gezeigt in der Berlinale Cross-Section), die Geschichte dreier Kinder, die nach dem Weggang ihrer Mutter ebenfalls ganz ohne Erwachsene ihren Alltag meistern müssen. Maryanne Redpath, die Leiterin der Berlinale Sektion GENERATION Kplus, also des Kinderfilmprogramms, hat Jahr für Jahr bei der Zusammenstellung der Filme mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Das Dilemma besteht zum einen darin, dem Unterhaltungsbedürfnis des jungen Kinopublikums gerecht zu werden und zum anderen anspruchsvolle Kinokost zu präsentieren, das heißt Kinder zur Rezeption differenzierter ästhetischer Formen, komplexer und oft eher emotional belastender Handlungsstränge zu animieren. Daneben gilt es, das gesamte Altersspektrum der Zielgruppe zu berücksichtigen. Kein leichtes Unterfangen, zumal viele Produktionsfirmen sich bei der Terminsetzung der Filmstarts nicht nach dem Terminplan der Berlinale richten beziehungsweise richten können. Einige deutsche Filme, die im Laufe des Jahres 2015 starteten, wie Rico, Oskar und das Herzgebreche von Wolfgang Groos oder Rettet Raffi!, der neue Film von Arend Agthe, waren daher schon allein aus diesem Grund nicht im Programm von Kplus. So hat Maryanne Redpath 2015 den Schwerpunkt auf formal anspruchsvolle Filme gelegt, ältere Kinder stärker in den Fokus gerückt und inhaltlich den Blick auf eher Bedrückendes gelegt.
Die Leichtigkeit eines Papierfliegers
Fulminant eröffnet wurde das Programm mit der farbenfrohen, australischen Produktion Paper Planes (Papierflieger) von Robert Conolly, einem warmherzigen, humorvollen, unterhaltsamen Film für die ganze Familie. Der elfjährige Dylon lebt nach dem Tod seiner Mutter zusammen mit dem depressiven Vater in einer Baracke im australischen Outback. Allerdings ist der Junge das genaue Gegenteil seines Vaters, er ist engagiert, optimistisch, mutig und auch überaus geschickt, wenn es darum geht Papierflieger zu basteln und diese über eine enorme Distanz segeln zu lassen. Mit seiner ausgeklügelten Papierfalttechnik, seiner enormen Beharrlichkeit und vielem Training gelingt es dem Jungen sogar, an den Weltmeisterschaften in Tokio teilzunehmen. Selbst den in völlige Lethargie versunkenen Vater kann er mit seiner ansteckenden Euphorie ein wenig aus der depressiven Situation reißen. Der wunderbare Film vermag gut zu unterhalten und ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit zu vermitteln. Die Grundaussage, wonach es nur darauf ankommt etwas Wunderbares zu schaffen, unabhängig vom Erreichen eines Sieges, verfolgtder Film allerdings ein wenig halbherzig, was zwar schade, insgesamt aber zu verschmerzen ist.
Schneepiraten – Kindheit im eisigen Faschismus
Wesentlich bedrückender ist die Situation der Kinder im türkisch/kurdischen Film Kar Korsanları (Schneepiraten) von Faruk Hacıhafızoğlu. Die Freunde Serhat, Gurbuz und Ibrahim erleben 1981 in der türkischen Kleinstadt Kars im armen Nordosten Anatoliens einen der grimmigsten Winter. Gemeinsam sausen sie tagsüber auf ihren Schlitten durch die bitterkalte Schneelandschaft, immer auch auf der Suche nach etwas Brennbarem, den Kohleresten aus achtlos entsorgten Aschenhaufen. Ihre Väter sind nicht präsent, arbeiten zumeist fern der Heimat im Ausland. Die totalitären Auswirkungen der Militärdiktatur erleben die Kinder dabei mehr und mehr, insbesondere als ihr älterer Freund entführt und schließlich gefoltert wird. Neben all diesem Grauen merken die Kinder, wie wichtig Freundschaft und Mut in einer solch beklemmenden Situation sind, um bestehen zu können. Mit der handlungsarmen Geschichte, den überaus ruhigen, sorgfältig gewählten Einstellungen und dem radikal zurückgenommenen Musikeinsatz, steht der Film den Rezeptionsgewohnheiten heutiger Kinder entgegen. Vielleicht ist aber gerade dies der Reiz der Schneepiraten, denn der Film zeigt aus dem unverstellten Blick von Kindern ein Stück aktueller Geschichte um Ohnmacht und Willkür.
So wie ich bin – You‘re Ugly Too
Ohne ihre Eltern muss auch die elfjährige Stacey im Film You’re Ugly Too (So wie ich bin) (Irland 2014) auskommen. Nachdem sie beide Eltern verloren hat, ist ihr Onkel Will der einzige nahe Verwandte und soll sich um das Mädchen kümmern. Stacey kennt ihn gar nicht richtig und bleibt ihm gegenüber skeptisch. Will möchte partout nicht erzählen, warum er im Gefängnis war. Die beiden ziehen in eine Trailerparksiedlung in den Midlands. Obwohl Staceys Mutter erst vor sechs Wochen gestorben ist und die Lebensbedingungen schwierig bleiben, bemüht sich Will, dass die Dinge möglichst normal laufen. Er muss sich bewähren, denn sonst droht die Rückkehr in den Knast. Stacey leidet überdies an Narkolepsie und schläft manchmal unvermittelt ein. Als sie schließlich herausfindet, warum Will im Gefängnis war, wird alles noch schwieriger. Das Langfilmdebüt von Mark Noonan ist ein lakonischer Film, der mit wunderbaren Dialogen und irischem Humor gleichermaßen anrührend und charmant wirkt. Stacey und Will sind zwei starke Figuren, deren Persönlichkeiten zwar aufgrund der schicksalhaften Erlebnisse Risse bekommen haben, sich aber dennoch ihrer jeweiligen Verantwortung stellen. Noonan, von dem auch das Drehbuch stammt, gelingt es dabei hervorragend, der Protagonistin und dem Protagonisten intelligente und witzige Texte auf den Leib zu schreiben. Das anfangs spröde Duo Stacey und Will – grandios dargestellt von Nachwuchstalent Lauren Kinsella und dem vor allem in Irland bekannten Aidan Gillen (u. a. Game of Thrones) – wächst dabei behutsam zusammen, obwohl die Zukunft der beiden alles andere als rosig erscheint. Mit seinem relativ offenen Ende gibt der Film keine eindeutige Auflösung, wie es mit Stacey und Will weitergehen wird, bietet aber auf berührende Weise eine hoffnungsvolle Perspektive zwischen feinsinnigem Humor und Pragmatik.
"Iss doch was" – Ess-Störung und Leistungssport
Mit dem Thema Ess-Störung greift der schwedisch/deutsche Beitrag Min Lilla Syster (Stella) von Sanna Lenken ebenfalls ein sehr ernstes und wichtiges Problem auf. Die etwas pummelige Stella merkt allmählich, wie ihre große Schwester Katja immer größere Schwierigkeiten hat, Essen zu sich zu nehmen. Schließlich überrascht sie bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch ihre Schwester, als diese sich in der Toilette den Finger in den Hals steckt, um sich zu übergeben. Zu all dem trainiert Katja mehr als hart, um eine erfolgreiche Eiskunstläuferin zu werden und bewegt sich durch die Nahrungsverweigerung mehr und mehr in eine katastrophale, lebensbedrohliche Krise. Stella will helfen, muss aber versprechen, den zunächst unwissenden Eltern nichts zu erzählen. Schließlich eskaliert die Lage, Stella bricht ihr Schweigen und informiert die Eltern, die von dieser Situation allerdings völlig überfordert sind. Mit den Stilmitteln des klassischen Fernsehspiels gibt der Film einen realistischen und oft sehr deprimierenden Blick in das Krankheitsbild von Ess-Störungen, die lebensbedrohliche Formen annehmen können und die ohne fremde, klinische Hilfe kaum zu bewältigen sind. Der Film ist ein Plädoyer dafür, Kindern Mut zu machen, Probleme mit ihren Eltern zu besprechen, aber auch dafür, dass Eltern sich im Umgang mit ihren Kindern Zeit nehmen und genau hinschauen sollten. Vor allem sollten sie den Mut haben, professionelle Hilfe anzunehmen. Die pädagogische Altersempfehlung im Rahmen der Berlinale ist daher mit der Eignung ab 12 Jahren passend. Der mit einem Gläsernen Bären der Kinderjury und einer lobenden Erwähnung der internationalen Jury prämierte Film kann eine gute Gesprächsgrundlage bilden, um eine Diskussion über den Umgang mit diesem Krankheitsbild zu beginnen.
Hermetisch abgeriegelte Welten Berlinale Filme in der Sektion GENERATION 14plus
In zahlreichen Filmen der 14plus-Reihe müssen sich die heranwachsenden Protagonistinnen und Protagonisten in hermetisch abgeriegelten Welten zurechtfinden oder sind in ihrer jeweiligen Umgebung stark auf sich alleine gestellt. Manchmal sind sie abgeschottet innerhalb von isolierten Dorfgemeinschaften oder Familien, werden Opfer religiöser oder kulturell motivierter Ausgrenzung oder leben mehr in virtuellen als realen Welten. Häufig sind sie Außenseiterinnen oder Außenseiter – von anderen ausgeschlossen, Verbannte, Flüchtlinge oder schlichtweg Gefangene.
Auf sich alleine gestellt – El Gurί
Der zehnjährige Gonzalo lebt in einem abgeschiedenen Dorf im Nirgendwo Argentiniens. Wer hier landet, heißt es einmal im Film, kommt nur schwer wieder weg. Der Junge muss sich alleine um seine kleine Schwester kümmern, die noch ein Baby ist und lebt in einem Haus mit der senilen Großmutter, die ebenfalls auf seine Hilfe angewiesen ist. Gonzalos Mutter ist vor einigen Tagen fortgegangen und er glaubt, dass sie schon bald zurück sein wird. Dennoch muss er immer wieder über die drei Dinge nachdenken, die ihm seine Mutter zuletzt gesagt hatte: "Dass sie mich sehr lieb hat, dass ich erwachsen werden soll und dass ich mich um meine Schwester kümmern muss." Erst nach und nach wird Gonzalo klar, was die anderen im Dorf längst wissen: Seine Mutter wird nicht zurückkehren. Doch wer wird sich um ihn und vor allem um seine kleine Schwester kümmern? Julio, der Tierarzt, der kinderlos mit seiner Frau in der Nähe wohnt, oder die junge Lorena, die zufällig aufgrund eines defekten Autos im Dorf gestrandet ist und nicht weiß, wann sie wieder wegkommt? El Gurί ist ein langsamer, ruhiger Film. Die Lethargie des Dorfes bestimmt das Tempo der Geschichte. Regisseur Sergio Mazza hat dies in einer verschachtelten und dadurch fesselnden Erzählweise inszeniert. Wie einzelne Puzzleteile fügt sich die Story nach und nach zusammen und wir erkennen stückweise die Verstrickungen der Dorfbewohner, erhalten Hinweise auf die Vergangenheit der Mutter und das Schicksal Gonzalos und seiner Familie. Die Programmierung von El Gurί in Generation 14plus könnte in Frage gestellt werden und einzelne junge Zuschauerinnen und Zuschauer waren mit diesem Film möglicherweise überfordert. Ein Eindruck, der sich verstärkte, als der zehnjährige Darsteller Maximiliano Garcίa am Ende der Vorführung mit Tränen in den Augen neben dem Regisseur auf die Bühne trat, nachdem er den Film in Berlin zum ersten Mal gesehen hatte. Wie seine Filmfigur Gonzalo erfuhr er erst allmählich die ganze Wahrheit der Geschichte und war davon tief ergriffen. Andererseits ist dies aber auch eine Bestätigung dafür, dass El Gurί in der Tat zu den bemerkenswertesten und beeindruckendsten Beiträgen des diesjährigen Festivals zählte.
Bruder und Schwester – Märchensymbolik mit Fantasy
Im US-amerikanischen Film One & Two ist das Modell der hermetisch abgeriegelten Welt wohl am drastischsten und plakativsten zu finden. Die Geschwister Eva und Zac leben mit ihren Eltern auf einem isolierten Bauernhof ohne Strom, Maschinen und moderne Technik. Alles mutet zuerst wie eine historische Geschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Die Familie bewirtschaftet Hof und Felder per Handarbeit, die Wägen werden von Pferden gezogen. Dass hier etwas nicht stimmt, wird nur langsam deutlicher: Hoch oben am Himmel fliegen Jets vorüber und der Vater versucht verbissen, permanent alles unter Kontrolle zu halten. Das naturalistische Ambiente wird zudem durch eine mystische Komponente durchbrochen, denn Eva und Zac haben die übernatürliche Fähigkeit, sich kurzzeitig in Staub zu verwandeln und in Sekundenbruchteilen an anderer Stelle wieder zu erscheinen. Von dieser Eigenschaft machen die beiden vor allem nachts Gebrauch, wenn sie heimlich das Elternhaus verlassen, um in der Natur zu toben oder in den Himmel zu schauen. Die Landschaft, in der die Familie lebt, ist von einer hohen, unüberwindbaren Holzmauer umgeben. Niemand scheint zu wissen, was sich hinter der mysteriösen Grenze verbirgt. Der vermeintlich romantische Ort wird zum Schauplatz dramatischer Ereignisse und zunehmender Tyrannei des Vaters. Die Situation eskaliert weiter, als der Vater hinter Evas und Zacs nächtliche Ausflüge kommt. Strenge Strafen für die beiden Kinder sind die Folge. Gleichzeitig leidet die Mutter an einer unerklärlichen Krankheit. Das bisherige Leben der Familie gerät völlig aus den Fugen, als die Mutter stirbt. Streckenweise hochspannend hat Regisseur Andrew Droz Palermo die Geschichte inszeniert. Die Story changiert dabei zwischen der ländlichen Idylle, den Gewaltexzessen des Vaters gegen die Kinder und der Fantasy-Ebene. Allerdings zeigt die Dramaturgie deutliche Schwächen, indem angedeutete Erzählstränge nicht hinreichend durchdacht sind, offene Fragen unbeantwortet bleiben und selbst die Märchensymbolik schablonenhaft bleibt. Umso mehr wirken die teils gewalthaltigen Szenen, in denen der Vater die Kinder bestraft, übertrieben und für das junge Publikum möglicherweise belastend. Als eine Botschaft des Films könnte gelten, dass vieles im Leben durch Zufall und Schicksal entschieden wird. Doch dies ist bei der komplexen Exposition der Geschichte am Ende zu wenig. Durchaus schade, denn es gibt zahlreiche Szenen, die visuell und akustisch ausgesprochen gelungen sind. Vor allem die Kamera von Autumn Cheyenne Durald und der Score von Nathan Halpern wissen insgesamt zu überzeugen. Leider zerfällt die Klimax im Showdown durch den Einsatz eines völlig aus dem Rahmen fallenden Popsongs.
Tristesse der Vororte – perfekte Kulisse für ein schrilles Jugenddrama
Eröffnet wurde die Jugendfilmreihe GENERATION 14plus mit Prins (Prinz), dem beeindruckenden Spielfilmdebüt des Niederländers Sam de Jong. In einem sich mehr und mehr beschleunigenden Erzähltempo und grellen, teilweise in Visionen eines beklemmenden Drogenrausches getauchten Bildern, wirft der Autor und Regisseur de Jong ein verstörendes Bild der Situationheutiger Jugendlicher in den vom Wohlstand abgekoppelten Vorstädten westlicher Industrienationen. Genauer gesagt, bilden die tristen Wohnfabriken am Ortsrand von Amsterdam die ideale Kulisse für seine mit Laiendarstellerinnen und -darstellern inszenierte Leidens- und Heldengeschichte des Jugendlichen Ayoub. Hier lebt er zusammen mit seiner Halbschwester Demi und seiner frustrierten, depressiven Mutter in einer kleinen Wohnung. Mit seinen halbwüchsigen Freunden hängt er oft im Viertel ab und besucht hin und wieder seinen drogenabhängigen, obdachlosen Vater, der ihn um Geld anbettelt. Die Situation eskaliert, als sich Ayoub mehr und mehr in die hübsche Laura verliebt, die jedoch mit dem älteren, gewalttätigen Franky liiert ist. Um aus der Geschichte heil herauszukommen, sucht Ayoub fatalerweise den Kontakt zu dem bizarren Schwerverbrecher Kalpa. Zwar streift der Film ironisch mit all diesen teils klischeehaften Story-Zutaten die Grenze zum Sozialkitsch, aber dennoch vermag de Jong durch die unsentimentale und packende, immer dichter und drastischer werdende Erzählweise zu fesseln und zunehmend Spannung zu erzeugen. Vielleicht gelingt es dem Film damit sogar, Verständnis für die soziale, finanzielle und emotionale Situation dieser Jugendlichen zu erzeugen, die aus den Verhaltensmustern behüteter Mittelschichtsjugendlicher herausfallen. Zu Recht erhielt Prins eine lobende Erwähnung der Jugendjury.
Paper Planes (Papierflieger)
Australien 2014, 97 Min.
Regie und Buch: Robert Connolly
Darsteller: Ed Oxenbould (Dylan), Sam Worthington
(Jack), Ena Imai (Kimi), Nicholas Bakopoulos-Cooke
(Jason), Julian Dennison (Kevin)
Produktion: Arenamedia (Melbourne), Weltvertrieb:
Arclight (Los Angeles)
Kar Korsanları (Schneepiraten)
Türkei 2014, 83 Min.
Regie und Buch: Faruk Hacıhafızoğlu
Darsteller: Taha Tegin Özdemir (Serhat), Yakup
Özgür Kurtaal (Gürbüz), Ömer Uluç (İbo), Yücel Can
(Deli Durdağı), Isa Mastar (Cesur Cello)
Produktion: Kars Film (Istanbul), Weltvertrieb: noch
offen
You’re Ugly Too (So wie ich bin)
Irland 2014, 81 Min.
Regie und Buch: Mark Noonan
Darsteller: Lauren Kinsella (Stacey), Aidan Gillen
(Will), Erika Sainte (Emilie), George Pistereanu
(Tibor)
Produktion: Savage Production (Dublin), Weltvertrieb:
Picture Tree International (Berlin)
Min Lilla Syster (Stella)
Schweden/Deutschland 2015, 95 Min.
Regie und Buch: Sanna Lenken
Darsteller: Rebecka Josephson (Stella), Amy Deasismont
(Katja), Annika Hallin (Karin), Henrik Norlén (Lasse),
Maxim Mehmet (Jacob), Ellen Lindbom (Iga)
Produktion: Tangy (Stockholm), Weltvertrieb: Wide
(Paris)
El Gurί (The Kid)
Argentinien 2015, 88 Min.
Regie und Buch: Sergio Mazza
Darsteller: Maximiliano Garcίa (Gonzalo), Sofίa Gala
Castiglione (Lorena), Daniel Aráoz (Julio), Susana
Hornos (Alicia)
Produktion: Masa Latina (Victoria, Entre Rίos),
Weltvertrieb: Fandango (Rom)
One & Two
USA 2015, 91 Min.
Regie und Buch: Andrew Droz Palermo
Darsteller: Kiernan Shipka (Eva), Timothée Chalamet
(Zac), Grant Bowler (Vater), Elizabeth Reaser
(Mutter)
Produktion: One & Two / Bow & Arrow (Los Angeles),
Weltvertrieb: Protagonist Pictures (London)
Prins (Prinz)
Niederlande 2015, 78 Min.
Regie und Buch: Sam de Jong
Darsteller: Ayoub Elasri (Ayoub), Jorik Scholten
(Franky), Achraf Meziani (Achraf ), Oussama Addi
(Oussama), Elsie De Brauw (Ayoubs Mutter), Sigrid
Ten Napel (Laura), Olivia Lonsdale (Demi), Chaib
Massaoudi (Ayoubs Vater)
Produktion: 100% Halal (Amsterdam), Weltvertrieb:
Mongrel International (Toronto)
Beitrag aus Heft »2015/02: Medien und Kindheit«
Autor:
Michael Bloech,
Markus Achatz
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Konstanze Wegmann: Von bleichgesichtigen Indianern und düsteren Angsthasen
Der zehnjährige Max (Lorenzo Germeno) ist blass, pummelig und ein Indianer-Häuptling! Was rein äußerlich betrachtet als Gegensatz erscheint, schließt sich für Max nicht aus. Denn es kommt schließlich darauf an, wer man im Herzen ist – das hat ihm sein Vater von klein auf beigebracht. Vor kurzem haben sich seine Eltern jedoch getrennt. Sein Vater Torsten (Christoph Letkowski), ein etwas chaotischer Musiker und ehemals großer Träumer, lässt sich nun gehen, spielt Konsolenspiele statt Musik, trinkt regelmäßig und kommt immer wieder zu spät, wenn er Max abholen soll. Seine Mutter Birte (Alice Dwyer) gibt Stadtführungen und bildet sich an einer Abendschule mit Englisch fort. Dass ihr Lehrer George (Tyron Ricketts) auch ihr neuer Freund ist, erfahren Max und Torsten erst später. Max, der die Geschichte auch als Ich-Erzähler aus dem Off nacherzählt, freut sich auf das Indianer-Camp auf Evis (Katharina Marie Schubert) Ranch, wo er – zumindest von den meisten – als Indianer-Häuptling anerkannt wird. Dort begegnet ihm der dunkel gekleidete Morten (Tristan Göbel), der eigentlich gar nicht ins Indianer-Camp möchte, es aber zumindest als Chance sieht, seinen Eltern (Kathi Angerer und Bernd Moss) – die hinter seinem Rücken, aber in Hörweite über ihn diskutieren – für ein paar Tage aus dem Weg zu gehen.
Max merkt sofort, dass Morten ein echter Indianer ist, auch wenn dieser nichts damit zu tun haben möchte. Max versucht immer wieder, sich Morten freundschaftlich anzunähern – dieser blockt jedoch ab. Zudem lässt er Max spüren, dass er ihn auch nicht für einen Indianer hält. Um sich besser in Morten hineinversetzen zu können, beschließt Max eines Nachts, in dessen Schuhen – oder Mokassins – einen Spaziergang zu machen und überrascht Morten dabei, als dieser sich heimlich seine Lieblings-Sendung Unfälle und Katastrophen im Radio anhört. Als die beiden in der darauffolgenden Nacht wieder einschalten, erfahren sie, dass der Junge, der bei den Karl-May-Festspielen Winnetous Sohn spielen sollte, bei den Proben vom Pferd gefallen ist. Sofort ist Max davon überzeugt, der Richtige für die Rolle zu sein. Die meisten anderen lassen ihn mehr oder weniger deutlich spüren, dass sie ihn nicht ernst nehmen und für einen Träumer halten, der die Augen vor dem optisch Offensichtlichen verschließt. Das bringt Max jedoch weder von seinem Glauben noch von seiner Motivation ab, Winnetous Sohn zu spielen und dadurch vielleicht sogar seine Eltern wieder zu vereinen. Auf dem Weg zu seinem Ziel stehen Max viele Hürden bevor, die er durch seinen unerschütterlichen Optimismus und die Hilfe seines neuen Freundes Morten jedoch meistern kann – Max ist eben doch ein echter Indianer. Die erste Szene zeigt Winnetou mit einem Strick um den Hals, eine Schussszene entwickelt sich.
Was in einem Kinderfilm vielleicht zunächst etwas deplatziert wirkt, wird durch plötzliche Rufe gebrochen – der Regisseur der Karl-May-Festspiele (Uwe Ochsenknecht) ist nicht zufrieden. Als dieser schließlich auch gezeigt wird und die Kamera aus der Theaterszene fährt, um das Western-Szenenbild sichtbar zu machen, dürfte auch den Kindern im Publikum klar sein, dass hier gerade eine fiktive Szene geprobt wird. Zusätzlich können Karl-May-Kennerinnen und -Kenner die Charaktere und Referenzen in den Dialogen wiedererkennen. Es wird also Action geboten, diese ist jedoch sinnvoll in den Kontext und die Narration eingebettet. Auch eine spätere Szene, in der Morten in seinem Zimmer einen Knallkörper zündet und dann von zu Hause loszieht, um seine Angst zu überwinden, steht symbolisch. Winnetous Sohn behandelt die Thematiken der Trennung der Eltern, der Freundschaft sowie des ‚Andersseins‘. Das zunächst etwas einfach gezeichnete Bild des dunkel gekleideten, dunkel- und langhaarigen Jungen mit den düsteren Interessen – passend zu seiner Lieblings-Radiosendung Unfälle und Katastrophen, schmückt er seine Zimmerwände mit seinen Lieblings-Katastrophen – wird ein Stück weit durch seine Angst vor dem Reiten und Fahrradfahren gebrochen.
Mortens Charakterzeichnung steht optisch sowie charakterlich im Kontrast zum ‚indianerlich‘ bunt gekleideten, blonden, pummeligen, lebensfrohen, optimistischen und mutigen ‚Indianer-Häuptling‘ Max. Die beiden werden dennoch Freunde und unterstützen sich gegenseitig beim Überwinden ihrer jeweiligen Schwächen und Ängste. Auch die dramaturgischen Muster Pessimismus versus Optimismus sowie Rationalität versus Träumerei ziehen sich durch den gesamten Film. Als Fazit des Films steht die ermunternde Botschaft, dass jede und jeder es schaffen kann, aus vermeintlich festgeschriebenen Kategorisierungen und den damit einhergehenden Zuordnungen auszubrechen. Wer mit dem Herzen dabei ist, an sich glaubt und für sein Ziel kämpft, kann Grenzen überschreiten, auch wenn es die Umstände und Mitmenschen noch so schwer machen. Um die Botschaft nicht allzu utopisch erscheinen zu lassen und dadurch nicht ihrer Glaubwürdigkeit zu schaden, lässt es Winnetous Sohn jedoch offen, ob Max‘ Eltern am Ende wieder zueinander finden. Indem beispielsweise gezeigt wird, wie es Torsten, Max‘ Vater, und George, der neue Freund seiner Mutter, gemeinsam schaffen, Max doch noch die Teilnahme am Casting zu ermöglichen, nähert sich der Film in kleinen Schritten auch an mögliche alternative Lösungen des Konflikts an.
Neben Western-Elementen, wie an das Genre angelehnten kleineren Action-Szenen und der Zitation von ‚Indianer-Weisheiten‘, verfügt der Film über eine interessante Erzählstruktur und ist gestalterisch liebevoll aufbereitet. Winnetous Sohn spielt mit Stereotypen und Kategorisierungen, indem er sich zwar auf diese – und die Kenntnis darüber – bezieht, jedoch bemüht ist, sie im Verlauf des Films in ihren starren Festschreibungen zu brechen. Die FSK-Freigabe ohne Altersbeschränkung ist zwar nachvollziehbar, die Referenzen zum Western-Genre in den Action-Elementen sowie die Symbolik der Zündung des Knallkörpers können jedoch von sehr jungen Kindern vermutlich noch nicht in ihrer kontextuellen Bedeutung und der damit einhergehenden ‚Entlastung‘ der Situation verstanden werden, weshalb eine gemeinsame Rezeption als Familienfilm sinnvoll erscheint. Zudem scheint Winnetous Sohn aufgrund des Alters seiner Protagonisten (zehn Jahre) und deren lebensweltlichen Problemen eher Kinder ab einem Alter von sechs Jahren anzusprechen. Winnetous Sohn ist der Gewinner der Förderinitiative
Der besondere Kinderfilm 2013/2014.
Winnetous SohnDeutschland 2015, 92 MinutenRegie: André ErkauDarsteller: Lorenzo Germeno, Tristan Göbel, UweOchsenknechtVerleih: WeltkinoFSK: Freigegeben ohne AltersbeschränkungFilmstart: 09.04.2015
Stefan Piasecki: Deutsche Kinderhilfe e. V. nutzt Computerspiele
Angekündigt wird das kostenlos abrufbare Spiel als „spannendes Detektivcomputerspiel“ mit einer prospektierten Spieldauer von 45 Minuten. Ziel des Spiels ist es, Kinder „eigenständig und altersgerecht Medienkompetenz kennenlernen“ zu lassen. Begründet wird die Notwendigkeit dieses Ansinnens damit, dass zwei Drittel der Kinder in Deutschland einen PC besäßen und „bereits 10-Jährige über größtenteils ein Handy oder ein Smartphone verfügten“. Daher sei es von Bedeutung, dass ihnen ein „verantwortungsbewusster Umgang mit den neuen Medien beigebracht würde“ (welche für die Zielgruppe der digital natives jedoch kaum „neue Medien“ sein dürften!).
Installation und Technik
Für welchen Computer und welches Betriebssystem das Spiel genau vorgesehen ist, wird übrigens nirgendwo verraten. Eine Testinstallation (Entpacken des Zip-Verzeichnisses reicht) und der Start des Programms unter Windows XP waren jedoch erfolgreich. Eine Spielanleitung findet sich auch innerhalb des Verzeichnisses und im Spiel selbst nicht. Das Spielfenster öffnet sich in einer festen Größe, die Anpassung an die generelle Bildschirmauflösung scheint nicht möglich. Wer demnach in hohen Auflösungen arbeitet, muss das Spiel möglicherweise sehr klein erleben. Auch reagieren die Menüs nicht auf Mausaktionen, das Spiel ist mit der Tastatur zu steuern. Die Spiel- und Auswahlmöglichkeiten sind recht limitiert und lassen nur wenig mehr zu, als gerade vorgesehen ist. So kann in der anfänglichen Straßenszene nur exakt auf dem Gehweg gelaufen werden oder man muss den Zebrastreifen nutzen. Bis auf die Spielfigur – Luca – und die auftauchenden Texttafeln ist die Landschaft kaum animiert. Autos repräsentieren lediglich den Verkehr, indem sie mitten auf der Straße stehen, obwohl man Verkehrsgeräusche hören kann. In Level 2 hüpfen wenigstens Kleintiere über den Rasen. Geschehen dramatische Ereignisse (eine Texttafel wird eingeblendet), ändert sich die Musik.
Spielgeschehen und Interaktivität
Interaktion ist kaum möglich. Beispiel: Luca erfährt gleich zu Beginn, dass eine Freundin von anderen Jugendlichen gemobbt wird und soll zur Hilfe eilen. Als sie an einem Süßigkeitenstand vorbeikommt, wird sie angesprochen, ob sie etwas kaufen will, sie kann jedoch nur ablehnen, nicht aber um Hilfe bitten. Erreicht sie die Freundin, gibt es nur die Möglichkeit, sich ihr von der Straßenseite her zu nähern und es kann nur dort eine Aktion ausgeführt werden (Leertaste), die erneut einen Textbildschirm aufbringt. Die Freundin bittet um Hilfe. Mehr geschieht nicht. Spricht Luca mit ihren Gegnerinnen, erhält man ein neues Textfeld mit vier Möglichkeiten: „Kämpfen“, „Haut ab“, „Seid nett“ und „Andere Lösung“. „Kämpfen“ bringt den guten Rat, dass Gewalt keine Lösung sei.
„Haut ab“ erntet eine gegnerische Drohung, „Seid nett“ provoziert die Frechheit, Luca möge doch „Bitte“ sagen und „Andere Lösung“ bringt die Gegner immerhin dazu festzustellen, dass sie hungrig sind und Luca kommt auf die Idee, sie könne die Bedränger ihrer Freundin mit Essen fortlocken. Am Süßigkeitenstand will man ihr helfen, verlangt aber, dass sie eine Aufgabe übernimmt und Müll wegbringt. Die erledigte Aufgabe wird mit einem hübschen Grafikeffekt und einem ‚magischen‘ Sound quittiert. Der Süßigkeitenverkäufer lockt also einen der Peiniger zu sich, so dass Luca mit dessen Komplizin Klara fertig wird und ihre Freundin befreit. Zur Belohnung verspricht eine Texttafel „10 Euro Taschengeld“. Danach treffen sie eine weitere Freundin, Trixi, die ihren Hund sucht. So erscheinen die Spielaktionen doch sehr vorbestimmt – insbesondere für eine Zielgruppe, die sich aus diversen App-Stores jederzeit umfangreiche und interaktive Unterhaltungsangebote vielfach kostenlos laden kann. Die Taste „Q“ ruft in vielen Kapiteln Tipps auf, die auch im echten Leben weiterhelfen sollen. Es sind allerdings stets die gleichen und es wird jeweils der letzte Tipp erneut aufgerufen.
Zwischenwertung
- Grafik: schön, entspricht Konsolenspielen der frühen 90er Jahre- Musik: Titelmusik schmissig, Melodie im Spiel in den ersten Minuten nett, dann bald unerträglich eintönig- Sound: Soundeffekte klar und zweckmäßig
- Spielerleben: Das Spiel wird mit den Pfeiltasten sowie der Leertaste/RETURN gesteuert, Q bringt Texttafeln mit Tipps hervor.
Fazit
Wem wird das Spiel nun gefallen? Grafik und Aufmachung sind insgesamt als schön zu beschreiben, die tatsächliche Benutzbarkeit ist jedoch äußerst begrenzt, der Ablauf linear. Es geht stets darum zu erraten, was wohl nun wound wie getan werden muss. Damit schreitet das Spiel noch hinter den Entwicklungsstand von Konsolenspielen der frühen 90er Jahre zurück. Die Spiellandschaft lässt sich nicht nutzen, die Spielfigur kann Felder betreten oder eben nicht. Es erscheint daher fraglich, wer angesprochen werden soll und letztlich angesprochen wird und was der Zweck ist. Die Texttafeln sind zu klein und die Texte zu kurz, um medienpädagogische Hinweise und Hilfen zu vermitteln, die über Allgemeinwissen hinausgehen. Ein interaktiver Comic hätte möglicherweise mehr bewirkt. Luca und ein geheimnisvoller Sommer vermittelt den Eindruck, als hätten pädagogisch motivierte und überzeugte Nichtspieler unbedingt ein Spiel produzieren wollen, ohne sich mit dem Medium, der Zielgruppe, dem Markt oder Prämissen von Medienpädagogik auseinanderzusetzen. Da dies leider sehr häufig der Fall ist, wird die Reserviertheit der angestrebten Zielgruppe gegenüber ‚gut gemeinter‘ Unterhaltung von Ministerien oder Verbänden und Institutionen verständlich. Werbespiele machen da oft mehr Spaß.
Anmerkungen
Ob übrigens die Namensähnlichkeit zu dem mit FSK 16 bewerteten Film Ein verhängnisvoller Sommer aus dem Jahr 2008, in dem es um die emotionalen und sexuellen Erlebnisse eines jungen Mannes im Pittsburgh der frühen 80er Jahre geht, intendiert war, wird leider nicht deutlich. Etwas unglücklich ist zudem die Außendarstellung des Spiels gelungen: Auf der Webseite des Auftraggebers, der Deutschen Kinderhilfe e. V. in Berlin (www.kindervertreter.de), findet sich das Spiel zwar momentan mit Datumsvermerk vom 04.02.2015 prominent auf der Hauptseite (unter „Aktuelles“), allerdings führen die Links jeweils nur zu neuen kleineren Texthäppchen. Wer mehr wissen will, muss unter → Projekte/Bildung suchen. Das dürfte bedeuten, dass das Spiel, wenn erst einmal aktuellere Meldungen diesen Eintrag verdrängt haben, nicht mehr so oft aufgesucht und gefunden wird. Auch die als Kooperationspartner aufgeführte Firma Waza-Games in Berlin, die übrigens unter den wichtigen Hauptmenüpunkten „Gamification“ und „Serious Games“ auf ihrer Homepage kaum informative Erläuterungen vorhält und als „Best Practice“-Beispiele ältere Produktionen anderer Firmen bewirbt, weist dieses Spiel ebenfalls nicht aus – gleichwohl die Deutsche Kinderhilfe wiederum als Kooperationspartner angegeben wird.
Konstanze Wegmann: „Schließlich sehen doch alle Schwarzen irgendwie ziemlich gleich aus, findest du nicht?“
Boie, Kirsten (2014). Schwarze Lügen. Hörbuch, Goya Libre. 378 Min., 19,99 €.
Melody (15 Jahre) lebt mit ihren Geschwistern Amadeus (17 Jahre) und Soprano „Soppy“ (4 Jahre), ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in einer kleinen schäbigen Wohnung irgendwo im Norden Deutschlands unweit der Ostsee. Die Familie hat ihre afrikanische Heimat verlassen und ist nach Deutschland gekommen, als der leibliche Vater drohte festgenommen zu werden. Nach dieser Beschreibung dürfte in den Köpfen vieler schon ein Bild der Familie entstanden sein. Ist dies ein negatives Bild? Bestätigen sich darin gesellschaftlich verfestigte oder zumindest zirkulierende Vorurteile? Die hier selektierten und entkontextualisierten Informationen sind auch das, was viele Charaktere der Geschichte (zunächst) sehen und wissen. Diese Informationen und visuellen Eindrücke – mit einer ständigen Betonung des ‚Schwarzseins‘ – formen ihr Bild von Familie Kwakye. „Schließlich sehen doch alle Schwarzen irgendwie ziemlich gleich aus“, ist dabei eine wiederkehrende Äußerung.
Doch ein genauerer Blick lohnt sich: Herr Kwakye sollte festgenommen werden, als er sich als Universitätsdozent gegen die Regierung aussprach. Da die Eltern eine Vorliebe für deutsche Hochkultur in Literatur und Musik hatten und Deutschland daher für „das wunderbarste Land der Welt“ hielten, entschieden sie sich für Deutschland als Ziel ihrer Migration. Kurz nachdem Soppy geboren wurde, starb der Vater und die Mutter heiratete den Alkoholiker Herrn Schnappgans, den die Geschwister „der Arsch“ nennen. Da die ausländische Qualifikation der Mutter nicht anerkannt wird, geht sie putzen, verdient alleine jedoch nicht genügend Geld, um der Familie den Aufenthalt in Deutschland sichern zu können. Daher muss die Familie mit „dem Arsch“ zusammenleben, der nach einem Arbeitsunfall seine geringe Rente, den Lohn der Mutter und das Kindergeld in Alkohol investiert. Melody fühlt sich in Deutschland zu Hause, ist sehr gut in der Schule und spielt im Schulorchester. Trotzdem gehört sie in ihrer Schule in einer reichen Wohngegend, die Amadeus und Melody auf Wunsch der Eltern besuchen, um sich eine ‚sozial anerkannte‘ Basis zu ermöglichen, nicht richtig dazu und sieht sich im Alltag immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. Einen Tag vor Melodys Soloauftritt bei einem großen Schulkonzert beschädigt der Stiefvater in einer Auseinandersetzung die von der Schule geliehene Klarinette und sie darf nicht am Konzert teilnehmen. Damit sich ihre Mutter wegen der Ehe mit „dem Arsch“ nicht noch mehr Vorwürfe macht, beschließt Melody, ihr nichts von dem geplatzten Auftritt zu erzählen und die Nacht nicht zu Hause zu verbringen. Vor sich selbst rechtfertigt sie dies als Notlüge oder „white lie“, wobei sie darüber nachdenkt, dass „black lie“ – daher der Titel des (Hör-)buches – aufgrund ihrer Hautfarbe passender wäre.
Durch diese Notlüge, einige Vorfälle und Missverständnisse landet Melody in der Nacht schließlich auf dem Grundstück von Herr Sönnichsen, einem reichen, nahezu blinden Rentner, der sie zunächst für seine Enkelin hält. Da Melody nicht nach Hause kommt, gehen ihre Mutter und ihr Bruder Amadeus zur Polizei, um sie als vermisst zu melden. Hier wird Amadeus aber für einen gesuchten Bankräuber gehalten und in Untersuchungshaft gebracht. Melody wird verdächtigt, seine Komplizin zu sein, die mit dem Geld auf der Flucht ist. Der wahre Täter ist jedoch Amadeus‘ Nachhilfeschüler Lukas, der erpresst wird und Geld für Drogen benötigt. Um den Verdacht auf seinen Nachhilfelehrer zu lenken, hat er am Tatort eine Voodoo-Puppe und einen Zettel mit Amadeus‘ Fingerabdrücken hinterlegt. Nach dem Überfall sind Lukas und Melody zufällig zusammengestoßen und haben versehentlich ihre Taschen vertauscht, weshalb Melody das Geld aus dem Überfall unwissentlich bei sich trägt. Bei Herrn Sönnichsen trifft Melody auf den rassistisch eingestellten Jugendlichen Kenneth, der zu Besuch bei seiner Großtante, Herrn Sönnichsens Haushälterin, ist. Als er die Fahndungsbilder im Fernsehen sieht, konfrontiert er sie mit den Vorwürfen. Melody kann ihn jedoch von ihrer Unschuld überzeugen und für sich gewinnen. Schließlich trifft Herr Sönnichsens echte Enkelin, Linda von Altenhagen, ein.
Diese lebt zwar in finanzieller und sozialer Sicherheit, hat aber unter ihrem gefühlskalten Politiker-Vater zu leiden. Als die drei ungleichen Jugendlichen erfahren, dass Lukas Soppy entführt hat, um von Melody das Geld aus dem Banküberfall zu erpressen, meistern die drei die gefährlichen Herausforderungen gemeinsam.Schwarze Lügen erzählt eine Geschichte des Bestehens, Reproduzierens und Hinterfragens von kulturellen und sozialen Stereotypen und Vorurteilen. Durch ihr gemeinsames Ziel und die ‚wirklichen‘ Erfahrungen und Eindrücke, legen die drei Jugendlichen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen ihre gegenseitigen Vorurteile immer weiter ab. Lukas‘ rassistische Vorstellung, eine Voodoo-Puppe am Tatort würde den Verdacht sofort auf einen Dunkelhäutigen lenken, wird anfangs scheinbar bestätigt, als die Polizei der Spur zunächst in diese Richtung folgt. Tatsächlich zeigt dies jedoch nur, dass Lukas und die Polizei den Voodoo-Puppen-Fund an einem Tatort gleich deuten (würden), die Voodoo-Puppe als Symbol bzw. Zeichen also entlang des gleichen Vorurteils dekodieren. Dass der Zusammenhang zwischen Amadeus und der Voodoo-Puppe konstruiert sein muss, fällt dem Polizisten erst auf, als er seine scheinbar unbewusst rassistische Denkweise kritisch hinterfragt: „Das einzige, was zusammenpasste, waren seine afrikanische Herkunft und die Puppe. Der Junge selbst und die Puppe aber ganz sicher nicht.“ Es wird deutlich, dass die nationale bzw. kulturelle Herkunft nicht der nationalen bzw. kulturellen Identität entsprechen muss. Vielmehr handelt Amadeus – wie auch Melody – seine Identität mit einer Summe an verschiedenen nationalen, kulturellen und sozialen Einflüssen aus.
Die durch den Vorfall erlangte Erkenntnis des Polizisten kann auch als eine zentrale Botschaft der Geschichte bezeichnet werden: „Im tiefsten Inneren, tief unter ihren bewussten Überzeugungen, hatten sie alle ein Bild davon, wie Afrikaner eben waren. Auch wenn sie alles dafür taten, keine Vorurteile zu haben, waren sie nicht wirklich dagegen gefeit.“ Zudem wird – wie eingangs bereits angedeutet – gezeigt, dass ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital zwar in wechselseitiger Beeinflussung stehen, jedoch immer unter den jeweils spezifischen Bedingungen betrachtet werden sollten. Familie Kwakye hatte in ihrem Heimatland einen hohen sozialen Status und besitzt viel kulturelles Kapital, das eigentlich auch in Deutschland als solches anerkannt ist. Ihre beruflichen Qualifikationen sind jedoch wertlos, weshalb ihnen der Zugang zu ökonomischem und damit verbundenem sozialen Kapital an der ‚besseren‘ Schule verwehrt bleibt. Was als Eindruck nach außen bleibt, ist der einer immigrierten Familie, die mit einem deutschen Alkoholiker in einer schäbigen Wohnung zusammenlebt, um in Deutschland bleiben zu dürfen.
Dass Amadeus und Melody begabt und fleißig sind, wird wegen ihres Hintergrundes und ihres niedrigen finanziellen Status‘ – Melody bezeichnet ihre Familie als „Familie Werbung“, weil sie fast ausschließlich mit Werbegeschenken ausgestattet ist – von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern kaum anerkannt.Schwarze Lügen spielt mit kulturell konnotierten Gegensätzen, die immer wieder für Konfliktpotenzial innerhalb der Geschichte sorgen. Der Konflikt wird jeweils gelöst, wenn die subjektive Perspektive überwunden wird, beide ‚Seiten‘ als Team arbeiten und so die Kategorisierungen und Vorurteile durchlässig machen bzw. abbauen. Daneben greift das Hörbuch die Themen Geschlecht, Drogen, Familie, den Tod eines Elternteils bzw. die Vernachlässigung durch ein Elternteil, Freundschaft, Liebe, die Kommunikation zwischen verschiedenen Generationen und die mediale Inszenierung in der Politik auf. Durch die Vielzahl an verschiedenen Konfliktbereichen und die Darstellung von Jugendlichen aus verschiedenen Kontexten, kann die Geschichte potenziell auch viele verschiedene Jugendliche erreichen. Hans Löw schafft es als Sprecher, den unterschiedlichen Charakteren Leben einzuhauchen und so ihre jeweilige Persönlichkeit herauszustellen. Ohne gewollt ‚lehrreich‘ zu wirken, setzt sich Schwarze Lügen mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander und kann so potenziell eine Selbstreflexion der eigenen Denk- und Handlungsweisen anstoßen.
Aufgrund des Alters der beiden Protagonistinnen und des Protagonisten, der durchaus komplexen Narration und der spannenden Geschichte um die Folgen von Drogenkonsum, Erpressung und Entführung ist das Hörbuch für Jugendliche ab etwa 14 Jahren geeignet.Schwarze Lügen belegte auf der hr2 Hörbuchbestenliste im Juli 2014 den ersten Platz im Bereich Kinder- und Jugendhörbücher und erhielt das AUDITORIX Hörbuchsiegel.
Rebekka Leimig: Rockstars brauchen doch kein Einmaleins!
Ein neues Schuljahr, ein neues Abenteuer für Ella und ihre Klassenkameradinnen und -kameraden. Vor allem Pekka hat es dieses Jahr gar nicht so leicht. Er muss das Einmaleins lernen, aber so recht will das nicht klappen. Aber eigentlich träumt er ja eh davon, ein berühmter Rockstar zu werden, dann hätte er einen Manager und müsste sich um nichts mehr kümmern – sein Problem wäre gelöst! Da hat er aber nicht mit seinem Lehrer gerechnet, der ihm damit droht, ihn nicht zu versetzen, wenn er das Einmaleins nicht lernt – so ein Spielverderber! Doch davon lassen sich die Kinder natürlich wenig beeindrucken. Während nun Ella und der Rest der kleinen Strolche versuchen, Pekkas Traum in die Tat umzusetzen, hat der große finnische Popstar Elvira, Pekkas Idol, ordentlich die Nase voll vom Rampenlicht, dem Verlust der Privatsphäre und den Auseinandersetzungen mit seinem Manger. Pekka aber kann sich nichts Tolleres vorstellen, als endlich berühmt zu werden und gemeinsam mit Elvira auf einer Bühne abzurocken. Und tatsächlich, durch ein großes Missverständnis steht für Pekka ein Konzert mit Elvira vor einem riesigen Publikum an. Dann muss Pekka ja nur noch singen und tanzen lernen und dann ist er ein großer Star!
Doch zum Rockstar-Dasein braucht es weit mehr und bald merkt auch Pekka, dass berühmt sein nicht alles auf der Welt ist – viel wichtiger sind Freunde, die einen nie im Stich lassen und so mögen, wie man ist. Die bislang erschienenen elf Ella-Bände zählen in Deutschland zu den Bestsellern unter den Kinderbüchern. Kinderbuch-Autor Timo Parvelas kleine Heldinnen und Helden rund um Ella versuchen sich immer wieder mit eigenwilligen Ideen und mit Hilfe ihrer Fantasie in der Erwachsenenwelt durchzusetzen. So auch in Ella und der Superstar. Hier dreht sich alles um die Sehnsucht, einmal reich und berühmt zu sein und von allen bewundert zu werden. In einer Zeit, wo Deutschland sucht den Superstar und Voice of Germany den Superstar-Traum in die deutschen Wohnzimmer trägt, trifft der Film die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Die anfängliche tagträumerische Idee von Pekka findet natürlich gleich große Begeisterung bei seinen Freundinnen und Freunden – wer will denn kein berühmter Rockstar sein? So werden die kindlichen Träumereien wunderbar aus Kindersicht präsentiert: Pekka und seine Freundinnen und Freunde lassen sich nicht von der rationalen Erwachsenenwelt aufhalten und ihre Träume ausreden.
Nichts ist unmöglich! Doch im Laufe der Handlung werden auch die Schattenseiten eines Superstar-Daseins am Beispiel des Popstars Elvira ausgeleuchtet. Denn das Musikgeschäft hat seine ganz eigenen Regeln, und die treffen nicht unbedingt auf die Vorstellungen des angehenden Rockstars Pekka zu. Und auch sein Freundkreis muss mit der Zeit schmerzlich erfahren, dass er sich durch das Musikgeschäft immer weiter von ihrem Pekka entfernt. Regisseur Marko Mäkilaakso setzt auf Action und Situationskomik, wobei junge Kinder voll auf ihre Kosten kommen. Etwa wann die „Rockstar-Bande“ in Anzug, Krawatte, sonnenbebrillt und in lässiger Slowmotion einen Banküberfall durchzieht. Oder die Traumsequenz, wenn Pekka mit schmieriger Tolle einen auf Elvis macht. Und für ordentliche Lacher sorgt natürlich auch mal wieder der sympathisch-chaotische Lehrer. Der Film ist passend für die anvisierte Zielgruppe – Kinder im Grundschulalter – inszeniert. Allerdings verzettelt sich der Regisseur ein wenig in überlangen Dialogsequenzen und metaphorischer Bildsprache, die Kinder inhaltlich manchmal eher überfordern. Allgemein wirkt diese zweite Verfilmung mit dem großen Happy-End etwas platter als der erfrischende erste Ella-Film Ella und das große Rennen. Trotzdem ist dem Regisseur ein wunderbarer Familienfilm über kindliche Träume und Sein und Schein der Popwelt, über Freundschaft und Zusammenhalt und den Versuch, Wünsche über alle Hindernisse hinweg in Erfüllung gehen zu lassen, gelungen.
Ella und der Superstar
Finnland (2013)Regie: Marko MäkilaaksoFSK: noch nicht geprüftKinostart: 12. Februar 2015
Sebastian Pflüger: „In war not everyone is a soldier“
This War of Mine,
11 bit Studio, System: PC und iOSMelancholische Klänge dringen aus den Boxen, drei schwarz-weiße Porträts flackern über den Bildschirm. Zusätzlich eine kurze Erklärung, wo wir uns befinden. Wir sind in der Stadt Porogen und die drei Personen auf den Fotos bilden unsere Gruppe Überlebender eines anhaltenden Bürgerkriegs. Mehr erfahren wir als Spielende zunächst nicht. Das Polnische Entwicklerstudie 11bit Studio gibt dem Spieler oder der Spielerin absichtlich wenig Informationen an die Hand. In einer realen Situation würde uns auch niemand sagen, was wir wie zu tun haben, schon gar nicht, da wir nur einfache Zivilisten sind. Genau an dieser Prämisse setzt die Handlung von This War of Mine an.HandlungIm Gegensatz zu den meisten Videospielen, deren Handlung in oder während eines Krieges spielt, nehmen die Spielenden bei This War of Mine nicht die Rolle eines Soldaten, Generals oder Rebellen an, sondern die einer Gruppe von Zivilisten. Diese Gruppe kann aus bis zu fünf Personen bestehen und hat einen Unterschlupf in einem alten zerbombten Haus eingerichtet. Sie besitzt jedoch weder Lebensmittelvorräte, Trinkwasser, Werkzeuge oder sonstige Hilfsmittel. Jede Person der Gruppe bringt, basierend auf ihrer Vorgeschichte, eine spezielle Fähigkeit mit. Katia beispielsweise war vor Ausbruch des Krieges Reporterin und kann besonders gut handeln. Darüber hinaus ist sie auf der Suche nach ihren Eltern, von denen sie seit Kriegsausbruch nichts mehr gehört hat. Es gibt aber auch noch Marko. Früher war er Feuerwehrmann, heute nutzt ihm seine kräftige Statur nur noch bei der Suche nach Lebensmitteln und Werkzeugen in der zerstörten Stadt.
Spielablauf
Wie erleben die Spielenden den Alltag in This War of Mine? Der Spielablauf ist in zwei Phasen unterteilt, Tag und Nacht. Tagsüber müssen sie sich um die Bedürfnisse der Gruppe kümmern und den Unterschlupf ausbauen. Mit ausreichend Baumaterialen ist es möglich, Werkzeuge, Möbel und eine Infrastruktur herzustellen, die das Überleben erleichtern und vielleicht sogar für ein wenig Wohnlichkeit sorgen. Im Laufe des Spiels können so Gärten, Rattenfallen, Destillerien, Kochstellen oder Regentonnen gebaut werden. Mit deren Hilfe werden Lebensmittel, Medizin oder Tauschgegenstände hergestellt. Allein mit dem Bau dieser Gerätschaften ist es jedoch nicht getan. Um Alkohol herzustellen, bedarf es zusätzlich noch der Ressourcen Zucker und Wasser, um eine Mahlzeit zu kochen wird Fleisch oder Gemüse, Wasser und etwas Brennmaterial benötigt. Das Spiel präsentiert hier ein ökonomisches System, in dem mit begrenzten Ressourcen gewirtschaftet und das Überleben gesichert werden muss. In diesen Spielphasen ähnelt es fast einer Wirtschaftssimulation. Nachts hingegen besteht die Möglichkeit zu ‚plündern‘, um Ressourcen zu sammeln. Hierfür muss zunächst entschieden werden, welches Gruppenmitglied die Plünderung übernehmen soll, wer Wache schieben muss und wer schlafen darf. Danach bleibt es uns Spielenden überlassen, welcher Ort, in der vom Krieg gezeichneten Stadt Pogoren, ‚geplündert‘ werden soll.
Während dieser Streifzüge ist man ständiger Gefahr ausgesetzt und wird mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, etwa: Dürfen einem alten Ehepaar alle Vorräte weggenommen werden, um dadurch das eigene Überleben zu sichern? Doch was ist die Alternative? Ohne Nahrungsmittel und Baumaterialien wird die eigene Gruppe den Krieg nicht überleben, was wiederum gleichbedeutend mit dem Spielende ist. Der Tod eines Gruppenmitglieds ist endgültig, zumindest für diese Partie. Welche Auswirkungen der Tod eines Gruppenmitglieds oder das ständige Gefühl von Hunger auf das seelische Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner hat, wird durch Gedankenblasen dargestellt. So können wir an ihrer Gedankenwelt teilhaben und nachvollziehen, wie sie mit der Situation umgehen, welche Bedürfnisse sie haben und wie sie erlebte Situationen verarbeiten. Oftmals bedarf es eines Gesprächs zwischen den Personen (oder Spielfiguren), in dem sie sich gegenseitig trösten oder Mut zusprechen. Auch an anderer Stelle werden stark die Emotionen der Spielenden angesprochen, etwa wenn Kinder an der Tür läuten und um Medikamente für ihre kranke Mutter bitten.
Inszenierung
This War of Mine verfolgt dabei nicht das Ziel, die Spielerin oder den Spieler moralisch zu belehren, sondern zu zeigen, welche Konsequenzen ein Krieg für die Zivilbevölkerung mit sich bringt. Es hat auch nicht den Anspruch zu unterhalten, im Gegenteil. Jeden Tag sind wir mit den gleichen Problemen konfrontiert. Essen besorgen, Unterschlupf ausbauen und sich um das seelische Befinden der Gruppe kümmern. Dieser ständige gleichbleibende Rhythmus vermittelt ein Gefühl des Sich-auf-der-Stellebewegens. Jeden Tag fängt das Spiel von neuem an, nur jedes Mal mit noch mehr Problemen, ohne dass ein klar definiertes Ende in Sicht ist. Der Krieg in Pogoren kann nach 18 Tagen oder auch erst nach 35 Tagen, falls man so lange überlebt, vorbei sein. Vorbei ist das Spiel auch dann, wenn alle Gruppenmitglieder gestorben sind.Auch die Grafik und das Sounddesign tragen ihren Teil zur Atmosphäre bei. Auf den ersten Blick wirkt das Spiel wie in Schwarz-Weiß gehalten, jedoch sind leichte Farbakzente noch zu erkennen, nur fehlt den Farben jegliche Wärme. Nicht nur die Grafik wirkt ernüchternd, auch die Hintergrundmusik stimmt durch ihre langsamen und ruhigen Töne melancholisch.InspirationDie Absicht der Entwickler war es, das Szenario so real wie möglich darzustellen. Um dies zu gewährleisten,nutzten sie Erfahrungsberichte und Texte von Personen, die in Kriegsgebieten gelebt haben. Eine dieser Personen war zum Beispiel Emir Cerimovic. Er lebte in Sarajevo, als die Stadt 1992 während des Bosnienkriegs belagert wurde. Ein Jahr später gelang ihm und seinen Eltern die Flucht nach Frankreich, wo ernoch heute lebt. Weitere Quellen waren unter anderem Berichte von Soldaten, die an posttraumatischerBelastungsstörung leiden. Die Entwickler stellen ihre Haltung gegenüber dem Krieg deutlich dar. So ist bereits auf dem Startbildschirm ein Graffitischriftzug zu sehen mit der Aussage „Fuck the War!“.
Fazit
This War of Mine zeigt ausdrucksstark, dass Videospiele in der Lage sind, sich kritisch und ernsthaft sowie anschaulich mit gesellschaftlichen Problemen zu befassen. Es romantisiert nicht die Umstände oder entfremdet sie. Das Prinzip des reinen Überlebenskampfes in einer kriegerischen Umgebung wird konsequent beibehalten. Auch der gewählte Grafikstil und die dezente Musik passen perfekt in die Grundstimmung des Spiels und tragen ihren Teil dazu bei. Das Spiel lässt die Spielenden mit vielen Fragen und Gefühlen zurück, die diese für sich selbst beantworten müssen. Dabei werden die Vorteile des Videospiels genutzt, die dieses im Vergleich zu Büchern und Filmen hat. Die Spielerinnen und Spieler sind selbst gefordert zu entscheiden, wie sie überleben möchten und was sie bereit sind zu tun, sie können sich nicht entspannt zurücklehnen und beobachten, wie andere in solchen Situationen reagieren.
Swenja Wütscher: Faszination Medien
Bundeszentrale für politische Bildung/Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V./Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF:
Faszination Medien.
Ein multimediales Lernangebot für Schule und Jugendarbeit. DVD-Rom, 7 €.„Schau nicht so viel fern. Warum musst du den ganzen Tag am Rechner sitzen? Diese Spiele machen Dich süchtig. Trefft Euch lieber mal, anstatt nur auf Facebook rumzuhängen“ – das ist sie also, die faszinierende Welt der Medien. Jedenfalls, wenn sie auf den Warnungs-, Vorwurfs- und Kontrollalltag von Jugendlichen runter gebrochen wird, denen viele von ihnen im Bezug auf ihre Mediennutzung täglich ausgesetzt sind; situativ scheint dies auch nachvollziehbar. Aber eigentlich ist auch den Erwachsenen klar – das wissen sie aus ihrem eigenen Alltag –, dass auch Jugendliche sich Filmen, Hardware und Netzwerken in Ausbildung, Job und Freizeit kaum mehr entziehen können. Die multimediale, interaktive DVD-ROM Faszination Medien strebt daher an, dass Jugendliche sich gezielt mit ihrem medial geprägten Umfeld diskursiv auseinandersetzen und ihre eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten hinterfragen. So sollen Medienwissen und Medienreflexion gleichermaßen gefördert werden. Entstanden ist das Produkt in einem mehrjährigen Projekt der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Was genau fasziniert uns an den Medien und wie beeinflussen sie uns? Um zu erforschen, was es gibt, zu hinterfragen, wer es nutzt und zu erfahren, wie es sich entwickelt wurde Faszination Medien mit über 180 Medienbeispielen und Experteninterviews, Filmausschnitten und Fotomaterial ausgestattet – gepaart mit interaktiven, individuell lösbaren Lernsequenzen.
Basierend auf einem dualen Lernmodell wird dabei unterschieden zwischen Medienphänomenen – Themen genannt – und öffentlich geführten Diskursen. Die DVD-ROM vermittelt also zum einen Kenntnisse in den fünf Bereichen News, Filme & Videoclips, Reality-TV, Computerspiele sowie Communities und ermöglicht dadurch eine analytische Auseinandersetzung mit dem medialen Facettenreichtum. Parallel dazu bereitet sie gesellschaftliche Diskurse zu Privatheit in der digitalen Welt, Mediensucht, Prominenz, Sexualität und Gewalt auf, um die Entwicklung eigener Haltungen dazu zu fördern. Das Begleitheft liefert neben Hintergrundinformationen auch Ablaufpläne für den praktischen Einsatz von Faszination Medien in Schule und Jugendarbeit. Optisch überzeugt das gesamte Materialpaket mit seiner logischen Struktur sowie seiner modern ansprechenden, zielgruppengerechten Aufbereitung auf voller Linie. Auch überzeugen das didaktische und inhaltliche Konzept auf den ersten Blick: Die interaktiven – wenn auch teilweise eng geführten – Lehrpfade sowie verwendeten Medien sprechen die Zielgruppe an und fügen sich in ihre vorhandenen Kompetenzen ein. Die Themen orientieren sich an ihren Lebenswelten. Jede Lernaufgabe ist so konzipiert, dass die Nutzenden sich immer die korrekte Lösung selbst erarbeiten; ohne, dass ihnen auf dem Weg dahin konkrete Fehler aufgezeigt werden. Die Vermittlungsmethoden sind auf unterschiedliche Altersstufen und Leistungsniveaus ausgelegt. Das Material ist so zeitlos wie möglich. Zusätzliche Hintergrundinformationen dienen vor allem Lehrenden und Eltern. Die mundgerecht aufbereitete, strukturierte und dezidierte Handreichung für pädagogische Fachkräfte potenziert den tatsächlichen Einsatz des Materials innerhalb und außerhalb des Schulkontexts enorm – positiv unterstützt von der Orientierung am deutschen Lehrplan. Mittels Lesezeichenfunktion und Bausteinprinzip kann jede Anwendung detailliert und stringent vorbereitet werden, unterstützt durch ein Glossar und eine Druckfunktion.
Die durchweg verwendete, nicht gegenderte Wir- und Du-Sprachführung bringt eine angebrachte Kommunikationsebene mit sich. Kurzum, das Entwicklerteam aus Medienpädagoginnen und Medienpädagogen hat sich ordentlich etwas dabei gedacht. Allerdings hat auch Faszination Medien seine kleinen Macken. So wird die Länge der einzelnen Teilbereiche beispielsweise durch Balkenanzeigen visualisiert und gibt den Nutzenden damit Orientierung. Diese geht allerdings unnötig verloren, indem gelegentlich nicht ersichtlich ist, wie lange ein Video dauert. Das klingt erstmal nach einer Kleinigkeit, ist es aber nicht. Denn zeitweise zwingt das System seine Nutzenden, Videos vollständig anzuschauen, um fortfahren zu können. Darauf werden diese aber nicht einmal hingewiesen, was anfangs erneut für Ernüchterung sorgt und Unruhe schürt, indem vergeblich nach dem Weiter-Button gesucht wird. Auch gibt es den Fall, dass zu einem Thema drei Interviewparts aufbereitet sind, von denen Nutzende sich mindestens zwei ansehen müssen, um fortfahren zu können. Auch darauf wird am Bildschirm nirgends hingewiesen. Teilweise können die Bewegtbilder auch nicht pausiert oder wiederholt gesichtet werden. Die sich dahinter verbergende Didaktik scheint strittig – spätestens, wenn sie auf die gewöhnlich flexible, nonlineare Nutzungspraxis von Jugendlichen stößt. Schön gewesen wäre auch eine Legitimation der ausgewählten Expertinnen und Experten. Für Nutzende bleibt teilweise unklar, warum eine Person zu einem Thema spricht; Jugendliche sollten in ihrer informationsdurchfluteten Welt allerdings genau Gegenteiliges erlernen. Auch ist die Suchfunktion leider nur bedingt hilfreich, da diese kaum nützliche Ergebnisse findet und wenn doch, dann sind diese – abhängig vom Schlagwort – nicht allzu übersichtlich aufbereitet.
Dennoch, das soll an dieser Stelle betont werden, verdient Faszination Medien die Aufmerksamkeit der pädagogischen Branche: Es ist ein großartiges Produkt mit interaktiven Lehrpfaden um lebensweltorientierte, medienübergreifende, (dauer-)aktuelle Themenfelder. Völlig zu Recht ist die DVD-ROM bei den Erasmus EuroMedia Awards 2014 prämiert worden in der Kategorie „Language and Media“ – da sie wegen ihrer didaktischen Praktikabilität eine herausragende Rolle einnimmt. Faszination Medien fordert und motiviert seine Zielgruppe 14- bis 16-jähriger Nutzerinnen und Nutzer, sich mit ihrem eigenen Medienleben auseinanderzusetzen: vom Nachdenken über die eigene Nutzung und die Wirkung von Medien über die Findung und Formulierung eigener Standpunkte bis zur kritischen Beurteilung von Medienprodukten. Auf vielfältigste Art und Weise werden dazu zentrale Kritikthemen der Medienkulturdebatte aufgegriffen. Die DVD-ROM ist in Schule und Jugendarbeit, aber auch in der Familie gut einsetzbar. Für sieben Euro kann diese bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden. Ein umfangreiches Fortbildungsprogramm zur Nutzung des Materials ist in Planung.
Cornelia Pläsken: Mit saurer Milch und Würstchen mit Vanillesoße gegen die schlechte Laune
Boehme, Julia (2014). Tschüss, kleines Muffelmonster! Alle drei Muffelmonster-Geschichten. Hörbuch, Der Audio Verlag, 30 Min., 9,99 €.
Eines Morgens wurde Moritz von einem lauten Geräusch geweckt – es klang, als würde jemand gegen sein Bett treten. Da rieb er sich verschlafen die Augen und konnte kaum glauben was er sah: ein kleines schwarzes Monster mit zotteligem Fell, das am Ende seines Bettes stand. Es war ganz überrascht, dass Moritz es sehen konnte. Aber da wurde dem Monster klar, dass sie anscheinend schon sehr schlimm sein musste – nämlich seine Laune. Nur wenn es so richtig miese Laune hat, wird es sichtbar. „So ein mistiger Mistkäfer Mist“, schimpfte es gleich darauf los. Daraufhin bot Moritz dem muffeligen Monster seine Hilfe an, damit seine Laune wieder besser wird. Er hatte viele Ideen, wie es klappen könnte: auf dem Bett rumhüpfen, das Monster kraulen, mit Kuscheltieren kuscheln oder Schokoladenkekse essen. Doch das wollte das zottelige Wesen alles nicht und schnaubte weiter herum. Moritz war nach all seinen Vorschlägen etwas verzweifelt und ließ sich auf den Boden sinken. Da bekam das Monster ein schlechtes Gewissen und meinte kleinlaut, dass sie all die Dinge vielleicht doch ausprobieren könnten, damit seine Laune wieder besser wird. Als sie beim Kuscheln mit dem Plüschtiger angelangt waren, verlangte die grummelige Gestalt nach Salz und Pfeffer. Moritz verstand nicht ganz, was es damit vorhatte. Da meinte das Monster, dass so ein Kuscheltiger ohne Salz und Pfeffer nicht schmecken würde. Moritz riss ihm seinen Tiger entsetzt aus den Pfoten, worüber sich das Muffelmonster so sehr amüsierte, dass es zu lachen begann und langsam wieder unsichtbar wurde. Es bedankte sich noch bei dem Jungen und verschwand. Moritz war etwas traurig darüber und hoffte, dass es irgendwann wieder auftauchen würde.
Eines anderen Tages tauchte das grummelige Monster erneut bei Moritz auf. An diesem Tag hatten allerdings beide schlechte Laune. Moritz erklärte ihm, dass er keine Lust habe sein Zimmer aufzuräumen. Das Monster wusste gar nicht, was dieses „Aufräumen“ sein sollte, wollte es aber, nachdem Moritz es aufgeklärt hatte, auch mal ausprobieren. Daraufhin warf es einen Bauklotz in die Kiste – und hatte Spaß dabei! Moritz machte mit, bis sie sein ganzes Zimmer aufgeräumt hatten. Da beide Spaß hatten, verblasste das zottelige Monster langsam wieder. Moritz wollte es aufhalten und hielt es an seiner Pfote fest. Doch dann passierte es: auch er wurde immer durchsichtiger! Plötzlich waren die beiden nicht mehr in seinem Zimmer, sondern in der Welt des Muffelmonsters. Dort angekommen bot es ihm zuerst freudig etwas zu Essen an: Würstchen mit Vanillesoße. Das aß das Monster sehr gerne. Moritz blieb nichts anderes übrig, wollte seine Würstchen allerdings lieber ohne die Soße. Das konnte das grummelige Monster zwar nicht nachvollziehen, ließ ihm aber dennoch seinen Willen. Nach dem Essen lernte Moritz seine Monsterfreunde kennen und spielte mit ihnen „verstecken erschrecken“. Als die anderen nach ein paar Runden wieder nach Hause mussten, fragte auch er sich, wie er denn jetzt wieder zurückkommen würde. Er versuchte das Muffelmonster zu ärgern, was allerdings nur mit Nettigkeiten statt Beschimpfungen funktionierte – schwupps waren die beiden wieder in seinem Zimmer! Doch dann war es schon wieder an der Zeit sich zu verabschieden, jedoch sie hofften beide, dass sie sich bald wiedersehen würden. Eines Abends – Moritz war gerade dabei einzuschlafen – zog ihm jemand seine Decke weg und forderte ihn auf aufzuwachen. Moritz öffnete die Augen und freute sich als er sah, dass das Muffelmonster wieder vor ihm stand! Das zottelige Wesen war etwas empört darüber, dass Moritz gerade am Einschlafen ist, wenn es zu Besuch kommt. Aber Moritz konnte ja nichts dafür, dass seine Mama ihn kurz zuvor ins Bett gebracht hatte. Da wurde das Monster etwas muffelig, da es nie von jemandem ins Bett gebracht wird. Deshalb schlug der Junge vor, dass er das ja machen könnte. Die Idee fand das Monster gut und wollte sofort loslegen. Als erstes wollte es ein Glas saure Milch vor dem Einschlafen haben, aber damit konnte Moritz nicht dienen, da sie nur normale Milch zu Hause hatten. Als sich das grummelige Monster dann endlich ins Bett gelegt hatte, wollte es noch eine Socke zum Einschlafen haben.
Es sollte aber keine gewaschene Socke sein, sondern eine benutzte, da die so schön stinken. Moritz reichte dem Monster leicht irritiert eine getragene Socke, mit der es dann im Arm, nachdem der Junge ihm ein schauriges Gute-Nacht-Lied gesungen hatte, selig einschlief. Am nächsten Morgen wachte Moritz allerdings allein in seinem Bett auf. Hatte er das alles also nur geträumt? Nein, denn neben ihm lag zumindest noch die Socke und was würde er denn sonst schon mit einer getragenen Socke im Bett machen? Er lachte und hoffte, dass das Muffelmonster bald wieder zurückkehren würde. Das Hörbuch Tschüss, kleines Muffelmonster! basiert auf den Muffelmonster-Bilderbüchern, die in drei Teilen erschienen sind. Die Geschichten Tschüss, kleines Muffelmonster!, Hallo, kleines Muffelmonster! und Bist du müde, kleines Muffelmonster? werden mit viel Hingabe von Stefan Kaminski in der Hörbuch-Version erzählt. Er nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer mit in die Welt des kleinen Moritz, der eines Tages von einem Muffelmonster überrascht wird und sich gleich mit diesem zotteligen Wesen anfreundet. Kaminski schafft es mithilfe seiner Erzählungen den beiden Figuren Leben einzuhauchen, so dass man sich das kleine schwarze Monster bildlich vorstellen kann, wenn es in Moritz‘ Zimmer schnaubt und schimpft. Innerhalb von 30 Minuten erwacht in einem selbst der Wunsch nach einem genauso zotteligen und grummeligen Freund, wie das Muffelmonster einer ist. Trotz seiner schlechten Laune und seinen sturen Verhalten, das es zumeist an den Tag legt, wie auch seiner eigentümlichen Vorlieben für Essen und Trinken – denkt man an Würstchen mit Vanillesoße und saure Milch – muss man dieses muffelige Geschöpf am Ende doch gern haben.
Nicht umsonst wurde das lustige Kinderzimmer-Abenteuer, das durchweg gute Laune verbreitet, mit dem AUDITORIX-Hörbuchsiegel 2014/15 ausgezeichnet. Für Kinder ab drei Jahren ist daher bei Tschüss, kleines Muffelmonster! jede Menge Spaß und Humor angesagt, wenn sie mit Moritz in seinem Zimmer sind und auf das Muffelmonster warten.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mit einem Klick zum Matheprofi
Die Mathearbeit naht, im Schulbuch stehen nur böhmische Dörfer und im Mathe-Heft sind statt Aufgaben irgendwie nur Herzchen und Flugzeuge gelandet. Hilfe muss her und zwar schnell, wenn das Prüfungsblatt nicht ähnlich leer bleiben soll. Doch woher? Der Aushang am schwarzen Brett in der Schule? – Das kann ja Wochen dauern, bis sich da einer meldet! Schnell im Nachhilfeinstitut um die Ecke anmelden? – Dann wird’s eine ziemlich teure Note. Also bleibt doch, was im Jahr 2014 sowieso allen zuerst einfällt: Der Blick ins Netz. Denn da gibt’s ja bekanntlich für (fast) jedes Problem irgendeine Art von Lösungsvorschlag. Und tatsächlich: Wer sich online auf die Suche nach Unterstützung bei Wissensfragen aller Art macht, wird schnell fündig. Von Blogeinträgen über YouTube-Erklärvideos bis hin zu wissenschaftlichen Abhandlungen tummelt sich hier allerhand Wissen zu allerhand Themen – für jeden Anspruch, jedes Zeitkontingent, jede Format-Vorliebe. Mit nur wenigen Klicks wird aus der generellen Ratlosigkeit schon die Qual der Wahl: Denn selbst, wer schnell entschieden hat, dass er sich weder durch eine Doktorarbeit zum Mathestoff wühlen, noch sich allein auf das Erklärvideo der gleichaltrigen Mitschülerin verlassen will, kann aus einem ganzen Fundus an Nachhilfe-Anbietern wählen. Und da ist es manchmal gar nicht so einfach, den richtigen zu finden.
Kostenlos aber nicht umsonst: Mit Salman Khan zum Matheprofi
Ein Name, über den man bei der Suche nach Unterstützung in allen naturwissenschaftlichen Gebieten immer wieder stolpert ist die Khan Academy (www.khanacademy.org). Sie tritt mit dem großen Anspruch auf, „Bildung zum Besseren verändern“ zu wollen, indem „erstklassiges Wissen kostenlos und für jeden, jederzeit verfügbar“ gemacht wird. Dem Gründungsmythos nach wurde die Academy gegründet, als Khan, selbst Mathematiker und Informatiker, seiner Nichte per Tablet und Video Fern-Nachhilfe in Mathe gab und der Erfolg ihn so beflügelte, dass er gleich der ganzen Welt zu besserem Mathe-Verständnis verhelfen wollte. Mittlerweile leitet er einen gemeinnützigen Verein mit einem beeindruckenden Mitarbeiterstab, der bereits mehrere tausend kluge Videos aus den verschiedenen Themenfeldern der Naturwissenschaften in über 30 Sprachen anbietet. Auf der englischen Hauptseite können sich Lernende, Eltern und Lehrkräfte mit je unterschiedlichen Profilen anmelden; Schülerinnen und Schüler, um anhand der angebotenen Videos neues Wissen zu sammeln, es in Übungen zu vertiefen oder sich in einem Coach-System gezielt und intensiv begleiten zu lassen, Lehrkräfte und Eltern, um Einblick in die Fortschritte ihrer Schützlinge zu erhalten.
Auf der deutschsprachigen Seite ist das Angebot etwas rudimentärer, hier gibt es nur Videos, die ohne Anmeldung aufrufbar sind und nach Themen ausgewählt werden können; das internationale Angebot befindet sich aber auch noch im ständigen Aufbau. Die Videos selbst wirken so harmlos, wie ein Lernvideo nur wirken kann: Es gibt keine irgendwie geartete grafische Aufmachung, es sind keine Personen zu sehen – stattdessen präsentiert sich dem wissbegierigen Publikum ein schwarzer Tablet-Hintergrund, auf dem die jeweiligen Inhalte aufgemalt oder vorgerechnet werden, während eine Stimme aus dem Off dazu erklärt. Laut Khan soll es ermutigender sein, bei der Lösung des Problems zuzusehen, statt etwa von einer abgebildeten Person abgelenkt zu werden. Zu vielen Themen bietet die deutschsprachige Seite nach dem Erklär-Video noch ein Video mit Aufgaben an, in denen der eigene Erfolg getestet werden kann. Eine schnelle Hilfe bei akuten Problemen also, ohne Anmeldung und ohne Kosten, allerdings ist der Mathe-Stundenplan auf deutsch bisher auch nicht vollständig abgedeckt – möglicherweise müssen zum Mathelernen also auch noch die Englisch-Kenntnisse ausgepackt oder doch zu einem anderen Portal weitergezogen werden.
Fast wie bei Felix daheim: Mathehilfe mit Fex
Viel heimeliger geht es zu bei www.mathehilfe.tv, einem deutschsprachigen Portal, das rund um seinen Protagonisten Felix Donhöfer alias Fex aufgebaut ist. Auf der übersichtlich gestalteten Seite lassen sich alle Mathe-Themen finden, die auch der deutsche Stundenplan zu bieten hat, von der fünften Klasse bis zu G8-Abitur. Zu jedem Thema bietet die Seite schriftliche Erklärungen, Skizzen und Veranschaulichungen und häufig auch Videos, in denen Fex am Whiteboard steht, Zahlen schreibt oder Funktionen malt und dazu Erklärungen abgibt. Nach jeder Lektion warten auch hier Übungsaufgaben darauf, zu testen, ob sich der gewünschte Lernerfolg wirklich eingestellt hat. Wer dann noch nicht schlau genug geworden ist, kann unter „Frag Fex“ auch seine ganz eigenen Fragen in einer Art Gästebuch loswerden, die dort auffindbaren Fragen sind allerdings nur zu einem kleinen Teil auch wirklich beantwortet. So nett Fex in seinen Videos wirkt, ganz so selbstlos wie die Khan Academy scheint er nicht zu sein, hier gibt es Wissen nämlich nur für Bares: Pro Thema lassen sich zwei Probe-Lektionen kostenlos ansehen, dann fordert die Mathehilfe eine Anmeldung, die die hilfsbedürftigen Surferinnen und Surfer zwischen 7,45 € und 15 € im Monat (je nach Paket) kostet. Kein ganz billiges Vergnügen also, wenn man bedenkt, dass Fex bei seinen Tafelmalereien doch sehr an ein Klassenraum-Szenario erinnert – vielleicht hätte man also gleich der Lehrkraft zuhören können, die von jemand anderem dafür bezahlt wird?
Schicker Inhalt, schicker Preis: professionelle Betreuung vom Sofatutor
Wirklich professionalisiert hat die digitale Nachhilfe www.sofatutor.com, das wahrscheinlich größte deutschsprachige Nachhilfe-Portal. Hier gibt es nicht nur Mathefilme, sondern gleich Unterstützung in allen Schulfächern, wenn auch die schiere Angebotsmenge einen deutlichen Schwerpunkt in den Naturwissenschaften aufweist. Hier ist der Nachhilfelehrer eine GmbH, die ihre Inhalte in Zusammenarbeit mit dem Klett-Verlag anbietet und sich das auch entsprechend bezahlen lässt: Zwischen 14,95 € (im 24-Monats-Abo) und 99,95 € (für einen Monat Einzel-Nachhilfe) muss berappen, wer Zugriff zum begehrten Wissen haben will. Dafür sind aber auch die Inhalte spürbar am professionellsten: Es gibt Lern-Videos, in denen mit schicken Legetrick-Bildchen die gewünschten Zusammenhänge erklärt werden, Übungen und Tests, die das eigene Leistungsniveau bestimmen, Sofort-Hilfe im Fach-Chat, Schüler- und Lehrer-Accounts für den kollaborativen Fortschritt und auf Wunsch und gegen entsprechende Bezahlung auch intensive Einzel- Nachhilfe für den ganz schnellen Lernerfolg. Insgesamt also die mit Abstand umfassendste und in ihrer Aufmachung ansprechendste achhilfestunde im Netz, allerdings auch die teuerste. Alles in allem bleibt es schließlich aber wohl doch eine Frage von persönlichem Geschmack und akutem Bedarf, ob das Netz sich als nachhilfelehrer- Ersatz anbietet oder bewährt: Wer nur schnell eine konkrete Antwort sucht, findet hier sicher auch schnelle Hilfe; ebenso wer die Lücken im eigenen Wissen erst kurzfristig entdeckt, denn die Online-Angebote sind jederzeit und flexibel verfügbar.
Man hat keine Anfahrt, muss keine Termine machen und den Online-Lehrern geht bestimmt auch nie die Geduld aus. Hinter den ‚großen‘ Anbietern stecken zudem meist wirklich kompetente Menschen – Mathematiker, Lehrkräfte oder zumindest Studierende, so dass die Inhalte tatsächlich fundiert und hilfreich sind und meist auch für akute Fragen ein kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung steht. Preislich ist alles möglich, selbst die kostspieligeren Angebote liegen aber meist in ähnlichen oder niedrigeren Gebieten als professionelle Nachhilfe-Institute. Dennoch ist klar: Wer schon im Klassenzimmer Schwierigkeiten damit hat, Erklärungen zu verfolgen, die ihm an einer Tafel angeboten werden, wird möglicherweise auch am Bildschirm nicht die nötige Konzentration aufbringen, denn auch hier ist keine Person anwesend, die einem persönlich und gezielt auf die Finger klopft. Motivation und Initiative muss man schon selbst mitbringen. Auch ist der Lernprozess nie so individuell abgestimmt, wie er es bei einer persönlichen Betreuung sein kann: Hier können nicht die Hausaufgaben gemeinsam gemacht oder das Problem selbst in immer anderen Worten erklärt werden, auch gibt es kein Gegenüber das die eigenen Fragen beantwortet (höchstens punktuell im Chat) und die eigenen Schwachstellen kennt – so ausgereift sind die Portale dann eben doch noch nicht.
Und gerade wer nicht nur schnelle Akut-Hilfe sucht, sondern möglicherweise langfristige Begleitung in einem Fach benötigt, könnte bei einem Oberstufenschüler oder einer Studentin unter Umständen besser und günstiger aufgehoben sein. Beim nächsten Schweißausbruch, weil im Kalender die Mathearbeit naht, im Kopf aber noch Ferien sind – keine Angst, das große, schlaue Netz weiß Rat. Und wenn der gefürchtete Test erst überstanden ist, wird es vielleicht trotzdem Zeit, sich diese Mathematik mal grundsätzlicher zu Gemüte zu führen – mit Salman oder Fex oder dem schlauen Bekannten aus der Oberstufe, das ist dann Geschmackssache.
Swenja Wütscher: Aus 3DS mach 2DS – oder die Nintendo-Familie wächst
Nikolas (32) spielt seit seiner Jugend gerne Computerspiele, begonnen hat es damals mit der Spielekonsole Super Nintendo und dem Game Boy. Diese beiden Oldtimer hat er selbst während seiner Studienzeit noch gerne hervorgekramt, wenn sie auch schon modernen Zuwachs in Form einer Playstation erhalten hatten. Sein Sohn (5) sammelt derzeit seine ersten Konsolenerfahrungen mit der Nintendo 2DS. „Abgesehen davon, dass er einen riesen Spaß daran hat, mit seiner Konsole zu spielen, erlebe ich, wie mein Sohn motorisch und kognitiv gefordert wird!“ Seit etwa einem Jahr hat Nintendo ein neues Familienmitglied, die Handheldkonsole 2DS. Laut Nintendo soll diese Portfolio-Erweiterung an Handhelds die Leute ansprechen, die sie lieben. Gemeint sind damit insbesondere Kinder unter sieben Jahren.
Genau deshalb erscheint die neue Einsteiger-Konsole auch in einem neuen Design: die beiden Bildschirme sind übereinander angeordnet, es gibt keinen Deckel mehr, die Konsole tritt dadurch robuster und weniger filigran in Erscheinung. Wie bereits beim Vorgänger 3DS fungiert der untere Bildschirm als Touchscreen und das Wesentliche spielt sich auf dem oberen Display ab. „Ich finde den Multitasking-Aspekt der Konsolehervorragend. Mein Kurzer schaut auf zwei Bildschirme und steuert dazu mit beiden Händen Steuerungsknöpfe. Nach und nach hat er dabei sogar selbständig herausgefunden, dass er beim Spielen auch die Bildperspektive wechseln kann, indem er nochmals andere Knöpfe und Schieber betätigt – wie das Schiebepad, das eine 360-Grad-Steuerung hat, und es damit ermöglicht, Spielewelten aus jedem Winkel zu entdecken. Dazu kann er die Konsole per Touchscreen, aber auch mit einem Stift bedienen. Für mich bedeutet das, dass er beim Zocken lernt, einen Stift zu halten und gleichzeitig auch Touch-Displays mehr oder weniger koordiniert zu bedienen.“ Auch wird jedes Kippen der Handheld durch Bewegungs- und Beschleunigungssensoren registriert, was eine uneingeschränkte Interaktivität mit sich bringt. Zudem können alle Spiele, die jemals für eine der DS-Konsolen erschienen sind, auch auf der neuen Konsolenedition erlebt werden, nur eben nicht – wie beim Vorgänger 3DS – in 3D.„Kinder unter sechs Jahren sollten sowieso noch keine 3D-Funktion verwenden. Beziehungsweise ist das ja nicht so ganz bewiesen.
Es soll jedenfalls nach manchen Untersuchungen schädlich sein und mit dem 2DS so muss ich nun keinesfalls in Kauf nehmen, dass das Sehvermögen meines Sohns beeinträchtigt werden könnte.“ Einzig Super Mario 3D Land macht auf dem 2DS keinen Spaß, da der 3D-Modus für einige Rätsel benötigt wird. Aber bei den meisten 3DS-Spielen ist die stereoskopische Darstellung ohnehin nur Gimmick. Wie mittlerweile alle modernen Spiele-Geräte bietet auch der Nintendo 2DS Einstellungsmöglichkeiten hinsichtlich des Jugendmedienschutzes. So lassen sich beispielsweise nicht-altersgerechte Spiele sperren bzw. mit diesen Einstellungen erst gar nicht anzeigen. Die Spiele selbst sind – seit April 2003 gesetzlich verpflichtet – mit Altersfreigaben versehen. Diese Kennzeichen geben jedoch keine Auskunft über die tatsächliche ‚Spielbarkeit‘ ab diesem Alter. Auf Basis der USK-Freigaben hat auch Nikolas für seinen Sohn eine Altersbeschränkung eingerichtet, um so die Kontrolle besser behalten zu können. „Das ist eigentlich ganz einfach. In den ganz normalen Systemeinstellungen kann man eine Altersbeschränkung festlegen.
Das System erfordert zuerst die Einrichtung einer vierstelligen Geheimzahl. Zusätzlich legt man danach noch eine geheime Frage fest, mit der man ebenfalls Zugriff auf die Altersbeschränkungen hätte, auch wenn man seine Geheimzahl vergisst. Es ist also wie bei jedem gewöhnlichen Passwort. Danach konnte ich dann zwischen verschiedenen Altersfreigaben entscheiden. Schade finde ich allerdings, dass die Altersbeschränkung nur für die 3DS-Software gültig ist. Das heißt, dass meine älteren Spiele, die sich auf dem 2DS auch abspielen lassen, damit nicht gesperrt werden können.“ Mittels des Passworts können auch noch weitere Bereiche der Konsole eingeschränkt oder komplett gesperrt werden. Da Kinder und Jugendliche besonders beim Spielen via Internet mit problematischen Kontakten konfrontiert werden können, sollten sich Eltern auch immer schon vor der ersten Inbetriebnahme mit den Online-Fähigkeiten des Geräts auseinandersetzen. Und das sind beim Nintendo 2DS einige. „Ich habe auf unserer 2DS das Internet und Konsorten komplett deaktiviert. Es gab zwar viele einzelne Parts, aber ehrlich gesagt konnte ich damit wenig anfangen. Von wegen Internet, Shop, Streetpass, Miiverse und Co. Und bevor es dann hier und da doch wieder Lücken gibt, habe ich es eben komplett gesperrt. Also kein Internet, kein Shop, kein Miiverse, keine Downloads. Das volle Paket eben. Und das gilt bei uns dann für jedes Familienmitglied.“
Neben den Spielfeatures hat der 2DS auch noch zwei Kameras auf der Rückseite, die Fotos und Videos in 3D aufnehmen können. Das erscheint allerdings wenig sinnvoll, denn räumlich lassen sich die Bilder auf der Konsole nicht betrachten. Außerdem ist die Qualität sowohl in der Schärfe als auch in der Farbpräsentation eher unbefriedigend bis mangelhaft. Der Akku der Konsole ist solide. Er würde zwar keinen Langstreckenflug überstehen, aber dafür wurde er auch nicht konzipiert. Wenn auch die Konsole so gut in der (Kinder-)Hand liegt, als dass gerne für Stunden gespielt werden kann. Das beiliegende Netzteil zum Aufladen des Akkus ergänzt seine Lebensdauer damit zur vollen Zufriedenheit. „Wir haben uns mittlerweile sogar ein zweites Gerät zugelegt. Das Tolle daran ist, dass man beispielsweise bei Mario Kart auch zum gemeinsamen Zocken mit zwei Konsolen nur einmal das Spiel selbst benötigt. Der Spielspaß hingegen verdoppelt sich. Spätestens wenn diese urtypische Nintendo-Musikuntermalung ertönt, strahlt mein Herz immer. Natürlich ist sie nicht mehr im 8-Bit-Stil, aber der Sound ist noch derselbe. Gut, ein wenig könnte das natürlich auch an der Qualität der 2DS Lautsprecher liegen …“ Der Preis der Konsole scheint allerdings sein echtes Manko zu sein.
Mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 130 Euro (3DS 170 Euro) überschreitet er die Hundertermarke und damit eine gewisse Schmerzgrenze für ein Spielzeug für Kinder deutlich. Auch der nur sehr geringe Preisunterschied zum Vorgängermodell – bei welchem der vermeintlich bedenkliche 3D-Modus komplett deaktiviert werden konnte – ist dabei nicht förderlich. „Ja, die Konsole ist teuer. Aber mein Smartphone, mein Tablet oder sonstige technische Geräte sind nicht günstiger. Der 2DS ist ein gutes, solides Einsteigergerät. Zielgruppe Kinder. Und günstiger als der 3DS. Mein Sohn hat auch bereits verstanden, dass er das Gerät nicht überall mit hinnehmen kann. Und mit einem Augenzwinkern kann ich auch sagen: Dank seines Formats passt der 2DS auch in keine Hosentasche und landet damit auch nicht so schnell versehentlich im Sandkasten.“
Sebastian Ring: Play14 – Festival für kreatives Computerspielen
Sehen. Machen. Reden. Feiern. – so gliedert sich das 60 Seiten starke Programmheft der Play14, dem Festival für kreatives Computerspielen. Diese Auflistung von Verben lässt sich ohne Weiteres ergänzen, etwa um Laufen, Lachen, Staunen und natürlich: Spielen. Diese eigenartige Handlungsform ist der Ausgangspunkt und Gegenstand des fünftägigen Festivals in der Elbmetropole – und das Festival führt wirklich eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Verständnisse und Praktiken von Spiel vor Augen. Oder lädt eben ein zum Machen, Reden, Feiern und mehr. Das Play-Festival folgt dem Anspruch, ein Festival für kreatives Computerspielen zu sein. Nun liegt Kreativität bei den allermeisten Spielen eigentlich in der Natur der Sache. Minecraft etwa (dessen Entwicklerstudio Mojang eben für 2,5 Milliarden Dollar an Microsoft verkauft wurde) verlangt den Spielenden eine gehörige Portion Kreativität ab, ebenso wie das performative Handeln in Online-Rollenspielen oder das Lösung von Rätseln in der Serie Portal. Die Play geht aber einen Schritt weiter: Sie bietet eine Plattform für ungewöhnliche, eigensinnige, künstlerische oder kritisch-subversive Strategien des Gamings und der Auseinandersetzung mit Games. Die Macherinnen und Macher des Festivals sind ein multiprofessionelles Team. (Medien-)Pädagoginnen und -pädagogen, Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Designerinnen und Designer sowie viele, viele engagierte, helfende Hände. Wie sieht der typische Gast der Play14 aus?
Auf den ersten Blick würde man sagen, das Publikum ist nicht zu alt und nicht zu jung, vielleicht eher männlich, aber doch gemischt sowie durchaus auch mit professionellem Interesse am Gaming (z. B. Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Gamedesignerinnen und -designer, Künstlerinnen und Künstler, pädagogische Fachkräfte). Beim genaueren Hinsehen wird aber deutlich, dass das Festival kreative Spielformen ganz praktisch für unterschiedliche Zielgruppen erfahrbar macht. Man hatte den Eindruck, dass die Vielfalt an Formaten und Orten adäquate Zugänge für fast jeden bot. Da gab es Spielstationen, die im öffentlichen Raum die Passantinnen und Passanten zum Spielen einluden oder ein Escape the room auf dem Reeperbahnfestivalgelände. In einem ehemaligen Weltkriegsbunker wurde eine sorgsam kuratierte Ausstellung von Games präsentiert. Im Mittelpunkt standen da weniger die ohnehin bekannten, kommerziell erfolgreichen Games, sondern innovative Spielformen, zum Beispiel aus dem Bereich der Indie Games oder der Virtual Reality. Eine kleine Zusammenstellung von Spielen beleuchtete die Frage nach der Präsentation von Genderrollen in Games und dem gesellschaftlichen Diskurs (Stichwort Women vs. Tropes und #gamergate) rund um dieses Thema. Theatervorführungen, Musikperformances, ein Poetry Slam im Nachtasyl des Thalia Theaters, Partys, das Backen von Pixelkeksen und jede Menge mehr lockten Spielbegeisterte jeden Alters und Backgrounds an.
Für Schulklassen bot das Festival eine Reihe von Workshops, in denen das Design eigener Games, die Kreation von Let’s Play- oder Machinima-Clips und jede Menge kreative Basteleien ausprobiert werden konnten. Hier gab es viel Spielerisches zu entdecken, aber auch die Chance, Einblicke in mögliche zukünftige Arbeitsfelder zu gewinnen. Auch interessierte Erwachsene konnten in Workshops, Talks und Fortbildungen Einblick in ein breites Themenspektrum erlangen.Play ConferenceWelche Bedeutung Games für Bildung und Gesellschaft haben, war zudem Gegenstand der zweitägigen internationalen und interdisziplinären Play-Conference, die von der Initiative Creative Gaming in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) an einem weiteren ungewöhnlichen Ort – der Hamburger Justizvollzugsschule – veranstaltet wurde. Einige zentrale Akteure konnten für Vorträge, Workshops und Talks gewonnen werden – wenngleich Katie Salen, Mitbegründerin des New Yorker Institute of Play und Initiatorin der Quest to Learn Schule, leider krankheitsbedingt absagen musste. Games kann man in kulturanthropologischer Tradition als Spiele diskutieren. Sie erfahren aber in der digitalen Kultur noch eine andere Einbettung und stellen weitere Bezüge her. Sie sind oftmals weltumspannende Kommunikationsräume, sind komplexe Wirtschaftsgüter, schaffen oder präsentieren spezifische ökonomische oder politische Systeme. In all dem spiegelt sich die Gesellschaft, in der sie entstanden sind und gespielt werden, wider. Dass diese Fragen im Kontext eines Festivals für kreatives Computerspielen auch wissenschaftlich diskutiert werden, ist sinnvoll.
Im Vergleich zu den beiden anderen großen interdisziplinären und international ausgerichteten wissenschaftlichen Computerspielkonferenzen im deutschsprachigen Raum (Clash of Realities in Köln und F. R. O. G. – Future and Reality of Gaming in Wien) bietet gerade die Einbettung in die Vielfalt an kultureller Praxis rund um Games, die das Festival präsentiert, einen besonderes und anregendes Ambiente.Zwei thematische Schwerpunkte umfasste die Konferenz – am ersten Tag Computerspiele und Bildung, am zweiten Computerspiele und Politik. Professor Andrew Burn vom Institute of Education an der University of London behandelte in seiner Keynote die Frage nach der Verortung digitaler Spiele in der bildungsphilosophischen Tradition der Auseinandersetzung mit Spielen und Lernen. Er kritisierte dabei zunächst den Begriff der Gamification – der Anwendung von Elementen digitalen Spiels auf andere Handlungsbereiche wie Bildung, Marketing et cetera. Bildungsbezogene Konzepte der Gamification würden zu oft mit Technozentrierung und überzogener Didaktisierung des Spiels einhergehen und dem Charakter des Spiels als Selbstzweck nicht gerecht werden. Anschließend erläuterte er sechs aktuell diskutierte Modelle, die unter anderem unterschiedliche Aspekte des Lernens durch Spielen und des Lernens über Spiele, der Ludic Literacy, der aktiven Medienarbeit, Computerspiele als Kunst, Programmierung und Kreativität umfassten. Praxisworkshops boten Einblicke in die schulische und außerschulische Anwendung von Games im deutschsprachigen Raum, aber auch in Finnland, etwa am Beispiel des Einsatzes von Minecraft im finnischen Chemieunterricht.
Den zweiten Tag eröffnete die Keynote des britischen Gamedesigners Tomas Rawlings, der unter anderem für sein vielbeachtetes Newsgame My Cotton Picking Life (http://gamethenews.net/index.php/mycotton-picking-life/) bekannt ist, in dem die Situation von Kindern illustriert wird, die auf den Baumwollplantagen Usbekistans arbeiten. “All games have politics in them.“ Sein Vortrag gab zum einen Einblicke in unterschiedliche Formen der Repräsentation von Politik in Computerspielen, aber auch darüber, wie Gamingcommunitys als politische Handlungsräume strukturiert sind. Am Beispiel der Ermordung von Lord British in Ultima Online, einem der meistbeachteten Ereignisse in der Geschichte von Multiplayeronlinerollenspielen, oder der Massenproteste von Spielenden im Stil einer virtuellen Sitzblockade in Eve Online erläuterte er Ansprüche und faktische Möglichkeiten der Partizipation von Spielenden im Verhältnis zu Gamedesignern oder -betreibern. Anschließende Workshops zeigten praktische Einsatzmöglichkeiten von Games auf, zum Beispiel im Bereich der politischen Bildung oder dem Journalismus.
Beide Konferenztage wurden von Talkrunden beschlossen, die den gesellschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Stellenwert von Computerspielen thematisierten. Insgesamt führten das Play14-Festival und die Play-Conference die Dynamik digitaler Spielwelten und Einsatzmöglichkeiten von Games in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen vor Augen. Dieser handlungsorientierte Zugang auf Games, der Gewöhnliches übersteigt und neue Wege aufweist, ist ein Gewinn für die digitale Spielekultur.
Cornelia Pläsken: Der Kleinste ganz groß
Janet Foxley (2013). Munkel Trogg. Der kleinste Riese der Welt. Hörbuch, Der Audio Verlag, 206 Min., 14,99 €.
Normale Riesen sind mit zehn Jahren fast ausgewachsenen und lernen auf eigenen Füßen zu stehen, weil sie mit der Gigantur Prüfung die Schule abschließen. Dies trifft auf alle Riesen zu, außer auf einen – Munkel Trogg. Munkel stammt aus einer etwas ärmlichen aber dennoch normalen Familie von Riesen, die im Rumpelberg wohnt. Die Eltern von Munkel, Ma und Pa Trogg, kümmern sich um ihn und seine beiden Geschwister Raubauz und Pumpel. Pa Trogg arbeitet als Jäger für König Gedankenarm, verdient aber gerade mal so viel, dass er seine Familie mehr schlecht als recht durchbringt. Die Welt der Riesen ist nicht immer einfach – besonders nicht für Munkel. Er ist ein etwas außergewöhnlicher Riese, denn er ist viel kleiner und gleichzeitig klüger als alle anderen – dies ist ihm nur noch nicht wirklich bewusst. Bereits früh hat er einfach aufgehört zu wachsen, doch niemand weiß warum. An den Stellen am Körper, an denen bei seinem Vater und seinem Bruder Speckrollen sind, sind bei ihm nur Haut und Knochen zu finden. Ansonsten sieht er nicht schlecht aus. Er hat viele Warzen, die fleischige Nase von Pa und die Glubschaugen von Ma.
Obwohl ihn nur seine Größe von all den anderen Riesen unterscheidet, ziehen ihn alle damit auf – selbst ein Teil seiner eigenen Familie. Raubauz sieht Munkel manchmal gerne als Spielzeug an, das man durch die Luft schleudern kann. Dass er ihm damit wehtut, merkt sein Bruder dabei gar nicht – oder will er vielleicht gar nicht bemer bemerken. Selbst die Liebe seiner Mutter ist manchmal schmerzhaft, da sie ihn beim Umarmen oft fast erdrückt. Für Munkel ist das Leben im Rumpelberg alles andere als leicht, da er weder von seiner Familie, noch von seinen Schulkameraden, geschweige denn von den Lehrkräften ernst genommen wird. Beruflich hat er auch keine guten Aussichten. Für die typischen Berufe braucht man Kraft und Größe, doch beides besitzt er nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Munkel ernsthafte Sorgen macht, ob er seine bevorstehenden Schulabschlussprüfungen für das Gigantur meistern kann. Kurz vor den Prüfungen macht Munkels Klasse einen Ausflug in das Kleinlingsmuseum. Kleinlinge sind sehr kleine Wesen, vor denen sich die Riesen fürchten, da sie mit ihren Mordstöcken vor etlichen Jahren Riesen getötet haben. Deshalb verstecken sich die Riesen im Rumpelberg vor ihnen und lassen nur ihre Jäger nachts für die Jagd in ihre Welt ziehen. Im Museum wurden der Klasse verschiedene Relikte, die die Riesen von den Kleinlingen sammeln konnten, gezeigt – unter anderem Kleinlingskleidung. Um Munkel zu ärgern, schlugen die anderen vor, er solle doch die Kleidung anziehen, da sie genauso winzig sei wie er. Der weise Mann, der sich um das Museum kümmert, fand die Idee gar nicht schlecht und ließ Munkel die Kleidung probieren.
Es zeigte sich, dass sie ihm wirklich gut passt, was ihn auf eine Idee für das anstehende Fest zu Ehren des Geburtstags des Königs brachte. Er könnte einen Schaukampf mit seinem Pa nachstellen, bei dem er selbst ein Kleinling wäre und von seinem Pa, der den König nachspielen solle, besiegt werden würde – das würde dem König bestimmt gefallen. Durch den Besuch im Museum und die Idee für das Fest wurde Munkel immer neugieriger auf die Kleinlinge. Deshalb machte er sich heimlich auf in ihre Welt, um mehr über sie herauszufinden. Hilfe bekam er von einem königlichen Drachen, der sich erst kurz zuvor aus dem Staub gemacht hatte, weil ihm die Flügel gestutzt werden sollten. Zu Munkel hatte dieser jedoch auf wundersame Weise eine ganz besondere Beziehung. In der Kleinlingswelt lernte er das Mädchen Emily kennen. Er erkannte, dass die Kleinlinge ganz anders aussehen als es die Riesen annahmen. Munkel erhoffte sich, dass sie ihn in die Geheimnisse der Kleinlinge einweihen könnte, doch zunächst kam es noch nicht so weit. Was er jetzt noch nicht wusste war, dass für ihn bald ein großes Abenteuer beginnen würde. Nach dem heimlichen Besuch in der Kleinlingswelt stellte sich Munkels Welt ganz schön auf den Kopf. Er rasselte durch die Gigantur Prüfungen, obwohl er in den Prüfungsfächern mehr wusste als die Lehrkräfte, er gewann mit seinem Pa fast den Preis für die beste Darstellung beim Fest anlässlich des Geburtstags des Königs und das kleine Mädchen Emily wurde aus der Kleinlingswelt als Geschenk für König Gedankenarm entführt. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen – Munkel musste all seinen Mut zusammennehmen, um Emily aus den Fängen der Königstochter, die ‚das hässliche Ding‘ haben wollte, zu befreien und gleichzeitig Rumpelberg vor den Kleinlingen zu schützen. Es gelang ihm, Emily nachts durch dunkle, enge Schlossgänge und finstere Wege im Wald heimlich aus dem Schloss heraus zurück in ihre Welt zu bringen und er erfuhr dabei sogar das ein oder andere Geheimnis über die Kleinlinge.
Kaum war dies geschafft, musste er sich schnell etwas einfallen lassen, um die Kleinlinge vom Rumpelberg fernzuhalten, da diese schon auf der Suche nach Emily waren. Er heckte einen klugen Plan aus, dessen Umsetzung alles andere als einfach zu sein schien, aber die einzige Chance für die Bewohnerinnen und Bewohner des Rumpelbergs war. Wie genau Munkel es schaffen konnte, die Riesen im Rumpelberg vor den Kleinlingen zu beschützen und am Ende zum kleinen Helden in der großen Welt wurde, bleibt natürlich noch geheim, doch so viel sei schon mal verraten: Das Ende dieser Geschichte ist erst der Anfang für andere Abenteuer, die noch auf Munkel Trogg warten!Die raue Riesenwelt, in der Munkel lebt, besitzt ihren ganz eigenen Charme. Geburtstagstorten aus Würmern und Maden gelten als besondere Delikatesse, Pilzschleimsuppe und Tauben stehen auf dem täglichen Speiseplan und für einen wohlriechenden Duft sorgen Schimmelpilze – so verkehrt es auch in Rumpelberg zugeht, so bekommt man als Zuhörerin oder Zuhörer doch das Gefühl in die Welt der Riesen eintauchen zu können. Man kann miterleben, wie aus dem unbeliebten und unsicheren kleinen Riesen mit der Zeit ein mutiges Kerlchen wird, das allen zeigt, was eigentlich in ihm steckt. Tapfer widersetzt sich Munkel sowohl seinem Lehrer bei den Prüfungen als auch dem Verbot den Rumpelberg zu verlassen und wagt sich in die für ihn fremde Welt der Kleinlinge. Als wäre das nicht schon genug, verhilft er der gefangenen Emily heimlichzu ihrer Freiheit und beschützt dann noch das ganze Königreich vor dem Angriff der Kleinlinge. Munkel Trogg beweist, dass es keiner besonderen Körpergröße bedarf, um Großes zu tun, sondern dass schon etwas Mut, eine Prise gesunder Menschenverstand bzw. Riesenverstand und ein kluges Köpfchen reichen, um zu einem wahren Helden zu werden.
Auf diese Weise hat es Munkel Trogg – Der kleinste Riese der Welt, das erste Hörbuch aus der Reihe um den kleinen Riesen, geschafft, mit dem AUDITORIX Hörbuch-Siegel 2013/2014 ausgezeichnet zu werden. Die fantasie- und humorvolle Geschichte über den Riesen Munkel, der viel zu klein geraten ist, wird in 206 Minuten liebevoll von Boris Aljinovic erzählt. Der Erzähler schafft es, die Charaktere lebendig und authentisch vorzutragen und ist trotzdem in der Lage, die Geschichte humorvoll zu vermitteln. Das Hörbuch, das auf den Geschichten aus der Feder von Janet Foxley basiert, ist für Kinder ab acht Jahren geeignet, die in die Welt der Riesen im Rumpelberg eintauchen wollen. Doch auch der eine oder andere Erwachsene kann an der Geschichte Gefallen finden, da man sich beim Zuhören in eine Zeit zurückversetzt fühlt, in der man selbst noch zur Schule gegangen ist und mit Mitschülerinnen und -schülern wie auch Prüfungen zu kämpfen hatte. Und seien wir doch mal ehrlich, ein kleines Stück von dem kleinen Munkel steckt wahrscheinlich in jedem von uns.
Swenja Wütscher: Alternativlos, Folge 30
„Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe. Behauptungen dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken“, so die Worte der Jury im Jahr 2010, als sie „Alternativlos“ zum Unwort des Jahres kürte; insbesondere wegen Angela Merkels Verwendung zur Begründung der Griechenlandhilfe. Und genau das haben sich Felix von Leitner und Frank Rieger zu eigen gemacht. Sie haben sich an Politikerinnen und Politikern orientiert, die ihre Vorgaben gerne damit begründen, dass sie angeblich ‚ohne Alternative‘ seien; so enthalten Begründungen von Gesetzen beispielsweise praktisch immer den Absatz ‚Alternativen: keine‘. Die Netzbeschallung, der Boulevard-Podcast Alternativlos von Frank und Fefe war geboren. Seitdem reden die beiden regelmäßig ungebremst – alternativlos eben – über Politik, Technik und auch über Verschwörungstheorien.
„Wenn man also damit rechnen muss, dass die Nachricht auf dem Weg gelesen wird, bleibt also nur, sie zu verschlüsseln. Im Internet ist das ja quasi genau dasselbe, wir haben immer Postkarten im Internet. Also jeder kann es – wenn es nicht verschlüsselt ist – auf dem Weg lesen. Und deswegen brauchen wir Verschlüsselung.“Alternativlos, Folge 30 Told you so dreht sich um Abhörtechniken von Geheimdiensten, Kryptographie und Crypto Wars. Von Leitner und Rieger philosophieren inhaltlich fundiert über die Mechanismen, die dahinter stecken, und dröseln die diesbezügliche Geschichte detailverliebt auf: Wo kommen Geheimdienste überhaupt her? Was war deren Aufgabe? Wie war bzw. ist deren Mindset? Warum treiben sie das, was sie tun, auf diese Art und Weise, mit diesem Aufwand, mit diesem Selbstverständnis? Die Zuhörerinnen und Zuhörer sollen am Ende nachvollziehen können, was da heute eigentlich passiert, was ‚wir‘ aus den Snowden- Enthüllungen lernen können und müssen. Damit sich all das, was seit einigen Monaten für mehr und mehr Aufruhr sorgt, nicht wieder nur in einer Blase sammelt, die wächst bis sie platzt und im Nirgendwo verschwindet. Das wollen Frank und Fefe verhindern – eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit beginnt.„Vor allem ist das nötig, um es diesmal besser zu machen. Denn es stellt sich heraus, es gibt so alle zehn, zwanzig Jahre so einen Aufschrei über die NSA. Es gibt irgendwelche Enthüllungen, die NSA hört uns alle ab, dann geht das in die Presse. Gut, jetzt vielleicht nicht ganz so groß wie bei Snowden, aber es gab mehrere solche Sachen.“
Selbstverständlich hat sie im Laufe der Zeit die Art und Weise, wie Nachrichten verschlüsselt werden, geändert – wenn auch nicht durchweg überhaupt von Verschlüsselung gesprochen werden kann, da es keine Schlüssel per se gab, sondern vielmehr das Verfahren oftmals das Geheimnis war: So geht die Reise über den Kurier der Antike mit tätowierter Kopfbotschaft über Chiffresysteme mit meist Substitutionsschlüsseln, die sich beispielsweise an Ersatzzeichen für Buchstaben orientiert haben, bis hin zur Weiterentwicklung dieses komplexen Systems, welches zur Entschlüsselung ein bestimmtes Codebuch bedingt. Auch werden unter anderem die Feldtelefone des Ersten Weltkriegs thematisiert, ebenso Versiegelungsarten, die Entstehung von SIGNIT und auch Wanzen und Tapes – bis Told you so in der Neuzeit, der Hauptepoche für Crypto, landet.„Ihr erinnert euch dunkel, als man noch diese Vorwahlen gemacht hat, um halt billiger fern zu telefonieren. Das waren halt häufiger irgendwelche Gesellschaften, die die Anrufer halt über die USA geleitet haben. Weil es billiger war […] Mit dem Effekt, dass die Anrufe alle in den USA vorbeikamen und die NSA sie mitgenommen hat.“ Die zwei Protagonisten von Told you so sind vorbereitet, ihr Konzept wirkt durchdacht, ihre Informationen liefern sie zielsicher – und auf ihre ganz persönliche Art ergänzen sich von Leitner und Rieger on Air hervorragend. Während man als Zuhörerin bzw. Zuhörer die ersten zwei, drei Minuten braucht, sich an den weniger euphorischen, charmant brummelnd-nuschelnden Frank zu gewöhnen, übernimmt Fefe weniger wortgrätschend, gelegentlich kichernd, den Gegenpart – dabei bewegen sie sich immer auf gleicher Augenhöhe. Sie nehmen ihre Hörerschaft direkt mit ins Thema, geben einen Überblick über den folgenden Inhalt. Hier und da schweifen die beiden auf ihrem Weg zwar mal vom Thema ab, sie versinken mal ein wenig in (IT-)Fachterminologie, aber genau das verleiht den beiden ihre Authentizität.
„Die Dienste verhandeln untereinander den Datenaustausch, der Regierung wird nur mitgeteilt, was notwendig ist, und auch zum Beispiel bei der Verhandlung vom Verfassungsgericht, als es da um die Anti-Terror-Datei ging, da hatten wir an Argumenten allerhand Sachen eingebracht, insbesondere was den internationalen Datenaustausch zwischen den Diensten angeht. Da wollte niemand ran. Auch das Verfassungsgericht wollte da nicht ran. Das ist halt tatsächlich ein echter Skandal, dass einfach die Schattenwelt, die da existiert, unbehindert vor sich hin wuchert, dass von allen angenommen wird: Ja, was die Geheimdienste da machen, das wird schon alles seineRichtigkeit haben.“Frank und Fefe informieren und diskutieren in diesem Podcast mit einem breiten Spektrum an Wissen, Hintergrundinformationen und einer guten Portion eigener Meinung über die Geschichte der (verschlüsselten) Kommunikation und die Möglichkeiten, diese zu brechen. Im Zentrum stehen dabei durchweg die weltweiten Geheimdiensttätigkeiten – und das Bewusstsein, dass Wissen um deren Möglichkeiten allein noch nicht schützt.
Told you so ist höchst informativ, sogar teilweise unterhaltsam – was die Materie nun mal nicht automatisch mit sich bringt – und auch bei knapp drei Stunden Podcast-Länge kurzweilig zu hören; verstreute Bookmarks auf dem Wege wären dabei zwar großartig, aber das ist tatsächlich Meckern auf hohem Niveau. Zu empfehlen ist das Podcast jeder (medien-)pädagogischen Fachkraft, jedem Studierenden: entweder, um mehr Hintergrundwissen zu erhalten, oder aber, um von tieferen Inhalten und Ressourcen zu erfahren, die aufhorchen lassen, die staunen lassen und damit dabei helfen können, bei anderen Bewusstsein zu schaffen. Unter www.alternativlos.org/30 gibt es neben dem Podcast übrigens auch weiterführende Links und Buchtipps.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor:
Swenja Wütscher
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Lisa Klimesch: Virtuell oder real – in welcher Welt lebst du?
Leon beschäftigt sich rund um die Uhr mit einem Rollenspiel, das ihn immer wieder an den Computer zieht. Wenn er nicht spielen kann, wird er wütend. Seine Hausaufgaben hat er schon länger nicht mehr gemacht. „Was meinst du? Ist Leon computersüchtig?“ werden Besucher auf www.internet-abc.de/kinder/computersucht.php zur Situation des Zwölfjährigen gefragt. Die Website des Internet ABC e. V., die Teenagern und Erwachsenen Informationen rund um das Thema Internet bietet, widmet der aktuellen Problematik der Computer- und Internetsucht einen eigenen Menüpunkt und beschreibt dort anhand Leons Geschichte verschiedene Gründe und Ursachen der Abhängigkeit in einer für Kinder leicht verständlichen Sprache. Betont wird dabei auch, dass Computerspielen und Internetsurfen in Maßen in Ordnung sind.Schließlich heißt es: „Mach den Test – bist du gefährdet?“ Der Mini-Selbsttest zur Computersucht kann auch als PDF heruntergeladen und ausgefüllt werden und enthält neun Ja-/Nein-Fragen zum persönlichen Mediennutzungsverhalten, Wohlbefinden und zur Freizeitgestaltung der Userinnen und User. Unter anderem werden Fragen gestellt wie ‚Stellst du jeden Tag, und auch schon morgens vor der Schule, den Computer an?‘ ‚Hast du Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule, weil du an den Computer denkst?‘ oder ‚Spielst du lieber am Computer als etwas mit Freunden zu unternehmen?‘ Die Testauswertung im Anschluss schlüsselt die Anzahl der Ja- und Nein-Antworten auf und weist auf verschiedene Gefährdungsstufen hin: Mehr als sechs positive Antworten deuten auf eine problematische Nutzung von Computer und Internet hin. Ein persönlicher Tages-Stundenplan soll Teenagern nun helfen, einen Überblick über den eigenen Mediengebrauch zu behalten.
Die Internetseite www.teensgeneration.com/drogen-alkohol/spielesucht-internetsucht – ein Projekt der Kinder-Evangelisations-Bewegung (KEB) in Österreich, Deutschland und der Schweiz – nähert sich dem Thema Computerund Internetsucht auf ähnliche Art und Weise: In jugendlicher Sprache wird erklärt, wie und wodurch Suchtverhalten entsteht. Während das Internet ABC praktische Tipps für Kinder vermissen lässt – lediglich die Eltern erhalten in einem verlinkten Newsletter nähere Informationen zu Suchtberatungsstellen –, finden Teenager auf teensgeneration.com viele konkrete Hinweise zu Präventions- und Interventionsmaßnahmen und die Anschriften verschiedener Beratungsstellen. Leider bieten beide Webseiten nur begrenzte Interaktionsmöglichkeiten und mit vereinzelten Bildern und Abbildungen einen eher geringen Unterhaltungswert. Um Kinder und Jugendliche tatsächlich anzusprechen und sie in ihren aktuelen Medienwelten abzuholen, erscheinen beide Webangebote bereits veraltet.Das Internet ABC und die Teensgeneration gewähren Teenagern zwar informative Einblicke in die Thematik der Computer- und Internetsucht, bleiben jedoch in ihren inhaltlichen Ausführungen oberflächlich und machen lediglich auf die Problematik aufmerksam. Wie eine Vertiefung des Themas konkret aussehen kann, zeigt die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) veröffentlichte Internetseite www.ins-netzgehen.de: Hier dreht sich alles um eine verantwortungsbewusste Mediennutzung gemäß dem Motto ‚Online sein mit Maß und Spaß‘.
Vielfältige Interaktionsmöglichkeiten und ein modernes, zielgruppengerechtes Design laden Teenager und junge Erwachsene ein, sich in verschiedenen Menüpunkten intensiv sowohl mit der derzeitigen Relevanz als auch mit der Suchtgefahr von Computer und Internet auseinanderzusetzen. In kleinen Clips kommen die Jugendlichen selbst zu Wort und diskutieren themenrelevante Fragen und persönliche Einstellungen.Neben ausführlichen Informationen zum Thema finden sich auf der Website viele Tipps zur alternativen Freizeitgestaltung und ein umfassender Selbsttest, der spezifische Aussagen zu Internetnutzung, Online-Aktivitäten und gesundheitlichen Beschwerden abfragt. Die Testauswertung enthält nicht nur eine Einstufung von ‚Okay‘ über ‚Gefährdet‘ bis hin zu ‚Alarm‘, sondern auch ein individuelles Nutzungsprofil, die Einschätzung der aktuellen Gefühlslage und persönliche Empfehlungen. Bei Bedarf werden Jugendliche per Link zum kostenlosen Beratungsprogramm ‚Das Bezugsandere Leben‘ weitergeleitet, das helfen soll, die Balance zwischen virtueller und realer Welt zu finden.
Ein besonderes Gimmick auf www.insnetz-gehen.de ist die Möglichkeit, Botschafterin bzw. Botschafter zu werden und im eigenen Umfeld auf die Gefahren der Computer- und Internetabhängigkeit aufmerksam zu machen – so übernehmen Kinder und Jugendliche selbst die Verantwortung für Präventionsmaßnahmen. ‚Computer und Internet sind wichtig und aus dem alltäglichen Leben längst nicht mehr wegzudenken – sie bergen jedoch auch gewisse Suchtrisiken, die es zu beachten gilt‘ – hierin sind sich alle drei Webseiten einig. Mit ganz unterschiedlichen Angeboten wollen sie Teenager zu einer reflexiven Mediennutzung anregen.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor:
Lisa Klimesch
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Swenja Wütscher: Das Internet vergisst nichts
Schon zu Kreidezeiten gab es Mobbing unter Schülerinnen und Schülern und auch der Einzug des Whiteboards konnte das nicht eliminieren. Im Gegenteil. Dennnoch war vor einigen Jahren mit dem letzten Pausenklingeln quasi Feierabend mit den Hänseleien. Heute bietet das Internet aber zahlreiche Möglichkeiten, ‚immer‘ sozial zu interagieren, sich mit Freundinnen und Freunden zu verknüpfen und Kontakte zu pflegen. Jeder kann die weltweite Plattform nutzen, um seine Meinung zu äußern – und damit können Jugendliche heute auch zeitlich unbegrenzt und für nahezu jeden sichtbar am virtuellen Pranger stehen. Jeder Internetnutzer, jede Internetnutzerin kann grundsätzlich zum Opfer und auch (sogar teilweise unbewusst) zur Täterin bzw. zum Täter werden. Während der Alltag von Heranwachsenden sich dabei längst zu einem großen Teil online abspielt, sind die damit verbundenen Risiken ihnen häufig weniger präsent.„Tarek engagiert sich für Hilfsbedürftige und arbeitet freiwillig in der Kleiderkammer für Obdachlose und du hast nicht Besseres zu tun als ihn dafür im Internet schlecht zu machen? Ich bin wirklich enttäuscht von dir! […] Ist dir nicht klar, was du mit deinem Kommentar zu Tareks Foto angerichtet hast? Das ist kein Spaß, Mia. Deine Bemerkung war beleidigend, schlimm genug. Aber es war zu erwarten, dass sich andere da dranhängen. […] Mobbing hat an unserer Schule keinen Platz. Das wird Konsequenzen haben.“Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder und Jugendliche sich oft in einer Grauzone zwischen legal und illegal bewegen, indem sie die unendlichen Weiten des Internets (aus-)nutzen – und die Erziehungsberechtigten fühlen sich oftmals ohnmächtig.„Ich weiß gar nicht, was ich noch machen soll. Ich hab das Gefühl, ich krieg gar nicht mehr mit, was eigentlich läuft bei meinem Sohn.“Die Polizei hat es sich in der Präventionsarbeit daher zur Aufgabe gemacht, die Sicherheit im Umgang mit digitalen Medien bei Kindern und Jugendlichen und ihren erwachsenen Bezugsanderepersonen zu verbessern. Nicht nur angesichts der vielfältigen Formen von Internetkriminalität ist das eine wichtige Aufgabe, sondern auch aufgrund der Auswirkungen digitaler Abenteuer auf die reale Entwicklung und das reale Verhalten von Heranwachsenden: Alles, was im Netz passiert, bleibt nämlich nicht nur im Netz, sondern alles, was in der Realität passiert, findet sich mit modernen Aufnahmetechniken und -möglichkeiten auch schnell in der unbegrenzten virtuellen Öffentlichkeit. Der Grund dafür ist jedoch nicht immer technischer Natur, vielmehr ist es Unkenntnis, Leichtsinn und manchmal auch Fahrlässigkeit, die gerade jüngeren Internetnutzerinnen und -nutzern zu schaffen macht.
Das Medienpaket Verklickt! Sicherheit im Medienalltag setzt genau an dieser Stelle an. Es vermittelt Jugendlichen ab der siebten Jahrgangsstufe sicherheitsbewusstes Verhalten in ihrer digitalen Alltagswelt, indem es Probleme und Gefahren in Alltagssituationen aufzeigt, die ihnen im Netz begegnen können; und das, ohne Extreme widerzuspiegeln. Dadurch können die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer die Inhalte in ihre eigene Lebenswelt transportieren und ihren persönlichen Umgang mit Medien kritisch prüfen. Im Schwerpunkt geht es bei dem Materialpaket um Cybermobbing, Passwortsicherheit, Persönlichkeits- und Urheberrechte sowie Kostenfallen und illegale Downloads. Die Herausgeber Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes wollen – in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) – damit Heranwachsende aber nicht nur auf Gefahren und Straftaten der virtuellen Welt aufmerksam machen, sondern ihnen auch entsprechende Schutzmöglichkeiten an die Hand geben.„Hey Robin, du bist der erste auf meinem neuen Smartphone“ […] „Toll, aber ganz ehrlich, die Kohle für dein Smartphone hätten wir auch für was anderes gebrauchen können“ „Wofür?“ „Mann, du hast letztens an meinem PC dieses Formular ausgefüllt, von diesem Videoportal. Wir haben gesagt 4,99 Euro nicht 89,99 Euro, du Penner. […] Du hast die falsche Flat angeklickt. Ich habe gestern die Rechnung bekommen […], die wollen 89,99 Euro und zwar sofort.“ „Was, ey, das ist doch voll die Abzocke, die machen das mit Absicht. Ich klicke auf 4,99 Euro und dann kostet das viel mehr.“Konkret besteht Verklickt! aus drei Teilen: einem Film, einem Filmbegleitheft in analoger und digitaler Form und Arbeitsmaterialen.
Der knapp einstündige Film ist dabei ebenso in drei Teile zerlegt, die allerdings alle nahtlos ineinander übergehen, so dass die Themen Geteiltes Leid, Geklautes Ich und Verspieltes Vertrauen einzeln aber auch am Stück geschaut werden können – ein gelungener roter Faden! Die moderne Aufbereitung aktueller Inhalte sowie realistischnachvollziehbare (Kumpel-)Dialoge stechen dabei besonders heraus. Auch sind die stereotypen Handlungsstränge – auf manche hätte dennoch verzichtet werden können – nicht außer Acht zu lassen, denn auch diese Verhaltensweisen kommen ja nicht von ungefähr. Außerdem birgt Material, von dem sich die Heranwachsenden im ‚Gespräch danach‘ gerne distanzieren, darüber lästern und abgrenzen wollen – Stereotype geben dazu eine perfekte Vorlage –, einen weiteren starken pädagogischen Wert: Identitätsarbeit! Auch variiert der Einzugskreis um die Stammprotagonistinnen und -protagonisten in den drei Sequenzen, so dass die drei differenzierten, bunten Charakter-Konstellationen für einen größeren Identifikationsfaktor seitens der Zuschauerinnen und Zuschauer sorgen … und damit quasi alle mit ins Boot holen; das Youth- Panel von Klicksafe, welches das Treatment, also die Grundlage für das Drehbuch, fachlich begutachtet hat, hat also ganze Arbeit geleistet.
Alle drei Filmteile haben mit ihren 16 bzw. 18 Minuten übrigens eine adäquate Länge, um diese in einer Schulstunde zu sichten und anschließend besprechen zu können.Unterstützung bietet ein 59-seitiges pädagogisches Begleitheft, das vorrangig für den Einsatz im Schulunterricht konzipiert worden ist – was außerschulische pädagogische Fachkräfte hoffentlich nicht davon abhält, sich davon ebenfalls inspirieren zu lassen. Inhaltlich richtet sich das Heft an der Filmhandlung aus, schwerpunktmäßig aufbereitet in den Kategorien Problemdarstellungen, rechtliche Aspekte, Tipp- Empfehlungen zur Weitergabe an Schülerinnen und Schüler oder auch Eltern, Hinweise für Fachkräfte selbst sowie Impulsfragen. Genügend Ansatzpunkte also, um im Rahmen von Diskussionen oder Projektarbeiten die unterschiedlichen Problematiken bei der Nutzung digitaler Medien vertiefend zu behandeln.Die 30 Seiten Verklickt!-Arbeitsmaterialen – dreiteilig aufbereitet an den drei unterschiedlichen Filmsequenz-Themen – zielen darauf ab, mit den Heranwachsenden Verhaltensregeln und -strategien im Umgang mit (Cyber-)Mobbing innerhalb der Schulklasse zu erarbeiten und orientieren sich in ihrer zeitlichen Konzeption daher auch an Schulstunden.
Das Medienpaket Verklickt! Sicherheit im Medienalltag ist eine reichhaltige Sammlung aktueller ‚virtueller‘ Brennpunktthemen der siebten bis neunten Jahrgangsstufe und damit ein sehr gutes Equipment, um in der Präventionsarbeit die Sicherheit im Umgang mit elektronischen Medien bei diesen Heranwachsenden zu fördern, sie über strafbare Handlungen im Internet sowie Schutzmöglichkeiten aufzuklären und für ihre Veröffentlichungen im Internet von sich selbst oder anderen Personen zu sensibilisieren. Mehr Informationen finden sich unter www.polizei-beratung.de/verklickt – dort kann das Medienpaket bestellt und das Begleitheft runtergeladen werden; das Paket gibt es auch bundesweit an (Kriminal-)Polizeilichen Beratungsstellen.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor:
Swenja Wütscher
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Beamer an, Jalousie runter, jetzt wird gearbeitet!
Filme in der Schule? Das klingt nach Vertretungsstunde, Ausruhprogramm, Zeittotschläger vor den Ferien … Dabei können Filme so viel mehr sein als der obligatorische Lückenfüller für Stunden, die irgendwie abgesessen werden müssen. Sie sind eine Kunstform und historische Zeugnisse. Sie sind Träger von Ideen, Träumen oder Ideologien. Sie transportieren Emotionen, Wissen oder Fantasien. Sie beleuchten Themen, stellen Fragen und schlagen Antworten vor. Sie sind so vielschichtige Kunstwerke wie kaum etwas anderes: inhaltlich, technisch, ästhetisch, formal, akustisch, ideologisch … Wie kommt es dann, dass Filme nicht längst an der Tagesordnung sind in Lehr-Lernsituationen landauf landab? Die Antwort liegt auf der Hand: In Schulbüchern, Curricula oder in der Lehrerausbildung werden die audiovisuellen Werke schlicht ignoriert, nirgendwo finden Lehrkräfte kompakt und niederschwellig aktuelle Filmlisten, Anregungen zur Unterrichtsgestaltung, Ideen zur Arbeit mit dem Bewegtbild.
Wer Film in pädagogischen Kontexten einsetzen will, braucht entweder einen Experten an der Hand – oder muss sich langwierig durch Filmkanons und Listen wühlen, nächtelang mögliche Filme sichten, Arbeitsaufträge entwerfen, Ideen entwickeln – schlicht das Rad der Filmarbeit scheinbar neu erfinden.Dabei kann alles so einfach sein, gerät man nur an kompetente Unterstützung. Im Schroedel- Verlag kommt diese etwa in knapp 15 mal 20 Zentimetern Plastik daher und nennt sich Grundkurs Film 3 – Kurzfilme! Die DVD, ein gemeinsames Projekt der AG Kurzfilm – Bundesverband Deutscher Kurzfilm, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Forschungsprojekts Integrative Filmdidaktik der Pädagogischen Hochschule Freiburg, des Schroedel Verlags und von VISION KINO – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz enthält insgesamt 18 Kurzfilme, die im Schulunterricht sowie in der außerschulischen Bildung zur Filmarbeit eingesetzt werden können, sowie zu jedem Film Begleitmaterial zur Bearbeitung. Die Filme wurden ausgewählt von der Empfehlungsliste 100 Kurzfilme für die Bildung und sind alle zwischen drei und 30 Minuten lang, also gut selbst bei 45-Minuten-Taktung einer Lernsituation zu bearbeiten. Inhaltlich haben alle den Anspruch, die Gattung des Kurzfilms darzustellen und für pädagogische Einsätze nutzbar zu machen – dann aber ist es mit den Gemeinsamkeiten auch schon zu Ende.
Das Angebot umfasst Dokumentarfilme, Spielfilme, Animationsfilme, Experimentalfilme, Musikfilme, Werbefilme und Videokunst; es gibt Produktionen aus Deutschland, aus Europa, aus Amerika und aus Afrika; es werden klassische Motive wie Mozarts Papageno ebenso aufgegriffen wie neue oder experimentelle Ansätze und Themen; es findet sich eine Vielzahl filmsprachlicher, filmhistorischer und künstlerischer Herangehensweisen. Da gibt es alte Dr.-Oetker-Werbungen und verdrehte Liebesgeschichten, satirische Dokumentation und politische Statements, futuristische Roboter- Geschichten und tiefe Einblicke in fremde Kulturen und vieles mehr.Zu jedem Film findet sich auf der DVD ein PDFDokument als ‚Arbeitsmaterial‘. Dieses enthält eine kurze Zusammenfassung des jeweiligen Filmes, Hinweise, zu welchem Themenbereich und in welchem Schulfach der Film eingesetzt werden kann sowie verschiedene Arbeitsaufträge, die sich auf den Inhalt oder die Gestaltung des Films beziehen und die Kinder dazu auffordern, sich vertieft mit einem Thema zu beschäftigen, die Botschaften des Filmes zu entschlüsseln und zu hinterfragen oder in eine Diskussion zu treten. Hier und da findet man noch weiterführende didaktische Hinweise für Lehrkräfte, auch wenn diese leider recht kurz kommen. Zwar sind die Arbeitsblätter schön gestaltet und enthalten interessante Impulse und Fragen, noch schöner wären aber auch Ideen zur Gestaltung der Unterrichtssituation, etwa Anregungen zu Gruppenarbeit, zu vertiefenden Aktivitäten, zu eigener, weiterführender Medienarbeit et cetera.
Eine Filmarbeit lediglich auf das Ausfüllen eines Arbeitsblattes zu beschränken ist eigentlich schade. Bisweilen gibt es zwar durchaus auch solche Anregungen auf den Arbeitsblättern als Arbeitsaufträge an die Schülerinnen und Schüler, etwa die Aufforderung, selbst einen Film zu drehen. Hier wäre aber viel mehr möglich gewesen: Gäbe es etwa zusätzlich zu den Blättern für die Schülerinnen und Schüler ein an die Lehrkräfte adressiertes Material, auf dem Ideen, Vorschläge, denkbare Unterrichtsszenarien vorgestellt werden, die dann nach eigenem Belieben umgesetzt werden können, Kopiervorlagen, Anleitungen, zusätzliche Hintergrundinformationen oder Anregungen, wäre sicher eine noch kreativere und spannendere Auseinandersetzung mit den Filmen möglich als über reine Arbeitsblätter.Darüber hinaus bieten die Arbeitsblätter zwar stets eine hilfreiche Einordnung, wo sich ein Film in bestimmten Fächern oder zur Behandlung bestimmter Themen gut einsetzen lässt; leider findet sich diese Zuordnung aber jeweils nur im PDF zu den einzelnen Filmen, so dass eine Auswahl der Filme danach schwierig bzw. langwierig ist – gäbe es noch eine übersichtliche Kategorisierung der enthaltenen Filme, würde das die Arbeit mit dem Material sicher erleichtern.
Trotz allem aber bleibt Grundkurs Film eine schön zusammengestellte, ‚reichhaltige‘ Sammlung an Kurzfilmen, die im Regal jedes Sekundärstufen Lehrers (und natürlich jeder Lehrerin) stehen sollte. Denn hier wird Kindern und Jugendlichen ein spannender, interessanter und bestimmt horizont- erweiternder Einblick in Filmwelten geboten, fernab von Kinoblockbustern oder Privatsender- Unterhaltung. Hier wir das vielfältige Genre Kurzfilm in all seinen Facetten gewürdigt und Filmarbeit für die Lehrkraft sozusagen auf dem silbernen Tablett serviert. Und wer dann gar nicht genug bekommen kann, der kann sich von der DVD die „Empfehlungsliste“ mit 100 Titeln selbst herunterladen und stöbern, der findet im gleichnamigen Buch von Michael Klant viel mehr, viel ausführlichere Informationen – oder er wagt sich gleich an die anderen DVDs der Reihe Grundkurs Film, die sich mit Kino, Fernsehen, Videokunst sowie Filmkanon, Filmklassiker, Filmgeschichte beschäftigen. Eines auf jeden Fall ist sicher: Wenn jetzt der Beamer ins Klassenzimmer und die Jalousie nach unten rollt, ist längst keine langweilige Vertretungsstunde mehr zu erwarten – sondern spannende (Kurz-)Filmarbeit für alle.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Cornelia Pläsken: Eine Geschichte über das Leben und Sterben
Mary ist zwölf Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Dublin. Sie ist ein sehr eigensinniges Mädchen, das oft etwas vorlaut und starrköpfig, aber gleichzeitig neugierig und liebenswert ist. Zurzeit hat sie es alles andere als leicht. Bis vor ein paar Tagen wohnte ihre beste Freundin Eva noch neben ihr, doch deren Familie ist in einen anderen Teil von Dublin gezogen, weshalb Mary sehr traurig ist. Außerdem liegt ihre geliebte Großmutter Emer sterbenskrank im Krankenhaus. Auf dem Heimweg begegnete ihr eine etwas altmodisch bekleidete Frau, die sie kaum bemerkt hatte. Das Eigenartige daran war, dass die Frau Mary an ihre Großmutter erinnert. Die beiden unterhielten sich kurz, doch Mary wollte nach Hause gehen. Im Vorbeigehen sagte die Frau noch zu ihr, dass sie ihrer Großmutter sagen solle, dass alles ganz wunderbar werden würde. Daraufhin verabschiedete sich die eigenartige Frau. Mary war etwas ängstlich, aber bei Weitem nicht so sehr wie sie es hätte sein sollen, denn sie hatte im Gespräch ihre Großmutter und das Krankenhaus nicht erwähnt. Daheim angekommen erzählte Mary ihrer Mutter Scarlett fröhlich von der neuen Nachbarin, die sie auf der Straße kennengelernt hat. Nach dem Essen machten sie sich, wie jeden Tag seit fünf Wochen, auf in das Krankenhaus, um ihre Großmutter zu besuchen. Mary mochte das Krankenhaus überhaupt nicht, aber sie liebte ihre Oma, weswegen sie jeden Tag mitkam. Mary und ihre Großmutter hatten eine ganz besondere Beziehung zueinander. Deswegen war es vor allem beängstigend für Mary, dass ihre Oma schon so schwach war und nicht immer ihre Augen offen halten konnte. Als sie nach dem Besuch zu Hause ankamen ging Mary ins Bett.Als sie gerade versuchte einzuschlafen und nur noch ein letztes Mal aus dem Fenster sah, erblickte sie, auf dem Fensterbrett sitzend, die Frau von der Straße.
Nun war Mary neugierig und wollte wissen, wie denn ihr Name sei. Sie stellte sich vor und sagte, dass ihr Name Tansey sei. Die beiden unterhielten sich wieder eine Zeit lang. Tansey erkundigte sich nach Marys Großmutter und wollte wissen, ob Mary ihr es ausgerichtet hätte. Sie hatte es vergessen, aber sie versprach, dass sie es das nächste Mal ausrichten würde. Am nächsten Tag beim Essen erzählte Mary ihrer Mutter wieder von der altmodisch gekleideten Frau. Als sie Scarlett gegenüber den Namen der Frau erwähnte, reagierte sie etwas irritiert, da ihre Großmutter ebenfalls so hieß. Scarlett erzählte ihrer Tochter daraufhin, dass ihre Urgroßmutter früh an der Grippe gestorben sei und ihre Großmutter damals noch sehr jung war. Marys Mutter wurde neugierig und beschloss, dass sie diese Tansey kennenlernen will. Als die beiden am nächsten Tag auf dem Rückweg vom Krankenhaus waren, war es soweit. Zu Hause angekommen kam den beiden wie aus dem Nichts Tansey entgegen. Scarlett bemerkte recht schnell, dass Tansey ihre Großmutter ist. Das machte Mary etwas Angst und gleichzeitig wurde sie neugierig, weil sie wissen wollte, wie das nur möglich sein konnte, wenn sie doch schon seit Ewigkeiten tot ist. Tansey erklärte den beiden, dass sie ein Geist sei. Sie erzählte ihnen außerdem, dass sie ihre Tochter Emer gerne noch einmal sehen würde, da Emer sie jetzt braucht.
Nach einer langen Unterhaltung über Geister und Alltägliches beschlossen die drei ins Krankenhaus zu fahren. Da Tansey als Geist nicht einfach in das Krankenhaus reinspazieren konnte, da sie im Licht durchsichtig werden würde und so alle Menschen im Krankenhaus sich erschrecken würden, gingen Mary und Scarlett erst alleine hinein. Scarlett überredete einen Arzt, dass sie Emer für einen kleinen Ausflug aus dem Krankenhaus holen durften. Emer, die von all dem noch nichts wusste, war überrascht, hielt die beiden für etwas verrückt und war mit der Idee letztendlich aber einverstanden. Im Auto setzte Scarlett Marys Großmutter auf die Rücksitzbank zu Tansey. Nach einigen Augenblicken kam es Emer langsam, wer da wirklich neben ihr saß, doch sie schien komischerweise nicht sonderlich überrascht. Gemeinsam beschlossen die vier einen Ausflug zu dem alten Hof zu machen, auf dem Emer und Tansey einst gewohnt hatten. Dies sollte eine spannende und schöne Reise in die Nacht werden, bei der sie das erste und letzte Mal zu viert unterwegs sind.Die Themen Sterben und Tod sind alles andere als leichter Stoff – besonders für Kinder, die noch keine Erfahrungen damit gemacht haben.
In Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht wird allerdings eine Geschichte erzählt, die es schafft, einem die Angst vor diesen Themen Stück für Stück zu nehmen. Die Tragikomödie führt die Hörerin oder den Hörer behutsam an den Tod heran. Mithilfe von Rückblenden in das Leben jeder einzelnen Frau bekommt man als Zuhörerin und Zuhörer eine bildhafte Vorstellung des Lebens und der Umstände in der Geschichte. Behutsam und mit viel Gefühl beschreibt die Erzählerin den Sterbensweg von Marys Großmutter Emer. Dabei steht der Geist ihrer Urgroßmutter Tansey allen helfend beiseite und versucht ihnen die Angst vor dem Sterben und dem Tod zu nehmen. Besonders diese Figur sticht ins Auge, da sie in schweren Zeiten für Zusammenhalt sorgt und vermittelt, dass es völlig in Ordnung ist seine Gefühle zu zeigen, wenn man nur weiß, dass man seine Trauer irgendwann überwinden muss und das Leben weitergeht. Auf authentische und detailorientierte Weise wird die humorvolle und gleichzeitig etwas traurig stimmende Geschichte erzählt, die – abgesehen vom Geist der Urgroßmutter – eine realitätsnahe Situation darstellt, mit der sich möglicherweise vereinzelte Kinder und Jugendliche identifizieren können.
Mary, Tansey und die Reise in die Nacht wurde mit dem AUDITORIX Hörbuch-Siegel 2013/2014 ausgezeichnet. Die humorvolle und gleichzeitig nachdenkliche Geschichte der vier Frauen wird innerhalb von 261 Minuten auf drei Audio-CDs von Regina Lemnitz erzählt. Geeignet ist das Hörbuch für Kinder ab zwölf Jahren, weil die Themen Sterben und Tod eine große Rolle innerhalb der Erzählung spielen. Dennoch ist die Geschichte mit einer angemessenen Prise Humor und Optimismus gewürzt, so dass auch Erwachsene ihre Freude an dem Hörbuch finden können.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor:
Cornelia Pläsken
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Lisa Klimesch: Mobben auf dem Cyber-Schulhof
Jakob ist erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Widerwillig macht er sich zum ersten Mal in seine neue Schule auf und gerät prompt in ein Abenteuer: Auf dem Schulhof herrscht große Aufregung um Nicole, eine Mitschülerin, die bitterlich weint, weil ihr Facepage-Account gehackt und gemeine Lügen über sie verbreitet wurden. Jakob will helfen und macht sich auf die Suche nach dem Täter und seinem Motiv … Das vom Deutschen Kinderschutzbund Bayern in Kooperation mit Digital Treasure Entertainment veröffentlichte Browserspiel Jakob und die Cyber-Mights setzt sich spielerisch mit der Problematik Cybermobbing auseinander und lädt Kinder ein, sich mit dem Hobbydetektiv Jakob auf die Suche nach dem Cyber-Bösewicht zu begeben. Per Mausklick wird die Spielfigur Jakob dabei durch verschiedenste Szenarien bewegt, in denen er seine Nachforschungen anstellt. Die Suche beginnt auf dem Schulhof, wo Jakob sich während der Pause mit Mitschülerinnen und Mitschülern und Lehrkräften unterhält und Informationen und Hinweise zum Mobbingfall sammelt. Hier wird schnell klar: Ganz so einfach ist die Suche nach dem Übeltäter nicht. Zunächst müssen Hinweise interpretiert, Gegenstände gesammelt und Rätsel gelöst werden, um zum nächsten Level zu gelangen und die Hintergründe der Tat Schritt für Schritt ans Licht zu bringen.
Jedes Level hält eine neue Umgebung und weitere Figuren bereit, die Jakob bei seinen Ermittlungen begleiten. Einige der Spielhandlungen wirken amüsant: Beispielsweise findet Jakob ein Haargummi auf dem Schulhofboden, mit dem er später eine Steinschleuder basteln kann. Andere dagegen sind eher fragwürdiger Natur: Der Handy-Code eines Mitschülers muss geknackt werden, um heimlich an Informationen zum Mobbingfall heranzukommen. Den Spielenden legen die Entwickler hier ein bedenkliches Vorgehen zur Konfliktlösung nahe. Die ‚Point and click‘-Navigation und der farbenfrohe, handgemalte Grafikstil des Spiels sind der Zielgruppe von Kindern ab zehn Jahren entsprechend gestaltet. Die Dialoge mit anderen Figuren erscheinen als kleine Comics, die auditiv unterlegt sind und so für Abwechslung sorgen; verschiedene wählbare Gesprächsthemen gewähren den Spielenden eine gewisse Entscheidungsfreiheit. Etwas schade ist, dass das Spiel nur wenige Tipps zur Lösung der Rätsel bereithält, wenn man an einer Stelle nicht weiterkommt – so ist man auf die eigene Kombinationsgabe und Intuition angewiesen, was vor allem bei jungen Spielerinnen und Spielern schnell zu Frustration führen kann. Das selbständige Erkunden der Umgebungen und die teilweise witzigen Kommentare von Jakob stellen dagegen Spaßfaktoren für die Spielenden dar. Die Figuren des Spiels entsprechen leider den gängigen Klischees und fördern rollenspezifisches Denken: Neben dem Cybermobbing-Opfer, einem unscheinbaren Mädchen mit großer runder Brille, das das Stereotyp der ‚Streberin‘ erfüllt, ist ein klassischer Außenseiter mit abstehenden Ohren in den Mobbingfall verwickelt.
Die Clique der ‚Cyber-Mights‘, eine Gruppe ‚Grufties‘ in düsteren Totenkopf-Shirts zieht durch ihr provokantes Auftreten und ihre vermeintlich bösen Absichten die Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl die Cyber-Mights Jakob letztendlich unterstützen, wird nicht thematisiert, dass Cybermobbing weitaus komplexer und nicht auf bestimmte Rollen festgelegt ist. Den Spielemachern ist mit Jakob und die Cyber-Mights ein kurzweiliges Adventure Game für Kinder gelungen, das Lerninhalte zu Medienkompetenz mit kniffligem Rätselspaß verbindet. In pädagogischer Hinsicht erscheint es jedoch stellenweise verbesserungswürdig, um wirklich den beworbenen kompetenten Umgang mit Cyberrisiken zu vermitteln. Das kostenlose Lernspiel ist unter www.jakob-und-die-cyber-mights.de sowohl als Online- als auch als PC-Version verfügbar. Einen völlig anderen Ansatz im Umgang mit Cybermobbing bietet das Planspiel Bloßgestellt im Netz für Zwölf- bis 16-Jährige, das vom und Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V., AGJ-Fachverband für Prävention und Rehabilitation wie auch der Landesstelle Nordrhein-Westfahlen e. V. herausgegeben wurde: Hier sind Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen gefragt. Auch hier beschreibt die Ausgangssituation einen Cybermobbingfall: Die Clique, zu der auch das Pärchen Coco und Puk gehört, geht auf dieselbe Schule und unternimmt viel gemeinsam. Als sich Puk von Coco trennt, stellt diese wütend ein Bild von ihm ins Netz und markiert ihn darauf als „Missgeburt“. Außerdem benutzt sie sein Passwort, um gemeine Nachrichten auf die Pinnwände seiner Freunde zu setzen. Innerhalb weniger Stunden weiß die ganze Schule davon.
Mit dieser Einführung in die Geschichte startet das Planspiel für Jugendgruppen und Schulklassen, bei dem zunächst die Rollen verteilt werden: In kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen sollen sich die Teilnehmenden in die Gedanken- und Gefühlswelten von Coco, Puk und den anderen Cliquen-Mitgliedern hineindenken. Wie fühlt sich Puk? Bereut Coco ihre Aktion? Was halten die anderen von den Nachrichten im Netz? Die Gruppen bekommen Rollenmappen, die Beschreibungen für jede Figur sowie weitere Arbeitsmaterialien enthalten. Zusätzlich wird für jede Rolle eine Beobachterin bzw. ein Beobachter ausgewählt, der die Diskussionen und Gesprächsergebnisse seiner Gruppe möglichst neutral und objektiv festhalten soll. Am Ende des Spiels werden diese Dokumentationen zur Auswertung herangezogen. Jetzt geht es los: Die Rollenteams überlegen, wie sich ihre Figur fühlen könnte und halten ihre Ergebnisse auf der sogenannten Einfühlungsliste fest. Dabei sollen jeweils die Sätze „Wir fühlen“, „Wir befürchten“ und „Wir wünschen“ vervollständigt werden. Außerdem werden erste Schritte des weiteren Vorgehens geplant, zum Beispiel mit welcher Rollengruppe Gespräche geführt werden sollen, um das Problem zu lösen. Ein Gesprächswunsch wird an den Beobachter weitergeleitet, der mit dem Spielleiter einen ‚Termin‘ vereinbart. Tauschen sich beispielsweise die Rollenteams von Coco und Puk aus, können die Teilnehmenden auf rollenspezifische Gesprächsstrategien zurückgreifen. Am Ende jedes Gesprächs hält das Team die aktuelle Gefühlslage seiner Figur auf dem Gefühlsbarometer fest. Das Rollenspiel ermöglicht es Kindern und Jugendlichen selbst mitzuerleben, welche Dynamik Cybermobbing und dessen Folgen entwickeln können und regt zur intensiven Auseinandersetzung mit den Figuren sowie der Problemsituation an. Im Gegensatz zum Onlinespiel Jakob und die Cyber-Mights liegt der Schwerpunkt des Planspiels dabei auf einer aktiven Kommunikation zwischen den Spielenden. So wird eine Sensibilisierung für die Schwierigkeiten beim Lösungsprozess eines Cybermobbingfalls möglich. Im Laufe des Spiels sollen die Teams zudem eigenständig Handlungsstrategien erarbeiten und erproben, die in einer abschließenden Auswertungsrunde gemeinsam reflektiert werden.
Am Ende des Planspiels können die Schülerinnen und Schüler gemeinsam eine Klassenvereinbarung unterschreiben, die denZusammenhalt der Schulklasse stärkt und damit wohl eine der besten Präventionen von Cybermobbing darstellt. Herausgeber des Spiels ist der AGJ-Fachverband für Prävention und Rehabilitationin der Erzdiözese Freiburg e. V., der damit nicht nur auf die Aktualität der Thematik Cybermobbing aufmerksam machen, sondern pädagogischen Fachkräften zugleich umfassendes Material zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen an die Hand geben möchte. Die Begleit-Broschüre des Planspiels bietet pädagogischen Fachkräften neben einer kurzen Einführung in die Thematik sowie Hinweisen zu Beratungsangeboten eine ausführliche Beschreibung des Rollenspiels. Auf einer beiliegenden CD finden sich alle Arbeitsmaterialien als Kopiervorlagen im PDF-Format. Während das Planspiel Bloßgestellt im Netz für die Durchführung in Schulklassen und Jugendgruppen gedacht ist und die Bedeutung einer intensiven Beschäftigung mit Cybermobbing in einem möglichst realen und sozialen Kontext betont, wird das Browserspiel Jakob und die Cyber-Mights dagegen online in einem – wenn überhaupt – kleinen sozialen Setting, beispielsweise zuhause mit Freunden gespielt. Die pädagogischen Ansätze unterscheiden sich dabei in ihrer thematischen Tiefe und begleitenden Reflexion.
Die Potenziale der Angebote zur Prävention von Cybermobbing sind klar erkennbar: Das Onlinespiel bietet den Userinnen und Usern in erster Linie Unterhaltung und regt nebenbei zum Nachdenken über Cybermobbing an, während das Planspiel tiefer in die Thematik einsteigt und sich auf die Entwicklung praxisnaher Handlungsstrategien und Lösungswege konzentriert. Jakob und die Cyber-Mights kann in diesem Sinn eine abwechslungsreiche Einführung in das Thema geben, die durch das Rollenspiel im schulischen Kontext aufgegriffen und vertieft wird.
Markus Achatz: Kinder, wie die Zeit vergeht …
Regisseur Richard Linklater hat sich auf ein monumentales Projekt eingelassen, um im Kino etwas zu zeigen, was es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren begleitet der Film Boyhood das Heranwachsen von Mason (Ellar Coltrane) sowie seiner Schwester Samantha (gespielt von Lorelei Linklater, der Tochter des Regisseurs). Das außerordentliche Experiment ist gelungen und nimmt das Publikum mit ins Leben einer Patchworkfamilie aus der texanischen Mittelschicht. Patricia Arquette spielt die alleinerziehende Mutter Olivia und Ethan Hawke den getrennt lebenden Vater Mason Sr. „Wir haben uns jedes Jahr ein paar Tage zum Dreh getroffen“, so Linklater – insgesamt 39 Drehtage verteilt auf sage und schreibe zwölf Jahre. Der Begriff „Coming-of-Age“ hat durch diesen Film eine neue Dimension erhalten. Als der Filmemacher seinen ‚Hauptdarsteller‘ Ellar Coltrane findet, ist dieser sechs Jahre alt, am Ende 18 und hat als Mason gerade ein Stipendium fürs College bekommen. Das Phänomen Boyhood ist schwer zu greifen. Im Grunde bleibt die Story stets nah dran am richtigen Leben. Es geht um kleine und große Sehnsüchte, um Sorgen, Hoffnungen und alltägliche Bedürfnisse nach Glück und Zufriedenheit. Es gibt wenig, was nicht schon in vielen anderen Filmen zu sehen war.
Linklater konstruiert keine großen Dramen, sondern zieht Exzerpteaus den Biografien seiner Figuren, die berühren und eigene Erfahrungen und Gedanken wecken. Heraus gekommen ist eine ausgesprochen kurzweilige und flüssig erzählte Studie des Lebens und von vergehender Zeit, die stets eine unvergleichliche Leichtigkeit in sich trägt und das Publikum zu bannen vermag. Mason und Samantha wachsen bei ihrer Mutter auf. Der Vater war irgendwann nach Alaska abgehauen, taucht aber eines Tages wieder auf und kümmert sich zeitweise wieder um die Kinder. Für kurze Zeit scheint alles gut zu laufen, doch Olivia kommt letztlich nicht mit der Situation zurecht. Sie geht zurück an die Uni, um ihren Abschluss nachzuholen und mehr Geld zu verdienen. Dort begegnet sie dem Dozenten Bill Wellbrock. Beide heiraten und Olivia, Samantha und Mason ziehen mit Bill und dessen beiden Kindern zusammen. Bill beginnt immer mehr Alkohol zu trinken und als seine Gewalt gegen die Familie eskaliert, flieht Olivia mit ihren Kindern an einen anderen Ort. Olivias nächster Partner ist ein Irak-Kriegsveteran und diese Beziehung hält auch nur eine Weile. Mason weiß sich inzwischen mehr zu behaupten, muss aber parallel seine eigene Gefühlswelt koordinieren.
Auf einzigartige Weise sieht man in Boyhood wie die Zeit vergeht. Nicht nur bei Mason, der sich vom sechsjährigen Kind zum 18-jähringen jungen Erwachsenen mit Bart verändert, sondern auch bei Patricia Arquette und Ethan Hawke. Ihre Rollen verändern sich mit ihnen, ihre Ansichten und Lebensweisheiten erhalten neue Komponenten. Beispielsweise die Szene, als Mason gegen Ende von zu Hause auszieht, um aufs College zu gehen, wird für Olivia zu einem emotionalen Moment, der ihr den Lauf der Dinge vor Augen führt. Das Publikum hat miterlebt, was Olivia erlebt hat. Ein sentimentaler, aber authentischer Rückblick auf die Jahre. Fiktives und Reales verwischen wie sonst kaum in einer fiktionalen Kinogeschichte. Knapp drei Stunden dauert Boyhood und obwohl ich kein großer Freund der Überlänge bin, hat mich Linklaters Inszenierung überzeugt. Bei der Premiere von Boyhood im Wettbewerb der Berlinale 2014 (vgl. merz 2-2014 Perspektiven des Aufwachsens) war die Resonanz überwältigend. Der Film lief am vorletzten Festivaltag, wenn die Journalistinnen und Journalisten teilweise schon am Rande des ‚Kino-Overkills‘ sind und schon mal im Dunkeln wegschnarchen.
Doch am Ende der voll besetzten Pressevorführung brandete eine selten erlebte Applauswelle über den Abspann. Als ‚Bären‘-Gewinner hoch gehandelt, erhielt Richard Linklater für Boyhood schließlich den Silbernen Bären für die beste Regie. Mit dem Phänomen Zeit hat er sich auch schon in seiner Beziehungsgeschichte von Céline und Jesse (Julie Delpy und Ethan Hawke) auf ganz eigene Weise beschäftigt. 18 Jahre verbinden die Trilogie Before Sunrise (1995), Before Sunset (2004) und Before Midnight (2013). Hier liegt die Relevanz der Zeit zum einen in der Exposition der Geschichte, indem die gemeinsame Zeit für beide Hauptfiguren begrenzt bleibt, zum anderen im großen Abstand der erzählten Begegnungen von jeweils neun Jahren. Mit dem ersten Filmder Reihe hatte Linklater 1995 ebenfalls den Silbernen Bären gewonnen, für das Drehbuch zu Before Sunset war er für einen Oscar nominiert. Boyhood setzt nun mit seiner neuen Form der Langzeitstudie wiederum Maßstäbe. Linklater wollte gezielt die Phase des Heranwachsens über einen längeren Zeitraum zeigen. Der Prozess selbst rückt mehr in den Vordergrund als die einzelnen Meilensteine und einschneidende Erlebnisse. Letztere kommen zwar in der Geschichte von Mason und seiner Familie durchaus vor, drängen sich dabei aber nicht als dramaturgische Höhepunkte nach vorne.
Alltäglichkeiten, Nebensätze und beiläufige Begebenheiten stehen gleichberechtigt neben den größeren Dramen und Übergangsriten. Das ist raffiniert und unkonventionell. Insofern ist diese Geschichte, dieser Film weit mehr als die Summe seiner einzelnen Teile. Für den 54-jährigen Regisseur war das Risiko stets groß, ob alle dabei bleiben, und es war vor allem schwierig, die Finanzierung dieses Monsterprojekts zu stemmen – angesichts der Länge des Zeitplans nicht weiter verwunderlich. Für Ellar und sein Umfeld war es sicher ebenfalls nicht einfach, die Hauptrolle im Film eines berühmten Regisseurs zu spielen, dessen Szenen – geschweige denn das gesamte Werk – auf absehbare Zeit niemand zu sehen bekommen würde. In einem Interview antwortet Ellar auf die Frage, ob er nicht irgendwann einmal überlegt habe, nicht mehr weitermachen zu wollen: „Nicht wirklich“ und ergänzt, dass er jedoch erst mit 13/14 Jahren angefangen habe, es zu mögen. Im Lauf der Zeit war er mehr in den Prozess eingebunden und konnte an der Ausgestaltung seines Charakters mitwirken. Linklater berichtet, dass sich seine Tochter mit etwa elf Jahren einmal gewünscht hatte, er solle ihre Rolle sterben lassen.
Die besondere Leistung Linklaters steckt darin, die Geschichte so weiterentwickelt zu haben, dass am Ende alles flüssig, ohne künstliche Übergänge ineinander greift. Zeitsprünge werden über die Gesichter, Styles und Frisuren und in Details wie den Modellen von Mobiltelefonen oder Spielzeug gezeigt. Daneben werden Ausschnitte aus dem gesellschaftlichen Leben in der Handlung angedockt, wie beispielsweise der Präsidentschaftswahlkampf 2012, in dem Mason Sr. mit seinen Kindern Wahlplakate für Obama in der Nachbarschaft verteilt. Ein wesentliches weiteres Stilelement Linklaters ist in Boyhood – wie in den meisten seiner Filme – die Musik. Songs aus den verschiedenen Jahren werden zum Chronometer und zur Orientierungshilfe. Der Bogen spannt sich von Coldplay („Yellow“) und The Hives („Hate To Say I Told You So”) im Jahr 2000 über Weezer („Island in the Sun“), Flaming Lips („Do you Realize“), Family of the Year („Hero“) bis Yo La Tengo, Arcade Fire und Daft Punk („Get Lucky“) 2013. Mit der engen Verknüpfung von Songs und Plot knüpft Linklater an seine früheren Filme Slacker (1991), Dazed & Confused (1993) oder Suburbia (1996) an. Wenn Mason gegen Ende des Films mit einer neuen Studienkollegin im Abendlicht sitzt und über den Sinn des Lebens nachdenkt, ist auch dies eine kleine Etappe, aber kein Abschluss.
Seine Erkenntnis, dass Augenblicke stets geradejetzt stattfinden, ist keine altersweise Einsicht, sondern eine dokumentierte Momentaufnahme in Masons Leben. Das wirkt beinahe ironisch, ist für ihn aber nun gerade von Bedeutung. Dies geschieht mit Linklaters Magie und Leichtigkeit, die sich zu einem Schmunzeln in den Gesichtern der Zuschauerinnen und Zuschauer verwandeln lässt. Wie nebenbei wird eine neue Facette von Adoleszenz in Kinobildern gespeichert und der Beweis erbracht: Zeit ist relativ. Und: Was sind schon drei Stunden im Vergleich zu zwölf Jahren?
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Bewerbungstrainer
Konfetti, Sekt, Jubelschrei – die letzten Prüfungen sind geschafft, das Abschlusszeugnis muss nur noch abgeholt werden, das Leben kann beginnen. Nach der Schule beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt und der birgt tausend Möglichkeiten, die ganz große Freiheit – und jede Menge ganz neue Herausforderungen. Eine der ersten Herausforderungen für frisch gebackene Inhaber von Schulabschlüssen aller Art ist, die ersten Schritte in Richtung der tausend Möglichkeiten der Berufswahl zu gehen. Plötzlich müssen Lebenslauf und Passfotos, Anschreiben und Motivationsbekundungen her und wenn man die gerade alle zusammengebastelt hat, klingelt auch schon das Telefon und Einladungen werden überbracht. Aber nicht solche zu Abschluss-Partys, mit denen man sich schon auskennt – sondern solche zu Bewerbungsgesprächen und mit dieser Art von Einladungen flattern auch gleich eine ganze Menge neue Fragezeichen ins Haus.
Was zieht man an zu so einem Gespräch, wie soll man sich geben, welche Fragen müssen beantwortet werden und welche Auskünfte darf man verweigern? Wie so oft hilft auch hier ein Blick ins weltweite Netz, das doch zu fast allen Themen etwas zu sagen hat. Auf der Suche nach guter Starthilfe bei der Gesprächsvorbereitung bietet Google Seiten über Seiten an, die „Die zehn besten Tipps“, „Die 15 wichtigsten Dos und Don’ts“ oder gleich „Alles Wichtige“ in petto zu haben scheinen. Da gibt es Informationsseiten und Broschüren, Checklisten und Forendiskussionen rund um Kleiderwahl und Gesprächsverhalten, Selbstvermarktung und potenzielle Inhalte. Nun gibt es Broschüren auch im Arbeitsamt und gute Tipps in Omas Küche – doch das Internet hat noch mehr zu bieten. Auf einigen Seiten können Bewerbungs-Aspiranten mittlerweile nicht mehr nur Texte lesen und Listen abhaken, sondern sich gleich mitten in den Ernstfall stürzen – ohne natürlich die Konsequenzen des Ernstfalls erwarten zu müssen. Diverse Bewerbungstrainer bieten die Möglichkeit, das gefürchtete Gespräch einmal komplett durchzuspielen, von der Auswahl der Garderobe über die Begrüßung des potenziellen Arbeitgebers, von der Getränkewahl bis zur Gehaltsverhandlung und versprechen so die ultimative Vorbereitung auf das Gespräch der Gespräche …
Ich hab Power – Startzündung für die Metall-Karriere
Bunte Farben, Graffiti-Animationen und viel Bewegung – das erwartet einen auf ichhabpower.de, einer Seite des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V. Offenbar haben sich hier die Arbeitgeber selbst ein Herz gefasst und bereiten ihre zukünftigen Azubis schon vor der Bewerbung auf ihr zukünftiges Tätigkeitsfeld vor. Die Seite bietet umfangreiche Informationen zur M+E (Metall+Elektronik)-Branche, vermittelt Ausbildungsplätze, hält Tests zum Allgemeinwissen und zur Eignung für das Berufsfeld bereit und trumpft vor allem auf mit dem „Bewerbungstrainer 2.0“. „Wir beamen dich direkt ins Bewerbungsgespräch“, verspricht die Seite und tatsächlich: Wer sich hier einklickt, kann Bewerbungsgespräche in den Berufsfeldern Mechanik, Informatik, Elektrotechnik, ‚Kaufmännisch‘ führen und das sehr realistisch: Zu jedem Bereich wir eine fiktive Firma vorgestellt, mit einem Profil zum Durchlesen, anschließend schlüpft man in den Avatar des Bewerbers und macht sich auf den Weg zum Personaler.
Der stellt durchaus ‚klassische‘ Bewerbungsgesprächs-Fragen, allerdings auch sehr spezifische Fragen zur Berufseignung, zum Hintergrundwissen über das angestrebte Tätigkeitsfeld und zur Firma selbst. Zu jeder Frage werden verschiedene Antwortmöglichkeiten angeboten. Das schöne daran: Die Antworten sind – darauf wird auch vorher hingewiesen – nicht ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, sondern eher besser oder schlechter – das macht den Trainer interessant zu bedienen, weil es nicht möglich ist, die offensichtlich ‚blöden‘ Antworten einfach auszuschließen, ohne wirklich darüber nachzudenken. Eine ‚Auflösung‘, wie gut die ‚Bewerbung‘ gelaufen ist, gibt es zwar am Ende des ganzen Gespräches, der Gesprächsverlauf insgesamt nimmt aber durchaus eine andere Richtung, wenn man sich als besonders unvorbereiteter Bewerber entpuppt, was das Programm zusätzlich realistisch macht.
Wer etwa im Bereich ‚Elektrik‘ arbeiten will, weil er ‚schon immer gern am PC‘ arbeitet, wird vom Personaler direkt gefragt, ob er sich nicht lieber in der Informatik bewerben will. Leider werden die Antworten nicht vorgelesen, sondern nur schriftlich eingeblendet – mit sehr viel Lesezeit. Das macht das Gespräch unter Umständen sehr lang. Dennoch ist die Seite insgesamt sehr fundiert und informativ, wer sich für den M+E-Bereich interessiert, wird hier sicher alles finden, was er für den Berufseinstieg braucht – auch wenn man dank etwas unübersichtlicher Gestaltung bisweilen ein wenig suchen muss. Und vor allem der Bewerbungstrainer ist realistisch und anspruchsvoll und bietet eine wirklich gute Auseinandersetzung sowohl mit dem Berufsfeld als auch mit der Bewerbungssituation.
Planet Beruf – Stippvisite auf dem fremden Planeten
Wer längst noch nicht weiß, ob er Informatiker, Florist oder vielleicht Porzellanmaler werden will, kann die ersten Schritte auf dem unbekannten Planeten ‚Berufswelt‘ auf den Seiten der Agentur für Arbeit machen. Diese bietet bwt.planet-beruf.de an, ein Bewerbungshilfeportal mit vielen Angeboten rund um Bewerbungen, Tipps und Materialien von der ersten Information zu Ausbildungsplätzen über die Bewerbungsmappe und Informationenzu Online-Tests, Auswahlverfahren bis hin zum Ausbildungsvertrag. Hier gibt es zwar keinen interaktiven Bewerbungstrainer mit Avataren und einer flexiblen Geschichte, aber doch einen exemplarischen Ablauf eines Bewerbungsgespräches in kurzen Videosequenzen.
Die verschiedenen Phasen eines Vorstellungsgespräches werden nacheinander gezeigt, jede Frage wird vorher eingeblendet und an die Person vor dem Bildschirm weitergereicht: Sollte Frau Baier ein Getränk annehmen? Sollte Frau Baier noch Fragen stellen? Sollte Frau Baier auf diese Frage antworten? Das Feedback zur jeweiligen Auswahl kommt sofort, es gibt eine richtige Verhaltensweise und sonst nur falsche, was etwas schade ist; den Minuspunkt macht die Seite aber dadurch wieder wett, dass die jeweils richtige Antwort immer sofort ausführlich erläutert wird. Insgesamt sind die Fragen hier sehr allgemein gehalten, es werden alle ‚klassischen‘ Szenen einmal durchgespielt, man lernt also die Basics, die man immer kennen sollte – egal in welcher Branche man sich später vorstellt.
So bietet das Tool einen guten und anschaulichen Einstieg für alle, die sich beim Thema ‚Vorstellungsgespräch‘ wirklich fühlen wie Expediteure in fremde Welten. Wer aber schon auf einer Checkliste oder in Omas Küche gelernt hat, dass man nicht nach Cappuccino fragt, wenn Wasser angeboten wird oder sich beim Ankommen über die Wegbeschreibung der Firma beschwert, kann sich die etwas altbackenen und langwierigen Videos sparen und sich den anderen Angeboten der Seite widmen, unter denen sich durchaus hilfreiche Materialien verstecken.
Lizzynet – Frauen an die Arbeitsplätze!
Eine dritte ‚Berufswelt‘ gibt es auf den Seiten von Lizzynet, einer Online-Community für Mädchen. Das Portal beherbergt nicht nur ausführliche Informationsseiten rund um Studiums- und Berufswahl, sondern auch ein umfangreiches interaktives Angebot. Hier beschränkt sich das Selbst-Ausprobier-Angebot nicht nur auf das Bewerbungsgespräch – Berufe-Sucher können gleich den kompletten Bewerbungsprozess von Anschreiben und Lebenslauf über Outfit bis zum Bewerbungsgespräch durchspielen. Und das nicht nur theoretisch: Anschreiben und Lebenslauf etwa können online gleich mit den eigenen Daten befüllt und dann gespeichert werden – so nimmt man von der Übung nicht nur den Lerneffekt, sondern gleich echte Unterlagen mit, die nur noch ein wenig optische Überarbeitung brauchen, dann aber direkt auf den Weg zum Traum-Arbeitgeber wandern können.
Für das Vorstellungsgespräch ist es auch hier möglich, einen Avatar vorzuschicken, der sich in einem von sechs verschiedenen Berufsbereichen (kaufmännisch, Maler/Lackierer, Friseurin, Chemielaborantin, Maßschneiderin, zahnmedizinische Fachangestellte) ins Personaler-Büro wagt. Mit dem Avatar gemeinsam gilt es zunächst, den Kleiderschrank zu plündern und ein Bewerbungsoutfit zusammenzustellen. Im Bewerbungsgespräch-Trainer selbst wird dann mit einem gezeichneten Avatar interagiert, dessen Fragen per Auswahl aus mehreren Möglichkeiten beantwortet werden. Die Antworten sind nicht ganz so spezifisch wie bei ichhabpower, aber deutlich spezifischer als bei planet-beruf.
Auf die ausgewählten Antworten gibt es sofort Feedback, am Ende jeder Rubrik stehen Feedbacks, Checklisten und weitere Tipps … wer hier einmal durchsurft, hat nicht nur dank schöner Animation und klarer Bedienung viel Spaß beim Entdecken und Lernen, sondern darf sich danach auch bestens vorbereitet fühlen für die nächste Bewerbungsrunde. Da fehlt eigentlich nur noch die Adresse der Traumfirma und dem Karrierestart steht nichts mehr im Weg – und das auch für Jungs. Insgesamt ist also für alle was dabei im großen weiten Internet – Grundsatz-Infos für die ganz Ahnungslosen, Ernstfall-Training in realistischen Szenarien und sogar ganz spezifische Vorbereitung auf einzelne Berufsfelder. Ein Rundum-Sorglos-Startpaket für Berufseinsteiger – und für den einen oder anderen vielleicht der erste Schritt zur nächsten „Konfetti, Sekt, Jubelschrei“-Gelegenheit.
Cornelia Pläsken: Rechtsextremismus kompakt
Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) (2013). MEDIENKOFFER gegen RECHTS. DVD und Broschüren, kostenfrei.
Heimatgefühl, Umweltschutz und Proteste gegen Kindesmissbrauch – all diese Themen sind auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, bedrohlich oder kritisch zu betrachten, allerdings eben nur auf den ersten Blick! Mit scheinbar normalen gesellschaftlichen Themen ködern rechtsextremistische Vereinigungen Kinder und Jugendliche, um ihnen dann rechtsextremistisches Gedankengut schmackhaft zu machen. An dieser Stelle versucht der MEDIENKOFFER gegen RECHTS anzusetzen, um mithilfe von Pädagoginnen und Pädagogen medienpädagogische Aufklärungsarbeit bezüglich Rechtsextremismus zu betreiben. Der Koffer ist ein Gemeinschaftsprojekt der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM), des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit (TMSFG) und des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm). Er bietet eine umfangreiche multimediale Materialsammlung, die theoretisch von Pädagoginnen und Pädagogen aus Thüringen kostenfrei erstanden werden kann. Praktisch sind alle 600 bestehenden Exemplare des Koffers bereits vergriffen, die Inhalte können aber auch online abgerufen und verwendet werden. Das Material soll wertvolle methodische Anregungen und Hilfen für die Kompetenzförderung im Umgang mit problematischen Medieninhalten geben.
Doch was genau ist eigentlich drin? Eine ganze Menge! Neben einigen Faltblättern und einer DVD gibt es vier Broschüren unterschiedlicher Ausprägungen. Der Titel der umfangreichsten Broschüre lautet: „Rechtsextremismus hat viele Gesichter“. Eine 90-seitige Handreichung für Lehrkräfte von klicksafe.de, in der es darum geht, wie Rechtsextreme im Netz erkennbar sind und was gegen Rechtsextremismus konkret getan werden kann. Lehrerinnen und Lehrer bekommen zum einen umfassende Informationen zur Thematik und zum richtigen Umgang damit in der Klasse. Zum anderen erhalten sie Anregungen, wie beispielsweise ein Elternbrief aussehen könnte, der darüber informieren soll, dass Rechtsextremismus in nächster Zeit im Unterricht thematisiert wird. Zusätzlich enthält die Broschüre hilfreiche Links, auf denen entweder Zusatzmaterial für die Schule abgerufen werden kann oder weitere Informationen rund um das Thema gegeben werden. Die Broschüre verweist außerdem auf Internetseiten, die rechtsextreme Propaganda im Netz verbreiten. Mithilfe dieser Seiten soll Heranwachsenden durch einschlägige Slogans, Musik oder modernes Design der Einstieg in die Szene geebnet werden. Durch die ausführliche Darstellung solcher Seiten ist es Lehrkräften möglich, Schülerinnen und Schüler detailliert und anschaulich über die Gefahren, die hier lauern, zu informieren und darüber zu diskutieren. Im letzten Teil der Broschüre sind nochmals hilfreiche Linklisten aufgeführt und Arbeitsmaterialien für den Unterricht beigelegt, die durch didaktische Empfehlungen ergänzt wurden.
Eine weitere Broschüre von klicksafe.de ist gleich in fünffacher Ausführung im Koffer enthalten. Tipps für Eltern. Rechtsextremismus im Internet zielt, wie der Name bereits verrät, auf Eltern als Zielgruppe ab. Hier sollen Eltern informiert werden, wie Neo-Nazis das Internet für ihre Zwecke nutzen, welche gesetzlichen Vorgaben zu dieser Thematik existieren, wie entsprechende Inhalte als solche deklariert werden können und wie man die eigenen Kinder diesbezüglich informieren und schützen kann. Besonders auffällig bei dieser Broschüre ist, dass Handlungsanweisungen für Eltern keineswegs übertrieben oder übervorsichtig sind, sondern reflektiert und angemessen. Neben Lehrkräften und Eltern werden auch die Jugendlichen bedacht. „Klickt‘s? Geh Nazis nicht ins Netz“ richtet sich an Jugendliche von zwölf bis 15 Jahren, um ihnen eher spielerisch die Thematik näher zu bringen. Ein Teil der Inhalte ist wie ein Chat aufbereitet, durch den sich Jugendliche angesprochen fühlen sollen. Die Verwendung von Jugendsprache soll dies unterstreichen. Der andere Teil besteht aus aufklärenden Informationen und Möglichkeiten. Bei dieser Broschüre ist allerdings fraglich, ob Jugendliche in diesem Alter das Material ernst nehmen und wie genau der Einsatz aussehen soll, da dazu in der Beschreibung des Koffers nichts Genaueres erwähnt wird. In der letzten Broschüre Die Rechtsextremen sagen werden 17 Argumentationslinien der NPD aufgegriffen und argumentativ entkräftet.
Auf diese Weise soll verständlich gezeigt werden, wie Rechtsextremisten die Realität zu ihren Gunsten verdrehen und was hinter den Denkstrukturen wirklich steckt. Neben den Broschüren liegt auch die DVD Gegen Rechts! Handlungsstrategien für die Schule bei. Sie richtet sich an alle Schulformen, ab der achten Jahrgangsstufe. Die DVD ist in vier Kategorien aufgeteilt: Video, Audio, Bild und Material. Es gibt eine Reportage über eine Schulklasse, die ein Konzentrationslager besucht. Bei den üblichen Führungen wird den Schülerinnen und Schülern das KZ näher gebracht. Dazu übernachtet die Klasse mit ihrer Lehrerin dort und hilft bei den anfallenden Arbeiten. Das Video ist sowohl in der rein zu rezipierenden Version als auch interaktiv vorhanden. Die interaktive Version unterscheidet sich im Grunde nur durch interaktive Fragen zum Video, die zwischendruch gestellt werden. Neben der Reportage gibt es drei sogenannte Erklärfilme, ein Interview mit einer Lehrerin und eine Umfrage mit Menschen auf der Straße, bei der es darum geht, was man gegen Neonazismus tun kann. Bei der Umfrage wird jedoch nicht ganz deutlich, worin der Nutzen für die Rezipierenden besteht. Das Audio-Material der DVD ist die Audio-Version der letzten beiden Videos und bietet somit auch keinen besonderen Mehrwert. In der Kategorie Bild werden Bilder aus dem KZ, Zahlen bezüglich Neonazismus in Ost- undWestdeutschland sowie Aufkleber neonazistischer Vereinigungen gezeigt. Das Zusatzmaterial hingegen bietet zum Teil Hilfestellungen für Lehrkräfte, da die Materialien adäquat im Unterricht eingesetzt werden können. Auf das interaktive Material trifft dies allerdings nicht zu, da hier der Anspruch eher geringer ist und keine Herausforderung besteht. Zu den Broschüren und der DVD wurden dem Koffer einige Faltblätter beigelegt, die einen thematischen Bezug aufweisen. Sie reichen von Beschreibungen rechtsextremistischer Symbole, Schriftzüge und Zahlencodes über den Hinweis auf eine ausleihbare Ausstellung über Nazi-Rock und die NPD bis hin zu thematischen Beratungsangeboten und Projekten. Die Faltblätter ergänzen den Koffer also um mehr oder weniger Randinformationen, die durchaus große Relevanz haben.
Der MEDIEN-KOFFER gegen RECHTS bietet vieles zum Thema Rechtsextremismus. Mithilfe von medienpädagogischen Materialien befähigt er Lehrkräfte wie andere pädagogische Fachkräfte, Heranwachsende umfassend über die Thematik aufzuklären, zu informieren und zum kritischen Nachdenken anzuregen. Die beiliegenden Unterrichtsmaterialien sind passendes Werkzeug für den Schulalltag. Didaktisch wertvoll sind die zusätzlichen Anleitungen für die Benutzung der Materialien. Die Broschüren für Lehrkräfte und Eltern sind im Vergleich zur Broschüre für Jugendliche besonders positiv zu bewerten, da sie sinnvoll aufgebaut und äußert informativ sind. Die Handreichung für Jugendliche hingegen wirkt aufgesetzt und nicht überzeugend. Zwar sind die Inhalte an sich gut gewählt, doch ist es schwer vorstellbar, dass sie in dieser Aufmachung wirklich bei der Zielgruppe ankommen. Auch die DVD hat einen mäßigen Mehrwert für den Koffer. Die Reportage und die Erklärfilme sind nett anzusehen, doch fehlt ihnen die stichhaltige Relevanz. Insgesamt war es im ersten Moment etwas überraschend, dass kaum eines der Materialien speziell für den Koffer angefertigt wurde, sondern es sich eher um eine Sammlung von bereits vorhandenem Material handelt. Dies soll den Wert der Inhalte nicht schmälern, da sie einen wichtigen Beitrag für die medienpädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema liefern.
Der MEDIEN-KOFFER gegen RECHTS ist damit ein sinnvolles und brauchbares Werkzeug für Pädagoginnen und Pädagogen, die sich in verschiedenen Bereichen der Medienbildungsarbeit mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen wollen.
Swenja Wütscher: Gefühle sind Farben
Wie mache ich mein Kind sicher und stark? Helfen Sie mit diesem Hörbuch, Kinder vor Gewaltverbrechen und Missbrauch zu schützen. Sicher-Stark-Team Audio-CD, oomoxx media, 65 min., € 19,99.
„[…] Wut ist ein Gefühl, das wir Erwachsene zwar häufig bei Kindern nicht sonderlich schätzen, das aber in vielen Situationen durchaus hilfreich und nützlich sei kann. Gefühle sind […] Farben, sie sind weder gut noch schlecht“. Vielmehr geht es darum, wie mit diesen Gefühlen umgegangen wird. Gefühle an sich sind immer in Ordnung, lediglich der Umgang mit ihnen sollte angemessen sein und bedarf daher der Förderung von Gefühlswahrnehmung und -erkennung. Mit solchen und anderen Strategieansätzen werden speziell Eltern – im Grunde aber alle Personen, die mit Kindern arbeiten – angesprochen, um ihnen dabei zu helfen, ihre Kinder sicher und stark zu machen und in ihrer weiteren Entwicklung zu unterstützen: In welchem Alter sollten Kinder mit Gefahren überhaupt vertraut gemacht werden? Wie kann ich mein Kind effektiv schützen? Was mache ich, wenn mein Kind erpresst wird? Wie vermittle ich meinem Kind Selbstbewusstsein? Fragen über Fragen, denen sich das Elternhörbuch Achtung! Starkes Kind! – Wie mache ich mein Kind sicher und stark? unter dem Motto „Prävention statt Therapie“ annähert.
Gefahrensituationen werden simuliert, Übungsspiele für zu Hause angeregt, Eltern in ihrem Vorhaben durchweg gestärkt. „Dein Vater hatte heute Morgen einen Autounfall und ich soll dich von der Schule abholen, um dich ins Krankenhaus zu bringen. Deine Mutter ist auch schon dort und die warten alle auf dich. Komm, steig schnell ein, damit wir losfahren können.“ Es sind Beispiele, die beim ersten Höreindruck etwas altmodisch klingen, da sie mit demselben Wortlaut auch schon vor einigen Jahrzehnten auf der Tagesordnung standen. Allerdings sind sie in der Realität heute nicht weniger aktuell, im Gegenteil. Es gibt sie nämlich noch, die Maschen von damals, die bei Eltern längst in Vergessenheit geraten sind, mit denen sich aber auch heute Kinder noch locken lassen. Durch gezieltes Training, Gefahren zu erkennen, einen adäquaten Situationsumgang parat zu haben, gezielte Fragen zu stellen und richtiges Verhalten zu zeigen, soll unter anderem das Selbstvertrauen der Kinder gestärkt werden – aber auch das der Eltern, ihren Töchtern und Söhnen ein solches zu vermitteln. In 25 teils auch sehr kurzweiligen Hörbuch-Tracks – mit einer Gesamtlaufzeit von 65 Minuten – liefert Autor Ralf Schmitz, Trainer für Gewaltprävention, praxisorientierte Alltagstipps sowie Anregungen und Hilfestellungen.
Die Sozialinitiative Sicher Stark möchte mit diesem Konzept erreichen, dass Eltern ihre Kinder besser vor Gewaltverbrechen schützen und gegen Missbrauch stärken können, da Kinder, die sich wehren können und das Nein-Sagen gelernt haben, nicht so schnell Opfer von Gewaltverbrechen werden und wissen mit Übergriffen im nahen Umfeld besser umzugehen. Revolutionär sind manche der Ratschläge nun wirklich nicht, daher wirken so einige der Tracks etwas ausgelutscht. Allerdings ist es auch nicht die Absicht des Elternhörbuchs, neue Präventionsmaßnahmen vorzustellen, vielmehr geht es um eine Bündelung wichtiger – teils auch altbewährter – Strategien, um diese frisch ins Gedächtnis der Erziehenden zu rufen und den interessierten Hörerinnen und Hörern mit Trainingsratschlägen zur Seite zu stehen. Auch die sehr schlichte auditive Aufbereitung der einzelnen Tracks unterstreicht den inhaltlichen Schwerpunkt, wenn auch auf manch banale Bekräftigungsnebensätze gut hätte verzichtet werden können.
Die Abbildung einer weiblichen Figur auf dem Booklet sowie der CD wiederum hätte gerne um einen männlichen Gegenpart ergänzt werden können, um das Stereotyp, dass nur weibliche Kinder geschützt und unterstützt werden sollten, nicht unnötig aufzufrischen. Die eigentlich Botschaft des Sicher Stark-Werks bedarf allerdings keiner weiteren Worte: „Kinder sollen nicht nur sicher und stark [gemacht werden], sondern […] Stärken erfahren, von denen sie vorher noch nichts wussten.“
Michael Bloech und Markus Achatz: Perspektiven des Aufwachsens
Die unterschiedlichen Facetten des Heranwachsens, die Suche nach Identität und Orientierung, das Erleben von Sehnsüchten und ersten Enttäuschungen – in allen Programmsparten der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin fanden sich herausragende Produktionen mit Hauptfiguren in dieser Lebensphase. Im Wettbewerb beispielsweise Richard Linklaters Langzeitstudie Boyhood oder der österreichische Beitrag Macondo von Sudabeh Mortezai. Zwölf Jahre hat Linklater an Boyhood gearbeitet und dabei jedes Jahr einige Sequenzen gedreht, so dass die zunächst kindlichen Hauptprotagonisten real beim Aufwachsen begleitet werden.
Ein gewagtes und in dieser Form einzigartiges Unterfangen. Im Zentrum der Familiengeschichte stehen der Junge Mason – anfangs sechs Jahre alt, am Schluss ist er mit der High-School fertig – sowie seine Schwester Samantha und die Eltern (dargestellt von Patricia Arquette und Ethan Hawke). Linklaters Experiment ist gelungen, denn der 164-Minuten-Film ist nicht nur kurzweilig und humorvoll, sondern auch eine feinsinnige Sozialstudie über das Leben der texanischen Mittelschicht. Die Auffangsiedlung Macondo liegt zwischen Autobahn, Flughafen und Donauufer im Wiener Stadtbezirk Simmering. Regisseurin Sudabeh Mortezai, geboren in Ludwigsburg, aufgewachsen in Teheran und Wien, portraitiert anhand des elfjährigen tschetschenischen Flüchtlingsjungen Ramasan das Leben in dieser eigenen Welt hinter Blechzäunen und Kasernenmauern. Etwa 3.000 Asylsuchende aus 22 Ländern sind hier untergebracht. Überfordert von der Aufgabe, den fehlenden Vater in der Familie zu ersetzen und im Konflikt zwischen den Idealen und der Realität, befindet sich der muslimische Junge auf der Suche nach Antworten für seine komplizierte Lebenssituation. Die Kamera bleibt dabei konsequent auf Augenhöhe des Kindes.
Kinderfilme bei Generation: Eine Frage der Perspektive
Im Programmbereich GENERATION hat diese Perspektive bereits Tradition und die Sektion hat sich inzwischen zu einem echten Geheimtipp für Berlinale-Besucherinnen und -Besucher entwickelt. In diesem Jahr traten zwölf abendfüllende Kinderfilme bei Generation Kplus und 17 Jugendfilme bei 14plus in den Wettstreit um die Gläsernen Bären. Mit dem neu renovierten Zoo-Palast stand auch wieder eine renommierte und repräsentative Spielstätte zur Verfügung. Also konnte in den insgesamt gut besuchten Veranstaltungen gespannt darauf geblickt werden, was die Festival-Leitung um Maryanne Redpath diesmal aus aller Welt ausgewählt hatte. In Kplus war es zunächst ein wenig bedauerlich, dass sich das Programm mit seiner Auswahl teilweise vom kognitiven Entwicklungsniveau vor allem jüngerer Kinder entfernte. Das ästhetische Niveau der Filme war dagegen erfreulich hoch, aber in der Summe waren es leider eher Filme über Kinder und für Erwachsene. Mögen die fünf gezeigten Animationsfilme zunächst formal den Genre-Geschmack der Kinder getroffen haben, die Mehrzahl dieser Produktionen war jedoch sowohl von der Machart als auch vom Thema nicht für Kinder angemessen, teilweise sogar emotional überfordernd. Symptomatisch dafür war bereits der Eröffnungsfilm Lolou, l’incroyable secret (Loulou, das unglaubliche Geheimnis), der in der Exposition seine Protagonisten, einen coolen Wolf und ein lustiges Kaninchen, für kleine Kinder passend einführt, aber dann in der szenischen Folge mit einer überflüssigen Härte aufwartet. Auch das Grundthema von Loulou, ob es Kindern gelingt, die genetisch geprägten Determinanten durch eine positive Sozialisation zu überwinden, ist durchaus relevant, kann aber in der bedrohlich präsentierten Art und Weise für kleinere Kinder verstörend wirken. Leider setzt sich dieser Trend bei den Realfilmen teilweise fort. Finn, eine holländisch belgische Produktion über einen Jungen, der in Kontakt mit seinem verstorbenen Großvater tritt, behandelt damit ein Thema, von dem viele Kinder betroffen sind. Die Geschichte wird hier jedoch für Kinder nur schwer nachvollziehbar, da Traumwelt und Realität so miteinander verschmolzen werden, dass Kinder die Ebenen kaum differenzieren können. Die türkisch-deutschfranzösische Produktion Were Dengê Min (Folge meiner Stimme) kämpft mit ähnlichen Rezeptions-Problemen. Konkret geht es um ein kleines Mädchen aus einem einsamen Dorf in der Bergwelt Kurdistans, die eine Schusswaffe für ihren inhaftierten Vater bei seinen Verwandten in der weit entfernten Stadt organisieren möchte, um ihn aus dem Gefängnis auszulösen. Das komplexe politische Geschehen im türkischen Teil Kurdistans bleibt dabei nicht nur für Kinder unverständlich und die Oma des kleinen Mädchens gerät im Verlauf der Geschichte zunehmend in den Fokus der Story, das Kind wird zusehends zum schmückenden Beiwerk.
Kamera in Augenhöhe – Die Welt aus den Augen von Kindern
Dass es auch anders geht, beweist der indische Film Killa (Das Fort) von Regisseur Avinash Arun. Zu Recht gewann er als erster indischer Feature-Film überhaupt den Gläsernen Bären für den besten Film im Generation Kplus-Wettbewerb. Killa erzählt die Geschichte des elfjährigen Chinu, der mit seiner Mutter an einen neuen Wohnort in der Provinz Maharashtra ziehen muss. Nachdem Chinus Vater gestorben war und die Mutter beruflich versetzt wurde, müssen die beiden einen Neuanfang machen. Andere Umgebung, neue Schule, fremde Mitschülerinnen und Mitschüler – alles Herausforderungen, die der Junge zu meistern hat. Chinu geht die Aufgabe mit großer Neugier und ohne Vorbehalte an. Er trifft dabei auf eine Gruppe Jungen, die für den einen oder anderen Streich aufgeschlossen sind. In der Schule wird der Neue als begabter Schüler vorgestellt, was ihm unter den Gleichaltrigen den Spitznamen Stipendium einbringt. Avinash Arun hat Regie und Kamera geführt sowie das Buch geschrieben. Die Story basiert auf seinen realen Erfahrungen, denn auch seine Familie zog häufiger um. Kaum hatte er sich an den neuen Ort gewöhnt und Freundschaften geschlossen, kam der nächste Umzug. Die Berlinale Kinderjury war vor allem von den Kameraeinstellungen und der Leistung der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler beeindruckt. Ebenfalls stark auf die Perspektive von Kindern fokussiert war auch der deutsche Wettbewerbsbeitrag Jack, der in der Cross-Section von Generation Kplus lief. Die Produktion weist aus, was möglich ist, wenn sich Geschichte und Kamera ganz auf die Erlebniswelt eines Kindes konzentrieren. Regisseur Edward Berger wagt sich an ein radikales Experiment, so präsentiert er mit vehementer Geradlinigkeit ausschließlich die Geschehnisse seiner Hauptperson Jack, einem zehnjährigen Jungen, der sich um seinen kleineren Bruder Manuel kümmern muss, da die alleinerziehende Mutter auf Grund von Beziehungsproblemen und ihrer Arbeitssituation hoffnungslos überfordert ist. Nachdem das Gericht der Mutter das Sorgerecht entzogen hat und Jack in einem Jugendheim landet, verschwindet die Mutter und lässt Manuel das Wochenende über bei einer Freundin. Als die Mutter dann jedoch nicht mehr auftaucht und Jack im Jugendheim zudem eine Dummheit begeht, reißt Jack aus und macht sich zusammen mit Manuel auf die Suche nach der geliebten Mutter. Der Film schildert auf sehr ernste Weise ihre Suche nach Liebe und Geborgenheit. Dass all dies letztlich zum Scheitern verurteilt ist, aber nicht unbedingt das unversöhnliche Ende darstellen muss, zeigt Jacks Entscheidung am Schluss. Er übernimmt mit einem mutigen Schritt nicht nur die Verantwortung für seinen Bruder, sondern auch für seine gänzlich überforderte Mutter. Den beeindruckenden, erfreulich unsentimentalen Film trägt nicht nur die besondere schauspielerische Leistung von Ivo Pietzcker in der Rolle des in der Großstadthölle taumelnden Jack sondern auch die teilweise entfesselte Hand-Kameraarbeit von Jens Marant, der einen ohne Betroffenheitsheischerei mitnimmt auf eine alptraumhafte Odyssee durch ein hartes Stück Berliner Realität und dies ausschließlich aus dem Blickwinkel eines Kindes. Was damit insgesamt nach einfältiger Rührseligkeitsdramaturgie aus der Sichtweise von abgeklärten Erwachsenen anmutet, dokumentiert vielmehr eine Verschiebung der Perspektive auf die Wahrnehmung eines zehnjährigen Jungen. So gesehen war es vielleicht sogar bezogen auf die Adressaten des Films ein wenig unpassend, Jack im ‚Erwachsenen‘-Wettbewerb zu präsentieren, da er sich ausschließlich auf die Gedankenwelt und Gefühle eines Kindes konzentriert.
Coming of Age – Einfühlsame Geschichten bei 14plus
Eine komplexe, schwierige Mutter-Kind Beziehung steht auch im Vordergrund des prämierten Generation 14plus-Beitrags 52 Tuesdays von Sophie Hyde. Was als rein formale Idee der Dokumentarfilmemacherin Sophie Hyde begann, nämlich ein Jahr lang jeden Dienstag mit Laiendarstellerinnen und -darstellern nachmittags bis in die späten Abendstunden zu filmen, gewinnt durch den von ihr erst anschließend gewählten Inhalt eine sehr gefühlvoll packende Wendung und Dichte. Erzählt werden emotionale Brüche und Entwicklungen im Verlauf eines Jahres aus der Sicht des Teenagers Billie, die mit einer komplexen und für sie überraschenden Situation konfrontiert wird. Konkret geraten die Beziehungsstrukturen innerhalb Billies Familie völlig durcheinander, als die Mutter ihre geplante Geschlechtsumwandlung eröffnet. Ihr Leben im falschen Körper möchte sie durch massive medizinische Eingriffe und Manipulationen in neue Bahnen lenken. Damit jedoch verändert sich nicht nur die Körperlichkeit der Mutter, sondern wandeln sich auch die Entwicklungsprozesse der Tochter und die emotionalen Bindungen untereinander. Nach der Aussprache über die Entscheidung der Mutter entschließt sich das Mädchen, ein Jahr lang nur noch jeden Dienstagnachmittag ihre Mutter zu besuchen, um aus der Distanz heraus die Entwicklung zu beobachten. Erzählt wird daher nicht nur die dramatische Geschichte einer Gender-Transformation sondern auch die exzessive Suche nach Identität und sexueller Orientierung der 16-jährigen Tochter mit allen Tiefen und Höhen. Der anrührende und formal eigenwillige Film erhielt damit zu Recht als bester Film den Gläsernen Bären der Jugendjury bei der Sektion Generation 14plus. Eher sachte und ruhig hat die 34-jährige Regisseurin Inés María Barrionuevo ihren Film Atlántida (ebenfalls 14plus) inszeniert und dabei die Themen jugendlicher Identitätsfindung und vorsichtiger sexueller Orientierung an einen kleinen Ort irgendwo im ländlichen Argentinien verlegt. Die Geschichte spielt an einem einzigen heißen Sommertag im Jahr 1987. Die Hitze gibt das schleppende Tempo vor. Lucía ist schon früh unterwegs, um im Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen, später sitzt sie zu Hause in der Küche schwitzend über ihren Büchern, denn sie möchte unbedingt nach Buenos Aires auf die Universität gehen. Das wäre schon anstrengend genug, doch ihre jüngere Schwester Elena liegt mit Gipsbein im Bett und kommandiert sie permanent herum. Alle anderen treffen sich am Pool und reden nur darüber, wer wen geknutscht hat. Fast alle, denn es gibt noch Ana, die gerne Bücher liest und eigentlich bei Elena zu Besuch ist. Als Lucía genug von allem hat, schnappt sie sich das Auto ihrer Eltern und fährt mit Ana ins Grüne. Die beiden lassen sich treiben und wissen, dass sie Außenseiterinnen sind, aber gleichzeitig – jede für sich – etwas Besonderes. Eben nicht wie all die anderen. Atlántida ist geprägt von der Lethargie und Last eines heißen Sommers, öffnet dabei aber Räume für Sehnsüchte und sanfte Leidenschaft. Obwohl nicht jede Figur ausgefeilt und jeder Handlungsstrang schlüssig erscheint, wird das Publikum in den zähen Rhythmus des Tages mitgenommen und durch kleine Begebenheiten in die Sehnsüchte der Charaktere gezogen. Ausgefallene Perspektiven sowie fantastische Lichtstimmungen machen Atlántida zu einem besonderen Film.
Beeindruckende Bildästhetik, bedrückende Geschichten
Den großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhielt die belgisch-niederländische Produktion Violet. Ein Film, der in seiner Intensität auffiel. Im dokumentarischen 4:3-Format und in einer stilsicher an Videoclips und Kunstfotos erinnernden Ästhetik inszenierte Regisseur und Autor Bas Devos ein eindringliches Drama, das gleichermaßen fasziniert und beklemmt. Der 15-jährige Jesse muss miterleben, wie in einer verlassenen Einkaufspassage sein bester Freund erstochen wird. Der Schock des Mordes lähmt Jesse vollends. Er kann nicht eingreifen, nicht die fliehenden Täter verfolgen, seinem Freund nicht sofort zu Hilfe eilen. Dieser Augenblick verändert für Jesse alles. Der Film begleitet den Jungen beim Versuch, zu verarbeiten und am restlichen Leben ansatzweise teilzunehmen. Doch er bleibt mit seinen Schuldgefühlen und seiner Einsamkeit allein, auch wenn die BMX-Clique wieder vor der Türe steht und Jesse mitfährt. Die aufgeräumte Vorortsiedlung liegt unter einem erdrückenden Teppich des Schweigens. Weder Jesses Eltern noch die BMX-Gruppe können mit der Tragödie umgehen. Am ehesten behält Jesses Vater noch Anschluss zu seinem Sohn. Regisseur Bas Devos spielt mit den Elementen: Die Kamera zeigt Unschärfen, dunkle Felder, einzelne Sequenzen fließen ineinander oder sind wie Farbspiele, die manchmal wie in einem Rätsel in einer Totalen oder Halbtotalen aufgelöst werden. In einer festen Einstellung sehen wir Bäume in einem Wald. Immer wieder springen die BMX-Biker von unten ins Bild und verschwinden wieder. Einer nach dem anderen. Monotonie und Flow, Routine und Nervenkitzel. Die Loops der Biker laufen immer weiter. Die Tonspur des Films spielt eine eigene Hauptrolle, mal mit purem Lärm, mal durch erdrückende Stille. Den Beginn der Mordszene am Anfang sehen wir nur über die Überwachungsmonitore des Einkaufszentrums. Rein akustisch nehmen wir wahr, dass der Wachmann den Raum verlässt, worauf das Drama tonlos seinen Lauf nimmt. Als später Jesse mit der Clique ein Black-Metal-Konzert besucht, hören wir einen kompletten Track in voller Lautstärke, sehen aber nur die wogende Menge des Publikums. In den Gesichtern spiegelt sich die Lightshow der Bühne und entgegen des rasenden Tempos der Drums fährt die Kamera langsam an die Menschen heran bis ganz nah in Jesses Gesicht.
Nichtsehen und gesehen werden
Aus dem Programm der Sektion PANORAMA ragte der brasilianische Film Hoje eu Quero Voltar Sozinho (The Way He Looks) heraus. Der jugendliche Drang nach Unabhängigkeit steht hier im Zentrum. Im Falle von Leonardo ist damit aber eine ganz besondere Komponente verbunden, denn er ist von Geburt an blind. Mit seinen 15 Jahren möchte er endlich selbständiger sein und leidet zunehmend unter dem Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis seiner Mutter. Ganz entgegen der Bedenken der Eltern bemüht sich Leonardo um Informationen für einen Schüleraufenthalt in den USA. Nur seine Klassenkameradin und Freundin Giovana unterstützt ihn in diesen Bestrebungen. Beide sind seit vielen Jahren ein eingespieltes Team und hängen wie zwei beste Freunde ständig zusammen. Der neue Mitschüler Gabriel bringt in der Beziehung von Leonardo und Giovana einiges durcheinander. Leonardo ist von Gabriel auf ungewohnte Art fasziniert. Schließlich vertraut Leonardo Giovana an, dass er sich in Gabriel verliebt hat. Daniel Ribeiro hat einen behutsamen Film gemacht, der ganz nah an Leonardos Alltag bleibt, mit den ganz speziellen Sorgen und Schwierigkeiten des Jungen, jedoch in keinem Moment auf Mitleid abzielend. Die Hauptfigur wird als facettenreicher Charakter gezeigt, auf dem Weg zur Selbstfindung und beim Entdecken seiner Gefühle. Unaufdringlich, aber dennoch intensiv setzt Ribeiro die Tonspur ein, mit leisen Geräuschen oder dem Atem der Protagonisten. Wir treten als Zuschauer im wahrsten Sinne zurück, wenn in einer Sequenz Leonardo spät nachts auf einer Decke im Freien sitzt. Die Kamera entfernt sich von der Szene, als Giovana den Platz verlässt und Leo allein auf einer Wiese zurückbleibt, während die Geräusche der umliegenden Partyaktivitäten unverändert präsent bleiben. In einer emotionalen Szene bringt Gabriel Leonardo zu einem Song der schottischen Band Belle & Sebastian das Tanzen bei. „I feel like dancing on my own, where no one knows me, and where I can cause offence just by the way I look” heißt es da.
Lisa Klimesch: Von der Maus zum Elefanten
„Hallo, mein Name ist Calli Clever. Toll, dass du dich dazu entschlossen hast, das Tastenschreiben zu erlernen!“ So begrüßt Calli Clever, eine kleine grüne, giraffen-ähnliche Comic-Figur, alle Kinder auf www.tipptrainer-calli-clever.de. In Kooperation mit dem BMFSFJ sowie der Jugendschutz-Initiative Ein Netz für Kinder hat die Website Lernen für Kinder den Tipptrainer entwickelt, der Anfang 2014 mit dem Kinder-Online-Preis ausgezeichnet wurde. Er soll Kindern in erster Linie Spaß am Lernen vermitteln. Callis Freunde repräsentieren die Schwierigkeitsstufen des Trainings: Maus (‚Anfänger‘), Pinguin (‚Fortgeschritten‘), Affe (‚Ziemlich gut‘), Löwe (‚Fast-Profi‘) und Elefant (‚Tipp-Profi‘). Auf der Startseite findet sich neben der kurzen Einführung in den kostenlosen Tipptrainer ein ‚Lektionsbogen‘, auf dem jede erfolgreich abgeschlossene Lektion abgehakt und somit der eigene Lernfortschritt selbst dokumentiert werden kann. Außerdem stehen Tipps zum richtigen Sitzen und Dokumente mit Erklärungen und Arbeitsmaterialien zum Download bereit. Dann geht es weiter zum eigentlichen Tipptrainer: Die 25 Lektionen können je nach bereits vorhandenen Tipp-Fähigkeiten flexibel durchlaufen werden. Der Schwierigkeitsgrad ist an Figuren und Farben leicht zu erkennen. Das Design der Website wirkt vor allem durch die Tierfiguren und kleinen Animationen freundlich und einladend; auch das Layout ist durch seine Übersichtlichkeit und einfache Navigation sehr kindgerecht. Alle Aufgaben und Tipps liest Calli Clever laut vor. Lektion 1 beginnt mit der Grundstellung der Finger und den Buchstaben f und j. Die Übungen werden in einem kleinen, virtuellen blauen Heft präsentiert, darunter ist eine Tastatur abgebildet auf der die gesuchten Buchstaben farbig markiert werden – das erleichtert das Finden der Zeichen und das Tippen mit dem richtigen Finger.
Mit jeder Lektion lernen die Kinder neue Buchstaben, später auch Ziffern und Sonderzeichen, dazu. Zwischendurch geht es auch um Geschwindigkeit: Einfache Texte sollen mit Hilfe eines kleinen Metronoms in gleichmäßigem Tempo abgetippt werden. Die Reihenfolge von Tipp-Training, kleinen Spielen und Lockerungsübungen variiert in jeder Lektion – das sorgt für Spaß und Abwechslung! „Herzlichen Glückwunsch, gut gemacht!“ Am Ende jeder Übung zeigt Calli Clever, wie viele Zeichen richtig eingegeben wurden und motiviert zum Weitermachen. Dazu dienen auch die Sterne, die mit jeder abgeschlossenen Lektion gesammelt werden können, um später Spiele freizuschalten, stellen eine zielgruppengerechte Motivation dar. Am Ende jeder Lektion können die Kinder testen, was sie gelernt haben. Ein besonderes Feature sind die Übungen in der letzten Lektion für ‚Tipp-Profis‘: Hier sollen die Kinder das erlernte konkret anwenden. Sie sollen selbst einen Entschuldigungsbrief und eine Geburtstagseinladung verfassen. Calli Clever präsentiert hierfür neben einem Video-Tutorial, das die einzelnen Schritte genau erklärt, auch bunte Grafik-Vorlagen und Brief-Beispiele. Außerdem verrät er Tipps und Tricks zu verschiedensten Funktionen eines Schreibprogramms und hilft den Kindern bei der Formulierung ihres Briefs. Lerninhalte werden an vielen Schulen bereits nicht mehr ins Schulheft abgeschrieben, sondern in den Laptop getippt – die Beherrschung des 10-Finger-Systems stellt also schon jetzt nicht mehr nur eine nützliche Fertigkeit, sondern eine wichtige Schlüsselqualifikation dar.
Der Tipptrainer Calli Clever hat diesen Trend erkannt und führt Kinder ab sechs Jahren einfühlsam und spielerisch an das Tippen heran. Das Training vermittelt mit seinem bunten Mix aus Übung und kleinen Spielen jedoch nicht nur Schreibfähigkeiten, sondern auch Spaß am Lernen – Kindern wie Erwachsenen!
Swenja Wütscher: Auf den Hund gekommen
Er selbst, eine kalte Schnauze auf vier Pfoten, gilt als äußerst treuer Begleiter, doch seinen eigenen treuen Weggefährten hat Dackel Darius verloren. Besser gesagt hat das Schlappohr seinen Knochen selbst vergraben, hat aber nicht den blassesten Schimmer, wo auf dem Bauernhof sich sein Herzstück nun befindet. Glücklicherweise hilft ihm sein Freund Mops Moritz, den verschwundenen Leckerbissen wiederzufinden. Dazu lädt die interaktive Kinderbuch-Spiele-App Dackel Darius sucht seinen Knochen Vorschulkinder ein, Darius auf seiner Knochensuche zwischen Hühnerstall, Traktor und Pferdekoppel ebenfalls behilflich zu sein. Spielerisch lernen die Kleinen dabei die Welt eines Bauerhofs mit seiner vollen Tier-, Obst- und arbenpracht pädagogisch sinnvoll kennen. Sie erfahren beispielsweise, wo Milch, Eier und Wolle herkommen, dass Pferde den Menschen früher bei der Feldarbeit geholfen haben und was der Unterschied zwischen einem Hengst und einer Stute ist. Zudem sind fünf kleine Aufgaben in die Geschichte integriert, die das Gehörte bildlich abfragen. Die Konzentration, Sprach- und Hörmerkfähigkeit sowie die auditive Wahrnehmung werden dadurch unbewusst trainiert. Durch Farbund Positionswechsel der Geschichten- und auch Spieleelemente bei jedem Neustart wird zudem der Lerneffekt erhöht, die Aufmerksamkeit durch Neues aufrechterhalten und dem Auswendiglernen erfolgreich entgegengewirkt. Zwar besitzt die Kinderbuch-App dabei durchweg liebevoll-detaillierte Illustrationen, die durch gezieltes Einsetzen von einigen wenigen Animationen einer visuellen Überreizung vorbeugen und damit die Aufmerksamkeit nicht verteilen, die Bedienung der Anwendung verlangt Vorschulkindern allerdings eine zu große Portion Vorwissen oder zumindest eine Intuitionsstärke ab. So ist die Abbildung einer Hundehütte in der Menüzeile nur für versierte Nutzende selbsterklärend ein Home-Button, der zur Startseite der App zurückführt, und ein nach links beziehungsweise rechts gerichteter Dackel ein Zeichen für Vor- und Zurückblättern. Auch ist die Abbildung eines Hundes, welcher bei Berührung seine Sprechblase zwischen „WAU“ und „PSSST“ wechselt, auf der App-Startseite zwar niedlich, sie verlangt der Zielgruppe der Vorschulkinder aber sowohl eine eigentlich nicht unbedingt vorhandene Lesekompetenz wie auch eine gute Deutungskompetenz – „WAU“ bedeutet „App-Ton an“ – ab, ohne zumindest direkt akustische Unterstützung zu liefern. Diese Navigationsverwirrung durch zwar äußerst kreative, aber inhaltlich zu anspruchsvolle Symbole zieht sich durch die gesamte Anwendung und resultiert daher in der zwingenden Notwendigkeit einer – nicht vorhandenen – App-Bedienungsanleitung; teilweise übrigens auch für erwachsene Nutzende. Grundsätzlich sind die Ein- und Ausschaltfunktion der Erzählstimme sowie der Bilder- und Lesemodus der Kinderbuch-App dennoch besonders hilfreich, um beispielsweise gemeinsam die Bilder anzusehen und durchzusprechen oder die Geschichte als Gute-Nacht-Lektüre vorzulesen. Aber auch die Anwendung selbst kann sich hören lassen, da es erkennbar professionelle Sprecherinnen und Sprecher sind, die Dackel Darius und seinen tierischen Freundinnen und Freunden ihre Stimme geliehen haben.
Die Art ihrer Aufbereitung spricht dabei Jungen und Mädchen gleichermaßen an. Neben dem Geschichtenmodus – ob selbst gelesen, vorgelesen oder angeschaut – können die 19 vorhandenen Illustrationen je nach Altersstufe in einem separaten Spielemodus auch in zwei Schwierigkeitsgraden gepuzzelt werden; mit wahlweise sechs oder zwölf Puzzleteilen. Leider ist auch diese nützliche und sehr gute Auswahloption nur zufällig – oder gar überhaupt nicht – aufzufinden. Auch ist es in dem gut durchdachten Konzept der App zwar ein Herzensanliegen, die Merkfähigkeit zu trainieren, dennoch wäre es sinnvoller, die Instruktionen der Spiele würden während der Durchführung zum Nachlesen stehenbleiben, um unnötige Frustrationen zu vermeiden. Auch die Instruktionsvorgänge selbst könnten expliziter beschrieben sein. Neben der Anweisung „Hilf den Hunden durchs Maisfeld-Labyrinth zu laufen“ wäre beispielsweise eine Beschreibung, wie genau dies zu tun ist, hilfreich. Eine anderes Gimmick wiederum sticht aus der Anwendung positiv hervor: Zur Einübung von lokalen Präpositionen wie auf, neben, unter oder zwischen, ist auf jeder dieser Abbildungen nämlich zusätzlich noch eine Maus versteckt. Deshalb eignet sich die Kinderbuch-App auch zur Unterstützung sprachtherapeutischer und logopädischer Behandlungen.
Bei Dackel Darius sucht seinen Knochen wollen also Früchte und Tiere benannt, ein Labyrinth durchquert und Präpositionen zugeordnet werden, ohne dass Langeweile einkehrt. Erfolgreich. Denn mit den Abstrichen einiger, auch ernüchternder Eingewöhnungsminuten zur Bedienung, bietet die Kinderbuch-App ein erfolgreich gut durchdachtes Konzept mit emporragendem, pädagogischem Mehrwert auf allen unterschiedlichen Ebenen: im Erzählermodus, im Lesemodus und im Bildermodus ... vor allem durch (klitze-)kleine, interaktive Elemente, wie dem Belohnungspiepsen, das beim Auffinden der versteckten Maus auf den Illustrationen ertönt. Auch die angedachte Zielgruppe der Drei- bis Sechsjährigen wird – nicht nur durch die Hauptfigur eines Hundes, den sich besonders viele Kinder in dieser Altersgruppe wünschen – durch die Aufbereitung angesprochen, sei es nur durch kleine, versteckte Zusatzgeräusche und -Animationen, die erfahrene Kinder auf Bilderbuch-Bildschirmen suchen und auf diesem finden können. Dass die Anwendung nicht nur unter iOS, sondern auch unter Android läuft, ist ebenso eine Besonderheit, da die meisten Apps nicht für den Gebrauch auf einem Google-Smartphone ausgerichtet sind.
Diese Anwendung ist mit absolut identischen Versionen verfügbar für iPhone, iPod touch, iPad, Android-Smartphones und Tablet-PCs. Zu einem Preis von 1,79 Euro steht das Kinderbuch in den deutschen App Stores zum Kauf bereit. Angemessen sind diese Kosten unter anderem auch deshalb, da die Macherinnen und Macher von Dackel Darius den Hund up-to-date halten. Ein schönes, lobenswertes Update hat das Schlappohr auch bereits spendiert bekommen, Version 2.0. In dieser wurde unter anderem aus Rücksicht auf kleinere Nutzende die Swipe-Funktion deaktiviert, um ungewollten Seitenwechseln vorzubeugen.
Beitrag aus Heft »2014/01: Machtmittel Medien – Pädagogik ohne Macht«
Autor:
Swenja Wütscher
Beitrag als PDF
Elisabeth Jäcklein-Kreis: „Wer kein Internet hat, ist schon arm“
Medienprojekt Wuppertal (Hrsg.) (2013). Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche. DVD, 73 Minuten + 37 Minuten Bonusmaterial. Kaufpreis 30,– €, Ausleihe 10,– €, Preis V & Ö 50,– €.
Sascha, Erik, Aaron, Artur, Morris, Jannik, Dogus, Jan, Miriam, Charlotte, Aaron, Jonas – zwölf Jugendliche, zwischen 15 und 22 Jahren, die nichts gemeinsam haben. Außer das: Sie gehören zur Generation der ‚Digital Natives‘, Medien sind ein zentraler, für manche nahezu der wichtigste Bestandteil ihres Lebens und sie sind die Hauptfiguren der DVD Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche, die das Medienprojekt Wuppertal produziert und herausgegeben hat. Seit 1992 hat sich das Medienprojekt „Jugendvideoarbeit“ auf die Fahnen geschrieben, produziert Filme von und mit Jugendlichen, für Jugendliche – zu immer anderen Themen, auf immer andere Art, in unterschiedlichen Kontexten, aber immer mit den Themen, Ideen und vor allem aus der Perspektive der Jugendlichen selbst. Und so ist auch Andere Welten die blanke Enttäuschung für alle Bewahrpädagoginnen und -pädagogen, für Kulturpessimistinnen und -pessimisten, für alle Freundinnen und Freunde des überdimensionierten pädagogischen Zeigefingers und Drill-Instructors, denn es ist keine DVD, die Mediennutzung an den Pranger stellt und genau weiß, was Jugendliche ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ machen oder machen sollten.
Im Gegenteil. Auf dieser DVD setzen Jugendliche sich selbst damit auseinander, was ihnen wichtig ist, was sie an ihren Medien schätzen und was sie stört, sie erzählen von sich und ihren Erfahrungen, ziehen ihre eigenen Schlüsse und finden zu ihren eigenen Konsequenzen. Nicht weil sie müssen, sondern weil man sie lässt. Die beiden Hauptfilme auf der DVD beschäftigen sich mit Onlinegaming (Andere Welten) und sozialen Netzwerken (Schein & Sein). In je circa einer halben Stunde werden Jugendliche in ihrem Medienhandeln begleitet und haben Raum, darüber zu berichten. Die Kamera kommt nach Hause, ins Wohnzimmer, ins Jugendzimmer, bekommt Einblick in die Privatsphäre und das ‚echte Leben‘ der Jugendlichen und ist dabei, wenn Siege errungen und Niederlagen eingefahren werden, wenn Charaktere sterben und wenn Freunde miteinander kämpfen, wenn Partys verabredet, Facebook-Kontakte geknüpft und Partybilder belächelt werden. Und sie darf zuhören, wenn die Jugendlichen über sich und ihre Medien erzählen. Wenn sie berichten, wie lange sie täglich spielen (zwischen zwei und acht Stunden). Wenn sie darüber sinnieren, wann eine Sucht anfängt (wenn man keine Freunde mehr hat). Wenn sie reflektieren, was sie an ihrem Spiel fasziniert („Das Coole daran ist, dass du mit Freunden was machst und nicht alleine in deinem Zimmer hockst und spielst, dass du nicht alleine gelassen wirst … deswegen find ich Offline-Spiele auch nicht so interessant.“) oder wenn sie mit per Skype verbundenen Freunden die Katastrophe gerade noch abwenden können: „Mo, hilf mir mal!“ – „Wirst du grad bewusstlos?“ – „Ja, ich werd grad gefressen …“ – „Ja, dann sag doch was! Ey, Kollege, lass ihn in Ruhe!“
Die Kamera darf aufnehmen, wenn die Bilder für Facebook ausgewählt werden: „Man versucht ja über Facebook immer, sein Leben so gut wie möglich darzustellen und zu sagen: ‚Mein Leben ist voll geil.‘“ Sie schaut zu, wie soziales Leben funktioniert („Seitdem das mit WhatsApp so viel geworden ist, unternimmt man viel mehr mit anderen, weil man sich da verabreden kann.“) aber auch, wo soziales Leben leidet unter den neuen Möglichkeiten: „Bei Facebook ist es viel einfacher zu mobben, weil man nicht so schnell erwischt werden kann. Es ist mehr passives Mobben, man lädt Leute nicht in Gruppen ein oder liked etwas absichtlich nicht.“ Und sie sieht, wo die Jugendlichen selbst an Grenzen stoßen und ihre Kommunikation kritisch sehen: „Bei WhatsApp ist eh alles oberflächlich und gefaked, da erzählt man nichts Wichtiges (…) Was ich wirklich negativ finde, ist, dass Leute so like-geil sind und an Likes feststellen, wer fame ist und wer Opfer ist.“ Dabei sind die Filme aber an keiner Stelle beliebig oder platt – die Jugendlichen machen sich ernsthaft und ausführlich Gedanken und diese werden stringent, mit großer inhaltlicher Dichte und entlang einer logischen, inneren Dramaturgie dargestellt. Die Interviews sind mit Liebe zum Detail aufeinander geschnitten, die Gedanken der Jugendlichen werden veranschaulicht, ohne verniedlicht oder bloßgestellt zu werden und ihre Perspektiven finden ausgewogen Raum – mal bestätigen sich die Interviewten gegenseitig, mal widersprechen sie sich, aber nie scheint der Film vorgeben zu wollen, was ‚wahr‘ ist. Stattdessen wird ein Einblick gegeben in zwölf ganz subjektiv ‚wahre‘ Sichtweisen, denen man zustimmen darf, die man ablehnen darf, über die man nachdenken kann. Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erziehenden, die genau wissen, was richtig und falsch ist und nur nach dem passenden Material suchen, mit dem das auch in den Köpfen der ihnen anvertrauten Jugendlichen ankommt, sei deshalb dringend abgeraten von dieser DVD.
Wer aber mit Jugendlichen zu tun hat und ein echtes Interesse daran hat, zu erfahren, wie sie denken, was sie tun und womit sie sich beschäftigen, wer die Auseinandersetzung auf Augenhöhe schätzt und aushält und vielleicht mit einer Klasse, einer Jugendgruppe oder den eigenen Kindern ein ehrliches Gespräch suchen und beginnen möchte, ist gut damit beraten, eine gute Stunde Zeit zu investieren und einen erhellenden und spannenden Blick in die Lebenswelt seiner Zielgruppe zu wagen – Horizonterweiterung garantiert. Und das letzte Wort? Wer sonst sollte das in so einem Fall haben, wenn nicht die Jugendlichen selbst: „Meine Eltern sagen manchmal: ‚Mach das Ding aus‘ und dann sag ich: ‚Nee, ich muss zocken.‘“ Die DVD sowie alle Informationen zum Medienprojekt und deren Filmen gibt es unter www.medienprojekt-wuppertal.de/v_173
Beitrag aus Heft »2014/01: Machtmittel Medien – Pädagogik ohne Macht«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Tilmann P. Gangloff: Wie Filme entstehen
Bundesverband Jugend und Film (Hrsg.) (2012). Film: Wie geht das eigentlich? DVD und ROM-Teil.
Wer sich schon lange für Medienpädagogik engagiert, dem muss die Doppel-DVD Film: Wie geht das eigentlich? wie die Erfüllung eines langgehegten Wunsches vorkommen. Das umfangreiche Angebot übertrifft in Schrift, Bild und Ton alle Erwartungen: Es gibt praktisch keinen Aspekt rund um das Medium Film, den Autorin Rotraut Greune nicht erklärt. Der besondere Vorzug dieses Medienpakets ist seine Vielseitigkeit: Zu sämtlichen Themen gibt es Multimedia-Präsentationen und Arbeitsmaterialien, die sich größtenteils auf die mitgelieferten Filmbeispiele beziehen. Als besonders wertvoll für die medienpädagogische Arbeit erweisen sich die Multimedia-Präsentationen, deren Sichtungszeit allein schon über hundert Minuten in Anspruch nimmt. Hier wird unter anderem die Entwicklung eines Films von der Idee über das Drehbuch bis zur Produktion beschrieben. In mehreren Einzelbeiträgen wird erläutert, wie Film technisch funktioniert. Neben Schnitt, Ton und Tricks wird auch die Syntax des Films erklärt, und zwar stets anhand konkreter Beispiele. Auf diese Weise lernen die jungen Nutzerinnen und Nutzer anhand so unterschiedlicher Produktionen wie Das Sams und dem ARD-Märchen vom Tapferen Schneiderlein, warum es sinnvoll ist, eine Action-Szene schnell zu schneiden und in einer Liebesszene besser auf Schnitte zu verzichten. D
ie Erläuterungen werden stets kindgerecht vorgetragen, sind inhaltlich aber zum Teil derart anspruchsvoll, dass selbst gestandene Medienpädagoginnen und -pädagogen noch dazulernen können. Die zweite DVD bietet Making of-Berichte bekannter Kinderfilme. Ungleich ergiebiger für die medienpädagogische Arbeit ist allerdings der ROM-Teil dieser DVD, denn er enthält die Arbeitsblätter zu den Kurzfilmen auf DVD 1. Die Vorschläge richten sich an unterschiedliche Altersgruppen und bieten reichhaltige Anregungen für diverse Unterrichtseinheiten zum Thema Film. Die Unterteilung der DVD in einzelne Module erweist sich als ausgesprochen praktikabel, weil man sich als Nutzerin oder Nutzer auf diese Weise seine eigene Vorgehensweise zusammenstellen kann. Gerade der ROM-Teil beeindruckt zudem durch seinen Einfallsreichtum. Natürlich gehören das Basteln von Streifen- oder Daumenkinos zum kleinen Einmaleins der Einführung in das Medium Film, aber einige andere Vorschläge und Anregungen für die Unterrichtsgestaltung zeugen von großer Sorgfalt und der Liebe zum Detail, mit der das Medienpaket gestaltet worden ist. Ein Klick auf den entsprechenden Begriff genügt, und die DVD präsentiert einen Bastelbogen für eine Wundertrommel oder eine Kopiervorlage für ein Streifenkino. Die verschiedenen Unterrichtseinheiten erstrecken sich je nach Modul über zwei bis acht Schulstunden. Das Themenspektrum orientiert sich an den Multimedia-Präsentationen.
Für viele Aspekte stehen zusätzliche Arbeitsblätter zur Verfügung. Sehr nützlich sind auch die Hinweise auf weitere Materialien für den Unterricht, darunter Webseiten für Lehrkräfte, Sachbücher, Praxisleitfäden oder Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung. Herausgeber der DVD Film: Wie geht das eigentlich? ist der Bundesverband Jugend und Film (BJF). Sie erscheint im Rahmen der Reihe Durchblick. Unter diesem Sammelnamen veröffentlicht der BJF herausragende Kinder- und Jugendfilme für die nichtgewerbliche Auswertung. Informationen zum BJF sowie zur DVD und die verschiedenen preislichen Konditionen (Kaufpreis, Leihgebühren) gibt es unter www.bjf.info und www.durchblick-filme.de.
Beitrag aus Heft »2014/01: Machtmittel Medien – Pädagogik ohne Macht«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Rebekka Leimig: Wo ist Opas Unterhose?!
Tiny & Big in: Grandpa’s Leftovers. PC-CD-Rom für WIN/MAC. Hamburg: Crimson Cow, 14,99 €.
Lange wurde auf das von deutschen Indie-Entwicklern produzierte Spiel Tiny and Big in: Grandpa’s Leftovers gewartet. Nun ist es 2012 erschienen und fährt mit einer sowohl absurden wie auch spaßigen Story auf: Der kleine Held Tiny muss sich auf die Jagd nach seinem Gegenspieler Big begeben. Warum? Weil dieser mir nichts, dir nichts die Unterhose von Tinys verstorbenem Großvater gestohlen hat, um sie sich selbst auf den Kopf zu ziehen. Klingt ziemlich absurd, und es wird noch besser: Der Schlüpfer verleiht seinem Träger übernatürliche Kräfte. Mit Gedankenkraft hievt dieser riesige Felsbrocken in die Luft und schleudert sie gegen seinen Rivalen. Das kann Tiny natürlich nicht zulassen, die Jagd ist eröffnet. Tiny and Big in: Grandpa’s Leftovers ist ein Jump&Run-Spiel mit Puzzle-Elementen. Die Spielenden versuchen stets, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln den Weg zum Ende des Levels zu meistern, insgesamt gibt es sechs Level. Das Spiel startet mit einem Auto-Crash inmitten der Wüste. Tiny muss nun seine Habseligkeiten einsammeln, um sich auf die Jagd nach Big zu begeben. Mit Greifhaken, selbstgebauter Rakete und Allzwecklaser lassen sich die Umgebung verändern, Hindernisse überwinden oder versteckte Orte finden. Der Laser schneidet durch fast alle Level-Bausteine wie durch Butter.
Die Objekte haben dabei keine festgelegten Bruch- oder Schnittkanten; dort, wo der Laser mit gedrückter Maustaste angesetzt wird, wird das Ziel auch tatsächlich zerschnitten. Die Raketen funktionieren ähnlich wie Haftgranaten. Mit einem Klick klebt der Spielende ein Geschoss an einen Felsbrocken und mit einem zweiten Klick wird der Antrieb gezündet. Der Greifhaken bringt Säulen zu Fall oder hilft dabei, Objekte auf dem Boden hin und her zu ziehen. Vor einem Sturz in den Tod kann er einen aber nicht retten. Die Umwelt kann dadurch also so gestaltet werden, wie sie gebraucht wird. Deshalb ist bei diesem Spiel vor allem Kreativität und Einfallsreichtum gefragt, während der Held die ganze Welt mit seinen drei Werkzeugen komplett zerlegen und neu formen kann. Setzt der Spieler oder die Spielerin den Laser schräg an eine große Säule an, wird sie gemäß den physikalischen Kräften einstürzen. Für jedes Problem gibt es das passende Werkzeug und unzählige Lösungen. Genau das macht das Spiel auch so interessant: Es gibt nicht nur den einen goldenen Weg. Durch die große Freiheit beim Schneiden und die drei grundverschiedenen Werkzeuge, lässt sich jedes Problem auf eine Vielzahl von Arten lösen.
Ob im Spiel ein Schutthaufen aufgetürmt, eine Treppe aus der Wand geschnitten oder ein Balken als Rampe benutzt wird, spielt keine Rolle, wenn am Ende die nächsthöhere Plattform erreicht werden kann. Die einzige Brücke zur anderen Seite wurde vor lauter Freude am Lasern zerstört? Kein Problem: Es kann leicht ein neuer Weg geschaffen werden. Sehr gut umgesetzt haben die Entwickler auch das Tutorial: In GameBoy-Grün gehaltener Testumgebung wird erst mal der Umgang mit den drei Werkzeugen und der Lenkung erlernt. Das hat Stil und hilft beim Spiel unheimlich weiter. Gelungen ist auch der Look: Dieser erinnert an traditionelle Comics und Illustrationen. Alle Dialoge im Spiel werden im Sinne des Comicvorbildes über Sprechblasen geführt. So erhält der Spieler oder die Spielerin nützliche Tipps über die Sprechblasen von Tinys Rucksackradio. Besonderes Highlight ist der Soundtrack des Spiels: 15 Indie-Bands haben sich für das Projekt zusammengetan und einen tollen Musik-Mix produziert. Per Tastendruck ist es sogar möglich, zwischen den einzelnen Tracks hin- und herzuspringen.
Alles in allem ist Tiny and Big in: Grandpa’s Leftovers ein wirklich gelungenes Spiel. Das Tutorial führt gut in das Spiel und die verfügbaren Gadgets ein. Es regt die Fantasie, Kreativität und den Einfallsreichtum an. Mit nur wenigen Mitteln bewegt sich der Spieler oder die Spielerin fort und kann die Umgebung nach eigenen Wünschen gestalten. Dabei gibt es immer wieder neue Lösungswege, um zum nächsten Level zu gelangen. Bei diesem Spiel geht es nicht darum, mit möglichst tollen Waffen besonders harte Gegner zu besiegen. Sondern Spaß am Rätsel, kreative Wege und eine tolle Story und Aufmachung stehen hier im Vordergrund. Es gibt viele Speicher-Punkte, wodurch eine schnelle Frustration verhindert wird. Fällt der Spielende einen Abhang hinunter, kann schnell wieder am selben Punkt angefangen werden. Das Spiel ist ab sechs Jahren freigegeben, es sollten allerdings schon gewisse Fertigkeiten im Vorstellungsvermögen und bei der Lesekompetenz der jungen Spieler oder Spielerinnen vorhanden sein. Tiny and Big in: Grandpa’s Leftovers eignet sich aber durchaus nicht nur als Kinderspiel, sondern auch als Spiel für das Kind im Erwachsenen.
Beitrag aus Heft »2014/01: Machtmittel Medien – Pädagogik ohne Macht«
Autor:
Rebekka Leimig
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Swenja Wütscher: Zwischen Dschungel und Koboldhöhle
Bartl, Almuth/Birck, Jan (2014). Emil und Pauline auf Madagaskar. CD-ROM, Win8/Win7/Vista/XP/MacOS.München: United Soft Media Verlag GmbH, 16,99 €.
„Der Emil liebt Pusteblumen. Immer wenn er eine sieht, muss er sie anblasen – pffff …“ – und schon fliegen mitten im Abenteuerdschungel buntePusteblumenköpfe über den Bildschirm. Da die Lernsoftware Emil und Pauline auf Madagaskar aber Rechen-, Lese- und Schreibkenntnisse von Erstklässlerinnen und -klässlern vermitteln und vertiefen möchte, sind es keine einfachen Pusteblumen, sondern sie tragen Namen – um genau zu sein diverse nur teilweise existierende Substantive –, die per Mausklick sortiert werden müssen. Insgesamt acht unterschiedliche interaktive Lernwelten mit auditiven und visuellen Elementen birgt die CD-ROM, um Aufmerksamkeit, Feinmotorik, Gedächtnis und Logik sowie die Konzentration zu fördern. Aber nicht nur die Kinder lernen bei den Spielereien, sondern auch die Anwendung selbst: Alle Lernspiele passen sich nämlich – was sehr positiv zu erwähnen ist – automatisch den mathematischen, sprachlichen sowie feinmotorischen Fähigkeiten der Grundschülerinnen und -schüler an. Konkret finden die Spiele in zwei unterschiedlichen Welten statt, im Dschungel und in der Koboldhöhle. In Ersterem werden Lernziele verfolgt wie die Erweiterung des Grundwortschatzes, das Schreiben von Buchstaben, das Erkennen von sinnvollen Wörtern, das Blitzlesen häufiger Substantive sowie das Erkennen gesprochener Wörter. In der Koboldhöhle hingegen geht es um Mengenverhältnisse und geometrische Formen, das Lesen und Schreiben von Zahlen sowie die Addition und Subtraktion im Zahlenraum bis zehn bzw. 20.
Durch das direkte Feedback von Emil und Paulinewerden die Spielenden dabei nicht nur stetig motiviert, sondern auch effektiv trainiert. So wird beispielsweise jeder Spielfehler nicht nur unmittelbar kommentiert, sondern auch verbessert. Beim erstmaligen, fehlerfreien Beenden eines Spiels wartet zudem eine weitere Entlohnung: „Hut ab, du machst das echt gut. Zur Belohnung darf sich Maggy jetzt hier eine Fruchtpumpe mitnehmen. Die brauchen wir nämlich später bei unserem Belohnungsspiel“. In jedem der Spiele kann eine solche Fruchtpumpe erlangt werden, sie wächst sogar beim wiederholten makellosen Durchspielen bis zu einer Superfruchtpumpe an. Und schlussendlich – nach dem fünfmaligen Erlangen einer solchen – resultieren diese Pokale in einem Bonusspiel; genauer gesagt in zwei separaten Bonusspielen in Dschungel und Koboldhöhle. Die erfolgreichen Spielkinder werden also durch diese zum wiederholten Durchführen und damit zum Vertiefen der Aufgabeninhalte motivierend angehalten. Die bereits erlangten Fruchtpumpen, die auch optisch immer pompöser werden, sind in der jeweiligen Spielweltübersicht neben dem bisherigen Spielverlauf visualisiert. Allerdings ist das fehlerfreie Beenden der Spiele teilweise schwer zu meistern. So sollen in einer Lektion Substantiven richtige Artikel zugewiesen werden, der Begriff ‚Würfel‘ soll beispielsweise dem Artikel ‚der‘ zugeordnet werden. Die Zuordnung zum Artikel ‚die‘ wird in diesem Falle als falsch angesehen. Die Intention ist aus Sicht eines Fortgeschrittenen auch problemlos zu erkennen – für dieses Anfängerspiel wäre allerdings eine Auswahl an Wörtern, die im Plural gleich lauten und demnach auch anderen Artikeln richtig zuzuordnen wären, besser zu vermeiden. Alternativ wäre eine direkte Richtigstellung denkbar, die durch das erneute, differenziertere Erklären der Spielregeln realisiert werden könnte. Grundsätzlich werden die Spielenden auf leichtem Niveau in einem angenehm langsamen Tempo durch die CD-ROM geführt. „In diesen Nestern wohnen die Dschungelkobolde. Und die freuen sich immer über Besuch. Ja, wenn du auf ein Nest klickst, kommt der Kobold raus, der darin wohnt, und spielt mit dir.“
Obwohl es das zumeist intuitive Spielkonzept nicht bedarf, können die Spielanleitungen durch einen Klick auf die Protagonistenfigur auch wiederholt werden; dies müssen die Spielenden allerdings erst einmal selbst herausfinden. Auch wäre es teilweise angenehm, man könnte die zwar netten, aber nach einiger Zeit doch langwierigen Begrüßungen und Anweisungen überspringen. Wie es die Zielgruppe der Leseanfängerinnen und -anfänger verlangt, erfolgen die Spielinstruktionen durchweg auditiv, meist visuell unterstrichen durch das Bewegen eines Mundes der Protagonisten. Leider ertönen dabei wenig herzliche, unauthentische Computerstimmen. Auch kann die Wiedergabelautstärke im Spiel selbst nicht reguliert werden. Die kann nur durch die Shortcuts auf der Tastatur oder aber außerhalb des Spiels im Betriebssystem selbst justiert werden, was recht unhandlich ist. Sehr unvorteilhaft ist hierbei zudem, dass Emil und Pauline auf Madagaskar keine Spielunterbrechung erlaubt. Ist das Spiel, welches nur im Vollbildmodus gestartet und gespielt werden kann, einmal verlassen, muss es wieder von ganz vorne gestartet werden bei der Auswahl des Spielerprofils. Die separat anlegbaren Accounts für alle Spielerinnen und Spieler sind dabei wiederum sehr hilfreich und sorgen zudem für ein differenziertes Speichern an Schwierigkeitsgraden. Die Aufbereitung der Charaktere und 3D-Spieloberflächen jedoch lebt von der Liebe zum richtigen Detail. So konzentrieren sich die Abbildungen je nach Kontext auf das Wesentliche oder aber sie verbergen kleine Zusatzanimationen – wie das Rollen der Augen eines Tukans beim Klick auf diese –, die versiertere Spielerinnen und Spieler von heute hinter den Figuren teilweise auch erwarten. Auch die Gestaltung und Größe von Symbolen und Grafikelementen sind bei einer angemessenen Bildschirmgröße optimal gewählt.
Die Lernspiel-CD-ROM Emil und Pauline auf Madagaskar steigert also zusammen mit einem Eisbär, seiner Pinguinfreundin und kleinen Schönheitsfehlern auf abwechslungsreiche, kindgerechte, kreative Art – zwischen dem Zählen von Leuchtkäferpunkten, dem Wandern durch ein Labyrinth, dem Buchstabenschreiben am Nachthimmel und dem Lauschen eines Froschkonzerts – effektiv die Lernerfolge von Grundschulkindern – basierend auf neusten Erkenntnissen aus Pädagogik, Fachdidaktik und Psychologie. An das Spielentwicklerteam sei der Wunsch gerichtet, in den Spielablauf nach einer gewissen Zeit noch eine Empfehlung der Spielunterbrechung einzubauen. Auch wäre es hilfreich, die Spielenden würden in jedem und nicht nur in außerwählten Unterspielen sehen können, wie lange das Spiel noch andauert. Allen Spielenden sei schließlich empfohlen, in jedem Falle eine Computermaus anzuschließen, um die abverlangte Portion an Feingefühl nicht überzustrapazieren. Außerdem eignen sich die anderen Familienmitglieder, die zwei separaten iPad-Apps Emil und Pauline in der Höhle – Mathe Klasse 1 und Emil und Pauline im Dschungel – Deutsch für die 1. Klasse, um einiges besser zum Trainieren einer Touch-Bedienung.
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Autor:
Swenja Wütscher
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Cornelia Pläsken: Moldin, der Zauberlehrling
Loewenhardt, Niels (2012). Moldin. Woltersdorf: LOEVerlag. Audio-CD. 14,95 €.
Moldin ist ein Zauberlehrling, der auf der Drachenfarm von Meister Ranok lebt und ihm unterstützend zur Seite steht. Die Farm ist etwas ganz Besonderes, da sie mittlerweile die letzte Drachenfarm dieser Zeit ist. Moldins bester Freund ist Feurio, ein sprechender Drache und sein treuer Begleiter. Obwohl Moldin schon länger Lehrling bei Meister Ranok ist, hat er bisher noch keinen Zauberunterricht bekommen, sondern geht ihm bei alltäglichen Arbeiten zur Hand. Nach langem Warten ist nun endlich der Moment gekommen, dass Ranok Moldin in die Geheimnisse der Zauberei einweihen und ihn das Handwerk lernen will. Doch gerade jetzt wiederfährt der Farm großes Unheil: Die Farm wird niedergebrannt, alle Drachen außer Feurio sind tot und Ranoks Zauberbuch ist gestohlen worden. Der Meister äußert den Verdacht, dass der finstere Hexenfürst Loko hinter all dem stecken könnte, da der Drachenzauber aus dem Zauberbuch seine Macht vervollständigen würde. Daraufhin machen sich Moldin und Feurio im Auftrag von Ranok auf die Suche nach Loko, um ihn zu besiegen und das Buch zurückzuholen. Dabei begleiten den jungen Zauberlehrling allerdings Zweifel, da er bisher noch nie gezaubert hat und nun aber gegen den großen dunklen Herrscher kämpfen soll.
Auf der Suche nach Lokos Burg stoßen die beiden auf viele Hürden wie auch auf helfende Hände. Als erstes landen sie in einer Art Tropfsteinhöhle, in der sie auf die Hilfe eines kleinen friedlichen Grimmlings angewiesen sind. Anschließend finden sich Moldin und Feurio in einem salatartigen Dschungel wieder, in dem sie nach einem geheimen Ausgang suchen und diesen entschlüsseln müssen. Nach dieser Hürde machen die beiden mutigen Abenteurer eine kleine Pause, um zu essen. Doch dieser Frieden ist nur von kurzer Dauer – ein Mädchen fängt Moldin und Feurio ein und nimmt sie mit nach Hause. Dort stoßen sie auf Saya, die Großmutter des Mädchens, die sie wieder freilässt und Moldin in der Vorbereitung auf den Kampf unterstützen will. Saya erzählt Moldin und Feurio ebenfalls, was vor langer Zeit mit Loko passiert ist, dass er sich dem Bösen zugewandt hat. Die letzte Etappe zu Lokos Burg und in sein Labor hinein ist von weiteren Herausforderungen und weiteren hilfsbereiten Wesen geprägt. Moldin muss immer wieder seinen Mut und sein Selbstvertrauen unter Beweis stellen, besonders als er am Schluss dem mächtigen Loko gegenübersteht. Hilfsbereitschaft, Mut, Selbstvertrauen und Zusammenhalt sind Schlüsselbegriffe in dem Hörspiel Moldin.
Es gelingt den Sprechenden für die kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer eine zauberhafte Welt zu erschaffen, die alltägliche Ängste und Themen aufgreift. Es geht darum, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen, auch wenn diese noch nicht ausgereift sind. Man soll an sich selbst glauben und auf seinen Instinkt vertrauen. Diese Botschaft wird durchwegs im Hörspiel vermittelt. Doch nicht nur Selbstvertrauen ist wichtig, sondern auch der Zusammenhalt und die Hilfe von anderen Wesen in vermeintlich aussichtslosen Situationen. Moldin beweist, trotz seiner fehlenden Erfahrung, großen Mut und Stärke und zeigt, was man alles erreichen kann, wenn man an sich selbst glaubt. Untermalt wird das spannende Abenteuer von Musik, die den Charakter der einzelnen Situationen angemessen einfängt. Die Sprecherinnen und Sprecher hauchen dem Protagonisten sowie den anderen Geschöpfen Leben ein. Dabei ist es als Zuhörerin oder Zuhörer möglich mitzuverfolgen, wie Moldin nach und nach seine Ängste überwindet. Es wird deutlich, dass es nicht schlimm ist, sich vor etwas zu fürchten, weil das normal ist. Wichtig ist dabei nur, sich seinen Ängsten zu stellen und den Mut aufzubringen, sie zu überwinden. Begleitet wird das Hörspiel dabei nicht nur von passender Musik, sondern auch von einer sehr bildhaften Sprache des Erzählers, die die Fantasie anregt, sich die zauberhaften Welten wirklich vorzustellen. Moldin wurde 2013 mit dem Ohrkanus als das beste Hörspiel für Kinder und Jugendliche ausgezeichnet.
Die abenteuerliche Geschichte des jungen Zauberlehrlings und seines Gefährten erstreckt sich über drei Audio-CDs und eine Spielzeit von 168 Minuten. Zwar richtet sie sich an Kinder ab sechs Jahren, schafft es aber dennoch auch, Erwachsene in ihren Bann zu ziehen und Spannung aufrechtzuerhalten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass jeder von uns neuen Mut gebrauchen kann, um die Abenteuer und Herausforderungen des alltäglichen Lebens zu meistern.
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Autor:
Cornelia Pläsken
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ahoi, da gibt‘s was auf die Ohren ...
Lüttner, Kai (2012). Achtung, Milchpiraten. Lesung für Kinder mit Bürger Lars Dietrich und Leon Seibel. 1 CD, Laufzeit ca. 75 Minuten. Der Audio Verlag.Lagerfeuer. Würstchen. Milch. Piratensongs. Die Milchpiraten haben ihren ersten Ferientag und alles ist bereit für die Piratenparty des Jahres in Brunos Garten. Eine Party, wie sie nur echte Abenteurer feiern können, die mit allen Wassern gewaschen sind! Ohne langweilige Erwachsene (die das Lagerfeuer nur wieder verbieten) und nervige Mädchen (iiih). Besser wäre es gewesen, sie hätten sie auch ohne Bubi gemacht. Der kleine Tollpatsch bringt es nämlich fertig, sich nicht nur im Haus, sondern dort auch noch im Bad einzusperren und beide Schlüssel hintereinander die Toilette runter zu spülen. Jetzt schallt nicht mehr Aaargh mit drei ‚a‘, sondern stattdessen ein eher verzagtes Hiiilfe mit drei ‚i‘ durch das Piratenhauptquartier und die tapferen Kielratten stehen erst vor zwei verschlossenen Türen, dann außerdem vor einem herausgebrochenen Türrahmen, einem zersplitterten Treppengeländer, einem vollgebluteten Teppich, einer großen Beule an Tetjes Kopf … und insgesamt vor allerlei Schlamassel. Was tun als echte Helden? Bruno knurrt und macht krasse Karatebewegungen. Swanni macht Fotos. Der Mater-Kater Erwin maunzt. Schlaubi denkt komplizierte Sachen. Birk putzt eins ums andere Mal seine Brille. Aber das bringt doch alles nichts! Wie Bubi aus dem Bad und die Kuh vom Eis kommen, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten – klar ist, die Piraten brauchen ihren ganzen Mut, Grips und ein Quäntchen Glück, um diese legendäre Party heil zu überstehen, aber am Ende ist alles in Butter bzw. Milch und die Jungs haben sich als echte Piraten bewiesen!
Für alle Landratten, die nicht live dabei waren, gibt es die abenteuerliche Party zum Glück zum Nachhören, als Hörspiel. Bürger Lars Dietrich und Leon Seidel standen dafür vor den Mikros und bringen die Abenteuer von Oberpirat Matz und seinen Freunden nach Hause – Bürger Lars Dietrich als witziger, abenteuerlustiger Erzähler und Leon Seidel, der mit charmanter prä-stimmbruch-Stimme die Tagebucheinträge – pardon– das Freimaurer-Logbuch, Piraten-Pergament, die Abenteurer-Aufzeichnungen, Säbelwetzer-Erinnerungen, das Rabenschwarzen Schwarzbuch, die blutige Piratenkladde – nun ja – von Oberpirat Matz zum Besten gibt. 75 Minuten lang entführen die beiden Erzähler ihr Publikum auf die kleine, schweinsohrige (wie das Gebäck, nicht wie das Tier!) Insel Pong, wo Matz und seine Freunde ihre Abenteuer bestreiten. Diese Abenteuer sind zuallererst aus der Feder von Kai Lüttner geflossen – und, das sei als Schmankerl angemerkt, werden auf der CD von Lüttners etwa dreijährigem Sohn mit herzerweichender Krächzstimme angekündigt, die allein das Werk schon hörenswert macht. Und sie sind richtiger Abenteuer-Stoff für echte Milchbart- Helden. Charmante, nette, einzigartige Protagonisten, jeder mit seinen eigenen Stärken und Schwächen, ein großes Abenteuer, das gut genug ausgeht, um nicht zum Stoff für Albträume zu werden – für junge Zuhörerinnen und Zuhörer im Vorschul- oder jungen Grundschulalter bietet die CD viel zum Lachen und gebannt Lauschen, zum Mitfiebern und Identifizieren und zum Träumen von eigenen, piratenstarken Abenteuern.
Gerade weil sich so viele Helden in Brunos Garten tummeln, die alle unterschiedlichere Persönlichkeiten nicht sein könnten, können die jüngsten Piraten- Fans sich gut eingliedern in die Bande und ihren eigenen Platz finden. Zwar sind 75 Minuten für die junge Zielgruppe eine recht lange Zeit, wenn man ruhig sitzen und lauschen muss – das wäre den Milchpiraten sicher allesamt zu langweilig! Aber das Abenteuer ist in 27 mundgerechte Häppchen aufgeteilt und bleibt so auch viele Abende lang spannend. Für junge Hörerinnen und Hörer, allein oder gemeinsam, zu Hause auf dem Sofa oder in der Kuschelecke im Kindergarten – die Geschichte ist kurzweilig, witzig und kindgerecht, hat keinerlei Pädagogischen Nimbus und bietet trotzdem so viel, was die Jüngsten brauchen, um ihre ‚Großwerd‘-Fragen zu behandeln.
Identifikationsfiguren, Vorbilder, Spaß, ein Abenteuer in sicherer Umgebung … Wer die Milchpiraten nach der gemeinsam überstandenen Ferienparty ins Herz geschlossen hat, kann sie danach auch online besuchen ( www.diemilchpiraten.de ) oder mit ihnen oder ihren weiblichen Konterparts, der Mädelsbande Medels von der Insel Ping noch einige andere Abenteuer bestreiten – langweilig wird es mit den tapferen Gesellen bestimmt nicht. Was bleibt zu sagen? Klar: Aaargh! Mit drei ‚a‘.
Beitrag aus Heft »2014/01: Machtmittel Medien – Pädagogik ohne Macht«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Kati Struckmeyer: „Erste Regel: Mein Passwort bleibt geheim!“
„Hallo, ich bin Stefan und ich bin 9 Jahre alt. Ich bin seit zwei Jahren in der Medien-AG. Ich spiele gerne Computerspiele und erkläre euch jetzt mal, wie unser Blog funktioniert. Aber Achtung, der hat ein Pass¬wort, und das schützt uns und unsere Produkte. (…)“ Im Rahmen des Projekts Schulpartnerschaft fand im Juni 2013 ein Modellversuch statt: ein Elternabend, zu dem die Eltern mit ihren Kindern erscheinen sollten und der teilweise auch von Kindern moderiert wurde. Die Schulpartnerschaft ist ein Projekt des JFF – Institut für Medienpädagogik, unterstützt von der Castringius Kinder- und Jugendstiftung München. Im Rahmen des Projekts fanden innerhalb der letzten zwei Jahre an einer Münchner Grundschule eine kontinuierliche Medien-AG mit zehn Kindern, Fortbildungen für das Lehrpersonal und ein Eltern-Kinder-Abend statt, zu dem knapp 80 Eltern und Kinder kamen. Ziel dieses Abends war es, die Familien untereinander ins Gespräch über Medien, insbesondere das Internet, zu bringen, Diskussionsanlässe zu schaffen und das Wissen der Kinder, das sie sich innerhalb der AG angeeignet hatten, zu präsentieren. Den Einstieg in den Abend übernahm eine medienpädagogische Referentin des JFF, die Statistiken zur Mediennutzung von Kindern aus der aktuellen KIM-Studie präsentierte.
Bevor die Statistiken gezeigt wurden, mussten sich jedoch immer erst einmal alle anwesenden Kinder Fragen wie zum Beispiel, „Wie oft seid ihr im Internet?“ und „Wer hat einen Computer bei sich im Zimmer stehen?“, stellen – teilweise mit für die Eltern unangenehmem Ergebnis. Unangenehm, weil es doch oft mehr und anders war, als es vielleicht sein sollte. Damit waren sie auch schon mitten in der Diskussion: „Warum sollten Kinder im Grundschulalter noch keinen eigenen Internetzugang haben?“ „Wie kann man sie vor gefährdenden Inhalten schützen?“ und so weiter. Die Kinder bekamen die Gelegenheit, ihre Sicht und Bedürfnisse zu schildern, mussten aber auch damit leben, dass Reglementierungen nötig sind. Interessiert wurde von den Familien das vorgestellte Modell der Mediengutscheine aufgenommen. In diesem Modell erhalten die Kinder pro Woche eine bestimmte Medienzeit, die sie frei auf verschiedene Medien verteilen können. So können sie sich individuell in ein bestimmtes Medium vertiefen und lernen, mit der Zeit hauszuhalten und zu reflektieren, was ihnen am wichtigsten ist. Außerdem bietet die gemeinsame Reflexion viele Möglichkeiten für die Eltern, mit ihren Kindern über deren Medienvorlieben und -gewohnheiten ins Gespräch zu kommen. Als nächstes kamen die Kinder der Medien-AG an die Reihe. Sie präsentierten zuerst einmal die wichtigsten Regeln, die für das Internet gelten, umgesetzt in verschiedenen Medienprodukten.
Ein Comic zum Thema Passwörter, ein Puppet-Pals-Film über Beleidigungen im Netz und Trickfilme über das Urheberrecht und das Recht am eigenen Bild – auf unterhaltsame und kurzweilige Weise konnten hier auch die meisten Eltern noch etwas dazulernen. Dann wurden selbst erstellte Webseiten-Tutorials gezeigt: die Vor- und Nachteile von kommerziellen Spieleseiten spielaffe.de, der Sinn des Netzwerks seitenstark.de und die Funktionsweisen von Kindersuchmaschinen wie zum Beispiel blinde-kuh.de. Die Eltern notierten sich viele Seiten, von denen sie noch nie gehört hatten. Gemeinsam mit den Kindern wurden dann noch Kriterien für gute Internetseiten für Kinder diskutiert. Abschließend ging es um das Thema Apps: Zuerst wurden Nutzungszahlen und -gewohnheiten abgefragt, dann empfehlenswerte Apps von den Kindern der Medien-AG vorgestellt und über die Risiken von In-App-Käufen und Datenmissbrauch aufgeklärt. Auch hier zeigten sich die Eltern erstaunt über, aber auch sehr offen für die Erfahrungen der Kinder. Wichtig für das Gelingen eines Eltern-Kinder-Abends ist es vor allem, eine geradlinige Moderation zu gewährleisten, die dem roten Faden durch das Programm konsequent folgt und an den nötigen Stellen medienpädagogisches Fachwissen einbringt. Vor allem die Moderation zwischen Kindern und Eltern braucht Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
So muss beispielsweise darauf geachtet werden, dass Familien, bei denen ein hoher und relativ unreflektierter Medienkonsum deutlich wird, nicht bloßgestellt werden. Eltern, die eher bewahrpädagogisch vorgehen und sich provokant in einem solchen Setting zeigen, sollte man nicht ebenso begegnen. Stattdessen ist es klug, die Kinder in Antworten auf solche Verbotsparolen einzubeziehen, denn dann wird schnell deutlich, dass diese einfach an der Realität vorbei gehen. Lohnenswert an diesem Eltern-Kind-Modell war vor allem der aktive Part der Kinder, die ihre Medienprodukte präsentierten, in denen es um genau die zu diskutierenden Dinge ging. Das brachte noch einmal zusätzliche Lebendigkeit und Anschaulichkeit in die teilweise schwierigen und trockenen Sachverhalte. Wichtig war es hier, die Kinder sehr gut auf ihre Präsentation vorzubereiten, denn der Auftritt vor der eigenen Familie bedeutete noch einmal eine besondere Herausforderung.
Abschließend lässt sich sagen, dass es für alle Beteiligten ein sehr kurzweiliger, abwechslungsreicher und trotzdem informationsintensiver Abend war, im Gegensatz zu vielen Elternabenden, während derer nicht nur in der letzten Reihe ein schlafendes Gesicht zu entdecken ist.
Janina Strobel: Eine Zeitreise in die Vergangenheit
Jedes Land hat seinen eigenen historischen Hintergrund mit seinen eigenen Erfahrungen, Erfolgen und Fehlern. Dieser geschichtliche Wissensbestand wird an nachfolgende Generationen weitergegeben und unterschiedlich interpretiert. Dabei handelt es sich nicht um trockene historische Informationen sondern vielmehr um lebendige, erlebnisreiche, abenteuerliche, schicksalsreiche sowie traurige Ereignisse und Zustände in der Vergangenheit. Um Kindern solche geschichtlichen Hintergründe kindgerecht und für sie interessant zugänglich zu machen, informieren Kinderwebsites Mädchen und Jungen interaktiv über das Thema Geschichte. So zum Beispiel die Online-Plattform www.kinderzeitmaschine.de, die von KidsKulTour ins Leben gerufen wurde. Sie bietet Mädchen und Jungen Rubriken wie Zentrale, Zeiträtsel, A bis Z, Termine und Museen an, die ihnen beim Aneignen von geschichtlichem Wissen helfen. In der Zentrale finden Kinder Informationen zu Vorgeschichte, Mittelalter, Frühe Kulturen wie etwa zu Mesopotamien, Ägypten und China, zu Entdeckern, zur Antike und zur Neuzeit. Beginnen sie auf der Website eine Zeitreise durch Chinas Geschichte, werden mithilfe eines animierten Dialogs zwischen der Chinesin Fuzi und der Europäerin Lucy Aspekte der chinesischen Vergangenheit übermittelt. Anhand einer Karte, Lucys Wissensbox, einer Bilderleiste, die verschiedene kindgerechte Texte liefert, wie beispielsweise den Text zur Hemudu-Kultur am Jangtse, sowie dem Mach mit! Bereich, indem es verschiedene Bastel- und Backvorschläge wie beispielsweise das Rezept der chinesischen Glückskekse gibt, können Mädchen und Jungen geschichtliche Inhalte Chinas vertiefen und in einem Quiz ihr Wissen testen.
Ähnlich aufbereitet sind die Zeitreisen zu anderen Kulturen wie Mesoamerika. Zusätzlich gibt es unter der Rubrik Zeiträtsel ein Quiz, in dem verschiedene Fragen gestellt werden, wie: Was wird meist als Beginn der Französischen Revolution gesehen? Und womit jagte man in der Steinzeit? Die Online-Plattform vermittelt Kindern anschaulich und verständlich historische Hintergründe, widmet sich ganzheitlich dem Thema Geschichte und bietet vielfältige Möglichkeiten für Kinder, Geschichte zu entdecken. Positiv zu bewerten ist, dass die Website durch die Mischung aus kurzen aber liebevollen Animationsfilmen und kindgerechten Texten Abwechslung für die Jungen und Mädchen schafft und dass die Gestaltung den jeweiligen Epochen und Ländern angepasst ist. Und manchmal ist sogar eine Zeitmaschine zu sehen, wenn diese beispielweise in eine der Epochen mit passendem Geräusch fliegt. Sehr gut eignet sich die Online-Plattform für Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren. Ebenfalls an diese Altersgruppe wendet sich www.weimarpedia-kids.de, ein Angebot der Klassik Stiftung Weimar, die die Weimarer Geschichte behandelt. Auf der Startseite sind drei Frauen und zwei Männer zwischen einer grünen Wiese und einem blauen Himmel mit weißen Wolken zu sehen – historische Persönlichkeiten Weimars, sie, ihre Familien sowie wichtige Gebäude und Werke in ihrem Leben werden auf der Website vorgestellt. Bei einer der Frauen handelt es sich um Caroline Frederike Luise Schiller, die Tochter Friedrich Schillers. Mädchen und Jungen bekommen, sobald sie sie ‚anklicken‘, einen Einblick in ihr Leben sowie in ihre Familie. Sie werden über Friedrich Schillers Wohnhaus in Weimar sowie über seine Werke Der Handschuh und Die Räuber informiert und haben die Möglichkeit, ihr Wissen in einem Quiz unter Beweis zu stellen.
Dabei sind Der Handschuh, Die Räuber und Schillers Wohnhaus einzelne Rubriken, die neben anderen Bereichen unter Caroline Frederike Luise Schiller zu finden sind und als Bilder dargestellt werden, wie beispielsweise der Handschuh, wird er angeklickt, haben die Mädchen und Jungen die Möglichkeit, sich die Ballade auf hochdeutsch oder sächsisch vorlesen zu lassen, sich in einem Video ein etwa vierminütiges Puppenspiel der Wielandschule Weimar von 2009 zu Schillers Werk anzusehen oder sich Informationen über die sächsische Ballade anzuhören und diese innerhalb eines Textes mitzulesen. Im Bereich Die Räuber werden Kinder über Räuberbanden zu Schillers Zeit informiert, über das, was die Regierung dagegen unternommen hat und wie es den Räubern damals ergangen ist. Zudem wird Mädchen und Jungen die Geheimsprache der Räuber, das Rotwelsch vorgestellt. Einer der beiden Männer auf der Startseite ist Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Beschreibungen über seine Familie sowie Erzählungen über das, was er als Kind lernen musste, um später regieren zu dürfen, werden aus seiner Sicht erzählt. Alle Persönlichkeiten, die die Kinder auf der Startseite sehen, können sie anklicken und werden dadurch zur Vorstellung dieser Person weitergeleitet, wo sie zudem die Möglichkeit haben, weitere Rubriken zum Thema zu durchforsten. Schön ist, dass es in jeder dieser Rubriken nicht nur einen kindgerechten Text gibt, sondern, dass dieser auch angehört werden kann. Dies erleichtert es Kindern, die noch Mühe beim Lesen haben, den Inhalt des Textes zu erfassen. Eine weitere Website, die Kindern historisches Wissen näherbringt, ist der Bereich ‚Geschichte‘ auf der Plattform www.lernspass-fuer-kinder.de von Theiler & Theiler GbR.
Hier können Mädchen und Jungen im Bereich Geschichte zwischen den Rubriken Deutsche Geschichte und Zeitleiste wählen. Entscheiden sie sich für den Bereich Deutsche Geschichte, so bekommen sie Informationen über die Völkerwanderung und das Mittelalter, den Ersten Weltkrieg, den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, die DDR sowie über die Wiedervereinigung. Einen Film über die DDR können sie sich hier zudem ansehen. Calli Clever, eine niedliche grüne Tierfigur mit menschlichen Armen und Beinen, erklärt hier, wie die DDR entstanden ist, zu welcher Zeit es sie gab und wofür sie steht. Schön ist dabei, dass das Gesprochene in visuellen Darstellungen veranschaulicht wird. Die Rubrik Zeitleiste zeigt wichtige Ereignisse zwischen Null und 2006 wie die Krönung Karls des Großen zum römischen Kaiser im Jahr 800 und die Deutsche Wiedervereinigung 1990. Auch hier können die Texte nicht nur gelesen, sondern zusätzlich angehört werden und natürlich gibt es auch hier ein Quiz zu den vorgestellten Inhalten. Alle vorgestellten Websites eignen sich sehr gut, um Kinder für die Auseinandersetzung mit historischen Hintergründen zu motivieren und zu begeistern, aber auch für Mädchen und Jungen, die sich gerne selbstständig über geschichtliche Themen informieren möchten. Und vor allem die interaktiven Elemente, die auf allen drei Websites zur Genüge vorhanden sind, regen Kinder an, die Inhalte der Website zu erforschen und zu entdecken.
Markus Achatz: Nur Buchstabensuppe im Kopf
Bernd Sahling hat einen langen Atem – und das ist wichtig und gut. Wichtig, weil die Realisierung eines Kinderfilms in Deutschland – respektive dessen Finanzierung – ein schwieriges Unterfangen ist und große Ausdauer immer wieder mal ganz besondere Filme wie diesen hervorbringt. Und weil Bernd Sahling gerne in seinen Filmen genauer hinschaut und tiefer in individuelle Geschichten eintaucht. Gut, weil er ein hervorragendes Gespür für die Aufarbeitung aktueller Themen hat. In diesem Falle sogar mit großer Vorausschau, denn das Thema ADHS ist heute noch deutlich aktueller als vor zehn Jahren, als er begonnen hat daran zu arbeiten. Vor allem gut, wenn man weiß, dass es die Geschichte des zehnjährigen Sascha beinahe nie gegeben hätte, da der Filmemacher immer wieder auf Ablehnungen gestoßen ist, weil dies kein Thema für Kinder als Publikum sei. Kopfüber ist Bernd Sahlings zweiter langer Spielfilm. Seine Hauptfigur Sascha ist ‚verhaltensauffällig‘ und es wird erzählt, wie ein Betroffener und seine Umwelt darauf reagieren, wenn vieles nicht nach Plan läuft. Letztlich handelt die Geschichte auch davon, wie das Kind an den gesellschaftlichen Erwartungen leidet. Kurz gesagt: in Kopfüber geht es für alle ‚drunter und drüber‘ oder mit Saschas Worten beschrieben „wenn er lesen oder schreiben soll, hat er nur ‚Buchstabensuppe‘ im Kopf“.
Saschas Freundin Elli rät ihm, den Kopf eine Weile nach unten zu halten. Bernd Sahling macht seit Mitte der 1980er Filme, vornehmlich Dokumentationen. Darunter auch die Langzeitstudie über ein von Geburt an blindes Mädchen (Ein Lied für Anne, 1985; Im Nest der Katze, 1991; Gymnasium oder wir werden sehen, 1999) und zuletzt der dokumentarische Kurzfilm Ednas Tag (2009). Die Themenfelder Benachteiligung und schwierige Lebenssituationen im Kindesalter sind sein Hauptmetier. Erst 2004 hatte er mit Die Blindgänger sein viel beachtetes Spielfilmdebut und hierfür zahlreiche Preise gewonnen. Eine enge Verwobenheit von Realität und Fiktion zeichnet auch Kopfüber aus, denn Sahling war selbst mehrere Jahre als Sozialarbeiter und Familienhelfer tätig. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit hat er in Saschas Geschichte verarbeitet und den Hauptdarsteller in einer Betreuungseinrichtung für schwierige Jugendliche gefunden. Entstanden ist ein Film, der sperrig bleibt, sich einem kinderkinoüblichen Happy End verweigert, aber trotzdem unterhält. Vor allem setzt sich Kopfüber intensiv mit seiner Hauptfigur auseinander und fordert das Publikum zum weiteren Nachdenken auf. Sascha macht es sich und seiner Umwelt wirklich nicht leicht. Der Zehnjährige klaut, raucht, lügt und hält sich an keine Abmachungen. Er kann nicht richtig lesen und schreiben und kommt in der Förderschule überhaupt nicht zurecht. Die alleinerziehende Mutter (Inka Friedrich u. a. Sommer vorm Balkon, 2005; Blöde Mütze!, 2007) ist mit ihren drei Kindern völlig überfordert. Für Sascha, den Jüngsten, holt sie sich Hilfe vom Jugendamt. Frank, der Erziehungsbeistand (Claudius von Stolzmann) muss bald erkennen, dass Sascha eine ‚harte Nuss‘ ist.
Es kostet ihn viel Ausdauer und Kreativität, bis er allmählich Saschas Vertrauen gewinnt. Auf Franks Frage, ob Sascha auch mal etwas länger machen könne als zwei Minuten, antwortet der Junge: „Ja, rauchen. Dauert fünf.“ Nur in seiner heimlichen Reparaturwerkstatt für Fahrräder und wenn er mit seiner Freundin Elli (Frieda-Anna Lehmann) unterwegs ist, um Geräusche zu sammeln, fühlt sich der Junge richtig wohl und kann er selbst sein. In diesen Momenten hat er keine Probleme. Ansonsten zieht er den Ärger magisch an. Als eine Ärztin dann bei Sascha ADHS diagnostiziert und ihmTabletten verschreibt, scheint sich allmählich alles zu bessern. Für den Jungen, aber vor allem auch für seine Mutter, wirkt die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung zunächst wie eine Befreiung, denn Sascha ist nicht gestört oder kriminell, sondern hat eine Krankheit gegen die es Mittel gibt. In der Folge wird Sascha immer ruhiger und kann sich in der Schule mehr konzentrieren, doch die Medikamente und der Rhythmus der Einnahme verändern ihn. Elli fällt es besonders auf, dass da etwas nicht stimmt, denn Saschas Laune ist meist schlecht. Sie liest im Beipackzettel Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schlafstörungen und bringt es auf den Punkt: „Weißt Du eigentlich, dass Du nicht mehr lachen kannst?“Bernd Sahling moralisiert in seinem Film nicht, Saschas Verhalten wird nicht bewertet oder verurteilt. Mit dem Hauptprotagonisten bietet sich aber keine einfache Identifikationsfigur für ein junges Publikum an. Der Zugang ist schwer und die Zuschauerinnen und Zuschauer müssen sich erst auf den strapaziösen Sascha einstellen. Aber in der intensiven Freundschaft zwischen Elli und Sascha finden sich viele Anknüpfungspunkte.
Das spannende Hobby des Mädchens, durch Aufnahmegeräte Töne und Geräusche zu sammeln und diese zu Hause am Rechner weiter zu verarbeiten, fesselt und fasziniert. Von daher spielt auch aktive Medienarbeit eine wichtige Rolle in diesem Film. Aus den Geräuschen und Audiosamples entsteht ein einzigartiger Soundtrack, der eine ganz eigene Tonwelt bildet. Was Kopfüber besonders auszeichnet, ist die Tatsache, dass eine Benachteiligung – wie auch in den anderen Filmen Sahlings – nicht als etwas Schicksalhaftes und Unabänderliches gesehen wird, sondern als etwas Gestaltbares und Ausfüllbares. Und dass es für vieles auch Gründe gibt, wie mangelndes Vertrauen, prekäre Verhältnisse oder zu wenig Zeit füreinander zu haben. Wir müssen uns der Frage stellen, ob und wie schnell Kinder, die einer wie auch immer gearteten Norm nicht entsprechen, auf eine Förderschule geschickt werden, oder ab wann sie mit Medikamenten versorgt werden, die die Anpassungsprozesse beschleunigen sollen, aber darüber hinwegtäuschen, was tatsächlich fehlt. Am Ende steht auch im auf den Kopf gestellten Alltag Saschas kein abgeschlossenes oder gar fröhliches Ende, dafür aber eine Botschaft des Aufbruchs und dass man nicht immer alles als gegeben hinnehmen muss. Insofern kein einfacher Film, davon gibt es aber ohnehin genug. In jedem Fall empfehlenswert ist er für alle, die mit Heranwachsenden arbeiten und letztlich auch für Eltern.
Kopfüber startet nach zahlreichen Festivalteilnahmen am 24. Oktober in den Kinos.Kopfüber Deutschland 2012, 90 min Regie: Bernd Sahling Darsteller: Marcel Hoffmann (Sascha), Frieda-Anna Lehmann (Elli), Inka Friedrich (Saschas Mutter), Claudius von Stolzmann (Frank). Produktion: Neue Mediopolis Filmproduktion, Verleih: Alpha Medienkontor, Weltvertrieb: Arri Worldsales.
Eva Dirr und Gisela Schubert: Die gamescom 2013
Wer im August Lara Croft in Köln auf der Straße trifft oder neben Mario und Luigi in der U-Bahn sitzt, darf sich nicht wundern, schließlich findet die gamescom wieder statt und Köln wird zum Zentrum der Spiele-Welt. Mehr als 340.000 Menschen tummelten sich dieses Jahr zwischen dem 21. und dem 25.08. auf der größten Computer- und Videospielmesse der Welt. Mit einem Besucherzahlanstieg von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wurde ein neuer Rekord erreicht. Und nicht nur die Besuchertickets waren bereits im Vorverkauf komplett ausverkauft, sondern erstmals auch die Ausstellungsfläche.
Eine Messe nicht (mehr) nur für Gamerinnen und Gamer
Die Rekordzahlen zeigen, dass die gamescom immer mehr Menschen und somit auch eine immer breitere Zielgruppe anspricht. Games stellen heute vor allem in der jugendlichen Lebenswelt einen wichtigen Bestandteil dar und dies war auch auf der gamescom deutlich zu sehen. Während der Großteil der Messegäste zwar noch immer männlich war, nahm der Anteil der Frauen aber weiter zu – und dazu zählten nicht nur die Hostessen in ihren knappen Outfits. Die ESL (Electronic Sports League) beispielsweise, verkaufte in ihrem Fan-Shop bis vor ein paar Jahren nur Männer-T-Shirts, inzwischen macht der Anteil der Frauen-T-Shirts 40 Prozent aus. Auch die Ausstellerinnen und Austeller bauen immer mehr auf Frauen. Bei Instituten und Hochschulen, die für ihre Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Spieleentwicklung bzw. Game Design oder Game Development werben, wurde dies von unerwartet vielen Frauen übernommen. Dass ein gemeinsamer Messebesuch mit anderen mehr Spaß macht, zeigte sich in der Beobachtung, dass kaum jemand alleine in den Messehallen unterwegs war: Paare, Freunde oder Clans, erkennbar an gleichen T-Shirts, waren zwischen all den Ständen zu sehen. Und kaum jemand, der ohne eine der Tragetaschen und weiteren Giveaways der Spielehersteller nach Hause ging. Neben dem großteils jugendlichen Publikum, kam es aber durchaus auch vor, dass man Familien auf der gamescom begegnete. Der Sonntag, als letzter Tag der gamescom, wurde zudem als offizieller Familientag beworben, mit vergünstigtem Familienticket. Auch eine Kinderbetreuung hatte die gamescom im Angebot, dort war am Samstagnachmittag jedoch kein einziges Kind zu entdecken – dafür bot die Messe auch zu viel Programm: Neben den Ständen der Ausstellerinnen und Aussteller, die ihre Spiele(-neuheiten) oder Konsolen vorstellten, fand auch dieses Jahr wieder ein vielfältiges Rahmenprogramm statt. Die ESL, Europas größte Liga für Computerspiele, lockte beispielsweise mit ihren Star Craft II oder League of Legends-Turnieren Tausende von Zuschauerinnen und Zuschauern. In der outdoor area standen mit Beachvolleyball-Feld und Hochseilgarten zwar auch das Spiel im Vordergrund, jedoch nicht im Virtuellen. Ebenso im event level in Halle 10; dort gab es Angebote zum Zuschauen und Mitmachen, wie beispielsweise eine Elektro-Kartbahn oder Lasergame. Im Ausstellungsbereich Retro Gaming konnten alte Spieleklassiker auf Original-Konsolen gespielt werden. Einen Besuch wert war auch dieses Jahr das cosplay village. Zahlreiche Cosplayer (Cosplay = costume und play), die in die Rolle ihrer Lieblingsfiguren schlüpfen und sich wie diese kleiden und präsentieren, waren in ihren aufwändig gestalteten Kostümen zu bewundern und ließen sich im Foto-Bereich professionell ablichten. Und auch außerhalb des Messegeländes konnte man das gamescomfestival erleben, ein umfangreiches musikalisches Programm auf verschiedenen Bühnen in der Kölner Innenstadt, wodurch auch für Nicht-Messe-Besucherinnen und -Besucher die gamescom greifbar wurde.
Next Generation of gaming
Die gamescom 2013 stand unter dem Leitthema 'next generation of gaming' und konnte dieses Jahr gleich zwei neue Hardwareinnovationen bieten, die pünktlich zum Weihnachtsgeschäft im November auf den Markt kommen werden: Die XboxOne von Microsoft und die PlayStation4 von Sony, die auf der Messe für die Besucherinnen und Besucher zum Ausprobieren bereit standen. Diese bilden gemeinsam mit der Wii U von Nintendo, die bereits erschienen ist, die neue Konsolengeneration. Neben besserer Grafik und mehr Rechenpower, die alle neuen Konsolengenerationen mit sich bringen, bietet die PS4 die Möglichkeit das Spielgeschehen mitzuschneiden und zu veröffentlichen. Bei der XboxOne steht insbesondere die starke Verknüpfung mit einer Kamera im Fokus, die zum einen neue Steuerungsmöglichkeiten bietet, einen aber dafür ständig filmen muss – dies wurde bereits im Vorfeld heiß diskutiert. Inwiefern die Weiterentwicklungen im Hardwarebereich tatsächlich, wie es das Leitthema verspricht, neues gaming hervorbringt, gilt es zu beobachten und zu hinterfragen. Zudem wurden nach Angaben der Messeveranstalter 400 Spieleneuheiten vorgestellt. Darunter befanden sich vor allem Fortsetzungen erfolgreicher Spiele wie Call of Duty: Ghosts, Battlefield 4, Mario Kart 8, Sims 4 oder FIFA 14. Es gab jedoch auch Spieleneuheiten wie Titanfall oder das Actionspiel Destiny, das bei den gamescom awards gleich vier Auszeichnungen gewann, unter anderem 'Best of gamescom 2013'. Die Messegäste nahmen auch dieses Jahr wieder – einige von ihnen mit Campingstuhl und Konsole ausgestattet – für ein kurzes Spielvergnügen Warteschlangen von über vier Stunden in Kauf.
Medienpädagogik@gamescom
Institutionen, Initiativen und Projekte der Medienpädagogik und des Jugendschutzes waren auf dem gamescom campus vertreten, unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Team von spielbar.de, das Jugendforum NRW, der Spieleratgeber NRW, das Institut Spielraum, die Landesanstalt für Medien NRW in Kooperation mit klicksafe, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien oder die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Sie boten im Rahmen(-programm) der gamescom Veranstaltungen wie die Pädagogen-LAN an und waren damit häufig, aber nicht nur, Ansprechpartner für erwachsene gamescom-Besucherinnen und -Besucher. Gerade mit den interaktiven Events wie ‚live-Let’s-Plays‘ (Let´s Play bezeichnet das Filmen und Moderieren bzw. Kommentieren eines Spielerlebnisses, s. Tausend i. d. H.) war Halle 10 aber auch für junge Gamerinnen und Gamer ein guter Ort, um sich anders mit Spielen auseinanderzusetzen. Schwerpunktthema des diesjährigen gamescom congress war 'Digital Game-based learning'. Die Teilnehmenden erfuhren dabei am 22. August unter anderem wie digitale Spiele im Unterricht eingesetzt werden können und wo die Vor- und Nachteile gegenüber klassischen Lehrmethoden liegen. Der Kongress wurde dieses Jahr erstmals vom Land Nordrhein-Westfalen für Lehrkräfte und weitere Pädagoginnen und Pädagogen als offizielle Fortbildungsmaßnahme anerkannt. Die gamescom ist inzwischen im medienpädagogischen Bereich zu einem wichtigen bundesweiten ‚Branchentreffpunkt‘ geworden. Nicht nur auf der Messe, sondern auch außerhalb, wurden Kontakte geknüpft, sich ausgetauscht und gemeinsame Aktivitäten geplant. Dass die gamescom auch (gesellschafts-)politische Faktoren birgt und deren Reichweite nicht unbeachtet bleibt, zeigt sich auch dieses Jahr in der Präsenz der Piraten-Partei, die rund um die gamescom gegenwärtig war, sowie bei der Eröffnung der gamescom 2013 für das breite Publikum durch den Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Mittwochabend – der dabei auch selbst zum Controller griff.
Die gamescom 2013 – vielfältig, herausfordernd
Während unter den Gamerinnen und Gamern aufgrund der hohen Besucherzahlen auch einige negative Stimmen zu hören waren, stellt die gamescom ein Event dar, das durchaus auch für Nicht-Gamerinnen und -Gamer einen Besuch wert ist und spannende Einblicke in die Spiele-Welt gewährt. Mit all ihren Facetten bietet die Messe so viel Verschiedenes, dass hier für jede und jeden etwas dabei ist und sie sich auch als Familienausflug gut eignet. Wer sich ein eigenes Bild von der gamescom machen möchte und das Spektakel inmitten enormer Messestände mit riesigen Leinwänden und Audiobeschallungen, Games von klassisch bis spektakulär, zwischen Cosplayerinnen und Cosplayern in fantastischen bis furchterregenden Kostümen sowie neueste Technik-Innovationen und die ganz eigene Atmosphäre einmal selbst erleben will, sollte sich schon jetzt den Termin für nächstes Jahr eintragen: Zwischen dem 13. bzw. für die Öffentlichkeit zwischen dem 14. und 17. August 2014 findet in Köln die gamescom 2014 statt!
Swenja Wütscher: Arbeitsblätter, Linkliste, Lernmodule
„WWW steht für World Wide Web, das ist Englisch und bedeutet weltweites Netz. Hier gibt es viele Millionen Internetseiten aus der ganzen Welt und bei den meisten weißt du nicht, wer sie gemacht hat. Viele sind in anderen Sprachen, die du vielleicht nicht verstehst, andere sind für Experten oder Fans gemacht, manche sind seit Jahren nicht aktualisiert worden oder doppelt vorhanden, andere total langweilig. Es ist auch für Erwachsene schwierig, sich im Web zurechtzufinden. Nicht alles was im Internet steht ist wahr, du darfst nicht alles glauben, auch Bilder können täuschen oder gefälscht sein.“ Kinderzimmer sind Medienzimmer, doch auch bereits im Grundschulalter nutzen Kinder diese Medien nicht mehr nur noch zum Spielen. Am Computer beginnen sie beispielsweise sich im Netz zu informieren oder mit Hilfe von Web 2.0-Anwendungen zu kommunizieren; ob mit oder ohne Anleitung seitens der Familie oder pädagogischer Fachkräfte.
Die didaktische DVD Medien sinnvoll nutzen nimmt sich den Themen Mediennutzung, Regeln für Chat und E-Mail, sichere sowie unsichere Seiten und fiese Tricks im Web an. In einem elfminütigen Hauptfilm werden also Potenziale und Gefahren des Internets aufgezeigt. „Downloads können Geld kosten oder du kannst damit die sogenannten Urheberrechte von anderen verletzen. Schau her, ich erkläre es dir: Ein Urheber ist keiner, der eine Uhr hochstemmt, sondern einer, der beispielsweise ein Musikstück, ein Video oder ein Foto gemacht hat. Ihm gehören dann auch die Rechte am Foto. Nicht jeder darf es einfach so verwenden. Der Rechteinhaber muss gefragt werden.“ Das Abspielen des Lehrfilms kann wahlweise mit und ohne Untertitel erfolgen, allerdings ist die Dauer der Einblendungen nur für versierte Leserinnen und Leser adäquat. Die angedachte Zielgruppe der Grundschulkinder kommt bei dem Tempo keinesfalls beim Mitlesen mit; abgesehen davon ist zeitweise zu viel Text im bewegten Bild, das Halten der Aufmerksamkeit auf ein Element beziehungsweise den richtigen Fokus zu legen, wird dadurch enorm erschwert. Neben der einzelnen Kapitelauswahl im übersichtlichen DVD-Menü befindet sich Zusatzmaterial auf dem DVD-ROM-Teil: Pädagogischen Fachkräften stehen dort Arbeitsblätter in unterschiedlichen Bearbeitungsformaten zur Verfügung, um den kurzweiligen Film in Einzel- oder Teamarbeit mit wenig Vorbereitungszeit intensiv nachbereiten zu können.
Der Bogen, den dieses Arbeitsmaterial durch eingearbeitete, personalisierte Fragen spannt, ist äußerst positiv zu bewerten. Den Grundschulkindern wird dadurch spielend die direkte Thematisierung und Verarbeitung persönlicher Erfahrungen ermöglicht; mit Fokus auf negativ eingestufte Erlebnisse. Dass allerdings zeitweise mehrere Fragen auf einmal gestellt werden ist schade, da so Antworten leichter missinterpretiert und einzelne Fragestellungen unbeabsichtigt unbearbeitet bleiben können. Auch die parallele Verwendung der Begriffe Web und Internet birgt Verwirrungspotenzial. Während eine auch vorhandene Linkliste das Beschaffen von weiteren Materialien zudem vereinfacht, ist das spezifische Glossar nur eingeschränkt hilfreich. Inhaltlich schwankt das Niveau der Begriffserklärungen so stark, dass die eigentliche Zielgruppe – ob Grundschulkinder oder pädagogische Fachkräfte – des Dokuments nicht ersichtlich wird. Der Wortschatz selbst ist darin teilweise mit zu vielen Fremdwörtern versehen, „Grafikdateien konvertieren“, oder Bedeutungen werden zu umständlich formuliert, wie „eine zeitgleiche Kommunikation durch das Austauschen von Textnachrichten zwischen mindestens zwei Personen“. Einmal missfällt die Erklärung komplett, durch unspezifisch-unvollständige Beschreibungen: „Als digitale Medien werden elektronische Trägersysteme zur Informations- und Bildvermittlung bezeichnet. B
eispiele sind Digitalradio, digitales Fernsehen, Internet und Mobiltelefon. Den Gegensatz dazu bilden analoge Medien.“ Die analogen Medien werden nirgends weiter erläutert. So weicht das Zusatzmaterial in einzelnen Teilen stark von der Qualität des Lehrvideos ab. „Weißt du was ‚Downloaden‘ deutet? Das Wort ‚downloaden‘ ist Englisch und heißt ‚herunterladen‘, also etwas auf deinem Computerspeichern. Spiele, Musik, Klingeltöne fürs Handy, Videos, Bilder – du kannst viele Dinge im Internet herunterladen.“ Das Lehrvideo selbst nutzt seine Kanäle hervorragend aus. So werden Erklärungen wie auch Erzählungen durch das Bildmaterial nicht nur ansprechbar aufbereitet, sondernauch explizit hilfreich unterstützt, wie durch das Zeigen eines Downloadvorgangs in einfach nachvollziehbaren Schritten. „Es ist gut, für die Nutzung von Fernseher, Spielen, Handy und Computer klare Regeln in der Familie aufzustellen. Beispielsweise wie lange und was du im Fernsehen anschauen darfst oder wann du das Handy benutzen darfst. Oder wie lange und vor allem was du am Computer tun darfst – nicht alle Sendungen im Fernsehen sind für Kinder geeignet.“ Zusammenfassend ist das Grundschullehrmaterial, das seine Zuschauerinnen und Zuschauer mit ‚du‘ anspricht, auch durch seinen konsequenten ‚Sendung mit der Maus‘-Videostil ein empfehlenswertes DVD-Paket.
Didactmedia hat mit diesem erneut didaktisches Unterrichtsmaterial zusammengestellt, welches pädagogische Fachkräfte, Eltern wie auch Schülerinnen und Schülern für ein aktuell brisantes Thema liebevoll sensibilisiert und darüber aufklärt, ohne dabei Längen oder einen böse-erhobenen Zeigefinger aufzuweisen. Die medienpädagogische Nachhilfe ist übrigens für angemessene 48,90 Euro käuflich zu erwerben; einige kommunale Medienzentren halten die DVD sogar kostenfrei zur Sichtung bereit.
Gisela Schubert: [netbag] – Methodentasche zur Prävention von Online-Sucht
Für ein Thema schnell die passenden pädagogischen Methoden inklusive Material bei der Hand zu haben ohne selbst das Methodenrad neu erfinden zu müssen ist für pädagogische Fachkräfte in der Praxis oft die Krux. Die Methodentasche der Drogenhilfe Köln schafft Abhilfe und stellt mit der [netbag] – Methodentasche zur Prävention der Online-Sucht vielfältige Materialien zur Verfügung, die ganz unterschiedliche Facetten von Online-Sucht thematisieren und in Schulen, Jugendeinrichtungen und in der Elternarbeit eingesetzt werden können. Der Titel „Methodentasche“ ist nicht nur im übertragenen Sinn zu verstehen: Methoden und Material, in einheitlichem Design, stecken in einer stabilen und gut zu transportierenden Planentasche. Für den Einsatz in der Praxis ist auch die Aufmachung der Materialien gedacht: Kartensets auf festem Karton, in Kunststoffschubern oder Metallboxen, halten auch mehrfache Einsätze drinnen oder draußen aus. In der Tasche finden Fachkräfte Inhalte und Methoden für die Arbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen: Pädagoginnen und Pädagogen, die Eltern erreichen wollen, finden in dem umfassenden Handbuch [Eltern-Seminar] eine praktische Arbeitshilfe, die auf 80 Seiten eine Anleitung für eine mehrteilige erprobte Seminarreihe bietet. In vier Terminen mit je zwei Modulen geht es darum, Eltern und Erziehungsberechtigte zu informieren und ihnen alltagstaugliche Handlungsempfehlungen zu geben, beispielsweise zum Umgang mit Konfliktsituationen oder konkreten rechtlichen Fragestellungen.
Die durchführenden Fachkräfte finden im Handbuch außerdem hilfreiche Tipps bezüglich Rahmenbedingungen, der Zielgruppe und Vorbereitung. Zudem beinhaltet das Handbuch für jede Sitzung Erläuterungen zum Inhalt, Hintergrundwissen für die Referierenden sowie übersichtliche Methodenkarten die den Einsatz erleichtern, auf Hindernisse hinweisen und Varianten vorschlagen.Der vorgefertigte Vortrag [Virtuelle Welten], der sich an Eltern und Fachkräfte richtet, wird auf USB-Stick und DVD mitgeliefert. In der Präsentation wird Online-Sucht zwar differenziert betrachtet, häufig jedoch auch sehr plakativ dargestellt. Außer der umfangreichen Präsentation, werden Referierenden weitere Dokumente zur Verfügung gestellt: Tipps für den Vortrag, die Folien mit Notizenseiten sowie ein Reader der den ausformulierten Vortrag mit zahlreichen Beispielen und Hintergrundinformationen enthält. Insbesondere für Fachkräfte, für die Internet, soziale Netzwerke, Chatrooms und Games mit den sich dadurch eröffnenden Chancen und Risiken ein bekanntes Feld ist, stellt die Präsentation eine nützliche Arbeitshilfe dar. Im Film [THE NEXT LEVEL] der Regisseurin Lisa Wagner wird exzessives Spielen thematisiert – dies gelingt ohne drastische/erschreckende Bilder und ist daher auch für jüngere Altersgruppen geeignet. Die Verortung des Geschehens in den Schulkontext, lässt für Heranwachsende wie Erwachsene eine Orientierung bzw. Erinnerung an die eigene Lebenswelt zu und auch die Identifizierung mit dem Protagonisten zu. Der Film bezieht Stellung und zeigt die Problematik von Vielspielen jedoch ohne Vorverurteilungen vorzunehmen. Damit bleibt den Zuschauenden Raum, ihre eigene Position zu beziehen. Begleitmaterial zum Film, unter anderem Hintergrundwissen zur Entstehung, Unterrichtseinheiten für Filmbesprechungen, Anregungen für ein Filmgespräch sowie Fotokarten mit Stills aus dem Film, jedoch auch Basiswissen über Games ergänzen die Filmbox und geben Impulse/Hilfestellungen, die vielfältigen Ansatzpunkte des Film diskursiv und reflektierend aufzugreifen.
Darüber hinaus beinhaltet die [netbag] vier weitere Methoden für die Arbeit mit Gruppen von Jugendlichen: Die Box [Suchtverlauf] enthält Karten mit Beispielfällen, die die Entwicklung risikobehafteter Online-Nutzung aufzeigen. Die Beschreibung der Methoden gibt auch Vorschläge für Variationen und regt damit einen jeweils individuellen Einsatz an. [Nora am Mittag] ist an der Methode des Rollenspiels angelehnt und macht Online-Sucht zum Thema einer Talkshow. Die Teilnehmenden können in verschiedene Rollen schlüpfen, die eigene Perspektive verlassen und nachvollziehen, durch welche Beweggründe andere zu ihren Meinungen kommen. Das Karten-Set enthält unterschiedliche Fälle mit je vier Rollenkarten sowie je eine übersichtlich, zusammenfassende Moderationskarte. Innerhalb der Rollenbeschreibungen liegt der Fokus stark auf problembehafteten Aspekten, aus den vorgegebenen Rollen heraus werden kaum Impulse für eine konstruktive Lösung der inszenierten Konfliktsituation gegeben. [Facts und Fiction] ist ein Kartensatz mit dem die Nutzungsmöglichkeiten von Medien und deren Suchtpotenzial thematisiert werden können. Die Fotos sind zum Teil uneindeutig und regen bereits damit Austausch und Diskussion an. Auch hier werden Alternativen für den Einsatz vorgeschlagen.Das Online Quiz[Net Generation] geht das Thema kreativ und spielerisch an.
Es basiert auf der Spielidee der Fernsehsendung Der große Preis und kann mit bis zu 40 Personen gespielt werden. Einerseits stecken in den Quizfragen Informationen über Risiken und Suchtgefahren des Internet, gleichzeitig sind die Spielerinnen und Spieler aufgefordert in Teams zu kommunizieren und zu kooperieren. Für richtig beantwortete Fragen zum Thema Online-Sucht gibt es Bonus-Punkte. Die Methodentasche bietet Fachkräften, die die Risiken exzessiven Internethandelns präventiv angehen wollen, eine gute Auswahl an unterschiedlichen Materialien, die sich an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientieren und auch mit wenig Vorbereitungsarbeit schnell einsatzfähig sind. Über die Herausgeber, die Drogenhilfe Köln gGmbH, kann die [netbag] erworben (422,65 €) oder geliehen werden.
Swenja Wütscher: Gelee auf Erdnussflips
„Gute Nacht Agnes, gute Nacht Margo, Sekunde, Sekunde, was soll das werden – wem schreibst du da?“ „Keinem, ich schreib bloß an Avery.“ „Aaaavery, A … Avery? … Was für ein Name ist das – für Mädchen oder für Jungen?“ „Ist das wichtig? „Neeein, nein, ist nicht wichtig – außer, es geht um ein Jungen.“ Gute-Nacht-Geschichten, Kindergeburtstage und erste Verehrer – seitdem der Superschurke Gru sein Bösewicht-Dasein an den Nagel gehängt und die Waisenkinder Margo, Edith und Agnes adoptiert hat, ist das Leben des liebenden Familienvaters ruhigergeworden. Schattenseiten birgt es zwar noch immer, doch statt Pläne zu schmieden, wie er die Weltherrschaft an sich reißen könne, versucht Gru sich nun als seriöser Chef einer Konfitüren- und Geleeproduktionsfirma. Allerdings mit Betonung auf ‚versucht‘, denn sein Endprodukt ist scheußlich, wie seine beliebt-berüchtigte Minion-Armee eindeutig bestätigen kann. Dazu gibt es jetzt auch noch einen Gru-Nachfolger, einen neuen, einen anderen mysteriösen Superschurken, der besiegt werden muss und dafür braucht eine gewisse Geheimorganisation Fachkenntnisse, und zwar von keinem Geringeren als Gru höchstpersönlich: „Wir sind die Anti-Verbrecherliga, die sich dem Kampf gegen das weltweite Verbrechen verschrieben hat. Ein neuer Schurke ist aufgetaucht, als Ex-Schurke wissen Sie, wie ein Schurke denkt und handelt, deshalb haben wir Sie hierher bringen lassen. Ich bin der Direktor der Liga, Silas Ramspopo.“
Durch den tatkräftigen Einsatz der Top-Agentin Lucy wird Gru ganz gegen seinen Willen ein Unterfangen unterbreitet, dass seine neuerlangte Idylle über den Haufen werfen würde. Wenn auch sehr zögerlich, so willigt der ehemalige Schurke letztendlich ein und macht sich voller Eifer auf die Jagd nach jenem Bösewicht – natürlich wieder in Zusammenarbeit mit seinen treuen Minions. Seinen neuen Auftrag aber auch noch mit der Erziehung seiner Adoptivtöchter in Einklang zu bringen, erweist sich als große Herausforderung. Als Gru dann auch noch bemerkt, dass er und diese Lucy auch fernab von Verbrecherbekämpfungen ein Dream-Team sein könnten – ist die Überforderung des einstigen Einzelgängers perfekt. „Hey, was ist los?“ „Och, gar nichts, gar nichts ist los. Ich entspanne hier, mit dem Tortilla-Hut, und ziehe mir Guacamole rein.“ „Gru, bitte, diesen Gesichtsausdruck kenne ich nur zu gut. Dahinter steckt ein gebrochenes Herz.“ „Woran haben Sie das gesehen?“ „Glauben Sie mir, mein Freund, ich habe selbst so manche Nacht versucht meinen Kummer zu ertränken, in Guacamole.“ Nach ihrem großen Erfolg als siebterfolgreichster Film im Jahr 2010 haben sich Pierre Coffin und Chris Renaud schnell einer Fortsetzung gewidmet. Um es aber gleich vorweg zu nehmen, mit Ich, Einfach Unverbesserlich 2 können sich die Regisseure leider nicht mehr in der Liga ihres unverbesserlichen Universal-Animationsdebüts einreihen. Das erneut verantwortliche Duo verliert nämlich leider auf der Strecke zum erneuten Minion-Blockbuster eine Stärke des ersten Teils, die berührende Geschichte und das Herz.
Dass Al Pacino – obwohl er mit dem Einsprechen seiner englischsprachigen Bösewicht-Rolle bereits deutlich fortgeschritten war – schlussendlich wegen kreativer Differenzen abgesprungen ist, spricht wohl bereits deutlich für sich. Auch haben Steve Carell im Original und Oliver Rohrbeck in der deutschen Fassung ihre Rolle als Schurke zwar wieder übernommen, aber der fröhlich-ambitioniert-verliebte Papa der guten Seite kommt eindeutig nicht an den schräg-kurios-lustig-griesgrämigen Anti-Helden-Schurken von damals ran. „Ich habe soeben einen neuen Job angenommen.“ „Wow, wirklich?“ „Ja, ich wurde nämlich angeworben von einer strenggeheimen Organisation. Ich soll undercover ermitteln und die Welt retten.“ „Echt, du bist ein Spion?“ „Gaaaanz genau, Babe. Gru ist wieder am Start mit Technikzeug und Waffen und coolen Autos. Da fehlt nichts.“ Visuell geht das Konzept hingegen vollends auf, durch die unglaubliche Liebe zum Detail. Immer und überall gibt es selbst in den hintersten Leinwandecken großartige Action zu entdecken wie beispielsweise bei Agnes‘ Geburtstagsfeier, bei der selbst für das erwachsene Publikum Kinderträume wahr werden. Der trendige 3D-Effekt, der ganz selbstverständlich auch über diesen Film gelegt worden ist, ist bei diesen prächtigen Bildernallerdings absolut überflüssig; räumliche Tiefen und Popouts erscheinen sowieso nur selten. Im Abspann wird das verschenkte Potenzial dann am deutlichsten, wenn die Dimensionen in Bonusszenen ihre Wirkung in vollster Pracht auskosten; schade und selbstironisch zugleich. Aber da sind ja noch die unwiderstehlichen Nebenfiguren, die geradegebogenen Erdnussflips, die klein-gelben Latzhosenträger, die wahren Protagonisten: die Minions. Und genau hinter diesen verbirgt sich auch diesmal wieder das Erfolgsgeheimnis des Films. Denn auch diesmal tragen sie wieder die schmerzhaftesten Unglücke mit einer unvergleichlich-störrischen Gelassenheit und interpretieren mit ihren unverständlichen Lauten italienische Schmusesongs und amerikanische Evergreens mit unnachahmlich-grandiosen Performances.
Die Songelemente sind es übrigens auch, die mit ihrer kurz-episodischen Taktung die Handlung stetig pausieren lassen und so die Animationskomödie kindgerecht aufbereiten, während die inhaltliche Klassik der Musik auch Erwachsene überzeugt und weiter in den Bann zieht. Leider wird die Unterhaltung der Großen in der eigentlichen Handlung gelegentlich überstrapaziert, so dass bei den jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern Fragezeichen im Kopf entstehen, wenn sich beispielsweise Gru aus im Plot selbst unausgesprochenen Gründen eine komplette Szene lang nicht traut, seine heimlich Angebetete anzurufen. Der FSK 0 tut dies keinenAbbruch, es sorgt lediglich für Klärungsgespräche zwischen Kindern und Erwachsenen während der Vorstellung. Da die Minions im Zwischenteil aber sowieso aus obskuren Gründen von der Bildfläche verschwinden und damit der Handlungsprozess einfällt – dem Kreativteam scheint zu den drei Kindern nicht mehr viel Neues eingefallen zu sein –, bleibt dafür zumindest ausreichend Gelegenheit. Ich, Einfach Unverbesserlich 2 bietet also seiner Fangemeinde um die Minions eine zweite, großartige Kult-Komödie, wenn diese sich stets eifrig abrackern und regelmäßig eins auf die Mütze bekommen.
Die Agentengeschichte an sich sorgt allerdings mit seinen 100 Minuten Laufzeit nur für einen netten Familienausflug. Für das Jahr 2014 scheint das Produzententeam von Universal Pictures die bessere Lösung vorzubereiten, denn dann werden die gelben Tollpatsche ihre ganz eigene Bühne erhalten in Despicable Me: Minions Spin-Off. Dann vermutlich höchst erfolgreich, ganz ohne dass eine Liebesgeschichte oder James Bond-übertrumpfendes Equipment aufgefahren werden müssen.
Laura Bullwein: Mobbing im Netz – der anonyme ‚Kick‘
Cybermobbing. Eine Filmreihe (2012). Medienprojekt Wuppertal. 180 Min., freigegeben ab 12 Jahren. Kaufpreis 39 €, Ausleihe 10 €.
Cybermobbing ist im Leben junger Mädchen und Jungen oft keine Seltenheit mehr: Kinder und Jugendliche die mit dem Internet als fester Bestandteil ihres Lebens aufwachsen, erfahren immer häufiger Verunglimpfungen, Drohungen, Bloßstellungen und Demütigungen im Netz, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Die Formen von Cybermobbing sind dabei sehr unterschiedlich: Soziale Netzwerke wie Facebook, Videoplattformen wie Youtube oder Handys mit Anwendungen wie WhatsApp stellen neben ihren Vorzügen für junge Nutzerinnen und Nutzer auch die Gefahr dar, Cybermobbing ausgesetzt zu sein. Die Kränkungen können mittels verschiedenster Methoden stattfinden, was in der vorliegenden Dokumentarfilmreihe des Medienprojekts Wuppertal deutlich wird.Die Filmreihe wurde mit betroffenen Jugendlichen im Alter von zwölf bis 18 Jahren aus verschiedenen Schulen, hauptsächlich jedoch in Wuppertal, durchgeführt. In den elf Kurzfilmen, die im Schnitt zehn Minuten dauern, werden unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Expertenmeinungen zum Thema Cybermobbing herausgestellt. Die ersten acht Kurzfilme beschreiben Situationen von Jugendlichen, die selbst Erfahrungen mit Cybermobbing – als Täter oder als Opfer – gemacht haben. Dabei werden ihre Erlebnisse von den betroffenen Jugendlichen selbst nachgestellt und anschließend anhand von Interviews von ihnen kommentiert.
Einzelne Kurzfilme bestehen ausschließlich aus Befragungen von Schülerinnen und Schülern zu Erfahrungen mit der Thematik. Mittels der Interviews werden die Gefühle und Motivationen von Betroffenen und Tätern greifbarer. Die unterschiedlichen Facetten von Cybermobbing lassen sich durch die jeweiligen Situationen deutlich erkennen, was dabei hilft, den Begriff ‚Cybermobbing‘ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen zu fassen. Das Augenmerk für heikle Online-Aktivitäten wird auf diese Weise geschärft, da sich Cybermobbing auf unterschiedliche Arten abspielen kann. Da die betroffenen Jugendlichen selbst mitwirken, zeichnen sich die Filme durch eine hohe Authentizität aus, wobei jedoch die Tatsache, dass die erlebten Szenen nicht von ausgebildeten Schauspielerinnen und Schauspielern nachgestellt werden, leider stellenweise zu Unglaubwürdigkeit führt. Im neunten Kurzfilm beschreibt eine Streitschlichterin an einer Schule ihre Erfahrungen mit Cybermobbing aus der Sicht der Vermittlerin und liefert so eine weitere Perspektive auf Cybermobbing im Schulalltag. Den Abschluss der Dokumentarfilmreihe bilden die zwei letzten Kurzfilme, in denen Experteninterviews über Methoden, Anreize und Prävention bei Cybermobbing aufklären.
Die Dokumentarfilmreihe ist im Allgemeinen recht informativ und gibt einen guten Einblick in den Alltag von Schülern, der von Mobbing im Netz geprägt wird, beziehungsweise wurde. Die verschieden, kurzen Sequenzen verschaffen interessierten Rezipientinnen und Rezipienten einen informativen Überblick über die Problematiken und Ausführungen von Cybermobbing. Schade ist nur, dass in den einzelnen Filmen des Öfteren die gleichen Schülerinnen und Schüler mitspielen, obwohl inhaltlich ein anderer Bereich behandelt wird, in dem Cybermobbing zum Tragen kam. Die DVD eignet sich besonders für Pädagoginnen und Pädagogen und Medieninteressierte, ist aber auch für Eltern und Schülerinnen und Schüler von großem aufklärerischem Wert und aufgrund dessen für den Einsatz im Unterricht geeignet. Die lebensnahen Berichte von Tätern und Betroffenen und deren Reflexion über das Erlebte dienen zur Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern für das Thema. So kann Cybermobbing an Schulen präventiv entgegengewirkt werden. Das Medienprojekt Wuppertal konzipiert und realisiert seit 1992 Videoprojekte mit Jugendlichen. Dabei werden Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 28 Jahren bei ihren Videoproduktionen unterstützt oder nehmen an Produktionen des Medienprojekts Wuppertal teil. Die Filme werden in ihren unterschiedlichen Formen als Bildungsmittel bundesweit vertrieben. Sie dienen der aktiven Medienerziehung sowie dem Heranführen an die Alltagsbewältigung und an die damit einhergehenden Probleme junger Menschen in Deutschland.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Das Leben, die Welt, die Zukunft …
Mädchensachen. Nicht nur für Mädchen (2009). MedienKompetenz Forum Südwest. DVD kostenfrei, 1 € Rückporto.
„Gut siehst du aus“ sagt Chris. Elo grinst schief, zupft sich am Rock, zuckt die Schulter: „Mädchensachen halt.“ Normalerweise trägt Elo solche Sachen nicht; solche Mädchensachen. Sie trägt Jeans und Jogginghosen, kaut mit offenem Mund Kaugummi und gibt sich gerne laut und forsch, wenn sie mit ihrer Clique durch die Straßen zieht. Da fliegen Papierkügelchen und Beleidigungen durch die Luft, da wird getanzt und gerempelt und in der kleinen Tankstelle des Ortes stapeln die Mädchen Gummibärchen und Zigaretten, Schokoriegel, Zeitschriften und Schnaps auf die Theke, bis sie kaum darüber sehen können und drücken die Daumen, dass sie keinen Ausweis vorzeigen müssen. Die Schule finden sie öde, gerade gut genug für den täglichen Klatsch und Tratsch, das wahre Leben findet abends auf den Partys statt und später werden sie ‚hartzen‘: „Nichts tun und Geld kriegen“. Ist doch klar. Oder? Nachmittags sitzt Nissa dann doch nervös beim Vorstellungsgespräch, knetet sich die Finger und wünscht sich, sie hätte bessere Noten vorzuweisen. Zwei Straßen weiter knallt Blue ihrer Mutter die Türe vor der Nase zu, weil diese wieder einmal in eine neue Stadt umziehen will und Blue keine Chance hat, irgendwo anzukommen. Und Elo? Die pfeffert den Rock in die Ecke, steigt wieder in die gewohnte Jogginghose und vergießt bittere Tränen über Chris im Speziellen und die (Männer-)Welt im Allgemeinen. Erwachsen werden, einen Platz im Leben finden, Freundschaft und Liebe, Schule und Beruf, Heimat, Sprache, Familie und Identität, Konsum und Medien – das sind die Themen, die in Mädchensachen aufgegriffen werden; an einem ganz normalen Tag werden Elo, Nissa und Co. mit all diesen Themen konfrontiert – mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger angenehm – und müssen ihren Weg finden, Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben.
Sieben Mädchen zeigt der etwa 21 Minuten lange Film Mädchensachen, der Hauptfilm der gleichnamigen ‚Lehr-/Lern-DVD‘, die alle die gleiche Klasse besuchen, einen gemeinsamen Tag verbringen und einer Clique angehören und die doch alle ganz alleine, jede auf ihre eigene Art, ihren Weg finden müssen. Das Besondere: Der Film entstand in einem Projekt mit einer achten Hauptschulklasse in Offenbach, in dem Schülerinnen und Schüler genau die Themen aufgearbeitet haben, die sie tatsächlich bewegen. Elo und Nissa heißen zwar in Wirklichkeit anders, die Fragen, die sie sich im Film und tatsächlich stellen, die Probleme an die sie stoßen, ihre Ziele und Hoffnungen aber sind dieselben. Und das macht den kurzen Film sehr dicht und sehr authentisch, weil die sieben Laiendarstellerinnen nicht nur ihre Rollen, sondern eben auch sich selbst spielen. Und weil so wertvolle Filme wie dieser nicht in den Schubladen der Projektbüros herumliegen und verstauben dürfen, nahm sich die Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS) das kleine Werk vor, bastelte ein didaktisches Paket außen herum und brannte alles zusammen auf ein paar DVDs, die jetzt darauf harren, in Schulen, Jugendzentren oder anderen Projekten angeschaut und diskutiert zu werden. Die DVD hat dabei tatsächlich mehr zu bieten, als ihr eher bescheidenes Äußeres vermuten lässt: Zusätzlich zum ohnehin guten Hauptfilm knüpft sich das ‚Unterrichtsmedium‘ insgesamt sechzehn verschiedene Themen vor, die im Film angeschnitten werden: Individuum, Ausbildung, Schule, Geschlecht, Engagement, Sinn des Lebens, Erwachsen werden, Medien, Konsum, Film, Heimat, Sprache, Familie, Peergroup, Jugendschutz, Mobbing im Unterricht.
Zu jedem dieser Themen gibt es kurze Infoblöcke, genannt „Erläuterungsbeitrag“ also Audiobeiträge, die den Begriff einordnen und definieren, Gedankenanstöße oder Hintergrundinformationen liefern, Perspektiven auf das Thema offerieren oder Fakten dazu vorstellen. In einer „Referenz zum Film“ wird jeweils die Szene herausgegriffen, die sich mehr oder weniger explizit auf das Thema bezieht und kurz erläutert, im Kontext einsortiert und zur Diskussion gestellt. Zusätzlich bietet die DVD „Filmbeiträge“, „Interviewbeiträge“ und „Audiobeiträge“ an, die verschiedene Zugänge und Perspektiven anbieten, Gedankenanstöße und Fragen aufwerfen, um sich mit einem Thema zu beschäftigen. Da gibt es Interviews mit Jugendlichen und Erwachsenen, Filmbeiträge die das Thema aus einer anderen Sichtweise oder auf ganz andere Art, etwa als Musikclip, Sketch, Stoptrickfilm oder Mini-Drama darstellen oder einfach Sinnieren über das Leben und die Welt. Während der Hauptfilm eine reine Projekt- und Laien-Produktion ist, vermischen sich hier Schüler-, Studenten und Profibeiträge. So entsteht ein Kaleidoskop an Denkanstößen zu den verschiedenen Fragestellungen, die trotz oder gerade wegen ihrer scheinbaren ‚Unperfektheit‘ eine entlarvende Nähe zum Leben haben und einen ehrlichen, klaren Ton anschlagen. Die Beiträge stehen dabei mehr oder weniger unverbunden nebeneinander, werden als Gedanken, Meinungen, Ideen stehen gelassen und bieten ihrem Publikum so die Chance, aufzuhorchen, einzusteigen und mit- und weiterzudenken. An keiner Stelle bricht ein gigantischer, pädagogischer Zeigefinger durch die Kulisse, um mit Drohgebärde die Denk-Richtung zu weisen. Stattdessen bekommt jeder Beitrag seinen Platz, steht unkommentiert, weder kritisiert noch als absolute Wahrheit deklariert für sich und lässt viel Raum für eigenes Nachhorchen und Los-Denken.
Um diese authentische und ungekünstelte Herangehensweise zu komplettieren, schlagen die Herausgeber der DVD auch in ihren didaktischen Vorschlägen eine eher minimalistische Richtung ein: Statt ausführlicher Anleitungen, Arbeitsblätter und Stundenvorschläge packen sie in die DVD-Hülle nur ein zwölfseitiges Heftchen, das ein paar Worte zur Entstehung des Filmes, ein Impressum und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis der DVD enthält. Außerdem: Zehn Zeilen zur „Aufgabe des Lehrers im Lehr-Lern-Prozess“, in denen sinngemäß steht: „DVD anmachen (kann auch durch Schüler erfolgen), Diskussion zulassen“. Gewiss erfordert das ein gerüttelt‘ Maß an Souveränität in den Klassenzimmern und ein pädagogisches Selbstbild als Begleiter und Coach statt als Chef und Bestimmer – wer sich das aber traut, dem sei prophezeit, dass hitzige Diskussionen, revolutionäre Gedanken, erhellende Erkenntnisse und ganz neue Perspektiven in die Klassenräume Einzug halten könnten. Und das nicht nur für Mädchen.
Swenja Wütscher: Familie, Freundschaft, Facettenglanz
Marjaleena Lembcke (2011). Die Füchse von Andorra. Berlin: DAV. Audio-CD. 9,99 €.
„Schönheit hat ja viele Facetten. Wenn ich euch so ansehe, würde ich sagen mindestens vier.“ „Was sind Facetten?“ „Also stell dir einen Diamant vor, der hat doch viele verschiedene Flächen. Und je nachdem wie das Licht auf diese Flächen fällt, sehen sie sehr verschieden aus.“ „Ich glaube das ist ein bisschen kompliziert.“ „Nein. Wir sind aus ein und demselben Stein, aber für Papa glänzen wir ganz verschieden, weil ja das Licht immer wechselt.“ Wir, das sind Jonathan der Kluge, Felix der Nimmersatt, Frederike die Kleine und Sophie die Vernünftige. Gut, Sophie hat eine Doppelrolle, sie ist nämlich auch noch die Älteste der Vierlinge. Um die wilde Großfamilie aber komplett vorzustellen ist da noch Mama Marlene die Vertraute, die den Nachbarskindern Nachhilfe gibt und Papa Jochen der Geschichtenerzähler, der als Taxifahrer seinen Herzen zwar keine regelmäßigen Europaurlaube finanzieren kann, sich aber besonders liebevoll um diese kümmert. Und so nimmt er seine Kinder jeden Abend mit auf Traumreisen.
Er ist einer dieser Väter, der nicht nur über seine eigenen verrückten Träume lachen kann, sondern insgeheim auch ein kleines bisschen daran glaubt, dass diese irgendwann Realität werden. Trotz dieser herzlich-humorvollen Geborgenheit, die sie umgibt, fühlt Sophie sich allerdings einsam. Sehr sogar. Die Zehnjährige träumt daher innig von einer Freundschaft mit ihrer mutigen Klassenkameradin Alice, deren Leben so vollkommen anders als ihres zu sein scheint.Wir schauten dem Vogelpärchen zu, das so fleißig hin und her flog, um seine Jungen zu füttern. Sie wussten genau, was sie zu tun hatten. Und ich, ich hatte Alice immer noch nicht angesprochen. Ich konnte wohl kaum einfach sagen: „Darf ich deine Freundin sein?“. Hmm … Sachen die man am liebsten sagen möchte, sagt man oft nicht. Und Fragen, die man stellen möchte, stellt man nicht. Nach einem Familienurlaub trifft Sophie plötzlich auch noch völlig unvorbereitet mit voller Breitseite das Leben, ihre vertraute Umgebung zerplatzt wie eine Seifenblase: Ihre Mutter scheint auf einmal dauerhaft traurig zu sein, irgendwie abwesend, und schaut durch Personen nur noch hindurch.Ja, sie will sogar nicht mehr ans Telefon gehen, versetzt ihre Nachhilfekinder und kümmert sich nicht einmal mehr ums Abendbrot für die Familie.
Stattdessen liegt sie fast ausschließlich im Bett und wenn sie doch mal aufsteht, dann sitzt sie im Bademantel am Küchentisch, wie ein Gespenst. Sie ging einfach ins Schlafzimmer und machte die Türe zu. Ich wartete, ob sie wieder rauskam, um sich die Zähne zu putzen. Aber sie kam nicht. Ich ging zu den Jungen und setzte mich bei Felix aufs Bett. „Mama ist traurig.“ „Warum denn?“ „Was hat sie denn gesagt?“ „Nichts. Sie ist müde, hat sie gesagt und sie hat nicht mal Zähne geputzt.“So gerne würde Sophie all das Alice erzählen, aber die scheint sie einfach nicht zu beachten. Und so bleibt Sophie ganz allein in ihrer Welt, traut sich einfach nicht über ihre Probleme zu erzählen und geht Alice aus dem Weg. Die sich anbahnende Freundschaft droht an Missverständnissen zu zerbrechen.Von starken Familienbanden über innige Freundschaft und ein ernstes Tabuthema erzählt das Hörspiel Die Füchse von Andorra von zwei Kindern, die erst über Umwege zueinander finden. Mit viel Bedacht im Blick auf die Zielgruppe der ab Achtjährigen befasst sich die berührende Geschichte von Marjaleena Lembcke mit der Krankheit Depression und den Umgang damit. Untermalt wird diese Düsternis von wenig Spannung, von wenig Action. Vielmehr wird das schwierig-unübliche Thema behutsam aufbereitet, mit einer durchgängigen Ernsthaftigkeit, ohne Zeigefinger. Realistisch eben. „Sie hat gar nicht geweint.“ „Vielleicht sind ihre Tränen schon alle?“ „Das glaube ich nicht. Sie wollte nur nicht, dass wir sie sehen.“ Wie ein roter Faden zieht sich eine Botschaft durch das Hörspiel: dass es kein Anzeichen von Schwäche ist, nach Hilfe zu suchen, wenn man sich selbst nicht mehr helfen kann.
Undidaktisch aber glaubwürdig schenken die liebenswerten Charaktere – wie auch schon im gleichnamigen Roman – den Zuhörerinnen und Zuhörern Mut, dass Probleme gemeinsam gemeistert werden können. Die Erzählperspektive ermöglicht es, Sophies kindliche Gedanken wahrzunehmen – auch dank der grandiosen Sprecherin Alexandra Henkel, die die unterschiedlichen Gemütszustände ihrer Figur mit Fingerspitzengefühl und Natürlichkeit greifbar umsetzt. Auf gleicher Augenhöhe reihen sich auch das unbekümmerte Geschwisterteam, der lebensfrohe und fantasievolle, späterbesorgte Familienvater und Ehemann sowie die schwermütig verzweifelte Mutter mit Stimmungsschwankungen und steigender Lustlosigkeit ein. Die Kinderstimmen überzeugen dabei ebenso wie die gestandenen Erwachsenen. Auch dramatisiert die Hintergrundmusik nicht mit großartigen Effekten Hoffnung oder Hilflosigkeit, sondern sorgt für eine warmherzige, gefühlsbetont-ruhige Atmosphäre, indem sie sich mit unspektakulär-sanften und dezent-melancholischen Melodien in die Geschichte einpflegt.
Mehr als zu Recht ist die Hörspielproduktion des WDR und SWR dafür mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2012 als bestes Kinderbuch ausgezeichnet worden; und mit dem Auditorix Hörbuch-Siegel 2012/2013. Die Füchse von Andorra werden im 54-Minuten-Hörspiel so magisch-sensibel inszeniert, dass sie ihr Publikum – gleich welcher Altersklasse – zu Tränen rühren und gleichzeitig ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Es ist eben nicht nur die Welt der kleinen Sophie, die da erzählt wird, sondern der Alltag, der hin und wieder an jeder Haustüre anklopft. Der Alltag, in dem Glück manchmal bedeutet, nicht unglücklich zu sein.
Günther Anfang: Olympiade der Kunst
Als eine der ältesten Kunstausstellungen der Welt – erstmals fand sie 1895 statt – steht die Biennale dieses Jahr erneut einem kunstbeflissenen Publikum von Anfang Juni bis 24. November in Venedig offen. Unter dem Motto „Palazzo Enciclopedico“ und unter der künstlerischen Leitung von Massimiliano Gioni versammelt diese 55. Biennale 155 Künstler und Künstlerinnen aus 88 Nationen. Zehn Länder sind dabei zum ersten Mal dabei, unter anderem Kuwait, Paraguay, Bahamas, der Vatikan und Angola. Angola hat auch gleich den Preis für den besten Pavillon abgestaubt, der vor zwei Jahren an Deutschland für seine Schlingensief-Installation ging. Somit ist diese Olympiade der Kunst nicht nur eine Schau der neuesten und interessantesten Kunstentwicklungen, sondern immer auch eine Leistungsschau der Kunst in den verschiedenen Ländern. Damit diese Leistungsschau aber auch etwas zurückgenommen wird, wurde mit dem Motto bewusst auf eine enzyklopädische Gesamtkunst abgezielt, die nicht die Einzelwerke in den Vordergrund stellt, sondern die Vielfalt und Vollständigkeit künstlerischen Schaffens. Dass dieses Ansinnen in einer Zeit des vergoogelten Weltwissens nur bruchstückhaft gelingt, war den Ausstellungsmachern durchaus bewusst. Doch gerade deshalb haben sie dieses Motto gewählt. Als Ausstellungsbesucherin oder -besucher muss man somit viel Zeit mitbringen. Denn um alle Kunstwerke in den Giardini und im Arsenale sowie in ganz Venedig einigermaßen erfassen zu können, braucht man Zeit.
Gerade die Videoinstallationen dauern häufig 30 und mehr Minuten, sind zum Teil auf mehrere Leinwände verteilt und wirken erst in der Gesamtschau wie zum Beispiel eine Installation im türkischen Pavillon zum Thema Körperinszenierung. Aber auch Gerüche müssen von den Besucherinnen und Besuchern in ihrer Vielschichtigkeit erfasst und eingefangen werden wie im lateinamerikanischen Pavillon, in dem Hunderte von Gewürzmischungen aufgetürmt und wie im Basar in ihrer bunten Farbenpracht präsentiert werden. Da träumt man sich schnell in eine orientalische Welt und will erst einmal ein bisschen dort verweilen. Doch weiter geht es, durchs Arsenale Gelände, vorbei an vielen interessanten Installationen bis zum Italienischen Pavillon, der dieses Jahr jedoch wenig überzeugt. Somit bleiben als weitere Station die Giardini im Stadtteil Castello, wo sich 28 Länder in ihren nationalen Pavillons präsentieren. Hier haben schon in den Anfängen der Biennale die verschiedenen Länder zum Teil imposante Kunstpavillons gebaut. Der Hässlichste ist übrigens der Deutsche, der ursprünglich 1909 erbaut, jedoch 1938 von den Nazis verunstaltet wurde. Dieses Jahr haben die Franzosen und die Deutschen jedoch ihren Pavillon getauscht, somit fand die Ausstellung der deutschen Kunst im französischen Pavillon und die der Franzosen im Deutschen Pavillon statt.
Um die Besucherinnen und Besucher noch mehr zu verwirren, sind außerdem im Deutschen Pavillon keine ursprünglich deutschen Künstlerinnen und Künstler zu sehen, sondern auf Einladung von Susanne Gaensheimer Arbeiten von Ai Weiwei, Romuald Karmakar, Santu Mofokeng und Dayanita Singh. Doch was soll´s, Hauptsache dem Publikum gefällt es. Und Ai Weiwei konnte mit einer Installation von dreibeinigen Stühlen durchaus Eindruck erzeugen, auch wenn sie stark an seine Installation auf der documenta vor fünf Jahren erinnerte. Was bleibt, ist auf alle Fälle ein vielschichtiger Eindruck von dieser 55. Biennale und die Gewissheit, dass die künstlerischen Ausdrucksformen unermesslich sind. Und in einem Ambiente wie Venedig einfach großartig zur Wirkung kommen.
Christa Gebel: Sind die Altersstufen noch zu retten?
Im Herbst 2013 steht ein neuerlicher Versuch zur Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags an. merz möchte Sie erstens über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen, die im Vorfeld öffentlich gemacht werden, auf dem Laufenden halten, und zweitens dazu anregen, über Positionen, Wünsche und Forderungen, die die Medienpädagogik an einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz hat, zu diskutieren und Ihre Meinung einzubringen. Dazu wird es ab sofort in jeder Ausgabe und im Netz unter www.merzzeitschrift.de Diskussionsanregungen und für Sie als Leserinnen und Leser die Möglichkeit geben, aktuelle Fragen und Themen einzugeben sowie gegebenenfalls eigene Beiträge zu liefern. Wenn Sie davon Gebrauch machen möchten, nehmen Sie mit uns Kontakt auf unter merz@jff.de. Der aktuelle Input fokussiert vor allem auf den Vorstoß, im JMStV die Altersstufen zu reduzieren.Das Vorhaben, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu novellieren, geht dieses Jahr in eine neue Runde. Die Anforderungen an dieses Werk sind in Zeiten der Medienkonvergenz hoch: Es regelt den Bereich der Telemedien (Internet, Teletext) und des Rundfunks (öffentlich-rechtliche wie kommerzielle Anbieter) und soll dabei den jeweiligen technischen und rechtlichen Besonderheiten Rechnung tragen sowie anschlussfähig an das Jugendschutzgesetz (JuSchG) sein, das den Bereich der Trägermedien regelt. Letzteres ist angesichts der Rundfunk- und Onlinepräsenz von Werken, die auch auf Trägermedien verbreitet werden, absolut notwendig.
Ein strittiger Punkt des Novellierungsversuchs von 2010 war die Präzisierung der Möglichkeiten für Online-Anbieter entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche diese üblicherweise nicht wahrnehmen. Eine angestrebte Lösung war, die Angebote mit einer Alterskennzeichnung zu versehen, die von Jugendschutzprogrammen gelesen bzw. entsprechend gefiltert werden können. Die Alterskennzeichnungen sollten den Altersstufen folgen, die das Jugendmedienschutzgesetz für Trägermedien zugrunde legt (frei ab 0, 6, 12, 16, 18). Dieses Vorhaben ist nach wie vor heiß diskutiert. Während die einen eine Altersklassifizierung als unzumutbare Hürde für Anbieter betrachten, sehen andere den Vorteil für Anbieter und Eltern darin, dass gleiche Angebote on- wie offline nach gleichen Prinzipien behandelt werden. Auch wenn der aktuelle Staatsvertragsentwurf noch nicht öffentlich zugänglich ist, zeichnet sich in Diskussionen ab, dass offenbar die Stufen der Alterskennzeichnung zur Disposition gestellt werden. Die Altersstufen einer Revision zu unterziehen stand schon häufig zur Diskussion und eine entsprechende Forderung hat unter mehrerlei Aspekten ihre Berechtigung. So haben sowohl Eltern als auch Fachleute schon immer Zweifel an dieser Stufung gehegt, die den großen kognitiven und emotionalen Veränderungen innerhalb der beiden unteren Altersspannen wenig Rechnung trägt, während im obersten Bereich sehr stark differenziert wird. Prinzipiell ist aus medienpädagogischer Sicht einzuwenden: Werden die Stufen sehr weit gefasst, werden älteren Kindern (z. B. Zehn- und Elfjährigen) Inhalte vorenthalten, an denen sie ihr Welt- und Selbstverständnis weiterentwickeln können, nur weil diese Inhalte jüngere Kinder (z. B. Siebenjährige) emotional überfordern.
Werden die Stufen sehr eng gefasst, kleben sie an einer Durchschnittsnorm, die nur von wenigen Kindern wirklich repräsentiert wird, weil sich Kinder durch unterschiedliche Förderbedingungen und Veranlagungen nicht uniform entwickeln, so dass manche gerade Zehnjährige von Inhalten überfordert sind, gegen die manche Achteinhalbjährige bereits gewappnet sind. Die Klassifizierung eines konkreten Medieninhalts wird durch sehr enge Stufen wesentlich diffiziler, wenn nicht gar fragwürdig. Aus fachlicher Perspektive wäre zu prüfen, ob die in den 1950er Jahren entwickelten Stufen (vgl. Nikles 2002, 120 f.) nach heutigen Maßstäben sinnvolle Entwicklungsabschnitte repräsentieren. Hierbei sind insbesondere die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien zu berücksichtigen. Dies erfordert einen enormen empirischen Aufwand und neue Normen nachhaltig zu gestalten ist angesichts der teils rasanten technischen Entwicklung erst recht kein leichtes Unterfangen. Ein anderer Diskussionspunkt ist die Vereinheitlichung mit Altersgrenzen anderer europäischer Länder, was den Blick darauf lenkt, dass auch kulturelle Normen eine Rolle spielen. Und kulturelle Differenzen sind nicht unbedingt an Ländergrenzen gebunden, sodass ein Aushandlungsprozess notwendig ist, der nicht allein auf entwicklungspsychologischen und medienpädagogischen Erkenntnissen gründen kann, diese aber unbedingt berücksichtigen muss. Alle diese Schwierigkeiten will man nun offenbar dadurch ignorieren, dass es im Internet nur noch drei Stufen geben soll, nämlich 0, 14 und 18 Jahre, wie im Februar auf einer kjm-Veranstaltung (1) in die Diskussion eingebracht wurde.
Dass man Eltern dadurch noch mehr verwirren würde,dass im Internet andere Altersgrenzen gelten als für Trägermedien, scheint die Verfechter dieser Stoßrichtung wenig zu beeindrucken. Vielmehr wurde sogar – und dies bezeugt nun wirklich eine extreme Ferne vom Erziehungsalltag – der Vorschlag ins Spiel gebracht, das Jugendmedienschutzgesetz möge sich dann doch an die neuen Altersgrenzen des Staatsvertrags anpassen. Eine Umsetzung der Vorschläge hätte zur Konsequenz, dass Angebote mit heutiger Freigabe ab sechs Jahren künftig als „freigegeben ab 14 Jahren“ zu labeln wären; denn sie ohne Alterseinschränkung freizugeben, gäbe den Schutzauftrag gegenüber jüngeren Kindern preis. Sicher ist die bisherige Praxis der Alterskennzeichnung auf Basis des JuSchG nicht ideal. So hat sich gezeigt, dass Eltern durchaus Probleme haben, die Einstufung konkreter Medienangebote nachzuvollziehen, weil diese für sie wenig transparent ist (z. B. wenn ein Filmtitel im Kino anders freigegeben ist als seine Schnittversion bei der DVD-Vermarktung oder weil ‚historische‘ Einstufungen heutigen Moralvorstellungen nicht mehr entsprechen). Auf der anderen Seite sind die Alterskennzeichen für viele Eltern einziger Orientierungspunkt und manchmal auch der letzte Anker bei Argumentationsnöten gegenüber den Kindern. (vgl. Theunert/Gebel 2007, Gebel/Lauber 2008) Was wie ein mutiger Befreiungsschlag daherkommt, muss also als schlichte Kapitulation vor den fachlichen und praktischen Herausforderungen gewertet werden.
Dem Dilemma, eine angemessene Stufung zu finden, wird man also nie ganz entrinnen, aber eine differenziertere Lösung als der aktuelle Vorschlag ist durchaus denkbar und sinnvoll. Mit einem Verzicht auf eine differenzierte Einstufung im Altersbereich unterhalb von 14 Jahren wälzt man die Probleme auf die Eltern ab und verlangt von ihnen, sich ohne fachliche Unterstützung ein Urteil zu bilden. Dies passt nahtlos in den Trend, die Verantwortung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten allein den Eltern aufzubürden (Oelkers/Lange 2012) und wird verstärkt dazu führen, dass sich diejenigen Eltern noch weniger kümmern, die sich ohnehin überfordert fühlen und daher Ansprüche an ihre Erziehungsleistung abwehren, während andere, stark normorientierte Eltern ihren Kindern noch mehr verbieten als bisher und sie damit an einer produktiven Auseinandersetzung mit Medien hindern (Wagner et al. 2013). Auch der in die Diskussion eingebrachte Kompromissvorschlag, die bisherigen Altersstufen beizubehalten, falsche Klassifizierung im unteren Bereich jedoch nicht zu sanktionieren, dürfte der Transparenz nicht förderlich sein: Wo keine Konsequenzen drohen, wird häufig nicht sachgerecht gehandelt werden und die Einstufung der Inhalte wird weder altersangemessen noch nachvollziehbar stattfinden. Eltern werden sich fragen, warum dieses gefiltert wird, jenes dagegen nicht, was die Akzeptanz der Jugendschutzprogramme gefährdet.
Ebenso wenig taugt aus Elternperspektive der gleichfalls eingebrachte Vorschlag, nichtkommerzielle Anbieter von einer Klassifizierungspflicht zu entbinden: Warum sollte ein entwicklungsbeeinträchtigender Inhalt eines nichtkommerziellen Anbieters weniger schädlich sein? Auch hier ist eine Lösung zu suchen, die für nichtkommerzielle Anbieter, insbesondere solche, die Kinder erreichen möchten, zumutbar ist. Ansonsten ist den Forderungen nach Transparenz und Konsistenz des Jugendmedienschutzes für Eltern und Erziehende mit solchen Vorstößen nicht gedient. Eine Arbeitsgruppe der Rundfunkreferenten der Länder bereitet unter Leitung des Landes Sachsen den neuen Vertragsentwurf vor, der derzeit noch nicht vom Licht der Öffentlichkeit gestreift ist. Er soll den Ministerpräsidenten im Herbst vorgelegt werden. Wie Frau Ribbe, zuständige Referentin der sächsischen Staatskanzlei, auf der kjm-Veranstaltung im Februar 2013 ankündigte, sind im Vorfeld „Betroffenenanhörungen“ geplant. Wer hier als betroffen gesehen wird, ist abzuwarten – dringend zu hoffen ist, dass insbesondere die Perspektive von Eltern gehört wird.
Anmerkung:
(1) Zurück in die Zukunft: Wie geht‘s weiter im Jugendmedienschutz? Veranstaltung im Rahmen der Reihe kjm transparent – Fragen am Freitag am 22.02.2013 in München
Literatur:
Gebel, Christa/Lauber, Achim (2008). Altersfreigaben aus der Sicht von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 53, H. 2, S. 37-41.
Nikles, Bruno W. (2002). Immer komplexer: Die Entwicklung der rechtlichen Regelungen zum Jugendschutz. In: Kind Jugend Gesellschaft, Heft 4/2002, S. 119-125.
Oelkers, Nina/Lange, Andreas (2012). Eltern in der Verantwortungsfalle. Ein Problemaufriss. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 57, H. 3, S. 71-75.
Theunert, Helga/Gebel, Christa (2007). Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie des JFF zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. Endbericht. München. www.jff.de/dateien/JFF_JMS_LANG.pdf [Zugriff: 04.01.2012].
Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Lampert, Claudia (2013)(Hrsg.). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Unter Mitarbeit von Christiane Schwinge, Achim Lauber, Susanne Eggert. Berlin: Vistas (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, 72).
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Christa Gebel
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Swenja Wütscher: Für Kinder, die stark sein müssen
„Da geht es um ein Nashorn, das lebendig wird. Ein Junge malt es an die Wand und es wird lebendig, aber eigentlich sehnt sich dieser Junge nach seinem Vater. Und sobald dieser Vater auftaucht, kann der Junge das Nashorn auch wieder gehen lassen. Das Nashorn wird auf ein Schiff verfrachtet und dort ausgesetzt, wo es hingehört. Es geht vordergründig in der Geschichte nicht um Action, sondern darum, wie sehr sich dieser Junge nach seinem Vater sehnt. Aber der Junge muss sich trotzdem mit diesem Nashorn auseinandersetzen, das in seinem Wohnzimmer steht, weil er es blöderweise an die Wand gemalt hat und es lebendig wurde“, erzählt Katrin Hoffmann über die dänische Märchen-Komödie Otto ist ein Nashorn. Als Leiterin des Kinderfilmfests hat Katrin Hoffmann sich bereits von jedem einzelnen Film des diesjährigen Kinderfilmfest München verzaubern lassen, sonst hätten es die Auserwählten auch nicht bis ins Programmheft geschafft.Vom 28. Juni bis zum 6. Juli 2013 werden auf dem Festival – wie jedes Jahr – Filme für die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer gezeigt; als Parallelprogramm zum FILMFEST MÜNCHEN für Erwachsene. „Meine Intention ist es, den Kindern dort andere Kinderfilme zu zeigen als sie normalerweise zu sehen kriegen. Sonst geht es in Kinderfilmen ja meist um Banden, um Schatzsuche. Aber das ist eigentlich nicht die Lebenswelt der Kinder.
Also die Filme sind schon auch wichtig, so dass Kinder auch mal einen lustigen Nachmittag haben können im Kino, aber ich finde es sehr, sehr wichtig, dass die Filme des Kinderfilmfestsaus der Welt der Kinder kommen. Dass sie sich mit ihren Problemen, Ängsten und Nöten beschäftigen und innerhalb des Filmes Wege oder Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man mit diesen Konflikten umgehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass das eigentlich immer das Spannendste ist für die Kinder. Das sieht man auch an den Reaktionen, wenn sie in den Kinos sitzen. Man kriegt sie ja nicht unbedingt oft dahin – das weiß ich auch von meinen eigenen Kindern, aber wenn sie mal drin sitzen, dann sind sie immer ganz begeistert und das finde ich immer eine schöne Bestätigung.“Um die Kinder auch wirklich begeistern zu können, hat die Kinderfilmfest-Leiterin bereits sehr viel Herzblut in die Zusammenstellung der Filme gelegt. Denn sie lässt sich nicht nur von einer Geschichte oder einem Thema überzeugen, auch die Darstellerinnen und Darsteller müssen sie mit ihrer Performance erst mal für sich gewinnen. Katrin Hoffmann will von niemandem etwas vorgespielt bekommen und erst recht will sie ihren Gästen nichts vormachen. Sie setzt klar auf Authentizität, auch in Kinderfilmen: „Es gibt ja leider immer noch Kinderfilme, in welchen die Bösen dann besonders lustig-blöd dargestellt werden, so dass die Kinder in jedem Falle erkennen, dass das der Schlimme ist – aber da tut man den Kindern unrecht, finde ich.
Deswegen mag ich Filme am meisten, die auch auf eine gute Ästhetik setzen und nicht unbedingt das Ganze mit Musik zukleistern, sondern diese lieber pointierter einsetzen. Also Filme, die Kinder genauso ernst nehmen wie Erwachsene.“ Eine Herausforderung, bei einer Programmstärke von zwölf Filmen, die gleichzeitig auch noch Abwechslung für ihre Zielgruppe der Fünf- bis Zwölfjährigen bieten möchte.„Ich hab auch immer ein Kurzfilmprogramm dabei, weil man damit sehr schön die verschiedenen Genres abbilden kann, also Realfilme, Dokumentarfilme, Animationsfilme natürlich auch. Und dieses Kurzfilmprogramm wird auch sehr gerne wahrgenommen, gerade von Jüngeren.
Das fängt in etwa so im Alter von fünf Jahren an.“ Mit auf dem Spielplan sind dann aber gleichzeitig auch Filme für Ältere, die Katrin Hoffmann guten Gewissens ab zehn Jahren empfehlen kann, wie der fiktive Film Bekas, der im irakischen Kurdistan der 90er-Jahre spielt. Dort träumen die zwei Jungen Dana und Zana von Amerika, wie sie es aus Superman kennen; beziehungsweise das, was sie von Superman durch ein winziges Kinofenster heimlich erhaschen konnten. Danas und Zanas Realität sieht anders aus, sie wachsen in einem hoffnungslosen, von Saddam Hussein beherrschten Irak auf. Die beiden versuchen alles, um diesem Leben zu entfliehen; soweit das eben möglich ist ohne Pass und Geld auf einem Esel als Fortbewegungsmittel.Neben Bekas und Otto ist ein Nashorn schenkt das Kinderfilmfest München die Leinwand noch Georgie, Ella und ihre Freunde, Ernest und Célestine, Kopfüber, Mein kleiner Orangenbaum und Reuber. Für das Publikum ab fünf Jahren gibt es Kurzes für Kleine: Junge und der Mond, Igel und die Stadt, Rising Hope sowie Yim & Yoyo. Ob in einer 3D-Animation oder einem Trickfilm, in einer Märchen-Komödie oder einem realistischen Spielfilm, alle Heldinnen und Helden nehmen ihre Gäste mit auf eine abenteuerliche Weltreise: Von Schweden über das irakische Kurdistan geht es über den Ozean bis nach Brasilien.
Die Tour hat zudem noch eine Station in England mit Weiterreise nach Dänemark eingeplant und landet über kurze Abstecher nach Lettland, Italien und die Niederlande dann wieder in Deutschland.Allerdings können in den Münchner Kinos selbst wohl eher nicht alle Kinder eine solche Reise überhaupt erst mit antreten: „Unser Programm geht natürlich an sämtliche Schulen, alle Hortgruppen, wir haben auch mal ein Waisenhaus eingeladen zur Eröffnung, und versuchen da schon auch unsere Werbung sehr breit zu streuen. Auch die Kinderreporter, die werden vom Medienzentrum München und vom JFF – Institut für Medienpädagogik gesucht, und die versuchen auch nicht ans klassische Gymnasium zu gehen, sondern wirklich Kinder zu finden, die eben vielleicht nicht unbedingt aufs Kinderfilmfest kommen oder das vielleicht noch nicht kennen und sie darüber begeistern.“ Ob damit allerdings wirklich Kinder aus allen sozialen Schichten, aus allen Lebenslagen überhaupt erreicht werden, ist fraglich. Das Organisationsteam des Kinderfilmfestes nimmt leider nur in Ansätzen Bemühungen auf sich, allen Kindern so ein Erlebnis zu ermöglichen. Seien es die Vorführzeiten, die breiter über den Tag verstreut werden könnten, so dass auch berufstätige Eltern ein solches Gemeinschaftserlebnis besser mit ihren Kindern teilen könnten. Oder eine Einladung einer Schule aus einem sozialen Brennpunkt, Vorführungen mit Gebärdensprachendolmetschern, die sicherlich für alle Kinder ein besonderes Ereignis wären. Derartige Angebote gibt es nicht.Auf die Bedürfnisse der anwesenden Kinder geht der abwechslungsreiche Spielplan von Festival-Leiterin Katrin Hoffmann aber dennoch definitiv ein.
Denn auch die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer haben Ansprüche: Sie wollen unterhalten werden. „Man kann die Kinder aber auch mit anspruchsvollen Themen gut unterhalten. Die müssen jetzt nicht immer den Clown, die Animationsfilme oder den stolpernden Polizisten auf der Leinwand sehen, sondern sie lassen sich auch sehr gut mitnehmen von Themen, die sie vielleicht aus der Nachbarschaft oder von sich selber kennen.“ Da wäre zum Beispiel der Animationsfilm Ernest und Célestine über die Freundschaft zwischen einer kleinen Maus und einem großen Bären, allen Vorurteilen und Widerständen zum Trotz. Oder das Familiendrama Kopfüber mit dem Protagonisten Sascha, der ein ADHS-Medikament verschrieben bekommt – doch während sich alle über seine Entwicklung freuen, erkennt er selbst sich kaum wieder.Die Planung des Festivals sieht aber nicht nur ‚viereckige Augen‘ vor, sondern arbeitet mit und für die Kinder äußerst medienkonvergent. „Wir haben einerseits Kinderreporter, die wieder über die Filme schreiben, die dann auch wieder veröffentlicht werden in der AZ, auf www.spinxx.de und www.pomki.de. Und dann gibt es einen sehr schönen Workshop – auf den bin ich sehr gespannt –, den macht eine Kollegin, die viel mit Kindern arbeitet und die macht am Samstagvormittag einen Workshop zu einem Kurzfilm.
Den wird sie neu vertonen, und das Ergebnis des Synchronisationsworkshops wird dann am Nachmittag bei der Kurzfilmreihe auch vorgeführt – und zwar von den Kindern selbst. Und was ich ganz toll finde, dass Kinder einer Grundschulkasse dieses Jahr zu jedem Film einen Trailer gemacht haben. Das heißt, vor jedem Film wird ein von Kindern selber gemachter Trailer laufen und eben nicht das Original, sondern unser ganz eigener.“All das, was bisher so innovativ und jung klingt, ist allerdings – bis auf kleine Neuerungen – bereits 31 Jahre alt. Doch die Sehgewohnheiten haben sich über die Jahre schon verändert. „Die Kinder sind nicht mehr wirklich die ganz ruhigen, langsamen Filme gewohnt. Das muss man schon auch immer in der Ankündigung mit einbeziehen oder die Kinder vielleicht auch nochmal kurz darauf hinweisen, denn die sind durch die Veränderungen in der Medienwelt schnelle Schnitte, große Lautstärken und mehr oder weniger dauerhafte Musikuntermalung gewohnt. Umso wichtiger ist es aber auch, dass wir mit dem Kinderfilmfest versuchen, einen Gegenpunkt zu setzen. Also ich will das gar nicht verschreien und nicht negativ bewerten, aber man muss auch sehen, dass es auch die andere Art von Filmen gibt. Und sobald sie gepackt sind von den Bildern, von großartigen Bildern, gehen sie auch mit der Geschichte mit.“ Genau dafür hat Katrin Hoffmann ihre Filme ausgewählt. Sie ist immer wieder fasziniert von jungen Heldinnen und Helden, die mit viel Fantasie an der Lösung schwierigster Fragen arbeiten. Und so widmet sie die Filme des diesjährigen Kinderfilmfests München vor allem den Kindern, die trotz großer Widerstände ihren eigenen Weg gehen: für Kinder, die stark sein müssen.
Bekas
von Karzan KaderFinnland/Schweden/Irak 2012
Länge: 92 min
Empfohlen ab 10 JahrenDeutsche Fassung
Deutsche Premiere
Ella und ihre Freunde(Ella Ja Kaverit)
von Taneli MustonenFinnland 2012
Länge: 81 minEmpfohlen ab 6 Jahren
Deutsch eingesprochen
Deutsche Premiere
Mein kleiner Orangenbaum (Meu Pé De Laranja Lima)
von Marcos BernsteinBrasilien 2012
Länge: 99 minEmpfohlen ab 10 Jahren
Deutsch eingesprochen
Deutsche Premiere
Reuber
von Axel Ranisch
Deutschland 2013
Länge: 70 min
Empfohlen ab 8 JahrenWeltpremiere
Otto ist ein Nashorn
von Kenneth Kainz
Dänemark 2013
Länge: 76 min
Empfohlen ab 6 Jahren
Deutsch eingesprochen
Internationale Premiere
Georgie (Believe)
von David ScheinmannEngland 2012
Länge: 94 min
Empfohlen ab 8 Jahren
Deutsch eingesprochen
Deutsche Premiere
Ernest und Célestine (Ernest Et Célestine)
von Benjamin Renner,Vincent Patar, Stéphane Aubier
Frankreich 2012
Länge: 80 min
Empfohlen ab 6 Jahren
Deutsche Fassung
Kopfüber
von Bernd Sahling
Deutschland 2012
Länge: 90 min
FSK 6, empfohlen ab 8 Jahren
KURZES FÜR KLEINE 5+Junge und der Mond (Boy and the Moon)
von Rino Alaimo
Kreidezeichnung
Italien 2012
Länge: 6 min
Deutsch eingesprochen
Igel in der Stadt (Ezi Un Lielpilseta)
von Evalds Läcis
Puppentrickfilm
Lettland 2013
Länge: 10 min
Yim & Yoyovon Anna van Keimpema
Real- und Zeichentrickfilm
Niederlande 2012
Länge: 25 min
Deutsch eingesprochen
Rising Hope
von Milen Vitanov
Computeranimation
Deutschland 2012
Länge: 10 min
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Swenja Wütscher
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Swenja Wütscher: Fahr oder stirb!
„Egal ob Du einen Inch oder eine Meile Vorsprung hast, gewonnen ist gewonnen.” – Das sagen professionelle Rennfahrer. Dementsprechend leben Dom Toretto (Vin Diesel) und sein Team bereits seit zwölf Jahren nach diesem Motto. Seit dem Coup in Rio de Janeiro, bei dem sie das Imperium eines Gangsterbosses gestürzt haben, hat die Crew zudem finanziell ausgesorgt, jedoch mit einer kleinen Schattenseite: Nach jedem von ihnen wird gefahndet, sie leben also alle auf ständiger Flucht und keiner wird jemals wieder in die alte Heimat Los Angeles zurückkehren können; nun gut, an der spanischen Küste lässt es sich bekanntlich auch ganz entspannt leben. Zumindest, bis ein gewisser US-Bundesagent, Luke Hobbs (Dwayne Johnson), eines Tages plötzlich bei Dom vor der Türe auftaucht. Sein einstiger Widersacher kommt diesmal aber in friedlicher Absicht, um ihn um einen Gefallen zu bitten; vom überzeugenden Druckmaterial, welches er in einem Briefumschlag mitbringt, mal abgesehen. „Ich brauche alles, alle Infos die du hast.“ „Die kriegst du, wenn das Team sie bekommt.“ „Kein Team, das muss ich alleine machen.“ „Das ist nicht so einfach. Die Crew, hinter der wir her sind, schlägt blitzschnell zu und verschwindet wieder. Wenn du das alleine machst, wirst du sie nie erwischen. Ich jage den Kerl schon über vier Kontinente und durch zwölf Länder, und glaube mir, das letzte, wonach mir der Sinn steht, ist an deiner Haustüre zu stehen und um Almosen zu betteln – ich brauch deine Hilfe Dom, und dein Team.“Hobbs‘ Deal: Er will die vereinten Kräfte von Dom und seinem Elite-Team, im Gegenzug will er ihnen jegliche Straftaten absprechen. Hobbs ist auf der Jagd nach dem Gangster Owen Shaw (Luke Evans), der mit seiner Gang von Interpol verfolgt wird. Nur mit Dom und seinen Partnern – davon ist der Polizist überzeugt – hat er eine Chance gegen die bestens ausgerüsteten Mitglieder von Shawns Truppe.
Gegen die Kriminellen, die man nur aufhalten kann, indem man sie auf dem Straßenpflaster mit ihren eigenen Waffen schlägt. Eines der Gangmitglieder soll Doms alte – bis dahin von allen totgeglaubte – Flamme Letty Ortiz (Michelle Rodriguez) sein. Während Doms Kumpel Brian O‘Connor (Paul Walker) glaubt, dass es sich bei den Beweisfotos um manipuliertes Material handelt, will sich Dom von der eventuellen Lebendigkeit Lettys doch selbst überzeugen und fliegt postwendend nach London. Bestens ausgerüstet mit neuen und schnellen Autos kommt es schließlich zum Duell zwischen den beiden Rivalen – und auch zwischen dem früher unzertrennlichen Paar Dom und Letty.Für Fast & Furious 6 hat Regisseur Justin Lin das Zepter wieder übernommen und gibt schon zu Beginn des Filmes direkt seine Richtung vor. Selbstgebaute Rennwagen heizen durch die Straßen und machen auch vor dem Gegenverkehr keinen Halt. Ohne Rücksicht auf Verluste schleudern sie unbeteiligte Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn, direkt ihren Verfolgern vor bzw. auf die Kühlerhauben. Lins Werk ist etwas chaotisch, schon fast sadistisch, aber seitdem er mit dem vierten Teil die Fast & Furious-Reihe übernommen und generalüberholt hat, schaltet er in jedem Teil ein paar Gänge höher. Auch dieses Mal bleibt er seiner Linie treu, die Einzelfilme immer stärker miteinander zu verweben, wenn er auch in Teil 6 ein wenig mit den Querverweisen übertreibt. Das üppige Cast liefert dennoch ein adrenalinhaltiges Spektakel, eine Mischung aus einer Fortsetzung der Ocean’s Trilogie, mit einer Prise James Bond und den guten alten Bad Boys. Anders gesagt: Die niveaulose aber unterhaltsame automobile Kriegsführung wird untermalt von leicht bekleideten Frauen sowie markigen Sprüchen und flotten Witzen.
Während die Handlung des Actionfilms sich dem Genre Thriller zweifellos zuordnen lässt, lassen die Dialoge zeitweise doch eher auf eine Komödie rückschließen.Trotz der spektakulären Actionszenen, den teilweise äußerst brutalen Kampfsequenzen und einigen Toten auf der Leinwand ist im Film übrigens fast kein Blut zu sehen. Die Verletzungen nach surrealen Sprüngen von Auto zu Auto von irgendwelchen Brücken mit Zwischenlandung auf Fahrzeugdächern hinterlassen offenbar eher kleine Wehwehchen, etwa so schlimm wie eingerissene Fingernägel.Dennoch, Fast & Furious 6 bietet das, was die Zielgruppe erwartet. Einen Rennzirkus mit spektakulärer Action, Verfolgungsjagden mit einem Panzer und unzählige, schrottplatzreife Autos. Es gibt aber noch mehr. Verbunden durch ihre Liebe zu schnellen Autos werden die Figuren nämlich zu einer Familie, die es zu beschützen gilt. Das Zentrum des Films. Und so schwebt über all den schnellen Bildschnitten, dem prolligen Metallschrott, dem röhrenden Sound und der Technomusik eine Seele. Diese Seele, die Familie, ist es, die den Film so wertvoll macht. Denn genau so sind sie, die glatzköpfigen, aufgepumpten Meister Propper-Protagonisten, die Champagner trinken. In ihren Adern fließt Diesel, aber in ihren Herzen schlägt die Familie. Der Kreis an Personen, für den sie einfach alles tun. Alles. „Man wendet sich nicht von seiner Familie, auch nicht wenn sie es tut.“Es ist der Kodex, nach dem sie leben. Nichts geht über die, die in ihren Herzen wohnen. Inwiefern sich ein solcher Lebensstil aber in der Realität umsetzten lassen würde, bleibt allerdings fraglich. Denn in dieser Familie überwiegen die Bedürfnisse des großen Ganzen und nicht die persönlichen Befindlichkeiten eines Individuums, welches beim Aufopfern für andere Grenzen ziehen sollte.Zweifellos sensationell werden also alle Zuschauerinnen und Zuschauer unterhalten.
Dass aber auch dieser Fast & Furious-Teil wieder bei der seit Teil 3 herabgestuften FSK 12 bleibt, war zwar zu erwarten, dient in diesem Falle aber wohl weniger den Familienmitgliedern. Angesichts der fragwürdig-irrealen Botschaften scheint die Freigabe nämlich weniger auf die altersgerechte Vermittlung wahrer Werte an die jugendlichen Kinobesucherinnen und -besucher abzuzielen, als vielmehr auf einen Profit für die Industrie. Die scharrt bereits mit ihrem neuen gleichnamigen Spiel für iPhone, iPad und iPod in den Startlöchern.Die nächste Grenzerfahrung steht der Action-Familie auf der Leinwand übrigens im bereits angekündigten siebten Teil auch schon bevor. Zumindest wird während des Abspanns von Fast & Furious 6 ein namhafter Kontrahent präsentiert, der Dom, Brian und dem Rest der Familie mit Sicherheit wieder einige ernsthaft-tödliche Probleme bereiten wird.
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Swenja Wütscher
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Sebastian Ring: Wo geht’s hier lang?
Digitale Spielwelten stellen von außen betrachtet möglicherweise einen undurchsichtigen, kaum überschaubaren Dschungel dar. Wer diesen Dschungel noch nicht selbst betreten hat und das aus welchen Gründen auch immer auch nicht möchte, ist auf Unterstützung angewiesen. Das kann ein Guide sein, der durch den Dschungel führt und Fragen beantwortet, ein Reiseführer mit Hintergrundinformationen über die entlegenen Gebiete und seine Bewohnerinnen und Bewohner oder doch zumindest eine Karte, die Orientierung bietet und Highlights oder dunkle Ecken ausweist.Eine komplette Übersicht über alle gegenwärtigen Computerspiele zu bieten ist schwierig. Nicht nur der konventionelle Markt für Computer- und Konsolenspiele der großen Publisher, die ihre oft teuren Produktionen entsprechend bewerben und über die USK einer Prüfung unterziehen, ist sehr umfangreich. Auch der Bereich der Smartphonesspiele ist sehr dynamisch und unübersichtlich, ebenso wie der Bereich der Indiegames, also jener Spiele, die unabhängig von großen Firmen meist in kleineren Gruppen entwickelt werden, boomt und breite Zielgruppen erreicht, wie zum Beispiel der Millionenerfolg Minecraft (Mojang 2011) gezeigt hat.Die Bewertung von Computerspielen ist zudem kein leichtes Unterfangen, da der Umfang, die Geschichte und Spielwelt sehr umfangreich sein können und bei vielen Spielen nicht komplett einsehbar sind. Guter Rat ist also gefragt, speziell für diejenigen, zu deren primären Interessen Computerspiele nicht zählen, die aber als Eltern computerspielbegeisterter Kinder oder pädagogische Fachkräfte dazu angehalten sind. Gerade bei ihnen bestehen oft Unsicherheit und pauschale negative Vorbehalte gegenüber der Mediennutzung der heranwachsenden Generation (vgl. Wagner et al. 2013).
Sie benötigen Unterstützung dabei, digitale Spielwelten einzuschätzen und zu beurteilen. Ein Überblick über pädagogische Materialien zum Thema Computerspiele, durch sie behandelte Themen und Ratschläge ebenso wie Leerstellen wurde im Rahmen der Expertise für das Projekt GamesLab des JFF erarbeitet (vgl. Wagner et al. 2013). Für diejenigen Eltern, die nach Informationen suchen, stellt das Internet eine wichtige Quelle dar. Neben einer Vielzahl von journalistischen Websites, die sich an Gamer jeden Alters richten, wenden sich einige Onlineangebote, die Games bewerten, speziell an Eltern und pädagogische Fachkräfte. Die bekanntesten unter ihnen werden hier beschrieben und vorgestellt. Ein wichtiger Aspekt bei der Rezeption dieser Beurteilung ist, die Spiele einschätzen zu können, Hinweise zu ihren Inhalten, Genres und dem spielerischen Handlungsspektrum zu erhalten. Dabei spielt nicht nur die Story der Spiele eine Rolle, sondern das, was die Spielenden mit den Spielen und mit ihren Mitspielerinnen und Mitspielern anstellen können. Solche Beschreibungen beziehen sich auf konkrete Spiele aber auch auf weitere Kontexte wie Spiel- und Entwicklungstheorien, aktuelle Forschungsergebnisse, den gesellschaftlichen Diskurs und vieles mehr.Eine konstruktive Unterstützung sollte dabei nicht nur die Computerspiele selbst beschreiben, sondern auch die Perspektive von Heranwachsenden inkludieren. Dazu zählt natürlich auch, dass nicht nur Risiken, sondern auch Potenziale in den Blick genommen und Hinweise gegeben werden, wie Erwachsene die Spielkultur der Heranwachsenden, mit denen sie zu tun haben, bereichern können.Wünschenswert wäre zudem, dass die Plattformen ihre Testkriterien transparent machen.
Das erleichtert ihren Zielgruppen zum eine die Bewertung besser einzuschätzen zu können, zum anderen wird für wichtige Bewertungskriterien sensibilisiert. Man lernt stetig dazu – sowohl im Hinblick auf die Einschätzung von Computerspielen als auch im Hinblick auf medienerzieherische Fragestellungen. Hilfestellungen, die Eltern oder pädagogische Fachkräfte in ihr alltägliches Tun integrieren können und die sie beim learning-by-doing unterstützen, können sehr nützlich sein. Die Beurteilungen sollten dem sehr unterschiedlichen Wissensstand und Erfahrungshintergrund ihrer Zielgruppen Rechnung tragen. Die heutige Eltern- und vor allem Vätergeneration kann durchaus auf eigene Spielerfahrungen verweisen. Dennoch gibt es viele, für die digitale Spielwelten Neuland und die in diesem Kosmos verwendeten Begriffe unverständlich sind.
spielbar.de
spielbar.de ist die Plattform der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Computerspiele. Die Plattform richtet sich an pädagogisch Verantwortliche und Eltern und bietet ihnen unter anderem gegenwärtig knapp 450 Spielbeurteilungen, Praxiswissen, Begriffserklärungen, Literaturtipps, aktuelle Nachrichten, Fachartikel und Handreichungen zu pädagogischen, aber auch ludologischen und spielkulturellen Themen. spielbar.de greift immer wieder auch aktuelle Schwerpunkte der Entwicklung digitaler Spielwelten wie zum Beispiel mobiles Spielen auf. spielbar.de kooperiert bei der Erstellung der Spielbesprechungen mit Jugendeinrichtungen im gesamten Bundesgebiet und in Österreich. Durch die Einbeziehung jugendlicher Testergruppen wird die Sicht der Spielenden selbst integriert. Darüber hinaus bietet auch die Website und Facebook-Page die Möglichkeit der Diskussion aktueller Informationen oder Spielbesprechungen. Die Texte auf spielbar.de stehen unter CC-Lizenz zur Weiterverbreitung zur Verfügung.
Spieleratgeber NRW – Wissen, was gespielt wird!
Der vom gemeinnützigen Verein ComputerProjekt Köln e. V. getragene und vom Land NRW finanzierte Spieleratgeber NRW unter der Schirmherrschaft der nordrhein-westfälischen Familienministerin bietet Eltern und pädagogischen Fachkräften über die gesetzlich verbindlichen Alterskennzeichnungen hinaus Informationen zu Computerspielen unter medien- und bildungspädagogischen Gesichtspunkten (1). Knapp 900 Spielebeurteilungen, zu denen jeweils neben einer umfangreichen Spielbeschreibung auch eine pädagogische Beurteilung zählt, befinden sich gegenwärtig in der Datenbank. Die eigene Jugendredaktion und insgesamt zwölf Spieletestergruppen von Kindern und Jugendlichen im Raum NRW erarbeiten unter Anleitung qualifizierter Medienpädagoginnen und Medienpädagogen die Spielbeschreibungen. Die Website umfasst darüber hinaus Basiswissen zu Computerspielen, Handlungswissen für die Praxis und informiert über aktuelle Veranstaltungen, Publikationen, pädagogische Projekte und vieles mehr.
bupp.at – Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen
Im Gegensatz zur deutschen USK oder dem europäischen Bewertungsmodell PEGI, die Computerspiele unter Rücksicht auf mögliche Risiken für die gelingende Entwicklung Heranwachsender beurteilen, geht die vom österreichischen Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend getragene BuPP einen anderen Weg. Nach dem Motto „Empfehlen statt verbieten“ (2) steht hier die Positivbewertung und Empfehlung als Orientierung für die Auswahl und den Kauf von Spielen für Kinder und Jugendliche im Vordergrund. Neben Tipps zur Auswahl von Spielen als eine Art Guideline sind auch die Bewertungskriterien und das Prüfverfahren auf der Website beschreiben. Gut 600 PC- und Konsolenspiele enthält die Datenbank gegenwärtig. Auch mobile Konsolen werden thematisiert, allerdings keine Browser- oder Smartphonespiele. Ähnlich wie bei der USK muss ein Spiel zur Prüfung eingereicht werden. Entsprechend fehlen hier auch Indiegames. Die Website bietet Eltern und pädagogischen Fachkräften auch Informationen zu Theorie und Forschung, sowie Handlungsempfehlungen zu Chancen und Risiken. Auch Jugendliche werden – wenn auch in deutlich geringerem Umfang – mit eigenen Unterseiten angesprochen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt games-wertvoll.de, eine Initiative des ComputerProjekt Köln e. V. und des Bundesverbands des Spielwaren-Einzelhandels e. V. (BVS). Sie vergibt das Gütesiegel „pädagogisch wertvoll“ an Spiele der USK-Kennzeichnung 0, 6 und 12 und möchte damit also explizit Computerspiele auszeichnen, die über einen pädagogischen Mehrwert verfügen. Kurze Beschreibungstexte und die Begründungen der Auswahljury sind online veröffentlicht.Feibel.de –
Das Büro für Kindermedien
Eine der bekannteren Plattformen unter denen für die Beschreibung von Computerspielen für Kinder ist die Website feibel.de, die auch zu den Veranstaltern des Kindersoftwarepreises TOMMI (siehe unten) zählt. Betreiber der Website ist der Journalist Thomas Feibel. Auf der Website werden „Spiele des Monats“ unterschiedlicher Plattformen, vorwiegend für PC und Konsole und nach einer Vielzahl von thematischen Kategorien gegliedert in kurzen Texten beschrieben. Über Auswahl- und Bewertungskriterien wie die Autorschaft gibt die Website allerdings keine Auskunft. Interessant ist, dass es mit feibelito.de ein eigenes Webangebot für Kinder gibt, das nach einer Vielzahl von Rubriken gegliedert ist. Die Auswahl der Spiele und die Beurteilungskriterien sind allerdings auch hier nicht transparent. So scheint etwa die Rubrik für Mädchenspiele lediglich eine Aufzählung gängiger Klischees von Pferde-, Tier- und Beauty-/Fashionspielen zu sein.
And the winner is …
Eine andere Form der Beurteilung von Computerspielen stellen Computerspielpreise dar. Dass Games Kulturgut sind, kann nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden. Vielmehr stellt sich aber die Frage nach Beurteilungskriterien und Zielsetzung der Preise.Der Kindersoftwarepreis TOMMI unter der Schirmherrschaft von Bundesjugendministerin Kristina Schröder wurde von feibel.de und dem Family Media Verlag initiiert, um innovative, herausragende und altersgemäße Kindersoftware zu prämieren. Jährlich bestimmen Kinder in Bibliotheken aus dem gesamten Bundesgebiet nach Vorauswahl durch eine Fachjury die Gewinnerinnen und Gewinner des TOMMI. Um eine Auszeichnung bewerben können sich alle Hersteller, die Teilnahme an der Jurierung ist für sie kostenpflichtig.Mit dem Interaktiv-Preis Pädi des gemeinnützigen SIN – Studio im Netz e. V. werden multimediale Produkte für Kinder und Jugendliche prämiert. Zur Auszeichnung können Computerspiele in diesem Fall durch Kinder, Jugendliche, Eltern, Fachkräfte und Hersteller vorgeschlagen werden. Eine Jury von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Fachleuten entscheidet anhand von pädagogischen, ästhetischen und zielgruppenorientiertenKriterien über die Nominierten.Bereits zum fünften Mal wurde der von den Branchenverbänden BIU e. V. und G.A.M.E. e. V. gemeinsam mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien getragene Deutsche Computerspielpreis verliehen, mit dem herausragende deutsche Spielproduktionen ausgezeichnet werden und damit besondere Anreize für die Entwicklung innovativer, kulturell und pädagogisch wertvoller Spielekonzepte und -inhalte gesetzt werden sollen (3). Die kontroverse Diskussion über diesen Preis in den vergangenen Jahren machte unter anderem deutlich, wie wichtig es ist, sich mit Kriterien für die Beurteilung von Spielen auseinanderzusetzen, die Meinung von Spielenden zu hören, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein technisch hochwertiges und ästhetisch ansprechendes Spiel muss natürlich nicht zwangsläufig für Kinder und Jugendliche geeignet sein. Für eine Differenzierung sollen hier unterschiedliche Kategorien wie bestes Kinderspiel, bestes Jugendspiel, bestes Serious Game et cetera sorgen.Mit dem interantionalen A MAZE. Indie Connect Festival hat sich in Berlin eine Plattform für die Indiegameszene gebildet, die auch als Ideenschmiede für die Fortentwicklung des Gamedesigns gelten kann. Besonders innovative Konzepte sind hier zu finden. Deren pädagogische Eignung ist allerdings nicht Gegenstand der Beurteilung durch die Jury. Hier geht es um Kriterien wie Innovation, Fortschritt oder kulturelle Bedeutung.Die digitalen Spielwelten entwickeln sich sehr dynamisch. Ebenso hoch sind die Anforderungen an Eltern und pädagogische Fachkräfte sowie die Portale, die sich zum Ziel gesetzt haben, Eltern Orientierung und Information zu bieten. Einfache und gut erreichbare Informationen bieten sowohl kommerzielle als auch non-kommerzielle Anbieter. Defizite und nur teilweise geschlossene Lücken sind zum einen im Bereich von neuen Plattformen wie mobilen Endgeräten und neueren Genres auszumachen. Zum anderen wäre noch eine stärkere Transparenz und Erläuterung bezüglich der Auswahl- und Bewertungskriterien wünschenswert.
Anmerkungen:
(1) www.spieleratgeber-nrw.de/site.8.de.1.html(2) www.bupp.at/die-bupp/empfehlen-statt-verbieten(3) www.deutscher-computerspielpreis.de/5.0.html
Literatur:
Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Lampert, Claudia (Hrsg.) (2013). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Berlin: Vistas.
Wagner, Ulrike/Gerlicher, Peter/Ring, Sebastian/Schubert, Gisela (2013). Computerspiele in der pädagogischen Arbeit. Expertise im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts GamesLab. www.jff.de/games/gameslab-expertise [Zugriff: 10.05.2013]
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Sebastian Ring
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Laura Bullwein: Politik für Kinder im Netz
Politik – ein scheinbar komplexes Thema für Kinder und Jugendliche, dessen Aufbau, Maschinerie und Umfang häufig noch immer zu Abschreckung und damit einhergehender Abwendung führt, welche oft auch als Desinteresse gedeutet wird. Trotz vermehrter Schulbildung in diesem Bereich, durch Fächer wie Politische Weltkunde, Sozialkunde oder Politikwissenschaft, wird dies dennoch noch als ein Phänomen unserer Zeit betrachtet. Oftmals verwendete Begrifflichkeiten wie ‚politikverdrossene Jugend‘ oder die Bemängelung einer‚ desinteressierten und unpolitischen jungen Generation‘ machen das deutlich. Um diesem Trend entgegenzuwirken und die politische Bildung und das mit ihr zusammenhängende Interesse an Politik bei Kindern zu fördern, haben politische Institutionen, Einrichtungen und Vereine in Deutschland verschiedene Angebote für Kinder im Internet bereitgestellt: Eine Vielzahl von Politik-Portalen für Kinder ist im Netz verfügbar, die Jüngere über Politik in Deutschland, EU und der Welt informiert und Staatsapparat, politisches Handeln, verschiedene Systeme und Begrifflichkeiten der Politik kindgerecht erklärt.
Eine Auswahl an derlei Politik-Seiten für Kinder soll die unterschiedlichen Angebote vorstellen und ihre jeweiligen Stärken und Mängel aufzeigen, um Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen einen Einblick beziehungsweise einen besseren Überblick zu ermöglichen.Die Bundeszentrale für politische Bildung hat mit ihrer Webseite www.hanisauland.de eine Plattform geschaffen, auf der Kinder die Grundlagen der Politik anhand verschiedener Instrumente kennenlernen können: Auf der Startseite gibt die oberer Leiste einen Überblick über die Rubriken der Homepage, wobei die erste Rubrik, ‚Comic‘ die Nutzerinnen und Nutzer unvermittelt empfängt. Der Name der Kinderseite rührt übrigens von diesem Comic, der vom Versuch der Tierbewohner handelt, in HanisauLand eine Demokratie aufzubauen. Die Comic-Geschichte wird im monatlichen Rhythmus fortgesetzt. In der Rubrik ‚Lexikon‘ können Kinder Erklärungen unter mehr als 700 Begriffen zu Politik, Wirtschaft, Umwelt, Bildung und Gesellschaft suchen. Die Sektion ‚Spezial‘ stellt einzelne Themen wie Grundrechte, die Deutsche Einheit oder die Länder der Welt ausführlich vor. Bei letzterem, dem ‚Länder-Spezial‘, lernen die Kinder Wissenswertes über die Länder der Erde, anhand des ‚Memo-Spiels‘ erhalten sie Informationen über deren Sehenswürdigkeiten und bedeutsame Orte, oder lernen typische kulinarische Spezialitäten kennen. Die ‚Akustische Weltkarte‘ bringt Kindern zusätzlich Sprache, typische Geräusche und Musik ausgewählter Länder nahe. Dabei erklingt beim Klicken auf Argentinien Tango-Musik, während bei der Auswahl von Australien ein Didgeridoo ertönt und bei Island ein wiederholtes „Mäh“ zu vernehmen ist.
Ob den jungen Nutzerinnen und Nutzern das Geräusch von Gewehrschüssen beim Irak oder das von Sirenen bei den USA eine neutrale Darstellung der typischen Akustik des jeweiligen Landes bietet, sei jedoch dahingestellt. Im ‚Kalender‘ befindet sich Informatives über verschiedene Feiertage und historische Daten, beispielsweise die Errungenschaften von Persönlichkeiten wie Martin Luther King. Darüber hinaus bietet das Portal Spiele mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad, was jedoch leider auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, da keine Kennzeichnung den jungen Nutzerinnen und Nutzern diesbezüglich den Weg weist. Die Spiele machen Spaß und haben nur teilweise einen politischen Lehranspruch. In den Rubriken ‚Filme‘ und ‚Bücher‘ erhalten die Kinder ausgewählte Filmtipps und Buchrezensionen – die wenigsten jedoch mit dem Anspruch einer politischen Bildung, dafür kürzlich erschienen. Außerdem stehen ihnen ein Chat und nützliche Links zu Politik, Nachrichten, Wissenschaft, internationalen Kinderseiten, Wettbewerben, Projekten oder Ausstellungen zur Verfügung. Die Seite richtet ihr Angebot an Mädchen und Jungen zwischen acht und 14 Jahren und ist Mitglied im Netzwerk Seitenstark, der Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten. Die Seite ist außerdem auf Englisch verfügbar und bietet den jungen Besucherinnen und Besuchern viel zu entdecken.
Der Inhalt ist der Altersangabe angemessen, kann aufgrund seines Umfangs jüngere Kinder jedoch auch leicht überfordern. Die Seite hat eine angenehme Gestaltung und einen hohen pädagogischen Wert und verbindet Spaß und Lernen auf eine geschickte Art und Weise.Mit seiner Kinderseite www.kinder-ministerium.de hat sich das Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Ziel gesetzt, das Ministerium, die Ministerin und ihre Aufgaben aber auch eine generelle Einsicht in die Abläufe der deutschen Politik zu geben. Auf der Startseite können die Jungen und Mädchen wählen, ob sie in das Büro der Ministerin schnuppern und über ihre Person, ihren typischen Arbeitstag oder Interviews von Kindern mit ihr lesen oder letztere auch angucken wollen. Begleitet und durch alle Seiten geführt werden die jungen Besucherinnen und Besucher von den ideenreichen Sieben – eine Gruppe junger Mädchen und Jungen die sich für unterschiedliche Dinge in ihren Wohnorten stark machen. In der ‚Abteilung für Kinder‘ haben die jungen Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, etwas über Kinderrechte zu lernen, ins Gästebuch zu schreiben oder bei einer Umfrage mitzumachen, bei der sie beispielsweise die Frage beantworten sollen, auf welches (digitale) Medium sie am ehesten verzichten könnten.
In der Rubrik ‚Information‘ wird Kindern anschaulich und mit bildlicher Unterstützung erklärt, welche Aufgaben das Ministerium hat und wie der Bundestag gewählt wird.Unter ‚Medienzimmer‘ ist unter anderem eine begrenzte Auswahl an Spielen zu finden: Verlorene Unterschriften müssen mit Tom – einer der ideenreichen Sieben – als Spielfigur gesucht werden, der diese für einen Fußballplatz gesammelt hat, Fehlersuchbilder, wie zum Beispiel im Bundestag oder beim Picknick vor dem Reichstag, gilt es unter die Lupe zu nehmen oder die richtigen Antworten beim Quiz auszuwählen. Neben den Spielen können unter ‚TV Blablaklar‘ Videos angesehen werden, in welchen Kinder zu Begriffen wie ‚Kinderrechte‘, ‚Demokratie‘ oder ‚Bundestag‘ Erklärungen abgeben. Darüber hinaus gibt es noch einige wenige Links zu anderen Seiten und in der Rubrik ‚Sicher surfen‘ Tipps zum Umgang mit persönlichen Daten und für das Herunterladen von Dateien sowie die Empfehlung der Verwendung der Kindersuchmaschinen fragFinn und Blinde Kuh. ‚Für Eltern‘ hält für jene weiterführende Informationen zur Vereinte-Nationen-Kinderrechtskonvention, als Hintergrundinformation zu Kinderrechten, bereit. Die Seite richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen acht und zwölf Jahren. Die Älteren langweilen sich jedoch möglicherweise, da das Niveau, insbesondere bei den Spielen, auf die Jüngeren dieser Zielgruppe ausgerichtet ist. Die Seite des Bundesministeriums richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Ministerin selbst, allgemeine Aufgaben des Ministeriums kommen dadurch eventuell etwas zu kurz.
Generell ist die Seite jedoch sehr schön und ansprechend konzipiert, auf der sich junge Nutzerinnen und Nutzer gerne bewegen und gut zurechtfinden können. Der Deutsche Bundestag stellt mit seiner Seite www.kuppelkucker.de ebenfalls ein Internetangebot für Kinder bereit. Auf der Startseite stellen sich Lisa, Max und Karlchen Adler vor und erklären die verschiedenen Funktionen der Seite. Der Seiteninhalt erstreckt sich von einem Lexikon über Spiele, bis hin zu Nachrichten, Videos und einem Rundgang durch den Bundestag. Das Lexikon erklärt politische Begriffe wie ‚Fraktion‘, ‚Erststimme‘, ‚Mandat‘ oder ‚Plenarsaal‘. Die Spiele-Auswahl der Seite beinhaltet leider keine großen Herausforderungen für die jungen Besucherinnen und Besucher: Bei dem Spiel ‚Wo bist du Karlchen?‘ müssen sie den verschollenen Adler mit Max oder Lisa als Spielfiguren suchen. Das Spiel zeichnet sich weder durch Schnelligkeit, noch eine besondere Grafik aus und kann für nicht mehr ganz junge Kinder schnell langweilig werden. Auch das Spiel ‚Mein Abgeordneten- Büro‘ bietet wenig Aufregendes: Das eigene Büro kann durch eine Auswahl von Möbeln eingerichtet werden, welche ohne Registrierung sehr begrenzt ist. Eine Anmeldung ist jedoch trotzdem nicht besonders hilfreich, weil sie die Auswahl der Einrichtungsgegenstände nur minimal erweitert. In der Rubrik ‚Nachrichten‘ werden Nachrichten speziell auf Kinder zugeschnitten und auf einer für sie geeigneten Art und Weise nachgestellt.
Die Nachrichten beziehen sich auf den Bundestag und geben einen Rückblick auf den Bundestag im Jahr 2012. Diesen liest die Nachrichtensprecherin in der Erscheinung einer Eule vor, was aufgrund der schlechten Tonqualität leider keine angenehme Informationsaufnahme ausmacht. Bei der ‚Kinderkommission‘ werden die Kinderbeauftragten der größeren Parteien in Deutschland mithilfe von Videos vorgestellt. Die Videos sind kurze Ausschnitte aus Interviews, die ursprünglich nicht für Kinder geführt beziehungsweise auf diese ausgerichtet waren, sodass das Niveau vergleichsweise hoch ist – was im Zwiespalt zu den wenig anspruchsvollen Spielen der Seite steht. In der Rubrik ‚Entdecke den Bundestag‘ können die Mädchen und Jungen Interessantes rund um den Bundestag erfahren: So haben sie beispielsweise die Möglichkeit, in den Plenarsaal reinzuschauen und erfahren dort unter anderem etwas über die Aufgaben des Plenarsaaldieners. Daneben können sie auch den Sitzungssaal entdecken und etwas über Ausschüsse und Abgeordnete lernen. Unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes können interessierte Mädchen und Jungen virtuell alles erkunden, was es dort zu entdecken gibt – ohne tatsächlich nach Berlin fahren zu müssen. Es besteht außerdem die Option, den Weg in das Abgeordnetenbüro zu wählen, wo die Kinder erfahren, wie der Alltag von Abgeordneten aussieht. Die Seite richtet ihr Angebot an Kinder zwischen fünf und elf Jahren. Dies erscheint dem Niveau des Inhalts angemessen. Was die Seite auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie akustisch toll unterlegt ist. Jeder Text, der auf der Seite gelesen werden kann, ist gleichzeitig vertont. Das erhöht den Spaßfaktor bei Kindern; er kann aber optional auch ausgeschaltet werden. Insgesamt weist das Portal zwar einige Schwächen auf, ist aber dennoch ansprechend angelegt und kann Kindern so Politik näherbringen.
Auch der Deutsche Bundesrat bietet mit www.foederalion.de ein speziell auf Kinder zugeschnittenes Internetangebot. Empfangen werden die Besucherinnen und Besucher auf der Startseite mit kurzen Videos, in denen Schülerinnen und Schüler der Mittel- und Oberstufe zu Begriffen wie ‚Zustimmungsgesetz‘, ‚Vermittlungsausschuss‘ und ‚Länderhoheit’ befragt werden. Die Rubriken ‚Spielen‘, ‚Wissen‘ ‚Mitnehmen‘ und ‚Bundesrat‘ halten ein großes Angebot für Kinder und Jugendliche bereit. Bei den Spielen gibt es Unterschiedliches zu erkunden und auszuprobieren: Die Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Länder müssen zum Beispiel zusammengebracht und auf ihren Plätzen im Bundesrat verteilt werden. Beim Spiel ‚Gesetze durchbringen‘ gilt es, kleinen Paragraphen den Weg durch den Bürokratie- Dschungel zu bahnen oder die Möglichkeit zu nutzen, bei ‚Föderalion – Das Rätsel unter dem Eis‘ als Eisforscher im Jahr 6432 durch die Ruinen des ehemaligen Deutschen Bundesrats zu fahren. Die Spiele sind alle anspruchsvoll und eignen sich aufgrund ihres relativ hohen Schwierigkeitsgrades für Jungen und Mädchen ab etwa zwölf Jahren. Teilweise ist die Auswahl einer bestimmten Schwierigkeitsstufe möglich. In der Rubrik ‚Wissen‘ befindet sich das ‚Föderalismus-Lexikon‘, das eine illustratorische Unterstützung der Begriffe beinhaltet. So findet man beispielsweise bei der Definition von ‚Gewaltenteilung‘ eine Skizze vor, die Exekutive, Legislative und Judikative eingängig veranschaulicht.
Die ‚History-Show‘, die ebenfalls in der Wissens-Rubrik vorzufinden ist, bietet Videos zur deutschen Geschichte: Diese Nachrichten in Zeichentrick eignen sich besonders für Kinder im Grundschulalter, was jedoch mit dem Anspruchsniveau der Spiele kollidiert. Das ‚Länder-Quartett‘ bringt den Nutzerinnen und Nutzern die unterschiedlichen föderalen Strukturen in verschiedenen Ländern der Welt näher. Auch Unterrichtsmaterial und -anregungen sowie Klingeltöne, Flashcards und Bildschirmschoner können auf der Webseite heruntergeladen werden. Die letzte Rubrik bildet ‚Bundesrat entdecken‘, in der das Rollenspiel vorgestellt wird, bei dem Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse teilnehmen und im Bundesrat in die Rolle von Ministerinnen und Ministern und Ministerpräsidentinnen und –präsidenten der Länder schlüpfen können. Besonders ansprechend auf der Homepage ist der Gebäuderundgang, bei dem den Nutzenden anhand eines Videos ein kleiner Eindruck vom Inneren des Bundesrats vermittelt wird. Die Seite ist insgesamt informativ und bietet interessanten Stoff, jedoch vornehmlich für etwas ältere Jungen und Mädchen.Das Internet hält für Mädchen und Jungen zum Themenfeld Politik eine große Vielfalt an Webseiten bereit.
Sind Kinder Inhalten wie denen des Kuppelkucker entwachsen, bieten Politik-Portale für Jugendliche an den Wissensstand anknüpfende und an die Interessen der Heranwachsenden angepasste Informationen. Darüber hinaus gibt es einige Nachrichtenportale für Kinder und neben den bundesweit relevanten Seiten auch zahlreiche Kinderseiten von einzelnen Städten und den Bundesländern.Im September dieses Jahres wird eine Internetseite wieder besonders interessant und sicherlich wieder häufiger besucht werden: www.u18.org – die Wahlen für unter 18-Jährige. Auf dieser Webseite gibt es umfangreiche Informationen zum Thema Wahlen. Neun Tage vor der Bundestagswahl am 22. September können alle Politikinteressierten unter 18 ihre Stimme abgeben. Die Bedingungen sind in Bezug auf die wirklichen Wahlen nur leicht verändert. Die ausgewerteten Ergebnisse werden im Anschluss auf der Seite veröffentlicht. Dabei wird sich dann vielleicht auch zeigen, ob die heutige Jugend tatsächlich so politikverdrossen ist, wie es ihr unterstellt wird.
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Laura Bullwein
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Laura Bullwein: Englisch lernen mit Zauberstab-Technologie
„Timpra, tempra, tumpra!“ So lautet die Zauberformel, mit der Hexe Huckla und ihre Hexenfreundin Witchy das Schulleben auf den Kopf stellen. Durch Leichtsinn geraten die beiden kleinen Hexen von der Zauberwelt in die Menschenwelt, direkt in eine deutsche Schule. Huckla ist eine deutsche Hexe, spricht aber mit großer Leidenschaft englisch – am liebsten mit ihrer besten Freundin Witchy aus England. Um wieder zurück in die Zauberwelt zu gelangen, müssen die beiden Hexen das schwierige Rätsel um den Zauberbaum lösen – wobei ihnen die Schulkinder helfen wollen. Dies geschieht natürlich nicht, ohne dass Witchy und Huckla Klamauk und Unfug in der Schule machen: Die Lehrerin lassen sie Kaninchen niesen, der Schulgarten wird verwüstet und die Brotzeit durch bunte, fliegende Eier aufgemischt. Gemeinsam mit den Kindern erleben Huckla und Witchy viele Abenteuer – alles bilingual auf Englisch und Deutsch.Huckla verzaubert die Schule ist Teil der Kinderbuchreihe, in der die lustigen und unterhaltsamen Erlebnisse von Hexe Huckla und ihrer Freundin Witchy auf Englisch und Deutsch mitverfolgt werden können.
Das Hörbuch erzählt in zehn kurzen Kapiteln die Geschichte von den beiden Hexen in der Schule. Die englischen Vokabeln sind integrativ in den Text eingebaut und lassen sich aus dem Kontext heraus leicht erschließen, sodass sich die Geschichte für Anfängerinnen und Anfänger ohne Fremdsprachenkenntnisse gut eignet. Das bilderreiche Buch dient dabei vor allem zur illustrativen Unterstützung der Hörspiel-CD und wird erst durch Kombination mit dem TING-Stift zu einem wesentlichen Teil des Spiels: Er verwandelt das Ganze in ein interaktives Vergnügen für Kinder, bei dem sie spielerisch und nebenbei die ersten englischen Wörter und Sätze lernen.Mit dem TING-Stift, auf den man zuvor schnell und unkompliziert eine Software lädt, kann man auf den Buchseiten auf nummerierte Illustrationen tippen. Die dazugehörigen Zahlen mit Vokabeln befinden sich in einem kleinen Vokabelkasten auf der jeweiligen Buchseite. Man hat verschiedene Möglichkeiten den Stift einzusetzen: Durch gezieltes Antippen der abgebildeten Personen, Gegenstände oder Tiere im Buch können einzelne Vokabeln trainiert werden, indem erst das englische und im Anschluss das deutsche Wort aus dem Lautsprecher des Stifts erklingt. Das jeweilige Kapitel des Hörspiels, das komplett auf der CD vorhanden ist, kann durch die Auswahl ‚Hörspiel anhören‘ ebenfalls auf jeder Buchseite angehört werden. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, zu jedem Kapitel ein Spiel zu spielen, indem man das „Spiel-Start“-Symbol auswählt. Nach der Spielanleitung, die noch in deutscher Sprache ist, verläuft das eigentliche Spiel dann auf Englisch.
Dabei werden dem Kind englische Anweisungen zum Lösen der Aufgabe gegeben und es wird je nachdem, gelobt oder dazu aufgemuntert, dem Ganzen „another try“ zu geben, es also noch einmal zu probieren. Die Aufgaben sind abwechslungsreich und einfallsreich gestaltet; so müssen beispielsweise Tiere ihren Lauten zugeordnet, eine Hexenflugprüfung abgelegt oder bunte Schweinchen im Klassenzimmer gezählt werden.Der sprechende Stift findet sowohl bei jüngeren, als auch bei älteren Kindern großen Anklang. Sie Der sprechende Stift findet sowohl bei jüngeren, als auch bei älteren Kindern großen Anklang. Sie finden es toll, dass er Büchern eine Stimme gibt. Gerade bei den fremdsprachigen Vokabeln bietet das Tool den Vorteil, dass die Kinder direkt die korrekte Aussprache mitbekommen. Der TING-Stift kann einzeln oder im Starter-Set mit dem Kinder Brockhaus erworben werden und ist analog zum TipToi-Stift von Ravensburger.Ohne Anwendung des Stifts verliert Huckla verzaubert die Schule allerdings deutlich an Mehrwert und bietet keinen großen Unterschied zu herkömmlichen Hörbüchern mit Schwerpunkt Fremdsprachenerwerb für Kinder. Auf den ersten Blick scheint der Stift entbehrlicher als er tatsächlich ist. Bei genauerem Durchblättern des Buchs wird aber schnell ersichtlich, dass man auf den Stift angewiesen ist, damit sein Nutzen über den eines reinen Bilderbuchs hinausgeht. Daher sollten Stift, Buch und Hörspiel-CD in Kombination angewendet werden, da nur das Gesamtpaket den gewünschten Lerneffekt ermöglicht.Am Ende des Buchs findet sich eine Vokabelliste, die dabei hilft, einzelne Wörter schnell zu finden und gezielt nachzuschlagen. Für Kinder im Vor- und Grundschulalter ist das Lernsystem sehr gut geeignet, wenn es den Eltern am Herzen liegt, ihre Kinder möglichst früh in Berührung mit einer Fremdsprache zu bringen. Das spielerische Lernen bringt Kindern Spaß an der neuen Sprache.
Darüber hinaus deckt das Lernsystem gute und grundlegende Wortfelder wie Zahlen, Farben und Tiere ab. Die Aufgaben sind verständlich und die Aussprache über den TING-Stift deutlich und klar. Das Paket stellt einen guten ersten Einstieg in eine Fremdsprache für junge Kinder dar und dient als hilfreiche Grundlage für einen späteren schulischen Fremdsprachenunterricht.In zwei Bänden ist Hexe Huckla übrigens auch noch mit ihrer französischen Freundin Sorceline in Frankreich unterwegs. Dort kommt sie dann mit der französischen Sprache in Kontakt.
Beitrag aus Heft »2013/03: Jugend und Information in der mediatisierten Gesellschaft«
Autor:
Laura Bullwein
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Apps für kleine Mathekönige
„Gibt’s dafür ‘ne App?“ – der Markt mobiler Medien ist in jüngster Zeit gewachsen wie kaum ein anderer. Wer sich heute in einen App-Store klickt, sollte besser genau wissen, was er da sucht – denn flanieren könnte man durch die schier endlosen Angebote kleiner Programme für Smartphones und Tablets wohl für immer. Und natürlich ist auch die jüngste Zielgruppe nicht außen vor, im Gegenteil: Die leichte Zugänglichkeit, die intuitive Bedienung und immer mehr Apps, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind, sorgen dafür, dass Kinder immer mehr die Welt der mobilen Medien erobern. Sie spielen kleine Spiele, lesen Bilderbücher oder malen selbst; sie gehen ihre ersten Schritte ins Internet. Und sie lernen; üben ihre ersten Buchstaben und Zahlen, lassen sich den Schulstoff oder Wissenswertes animiert, bunt und in ihrem Tempo erklären. Doch in der Fülle der Angebote, die um die Gunst und Klicks der jungen Nutzerinnen und Nutzer buhlen, ist es bisweilen gar nicht so leicht, die Programme herauszusuchen, mit denen man seine Kinder wirklich alleine lassen will und die einen echten Mehrwert bieten – denn wenn die Lern-App eigentlich nur ein Bilderbuch oder digital dargestellte Vokabelkarten enthält, ist nicht nur der Lerneffekt möglicherweise ziemlich klein, sondern das ganze, schöne Gerät mit all seinen Möglichkeiten auch dramatisch überqualifiziert. Deshalb gilt auch hier: Augen auf beim App-Download. Ein Anbieter im App-Dschnungel, der sich besonders den ‚schlauen‘ Programmen verschrieben hat, ist das Projekt Learning Apps @ TU Graz. Das Team der TU Graz entwickelt diverse Lern-Apps für die Allerkleinsten in Kita und Kindergarten bis hin zu Studierenden, es werden Möglichkeiten ausprobiert, Lernstoff ansprechend und effizient zu vermitteln und es wird der Einsatz von iPads in Schulen ganz konkret getestet und begleitet.
Das alles präsentieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihrer Seite app.tugraz.at – und natürlich im App-Store, wo man diverse Apps kostenfrei herunterladen kann. Schwerpunkt der Apps ist natürlich der MINT-Bereich, es gibt viele Mathe- Apps, vom Rechenbaum für die erste Klasse bis zu Algonary oder der eApp Suite, die Studierende der Elektrotechnik bzw. Informatik mit in die Untiefen von Algorithmen, Schaltungen und Netzwerken nehmen. Vor allem aber findet man im Angebot der TU viele Apps für die erste bis vierte Klasse – und da neben Mathe durchaus auch einige andere. Snailwrite zum Beispiel ist ein Leselernspiel für alle, die sich gerade erst frisch mit Buchstaben anfreunden: Gemeinsam mit vier netten, bunten Schnecken kann man da durch die Levels kriechen und eine regelrechte Buchstabenparty veranstalten. Dabei geht es mit der ersten Schnecke noch ganz ‚langsam‘ los, es werden Wörter und Bilder angezeigt und man muss je einem Wort das passende Bild zuordnen. In den nächsten Runden wird es schon schwerer, jetzt gilt es selbst zu tippen und wie bei ‚Galgenmännchen‘ Lücken in den Wörtern zu füllen oder ganze Wörter selbst zu schreiben. Das alles natürlich begleitet von wahlweise begeisterter oder erschrockener Mimik der Schnecken, die tapfer am Rand stehen und anfeuern. Alleine diese netten Gesellen steigern die Motivation, richtige Wörter zu schreiben, schon beträchtlich – was sie aber auch müssen, denn leider gibt es keine ‚Runden‘ oder Highscores, durch die man ein Feedback bekommen könnte.Allein die strahlende Schnecke gibt Feedback im immerwährenden Schreibtraining.
Doch zurück zum ‚Steckenpferd‘ der TU Graz: Den Mathe-Apps. Hier gibt es alleine für den Grundschulbereich bereits eine beachtliche Auswahl: iBubble Math, iLearn+, MatheZoo oder 1x1-Trainer heißen die kleinen Programme, die den Jüngsten die Welt der Zahlen nahebringen wollen. Die Apps sind alle sehr liebevoll animiert und entführen die Kinder in verschiedene Lernwelten, um dort gemeinsam mit ihnen mit ein paar Zahlen zu jonglieren. So tauchen die jungen Lernerinnen und Lerner bei iBubble Math in ein farbenfrohes Aquarium ein, wo ihnen überall mathematische Luftblasen begegnen: Hier, unter Wasser, dreht sich alles um Multiplikationen aus dem kleinen Einmaleins. Nur wer in den Tiefsee- Gefilden die Luftblase mit der richtigen Lösung anpiekst, darf Atem holen für die nächste Aufgabe – andernfalls löst sich die Luft ‚in Wasser auf‘ und man muss mit angehaltenem Atem weiterrechnen. Richtig gefährlich wird es erst im Quiz-Modus: Da verschwinden die Luftblasen nämlich, wenn sie nicht schnell genug angeklickt werden … hier hilft nur schnell rechnen und richtig tippen, damit der Tauchgang nicht mit Atemnot endet. Wer sich lieber auf sicherem Boden bewegt und vielleicht sowieso mehr an Addition und Subtraktion interessiert ist, dem sei ein Ausflug in den Zoo ans Herz gelegt: Im MatheZoo warten die quietschvergnügten Zootiere in fünf Runden darauf, gemeinsam mit einem schlauen Verbündeten am Tablet oder Smartphone ihre Abenteuer zu meistern.
Auch hier muss zu einer vorgegebenen Aufgabe jeweils die richtige Lösung gesucht und angeklickt werden, damit etwa die Äffchen den Baum nach und nach vollständig erklimmen können. Auf einem Spielfeld kann man durch den Zoo wandern und sich in die verschiedenen Gehege schwingen, wo dann jeweils Plus- und Minus-Aufgaben warten. Leider bleiben die Affen, Papageien und Löwen, so sehr sie auch hüpfen und quietschen, stets Animationen am Rande – das ist schade, denn die Zootiere hätten auch eine schöne, kleine Spielgeschichte hergegeben. Noch bedauerlicher ist, dass der tierische Spaß nach dem fünften Gehege vorbei ist, dann sind alle Aufgaben gelöst, der Zoo ist gerettet und es gibt weder einen Quiz-Modus noch Übungsräume, um weiterzurechnen. Einzig die bekannten Gehege könnten neu gerechnet werden, was aber bei der überschaubaren Anzahl an Aufgaben nicht allzu motivierend sein dürfte.Also raus aus dem Zoo, rein in die nächste App: iLearn+ besinnt sich konsequent auf seine Mission und die ist: Addition im Zahlenraum von null bis hundert. Hier gibt es erstmals drei Modi, leicht, mittel und schwer, dafür verzichtet die App auf eine Spielgeschichte oder -landschaft. Stattdessen gibt es Aufgaben über Aufgaben, deren Lösungen man manchmal eintippen, manchmal richtig auswählen und manchmal aus einer Menge an Symbolen auswählen muss. Ein Quiz spart sich die App – und berechnet nach jeder Übungsrunde gleich den Highscore und belohnt die Rechnerinnen und Rechner bei guten Runden mit neuen Avataren.
Insgesamt wurde hier scheinbar viel mehr Wert auf die ‚inneren‘ Werte gelegt als bei iBubble und MatheZoo, die Grafik ist schön aber weniger aufwändig, dafür versprechen die verschiedenen Aufgabenarten und Schwierigkeitsstufen angemessene Aufgaben für jedes Lernniveau und gute Übungsergebnisse. Noch individueller holt die Kinder nur die App 1x1-Trainer ab, der nicht umsonst das aktuell größte Projekt unter den Mathe-Apps der TU Graz ist: Diese App bietet vor dem strahlend blauen Himmel einer Bilderbuchlandschaft alles in einem, was die anderen Apps nur in Teilen hatten: Es gibt Übungsbereiche, wo Multiplikationen im Zahlenraum 1 bis 100 geübt werden können, bis die Finger vom Lösungen-Tippen glühen. Es gibt ein ‚Speedgame‘, in dem die zukünftigen Mathekönige ihr Können auf Zeit unter Beweis stellen und sich ihren Platz im Highscore erkämpfen können. Und das besondere Schmankerl: Diese App ist eigens dafür konzipiert, mit Kindern im Schulunterricht echte Lernfortschritte zu erzielen. So können sich Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit ihren Klassen anmelden, die Schülerinnen und Schüler üben unter einem je eigenen Login und Benutzernamen und werden dank individueller Leistungsstandserhebung vom Programm ganz individuell mit den Aufgaben konfrontiert, die ihnen die meisten Knoten im Gehirn verursachen. Den 1x1-Trainer gibt es als Web-Portal, als iPhone/ iPad-App und – im Gegensatz zu den anderen, vorgestellten Apps – auch für Android-Systeme.
Ziel ist es, dieses Programm flächendeckend in Grundschulen einzusetzen, so dass Kind in allen Klassen in ihrem Tempo Malnehmen üben können und Multiplikationen für kein Kinder mehr der Stoff sind, aus dem Albträume entstehen. Dank der liebevollen Grafik, der motivierenden Aufteilung in Übung und Quiz auf jeder Schwierigkeitsstufe und der individuellen Förderung per Algorithmus hat die App durchaus das Zeug dazu, aus Mathemuffeln Rechenköniginnen und -könige zu machen. Zwar gibt es auch hier, wie bei all diesen Apps, keine wirkliche Spielgeschichte oder Rahmenhandlung; das muss es aber auch nicht: Werden die Apps im Schulunterricht eingesetzt, müssen sie wohl auch nicht wie Spiele daher kommen, sondern können sich als das ausgeben, was sie sind, nämlich Lern- Helfer. Und das sind sie ziemlich gut.
Beitrag aus Heft »2013/02: Frühe Medienerziehung digital«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Markus Achatz: Romantische Naturinszenierung und dokumentarisch-harte Realität
Zehn Jahre GENERATION 14plus. 2004 wurde erstmals eine eigene Programmschiene für Jugendliche und junge Erwachsene in Ergänzung zum bisherigen „Kinderfilmfest“ geschaffen. Anfangs noch mit geringerem Zulauf hat sich das kombinierte Programm aus Kplus und 14plus längst zu einer wichtigen Sektion der Internationalen Filmfestspiele in Berlin etabliert. Jedes Jahr lassen sich Geheimtipps und herausragende Beiträge des gesamten Festivals entdecken. Unter den 2013 größtenteils ausverkauften 25 Lang- und 35 Kurzfilmen bei GENERATION befanden sich zahlreiche Weltpremieren.Kontrovers diskutiert wird häufig, was dem jungen Publikum zuzumuten sei, ob die Filme für die Zielgruppe geeignet oder überhaupt für sie gemacht worden seien. Die Grenzen sind fließend und auch in diesem Jahr fanden sich einige Beiträge im Programm, die die kindlichen oder jugendlichen Zuschauerinnen und Zuschauer stark gefordert – manchmal überfordert – haben. Weit weg vom Mainstreamkino werden Themen wie Krieg, Gewalt, zerrissene Familien, Verlust und Tod bearbeitet. Für das Publikum eröffnen sich intensive und authentische Blickwinkel in andere Welten und Kulturen, die jenseits von Gleichmacherei und Standardisierung individuelle Schicksale und persönliche Geschichten nah und mitfühlbar werden lassen. Das erzeugt auch Reibungen und Unbequemlichkeiten. Doch warum sollten wir dies verhindern wollen? Der Kinder- und Jugendfilm braucht den Mut zu Herausforderungen und zur Auseinandersetzung. Ein sektionenübergreifendes Merkmal vieler Filme im diesjährigen Festival war der Trend zu stark dokumentarischen Zugängen. Sowohl in den Inszenierungen als auch in der technischen Umsetzung und der Wahl filmischer Stilmittel.
Die Grenzen zwischen Fiction und Non-Fiction flossen ineinander.Beeindruckend waren die Filme häufig dann, wenn das Leben und die Gesellschaft konsequent aus dem Blickwinkel der heranwachsenden Hauptfiguren betrachtet wurden. Wobei sich in einer Reihe der Filme die jungen Protagonisten allein durchschlagen mussten. Die Natur – häufig repräsentiert durch tiefe und weite Wälder – spielte eine wesentliche Rolle. Im Sinne eines Jean-Jacques Rousseau sind es einsame „Emiles“, die in der Natur als spirituellem Ort auf sich gestellt sind, ferngehalten von den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft. Ausgestattet mit einer Hoffnung, dass sie erst mit der Natur eins werden mögen, um zu reifen und tatsächlich frei sein zu können.Natur als Beschützer – JînIm GENERATION 14plus-Eröffnungsfilm hält reinste Natur Einzug in den Kinosaal. Es ist eine wilde Landschaft, in die uns der türkische Regisseur Reha Erdem in Jîn hineinversetzt. Faszinierende Berge, endlose Wälder, Natur voller innerer Ruhe und romantischer Abgeschiedenheit. Wir beobachten in den ersten Minuten Insekten in Makroeinstellungen, Schildkröten, Wildtiere und letztlich tritt ein majestätischer Hirsch ins Bild. Doch ehe es sich das Publikum in einem ‚Tierfilm‘ gemütlich machen kann, brechen wie aus dem Nichts Explosionen und Gewehrfeuer in die Landschaft und zerstören das Idyll in wenigen Augenblicken. Eine bewaffnete Gruppe Aufständischer sucht Zuflucht an einer Felskante. Wir sind im Gebirge der östlichen Türkei auf kurdischem Gebiet, seit mehr als 30 Jahren tobt hier ein Krieg. Einer der ‚Kämpfer‘ ist die 17-jährige Jîn. Bewaffnet mit einem Schnellfeuergewehr setzt sich das Mädchen heimlich von der kurdischen Rebellentruppe ab und wird fortan auf der Flucht sein. Vor der türkischen Armee, vor Gewehrschüssen und Angriffen aus der Luft, von denen selten klar wird, welche Seite der Urheber ist. Ein verwunschener Wald als Kriegsschauplatz.
Völlig auf sich allein gestellt wird die Natur zu ihrem wichtigsten Begleiter und Beschützer. Gefahr droht Jîn vor allem, wenn sie Menschen begegnet. Nahezu mythisch wirkt eine Szene, in der das Mädchen auf einen Baum klettert, um aus dem Nest eines Raubvogels Eier zu holen. Der Muttervogel kreist kreischend über ihr, woraufhin sie nur eines der Eier nimmt und die anderen zurücklegt. In diesem Moment kommt eine Gruppe türkischer Soldaten in die Nähe, um zu rasten. Einer der Soldaten beginnt ein trauriges Lied zu singen, der Vogel dreht währenddessen still über den Bäumen seine Runden und Jîn wird nicht entdeckt. In einer anderen Sequenz versteckt sich das Mädchen vor einem Luftangriff in einem Höhleneingang, als ein großer Bär auftaucht und ebenfalls Schutz sucht. In nächster Nähe drücken sich beide gegen die Felsen. Als der Angriff vorbei ist, wirft Jîn dem Bären einen Apfel zu und beide gehen ihrer Wege. Beim Diebstahl von Essen und Kleidung in einem abgelegenen Bauernhof, nimmt das Mädchen auch ein Kinder-Lesebuch mit, wodurch deutlich wird, in welcher Zerrissenheit die Jugendliche zwischen Kriegseinsatz und Heranwachsen steht. Jîn zieht das gestohlene Kleid an und versteckt ihren Kampfanzug und das Gewehr in den Bergen, um sich auf den Weg zu fernen Verwandten im Westen der Türkei zu machen. Doch überall lauern Militärkontrollen und als Kurdin ohne Papiere ist ein Durchkommen aussichtslos. Reha Erdem zeigt einen selten thematisierten Konflikt. Dabei beschäftigt er sich nicht tiefer mit politischen Hintergründen. Er konzentriert die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges auf die Erlebnisse des kurdischen Mädchens. Wir erfahren nichts über Jîns Vorgeschichte, ihre Persönlichkeit bleibt bruchstückhaft und dennoch leiden wir in jedem Moment mit ihr und fürchten die Ausweglosigkeit. Spätestens als die Landschaft wieder bergiger wird und Jîn aus einer Höhle ihr Maschinengewehr und die Kampfkleidung hervorzieht, wissen wir, dass sie nicht weiter im Westen ist, sondern wieder an einen früheren Ausgangspunkt zurückkehren musste. Der Krieg ist noch nicht zu Ende.
Wald als Zuflucht – The Cold LandsWeit zurückgezogen im Wald lebt der elfjährige Atticus mit seiner Mutter Nicole irgendwo im USBundesstaat New York. Ihr Zuhause ist ein abgelegenes Holzhaus und offensichtlich brauchen beide nicht viel mehr zum Leben. Die Mutter versucht, das Leben für sich und ihren Sohn unabhängig und frei von den Zwängen der Konsumgesellschaft zu gestalten. Nicole ist jedoch schwer krank. Die eher aufdringlichen Hilfsangebote einer Nachbarin lehnt sie ab und fürchtet, dass ihr und vor allem Atticus alles weggenommen wird, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen können. Doch eines Tages ist es zu spät. Als Atticus auf dem Heimweg ist, sieht er wie seine tote Mutter aus dem Haus getragen wird. Sie hatte ihm noch vor einigen Tagen den Auftrag gegeben, keinesfalls mit der Nachbarin mitzugehen. Während Polizisten und Nachbarn am Haus auf Atticus warten, versteckt er sich im Wald, schläft im Moos und ernährt sich von Beeren und Pflanzen. Die Bäume geben ihm Sicherheit. Als die Erwachsenen beginnen, den Jungen zu suchen, verschanzt er sich immer tiefer in den Waldgebieten. Dort machen bedrohliche Waffenübungen und Brandstiftungen auch dieses Versteck für Atticus zunehmend gefährlich. Als er in eine brisante Situation gerät, rettet ihn Carter, ein Fremder. Auch er lebt ohne richtiges Zuhause, hat kaum Geld und lässt sich treiben. Carter fühlt sich aber für Atticus verantwortlich und entgegen seiner ursprünglichen Pläne, bringt er es nicht übers Herz, den Jungen wieder loszuwerden. So wird auch Carter bewusst, dass jeder auf den anderen angewiesen ist.Die Begegnung zwischen Carter und Atticus bildet einen Schnitt in der Geschichte und teilt Atticus’ Leben in die Zeit mit und ohne seine Mutter. Wir ahnen zwar, dass Atticus permanent die Begebenheiten in sich aufsaugt und dadurch lernt, dennoch bleibt er so schweigsam und vermeintlich in sich ruhend, wie von Anfang an. Immer wieder taucht Atticus’ Mutter in Visionen des Jungen auf. In einer Szene, als Atticus zu Carter sagt, „die meisten Leute wollen einfach nur glücklich sein. Das sagt meine Mama“, spürt man nicht nur, dass dies eine Lektion für den erwachsenen Carter ist, sondern auch dass der Junge nun bereit ist, für weitere Kapitel in seinem Leben, mit dem Bewusstsein, dass er es weiterhin ohne seine Mutter führen muss.Regisseur Tom Gilroy stellt Menschen in den Mittelpunkt seines Films, die am Rande der amerikanischen Gesellschaft stehen.
Die Geschichte bleibt trotz erschreckender Erlebnisse für die Protagonisten unspektakulär und ohne Effekthascherei. Dies fesselt den Zuschauer auf eigenwillige, aber dennoch eindringliche Art und Weise. Silas Yelich als Atticus in seiner ersten Filmrolle stammt aus dem Ort, an dem gedreht wurde. Seine Kenntnis der Wälder unterstützte sein Spiel und beförderte den intensiven Bezug zur Natur. Lili Taylor (u. a. Arizona Dream, 1992, I Shot Andy Warhol, 1996, Das Geisterschloss, 1999) ist als Mutter Nicole großartig besetzt. Insgesamt ist The Cold Lands ein dichtes, in sich geschlossenes Drei-Personen-Stück. Beengende Weite – Hide Your Smiling Faces Und wieder Wälder. Weite, dünn besiedelte Landschaften im Nordosten der USA. Im Bundesstaat New Jersey spielt Hide Your Smiling Faces, das Debüt des Regisseurs Daniel Patrick Carbone. Auch bei ihm waren persönliche Bezüge zur Landschaft die Grundlage für die Geschichte und die Wahl der Drehorte.Die beiden Brüder Tommy und Eric stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Mit weiteren Kids aus der Nachbarschaft streunen sie durch die dunstigen Wälder und hängen an abgeschiedenen Seen ab. Es sind Sommerferien und die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Bis die Nachricht des Todes eines der Jungen aus dem Ort die Idylle erschüttert. Ian war gleich alt wie Tommy und wurde unterhalb einer stillgelegten Bahnbrücke gefunden. Das Unglück wirft viele Fragen auf, die es vorher nie gegeben hat. Was ist geschehen? Ist der Junge gesprungen oder war es ein tragischer Unfall? Für Tommy wiegt der Tod schwer, da er einen Freund verloren hat. Doch auch sein älterer Bruder Eric hat große Probleme mit dem Unglück umzugehen, das die gesamte Familie aus dem Lot zu bringen droht. Eric, als der Ältere, ist stets gefordert, vernünftig zu handeln. Er möchte seinem Bruder auch helfen, kann aber die eigenen Gefühle kaum kontrollieren. Schwäche zu zeigen, ist mit seiner Lebensphase nur schwer vereinbar. Eric belasten auch die Andeutungen seines Freundes Tristan, der begonnen hat, das Leben zu hassen. Daniel P. Carbone zeigt uns die Welt der beiden Brüder in Hide Your Smiling Faces als isolierten Mikrokosmos. Die anfänglich weite und wilde Natur wirkt plötzlich bedrohlich und morbide. Die endlose Landschaft wird enger und erdrückender, vor allem Eric merkt, dass er da raus muss. Der Wunsch, irgendwo anders zu sein, bringt eine neue Facette in das bisherige Leben der Familie. Die Eltern sind mit der Frage überfordert, die Eric stellt: „Wünschst du dir nie, woanders zu sein?“ Auch diesen Film zeichnet eine durchgängige, prägnante Stille aus. Für viele im Kino (und auch im Alltag) eine ungewohnte Erfahrung.
Der tolle Titel des Films fügt einen roten Faden hinzu. Im Alter der Jungen steht der Wunsch nach Coolness und Härte dem Zeigen der inneren Befindlichkeit und der wahren Gefühle entgegen. Auf ihren Trips durch die Landschaft, mit dem Ziel, Abenteuer an den Seen oder in verlassenen Häusern zu erleben, steht ‚Lächeln‘ nicht auf dem Plan. Demgegenüber kann gerade in Momenten, in denen etwas anderes erwartet wird, ein Lächeln eine Waffe der Provokation sein, die wohl fast jeder Heranwachsende schon einmal gezogen hat, um sich gegen Konventionen zu stemmen. Eine Interpretation des Titels liefert uns der Filmemacher auch in einer Schlüsselszene, als die Eltern und Eric versuchen, Tommy die schlimme Nachricht vom Tod seines Freundes zu überbringen. Mitten im erschütterten Schweigen muss Eric nach einem Blickkontakt mit seinem Bruder plötzlich lachen. Weder er noch die anderen wissen warum, und so fehl am Platz diese Reaktion auch sein mag, sie könnte kaum emotionaler sein. Von allen verlassen – The Weight of Elephants Seit einigen Jahren bietet die Berlinale für junge Zuschauerinnen und Zuschauer von GENERATIONunter dem Titel „Cross Section“ ausgesuchte Filme aus anderen Sektionen. Ein herausragender Film (im dieses Jahr ohnehin starken FORUM der Berlinale) war die neuseeländischdänisch- schwedische Koproduktion The Weight of Elephants. Sicherlich kein Film für Kinder, sondern eher so wie es der Berlinale-Katalog treffend beschreibt, „eine universelle Geschichte für Erwachsene und solche, die es nie werden wollen.“In seinem ersten abendfüllenden Spielfilm führt uns der aus Dunedin/Neuseeland stammende Regisseurs Daniel Joseph Borgman direkt hinein ins trostlose Leben des zehnjährigen Adrian. Der Junge ist ein Einzelgänger, von seinen Klassenkameraden ausgelacht, von seiner Mutter verlassen. Er lebt isoliert am Rande einer Ortschaft im neuseeländischen Niemandsland im Haus seiner Großmutter. Sie und sein unter schweren Depressionen leidender Onkel Rory sind zunächst Adrians einzige Bezugspunkte. In den TV-Nachrichten wird die Entführung von drei Kindern gemeldet und zeitgleich bekommt Adrian neue Nachbarn.
Er ist fasziniert von der gleichaltrigen Nicole und muss sich fragen, ob sie und ihre jüngere Schwester Joely nicht die verschwundenen Kinder sind. Vorsichtig freunden sich die Kinder an. Auch die beiden Schwestern tragen ein für sie schwer zu verkraftendes Geheimnis mit sich herum. Die jüngere Joely hat eine gewisse Unbeschwertheit bewahrt, mit der sie auf Adrian zugeht und die ihm sichtlich gut tut. Nicole hingegen fühlt sich genauso wie Adrian als Außenseiterin. Wie der Junge selbst wirkt sie mit ihren zehn Jahren als lägen die Facetten einer Kindheit bereits weit hinter ihr. So als hätte sie schon vieles erlebt und erduldet und als sei alles um sie herum einer Gewissheit gewichen, dass nichts im Leben zum Leben taugt. The Weight of Elephants hat eine großartige Ästhetik und die Geschichte wird mit viel Liebe zu Details und zu den Hauptprotagonisten erzählt. Daniel Joseph Borgmans Vorerfahrungen mit Visual Effects und Kolorierung sind spürbar. Behutsam lässt er uns an den Kontrasten zwischen Adrians tristem, teils hartem Alltag und seiner fantasiereichen Traumwelt teilhaben. Vor allem in Adrians Fantasie drückt sich dessen Isolation aus. Beispielsweise wenn er in einem alten, auf dem Trockenen stehenden Ruderboot sitzt und sich in die Wellen des Ozeans träumt. Adrian bleibt gleichzeitig nichts an realen Schicksalsschlägen und Gemeinheiten erspart. Der Hass seiner Schulkameraden scheint dabei sogar noch das Wenigste zu sein, was auf ihn hereinbricht. Seine Frage, warum ihn immer und immer wieder alles und jeder verlässt, ist berechtigt, bleibt aber unbeantwortet.Wenngleich im Film direkt kein Hinweis auf den Titel gegeben wird, so wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende, dass es das Leben selbst ist, an dem wir schwer zu tragen haben. Es ist wie das Gewicht eines Elefanten, das einen tief nach unten ziehen kann. Und nur ganz am Ende, als wir schon gar nicht mehr damit rechnen, zeigt uns Borgman einen Hoffnungsschimmer.Es gibt die Chance, auf jemanden zu treffen, der die Kraft eines Elefanten hat, uns wieder nach oben zu ziehen und uns beweisen kann, dass jeder von uns für sich genommen, ein großer Wert ist. Ein außerordentliches Werk, das durch die großartige Kamera von Sophia Olsson und eine unglaubliche Schauspielleistung von Demos Murphy (Adrian) und Angelina Cottrell (Nicole) besticht. In einer dramatischen Schluss-Sequenz sind Adrian und Nicole nachts allein in einer alten Schwimmhalle.
In Nicoles Augen ist es gleichgültig geworden, zu leben oder zu sterben. Als sie über die Abdeckungen des noch gefüllten Wasserbeckens balanciert und schließlich einbricht, überwindet Adrian seine Versagensängste, taucht hinterher und zieht sie in letzter Sekunde wieder an die Oberfläche. Es ist ein berauschend intensiver Moment, wenn sich die beiden Kinder weinend aneinander klammern. In einem einzigen Satz Nicoles erfährt Adrian all die Zuneigung und Nähe, die ihm sonst die ganze Zeit verwehrt geblieben ist: „Lass mich nicht mehr allein.“
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Farben, bitte!
Szillat, Antje (2010). Alice im Netz. Das Netz vergisst nie! Herausgegeben von lehrer-online und Caritas. Neureichenau: Edition Zweihorn. 155 S., 6,95 €.
Lehmann, Daniela/Szillat, Antje (Hrsg.). Unterrichtsmaterialien für die 7.-10. Klasse zum Buch Alice im Netz. Das Netz vergisst nie! Neureichenau: Edition Zweihorn.
Szillat, Antje (2010). Rache @. Herausgegeben von lehrer-online. Neureichenau: Edition Zweihorn. 136 S., 6,95 €.
Szillat, Antje (Hrsg.) Unterrichtsmaterialien für die 6.-10. Klasse zum Buch Rache @. Neureichenau: Edition Zweihorn.
Eine Warnung muss ausgesprochen werden und das eindringlich: Finger weg von diesen Medien! Am besten einen großen Bogen machen um Computer und Co. Denn wer sich einmal mit ihnen einlässt, der ist schon fast verloren. Das zumindest ist der Eindruck, der diffus stehenbleibt, wenn man die letzte Seite umgeblättert hat und die Bücher Rache @ oder Alice im Netz von Antje Szillat zuklappt. Dabei hat alles so viel versprechend angefangen! Eine Buchreihe erschien, in der Edition Zweihorn, herausgegeben von lehrer-online. Da freut man sich, denn lehrer-online macht viele gute Angebote zur Förderung der Medienkompetenz und die Buchreihe – für die diese beiden Bücher natürlich nur als Beispiel stehen können – beschäftigt sich mit Medien und den Problemen, in die man geraten kann, wie Cybermobbing, Stalking, das ganze Programm. Man bestellt also zwei Bücher, das begleitende Lehrermaterial gleich dazu und fängt voller Interesse an zu lesen. Rache @ ist zuerst dran. Man lernt Ben kennen, einen etwas unsicheren, ein bisschen zu naiv gezeichneten Jungen mit schwankendem Selbstwertgefühl und intakter aber nicht allzu herzlicher Familie. Der wird von Mitschülern sowie dem Mathelehrer nicht akzeptiert bzw. gemobbt, sucht daraufhin Hilfe bei Marcel, gleichaltrig, aus kaputtem Elternhaus, depressiv, kaltherzig und durchtrieben, der sofort eine Verleumdungskampagne vom Feinsten startet, den Lehrer innerhalb kürzester Zeit als angeblich Pädophilen diffamiert, die Klassenkameraden brutal verprügelt und zu guter Letzt mit einer scharfen Waffe hantiert – bis die Polizei eingreift und ihn in eine Therapie-Einrichtung verfrachtet, wo er „wohl ‘ne Weile bleiben“ muss. Ende gut, alles gut?! Plötzlich sind die Klassenkameraden und der Lehrer Bens beste Freunde und das Internet – darüber redet lieber niemand mehr. So viel Schwarz-Weiß-Denken auf 136 groß bedruckten Seiten liegt schwer im Magen und die Klischee-Kasse klingelt auch auf jeder Seite – ganz abgesehen davon, dass das Buch als glatte Themaverfehlung durchgehen würde, weil Marcel ein ganz ‚normaler‘ Bully ist, der seine Prügelattacken lediglich um ein YouTube-Video anreichert. Die eigentlichen Spezifika von Cybermobbing, die Art des Mobbing, die Verbreitung, die Anonymität, werden völlig außen vor gelassen.
Also kurz durchatmen und weiter zu Alice im Netz. Hier dreht sich – natürlich – alles um Alice. Das weibliche Pendant zu Ben ist nur nach Farben, bitte! Unterrichtsmaterial, das so schön sein könnte, wäre es nicht so schwarz-weiß außen selbstsicher, ein bisschen naiv gezeichnet, mit intakter aber nicht allzu herzlicher Familie ...Ihr wird das Lebens schwer gemacht von (einem vermeintlichen und) einem verrückten Stalker, nahezu gleichaltrig, aus kaputtem Elternhaus, Ein-Euro-Jobber, depressiv, kaltherzig und durchtrieben, der sich aus dem Internet Name, Adresse und Vorlieben seines Opfers sucht, seine Wohnung mit Unterwäsche-Fotos von ihr tapeziert (die er durch ihr ebenerdiges Schlafzimmerfenster schießt), sie auf Schritt und Tritt verfolgt und zu guter Letzt Anstalten macht, sie zu vergewaltigen – bis die Polizei eingreift und ihn von der Bildfläche verschwinden lässt. Und das Internet? Dort werden sofort und restlos alle Spuren von Alice „ausgelöscht“ und sie nimmt sich fest vor, nie mehr so „digital naiv“ zu sein. Nach dieser erschütternden Lektüre ist das Unterrichtsmaterial nur die logische Fortsetzung des offensichtlich dramatisch zweifarbig (nämlich schwarz und weiß) gehaltenen Weltbildes von Frau Szillat: Die Schülerinnen und Schüler sollen Textarbeit machen, auf eng gestellte Fragen die richtigen Textstellen heraussuchen und abschreiben – ein Transferversuch oder gar eine Diskussion der Datenschutzproblematik im Internet oder von Cybermobbing werden nicht angeregt.
Dieses Paket ist deshalb gleich auf mehreren Ebenen enttäuschend: Es behandelt kaum bis gar nicht die angegebenen Themen – in beiden Büchern wird im Grunde der Werdegang eines psychisch schwer kranken Menschen gezeichnet. Dass der sich irgendwann im Krankheitsverlauf auch mal an einen PC setzt, hat mit seinem eigentlichen Problem nichts zu tun. An keiner Stelle werden die Schwierigkeiten thematisiert, die tatsächlich medienspezifisch sind – und noch weniger werden auf Probleme konstruktive Lösungsvorschläge gemacht. Nirgendwo findet sich ein Ansatz, wie mit Medien denn ‚besser‘ umzugehen wäre, obwohl ‚Medien‘ als zentrales Thema der Bücher angekündigt werden. Inhaltlich spielen sie aber nur die Rolle des Sündenbocks, weiter nichts. Die Probleme in beiden Büchern lösen sich durch zwei einfache Strategien: 1. Polizeieinsatz. 2. Medienabstinenz. Das ist so plakativ und drastisch wie unrealistisch – ganz ‚alltägliche‘ Arten von (Cyber-)Mobbing etwa werden völlig ausgeklammert, von den Wegen, Prävention zu betreiben oder ihnen zu begegnen, ganz zu schweigen. Antje Szillat zeichnet so ein angsteinflößendes, ohnmacht-suggerierendes und eindimensionales Weltbild, mit den ‚Guten‘ (Opfern), den ‚Bösen‘ (Tätern, allerdings ohne jedes Identifikationspotenzial, denn diese ‚Täter‘ sind ja durch ihre Familie, Herkunft, kaputte Kindheit ohnehin prädeterminiert) und ‚Medien‘ (von denen man tunlichst die Finger lassen sollte). Sie vergibt sich so die Chance, Jugendliche zum Nachdenken und reflektierten Nutzen anzuregen und polarisiert stattdessen, ohne sich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung einzulassen. Die letzten Seiten der Bücher und Begleithefte stimmen dann doch wieder etwas versöhnlicher, da die Materialien sich am Ende nach außen öffnen und jeweils etwa gut ausgewählte Linklisten und Adressverweise, teilweise auch Zusatzaufgaben mit Materiallisten und Diskussionsanregungen in den Lehrerheften zur Verfügung stellen. Dies zumindest sind teilweise auch Materialien mit einem umfassenden, dialektischen und konstruktiven Ansatz, die helfen können, sich mit Medien sinnvoll, reflektiert und kompetent auseinanderzusetzen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung.
Beitrag aus Heft »2013/01: Medien und Arbeitswelten«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Cornelia Pläsken: Vom Zombiehund und anderen untoten Haustieren – Frankenweenie
Victor Frankenstein ist ein zehnjähriger Junge, der etwas anders ist als seine Mitschüler. Er verbringt seine Zeit am liebsten auf dem Dachboden und beschäftigt sich mit der hohen Kunst des Filmemachens und der Wissenschaft. In der Schule zählt er nicht gerade zu den beliebtesten Schülern, aber das stört ihn nicht sonderlich, da er seinen besten Freund Sparky, den Hund der Familie, hat. Mr. Frankenstein ist allerdings der Meinung, dass sich sein Sohn auch mal mit anderen Dingen wie zum Beispiel Sport beschäftigen sollte und dort ebenfalls Erfolge erzielen könnte. Daraufhin lässt sich Victor von seinem Vater breitschlagen und nimmt an einem Baseball-Spiel teil. Als der Junge seinen ersten Homerun schlägt, gibt es für den lebhaften Sparky kein Halten mehr: Er reißt sich von seiner Leine los, läuft dem Ball hinterher und bemerkt dabei nicht, dass er auf die Straße gelaufen ist, woraufhin er von einem Auto erfasst wird. Der Tod seines Hundes ist für Victor mehr als schwer. Er kann und will seinen besten Freund nicht loslassen. Zur rechten Zeit kommt dem jungen Wissenschaftler dank seines Wissenschaftslehrers Mr. Rzykruski und eines von ihm durchgeführten Experiments die rettende Idee, wie er sein geliebtes Haustier wieder zurückbekommt. Während einer geheimen Mission mitten in der Nacht gräbt der junge Erfinder Sparky aus seinem Grab aus, bringt ihn vorsichtig nach Hause auf den Dachboden und beginnt mit seinem wagemutigen Vorhaben: Er will Sparky ins Leben zurückholen. Dafür hat Victor einen präzisen Plan entwickelt, wie er mithilfe eines Unwetters und einigen Hilfsmitteln die unvorstellbare Vom Zombiehund und anderen untoten Haustieren – Frankenweenie Wiederbelebung durchführen kann. Das Unmögliche wird tatsächlich möglich: Sparky erwacht wie von Zauberhand wieder zum Leben. Etwas zusammengeflickt, aber dennoch lebhaft wie eh und je wirbelt der kleine Hund auf dem Dachboden herum. Damit der untote Hund ein Geheimnis bleibt, schärft Victor ihm ein, den Raum nicht zu verlassen. Dies gelingt ihm jedoch nicht. Bei einer Tour durch die Nachbarschaft wird Sparky von Außenseiter Edgar entdeckt. Ohne zu zögern wittert Edgar seine Chance, mithilfe dieses Geheimnisses Victors Partner für das Wissenschaftsprojekt der Schule zu werden.
Nachdem Victor ihn in sein Geheimnis eingeweiht hat, will der Nachbarsjunge ebenfalls ein untotes Haustier. Die zweite Durchführung des Experiments schien für den Augenblick auch zu funktionieren, doch hält das Resultat nur für einige Stunden an. In seinem Übermut kann Edgar das Geheimnis nicht für sich behalten und erzählt es anderen Kindern aus der Schule. Diese wollen einen Beweis und verlangen von Edgar ihnen zu helfen, ihre toten Haustiere auch wieder zum Leben zu erwecken. Und so nimmt das Unheil der Zombiehaustiere seinen Lauf … Frankenweenie erzählt die unglaubliche Geschichte eines Jungen, der dank seiner Liebe zu seinem Hund und zur Wissenschaft die scheinbaren Grenzen des Möglichen überschreitet. Das Thema Familie findet durch den Beistand von Victors Eltern bei der Suche nach Sparky ebenfalls Beachtung wie das Thema Mut bei der grandiosen Bekämpfung der anderen Zombiehaustiere. Eine alte Idee, die mit neuer Aufmachung und Ausarbeitung als Horror-Komödie eine mitreißende, spannende und gleichzeitig humorvolle Geschichte erzählt. Dabei ist die Grundstimmung des Films einerseits durch die Darstellung in Schwarz-Weiß und andererseits durch die Umgebung und die Vorkommnisse sehr düster. Unterstrichen wird die Stimmung zusätzlich durch die osteuropäischen Akzente mancher Figuren. Da kann eine elektrisierende Situation schon mal von diversen Lachern und der ein oder anderen kleinen Träne beim Kinobesucher abgelöst werden. Aufbereitet wurde der Stop-Motion-Animationsfilm mithilfe von3D-Effekten, die dem Film, der aufwändig mit Puppen und viel Sorgfalt produziert wurde, wahrlich Leben einhauchen.
Eine Besonderheit sind die – durch äußerliche Eigenschaften und sprachliche Eigenheiten – unterschiedlichen Charaktere. Liebhaberinnen und Liebhaber von Filmen Tim Burtons dürfen sich dieses Werk auf keinen Fall entgehen lassen, aber auch alle anderen, die Freude an Animations- Unzertrennlich, in allen ‚Lebens‘lagen filmen mit gruselig-lustigen Szenen haben, sind dazu angehalten, sich das Werk anzusehen. Kindern könnten allerdings manche Szenen Angst einflößen, da schaurige Szenen authentisch umgesetzt wurden. Daher ist Frankenweenie kein klassischer Familienfilm, aber ein weiteres meisterhaftes Werk aus der Feder Tim Burtons.
Frankenweenie
USA (2012)
Drehbuch und Regie: Tim Burton
Produktion: Tim Burton, Allison Abbate
FSK: noch nicht geprüft
Kinostart: 24. Januar 2013
Cornelia Pläsken studiert Pädagogik und Kommunikationswissenschaften an der LMU München. Sie ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung.
Cornelia Pläsken: Die gruseligen Abenteuer eines kleinen grünen Wackelpuddings
The Great Jitters: Pudding Panic, Kunst-Stoff GmbH, PC-CD-ROM, 9,99 €
Große Augen und ein leicht verängstigter Blick – schon beim ersten Hinsehen verliebt man sich in den kleinen grünen Wackelpudding, der das Cover des Spiels The Great Jitters: Pudding Panic ziert. 2011 erschien das Spiel zuerst als App für iPhone und iPad, doch schon nach kurzer Zeit war auch eine 3D-Version für den PC oder MAC erhältlich. Doch was verbirgt sich hinter dem Spiel, das unter anderem mit dem Deutschen Entwicklerpreis 2011 und dem Deutschen Computerspielpreis 2012 ausgezeichnet wurde? Um herauszufinden welchen Abenteuern sich der grüne Wackelpudding stellen muss und welche Gefahren auf ihn lauern, benötigt man etwas Geduld, viel Geschick und Konzentration sowie Kombinationsfähigkeit. Ziel des Spiels ist es, den kleinen grünen Pudding sicher durch die Geisterbahn zu geleiten. Bevor der Spaß beginnt, muss allerdings das Spiel auf dem Computer installiert werden. Dies gestaltete sich – mit Ausnahme von kleinen Anfangsschwierigkeiten in Form von etwas längeren Verzögerungen beim Laden des Installationsfensters – relativ einfach. Durch die normalen Anforderungen an die Hardware kam es sonst zu keinerlei Problemen bei der Installation.
Die Fahrt beginnt
Sobald das Spiel installiert wurde, kann die Fahrt des kleinen Puddings in der Geisterbahn beginnen: Insgesamt bietet das Spiel vier Welten mit 48 Leveln, von denen nacheinander eine bestimmte Anzahl freigespielt werden muss, damit man die nächste Welt erreicht. Bevor man sich auf ein neues Level voller gruseliger Monster wagt, wird der Spielerin oder dem Spieler mithilfe eines kurzen Vorspanns, der eine kurze, spielerische Beschreibung und ein Bild beinhaltet, die Herausforderung schmackhaft gemacht. Aufgebaut ist die Geisterbahn aus einem Gleis, das verwinkelte Kurven, Hindernisse und vieles mehr bietet. Zu Beginn der ersten Welt lernt der Pudding verschiedene Funktionen, Monster und Waffen kennen. Die erste Aufgabe ist es, an Wegkreuzungen die Weichen umzustellen, damit man ans Ziel gelangt. Dabei ist es immer wichtig, die sogenannten „V.I.P. Tokens“ einzusammeln, um auf diese Weise neue Welten freizuschalten. Wenn bis dahin unbekannte Aktionen hinzukommen, unterstützen Informationskästen die spielende Person, indem sie angeben, was man warum machen soll. Sobald Monster im Spiel sind, muss auf mehrere Dinge geachtet werden. Wenn der süße Pudding von einer gruseligen Hexe erschreckt wird, verliert er einen Teil seiner Mutenergie und rast anschließend verschreckt in die entgegengesetzte Richtung weiter. Um dem zu entgehen, müssen pinkfarbene Tokens, die überall auf den Gleisen verteilt liegen, eingesammelt werden. Diese ermöglichen es, Waffen wie beispielsweise den „Viper Punch“ einzusetzen und damit die Monster zu erschrecken und von den Gleisen zu werfen, bevor diese einem zuvorkommen.
Mut zur Lücke
Manchmal kommt es vor, dass in den Schienen Lücken sind. Diese kann der Pudding schließen, indem er an einem roten Hebel vorbeifährt und so das fehlende Stück des Gleises aktiviert und einsetzt. Mit der Zeit lernt der kleine Pudding, dass er auch vor den Monstern davonlaufen kann, wenn er den „Booster“ einsetzt. Um diesen zu aktivieren, muss zuvor wiederum eine bestimmte Anzahl an pinkfarbenen Tokens eingesammelt worden sein. Auf diese Weise kann der grüne Pudding den lauernden Gefahren auch mal entgehen und flink entkommen. Neben den normalen Leveln, bei denen man während der Fahrt einen guten Überblick über die gesamte Bahn und die Gefahren hat, gibt es zwischendurch das eine oder andere Level, bei dem der Pudding mit hoher Geschwindigkeit in die Finsternis hineinfährt und durch Geschick und schnelle Reaktionen die Monster erschrecken und schnell zum Ausgang gelangen muss.
Neue Herausforderungen
Je weiter der Pudding kommt, desto mehr Herausforderungen stellen sich ihm. Manchmal ist es nicht so einfach, fehlende Gleisstücke zu aktivieren, da es auch Hebel gibt, die mit einem Schloss verriegelt sind. Um diese Hebel trotzdem zu betätigen, muss sich der grüne Pudding auf die Suche nach dem Schlüssel machen. Dieser befindet sich im Besitz eines Monsters, das es zu finden gilt. Durch rechtzeitiges Erschrecken kann man sich den Schlüssel zu eigen machen und so den verschlossenen Hebel aktivieren, um doch noch zum Ausgang zu gelangen. Mit der Zeit bekommt der Pudding eine größere Auswahl an Waffen. Dadurch steigert sich das Schwierigkeitsniveau, da die Waffen nicht willkürlich einzusetzen sind, sondern jede ihre spezielle Funktion besitzt. Diese wachsende Komplexität stellt die Spielenden vor neue Herausforderungen, geschickt mit den Waffen umzugehen und aktiviert auf diese Weise Konzentrations- sowie Kombinationsfähigkeiten. Besonders gefordert werden dabei jüngere Spielerinnen und Spieler, da durch die zunehmenden Funktionen und Möglichkeiten des Spiels eine schnelle Auffassungsgabe benötigt wird, um den Pudding sicher zum Ausgang zu geleiten. Zu diesen Funktionen zählen beispielsweise eine neue vielseitige Waffe namens „Shelter Bag“, die mehr kann als nur Monster zu erschrecken, oder auch der „Rail Rotor“, der dafür sorgt, dass an Kreuzungen die Fahrtrichtungen geändert werden können. Im Verlauf des Spiels werden alle Möglichkeiten, obgleich es sich um verschiedene Waffen oder Monster handelt, immer mehr miteinander kombiniert. So steht der Pudding vor immer neuen Herausforderungen. Mal geht es darum, geschickt die richtigen Waffen gegen die Monster einzusetzen ohne dass die pinkfarbenen Tokens ausgehen, ein anderes Mal muss sich der süße Pudding mit wenig Waffen und viel Kombinationsgeschick durch das Level und an den Monstern vorbei kämpfen. Der Schwierigkeitsgrad erhöht sich im Verlauf einer Welt und verlangt den Spielenden einiges ab. Deswegen braucht man allerdings nicht zu verzweifeln, denn mit etwas Übung und Durchhaltevermögen ist es jeder Spielerin und jedem Spieler möglich, die Schwierigkeiten zu meistern und mit dem kleinen Pudding in neue Welten einzutauchen.
Das Fazit
Dieses Spiel, das sowohl Action- als auch Geschicklichkeitselemente beinhaltet, bringt von Anfang an jede Menge Spaß mit sich. Ob Groß oder Klein – die Abenteuer des kleinen grünen Wackelpuddings machen neugierig. Die Grafik ist insgesamt sehr ansprechend gestaltet. Der Pudding an sich sticht besonders hervor, da er von der ersten Sekunde an die spielende Person – trotz einfacher Gestaltung – liebreizend und ansprechend ansieht. Unterstrichen wird das Spiel mit witziger Hintergrundmusik und Geräuschen. Die Handhabung ist recht einfach gehalten und somit leicht anwendbar. Etwas störend ist, dass man bei jedem Level die Kameraführung manuell einschalten muss, denn sonst fährt der Pudding auf den Gleisen, ohne dass man ihn dabei sehen kann. Während der Fahrt kann es zwischendurch zu kleinen Sichtstörungen kommen, die beispielsweise aufgrund von Kurven auftreten. Dies kann schon mal dazu führen, dass man ein Monster zu spät sieht, da sich diese Wesen schneller bewegen als der Pudding, der deshalb Mutenergie verliert. Hilfeoptionen sind nicht direkt gegeben, sind allerdings auch nicht nötig, da jede neue Aktion von Anfang an erklärt wird und sich deswegen später keine Fragen ergeben. Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Spiel sehr viel Spaß macht, wenn man die benötigte Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Konzentration mitbringt. Außerdem regt es die Kombinationsfähigkeit an und motiviert durchzuhalten. Trotzdem kann es schon mal passieren, dass man an einem Level verzweifelt, da der Schwierigkeitsgrad fortwährend zunimmt. Freigegeben ist das Spiel zwar ab sechs Jahren, jedoch könnten Kinder dieses Alters doch auch an ihre Grenzen stoßen.
Cornelia Pläsken studiert Pädagogik und Kommunikationswissenschaften an der LMU München. Sie ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Alter Schabernack auf neuen CDs
Paul Maar/Capella Antiqua Bambergensis/Murat Coskun (2012). Das fliegende Kamel – Ucan Deve. Geschichten von Nasreddin Hodscha neu erzählt von Paul Maar. Bamberg: CAB Records. Doppel CD. 19,50 €.
„Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.“ Ein vermutlich kluger Mensch (hartnäckig wird behauptet, es sei Kurt Tucholsky) hat das einmal recht treffend bemerkt und sich damit tausendfach in Zitatbücher, auf Postkarten und Facebook-Profile katapultiert und dort verewigt. Wie es zu dem Spruch kam und wo sich der Sprecher selbst einsortieren müsste, bleibt unklar. Sicher ist aber, dass er damit ziemlich treffend ein Lebensmotto auf den Punkt bringt, das sich eine berühmte Figur mündlicher Prosa hervorragend zu eigen gemacht hat: Till Eulenspiegel, Afántí, Kožanasyr oder auch: Nasreddin Hodscha. Den weisen Narr, der durch die Lande zieht und den Menschen abwechselnd einen Spiegel vorhält und augenzwinkernd das Geld aus der Tasche zieht, kennen fast alle Kulturkreise. Sie haben unterschiedliche Namen für ihn und erzählen leicht abgewandelte Geschichten; bisweilen sind Lebensdaten und scheinbare Beweise der echten Existenz eines dieser pfiffigen Spaßvögel im Umlauf, Nasreddin Hodscha treibt seinen Schabernack mit den Menschen sogar so weit, dass er gleich in mehreren Gräbern in der Türkei, im Iran und im Irak begraben sein will. Doch ob es ihn gab oder nicht, wie er hieß und was er wirklich erlebte – klar ist, dass die Geschichten des Schelmes sich über hunderte Jahre von Mund zu Mund verbreiteten, dass sie Kinder zum Staunen und Erwachsene zum Schmunzeln brachten, so manches Aha-Erlebnis oder einen fallendes Groschen produzierten und immer wieder die Menschen genau an ihren ‚menschlichsten‘ Punkten trafen.
Damit gerade Nasreddin Hodscha, der schelmische Lehrer, der im 14. Jahrhundert in Anatolien seine absurden, philosophischen, oft närrischen,fast immer mit einer weisen, tiefsinnigen oder zumindest überraschenden Geschichten erlebt haben will, nicht in einem seiner diversen Gräber verschwindet, hat sich Paul Maar, der deutsche Kinderbuchautor und Sams-Papa, jetzt dem arabischen Schalk angenommen. Denn gerade weil viele junge Menschen türkischer Herkunft in Deutschland nicht mehr richtig Türkisch lernen, die Sprache oft kaum lesen und schreiben können, verlieren sie den Kontakt und Bezug zu den traditionellen Geschichten ihres Kulturkreises. Das findet Paul Maar schade, das findet auch die Ernst Reuter Intitiative für Dialog und Verständigung zwischen den Kulturen schade und so entstand die Idee, den Schalk der ‚alten Zeiten‘ wieder aufleben zu lassen, ihm den Staub vom einzigen Mantel zu klopfen, seinen alten Esel wieder auf die Hufe zu stellen und ihn nicht nur in zeitgemäßer, sondern auch noch gleichzeitig in deutscher und türkischer Sprache den Kindern und Jugendlichen des 21. Jahrhunderts zu präsentieren.
Dazu hat Paul Maar getan, was er am besten kann, nämlich (nach der Vorlage der alten Sagen) Nasreddins Abenteuer (neu) geschrieben. Anschließend sperrte sich erst Paul Maar mit Murat Coskun für die deutsche Version und dann Murat Coskun mit Ibrahim Sarialtin für die türkische Version in ein Studio und sie erzählten den Mikros, was der alte Schelm so alles erlebt, wenn der Tag lang ist. Und zu guter Letzt packte noch die Capella Antiqua Bambergensis ein paar Instrumente und Kostüme aus und steuerten Klänge bei, die die Zuhörerinnen und Zuhörer direkt ins bunte Treiben und Summen und Brummen der Marktplätze des arabischen Kulturkreises im 14. Jahrhundert versetzen. Herausgekommen sind zwei CDs mit je 28 Geschichten des spitzbübischen Hodscha, insgesamt je fast eine Stunde Hör-Zeit, in der man dem weisen Mann, seinen klugen Pointen und dazu dem fidelen Klang der mittelalterlichen Instrumente lauschen kann. Das ist kurzweilig und spaßig, manchmal erhellend und manchmal verblüffend, manchmal zum Schmunzeln und manchmal zum an-die-eigene-Nase-Fassen. Gerade für Kinder, denen man einen Zugang zu diesem Kulturkreis verschaffen will – vielleicht auch genau so, wie Paul Maar es im Sinn hatte – eignen sich die zwei CDs sehr gut und weil die einzelnen Geschichten gar so kurz sind, können sie auch schön als auditiver Impuls und Aufhänger für die verschiedensten Themen herangezogen werden – um über Ehrlichkeit und Lüge, über Geiz oder einfach über Parabeln zu sprechen etwa. Etwas schade ist, dass der kulturübergreifende Ansatz sich darauf beschränkt, die Geschichten auf einer CD deutsch und auf einer türkisch zu lesen – so bleibt dieser Zugang allen verwehrt, die nur eine Sprache sprechen. Wären die Geschichten noch im Begleitheft abgedruckt oder die Sprachen hin und wieder gemischt, hätte viel mehr Zusammenhang hergestellt werden können.
So bleibt das einzig gemeinsame der beiden CDs die Hintergrundmusik – und wer etwa nur die deutsche CD hören kann, hätte fast ebenso gut auf Till Eulenspiegel zurückgreifen können. Dennoch bleibt die CD ein charmantes Stück Literatur, die wahlweise Zugang zum arabischen Kulturkreis, einen Einstieg in Satire als Humorform, die Beschäftigung mit zahlreichen tiefgründigen Themen oder einfach ein nettes Hörvergnügen bieten kann. Kostprobe gefällig? An einem heißen Sommertag war der Hodscha mit seinem Esel unterwegs. Mittags legte er sich zur Rast in den Schatten eines Walnussbaumes. Ganz in der Nähe sah er ein Feld voller reifer Wassermelonen. Nasreddin Hodscha dachte eine Weile nach, dann sagte er: „Wie eigenartig ist doch Gott, der die großen Wassermelonen so geschaffen hat, dass sie an einem kleinen Stengel wachsen, während die kleinen Walnüsse an einem riesiggroßen Baum wachsen.“ Genau in diesemMoment fiel eine Walnuss vom Baum und traf den Hodscha am Kopf. Nasreddin Hodscha rieb seinen schmerzenden Schädel und sagte sinnend: „Gott weiß es doch am besten, warum die Wassermelonen nicht auf Bäumen wachsen.“
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung.
Beitrag aus Heft »2013/01: Medien und Arbeitswelten«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Verena Weigand: Medienpraxis von Medienprofis:
Eltern für die Medienerziehung fit machen – das ist das Ziel des Medienpädagogischen Referentennetzwerks Bayern. Im Juni 2012 hatte der Stiftungsrat der Stiftung Medienpädagogik Bayern den Startschuss für kostenfreie Elternabende zu Fragen der Medienerziehung in der Familie gegeben. Seitdem können bayerische Bildungseinrichtungen kostenlos Referentinnen und Referenten unter www.stiftung-medienpaedagogik-bayern.de für medienpädagogische Elternabende anfragen. Die Bayerische Staatskanzlei unterstützt das Projekt.Die Idee dahinter: Was die Mediennutzung betrifft, sind Kinder ihren Eltern nicht selten eine Nasenlänge voraus. Doch auch technisch versierten Kindern fehlen oft die nötigen Kompetenzen für ein altersgerechtes Surfen, Chatten oder Spielen. Deshalb brauchen Eltern medienpädagogisches Hintergrundwissen und Tipps, um ihren Kindern eine adäquate, altersgerechte Mediennutzung vermitteln zu können.Schon bevor es das Referentennetzwerk gab, erreichten die Stiftung Medienpädagogik Bayern immer wieder Anfragen von Schulen, Kindergärten und anderen Bildungseinrichtungen nach Informationsveranstaltungen für Eltern zu medienpädagogischen Themen.
Auch von Seiten der Eltern wurde die Stiftung immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie schwierig es ist, mit der Medienentwicklung Schritt zu halten und seinen Kindern in der konvergenten und globalen Medienwelt kompetent zur Seite zu stehen.Eine Versorgungslücke, die den Impuls für den Aufbau des Medienpädagogischen Referentennetzwerks Bayern gab. Die Vermittlung kompetenter Referentinnen und Referenten ermöglicht eine nachhaltige Verankerung medienpädagogischer Themen in der Elternarbeit. Die Stiftung will mit dem Projekt einen Beitrag dazu leisten, die Integration medienpädagogischer Elternarbeit in Bildungseinrichtungen in ganz Bayern zu erleichtern. Das Projekt richtet sich dabei an alle bayerischen Bildungsinstitutionen wie Kindertageseinrichtungen, Schulen, Familienzentren oder Elternvereine. Die Stiftung stellt nicht nur einen Pool an kompetenten Referentinnen und Referenten zur Verfügung, sondern übernimmt auch deren Honorar- und Reisekosten. Außerdem hilft die Stiftung bei der Planung und Organisation der Elternabende.
So berät sie interessierte Bildungseinrichtungen individuell bei Themenwahl und Schwerpunktsetzung, stellt vorgefertigte Einladungen zur Verfügung und gibt organisatorische Hinweise und Tipps für die lokale Pressearbeit zur Bewerbung der Veranstaltungen. Auf der Webseite der Stiftung können sich die teilnehmenden Referentinnen und Referenten in einem eigenen Downloadbereich die entsprechenden Materialien herunterladen. Neben den Präsentationen zu den einzelnen Themenangeboten finden sich hier zugehörige Begleittexte und weitere Materialien, sei es zu Methoden der Elternarbeit oder zu fachspezifischen Themen. Der Mitgliederbereich bietet für die Referentinnen und Referenten aber vor allem eine Plattform, um sich – gemäß dem Netzwerkgedanken – in einem geschützten Raum über Erfahrungen auszutauschen und in Kontakt miteinander zu treten.
Themenangebot garantiert hohe Qualität
Alle Veranstaltungen stehen unter dem Motto „Verständnis – Verantwortung – Kompetenz“. Die Themenangebote orientieren sich konzeptionell an den Altersstufen der jeweiligen Kinder: Zur Auswahl stehen Elternabende für die Altersgruppen der Drei- bis Sechsjährigen, der Sechs- bis Zehnjährigen und der Zehn- bis 14-Jährigen. Für die letzten beiden Altersgruppen stehen zusätzlich die Schwerpunktthemen Internet, Handy, Computerspiele sowie Soziale Netzwerke und Cybermobbing zur Verfügung. Damit können die Referentinnen und Referenten auch auf aktuelle Trends und Wünsche der jeweiligen Zielgruppe reagieren – beispielsweise wenn es einen aktuellen Fall von Cybermobbing in einer Einrichtung gibt.Die Themenangebote stehen zunächst fest: Damit garantiert das Referentennetzwerk bayernweit die Vermittlung von im Wesentlichen gleichen und qualitativ hochwertigen medienpädagogischen Inhalten unter dem Dach der Stiftung. Während jedes Elternabends gibt es ausreichend Raum für Diskussionen und Interaktionen mit den Eltern.
So können die Veranstaltungen trotz der grundsätzlich gleichen Inhalte – abhängig von den Bedürfnissen der Zielgruppe und der individuellen Gestaltung der Veranstaltung durch die Referentin oder den Referenten – dennoch sehr variieren, beispielsweise durch den Einsatz verschiedener Methoden oder den Einbezug von Wünschen der Eltern oder aktueller Entwicklungen.Bevor im Juli 2012 die ersten Elternabende erfolgreich gehalten wurden, gab es ein halbes Jahr Vorlauf. Im November 2011 begann der Aufbau des Medienpädagogischen Referentennetzwerks Bayern durch die Stiftung. Folgende Kriterien mussten beim Aufbau des Referentenpools erfüllt sein: Mögliche Referentinnen und Referenten mussten medienpädagogisch vorgebildet sein und sollten möglichst aus allen Regierungsbezirken Bayerns stammen.Im März und Mai 2012 konnte die Stiftung insgesamt 60 Referentinnen und Referenten aus ganz Bayern für die Durchführung medienpädagogischer Elternabende schulen. Die dreitägigen Schulungsveranstaltungen beinhalteten neben der Vermittlung der Schwerpunkte der Elternabende auch grundlegende Informationen zu deren Durchführung und Gestaltung – zum Beispiel auch zu Methoden der Elternarbeit. Fachvorträge zu Themen wie Jugendmedienschutz oder Urheberrecht ergänzten das Schulungsangebot, das grundsätzlich sehr positiv aufgenommen wurde.
Mit der Ausarbeitung der Schulungsinhalte und der Umsetzung der Schulungen hatte die Stiftung das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis beauftragt. Die Entwicklung der Inhalte erfolgte dabei in enger Abstimmung mit der Stiftung. Bis Ende 2012 stehen nun die Expertinnen und Experten der Stiftung im Rahmen eines begrenzten Kontingents für medienpädagogische Elternabende bereit. Am Ende dieser Pilotphase findet eine Auswertung der Erkenntnisse aus den Veranstaltungen statt, um mögliche Kritikpunkte aufzugreifen und gegebenenfalls nötige Korrekturen durchführen zu können. Ab 2013 will das Referentennetzwerk zusätzlich Auffrischungs- oder Weiterbildungs-Workshops für aktive Referentinnen und Referenten anbieten. Die eintägigen Treffen sollen die Möglichkeit bieten, aktuelle Trends aufzugreifen, aber vor allem auch dem direkten Austausch zwischen den Referentinnen und Referenten dienen. Denn die Stiftung ist davon überzeugt, dass gerade der Netzwerk-Gedanke das Medienpädagogische Referentennetzwerk Bayern zu einem Erfolg machen wird.Verena Weigand ist Jugendschutzreferentin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien BLM und Leiterin der KJM-Stabsstelle.
Kurzinterview mit Siegfried Schneider, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Medienpädagogik Bayern
merz: Herr Schneider, Sie sind Vater dreier – mittlerweile erwachsener – Kinder. Waren Sie immer auf dem Laufenden bezüglich der Mediennutzung Ihres Nachwuchses?
Schneider: Natürlich habe ich mich damit auseinandergesetzt, was meine Kinder gesehen, gehört oder gelesen haben. Aber ich muss auch zugeben: Obwohl das vor einigen Jahren, als meine Kinder klein waren, noch viel einfacher war als heute, habe ich nicht immer alles mitbekommen.
merz: Das Medienpädagogische Referentennetzwerk Bayern setzt genau da an …
Schneider: Richtig – denn der Grundstein der Mediennutzung wird bereits in der Familie gelegt. Für eine altersgerechte Unterstützung müssen Eltern die schnelllebigen Medienwelten ihrer Kinder verstehen, aber auch Erziehungsverantwortung übernehmen. Hier bieten die Elternabende des Referentennetzwerks Hilfestellung.
merz: Es gibt schon sehr viele medienpädagogische Projekte – in Bayern und auch bundesweit. Was macht das Medienpädagogische Referentennetzwerk Bayern einzigartig?
Schneider: Dank des medienpädagogischen Referentennetzwerks gibt es erstmals bayernweit und flächendeckend ein qualitativ hochwertiges Angebot an kostenfreien Referenten für Medienpädagogische Themen. Damit wird die medienpädagogische Arbeit von Multiplikatoren in Bayern vereinfacht und qualitativ aufgewertet.
Zahlen & Fakten
Projektstart: November 2011Pilotphase: 2011/2012 mit abschließender EvaluierungIn Pilotphase: Schulung von ca. 60 Referentinnen und Referenten Kostenlose Teilnahme an einer dreitägigen Schulung (Hotel- und Reisekosten inklusive) Elternabende für drei Altersgruppen: Angebot umfasst acht inhaltliche Schwerpunkte Ausblick 2013: Auffrischungs- oder Weiterbildungs-Workshops für aktive Referentinnen und Referenten
Horst Pohlmann und Kerstin Heinemann: gamescom 2012 – Medienpädagogische Spots auf die Computerspielemesse
Die gamescom ist die weltweit größte Messe für interaktive Unterhaltungselektronik und verzeichnete 2012 laut eigenen Angaben einen erneuten Besucherrekord von knapp 275.000 Gästen. Die Medienpädagogik darf dabei natürlich nicht fehlen und so sollen im Folgenden zwei thematische Spots gesetzt werden.
Die P2P-Kampagne „Dein Spiel. Dein Leben.“ – ein Reisebericht
Mittwoch, der 15.08.2012. 35 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren stehen mit ihren Koffern und Schlafsäcken an den Bahnhöfen in Augsburg, Bonn, Bielefeld, Erfurt, Gütersloh und Karlsruhe. Ihr Ziel ist die gamescom in Köln. Im Gegensatz zu den 275.000 anderen Besucherinnen und Besuchern der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltungssoftware kommen sie nicht zum Daddeln her, sondern um andere Gamer von ihrer Kampagne zu überzeugen. In Köln starteten die Vorbereitungen für die Kampagnen-Eröffnung schon einige Wochen vorher: Es wurde geplant, welche Aktionen am Messestand stattfinden sollten, Zelte wurden gebucht und auf der Arena-Bühne der esl (electronic sports league, sozusagen die Bundesliga der Computerspiele) in Halle 8, dem Speakers Corner in Halle 10.1 sowie dem gamescom-congress im Kongresszentrum wurden Zeit-Slots reserviert, um Dein Spiel. Dein Leben. der (Gaming-) Öffentlichkeit zu präsentieren. Während die studentischen Messebauer eine Woche vor der gamescom ihren Freundeskreis einspannten, um den Messestand zu bauen, wurde parallel an der Internetseite, den Flyern und der offiziellen Pressemitteilung gearbeitet.
Für die ersten beiden Jungs wird es bereits am Fachbesuchertag ernst: Ein Interview mit einer Journalistin für den WDR steht auf dem Programm. Routiniert erzählen sie ihr, was es mit der Kampagne auf sich hat, wie sie selbst es schaffen, reales und virtuelles Leben in Balance zu halten, was ihre Lieblingsspiele sind und welches Computerspiel das erste war, das sie jemals gespielt haben.Ein Foto-Shooting später treffen sie dann auf die anderen, um mit den Organisatoren von Spielraum die Details zum Ablauf der kommenden vier Tage durchzugehen, Eintrittskarten und Verpflegungsgeld in Empfang zu nehmen und gemeinsam mit ihren Betreuerinnen und Betreuern den Zeltplatz zu suchen.Nachdem in der Nacht auf Donnerstag ein kräftiges Gewitter die Zelte unter Wasser gesetzt und auch die eine oder andere Reisetasche mit Klamotten nicht unversehrt gelassen hatte, macht sich die Gruppe auf den Weg zu den Messehallen. In Halle 10.1, der vermeintlich leisesten der Hallen, in der zahlreiche medienpädagogische Institutionen und Projekte ihre Stände aufgebaut haben, erwartet sie der Messestand ihrer Kampagne Dein Spiel. Dein Leben., die zusammen mit dem Multimedia-Wettbewerb MB21 den Kern des Standes unter dem Dach der Initiative Dialog Internet darstellt. Als erstes teilen sie sich auf und entscheiden, wer welche Aktionen im Laufe des Tages durchführen bzw. betreuen wird: Die ersten wählen die Button-Maschine, mit der die Besucherinnen und Besucher sich selbst einen Kampagnen-Anstecker mit QR-Code basteln können, die nächsten entscheiden sich für die Betreuung des Spiels Bomberman-Battle, in dem der Spieleklassiker zu viert gespielt werden kann, andere für Pong-Invaders, in dem Pixel-Aliens mit Hilfe einer Partie Tischtennis an der Landung gehindert werden müssen und das zu neuen sportlichen Highscores verleitet. Wieder andere schnappen sich Aufnahmegeräte und fangen in kurzen Interviews Stimmen von Messebesucherinnen und -besuchern ein (Highlight einer Familie aus Dänemark: „Ich wünschte, es gäbe eine solche Initiative auch bei uns in Dänemark!“) und schließlich gilt es, Flyer der Kampagne unters Volk zu bringen. Bei so vielen Aufgaben ist es klar, dass jeder in den nächsten Tagen mal alles machen muss – Abwechslung garantiert. Und all diese Aktionen haben nur einen Sinn: Mit den Gamern ins Gespräch zu kommen und ihnen die Kampagnen-Idee näher zu bringen.In der Zwischenzeit sind der Referatsleiter Jugend und Medien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und die im Ministerium für die Kampagne verantwortliche Referentin aus Berlin angekommen.
Sie wollen sich den Messestand anschauen, Gespräche führen, Eindrücke sammeln und am gamescom-congress teilnehmen. Sie treffen sich mit den Jugendlichen, die die Kampagne seit Anfang des Jahres gestalten. Im Interview, das für die Internetseite des Dialog Internet des BMFSFJ dokumentiert wird, lernt man sich kennen und schätzen. Vor der offiziellen Eröffnung und Vorstellung der Kampagne vor Publikum und Presse am Nachmittag haben die Jugendlichen noch eine ‚Generalprobe‘: Auf der Bühne der esl-Arena in Halle 8, der vollsten der Messehallen, stellen am Mittag zwei Vertreter der Jugendlichen gemeinsam mit einem Pro-Gamer des E-Sport-Vereins nfaculty! und einem Mitarbeiter von Spawnpoint erstmals Dein Spiel. Dein Leben. vor. Rund sechzig Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen im Publikum, aber das Ganze läuft auch live über esl-TV im Netz – Zuschauerzahl unbekannt. Nach der gelungenen Präsentation vibriert das Handy: Ein Freund hat zufällig zuhause esl-TV und seinen Kumpel im Live-Stream gesehen. Mit anderer Besetzung und eigener Moderation seitens der Jugendlichen, den Vertreterinnen und Vertretern von nfaculty!, Spawnpoint, Spielraum und des Ministeriums ist es dann um 15.15 Uhr so weit: Eine halbe Stunde Zeit, die Kampagne offiziell zu eröffnen. Im Publikum sitzen und stehen rund einhundert Interessierte, darunter Presse, Erwachsene und natürlich Gamer. Ablaufplan und einstudierte Statements halten nicht allzu lange: Es muss ein wenig improvisiert werden. Doch die Kernbotschaft und die Ideen der Kampagne scheinen angekommen zu sein: Applaus aus den Reihen des Publikums und einige finden sich im Anschluss an die Präsentation am Stand ein und wollen Genaueres erfahren. Das ging schneller vorbei als gedacht.
An den nächsten Tagen Freitag bis Sonntag kehrt Routine ein und die Interviews und Gespräche mit Interessierten gewinnen an Souveränität. Die Vorstellung der Kampagne auf dem gamescom-congress am Freitag, an dem vorwiegend Pädagoginnen und Pädagogen teilnehmen, läuft ohne Beteiligung der Jugendlichen, ist aber zumindest mit rund 25 Teilnehmenden einer der am besten besuchten Workshops, nicht alleine deshalb, weil dort mit den Medienscouts NRW und der Initiative Creative Gaming auch zwei weitere medienpädagogische best-practice-Projekte vorgestellt werden. Nicht nur die hochsommerlichen Temperaturen und die Übernachtung im Zelt, sondern auch die überfüllten Hallen am Samstag und Sonntag sowie der andauernde Lautstärkepegel in der (leisesten) Messehalle sorgen so langsam dafür, dass am Ende ein wenig die Puste ausgeht. Dennoch fragen Jugendlichen: „Das war cool! Machen wir das nächstes Jahr wieder?“ Und wenn man resümiert, welche Aktion am Messestand am meisten gefragt war, dann ist es das Tischtennis-Spiel gegen die Pixel-Aliens und die Möglichkeit, sich einen Button machen zu können – analoger geht es kaum …
Wenn Pädagoginnen und Pädagogen zocken – Pädagogen-LAN auf der gamescom 2012
Donnerstag, 17. August 2012, Bürgerzentrum Deutz: 31 Erwachsene aus den unterschiedlichsten pädagogischen Institutionen sitzen in Zweier-Konstellationen zusammengewürfelt und mit erwartungsvollen Blicken vor den Rechnern. Gleich beginnt sie, die Pädagogen-LAN – also Zocken mit pädagogischem Blick. Doch bevor es in die Praxis geht, gibt es zunächst einmal eine medienpädagogische Einführung von Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung. Hier bekommt man einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand, erfährt etwas über die Inhalte und Wirkungen virtueller Spielewelten, lernt das Konzept der Eltern-LAN kennen und hat gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen pädagogischen Erfahrungen in die Diskussion einzubringen. Zugegeben, leicht fällt es nicht, den Rechner vor sich einfach mal unbeachtet zu lassen und so hört man auch ab und an ein Geräusch aus den Lautsprechern, das den nächsten Programmpunkt ankündigt: Das Spielen! Zwei Spiele werden heute angespielt – TrackMania und Counter-Strike. Bei TrackMania handelt es sich um eine spannende Mischung aus Rennspiel und der Möglichkeit eigene Strecken zu bauen (vgl. Anfang, merz 2007/3, S. 81). Die erstellten Strecken lassen sich danach in 3D-Grafik sowohl im Einzelspieler-Modus wie auch im Mehrspieler-Modus befahren. Bekannt ist TrackMania durch seinen Online-Modus mit, je nach Version bis zu zehn Millionen registrierter Accounts. Counter-Strike ist wohl eines der bekanntesten Spiele aus dem Bereich der First Person Shooter und damit immer wieder im Fokus der Wirkungsdebatten. In dem Spiel geht es um Kämpfe zwischen Terroristen und einer Antiterroreinheit, bei denen bestimmte Aufträge erfüllt werden müssen. Die Kommunikation im Team spielt hierbei, genauso wie die feinmotorisch sensible Steuerung der Spielfigur, eine entscheidende Rolle.
Bei beiden Spielen zeigte sich, dass die angesetzte Spielphase von den Teilnehmenden als zu kurz empfunden wurde, deren Lust sich tiefer in das Spielgeschehen zu begeben groß war. In der anschließenden Diskussion wurden die noch frischen Erfahrungen ausgetauscht, mit der eigenen pädagogischen Praxis abgeglichen und aktuelle medienpädagogische Diskussionen vertieft. Dabei kam die Diskussion um Gefährdung durch exzessives Spielen genauso wenig zu kurz, wie die Frage nach Creative Games oder dem Einsatz des Konzeptes der Eltern-LAN an der eigenen pädagogischen Einrichtung. Die Pausen standen ganz im Zeichen der Vernetzung. Man diskutierte weiter, Visitenkarten wurden ausgetauscht und Friend-Adds auf Facebook ad hoc getätigt.
Besonderes Highlight zum Abschluss der Pädagogen-LAN war der Besuch der gamescom und die Führung durch Mitarbeiter der Electronic Sports League, die noch einmal einen ganz anderen Blick auf das Thema Computerspiele boten.Horst Pohlmann, Dipl.-Soz.Päd., MedienSpielPädagoge (M. A.), Co-Leitung von Spielraum – Institut zur Förderung von Medienkompetenz an der Fachhochschule Köln, Dozent für Kulturelle Medienbildung an der Akademie Remscheid Kerstin Heinemann, Dipl. Rel.Päd, Medienpädagogin, medienpädagogische Referentin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.Die P2P-Kampagne Dein Spiel. Dein Leben. zur Prävention und Sensibilisierung junger Menschen bei der Nutzung virtueller Spielwelten wurde seit Jahresbeginn 2012 von über 120 jugendlichen Gamern aus dem ganzen Bundesgebiet gemeinsam mit dem Institut Spielraum der Fachhochschule Köln und dem Institut für Computerspiel Spawnpoint an der Fachhochschule Erfurt gestaltet. Die Jugendlichen haben in zwei Workshop-Phasen, im Austausch mit Pädagoginnen und Pädagogen auf der fünften medienpädagogischen Netzwerktagung 2012 von Spielraum im März an der FH in Köln und auf dem gamescamp 2012 auf Burg Lohra in Thüringen erarbeitet, wie Gamerinnen und Gamer angesprochen werden können, über ihr eigenes Spielverhalten nachzudenken, sich mit anderen darüber auszutauschen und eine Balance zwischen virtueller und realer Welt herzustellen. Das Kernergebnis ist ein dreistufiger Aufruf an Gamer, sich kreativ an einem Wettbewerb zu beteiligen, Gütekriterien für soziales Miteinander in Spielgemeinschaften zu etablieren und als Einzelspielerin bzw. -spieler deutlich zu machen, dass Gaming reflektiert stattfindet.Infos zur Kampagne, Workshop-Ergebnisse, Presse-Berichterstattung sowie Impressionen vom Stand sind zu finden unter: www.dein-spiel-dein-leben.de
Die Eltern-LAN versteht sich als aktive Medienarbeit mit Erwachsenen (Eltern, Lehrkräfte ... ) zum Thema Computerspiele mit den Zielen:- Berührungsängste gegenüber neuen Medien abbauen- Orientierungswissen über Computerspiele und Medienkompetenz vermitteln- die Motivation und die Fähigkeit fördern, sich mit Kindern und Jugendlichen über deren mediales Handeln und die Inhalte von Computerspielen kritisch auseinanderzusetzen- den medienpädagogischen Raum in Familie, Schule et cetera (wieder-)gewinnen.Die Eltern-LAN wird seit 2008 veranstaltet von spielbar.de, das interaktive Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb zum Thema Computerspiele, dem Spieleratgeber-NRW des Vereins ComputerProjekt Köln e. V., Spielraum, Institut zur Förderung von Medienkompetenz an der Fachhochschule Köln, und der Turtle Entertainment GmbH, der Veranstalterin der Electronic Sports League. Mit freundlicher Unterstützung von BITKOM – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.www.eltern-lan.info
Beitrag aus Heft »2012/05: Medienkonjunkturen - Medienzukunft«
Autor:
Kerstin Heinemann,
Horst Pohlmann
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Riccarda Groß-Possin: DU bist perfekt!
‚Was ist deine Behinderung? Wovor hast du am meisten Angst? Wen liebst du am meisten?‘ Um in Nico von Glasows Theaterstück Alles wird gut mitspielen zu dürfen, müssen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler – ob körperlich bzw. geistig behindert oder nicht – zunächst diesen Fragen stellen und so einen Teil ihres Innersten, ihrer ureigenen Persönlichkeit nach außen kehren. Und genau dies ist auch das Besondere an dem Stück und vor allem an dem Film, der im Laufe seiner Entwicklung entstanden ist und die Proben des Theaterstücks nachzeichnet. Nicht die ‚äußerlich sichtbaren‘ Behinderungen der einzelnen Schauspielerinnen und Schauspieler, nicht ihre großartige Leistung auf der Bühne, sondern vielmehr ihre Echtheit, die feinfühlige Inszenierung der Darstellerinnen und Darsteller zwischen Realität und Spiel, zwischen den Vorgaben des Stücks und ihren ureigenen Besonderheiten, Sehnsüchten und Ängsten reißen das Publikum vom ersten Moment an mit, heben es aus den Sitzen und entführen es in eine Welt voller Träume und Wünsche aber eben auch voller Konflikte.Auch der Inhalt des Stückes erwächst dabei erst nach und nach aus den Charakteren des Ensembles heraus. Lediglich das Setting steht zu Beginn der Proben fest: Ein Casting soll es sein. Ein Casting, bei dem sich eben auch Menschen mit Behinderung präsentieren möchten, um mit ihrer Stimme das Publikum zu begeistern. Doch aus versicherungstechnischen Gründen werden alle Bewerberinnen und Bewerber mit Behinderung in einen separaten Raum geführt, um dort auf ihren Auftritt zu warten. Zum großen Auftritt kommt es aber nicht – zumindest nicht so, wie beabsichtigt – denn der Raum mit seinen besonderen Talenten wird von der Casting-Leitung schlichtweg vergessen. So verbringen die Wartenden einen Tag voller Hoffen und Zweifeln miteinander, es kommt zu schüchternen Annäherungsversuchen und zu gereizten Streitereien, während die Anspannung beim Warten auf den großen Auftritt immer weiter steigt.
Die einzelnen Charaktere entstanden aus der Improvisation und aus den Gesprächen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern heraus und beziehen somit auch deren ‚wahre‘ Bedürfnisse, Gefühle und Ängste mit ein. Dies hält bei den Proben mitunter reichlich Konfliktstoff bereit und führt die Frauen und Männer nicht selten bis an die eigenen Grenzen. Aber auch diese Konflikte werden im Film nicht ausgespart, sondern mit der Kamera eingefangen. So kann der Zuschauer mitverfolgen, wie das Theaterstück wächst, Probleme ausdiskutiert werden und Freundschaften entstehen, sich aber auch scheinbar unüberwindbare Barrieren auftun. Gerade das Zusammenspiel von behinderten und nicht behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern stellte hier eine große Herausforderung dar, die aber gut gemeistert wurde – gerade weil diese Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden.Der Kinobesucher wird dabei den unterschiedlichsten Emotionen ausgesetzt und erlebt Momente, die zu schallendem Gelächter aufrufen, oder so sehr berühren, dass die Tränen in die Augen steigen. Ganz sensibel wird dabei auf die einzelnen Persönlichkeiten eingegangen und schon bald verwischen die Grenzen zwischen Schauspiel und Realität. War man zunächst noch interessiert am Inklusionsgedanken des Stücks, so tritt dies schnell in den Hintergrund und man fragt sich bald, warum ‚Inklusion‘ überhaupt ein Thema ist, über das gesprochen wird, ja gesprochen werden muss, wo doch das gemeinsame Spielen, Lachen und Streiten so einfach und natürlich ist.
Ein Theaterstück mit möglichst vielen behinderten Menschen inszenieren – das war die Aufgabe vor die sich Nico von Glasow gestellt sah. Herausgekommen ist dabei aber viel mehr: Ein Theaterstück, das zeigt, dass jeder Mensch Eigenschaften besitzt oder sich vor mentale Schranken gestellt sieht, die ihn behindern – und dass jeder Mensch, ob mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder medizinisch ‚gesund‘, besondere Bedürfnisse hat, die es zu erfüllen gilt, um glücklich zu werden. Und ein Film, der einen ganz besonderen Prozess nachzeichnet – die Entstehung eines Theaterstücks, aber auch die Portraits ganz unterschiedlicher Menschen, die sich bei genauem Hinsehen doch ähnlicher sind als zunächst angenommen.
Alles wird gut
Deutschland (2012)
Buch und Regie: Niko von Glasow
Darsteller: Jana Zöll, Mirco Monshausen, Oliver Grice, Jan Dziobek, Bettina Mickenhaupt, Leslie Ann Mader, Milena Güleryüz, Nico Randel, Manon Wetzel, Christina Zajber, Annika Reinicke, Christiane Grieb, Sofia Plich, Marvin Fuchs
Beitrag aus Heft »2012/05: Medienkonjunkturen - Medienzukunft«
Autor:
Riccarda Groß-Possin
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Thorolf Lipp: Le Cameroun sur scène
Wenn hierzulande von Theater die Rede ist, denkt man häufig entweder an volkstümelnden Wohfühlstoff oder aber an ein eher klinisches Sezieren der gesellschaftlichen Verhältnisse. Anders als etwa im 18. Jahrhundert traut man dem Theater eine Breitenwirkung heute offenbar kaum noch zu – was sicher auch mit seiner nur selten über das Feuilleton hinaus sichtbaren Medienpräsenz zu tun hat. Dabei sprechen die Zahlen eine ganz andere Sprache. Allein die Theater in öffentlicher Trägerschaft konnten in der Saison 2008/09 mit 19,3 Millionen mehr Zuschauerinnen und Zuschauer verbuchen als die Erste und Zweite Fußball Bundesliga zusammengenommen mit 17,9 Millionen Menschen.Um wieviel größer muss das Potenzial für dieses Mensch-zu-Mensch Medium erst im Afrika südlich der Sahara sein, wo Print- und audiovisuelle Medien aufgrund einer hohen Analphabetenrate und des ‚Digital Divide‘ weit weniger verbreitet sind. Dort sehen nicht nur die Theatermacher, sondern auch Entwicklungsexperten und Nichtregierungsorganisationen im Theater eine gute Möglichkeit, mit Menschen direkt zu kommunizieren, sie zu mobilisieren, um ihre Lebenssituation konkret zu verbessern: Theater für Entwicklung ist das Stichwort. Genau dafür hat sich die junge Filmemacherin Natalie Patterer interessiert. Sie ist dem einen Medium mit Hilfe eines anderen nachgegangen und herausgekommen ist ein 52-minütiger Film über Entwicklungstheater in Kamerun. Dass eine derartige Interessenskonstellation überhaupt entstehen konnte, ist nicht zuletzt dem BA Studiengang „Theater und Medien“ an der Universität Bayreuth geschuldet, in dem die vielfältigen Interdependenzen zwischen Theater und anderen Formen der medialen Kommunikation ausgelotet werden.Man würde dem Film nicht gerecht werden, wenn man ihn nur als „studentische Produktion“ lobte.
Tatsächlich entsprechen die inhaltlichen, narrativen und produktionellen Qualitäten fast durchweg den derzeitigen Ansprüchen der Bewegtbildindustrie. Wenn er auf arte gesendet würde, kaum jemand würde sehen, dass hier vier junge Studierende am Werk waren, die in erster Linie Fachstudierende sind.Es gelingt Natalie Patterer überzeugend darzustellen, welches Potenzial Entwicklungstheater für ein Land wie Kamerun haben kann. Dazu wechselt sie mehrfach die Schauplätze, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie verbreitet dieses Medium tatsächlich ist und welch große Bandbreite an gesellschaftlichen Diskursen es berührt. So zeigt das kleine und dennoch internationale Festival CICAK in Kiribi im Süden des Landes, wie lebendig, farbenfroh, vielfältig und gesellschaftskritisch Theater hier ist. Die drei jungen Männer des Dreier-Ensembles Art et Strategie, streiten sich mit einer genauso witzigen wie entlarvenden Rhetorik um eine kleine Sitzbank, die die Macht symbolisiert. Eine überzeugende Parabel über die Figur des afrikanischen Despoten, den diese junge Theatergeneration offenbar als afrikanisches Problem und nicht mehr so sehr als direkte Folge des Kolonialismus begreift.
Theater soll hier, so die Festivaldirektorin France Ngo Mbock, vor allem die schmerzhafte Lücke füllen, die der Verlust des traditionellen Geschichtenerzählens in die sozialen Strukturen gerissen hat. Zweiter Schauplatz des Films ist die Hauptstadt Yaounde, wo alljährlich das internationale Theaterfestival RETIC stattfindet. Im Mittelpunkt des Festivals 2009 stand die „Frau als Künstlerin“, auch das ein Hinweis darauf, dass man an globalen Diskursen teilnimmt. Die Autorin begleitet die kamerunische Regisseurin Deneuve Djobong, die ein Stück von Joseph Pliya zum Thema weibliche Unfruchtbarkeit und die damit oft einhergehende soziale Ausgrenzung inszeniert hat. Schließlich führt uns der Film ins SOS Kinderdorf Mbalmayo wo die Relevanz eines ganz anderen Theaters deutlich wird: Hier führen Dozenten und Studierende der Universität Yaounde ein Projekt mit den Kindern und deren SOS-Müttern und -Tanten durch, um verborgene soziale Spannungen aufgreifen und verarbeiten zu können.Abgefilmtes Theater kann schnell langweilen. Insofern war es notwendig, eine narrative Strategie zu entwickeln, die zwar die typischen Interaktionen auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ zeigt, darüber hinaus aber auch passende filmische Mittel einsetzt, um das Thema adäquat umzusetzen. Natalie Patterer hat sich für eine gute Mischung aus beobachtenden Bildern, On-Camera Interviews und kurzen Theatermitschnitten entschieden.
Es wäre leicht gewesen, eine mit Musik- und Zeitlupeneinsatz emotionalisierte Human-Touch Geschichte zu erzählen oder das Publikum mit einem allwissenden Kommentar in eine gesellschaftskritische Betroffenheitssoße zu tunken. Aber die Autorin widersteht diesen Versuchungen. Man merkt: Sie will wirklich selbst etwas über die Möglichkeiten des Entwicklungstheaters lernen und opfert dieses Erkenntnisinteresse nicht einer schicken, allzu emotionalisierenden dramaturgischen Form. Vor allem verzichtet sie auf einen Kommentar aus dem Off. Sie weiß, dass es für eine noch junge, europäische Filmemacherin unangemessen wäre, sich hier mit eigenen Worten oder Wertungen Deutungshoheit über ein fremdes kulturelles Phänomen anzumaßen. Statt dessen überlässt sie ausschließlich den Protagonisten das Wort. Natürlich ist trotzdem sie es, die in akribischer Kleinarbeit aus dem umfangreichen Rohmaterial diejenigen Szenen auswählt, die das Thema nach und nach in seiner Bandbreite auffächern. Aber sie tut dies bescheiden, neugierig und mit einem guten Sinn für das Gesamtphänomen, denn hier kommen alle zu Wort: Schauspieler, Regisseure, Festivaldirektor, Dozenten und die Kinder aus dem SOS Kinderdorf.
Le Cameroun sur scène widerlegt das häufig kolportierte Vorurteil, dass die Digital Natives nicht mehr in Ruhe zuhören oder -sehen können oder wollen. Er unterstreicht das Interesse dieser Generation an der Welt und macht Hoffnung, dass an den Universitäten nicht nur das Handwerk für filmisches Erzählen, sondern auch die Begeisterung für eine reflektierte Auseinandersetzung mit relevanten Inhalten vermittelt wird. Insofern ist mir persönlich dieser Film als Abschluss eines universitären Studienganges viel lieber als die vielen raffinierten Filmchen, die hier ebenfalls entstehen, aber vielleicht doch eher Domäne der Film- oder Kunsthochschulen sein sollten.
Natalie Patterers Film Le Cameroun sur scène steht bei der Online Film AG zum Download bereit:
www.kulturserver.de/-/kulturschaffende/detail/750461 www.buehnenverein.de/de/publikationen-und-statistiken/statistiken/theaterstatistik.html (Zugriff: Dezember 2010)2
www.weltfussball.de/zuschauer/bundesliga-2008-2009/1 (Zugriff: Dezember 2010)
Thorolf Lipp ist Kulturanthropologe und Inhaber der Arcadia Filmproduktion und produziert Dokumentarfilme, TV-Dokumentationen und Museumsmedien. Seine Schwerpunkte sind Medien, Kunst, Religion sowie das immaterielle Kulturerbe.
Benedikt Hommann: Spec Ops: The Line
Die First- und Third-Person-Shooter, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, unterscheiden sich voneinander häufig nur im Setting oder der grafischen Vollkommenheit. Die den Spielen zugrundeliegenden Geschichten sind oftmals die gleichen: Als heldenhafter Soldat rettet man Unschuldige oder gleich die ganze Welt, kämpft gegen Terroristen, Despoten oder Wahnsinnige. Aber was passiert, wenn man selbst nicht mehr erkennen kann, wer Held und wer Verbrecher ist, wo der Wahnsinn beginnt und wo er endet? Mit Spec Ops: The Line (2K Games) ist ein Third-Person-Shooter erschienen, der mit den gängigen Spieleklischees von Gute und Böse bricht – und dies auf eine für die Spielenden fast schon schmerzhafte Weise. Das Spiel des deutschen Entwicklerstudios Yager spielt in der von riesigen Sandstürmen heimgesuchten Metropole Dubai. Eine dreiköpfige Spezialeinheit um Captain Walker ist in der einst so prachtvollen Stadt eingetroffen, mit dem Ziel, das Schicksal des hochdekorierten Colonel Konrad und seiner Kompanie aufzuklären. Konrad, der Walker einst das Leben in Afghanistan gerettet hat, hatte sich mit seinen Soldaten aufgemacht, die Zivilbevölkerung aus Dubai zu evakuieren. Doch der Versuch misslang und der eintreffenden Spezialeinheit bietet sich ein Bild des Grauens: Abgeschlachtete Zivilisten, marodierende US-Soldaten.
Nicht ohne Grund orientiert sich das Spiel dabei dramaturgisch an dem Anti-Kriegsfilm Apocalypse Now (1979), der wiederum auf Joseph Conrads literarischem Werk Herz der Finsternis (1899) beruht. Als Captain Walker kämpft und schleicht sich der Spieler oder die Spielerin durch die verfallenen Ruinen Dubais, immer auf der Suche nach Konrad und der Wahrheit. Doch was ist die Wahrheit? Während andere Shooter an dieser Stelle eine Schwarz-Weiß-Dramaturgie vorgeben, verwischen in Spec Ops: The Line die Grenzen zwischen Gut und Böse. Nicht nur, dass der Spieler bzw. die Spielerin als amerikanischer Soldat gegen die einigen Landsleute kämpfen muss, die Legimitierung dieses Kampfes wird im Laufe des Spiels immer mehr aus den Angeln gehoben. So müssen immer wieder moralische Entscheidungen getroffen werden. In einer Mission soll sich Walker entscheiden, ob er lieber zwei Zivilisten retten will, oder einen Informanten. Auch wenn diese Entscheidungen im Spiel kaum einen Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte haben, sie erreichen etwas bei den Spielenden, das bisher in dieser Form bei keinem anderen Shooter erzeugt wurde: ein Schuld-Gefühl.
Denn wie man sich im Spiel auch entscheidet, Gewalt führt immer zu Leid und Opfern. Gleichsam zeigt Spec Ops: The Line noch etwas anderes: Es erlaubt den Spielerinnen und Spielern, mit der Figur eine Entwicklung durchzumachen. Walkers Vorgehen hat im Laufe des Spiels einen immensen Einfluss auf seine Psyche und die seiner beiden Kameraden. Die Soldaten werden zunehmend aggressiver und rücksichtloser. Dies kumuliert schließlich in der Frage, wer Schuld hat am Wahnsinn – der vermeintlich Böse oder der vermeintlich Gute?Spec Ops: The Line kann zu den gewalthaltigsten Spielen gezählt werden, die überhaupt in Deutschland unzensiert eine USK-Freigabe erhalten haben. Da werden Köpfe abgeschossen, Zivilisten niedergemetzelt und verwundete Soldaten können brutal exekutiert werden. Im Unterschied zu anderen Spielen stellt sich hier allerdings nicht die Frage, warum ein Spiel derart gewalttätig sein muss. Der Grund dafür liegt in der Inszenierung, in der Gewalt nicht einfach Mittel zum Zweck ist, sondern kritisch hinterfragt wird. Spec Ops: The Line gelingt es zwar nicht immer, diese Kritik aufrechtzuerhalten, beispielsweise werden bei geglückten Kopftreffern kurze Zeitlupensequenzen ausgelöst, allerdings korrespondiert dies damit, dass das Spiel auch ein gewisses Unterhaltungserleben ermöglichen will.
Trotz dieser fehlenden letzten Konsequenz lassen sich bei Spec Ops: The Line zwei Sachverhalte hervorheben: Zum einen zeigt der Titel, zu welchen narrativen Möglichkeiten das sonst dramaturgisch stagnierende Shooter-Genre imstand ist, indem bekannte Werke adaptiert und packend für das interaktive Medium Spiel inszeniert werden. Zum anderen gewinnt Spec Ops: The Line dem besonders in Deutschland stark umstrittenen Genre neue Facetten ab. Nun wird der Spieler oder die Spielerin am Ende einmal nicht als zufriedener Weltenretter zurückgelassen, sondern ernüchternd vor die Realität gestellt: Im Krieg gibt es keine Gewinner, nur Verlierer.
Spec Ops: The Line
Genre: Shooter
Plattform: PC, PlayStation 3, Xbox 360
Publisher: 2K Games
Entwickler: YAGER Development
Freigabe: USK 18
Beitrag aus Heft »2012/05: Medienkonjunkturen - Medienzukunft«
Autor:
Benedikt Hommann
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Stefanie Hardick: Blumen_Büchsen_Beat
Die jüngsten Besucherinnen und Besucher eines Museums sind oft die anspruchsvollsten. Ein Museum, dessen Besuch nicht als langweilig empfunden wird, hat daher grundsätzlich schon viele Dinge richtig gemacht. Das Jüdische Museum Berlin ist seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 bei Kindern außerordentlich beliebt. Allein im Jahr 2011 besuchten 60.000 Kinder und Jugendliche das Museum, ohne zum Beispiel als Schulklasse an einer Führung teilzunehmen. Kinder mögen es, den Granatapfelbaum zu erklimmen, der sie am Anfang der Dauerausstellung empfängt, lieben die geheimen Tunnel, in die ihnen kein Erwachsener folgen kann und freuen sich über alles, was zum Anfassen und Mitmachen einlädt. Sie lassen sich von besonders ästhetischen Ausstellungsstücken in den Bann ziehen und haben zu vielen Dingen Fragen parat, die Erwachsenen nicht in den Sinn kommen würden. Im Rahmen des im Januar 2009 begonnenen Projektes entwickelte das Jüdische Museum Berlin in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin, gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) einen interaktiven Hörspiel-Audioguide für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Ausgangspunkt war dabei, was Kindern in der Dauerausstellung des Museums gefällt.
Im Rahmen von Fokusgruppenbefragungen ließ das Projektteam Viert- und Sechstklässler zunächst selbst zu Wort kommen, um einen Eindruck von ihren Wünschen und Vorstellungen zu erhalten: »Stell dir vor, du wärst Museumsdirektor und solltest einen neuen Audioguide für Kinder machen. Wie müsste der sein?« Es gab konkrete Vorstellungen, unterschiedliche Meinungen und schöne Ideen: Auf Fremdwörter sollte man verzichten. Spannende Geschichten zu den Ausstellungsstücken sowie über deren Herkunft und Herstellung sollte es geben. Dabei sollten die Texte nicht zu lang sein und die Länge einer Geschichte sollte auf dem Bildschirm des Guides angezeigt werden. Zwischen den Geschichten sollte es Musik geben, um Pausen zu haben, in denen man nicht zuhören muss. Und die Kinder wünschten sich Fragen und Rätsel, die es zu lösen gilt. Witzig fanden die Kinder die Idee, dass mit den als Wildblumen gestalteten Gewürzbehältern der Künstlerin Paula Newman Pollachek fünf Ausstellungsstücke die Protagonisten der Tour sein sollten. Traditionell werden die filigranen Gewürzbehälter mit Zimt, Nelken und Kardamom gefüllt, deren Duft bei Ausgang des Schabbats über den Beginn der Schul- und Arbeitswoche hinwegtrösten soll. Die Wildblumen verwandeln sich zu einer Band. Die Akelei mit dem elegant gebogenen Stengel beugt sich über ein Mikrofon, der stachelige Punk spielt die Gitarre, der kleine kugelige Löwenzahn ist der Bassist, die schmale Distel der Keyboarder und die zarte Echinacea haut ins Schlagzeug: Sie sind die Spice Boxes. Ihre Musik hilft dabei, die Dialoge auf einer weiteren Ebene zu versinnbildlichen, zu verstärken und zu entspannen. Spielerisch und interaktiv sollte der Rundgang die Kinder an die Ausstellungsstücke und Themen des Museums heranführen, ohne sie durch den Bildschirm des Guides von den eigentlichen Dingen im Museum abzulenken.
Daher liegt der Fokus auf dem Hörspiel. Eine sprachlich fantasievolle Erzählung und ein ausgefeiltes Sounddesign ermöglichen es den Kindern, in eine andere Welt einzutauchen, die ihnen Spaß macht, die sie fordert und zum Mitdenken anregt. Die unterschiedlichen Charaktere der Protagonisten lassen im Dialog verschiedene Haltungen und Meinungen hervortreten. Sie machen die Vielfalt jüdischer Lebensentwürfe deutlich, von religiös bis weltlich. Durch den Rundgang nehmen die Kinder neben einem positiven Grundgefühl das Bewusstsein mit, dass Menschen ihr Judentum auf vielfältigste Art und Weise leben und bekommen ein Gefühl für die Spuren, die Religion in unserem Alltag hinterlässt. Vervollständigt wird die Hörspielführung durch technisch gestützte Interaktionen, die es den Kindern ermöglichen, sich spielerisch und aktiv der Ausstellung und ihren Objekten zu nähern und sich so noch mehr auf die Inhalte einzulassen. Der Audioguide wird auf iPod touch 4-Geräten angeboten, deren interaktive Möglichkeiten durch eigens entwickelte RFIDLesegeräte erweitert wurden. Dabei wurde eine angemessene Form der Interaktion gefunden, die den Ausstellungsbesuch nicht dominiert, sondern eine Ergänzung darstellt. Weil Kinder gerne auf Entdeckungstour gehen, ist der Audioguide als Suchspiel gestaltet. Um das jeweils nächste Ausstellungsstück zu finden, erhalten die Kinder einen Reim und ein Foto als Hinweis. An den 22 Stationen des Rundgangs ist jeweils gut sichtbar ein Logo angebracht, unter dem sich ein passiver RFID-Tag befindet.
Die Kinder starten eine Geschichte, indem sie den iPod an das Logo und damit den Tag halten. Aber nicht nur Ausstellungsstücke, sondern auch die vom Keyboarder Diestrich selbst gebauten und in der Ausstellung versteckten ‚Beamboxen‘ müssen gefunden werden. Dort können sich die Kinder ein virtuelles Werkzeug in ihr „Sammelsurium“, eine Sammelkiste auf ihrem iPod, ‚beamen‘. Im Laufe der Tour lassen sich mit diesen Werkzeugen ausgewählte Objekte zum Leben erwecken. So können die Kinder zum Beispiel die Glöckchen eines Toraaufsatzes zum Klingen bringen oder mit einer Taucherbrille den Knurrhahn schwimmen sehen. Alle Interaktionen sind bewusst kurzweilig gestaltet, es sind kleine verspielte ‚Überraschungen‘ am Ende einer erzählten Geschichte. Während der gesamten Entwicklungszeit des Audioguides wurde durch Befragungen immer wieder ermittelt, wie Kinder das Suchspiel, die Dialoge und das Interface rezipieren – und ob sie ihnen gefallen. Diese Evaluation wird auch nach dem Launch des Guides durch die Besucherforschung des Jüdischen Museums fortgeführt, sodass von den Ergebnissen dieses Pilotprojekts für die Nutzung der RFID-Technologie in Zukunft auch andere Institutionen profitieren können.Ausführliche Bibliographie unter: www.poseidon-projekt.de/publikationen.htmlAlle Ansprechpartner des Projekts Poseidon unter: www.poseidon-projekt.de/team.htmlStefanie Hardick studierte Geschichte, Publizistik und Psychologie in Gießen und Berlin, besuchte die Deutsche Journalistenschule und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Audioguide für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren auf Deutsch und Englisch
Hörspiel und Musik: Frank Schültge Blumm
Deutscher Sprecher: Stefan Kaminski
Englische Sprecher: Jeff Burrell, Jill Hollwerda, Dshamilja Leach
Start: Samstag, 1. September 2012
Ausgabe: Info-Counter des Jüdischen Museums Berlin, erhältlich gegen die Hinterlegung eines PfandsKosten: 1 Euro
Beitrag aus Heft »2012/05: Medienkonjunkturen - Medienzukunft«
Autor:
Stefanie Hardick
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Günther Anfang: Documenta 13
Alle fünf Jahre ist es wieder soweit. Die kunstbeflissene Szene macht sich auf nach Kassel, um zu sehen, was in Sachen Kunst der Stand der Dinge ist. Auch dieses Jahr kann man wieder 100 Tage lang bis einschließlich 16. September in Kassel der Frage nachgehen, was aktuell unter Kunst zu verstehen ist. Nun wenn es nach Meinung der Kuratorin Carolin Christov-Bakorgiev geht, dann sind es nicht nur wir, die sich diese Frage stellen können, sondern schlichtweg auch der Hund, den diese Kunst ansprechen soll. Zwar sind die Äußerungen von Christov-Bakorgiev zum Konzept der documenta 13 äußerst kryptisch, doch Fragen wie „Welches Wissen haben andere Wesen und Dinge?“ bis hin zu „Wäre das Kunst, die auch Tiere anspricht – in deren Sprache?“ stammen aus ihrem Mund und stehen im Mittelpunkt der diesjährigen documenta. Diese Fragen lassen einen jedoch ziemlich ratlos zurück. Das beginnt schon damit, dass man im Erdgeschoss des Fridericianeums, einem der Hauptausstellungsgebäude der documenta, einen leeren Raum betritt. Einzig eine Vitrine ist zu sehen, in der sich die Absage eines Künstlers hier ausstellen zu wollen, befindet. Auch der Rest der Ausstellung im Fridericianeum stimmt die Kunsthungrigen ratlos.
Experimente zur Quantenphysik erinnern eher an einen Besuch des Deutschen Museums, wo ähnlich wie hier, irgendetwas blinkt oder leuchtet, aber man nicht versteht, was da gerade passiert. Doch Gott sei Dank gibt es ja noch weitere Ausstellungshallen und so wandert man schnell weiter zur Documenta Halle, gegenüber dem Fridericianeum. Hier wird man schon eher fündig, wenn man in der Haupthalle die Werke eines Thomas Bayerle bestaunen kann, der Flugzeugmotoren als Gebetsmühlen inszeniert. Im Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens steht die Maschine und ihr Verhältnis zum biologischen wie auch zum künstlerischen Leben. Eine überdimensionierte Fotomontage eines Flugzeugs und der Lärm diverser Automotoren versinnbildlichen dieses Verhältnis. Ebenso überzeugend in der Halle ist das Konzept des chinesischen Künstlers Yan Lei. Er hat 360 Gemälde in einem Raum angeordnet, die er innerhalb eines Jahres gemalt hat (der chinesische Kalender hat nur 360 Tage). Jeden Tag ein Bild, so lautete der selbstgestellte Auftrag des Künstlers. Als Vorlage dienten Bilder aus dem Internet, die ihm zufällig ins Auge sprangen. Dadurch entstand ein subjektives Tagebuch der täglichen Bilderflut, die uns das Internet beschert. Dieses Tagebuch ist nun auf der documenta 100 Tage lang zu sehen und wird vom Künstler sukzessive wieder zerstört, indem die Bilder mit Autolack übermalt werden. Die Quellbilder und ihre Geschichte werden somit versiegelt und so für die Ewigkeit unzugänglich gemacht.
Mit diesen gewaltigen Bildeindrücken schlendert man nun hinunter zur Karlsaue, dem Herzstück der documenta. Doch hier herrscht ebenso erst einmal Leere, wie im Fridericianeum. Die Ausstellungsobjekte sind auf dem Gelände der Karlsaue weit verstreut und man hätte gut daran getan, sich ein Fahrrad zu mieten. Der Fußmarsch ist leider sehr anstrengend und irgendwie auch nicht sehr erquicklich. Die einzelnen Pavillons erinnern eher an Gartenhäuschen, die willkürlich in den Park gestellt wurden, als an Gebäude, die den verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern gerecht werden. Ach wie schön sind da im Vergleich die Länderpavillons in den Giardinis auf der Biennale in Venedig. Ja man findet sie natürlich auch hier, die interessanten Kunstobjekte, wie zum Beispiel die Bienenskulptur von Pierre Huyghe oder die Idee di pietra, einen riesigen Stein in Mitten einer Baumkrone von Guiseppe Penone. Beeindruckend sind auch die Holzinstallation aus verschiedenen Galgen von Sam Durant, die die Geschichte der Todesstrafe in Amerika visualisiert und die Toninstallation von Janet Cardiff & George Bures Miller inmitten einer Waldlichtung. Hier kann man eine komplexe Audiokomposition erleben, die von 30 in der Natur angeordneten Lautsprechern erzeugt wird. Die Geräusche führen die Zuhörerinnen und Zuhörer in eine imaginäre Welt zwischen Fiktion und Realität umstürzender Bäume und herabstürzender Bomben.
Wäre man nicht zu weit in die Karlsaue vorgedrungen, so wäre das ein schöner Abschluss eines documenta Besuchs gewesen. Leider aber wird man darauf verwiesen, dass der Rückweg lang und beschwerlich ist. Eine komprimiertere Form der Darbietung auf engerem Raum hätte dem Ganzen gut getan. Übrigens die documenta 13 findet auch noch in Kabul, Alexandria/Kairo und Banff statt. Da genügt dann für einen Besuch auch ein Fahrrad nicht mehr.
Riccarda Possin: Mit Lexikonratte Klops in die Welt der Literatur
„Lesen macht euch schlau! Allerdings nur, wenn ihr über das, was ihr lest, nachdenkt.“ Dies verkündet Klops, die Ratte auf der Startseite des neu fertiggestellten Literaturlexikons für Kinder des Literaturmagazins Rossipotti. Seit Dezember 2003 lädt das Krokodil Rossipotti mit seinem Literaturmagazin für Kinder dazu ein, in die Welt der Literatur einzutauchen. Dazu erscheint alle drei Monate ein Magazin zu einem bestimmten Thema, wie etwa Entdeckungsreisen, Wissenswertes oder das aktuelle Magazin Horror und Grusel. Auf interaktive Weise werden Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren so an das Thema Literatur herangeführt und darüber hinaus auch selbst zum Geschichten schreiben angeregt. Nun hat Rossipotti, das Krokodil, in der Ratte Klops einen Freund hinzugewonnen. Klops ist keine gewöhnliche Ratte, Klops ist eine Lexikonratte. Und als solche hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 13 Jahren dabei zu helfen, über Literatur nachzudenken. Um dies zu bewerkstelligen, scheint ein Literaturlexikon als ergänzende Wissensvermittlung genau die richtige Wahl. In den Rubriken ‚Autoren‘, ‚Illustratoren‘, ‚Genres‘, ‚Epochen‘ und ‚Sachbegriffe‘ sammelt Klops, die Lexikonratte alles Wissenswerte rund um Literatur. Kinder und Jugendliche sollen so die Möglichkeit bekommen, sich umfassend über dieses Thema zu informieren. Damit soll ein Angebot für Kinder geschaffen werden, das literarische Inhalte altersgerecht und verständlich, aber dennoch ausführlich aufbereitet und so – als zielgruppengerechte Alternative zu herkömmlichen Lexika sowie zu Wikipedia und Co. – auch etwa für die Vorbereitung von Referaten für die Schule genutzt werden kann.
Dazu werden die einzelnen Begriffe der jeweiligen Kategorien auf je einer Seite vorgestellt. Zudem steht auch eine Suchfunktion zur Verfügung, über die einzelne Begriffe schnell gefunden werden können. Jeder Eintrag beginnt mit einem gelben Kasten, der einen knappen Überblick über den jeweiligen Begriff gibt. Daneben zeigt ein Inhaltsverzeichnis die einzelnen Kapitel des Eintrags an. Möchte man tiefer in die Thematik einsteigen, bietet sich so die Möglichkeit, einzelne Kapitel auszuwählen und via Hyperlink direkt an die entsprechende Stelle zu springen oder den gesamten Artikel zu lesen. An die Einträge schließen sich zudem noch weitere Links zum behandelten Begriff an. Schließlich ermöglicht es eine Kommentarfunktion mit der Aufforderung „Hast du eine Frage zum Artikel?“ unklare Aspekte anzusprechen und so ein differenziertes Feedback zu den einzelnen Artikeln zu verfassen und die stetige Verbesserung der Inhalte sicherzustellen. Um die Artikel auch für Kinder ansprechend zu gestalten wurde nicht nur auf eine kindgerechte Sprache und Darstellung, sondern auch auf multimediale Abwechslung geachtet. So sind einige Artikel durch grafische Darstellungen oder Bilder veranschaulicht, während bei anderen ein Wissensquiz am Ende des Beitrags wartet. Dabei können registrierte Kinder Punkte in Form von Dosen für jedes richtig gelöste Rätsel sammeln. Allerdings müssen hierzu alle drei Quizfragen richtig beantwortet werden. Zudem enthalten einige Artikel kleine Filme oder Tonaufnahmen oder bieten sogar die Möglichkeit, beispielsweise mittels einer Tonmaschine selbst Worte und Buchstaben in Töne zu verwandeln.
Doch nicht nur auf diese Weise gelingt es Rossipottis Literaturlexikon, die Kinder aktiv in die Webseite einzubeziehen. Gerade die Möglichkeit, sich selbst als Expertin oder Experte zu registrieren und so gelesene Bücher für andere Kinder zu rezensieren und weiterzuempfehlen, schafft einerseits eine aktive Rolle seitens der kleinen Autorinnen und Autoren und bietet andererseits Buchempfehlungen auf Augenhöhe für das junge Publikum. Zudem findet sich auf der Webseite eine wöchentlich wechselnde Wissensfrage zu einem literarischen Thema, die es zu beantworten gilt. Die richtige Lösung kann schließlich in der Folgewoche ebenfalls auf der Webseite eingesehen werden. Insgesamt überzeugt Rossipottis Literaturlexikon mit einer ansprechenden, kindgerechten Gestaltung mit einzelnen liebenswürdigen Highlights sowie mit verständlichen und gut aufbereiteten Artikeln zu den unterschiedlichsten literarischen Themen. Gerade für den Deutschunterricht in der Grundschule sowie in der Unterstufe weiterführender Schulen kann dieses Angebot daher gut als multimediale Ergänzung zum Lehrbuch herangezogen werden.
Lediglich die bisher noch nicht fertiggestellten Lexikonartikel sowie die Verknüpfung zwischen den einzelnen Artikeln bieten noch Raum zur Optimierung des Angebotes. So wäre es etwa wünschenswert, beispielhaft einzelne Bücher ‚professionell‘, also nicht nur durch die Kinder-Expertinnen und – Experten vorzustellen und diese mit den unterschiedlichen Kategorien, wie ‚Illustratoren‘, ‚Genres‘ und ‚Epochen‘ in Verbindung zu bringen.
Anna Hieger: Olive der Strauß
Das Straußenmädchen Olive sticht aus ihrer Familie heraus. Den üblichen Straußenaktivitäten kann sie nicht viel abgewinnen. Schnell laufen wie es ihr Vater liebt kann sie noch nicht und so riesige Eier legen wie ihre Mutter will sie gar nicht. Bleibt noch nach Wurzeln picken wie ihr Bruder, aber davon muss Olive immer nießen. Sie steckt am liebsten ihren Kopf in den Sand. Denn jedes Mal, wenn sie das tut, taucht sie in einer neuen spannenden Umgebung auf. Ihre blühende Fantasie bringt sie stets an neue Orte und immer wartet ein kleines Abenteuer auf Olive. Mal ist sie mitten auf einem Rummelplatz mit lauter tollen Fahrgeschäften und mal in einem großen Raum, in dem es nur Bücher gibt und alle merkwürdig leise sind. Furchtlos und ziemlich neugierig macht sich Olive daran, ihre neue Umgebung zu erkunden. Das tut sie natürlich nicht allein. Auf ihren Reisen lernt sie viele lustige Tiergestalten kennen, die ihr helfen, jede Herausforderung zu meistern.
Das kommt bei Vorschulkindern gut an, denn auch für sie bedeutet Alltag eine große Herausforderung. Ähnlich wie Olive erleben sie viele Dinge zum ersten Mal und lernen jeden Tag etwas Neues dazu. Aber nicht nur Olive sticht heraus, auch die Serie selbst ist etwas Besonderes. Denn Olive der Strauß ist eine animierte Zeichentrickserie im Look von Kinderzeichnungen. Für jede Episode wurden im Rahmen eines Projekts an englischen Grundschulen Zeichnungen angefertigt, die eine farbenfrohe und einzigartige Kulisse für Olives Abenteuer bilden. Die englische Produktionsfirma Blue-Zoo Productions hat in Zusammenarbeit mit der Stiftung The Prince’s Foundation for Children and the Arts dieses Projekt ins Leben gerufen und Workshops an verschiedenen Grundschulen in England und Irland veranstaltet. Die Kinderzeichnungen verleihen der Serie einen ganz eigenen und persönlichen Charakter, der beim Publikum gut ankommt.
Denn neben der ruhigen Erzählweise und den kurzen, in sich abgeschlossenen Geschichten ist es vor allem die Machart, die den Fernsehanfängern entgegenkommt. Nicht nur inhaltlich greift die Serie Themen aus ihrer Alltagswelt auf, sondern auch in ihrer Gestaltung. Schließlich steht Malen ganz weit oben auf der Beschäftigungsliste der Kinder und so fällt es ihnen leicht, sich in Olives Welt zurechtzufinden und wiederzuerkennen. Wer will, kann auf der Homepage von Nickelodeon England www.nickjr.co.uk die Kinderzeichnungen anschauen, die in den jeweiligen Olive-Episoden verwendet wurden. In England verdankt die Serie ihren Erfolg auch dem Umstand, dass der beliebte Sänger Rolf Harris als Erzähler fungiert. Man darf gespannt sein, ob die deutsche Umsetzung ähnlich gut gelingt.
Riccarda Possin: Von Zombies, Geistern und einem mutigen Jungen
Norman ist anders. Daher hat er regelmäßig Probleme mit seiner Familie und auch in der Schule läuft es alles andere als rund. Dies liegt daran, dass die Menschen um ihn herum Norman einfach nicht verstehen. Wie auch, wenn Norman ständig mit nicht vorhandenen – für jeden ‚normalen‘ Menschen unsichtbaren – Personen spricht und sich vollkommen in seine eigene Welt voller Gruselfilme und toter Gestalten zurückzieht. Doch nicht nur das, während sich das Zimmer des Elfjährigen anlässt, als handle es sich um ein Gruselkabinett, behauptet der Junge steif und fest, er könne mit toten Menschen sprechen und diese befänden sich mitten unter den Lebenden. Ja, seine verstorbene Oma lebe sogar mit ihm unter einem Dach. Kein Wunder, dass sich seine Eltern große Sorgen um ihn machen und Norman im gesamten Städtchen Blithe Hollow als Freak bekannt ist, mit dem man sich besser nicht abgeben sollte, wenn man sich noch ein Fünkchen Ansehen unter den Stadtbewohnerinnen und - bewohnern bewahren möchte. Da liegt es auf der Hand, dass Norman die Gesellschaft der Verstorbenen vorzieht und sich lieber mit seiner toten Oma unterhält – die immer einen guten Rat auf Lager hat – als sich mit seiner eingebildeten Schwester zu streiten oder sich von seinen Schulkameradinnen und -kameraden demütigen zu lassen.
Lediglich Neil, ein pummeliger Junge aus der Schule – ebenfalls Außenseiter – lässt sich von Normans ‚Sonderheiten‘ nicht beirren und versucht beharrlich, dessen Freundschaft zu erlangen. Als dann Normans ‚verrückter‘ Onkel auf der Bildfläche erscheint und seinem Neffen eröffnet, nur er habe die Macht, das gesamte Städtchen von einem jahrhundertealten Fluch zu befreien, scheint Normans große Stunde gekommen. Und plötzlich hat der Junge es mit aus ihren Gräbern aufgestiegenen Zombies und einer wütenden Menge Erwachsener zu tun. Aber Norman lässt sich nicht beirren und es gelingt ihm, sich selbst treu zu bleiben und seinen eigenen Weg zu gehen, um die Stadt zu retten. Dies kann allerdings nur mittels der zunächst unfreiwilligen Hilfe seiner Schwester, seines Freundes Neil und dessen gutaussehendem aber etwas dümmlichen Bruder sowie des Schulrowdys Alvin gelingen, die im entscheidenden Moment zusammenstehen und dem vermeintlichen Freak den Rücken stärken. Paranorman erzählt die klassische Geschichte eines sonderbaren Außenseiters, der die Möglichkeit bekommt, sich selbst zu beweisen, mit Mut und Verstand zu glänzen und der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, der sie ihre eigenen Fehler erkennen lässt.
Auch das Thema Familie wird hier mit eingearbeitet, wenn etwa Normans Vater den Glauben an seinen Sohn verliert und für eine Zeit vergisst, dass ein Vater seinem Kind in jeder Lebenslage beistehen sollte. Soweit nichts Neues, doch verpackt ist dieser Inhalt in einen humorvollen Fantasy-Thriller, der mit teils hintergründigem Witz und Situationskomik aber auch mit gruseligen Szenen und halsbrecherischen Verfolgungsjagden aufwarten kann. So ist die Grundstimmung des Films sehr düster gehalten und es kommt nicht selten zu Szenen, in denen Zombies röchelnd die Verfolgung aufnehmen oder die Kinder von herrenlosen Gliedmaßen gepackt werden. Da ist Gänsehaut vorprogrammiert und es läuft dem mutigen Kinobesucher schon einmal ein kühler Schauer über den Rücken, bevor erleichtert aufgelacht werden kann, wenn sich die Situation auf komische Art klärt und die unheimlichen Gesellen wieder einmal den Kürzeren ziehen. Mit der aufwendigen Technik des Stop-Motion-Animationsfilms gekoppelt mit 3D-Effekten gelingt dabei eine sehr detailgetreue Optik, die alle Charaktere mit ihren Ecken und Kanten präzise zeichnet und die mit viel Liebe zum Detail gestalteten Puppen eindrucksvoll zum Leben erweckt.
Auffällig ist dabei, dass auch die Helden der Geschichte nicht frei von Fehlern dargestellt werden, sondern eine differenzierte Betrachtung vorgenommen wird. Gerade jugendliche und erwachsene Liebhaberinnen und Liebhaber des Animationsfilms sollten sich diesen lustig-schaurigen Streifen nicht entgehen lassen. Kindern können die teils gruseligen Darstellungen von Zombies und Hexen sowie die unheimlichen Verfolgungsjagden dagegen schnell zu viel werden. Als Familienfilm für regnerische Sommertage ist dieser Film daher nur bedingt geeignet.
Paranorman
USA (2012)
Drehbuch und Regie: Sam Fell & Chris Butler
Deutsche Stimmen: David Kunze, Andreas Wittmann, Gabrielle Pietermann, Hannes Maurer, Kim Hasper, Klaus Sonnenschein
FSK: noch nicht geprüft
Kinostart: 23. August 2012
Christian Finger, Yuliya Romanyuk, Tim Sommer, Patric Raemy und Hans-Ulrich Grunder: INTED 2012 – Ein Rückblick
Vom 5. bis zum 7. März 2012 fand die dreitägige Konferenz INTED ‘6th International Technology, Education and Development Conference’ in Valencia (Spanien) statt, die von der International Association for Technology, Education and Development (IATED) organisiert wurde. Die IATED ist eine Non-Profit-Organisation, die sich zum Ziel setzt, über Landesgrenzen hinweg Institutionen und Organisationen, welche sich im Bildungsbereich mit Technologien und der Wissenschaft auseinandersetzen, zusammenzuführen und zu einem Dialog zu bewegen. Um dieses Ziel zu erreichen, organisiert die IATED jährlich mehrere Tagungen. Eine dieser Konferenzen ist die INTED, an der es heuer um das Verhältnis von Technologie, Erziehung und Entwicklung ging. Weil im Forschungsprojekt ‘m-Learning in der Schule – der Lernstick als Lerninstrument (mLS)‘ dieser Zusammenhang ebenfalls zur Diskussion steht, insbesondere die Frage der Wirksamkeit des Lernstickeinsatzes in der Schule, nahmen Mitglieder des Forschungsteams an der Tagung teil. Das internationale Forum bot den über 600 Partizipierenden aus 67 Ländern eine Plattform für Präsentationen und Erfahrungsaustausch in den Bereichen Technologie, Bildung, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit. Der inhaltliche Schwerpunkt der zahlreichen, parallel geführten Vorträge, Poster und virtuellen Sitzungen lag in den Themen mLearning, eLearning und blended Learning. eLearning steht für electronic learning, also das elektronisch unterstützte Lernen. mLearning baut auf dem eLearning auf, fokussiert jedoch auf die Mobilität. Es bezeichnet jenes Lernen, welches mittels elektronischer Medien erfolgt und orts- und zeitunabhängig ist. Die Kombination von unterschiedlichen Lernformen wie etwa eLearning, buchgestütztes Lernen oder Frontalunterricht wird als blended Learning bezeichnet, wobei mindestens eine dieser Lernformen mit Hilfe elektronischer Medien stattfinden muss.
Bildungsinstitutionen stehen in diesem Zusammenhang vor großen Herausforderungen: Einerseits sollen sie Schülerinnen und Schüler zu medienkompetenten, mündigen Bürgerinnen und Bürgern ausbilden, welche den Umgang mit neuen Medien beherrschen und die immer größer werdende Menge an Informationen kompetent, produktiv und eigenständig zu verarbeiten imstande sind. Andererseits stehen viele Schulen gegenwärtig unter erheblichem Spardruck, so dass sie sich die Anschaffung beziehungsweise den Unterhalt von neuen Medien nicht leisten können. Daraus resultiert, wie mehrere Studien belegen (JIM 2011; JAMES 2012), ein Ungleichgewicht zwischen der privaten und der schulischen Nutzung von neuen Medien. Um dieses Problem zu lösen und neue Medien stärker in Schule und Bildung zu verankern, sind Wissenschaft und Forschung gefragt. Einerseits geht es darum, technische Lösungen zu entwickeln, damit neue Medien großflächig und kostengünstig in den Unterricht integriert werden können. Andererseits gilt es, forschungsgestützt effiziente Unterrichtsszenarien zu entwerfen und zu erproben, die e- und mLearing zu initiieren vermögen. In unzähligen Ländern sind inzwischen unterschiedliche Strategien und technische Lösungen mit dem Ziel erarbeitet worden, neue Medien stärker in den Unterricht einzubinden. Zahlreiche dieser Lösungen und Strategien wurden auf der INTED vorgestellt. Bereits die mit großer audiovisueller Unterstützung präsentierte Eröffnungsrede (Keynote-Speaker: Dr. Tracey Wilen Daugmenty) ließ vermuten, dass bei der Konferenz vor allem eines erwartet werden durfte: viel progressive und technik-optimistische Stimmung. Bezeichnungen mit einer Versionennummer 2.0 oder sogar 3.0 waren keine Seltenheit. Dem Web 2.0 mit seinem ‚User Generated Content‘ wurde großes Potenzial für die Bildung zugesprochen. Eine Ausnahme bildete der polnische Wissenschaftler Nalaskowski mit seiner kritischen Meinung zum Einsatz des Internets in der Schule.
In seiner Präsentation mit dem Titel ‘How the idiot conquered the internet – middle europe example‘ formulierte er die These, das Internet transformiere sich von einer Plattform für hochgebildete Akademiker hin zu einem Unterhaltungsmedium mit irrelevanten Inhalten und Nutzenden aus unterklassigen Bevölkerungsschichten. Die große Mehrheit der Vortragenden vertrat jedoch eine optimistischere Position: Erfahrungen aus Schulklassen, welche mittels Social Network-Plattformen international vernetzt sind, seien bislang vielversprechend ausgefallen. Die sozialen Netzwerke (Facebook und Co.) werden insbesondere für die Fremdsprachenbildung von vielen Seiten als positives Lerninstrument eingestuft. Die zahlreichen positiven Erfahrungen der Vortragenden lassen die Vermutung zu, dass sich in dem oft beschriebenen ‚globalen Dorf Erde‘ eine ‚globale Schule‘ zu entwickeln scheint. Nicht zufällig lobten wohl auch deshalb etliche Vortragende das Internet als ‚motivierend, kulturvermittelnd und lernfördernd‘. Die Diskussionen während der Konferenz stützten die Meinung, dass Neue Medien beziehungsweise die Entwicklung und der großflächige Einsatz neuer Technologien – vor allem im Kommunikationssektor – zu einer grundlegenden Veränderung unserer Gesellschaft führen werden. Will die Schule ihre Rolle als Sozialisationsinstanz einer digitalen Gesellschaft wahrnehmen, muss sie mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt halten und die Informationstechnologien (ICT) in den Unterricht integrieren. Diese Entwicklung könnte allerdings die Entstehung oder Vergrößerung eines ‚digitalen Grabens‘ begünstigen, da finanzielle Ressourcen innerhalb der Gesellschaft ungleich verteilt sind.
Der Umgang mit teurer ICT, welcher im Schulunterricht zu vermitteln wäre, kann unter Umständen privat aufgrund fehlender Ressourcen nicht angewendet und vertieft werden. Das Gleiche gilt für die Schulen, die es sich, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern, nicht leisten können, neue Medien anzuschaffen. Da die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer mehrheitlich aus Schwellen- oder Entwicklungsländern kamen, wurden dieser der Sachverhalt und die in diesem Zusammenhang thematisierte Zugangskluft zum Internet intensiv diskutiert. Im Zentrum stand die Frage, wie die Chancenungleichheit, die aufgrund unterschiedlicher finanzieller sowie materieller Ressourcen entsteht, im Kontext des Umgangs mit Neuen Medien in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen bekämpft werden könne. Das Potenzial des mLS-Forschungsprojekts, mittels eines ‘Lernsticks‘ eine Brücke über den digitalen Graben zu errichten, wurde mit Interesse verfolgt. Der Lernstick, von der Beratungsstelle für digitale Medien in Schule und Unterricht (imedias) an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelt, soll unter anderem der Vergrößerung des digitalen Grabens entgegentreten. Der Lernstick ist eine auf die Schule ausgerichtete technische Lösung, mit dem sich allen Schülerinnen und Schülern ein kostengünstiges Lerninstrument zur Verfügung stellen lässt, das sie in der Schule, aber auch privat nutzen können. Die bis zu diesem Zeitpunkt ausgewerteten Ergebnisse der empirisch erhobenen Daten zeigen, dass Lehrkräfte, Schulleiterinnen -leiter und ICT-Verantwortliche glauben, der Lernstick sei ein wirkungsvolles und effektives Lernwerkzeug.
Der Einsatz dieses Mediums ermöglicht es Schule mit beschränkten Mitteln, mLearning zu implementieren. Die Vorteile des Lernsticks als mLearning-Werkzeug, also das Kosten-Nutzen Verhältnis, der einfache Support, die Flexibilität, die benutzerfreundliche Nutzeroberfläche, die Akzeptanz des Mediums bei den Schülerinnen und Schülern sowie die damit verbundene Konstruktion eines ‚Personal Learning Environments‘ fanden beim Publikum Anklang, was zu regen Diskussionen führte.Die Teilnahme und die Diskussionen an der INTED 2012 verstärken unsere Ansicht, der Einsatz des Lernsticks und die Erforschung seiner Wirksamkeit finde nicht nur nationale, sondern auch internationale Beachtung. Zudem lassen sich – wie immer bei einer solchen Tagung – thematisch fokussierte Kontakte zu anderen Bildungsforscherinnen und -forschern und Bildungsinstitutionen knüpfen. Überdies lernten wir andere Möglichkeiten und Unterrichtsszenarien kennen, die sich dem e- und mLearning verschrieben haben. Der große Andrang sowie die vielen Teilnehmenden lassen darauf schließen, dass Lernen mit neuen Medien weltweit ein zentrales Thema darstellt, mit welchem sich Medien- und Bildungsforschende sowie Medien- und Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler intensiv beschäftigen.
Dies veranschaulicht die Notwendigkeit, Bildung zeitgerecht zu vermitteln, weshalb neue Medien im Unterricht zum Einsatz gelangen müssen. Die Vorträge, Posterdarbietungen und Diskussionen an der INTED 2012 legen trotz der zuvor angeführten Skepsis den Gedanken nahe, dass sich Bildung, Schule und Unterricht weiterentwickeln und dass man in diesen Bereichen nicht sparen kann – oder wie es Dr. Wilen Daugmenty, einer der Hauptreferenten der INTED 2012, ausdrückt: “Education pays off, because it is the best way to create tomorrow’s future today.”
Literatur:
JAMES-Studie (2010). Jugend, Aktivität, Medien – Erhebung Schweiz. www.psychologie.zhaw.ch/de/psychologie/forschung-und-entwicklung/medien psychologie/forschungsprojekteaktuell/james/james.html (Zugriff: 23.03.2012)
JIM-Studie (2010). Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/JIM2010.pdf (Zugriff: 27.3.2012)
www.imedias.ch/lernstickwww.fhnw.ch/ph/zse/index_SoeE www.iated.org/inted2010/
Beitrag aus Heft »2012/03: Privatsphäre und Datenschutz im Netz«
Autor:
Christian Finger,
Tim Sommer,
Patric Raemy,
Yuliya Romanyuk
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Cornelia Pläsken: 17 Mädchen
Bisher gab es keine ungewöhnlichen Vorkommnisse in Lorient, einer Stadt in der Bretagne. Die Lebensumstände sind so lala, die Wirtschaft ist an einem Tiefpunkt angelangt und die Jugend hat nur mäßige Zukunftsaussichten. Das Leben der Menschen nimmt seinen gewohnten, unspektakulären Lauf. Dieser Umstand ändert sich an dem Tag, als die jugendliche Camille (Louise Grinberg) erfährt, dass sie schwanger ist. Sie beschließt, das Kind ohne Hilfe des Vaters zu bekommen und auf diese Weise endlich jemanden in ihrem Leben zu haben, den sie liebt und der sie im Gegenzug ebenfalls liebt. Damit möchte sie die fehlende Wärme ihres Zuhauses kompensieren und ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen. Als in Camilles Schule langsam bekannt wird, dass sie schwanger ist, behauptet die Außenseiterin Florence (Roxane Duran), sie sei ebenfalls schwanger, um Zugang zur Clique rund um Camille zu finden. Schnell kommen die Mädchen auf die Idee, dass sich die anderen auch schwängern lassen könnten, da eine allgemeine Unzufriedenheit unter ihnen herrscht. Sie fühlen sich alle nicht wirklich ernstgenommen und erfahren nur bedingt Rückhalt und Liebe von ihrem Elternhaus. Aus diesem Grund beschließen 17 Mädchen unabhängig von ihren Eltern, in Zusammenhalt untereinander und ohne Verantwortung der betroffenen Jungs schwanger zu werden und die Kinder gemeinsam großzuziehen. Damit lösen die Mädchen große Empörung bei den Eltern, Lehrkräften und in der Öffentlichkeit aus.
Die Eltern zweifeln an der betroffenen Schule und den Lehrerinnen und Lehrern, diese wiederum stellen die Erziehung der Eltern in Frage, versuchen gleichzeitig aber den Ruf der Schule zu wahren. In der Öffentlichkeit wird breit diskutiert, wie eine so große Zahl von jungen Mädchen gleichzeitig schwanger werden konnte und was das für Auswirkungen haben wird. Trotz aller Widrigkeiten lässt keine von ihnen ihr Kind abtreiben. Sie versuchen den Alltag als Schwangere und Schülerinnen gemeinsam so gut wie möglich zu meistern. Allen voran motiviert Camille ihre Freundinnen immer wieder mit aufmunternden Worten in Aussicht auf ihre gemeinsame Zukunft. Eines Tages fliegt die Scheinschwangerschaft von Florence auf und bringt dadurch ersten Unmut in die Gruppe. Unabhängig davon muss Camille plötzlich von Schmerzen geplagt ins Krankenhaus. Dieses Ereignis und die daraus resultierenden Folgen ändern die Situation der Mädchen grundlegend.Die französischen Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen Delphine und Muriel Coulin verarbeiten in ihrem Film eine wahre Geschichte aus den USA.
Die Thematik des Heranwachsens wird durch eine ungewöhnliche Geschichte dargestellt. Es gelingt ihnen, ein Jugendporträt zu zeichnen, das auf eine feinfühlige Art die Komplexität des Erwachsenwerdens zeigt und die Beweggründe der Mädchen ausführlich und verständlich präsentiert. Die Protagonistinnen glänzen durch ihre Loyalität den Freundinnen gegenüber und verdeutlichen zur selben Zeit den häufigen Eltern-Kind-Konflikt, der diese Lebensphase begleitet. Gleichzeitig wird der Konflikt der Verantwortlichkeit der Erziehung zwischen Eltern und Schule thematisiert, der fortwährend in der Gesellschaft besteht. Eltern fragen sich, inwieweit die Schule zur Erziehung ihrer Kinder beitragen kann und muss, die Schule gibt ab einem gewissen Punkt ihre Verantwortung hinsichtlich der Erziehung der Schülerinnen und Schüler ab, da dies ihrer Ansicht nach Sache der Eltern ist. In 17 Mädchen wird treffend und nachvollziehbar der Wunsch nach Freiheit dargestellt, der von den Mädchen auf unkonventionelle Weise erfüllt wird. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Unabhängigkeit von jungen Frauen und allgemein Weiblichkeit, da die weiblichen Jugendlichen ihre Kinder ohne die Väter aufziehen und sich selbst ein besseres Leben bieten möchten.
Dies alles wird im verhältnismäßig gering ausfallenden Dialog zwischen den Mädchen vermittelt. Es bedarf nicht vieler Worte, da die Atmosphäre des Films und die einzelnen Situationen für sich sprechen und die Intention aussagekräftig vermitteln. Der unerwartete und gleichzeitig abrupte Schluss zeigt nochmals die Wandelbarkeit der Realität auf, da nichts von Dauer ist und ein Ereignis den weiteren Verlauf von Grund auf verändern kann.
17 Mädchen
Frankreich 2011, 87 Minuten
Regie: Muriel Coulin, Delphine CoulinDarsteller: Louise Grinberg, Juliette Darche, Roxane Duran
Verleih: ARSENAL Filmverleih
Filmstart: 14.06.2012
Beitrag aus Heft »2012/03: Privatsphäre und Datenschutz im Netz«
Autor:
Cornelia Pläsken
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Benedikt Homman: Tomboy
Wenn man die zehnjährige Laure zum ersten Mal sieht, könnte man sie fast für einen Jungen halten. Ihre Haare sind kurz, sie trägt Jeans und benimmt sich auch sonst nicht unbedingt wie ein Mädchen. Laure ist ein sogenannter ‚Tomboy‘; ein Mädchen, das sich wie ein Junge gibt und auch fühlt. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Jeanne ist sie in eine andere Stadt gezogen, in der sie auch bald eine neue Schule besuchen wird. Laure findet schnell Anschluss an eine Gruppe von gleichaltrigen Kindern. Den Sommer genießen die Kinder mit Fußballspielen und beim Baden am See. Doch während sie für ihre Eltern Laure ist, stellt sie sich ihren Freundinnen und Freunden als Mikael vor. Dass Mikael in Wirklichkeit ein Mädchen ist, wissen diese nicht und damit dies so bleibt, lässt Mikael sich einiges einfallen. Nur die kleine Jeanne weiß von Laures neuer Identität und erfreut sich an der Maskerade: „Ich habe einen großen Bruder und der ist viel besser.“
Dann verliebt sich Mikael in das Nachbarsmädchen Lisa und ihm wird immer bewusster, dass der Tag kommen wird, an dem das Geheimnis keines mehr sein wird. Die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Célina Sciamma zeichnet in ihrem Film Tomboy das Bild eines Mädchens an der Schwelle zur Pubertät, das versucht, sich einer biologisch und gesellschaftlich determinierten Herausbildung der Identität zu widersetzen. Zum Beweggrund, einen Film über dieses sensible Thema zu drehen, meint die Regisseurin: „Es scheint fast, als wäre die sexuelle Orientierung von Kindern mit einem Tabu behaftet. Und dies, obwohl doch gerade die Kindheit eine Zeit der großen Gefühle und intensiven sinnlichen Erlebens darstellt.“ Dabei inszeniert Céline Sciamma dieses Erleben auf eine zurückhaltende Art und Weise und lenkt den Blick der Zuschauerinnen und Zuschauer vor allem auf die Hauptfigur, die manchmal wie leichtfüßig zwischen ihren beiden Geschlechtern hin und her schwenkt und es scheinbar stets schafft, ihre Travestie aufrechtzuerhalten. Zoé Héran, die Darstellerin der Laure, verkörpert dies absolut glaubhaft. Statt auf große Emotionen zu setzen, zeigt die Regisseurin Laures inneren Gefühlszustand immer wieder in kleinen Gesten.So wie in der Szene, als Laure von ihrem Vater zum ersten Mal einen Schlüssel für die Wohnung bekommt, der an einem rosafarbenen Band hängt. Dieses tauscht sie aber gleich durch den weißen Schnürsenkel ihrer Sportschuhe aus.
Diese ruhige und unspektakuläre Erzählweise bedeutet zugleich, dass Tomboy seinem Publikum einen gewissen Anspruch abverlangt, weil keinerlei dramaturgische Möglichkeiten vorgegeben werden, zur Hauptfigur Position zu beziehen. Selbst auf den Einsatz von Musik verzichtet Céline Sciamma weitestgehend.Aufgrund dieser besonderen Erzählweise wird es Kindern unter zwölf Jahren nicht leicht fallen, dem Film aufmerksam zu folgen. Tomboy ist vor allem für Jugendliche geeignet, die sich in der Pubertät befinden oder diese bereits abgeschlossen haben und damit gegenwärtig oder rückblickend auf die Entwicklung einer eigenen Sexualität und Identität Stellung beziehen können. Besonders gut geeignet ist der Film für eine Einbindung in verschiedene Unterrichtsfächer. Für den Ethik- und Religionsunterricht bietet der Film Anregungen, um über Fragen nach Geschlechterrollen und Identitätsbildern in einer Gesellschaft zu diskutieren, und was es bedeutet kann, wenn eine Identitätsbildung unter Zwang geschieht.
Für den Deutschunterricht gibt der Film weiterhin Impulse, um sich mit der in der Literatur immer wieder anzutreffenden Identitätsdopplung auseinanderzusetzen. Darüber hinaus lässt sich im Biologieunterricht auch die Problematik der unterschiedlichen sexuellen und psychologischen Reifungsprozesse von Mädchen und Jungen ansprechen. Handelt es sich bei Laure nur um eine vorübergehende Wandlung der Identität, oder markiert ihre Travestie den weiteren Lebensweg? So wie in der Realität gibt auch der Film an diesem Punkt den Zuschauern keine einfache Antwort vor.
Tomboy
Frankreich 2011, 82 Minuten
Regie: Céline Sciamma
Darsteller: Zoé Héran, Malonn Lévana, Jeanne DissonVerleih: Alamode Film
Filmstart: 03.05.2012
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Autor:
Benedikt Hommann
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Bianca Keinath: Spongebob & Co. – so gar nicht mehr froh
Die Berliner Ausstellung Broken Heroes zeigt von Kindern geliebte Ikonen der Popkultur. Bei den von der Künstlerin Patricia Waller in mühsamer Häkelarbeit angefertigten Figuren handelt es sich jedoch allesamt um „abgestürzte Helden“, die in ihrem Scheitern gezeigt werden: Supermans Kräfte haben versagt und er fliegt in eine Wand; Ernie ist alkoholkrank und obdachlos, bettelnd auf der Straße; das Sandmännchen begeht Selbstmord; Spiderman ist in seinem eigenen Netz gefangen; Hello Kitty rammt sich ein Messer in den Bauch; Minnie Maus liegt vergewaltigt am Boden und SpongeBob wird zum Sprengstoff-Attentäter …Moderner Slapstick oder einfach taktlos? Für merz hat Bianca Keinath mit der Künstlerin Patricia Waller über ihre Werke gesprochen. Während es in den Medien und der Bevölkerung einen Aufschrei gibt, scheint die Botschaft dahinter ganz einfach: Jeder kann scheitern, doch wahre Helden stehen wieder auf und der in der Gesellschaft vorherrschende Starkult kann zu Identitätskrisen und überhöhten Lebensvorstellungen führen, die verzweifeln lassen.merz Frau Waller, als „schrecklichste Ausstellung der Stadt“ (BILD) wird viel und kontrovers über Ihre Kunst diskutiert. Was hat Sie dazu inspiriert, diese Kindheitshelden so darzustellen?Waller Ich arbeite immer in Serien und überlege mir hierzu Themen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben.
Wenn Sie auf die Homepage gucken (www.patricia waller.com), sehen Sie, dass ich mich auch schon mit Alter und Gebrechen auseinandergesetzt und Gehwagen und Toilettensitze und so was gehäkelt habe. Und in dem Fall hat mich das Thema Prominenz interessiert. Die Helden, um die es geht, sind ja auch Prominente unserer Kindheit gewesen oder sind es teilweise heute noch. Mich hat einfach interessiert: Was ist ein Held? Was ist ein Fan? Was ist prominent? Was ist ein Antiheld? Um diese Thematik kreist die Ausstellung.merz Was viele Betrachterinnen und Betrachter erschreckt, ist die Grausamkeit der Darstellungen. In den Medien und auch in der Realität werden wir regelmäßig mit Gewalt konfrontiert; das gilt auch für Kinder. Warum, denken Sie, gibt es gerade bei Ihren Werken so einen Aufschrei?Waller Ich bin eigentlich eher erstaunt, dass es überhaupt diesen Aufschrei gibt. Als Künstlerin gehe ich heute nicht mehr davon aus, dass ich heute irgendjemand mit irgendetwas provozieren kann, oder sehr emotional berühren kann und habe tatsächlich sehr, sehr viele Kommentare zur Minnie Maus bekommen. Mich wundert das sehr, weil – genau wie Sie sagen – diese ganze Hollywood-Maschinerie die Wahrnehmung von Gewalt verändert hat.
In Hollywood sterben die immer schön. Der Unterschied bei den Comichelden, was wahrscheinlich auch die Kinder sehen, ist ja, dass die in der Regel unsterblich sind. Wenn Bugs Bunny von der Dampfwalze überrollt wird, dann schüttelt er sich hinterher, steht auf und rennt weiter. Deswegen habe ich auch nicht das Gefühl, dass Kinder so erschreckt sind von der Ausstellung weil sie ja wissen, dass die Figuren immer überleben, egal was ihnen widerfährt. merz Sie bezeichnen Ihre Werke als „kritische Auseinandersetzung mit dem Starkult unserer Gesellschaft“. Was genau meinen Sie damit?Waller In jeder Gesellschaft und in der Geschichte gibt es Helden und das sind ja irgendwie auch Vorbilder und Hoffnungsträger … und wir haben ja auch eine Sehnsucht nach dem Besonderen – was heute ein Prominenter ist, ist was früher ein Held war. Beiden wird ein gewisses Maß an Beliebtheit, Bewunderung und Verehrung entgegen gebracht. Der Fan auf der anderen Seite ist jemand, der eine virtuelle Beziehung zu seinem Star eingeht, er kann nicht zurückgewiesen werden, also kann er auch nicht enttäuscht werden. Er muss sich so also vielleicht auch nicht mit seiner eigenen Minderwertigkeit auseinandersetzen. Es ist die Diskrepanz der Welt, die einem vorgespiegelt wird in den Medien, und die Realität. Bei mir kommt dann der Antiheld ins Spiel. Die Figuren, die ich gehäkelt habe, scheitern eigentlich alle.merz In Ihren Arbeiten haben Sie sich mit Heldinnen und Helden der Kinder von heute und gestern beschäftigt. Wer war Ihr Held oder Ihre Heldin?Waller Eindeutig Pippi Langstrumpf. Wir haben beide rote Haare (lacht) und meine Mutter musste mir immer solche Zöpfchen machen.Ja, das war die Größte für mich! merz Warum haben Sie sie nicht mit aufgenommen?
Waller Naja, es muss ja immer auch passen. Also wenn ich jetzt zum Beispiel die Minnie Maus nehme, warum wurde die vergewaltigt? Sie ist ja eigentlich der Inbegriff von Unschuld. Deswegen musste natürlich gerade sie „vergewaltigt“ werden. Es gibt zu jeder Figur eine kleine Geschichte, die muss mir dann auch einfallen. Dieser Bob Schwammkopf, der ist immer so nervös und aufgeregt und hektisch, das ist dann der, der zum Selbstmordattentäter wird. Ich hätte für Pippi Langstrumpf keine Geschichte gefunden.merz Ihre Puppen sind alle sehr aufwändig in Handarbeit gehäkelt. Wie kamen Sie auf die Idee, gerade dieses Material zu verwenden und wie lange brauchen Sie für die Herstellung einer Häkelpuppe?Waller Es ist schwierig, die Frage zu beantworten, wie lange ich an einer Figur sitze. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich für die aktuelle Ausstellung ungefähr zwei Jahre am Arbeiten war. Es ist ja nicht nur so, dass ich ein paar Stunden am Tag häkeln muss – was ja auch etwas Absurdes ist, in so einer Zeit der Massenfabrikation. Ich muss ja auch die Ideen haben, ich muss dieses Innenleben der Figuren gestalten – was nehme ich? Styropor? Wie setze ich das an, welche Größe bekommen die? Also es ist alles sehr zeitaufwändig.
Ich hinterfrage mit meinen Arbeiten auch die Wertigkeit von Handarbeit, weil wir rennen alle zu IKEA und es gibt sehr, sehr viele Menschen, die mir das gar nicht glauben, dass ich das selber herstelle. Mir ist aber auch nicht klar, was die für eine Vorstellung haben. Ob ich irgendwie eine Maschine im Keller habe, da ein paar Wollknäuel rein schmeiße und Bob Schwammkopf eintippe und dann kommt der da unten raus? Dem ist leider nicht so, ich sitze gut drei Monate an einer Figur.merz Es gibt für die Ausstellung Broken Heroes keine Alterbeschränkung. Hätten Sie sich eine Altersbegrenzung gewünscht?Waller Im Prinzip ist das zweischneidig. Ich denke, es ist auch eine Verantwortung der Eltern, ob sie sich das mit ihren Kindern zusammen anschauen. Viele kennen meine Arbeiten jetzt schon seit Jahren. Bei meiner letzten Ausstellung war es so, dass die Kinder das gar nicht so schrecklich fanden – und die war noch viel blutiger! Die Kinder kamen rein und stürzten sich auf die Arbeiten, für die war das ein großer Abenteuerspielplatz. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Eltern ihre Kinder an der Hand nehmen. Viele Kinder werden auch im Alter von zwei bis drei Jahren vor den Fernseher gesetzt und gucken sich Tom und Jerry an.
Da würde ich generell lieber an die Aufmerksamkeit der Eltern appellieren. Ich mache meine Kunst in erster Linie für Erwachsene. Speziell für Kinder habe ich aber auch schon mal eine Ausstellung gemacht. Extrem süß! ist derzeit in Karlsruhe zu sehen und ich habe dafür Eisbecher und Süßigkeiten gehäkelt. Wenn ich meine Werke an Kinder richte, bin ich sehr vorsichtig.merz Herzlichen Dank für das Interview und noch viel Erfolg für Ihre Ausstellung!Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Juni 2012 in der Galerie Deschler zu sehen.
Beitrag aus Heft »2012/03: Privatsphäre und Datenschutz im Netz«
Autor:
Bianca Keinath
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Diana Schick: HörensWert
Was ist ein gerechtes Musikstück? Dürfen laute Instrumente wie die Trommel einfach so Krach machen oder müssen sie sich zurückhalten? Ist es gerecht, wenn die leisen Töne wie Triangel oder Rassel mehr Spielzeit bekommen? Oder ist es am besten, wenn einfach alle auf einmal spielen, so laut und so lange sie können? Im MOSAIK Mehrgenerationenhaus in Bachgau versuchen acht Kinder zwischen vier und fünf Jahren im Rahmen einer HörensWert-Einheit ein wirklich gerechtes Musikstück zu komponieren. Gar nicht so leicht, müsste man doch erst einmal wissen, wann eine Sache wirklich gerecht ist und was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet. Diese Fragen zu klären ist Aufgabe des philosophischen Gespräches. Das Ergebnis wird anschließend in eigenes Handeln übersetzt. Dabei spielen die Methoden aktiver Medienarbeit eine wichtige Rolle.
Das Konzept HörensWert
Das MOSAIK Mehrgenerationenhaus in Bachgau ist eine von 13 Einrichtungen in Bayern, die sich am Pilotprojekt HörensWert beteiligt haben. HörensWert ist ein Konzept zur Wertebildung in Kindertagesstätte und Schule, das die Akademie Kinder philosophieren im bbw e. V. gemeinsam mit der Stiftung Zuhören entwickelt hat. Abstrakte Werte wie Toleranz, Solidarität oder eben Gerechtigkeit sollen für Kinder erlebbar und nachvollziehbar werden, um Grundlage für das Handeln der Kinder zu bilden. In der pädagogischen Praxis geht es darum, in einem philosophischen Gespräch über Werte nachzudenken, zuhören zu lernen und die GeHörensWert Kinder fragen, antworten, verstehen danken anschließend in verschiedensten akustischen Formen hör- und erlebbar zu machen. Eine HörensWert-Einheit besteht entsprechend aus drei zentralen Bausteinen, die einander bedingen und ergänzen:
Den Wert einführen
Der erste Baustein ist die Zuhörförderung, denn nur wenn ich dem anderen aufmerksam zuhöre, kann ich dessen Gedanken nachvollziehen und verstehen. Einleitende Rituale, wie beispielsweise eine „Ohrenmassage“, eröffnen die Einheit und lenken die Konzentration auf das Zuhören. Geräusche, die auch von den Kindern selbst aufgenommen werden können, wie beispielsweise verschiedene Lacher, ein Hörspiel oder, wie im oben genannten Beispiel, das Ausprobieren unterschiedlicher Instrumente, führen den Wert ein und dienen als Einstieg in das Gespräch. Wird ein Hörspiel als Einstieg gewählt, bietet es sich an, gemeinsam mit den Kindern Kriterien zu erarbeiten, woran man ein gutes Hörspiel erkennen kann: Sind die Stimmen der Sprecher angenehm und ausdrucksvoll? Passen sie zu den Figuren, die dargestellt werden? Welche Geräusche sorgen für Atmosphäre, in welcher Weise wird Musik eingesetzt? Passt sie zum Inhalt? Die Kinder lernen auf diese Weise, Hörspiele bewusster zu hören und werden auf die Umsetzung und die Produktion eigener Hörspiele vorbereitet. Den
Wert bewusst machen
Im philosophischen Gespräch, dem zweiten Baustein, wird der Wert reflektiert und in Beziehung zum eigenen Handeln gesetzt. Das philosophische Gespräch ist ein bewertungsfreier Raum, in dem Kinder ihre eigenen Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse zu einem Wert austauschen können. Es geht nicht darum, vorgefertigte Wertvorstellungen zu übernehmen, sondern gemeinsam nachzudenken. Durch die Gesprächsleitung erhalten die Kinder Anstöße weiterzudenken, die eigene Meinung zu hinterfragen und unter Einbezug der Perspektiven anderer auch neue Standpunkte zu entwickeln.
Den Wert erleben
Der dritte Baustein – das Erleben und Hörbarmachen von Werten – ermöglicht den Kindern, das Gedachte und Gesprochene auf eine kreativ-schöpferische und spielerische Art auszudrücken und zu erleben. Beim ‚Hörbarmachen‘ werden Gedanken aus dem philosophischen Gespräch aufgegriffen, weitergesponnen und erfahrbar gemacht. Durch Aktionen und Projekte können Werte erlebt und ins Handeln übersetzt werden, beispielsweise in Form von Interviews oder der Produktion eines eigenen Hörspiels. In den HörensWert Einheiten lernen die Kinder durch eigenes Ausprobieren, wie Aufnahmegeräte funktionieren und worauf man beim Aufnehmen achten muss: Gibt es Störgeräusche im Raum (Kühlschrank, Ventilator, elektrische Geräte, Stimmen aus dem Nebenraum, hallt der Raum)? Wie muss ich ins Mikrofon sprechen? Wie können unterschiedliche Töne in der richtigen Lautstärke aufgenommen werden? Anschließend geht es darum, dass selbst aufgenommene Interview bzw. Hörspiel zu schneiden. Dies passiert natürlich nicht alles in einer einzigen Einheit, sondern wird Schritt für Schritt erarbeitet, teilweise über mehrere Wochen oder Monate hinweg.
„Was ist Ehrlichkeit?“ – in philosophisches Gespräch
Im Johanneskindergarten in Burghaig in Oberfranken kommen zwölf Kinder zwischen fünf und sechs Jahren zur HörensWert-Einheit zusammen. Thema der heutigen Einheit ist Was ist Ehrlichkeit? Bevor es losgeht, wird das Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und sanft geknetet. Dann gehen die Finger langsam am Rand der Ohrmuschel entlang, mal ganz sanft und dann wieder kräftig. Nach dieser Ohrenmassage spielen die Kinder Flüsterpost und schauen, was am Ende der Runde vom Anfangssatz noch übrigbleibt. Grundlage jedes philosophischen Gesprächs ist eine Atmosphäre der Wertschätzung und des echten Interesses an den Gedanken der anderen. Daher werden vor Beginn noch einmal die Gesprächsregeln wiederholt, die im Gespräch durch einen Redeball verdeutlicht werden: „Ich spreche nur, wenn ich den Ball habe“ und „Ich höre den anderen gut zu“. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Gesprächskultur, die sich durch gegenseitige Achtsamkeit auszeichnet: Die Kinder lernen, dem anderen zuzuhören, ihn ausreden zu lassen, sich in fremde Perspektiven hineinzuversetzen und andere Meinungen stehen zu lassen. Ein angemessener Umgang miteinander wird nicht nur reflektiert, sondern immer auch eingeübt.
Ehrlichkeit reflektieren
Um den Begriff Ehrlichkeit einzuführen, überlegt sich jedes Kind zwei Sätze: Einer ist wahr, einer ist erfunden. Die anderen Kinder erraten, welcher Satz wahr ist und welcher eine Lüge ist. Das Spiel mit den erfundenen und wahren Sätzen macht den Kindern Spaß und führt zu der Frage: „Was ist eigentlich das Gegenteil von Lügen?“ „Wahrheit“ meinen einige Kinder, andere meinen „ehrlich sein“. Aber was bedeutet „ehrlich sein“ eigentlich? Und ist es das Gleiche wie Wahrheit? „Ehrlich ist, wenn man einen Fehler zugibt“, „Ehrlich ist, wenn man dem anderen seine Meinung sagt“, antworten die Kinder. Gibt es noch andere Meinungen dazu? Und verstehen wir alle das Gleiche darunter? Aufgabe der Gesprächsleitung ist es, die Antworten der Kinder zusammenzufassen, genau zu klären, was jeweils unter einem Begriff verstanden wird und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aussagen herzustellen. Vielleicht gelingt sogar eine erste gemeinsame Definition des Begriffs. Die Gesprächsleitung selbst hält sich mit ihrer Meinung zurück und wertet die Aussagen der Kinder nicht. „Manchmal muss man lügen“, meint eines der Kinder zum Thema Ehrlichkeit und Lüge. „Warum muss man manchmal lügen? Kannst du da ein Beispiel nennen?“, will die Gesprächsleitung wissen. Sie versucht, die Kinder dazu anzuregen, ihre Meinungen zu begründen und sich einen eigenen Standpunkt zu bilden. Nachdem sich die Kinder den Begriffen Ehrlichkeit und Lüge über ihre Erfahrungen und aus unterschiedlichen Perspektiven angenähert haben, dreht sich das Gespräch um den Nutzen bzw. Schaden von Ehrlichkeit und Lüge. Ausgenommen von Notlügen seien Lügen eher schädlich, finden die Kinder, da sie Freundschaften zerstören könnten und einem keiner mehr etwas glaube, wenn man lügt. Aber jeder hat bestimmt schon einmal gelogen: „Wenn alle beim Lügen so eine lange Nase bekämen wie Pinocchio, würden viele Leute mit einer langen Nase herumlaufen!“, ist eines der Kinder überzeugt. Wichtig sei es daher, Lügen auch einzugestehen – darauf können sich alle einigen.
Erkenntnisse hörbar machen
Die Erkenntnisse des vertieften Nachdenkens im philosophischen Gespräch fließen in ein Hörspiel ein, das sich die Kinder selbst überlegen und anschließend aufnehmen. Die Geschichte von Franz und Lisa handelt von zwei Freunden, die sich streiten, weil Franz behauptet, dass er schon einmal eine Heuschrecke gegessen habe. Lisa glaubt ihm das nicht und ist schwer enttäuscht, dass Franz sie anlügt. Das macht Franz traurig und gibt ihm zu denken. Am nächsten Tag entschuldigt er sich bei Lisa, dass er gelogen hat, um anzugeben und die beiden können wieder Freunde sein. „Der Wert wurde durch die Sätze beim Philosophieren begreifbar gemacht, durch das Philosophieren verdeutlicht und durch die Geschichte hörbar gemacht und vertieft“, so Erzieherin Elvira Höfner, die die Einheit mit den Kindern durchgeführt hatte.
Eigene Werte finden, klären, leben
Insgesamt 17 Pädagoginnnen und Pädagogen haben zwischen November 2010 und Juli 2011 am Pilotprojekt HörensWert teilgenommen und regelmäßig Einheiten in ihren Einrichtungen durchgeführt. Andere Werte, mit denen sich die Kinder während des Projektes philosophierend und kreativ auseinandersetzten waren Freundschaft, Familie, Geborgenheit, Zusammenhalt, Vertrauen, Lachen, Anders sein, Teilen, Hilfsbereitschaft, Mut, Freundlich sein … Mit insgesamt sieben Themenfeldern befassten sich die Pädagoginnen und Pädagogen, die sie jeweils mit für die Gruppe relevanten Werten füllten: Ich (Mut, Selbstvertrauen, Gesundheit …), Familie und Freunde (Ehrlichkeit, Freundschaft, Treue …), Gesellschaft (Solidarität, Verantwortung, Rücksichtnahme ...), Kita und Schule (Toleranz, Gerechtigkeit, Leistungsbereitschaft…), Spiel, Kunst, Kultur, Sport (Schönheit, Freude, Selbstausdruck ...), Religion (Glaube, Nächstenliebe, Güte ...), Natur (Achtsamkeit, Leben, Schönheit ...)Um relevante Begriffe zu finden und sich diesen meist doch sehr abstrakten Begriffen zu nähern, mussten sich die Pädagoginnen und Pädagogen während des sechstägigen Fortbildungszyklus‘ zunächst mit ihrem eigenen Wertesystem auseinandersetzen: Welche Werte sind mir beruflich wichtig? Haben diese zu Hause eine andere Wertigkeit? Was verstehe ich persönlich unter Toleranz, unter Gerechtigkeit? Wie stehe ich zu Leistungsbereitschaft oder Rücksichtnahme? Was ist überhaupt ein Wert?
In philosophischen Gesprächen und in Workshops konnten sie diese und andere Fragen intensiv beleuchten. Für die konkrete Umsetzung in die Praxis lernten sie zudem Grundlagen der philosophischen Gesprächsführung und Methoden der Zuhörförderung kennen. Sie entwickelten philosophische Fragen zu unterschiedlichen Werten, lernten die Haltung der Gesprächsleitung im philosophischen Gespräch kennen und erprobten die Leitung philosophischer Gespräche selbst. Anschließend wurden die im Gespräch formulierten Gedanken zu einem Wert akustisch dargestellt: Sprachcollagen und Geräuschrätsel entstanden, Hörspiele zu unterschiedlichen Begriffen wurden produziert. Umgesetzt wurde das Gelernte anschließend auf verschiedenste Weise: Im Kindergarten in Aßling ermutigte eine HörensWert-Einheit über Gemeinschaft Kinder und Erzieherinnen zu einem gemeinsamen Singen, Musizieren und Tanzen mit den Kindergarteneltern, was diesen Wert lebendig werden ließ. Gemeinsam wurden Lieder gesungen, Eltern musizierten auf mitgebrachten Instrumenten und tanzten mit ihren Kindern. Zum Thema Familie nahmen Grundschulkinder ein Geräuschporträt ihrer Mutter, ihres Vaters oder ihrer Geschwister auf, in dem charakteristische Geräusche dargestellt wurden; aus der Frage Was brauchen wir zum Leben? entstand Eine kleine Schnaufmusik, in der Luft als eine Lebensgrundlage kreativ dargestellt wurde.
Werten lernen statt Werte lehren
Ausgangspunkt von HörensWert ist ein Verständnis von Wertebildung, nach dem diese immer nur situationsbezogen und handlungsorientiert stattfinden kann. Werte wie Freundschaft, Gerechtigkeit, Respekt können Kindern nicht gelehrt werden. Dort wo Kinder solche Werte jedoch in Begegnungen und Grunderfahrungen positiv erleben, können sie diese verinnerlichen. Interaktion, Kommunikation und Selbstreflexion kommen daher eine Schlüsselfunktion bei HörensWert zu. Gemeinsam mit der Stiftung Zuhören entwickelt die Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e. V. unterstützt von Pädagoginnen und Pädagogen aus 13 bayerischen Kindergärten und Schulen HörensWert, ein Konzept zur Wertebildung. Abstrakte Werte wie Toleranz, Solidarität, Mut werden bei HörensWert über Zuhörförderung, philosophische Gespräche und mediale Umsetzung für Kinder erfahrund damit greifbar.Zunächst ist der philosophische Prozess selbst Interaktion: Es geht um das Einüben von Werthaltungen. Der bewertungsfreie Raum ermöglicht eine geschützte Atmosphäre, in dem jeder Gedanke ernst genommen wird. Durch das Philosophieren, in dem das gemeinsame Nachdenken im Mittelpunkt steht, werden Haltungen ausgebildet, die für wertorientiertes Handeln zentral sind, wie Wertschätzung, Vertrauen, kritisches Hinterfragen, Offenheit für andere Standpunkte und Einstehen für den eigenen Standpunkt. Wesentliche Grundlage hierfür ist die Haltung des Zuhörens, die Achtung und Empathie für das Gegenüber ausdrückt. Bei einer HörensWert-Einheit sind daher Übungen zur Zuhörförderung immer verbunden mit dem philosophischen Gespräch.
Sie fördern die Freude am gemeinsamen Hören, das Interpretieren akustischer Informationen, das Verbalisieren eigener Gefühle und Botschaften. Das philosophische Gespräch ist achtsame Kommunikation, die auf das Wesentliche und Wahre gerichtet ist und Möglichkeit zur Selbstreflexion bietet. Es geht um selbständig erarbeitetes Wissen über konkrete Werte, ihre Begründung und mögliche Wertekonflikte. Es trägt zur Klärung der eigenen Wertehierarchie bei und stößt die Reflexion eigener Entscheidungen, Handlungen und Vorurteile an. Ein besonderes Anliegen von HörensWert ist es, dass die Bewusstmachung von Werten und Wertkonflikten nicht beim Denken stehenbleibt, sondern ins Handeln übersetzt wird. Ein wesentlicher Bestandteil ist daher das Umsetzen von Gedanken in andere, kreative Formen und konkrete Handlungen, die positive Erfahrung und Verinnerlichung von Werten ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der medialen Umsetzung – also beispielsweise die gemeinsame Erarbeitung eines „gerechten“ Musikstückes. Was ist eigentlich daraus geworden? Beim Anhören der ersten Probeaufnahme empfinden die Kinder das Stück noch nicht als wirklich gerecht: Einige Musikinstrumente sind zu laut oder zu leise, zu kurz oder zu lange zu hören. Gerechter wäre es, da sind sich alle einig, wenn man alle Instrumente gut hören könne
. Das bedeutet für die Kinder zunächst, immer lauter zu spielen. Das, so merken sie aber bald, ist nicht die richtige Lösung – also spielen alle ganz leise. Jetzt hört man die unterschiedlichen Instrumente schon besser, einige kann man aber immer noch nur ganz schlecht hören. „Das Aufnehmen und Anhören des ‚gerechten Musik-Stückes’ wardas richtige Mittel, um den Kindern den Begriff ‚Gerechtigkeit’ erlebbar zu machen“, so die Erzieherin. Am Ende sind die Kinder mit ihrem Ergebnis ganz zufrieden: Alle Instrumente werden nacheinander, gleichlang und gleichlaut gespielt. Ein Dirigent sorgt dafür, dass jedes Instrument zu seinem Recht kommt.www.bayern.de/Wertebuendnis-Bayern-.2336.10289341/index.htm
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mehr Drill-Instructor als Mentor
Turnschuhe binden, Kaugummi raus und ran an die Maus. Jetzt wird das Internet von der Pieke auf gelernt, denn jetzt übernimmt der Coach die Führung: Der webcoach. Ob der Klett-Verlag bei der Namensgebung für seine Unterrichtsmaterialien zu neuen Medien auch kleine, stämmige Männer mit ungekämmten Haaren und orangenen T-Shirts vor Augen hatte, die 2 Meter große Rugbyspieler mit Schulterpolstern und Mundschutz anschreien und zu Ordnung und Disziplin ermahnen, wissen natürlich nur die beteiligten Redakteure – dass der doch recht gewollt jugendliche, denglische Neologismus allerdings bei Lehrerinnen und Lehrern und deren Zöglingen von elf bis 16 Jahren gleichermaßen gut ankommt, darf bezweifelt werden. Nichtsdestoweniger – der webcoach nimmt sich einem Thema an, an das sich bisher leider nur wenige Schulbuchverlage so recht trauen und kommt zudem in einer ansprechenden Aufmachung daher, nämlich in Form von Lehrermaterialien und Arbeitsheften für die Schülerinnen und Schüler und nicht nur als Handreichung mit einem großen, verstaubten Zeigefinger auf dem Cover. Die Hefte werden vom 5. bis zum 10. Schuljahr angeboten, differenziert nach Bundesländern und Schularten. Scheinbar zumindest, denn de facto sind die meisten Einzelhefte dann doch für „5.-10. Schuljahr“ angelegt – die Auswahl sieht also größer aus, als sie wohl ist. Inhaltlich gibt es bisher die Themen „Cyber-Mobbing“, „Recherche im Internet“ und „Soziale Netzwerke“, weitere sollen folgen. Soweit, so erfreulich, endlich mal ein Material, mit dem neue Medien tatsächlich im Unterricht besprochen werden können, denkt man und schlägt frohgemut das Heft auf, in dem Fall die Ausgabe zu sozialen Netzwerken.
Innen wird die Freude auch zunächst nicht getrübt, eine kurze, übersichtliche Gliederung präsentiert sich in optisch ansprechendem Gewand, es gibt ein Grundlagenkapitel zu sozialen Netzwerken (Was ist das und warum nutzen wir es?), einen Abschnitt „Regeln und Tipps“ (in dem Themen wie sichere Passwörter, Profilgestaltung, Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte zur Sprache kommen) und ein letztes Kapitel mit dem Titel „Soziale Netze wahrnehmen“ (dahinter verstecken sich Werbung, Cybermobbing und Online-Sucht). Dazu eine Zeichenerklärung, denn im Innenteil ist jedes Thema bestückt mit Querverweisen, Links und zusätzlichen Inhalten wie Checklisten, gekennzeichnet durch kleine Buttons. Überhaupt scheinen die Grafiker des Arbeitsheftes ihren Spaß gehabt zu haben, alles erstrahlt in bunten Farben, jede Tabelle ist zumindest bunt unterlegt und zu fast jeder Aufgabe gibt es bunte Fotos, die manchmal inhaltliche Relevanz haben, manchmal aber einfach nur illustrieren. Optisch also durchaus opulent, das 30 Seiten starke Arbeitsheft. Inhaltlich werden die drei großen Themen der Gliederung in 13 einzelnen „Modulen“ präsentiert, die sowohl für den Schulalltag als auch für Projekttage geeignet sein sollen. Leider waren die Autorinnen und Autoren aber etwas sparsamer als ihre grafischen Kolleginnen und Kollegen: Es gibt keinerlei einleitende Worte oder Grundlagen, die Information zu den Aufgaben muss wohl komplett von der jeweiligen Lehrkraft kommen. Auch bei den Aufgaben selbst sind die Erklärungen und Informationen meist recht kurz gehalten, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Aufgabenstellungen. Das ist für ein Arbeitsheft zwar im Grunde nicht verwerflich, aber dennoch etwas schade: Mehr zusätzliche Informationen oder zumindest Hinweise auf interessante Links, Broschüren, Filme oder Literatur hätten dem Thema gut getan, zum einen inhaltlich, zum anderen um die besprochenen neuen Medien auch gleich einzusetzen, was sich ja angeboten hätte. Zumal viele Aufgaben recht offen gestellt sind und die Schülerinnen und Schüler zu Diskussionen oder Begründungen auffordern – das ist zwar durchaus gut gedacht und soll wohl eigenes Denken anregen, diesem Denken würde es aber sicher nicht schaden, wenn es sich nicht nur auf den drei Sätzen aus dem Arbeitsheft, sondern auf vielfältigen Quellen begründen könnte.
Die wenigen Verweise, etwa auf Internet-Seiten, sind zudem recht kompliziert als Buchstaben-Zahlen-Codes verpackt, die man erst auf der webcoach-Seite eingeben muss, um dann weitergeleitet zu werden – ein eher umständliches Prozedere, das die Schwelle, tatsächlich dorthin zu klicken, deutlich hebt. Hier vergibt sich das Heft also leider die Chance, Jugendliche wirklich zum Mitdenken und kritisch Reflektieren anzuregen und einen bewussten Umgang mit neuen Medien zu schaffen und bleibt stattdessen lieber zwischen seinen eigenen Buchdeckeln kleben – wahrscheinlich die einfachere Lösung. Mehr als das stößt aber auf, dass viele der Fragen nicht nur dritte Meinungen ausschließen, sondern auch inhaltlich plakativ sind und wenig Raum für ehrliche Diskussion lassen. So sind einige Fragen so suggestiv gestellt, dass man sie genauso gut gleich als Antworten hätte formulieren können. Beispiel gefällig? In einer Aufgabe sollen sich die Schülerinnen und Schüler in einen Personalchef versetzen, der die Profile seiner Bewerber auf einem Sozialen Netzwerk betrachtet und unter anderem Folgendes findet: Ein Bewerber hält auf einem Bild stolz eine Pump Gun (Waffe) in den Händen. Darunter steht: „Mein neuestes Spielzeug, und ich weiß, wie man günstig an die Dinger kommt…“Dass vermutlich kaum jemand unter einem Foto über seine Connections zu kriminellen Szenen prahlen würde und der, der es tun würde, möglicherweise selten Bewerbungen für Jobs versenden würde, bei denen ein Personalchef die ordentlich zusammengestellten Mappen vorsortiert, ist nur die eine Ungereimtheit an der Sache. Dass das Arbeitsheft ein so plakativ überzeichnetes Bild anbietet und die Schülerinnen und Schüler damit vermutlich bestenfalls zu einem müden „Jaja, würde ich nicht nehmen“ anregt, nicht aber zu einem differenzierten Nachdenken darüber, welche Themen bei einer Selbstdarstellung wirklich nachdenkenswert und gegebenenfalls problematisch sind, ist der größere Haken.
Denn wer würde sich mit einer solchen, schwarz-weißen Darstellung der Profile-Welt schon genügend identifizieren, um darüber ins Nachdenken über eigene Inhalte zu kommen? Ausgenommen den einen Schüler in jeder siebten Klasse, der gerade Freundschaft mit einem Waffen-Hehler geschlossen hat, der hat aber sicher auch andere Probleme. Weiteres Beispiel, das ins Auge sticht, ist das letzte Kapitel im Heft, das sich dem Thema Online-Sucht widmet. Ungeachtet der Tatsache, dass Online-Sucht nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild ist und nirgendwo verlässliche Forschung dazu existiert, fragt das Heft die Leserinnen und Leser ganz unverschämt: „Bist du schon süchtig?“ Von 560.000 „Internetsüchtigen“ spricht es, bildet eine an eine Tastatur gekettete Hand ab und lässt auch sonst kein Klischee aus. Eine Differenzierung oder Begriffsklärung (etwa nach Online-Spielen, bestimmten anderen Inhalten oder dem Internet allgemein) wird ebenso wenig für nötig gehalten wie ein differenzierter und kritischer Umgang mit einem unerforschten und heftig umstrittenen Phänomen. Stattdessen fragt das Heft lieber im „Fragebogen zur Selbsteinschätzung“ „Wie oft freust du dich darauf, bald wieder ‚on‘ zu sein?“ und schickt alle, die das Internet gerne nutzen, pauschal zum Psychologen: „Lass dir helfen und schäme dich nicht dafür“.
Der Paukenschlag zum Schluss: Eine Abbildung mit zwei Wegweisern nach „Realität“ und „Cyberspace“, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Schade, dass der gute Vorstoß, neue Medien in Schulen zu behandeln, letztlich in so viel Bewahrpädagogik und klischeebehafteten Angstszenarien enden musst – solcherlei Verteufelungen der Angebote führen sicher nicht dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer in einen echten, kritischen Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern eintreten, sondern lassen vielmehr befürchten, dass der Großteil einmal mit den Schultern zuckt, die richtige Antwort ins Arbeitsheft kritzelt und unter der Bank seine facebook-Updates abruft. Denn wer will sich schon von einem wie auch immer gearteten Coach in solcher Drill-and-Practise-Manier einreden lassen, wie er das Internet zu bedienen hat? Dazu bräuchte es ehrliche Auseinandersetzung und Diskussion statt Trillerpfeifen.Mayer, Thomas/Dippl, Franz/Höhbauer, Christian (2012). Webcoach. Soziale Netzwerke. Arbeitsheft. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett Verlag. 32 Seiten, 19,95 €.
Markus Achatz: Väterrollen und Kinderschicksale
Jedes Jahr wird nach zehn Tagen Berlinale und einem rappelvollen Filmprogramm Resümee gezogen, über die Qualität der Beiträge, die Stimmung, den Promifaktor und das Festival an sich. Die Bilanzen für die 62. Internationalen Filmfestspiele fielen positiv aus. Ein guter Wettbewerb und viele Highlights in allen Programmsparten. Zahlreiche Filme näherten sich gesellschaftlichen und politischen Themen, zeigten ergreifende Schicksale, machten auch Hoffnung und weiteten den Blick über den eigenen Ausschnitt der Welt hinaus. Sektionenübergreifend wurden immer wieder unterschiedliche Familienkonstellationen in den Fokus gestellt: Familien oder Teile von Familien, die sich auf neue Situationen, veränderte Voraussetzungen, andere Bedingungen einstellen müssen.
Der Weg als Ziel: Arcadia
Der US-Independent Film Arcadia handelt vom Umzug einer Familie im Auto quer durch die Vereinigten Staaten, von New England nach Kalifornien. Der Zielort Arcadia, eine 50.000 Einwohner-Stadt, ist künftiger Wohnort der Familie und für den Vater Tom der neue Arbeitsplatz. Mit seinen drei Kindern – der zwölfjährigen Greta, dem sechsjährigen Nat und der 16-jährigen Caroline – macht sich Tom auf die lange Reise im vollgepackten alten Kombi. Die Mutter würde später nachkommen. Während vieler Stopps führt Tom aufgeregte Telefonate, angeblich geschäftlich. Wenn die Kinder die Mutter anrufen möchten, wiegelt Tom ab oder sie erreichen nur den Anrufbeantworter. Tom bemüht sich unterwegs um gute Stimmung, doch die Fahrt zieht sich hin und allmählich zehren die Strapazen an den Nerven aller. Als aufgrund des teuren Eintritts der Grand Canyon kurzfristig von der Route weichen muss, ist die Laune im Wagen am Tiefpunkt. Greta wird immer klarer, dass hier etwas von Grund auf nicht stimmt und sie ist sich sicher, dass Tom die ganze Wahrheit vor ihnen verbirgt. Was ist mit ihrer Mutter wirklich los? Diese Tour ist auch Gretas Reise in ein neues Leben. Eine Coming of Age-Geschichte, in der Greta allmählich reifer wird, und gleichzeitig eine Entwicklungsgeschichte für den Vater und die gesamte Familie. Tom muss erkennen, dass auch Greta kein Kind mehr ist. Arcadia ist ein bemerkenswertes Roadmovie, das die Geschichte über die Zerrissenheit einer Familie in ein Auto sperrt und sie auf eine 2.800 Meilen weite Reise schickt. Die Handlung spielt die meiste Zeit unterwegs im Fahrzeug, an Raststätten, Tankstellen und in Motels. Die abwesende Mutter ist ständig präsent. Die Kinder haben Sehnsucht nach ihr, eine Kontaktaufnahme misslingt jedoch. Der Vater verschließt sich zunehmend. Erst spät wird klar, was tatsächlich geschehen ist: Die Mutter ist nach einem Nervenzusammenbruch in psychiatrischer Behandlung und wird auf absehbare Zeit nicht nach Kalifornien nachkommen. Greta ist einerseits tief verletzt, dass man ihr nicht von vornherein die Wahrheit gesagt hat, lernt aber auch zu verstehen, warum ihr Vater sie zunächst vor der Realität schützen wollte. Eine Szene verdeutlicht den Entwicklungsprozess, als Greta vor einem Abgrund steht und ihren Stoffhasen Harrison, den sie immer bei sich hatte, hinunterwirft. John Hawkes (Tom) wurde 2011 für seine Rolle des Teardrop in Winter’s Bone für den Oscar nominiert. In Deutschland ist er etwa durch Auftritte in From Dusk Till Dawn (1996), Rush Hour (1998) und zuletzt in der TV-Serie Lost (als Lennon) bekannt. Brillant besetzt sind auch die Kinder – etwa mit Ryan Simpkins als Greta, A Single Man, 2009, Unter Kontrolle, 2008 und Twixt, 2011 (Regie: Francis Ford Coppola), Ty Simpkins als Nat und Kendall Toole als Caroline. Der Soundtrack wurde von der US-Indiefolk-Band The Low Anthem eingespielt, die 2011 mit Boing 737 einen kleinen Hit hatten. Die sparsam instrumentierten Stücke lassen den Originaltönen, dem Highwaylärm, aber auch dem Wind und nächtlichen Zikaden, genügend Raum. Die Kinderjury der 62. Berlinale verlieh an Arcadia den Gläsernen Bären als besten Langfilm im Programm der Sektion Generation Kplus. Aus der Begründung: „Eine Familie merkt, dass man seinen Problemen nicht davonfahren kann. Diese authentische Geschichte und die ganz natürlich wirkenden Schauspieler haben uns tief berührt. Eine große Reise und ein in jeder Hinsicht bewegender Film!“
Krisenreise: Orchim Lerega
Auch in diesem Jahr war wieder ein besonderer Film aus Israel im Generation-Programm zu sehen. Als Beitrag bei 14plus lief der erste Langfilm der 32-jährigen Regisseurin Maya Kenig. Orchim Lerega (Off White Lies) ist ebenfalls ein Roadmovie, in dessen Mittelpunkt eine Tochter-Vater-Beziehung steht. Die 13-jährige Libby und ihr Vater Shaul reisen durch Israel, allerdings im Gegensatz zu Arcadia ohne festes Ziel. Es ist eher eine Tour aus Verlegenheit. Zu Beginn kommt Libby mit Koffer, Topfpflanze und gemischten Gefühlen nach Israel. Eigentlich lebt sie mit ihrer Mutter in Los Angeles und soll nun mit ihrem Vater Zeit verbringen, den sie aber eigentlich gar nicht kennt, denn die Eltern haben sich getrennt als Libby drei Jahre alt war. Shaul holt seine Tochter mit dem Auto am Flughafen ab. Anstatt wie erwartet, zu Shauls Haus zu fahren, machen sie sich auf eine Reise durch Israel. Wie sich nach und nach herausstellt, ist der erfolglose Erfinder völlig pleite und hat keine Wohnung mehr. Zunächst kommen die beiden bei verschiedenen Bekannten von Shaul unter. Im Norden geraten sie in die Bombenangriffe des zweiten Libanonkriegs und reisen wieder in den Süden. Dort geben sie sich als Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet zum Libanon aus und kommen bei wohlhabenden Fremden unter. Shaul tischt immer mehr Lügengeschichten auf. Libby findet langsam Vergnügen an der Komplizenrolle. Trotzdem muss sie ihren eigenen Platz im Leben finden, sich eine Meinung bilden und eigene Entscheidungen fällen. Mit der falschen Identität und den Lügen werden sie auf Dauer nicht durchkommen. Maya Kenig gelingt es überzeugend, die konfliktbeladene politische Lage Israels mit der Reise ihrer Figuren zu verflechten. Die brisante Lage des Landes korrespondiert mit dem Ausnahmezustand, in dem sich Vater und Tochter befinden. Wie auch Olivia Silver in Arcadia schildert Maya Kenig auf ungewöhnliche Weise die Entwicklung einer unvollständigen Familie und wählt das Motiv einer symbolhaften Reise. Väter, die in ihrer Rolle an Grenzen geraten sind, stehen im Mittelpunkt. Ihre Kinder reifen an und mit den ungewöhnlichen Situationen und eröffnen dabei ihren Eltern neue Sicht- und Denkweisen.
Kindlicher Vogelvater: Kauwboy
Ebenfalls einer Vater-Kind-Beziehung widmet sich der niederländische Kplus-Beitrag Kauwboy. Der zehnjährige Jojo lebt allein mit seinem Vater Ronald, der als Wachmann arbeitet und nach außen streng und unzugänglich wirkt. Dennoch wird von Beginn an klar, dass Vater und Sohn eine besondere Beziehung zueinander haben, die mit der Absenz der Mutter verwoben ist. Der Tag beginnt mit einem Vater-Sohn-Ritual: Ronald fährt mit dem Auto zur Arbeit, gleichzeitig sprintet Jojo los und rennt so schnell er kann über Treppen, Wiesen und Abkürzungen bis zu einer Brücke, unter der der Vater hindurchfährt. Wer schneller dort ist, hat gewonnen. Eines Tages findet Jojo auf Streifzügen durch die Gegend eine junge Dohle, die aus dem Nest gefallen ist. Er kümmert sich um den Vogel und versteckt ihn heimlich. Sein unbeherrschter Vater hat ihm verboten ein Haustier zu haben, denn die würden immer sterben. Ronald verbietet alles, was auf die Mutter hinweist, auch dass Jojo für sie einen Geburtstagskuchen bäckt, obwohl sie nicht da ist. Der Vogel gibt Jojo Halt und eine Aufgabe. Zum Glück gibt es aber auch noch Yenthe aus Jojos Wasserballmannschaft, mit der sich Jojo anfreundet. Die Zeit mit Yenthe und der jungen Dohle ist für Jojo entscheidend, denn er muss die Wahrheit akzeptieren, dass nämlich seine Mutter nicht auf einer Konzertreise mit ihrer Band ist. Regisseur Boudewijn Koole hat einen berührenden Film gemacht, der eindringlich den sorgenvollen Alltag der Protagonisten schildert, gleichzeitig aber – wie seine Hauptfigur Jojo – immer Kauwboy: Jojo (Rick Lens) findet Halt und Freundschaft bei Yenthe (Susan Radder) wieder auf die Freude an den schönen Momenten abzielt. Es ist die intensive Geschichte über die dunklen und lichten Momente zwischen einem Vater und seinem Sohn, an dessen Ende sich beide wieder neu zusammenfinden müssen, um an einen neuen Anfang denken zu können. Ein Film über Verlust und Hoffnung. Die Geschichte wird getragen durch das intensive Spiel der Hauptfiguren. Kauwboy erhielt den sektionenübergreifenden Preis für den besten Erstlingsfilm der gesamten Berlinale 2012 sowie den Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks für den besten Spielfilm in Generation Kplus. Aus der Jurybegründung Kplus: „Mit seiner klaren und tiefgreifenden Art hat uns der Film schnell gepackt, und in dem Kummer, mit dem der kleine Junge kämpft, auch sehr bewegt. Wunderschöne visuelle Momente, ein kleiner schwarzer Vogel und ein blauer Kaugummi sind weitere Zutaten dieses besonders originellen Films.“
Kind von Traurigkeit: Kid-Thing
„Hast Du schon einmal etwas ganz Merkwürdiges gesehen?“ Die Frage der zehnjährigen Annie an ihren Vater im Film Kid-Thing bleibt unbeantwortet. In dem Independent Film aus der Berlinale-Sektion FORUM werden Vater und Tochter nicht mehr zueinander finden. Auch in dieser Geschichte gibt es keine Mutter. Der Vater hat die Beziehung zu seiner Tochter mehr oder weniger abgebrochen. Er kommuniziert kaum mit ihr und Annies Welt wirkt durch und durch sonderbar. Vater Marvin (verstörend dargestellt von Co-Regisseur/Produzent Nathan Zellner) kümmert sich entweder nur um seine Ziegen und Hühner oder bastelt mit seinem ebenfalls zweifelhaften Kumpel an Feuerwerkskörpern. Der Ort, an dem sie leben, hat eine Tristesse, die es mit jener in Debra Graniks Winter’s Bone locker aufnehmen kann. Annie streunt ziellos durch die Gegend und zerstört alles, was ihr in die Quere kommt. Im Wald hört sie eines Tages eine unheimliche Stimme aus einem dunklen Erdloch. Eine Frau ruft verzweifelt um Hilfe und bittet Annie, einen Erwachsenen zu verständigen. Doch Annies Weltsicht ist nicht auf die Unterstützung durch Erwachsene ausgerichtet. Obwohl Annie davon überzeugt ist, sich vor nichts zu fürchten, wird sie durch die merkwürdige Stimme aus dem Dunkel verunsichert. Doch – wie sonst auch – geht Annie auf ihre eigene Weise damit um. Immer wieder geht sie zu der Stelle im Wald, spricht mit Esther, der Frau in der Grube, und bringt ihr selbst geschmierte Brote mit Erdnussbutter. Dazwischen zieht sie weiter durch die Gegend, stiehlt tiefgekühlte Teigdosen im Minimarkt, wirft Teig auf Autos oder sprengt Bananen in die Luft. In einer Sequenz, die auf den ersten Blick so etwas wie Orchim Lerega: Mit ihrem Vater Shaul (Gur Bentwich) hat es Libby (Elya Inbar) nicht immer leicht „Normalität“ in Annies Leben andeutet, sieht man sie mit gleichaltrigen Mädchen in einem Fußballverein. Doch selbst dies führt ins Groteske: Zum einen als Marvin erwähnt, es habe jemand vom Fußballverein angerufen und er wüsste gar nicht, dass Annie Fußball spiele, zum anderen als klar wird, dass Annie aus dem Club geworfen wird, weil sie in jedem Spiel wegen groben Foulspiels eine rote Karte sieht. Kid-Thing blickt ins dunkle Herz des trostlosen amerikanischen Hinterlands. Der Film der Zwillinge David und Nathan Zellner ist eine Fabel, die sich in eine abstruse, trostlose Welt einklinkt und diese dabei nahezu dokumentarisch beobachtet. Nichts scheint den zermürbenden, trägen Rhythmus des Lebens zu durchbrechen. Weder als Marvin nach einer Herzattacke zwischen seinen Ziegen liegenbleibt, noch als Esthers Hilferufe aus dem Erdloch verstummen. Am Ende springt Annie selbst in die unergründliche, schwarze Grube. Die Zellner Brothers moralisieren nicht, sie überlassen das Kind ihren Entscheidungen. Die Protagonistin kann auf eine Unterstützung durch die Erwachsenenwelt nicht bauen und agiert mit den eigenen, limitierten Wertvorstellungen. Annies Schicksal wird in keiner Weise pädagogisiert. Die Kamera begleitet sie durch bizarre Begebenheiten bis zum fatalen Sprung ins Unbekannte.
Große Belastungen, extreme Höhen
Ein schweres Los tragen die kindlichen Hauptfiguren auch in weiteren sehenswerten Beiträgen dieser Berlinale. Der Umgang des neunjährigen Oskar mit dem tragischen Tod seines Vaters steht im Mittelpunkt von Jonathan Safran Foers faszinierendem Roman Extremely Loud and Incredibly Close. Regisseur Stephen Daldry (u. a. Billy Elliott, 2000, Der Vorleser, 2008) hat hieraus unter gleichem Titel (dt. Extrem Laut und Unglaublich Nah) ein intensives und bildgewaltiges Kinodrama inszeniert. Oskar Schell erlebt unmittelbar den 11. September 2001 in New York, sein Vater stirbt bei dem Terrorangriff. In einem Schlüssel, den der Junge findet, vermutet er ein Rätsel, hinter dessen Lösung sich eine letzte Botschaft seines Vaters verbirgt. Mit allen verfügbaren Kräften macht er sich daran, diese Aufgabe zu lösen. Neben den Hollywoodgrößen Tom Hanks (Oskars Vater) und Sandra Bullock (Oskars Mutter) stechen zwei Darsteller besonders hervor: Nachwuchstalent Thomas Horn als Oskar und „Grandseigneur“ Max von Sydow als „Mieter“. Eine bewegende und tiefsinnige Geschichte, ohne Scheu vor großen Kinobildern. (Dt. Kinostart war am 16.2.2012, DVD im Sommer). Der Film lief im Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz. In ihrem zweiten Langfilm L’Enfant d‘en Haut (Sister) erzählt die Schweizer Regisseurin Ursula Meier (Home, 2008) die Geschichte des zwölfjährigen Simon. Der Film spielt in einem beliebten Wintersportgebiet. Hoch oben am Berg gastieren die Reichen und Schönen inmitten der weißen Pracht, unten flankieren graue Gewerbeparks und einzelne marode Hochhäuser die Talsohle. Die Umgebung wirkt noch öder, wenn das Frühjahr schon den Schnee im Tal getilgt hat. Simon haust gemeinsam mit einer jungen Frau – seiner älteren Schwester Louise – unten in einem Sozialbaublock und sorgt durch regelmäßige Diebeszüge, für die er mit der Bahn nach oben fährt, für den Lebensunterhalt. Die geklauten Skier und Wintersportartikel verkauft er an Saisonarbeiter, Mitschüler und Durchreisende. Louise ist meist mit zwielichtigen Typen unterwegs und taucht nur ab und zu bei Simon auf. Im Laufe des Films gewinnt die Figur der Louise zunehmend an Gewicht und die Geschichte kreist immer mehr um die eigentümliche Beziehung der beiden. Léa Seydoux (Mission Impossible 4, 2011, Leb wohl, meine Königin, 2012), deren Louise teils skizzenhaft und unberechenbar bleibt, und Kacey Mottet Klein (Home, 2008, Gainsbourg, 2010) als Simon, sind bestechende Darsteller. Ihre gegenseitige Abhängigkeit erhält im Verlauf der Geschichte eine neue Dimension und die Zuschauer müssen für die Situation, in der sich Simon und Louise befinden, neue Koordinaten festlegen. Ursula Meiers sensibles Drama zeigt einen Jungen in der „Versorgerrolle“, der das Kindsein nicht wirklich gelernt hat, die Fürsorge einer Mutter aber schmerzlich vermisst. Alles hat in dieser Geschichte seinen Preis – selbst die Liebe – und sei es nur die zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Meier findet beunruhigende Momente, um das zu verdeutlichen. L’Enfant d’en Haut erhielt als „Sonderpreis der Jury“ einen Silbernen Bären. „Papa?“ Das erste Wort im indonesischen Wettbewerbsbeitrag Kebun Binatang (Postcards from the Zoo) wird ein halbes Dutzend Mal wiederholt. Ein kleines Mädchen läuft allein durch den Zoo von Jakarta und ruft nach seinem Vater. Es bleibt offen, ob es ausgesetzt oder zunächst nur verloren wurde, jedenfalls bleibt Lana in diesem Zoo bis sie eine junge Frau geworden ist. Sie schläft auf dem Gelände und wächst mit den Tieren auf. Zur einzigen Giraffe entwickelt sie eine besondere Bindung. Die Tierpfleger und die Tiere sind Lanas Familie. Erst ein märchenhafter Cowboy mit Zauberkräften, der plötzlich wie eine Sehnsuchtsfigur auf der Bildfläche erscheint, lockt Lana in ein Leben außerhalb des begrenzten Terrains und holt sie aus dieser wundersamen Welt. Der Zoo als bislang einziger magischer Ort in den Augen des Mädchens bekommt Konkurrenz.
Riccarda Possin: „Ufos mögen Planeten aber keine Laserstrahlen“
Crazy Machines Elements, dtp entertainment AG, PCCD-ROM, 19,99 €Ob Elektrizitätslehre, Magnetismus oder die Gesetze der Gravitation – kommt die Sprache auf Physik oder physikalische Wechselwirkungen, bricht kaum eine Schülerin oder ein Schüler in Begeisterungsstürme aus. Da können auch halbherzig durchgeführte Versuche im Physikunterricht oft nichts an der allgemeinen Unlust ändern. Und dennoch ist mit Crazy Machines bereits seit 2003 eine Computerspielreihe erfolgreich auf dem Markt, die sich genau diesem Thema verschrieben hat. Ziel des Ganzen: Grundlegende Aspekte der Physik mittels spannender Kettenreaktionen erfahrbar machen. Genug Grund, Crazy Machines Elements, das neuste Spiel der Reihe, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Was passiert, wenn...?!
Das ist die große Frage, die die Spielerinnen und Spieler des Computerspiels Crazy Machines Elements antreibt. Doch um die „faszinierend verrückten Kettenreaktionen“ des Professors zu vervollständigen, ist dabei allerhand Gehirnakrobatik von Nöten. Doch zunächst muss das Spiel auf einem Computer installiert werden. Die Installation selbst ist dabei ein Kinderspiel – allerdings nicht auf jedem PC. So traten beim Test des Spiels zunächst Probleme auf, die nur durch einen Wechsel des Computers gelöst werden konnten. Auch die sehr ansprechend gestaltete Grafik lief trotz passender Grafikkarte nur auf einem von drei PCs ohne störende Fehler und zeitversetzte Reaktionen. Für ein Lernspiel erscheinen die Anforderungen an die Hardware daher relativ hoch.
Knifflige Kettenreaktionen
Ist die Installation gelungen, kann das Tüfteln endlich beginnen: Um Punkte zu sammeln und somit weitere Spielmodi freizuschalten, stehen der Spielerin oder dem Spieler zunächst die ersten 20 Rätsel der Kategorie „Harte Grundlagen“ zur Verfügung. Diese müssen nacheinander gelöst werden, denn nur, wenn ein Rätsel geknackt wurde, wird das nächste Rätsel frei geschaltet und kann in Angriff genommen werden. Nach jedem Rätsel hat der Professor noch einen schlauen Spruch auf Lager. Beim Öffnen eines jeden Rätsels wird dem Spielenden zunächst das Ziel der Kettenreaktion in Form einer Sprechblase aufgezeigt. So geht es etwa darum eine Reihe Kegel umzustoßen, eine Lampe zu erleuchten oder ein Fahrzeug zum Rollen zu bringen. Diese Aufgabe ist nun mittels der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zu erfüllen. Dabei muss etwa mit Hilfe einer Kerze ein Boiler erhitzt werden, der wiederum ein Laufband in Bewegung setzt, das schließlich einen Gegenstand ins Ziel bewegt. Um ein Rätsel zu knacken, sind meist verschiedene Lösungswege denkbar, wobei je nach ausgelöster Kettenreaktion unterschiedlich viele Punkte in Form von goldenen Muttern eingesammelt werden können. Von Rätsel zu Rätsel werden die auszulösenden Kettenreaktionen immer komplizierter, wobei nach und nach immer mehr Bauteile vorgestellt werden und für die Lösung der Aufgaben verwendet werden können. Die einzelnen Bauteile können dabei auch beliebig gedreht werden.
Aber Vorsicht: Nicht jedes Teil kann auf jedem Hintergrund angebracht werden. Während im ersten Rätsel lediglich durch die richtige Platzierung einzelner Holzbretter ein Basketball in seinen Korb geleitet werden muss, kommen schließlich Sprungfedern, Zahnräder oder Wasserboiler hinzu, wobei in jedem Rätsel nur eine begrenzte Anzahl an Bauteilen zur Verfügung steht. So werden die Spielerinnen und Spieler langsam an neue Gegenstände herangeführt, deren Funktionen in Sprechblasen erklärt werden, sobald man den Mauszeiger über dem jeweiligen Gegenstand platziert. Hat man alle vorhandenen Bauteile für seine Kettenreaktion in Stellung gebracht, kann man die Reaktion mit einem einfachen Klick starten und sehen, was passiert. Es hat nicht funktioniert? Kein Problem, dann probiert man es einfach erneut. Sind die ersten 20 Rätsel erfolgreich gelöst, können nacheinander auch die Rätsel der acht weiteren Kategorien in Angriff genommen werden, bis schließlich alle 100 Rätsel erfolgreich geknackt sind. Mehr und mehr zeigt sich hier auch die Besonderheit dieses neuen Spiels der Reihe: Um die Kettenreaktionen zu entschlüsseln, sind die Elemente Feuer, Wasser und Luft in der Tüftelei zu berücksichtigen. Dazu stehen der Spielerin oder dem Spieler beispielsweise eine Wolkenmaschine, ein Windrad oder ein Flammenwerfer zur Verfügung.
Neue Herausforderungen
Neben dem Rätselmodus, stellt Crazy Machines Elements die Spielenden im Modus „Wettbewerbe“ vor neue Herausforderungen – diese Funktion steht allerdings erst zur Verfügung, wenn 50 Rätsel erfolgreich gelöst werden konnten. Hier können die Spielerinnen und Spieler für die Lösung der Rätsel alle bereits frei gespielten Hilfsmittel verwenden, wobei jedes der Bauteile mit einer bestimmten Punktzahl versehen ist. Ziel ist es, die einzelnen Level möglichst schnell und mit möglichst wenig Punkten zu bestehen.
Eigene Kreativität ist gefragt
Die dritte Spielmöglichkeit fordert nun die eigene Kreativität der Tüftlerinnen und Tüftler. Während in den zu lösenden Rätseln unvollständige Kettenreaktionsmaschinen lediglich um die richtigen Teile ergänzt werden mussten, können die Spielenden hier selbst Maschinen für eigene Rätsel entwickeln. Hierbei können nicht nur die Maschinen konstruiert, sondern auch ein passender Hintergrund, sowie die Tageszeit und das Wetter in der Simulation selbst festgelegt werden. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt.
Das Fazit
Ist man ein Freund von Rätselspielen, so übt dieses Spiel sofort eine Faszination aus und man kann es kaum erwarten, sich an den ersten Rätseln zu versuchen. Die Grafik ist ansprechend gestaltet, die Hintergrundmusik kann allerdings mit der Zeit etwas anstrengend werden. Die Handhabung des Spiels ist intuitiv und einfach, doch stellt sich schnell der erste Unmut ein, wenn eine präzise Positionierung der Teile mit der Maus auch nach mehrmaligen Versuchen nicht gelingen will. Umso ärgerlicher wird dies, wenn Kettenreaktionen nicht gelingen, weil eines der Teile einen Millimeter zu weit nach links oder rechts gesetzt wurde. Zudem ist man bei der Lösung der Rätsel ganz auf sich allein gestellt. Zwar bietet das Spiel einen Hilfemodus an, doch werden hier nicht etwa Tipps für die Lösung der einzelnen Rätsel gegeben, sondern es sind lediglich Spielanleitungen und Erklärungen zur Handhabung des Spiels zu finden. Kommt man bei einem Rätsel nicht weiter, ist dies umso bitterer, da die nächsten Rätsel so nicht freigeschaltet werden können.
Es sind also eine sehr hohe Frustrationstoleranz sowie große Begeisterung für Tüfteleien und die Bereitschaft sich sehr lange mit einzelnen Rätseln auseinanderzusetzen gefordert. Dies wird durch den Menüpunkt „Erfolge“ begünstigt, in dem die Spielenden jederzeit ihre Fortschritte überprüfen können. Allerdings haben sich die eingefleischten Crazy Machines Fans mittlerweile schon in Foren organisiert, in denen auch Anleitungen zur Lösung der besonders kniffligen Rätsel gefunden werden können. Physik spielend lernen – diese Vorstellung ist sicherlich ein Traum vieler Eltern, deren Kinder physikalischen Zusammenhängen nicht viel abgewinnen können. Doch kann dieses Spiel zwar wahre Tüftler begeistern, Physikmuffel wird es aber gerade aufgrund der fehlenden Hilfefunktionen und des teilweise sehr hohen Schwierigkeitsgrads nicht hinter dem Ofen hervorlocken können.
Markus Fischer: Künstlersozialversicherung medienpädagogischer Tätigkeit
Die Künstlersozialversicherung ist eine Pflichtversicherung für selbständige Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Sie ist geregelt im Künstlersozialversicherungsgesetz.Sofern Selbständige freiwillig versichert oder unter bestimmten Voraussetzungen versicherungspflichtig sind, müssen sie grundsätzlich ihre Beiträge selbst bezahlen. Eine Ausnahme bildet das Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG). Davon betroffene Berufsgruppen müssen nur die Hälfte der jeweiligen Beiträge entrichten. Die andere Hälfte wird durch die Abgabepflicht der Unternehmen, die die Arbeiten selbständig künstlerisch Schaffender in Anspruch nehmen, und durch einen Zuschuss des Bundes bezahlt. Nachfolgende Ausführungen beschäftigen sich mit zwei Fragen:- Wann fallen Medienpädagoginnen und Medienpädagogen unter die Künstlersozialversicherung?- Welche Rechtsmittel stehen gegen Entscheidungen der Künstlersozialkasse zur Verfügung?
Voraussetzungen
Medienpädagoginnen und -pädagogen fallen unter die Künstlersozialversicherung, wenn- sie als Künstlerin bzw. Künstler oder Publizistin bzw. Publizist arbeiten,- sie selbständig sind,- sie diese Tatigkeit erwerbsmäßig und nicht vorübergehend ausüben,- keine Anstellung von mehr als einer Arbeitskraft außerhalb der Berufsausbildung und der geringfügigen Beschäftigung und- keine Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes besteht.1
Künstlerische bzw. publizistische Arbeit
Medienpädagogische Arbeit umfasst die Vermittlung eines kompetenten Medienumgangs im Rahmen von Projekten und Workshops. Als versicherungspflichtige Tätigkeit kommt insofern eine Arbeit als Künstlerin oder Künstler in Betracht. Dies sind im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes unter anderem Personen, die darstellende oder bildende Kunst schaffen, ausüben oder lehren.2 Im Künstlerkatalog des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der eine nicht abschließende Aufzählung von künstlerischen Tätigkeiten beinhaltet, sind medienpädagogische Fachkräfte nicht aufgeführt. Folgende Tätigkeitsbezeichnungen beinhaltet der Katalog unter anderem: „Cutter, Drehbuchautor, Filmemacher, Fotograf, Kameramann, Multimedia-Designer, Regisseur, Theaterpädagoge und Videokünstler“.3 Die medienpädagogische Arbeit kann sowohl die genannten Tätigkeiten selbst als auch deren Ausbildung bzw. Lehre umfassen. So ist auch die Tätigkeitsbezeichnung „Lehrer für künstl./publiz. Tätigkeit“ im Katalog enthalten.4 Im Einzelfall ist im Rahmen des Aufnahmeverfahrens die jeweilige Tätigkeit zu beschreiben.5
Selbständigkeit
Ob eine medienpädagogische Tätigkeit selbständig ausgeübt wird, muss für jeden Einzelfall gesondert geprüft werden. Folgende Punkte deuten auf eine selbständige Tätigkeit hin6:- Die Tätigkeit unterliegt keinen Weisungen.- Die Medienpädagogin bzw. der Medienpädagoge verfügt über ein eigenes Büro außerhalb des Betriebs, der den Auftrag erteilt hat, und ist nicht in diesen Betrieb eingegliedert.- Es besteht ein Unternehmensrisiko. Diese Punkte liegen beispielsweise vor, wenn eine Medienpädagogin von ihrem Geschäftssitz aus einzelne Workshops, die sie selbst konzipiert hat, an verschiedene Unternehmen verkauft und zu vereinbarten Zeiten in den Unternehmen oder an anderen Orten durchführt. Sie trägt in einem solchen Fall insofern das Unternehmensrisiko, als dass sie das Konzept auf eigene Kosten erstellt und im Krankheitsfalle kein Honorar erhält. Wenn ein Medienpädagoge dagegen bei einem Unternehmen angestellt ist und in dessen Auftrag Workshops nach dessen Konzepten durchführt, ist keine Selbständigkeit gegeben. Im Zweifelsfall kann bei der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Entscheidung über die Frage beantragt werden, ob eine Beschäftigung vorliegt.7
Erwerbsmäßige, langfristige Ausübung
Erwerbsmäßig wird die medienpädagogische Arbeit ausgeübt, wenn mit ihr zumindest auch Verdienstmöglichkeiten angestrebt werden und die Tätigkeit nicht als reines Hobby betrieben wird. Sofern die Tätigkeit bei Meldung an die Künstlersozialkasse mindestes seit zwei Monaten ausgeübt wird, liegt eine nicht nur vorübergehende Ausübung vor. Nachgewiesen werden kann diese berufsmäßige Tätigkeit zum Beispiel durch Bescheinigungen über künstlerische Ausbildungen, Dokumentationen von durchgeführten Projekten und Workshops und durch Vertragskopien von erhaltenen Aufträgen.8
Keine Stellung als Arbeitgeber
Die medienpädagogische Fachkraft darf nicht mehr als eine Arbeitskraft in ihrem Unternehmen anstellen. Diese Einschränkung gilt allerdings nicht für Auszubildende und geringfügig Beschäftigte.9 Diese Personengruppen dürfen unabhängig von ihrer Anzahl beschäftigt werden.
Keine Versicherungsfreiheit kraft Gesetz
Um der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz zu unterliegen, bedarf es einem jährlichen Arbeitseinkommen aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit von mindestens 3.900 Euro. Für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger gilt diese Mindesteinkommensgrenze in den ersten drei Jahren nicht.10 Unter bestimmten Voraussetzungen besteht Versicherungsfreiheit in der Renten und in der gesetzlichen Krankenversicherung.11
Rechtsmittel
Wenn eine Aufnahme in die Künstlersozialversicherung beabsichtigt wird und eine solche Aufnahme von der Künstlersozialkasse verweigert wird, können gegen den Ablehnungsbescheid der Künstlersozialkasse Rechtsmittel eingelegt werden. Gegen den Bescheid ist zunächst ein Widerspruch einzulegen.12 Nach der Ablehnung der Aufnahme im Widerspruchsverfahren kann auf die Aufnahme in die Künstlersozialversicherung geklagt werden. Gerichtskosten entstehen bei einer sozialgerichtlichen Klage nicht.13 Im Übrigen ist bei veränderten Umständen, zum Beispiel Nachweis der dauerhaften selbständigen künstlerischenTätigkeit, ein erneuter Antrag möglich.14
Schlussbemerkung
Zweck der Künstlersozialversicherung ist die soziale Absicherung selbständig künstlerisch und publizistisch Tätiger.15 Daher lässt sich zusammenfassend sagen, dass dieser Zweck beim Treffen sämtlicher Entscheidungen über das Vorliegen der Voraussetzungen der Künstlersozialversicherungspflicht zu beachten ist. So kann das System der Künstlersozialversicherung insgesamt erhalten werden.16
Anmerkungen1
Vgl. §§ 1, 3 ff KSVG.2 Vgl. § 2 KSVG.3 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Publikation Künstlersozialversicherung, Stand Oktober 2011, S.13 ff.4 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, aaO.5 Vgl. www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/formulare_xslt/bestellformularversicherte.php?WSESSIONID=d9947c15162e52633376cd460a97491c6 Vgl. zum Ganzen: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, aaO, S. 18 und § 7 Abs. 1 SGB IV.7 Vgl. § 7a SGB IV.8 Vgl. zum Ganzen Finke/Brachmann/Nordhausen, Künstlersozialversicherungsgesetz Kommentar, 4. A. 2009, § 1 Rn. 21 f.9 Vgl. zur Berufsausbildung Berufsbildungsgesetz und zur geringfügigen Beschäftigung § 8 SGB IV.10 Vgl. § 3 KSVG.11 Vgl. §§ 4 ff KSVG. Zum Inhalt der Künstlersozialversicherung insgesamt vgl. angegebene Publikation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.12 Vgl. § 39 KSVG.13 Vgl. §§ 51, 183 SGG.14 Vgl. Jürgensen, Ratgeber Künstlersozialversicherung, 2. Aufl. 2008, S. 100 f.15 Vgl. Bundesministerium für Arbeit uns Soziales, aaO, S. 6. 16 Zur Kritik an der Künstlersozialversicherung vgl. www.zes.uni-bremen.de/ccm/content/aktuelles/pressemitteilungen-2008/rueckschritt-statt-fortschritt-kritik-an-der-kuenstlersozialversicherung;jsessionid=FA82290DBB3C52081C2A1201AC8CD160/
Christine Plaß: „Das Engagement für andere gibt mir eine innere Befriedigung“
Im Dezember 2011 luden Telefónica und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) Jugendliche, Abgeordnete des Bundestags sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ministerien, der Senatsverwaltung Berlin und Vereinen zum Think Big Partizipationsgespräch am Brandenburger Tor in Berlin ein. Jugendliche aus München, Bremen, Mannheim und Leipzig waren angereist, um mit Radiomoderator Sven Oswald und anderen Erwachsenen über gesellschaftliches Engagement zu diskutieren. Als Peer Scouts im Projekt Think Big unterstützen sie andere Jugendliche. Viele von ihnen sind ehrenamtlich im Tierschutz, an der Uni oder in ihrem Umfeld aktiv.Von 60 geladenen Bundestagsabgeordneten war leider nur einer erschienen: Thomas Jarzombek (CDU). Der gebürtige Düsseldorfer ist Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft vertreten. Doch bevor er den Jugendlichen seine Arbeit erklärt, berichtet ein Peer Scout aus Think Big über sein Engagement. Simal Bervari (19) gehört sozusagen zur ersten Generation des Programms, in dem sich Jugendliche in ihrem Kiez gemeinnützig engagieren und dafür finanzielle Unterstützung erhalten. Er hatte teilgenommen, als er die Chance bekam, zusammen mit 17 anderen Jugendlichen ein Festival zu organisieren.
In einem Camp stellten sie ein zweitägiges Programm mit Konzerten und Workshops auf die Beine, das es anderen Jugendlichen ermöglichte, sich in Fotografie, Rap, Tanzen oder Graffiti zu erproben. „Viele hatten noch nie die Möglichkeit dazu. Solche Workshops sind normalerweise zu teuer. Bei unserem Projekt konnten sie kostenlos teilnehmen und hatten auch die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zu präsentieren. Sie fühlten sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, erklärt Simal Bervari auf die Frage, was sein Projekt anderen gebracht hat. Auch er selbst hat profitiert: „Ich habe meine Stärken kennen gelernt, mehr Selbstbewusstsein bekommen, traue mich mehr. Früher war ich schüchtern, habe kaum geredet. Jetzt weiß ich auch, was ich beruflich machen will.“Die Camps sind zentraler Bestandteil im Programm Think Big, das Telefónica gemeinsam mit der DKJS in Deutschland umsetzt und das insgesamt 50.000 Jugendliche erreichen soll. „Die Camps können die Wirkung extrem verstärken“, erklärt Carsten Nillies, Head of Corporate Responsibility von Telefónica Germany das Konzept. Fern von ihrem Alltag arbeiten die Jugendlichen dort unterstützt von Erwachsenen und Expertinnen und Experten an ihren Projekten. Das kann ein Film sein oder ein Musikvideo, eine Veranstaltung oder eine Initiative, die den Übergang in den Beruf erleichtert. Entscheidend ist, dass die Jugendlichen eigene Ideen entwickeln.
Lehrende werden zu Lernenden
Thomas Jarzombek interessiert, welche Erfahrungen die Jugendlichen mit der Vermittlung von Medienkompetenz durch die Schule gemacht haben. „Wir haben kein Internet in der Schule“, antwortet Mirac Ener (16). Das findet er umso schlimmer, als er in einem Brennpunkt lebt und Mitschüler kennt, die auch zu Hause keinen Computer haben. Angelo Wyszengrad (20) berichtet aus seinen Erfahrungen als Schülervertreter in Bayern: „Man lernt in der Schule, wie man ein Word Dokument erstellt, aber nicht, wie man einen Brief richtig formatiert. Dabei sollte das jeder wissen. Ich sollte auch wissen, wie ich Wikipedia oder Google verwende. In bayerischen Schulen findet das aber nicht statt. Lehrer müssten sich dafür öffnen und akzeptieren, dass sie von uns Schülern etwas lernen können“, fordert Wyszengrad. In einigen Bundesländern gibt es bereits Projekte, bei denen Schülerinnen und Schüler den Lehrkräften erklären, wie Computer und Internet funktionieren.
Thomas Jarzombek hält dies für eie gute Sache. „Die blödeste Idee, die wir je hatten, war, dass Lehrer den Lehrern das Internet erklären“, räumt er freimütig ein. Stefan Heinig von der Senatsverwaltung für Bildung in Berlin schildert die Situation in der Hauptstadt. Der Senat bringe seit vielen Jahren Laptops an die Schulen. Auch Kitas werden jetzt mit Computern ausgestattet, anfängliche Vorbehalte von Erzieherinnen schwinden. Er hat gute Erfahrungen damit gemacht, dass Lehrkräfte zu Schülerinnen und Schülern werden, wenn es um die Neuen Medien geht. Jarzombek würde gern jede Schule mit Tablet-Computern ausstatten, wobei Bund, Länder und Eltern zu je einem Drittel die Kosten übernehmen könnten. Ein Jugendlicher gibt zu bedenken, dass er iPads viel interessanter fände. Deutlich wird, wie die digitale Spaltung zunimmt. Wenn sich Familien in Brennpunkt-Kiezen nicht einmal einen Drucker leisten können und Schulen auch keine entsprechenden Mittel bereitstellen, wie sollen Schulabgängerinnen und -abgänger dann eine ordentliche Bewerbung schreiben?
Jugendliche Meinungen sind gefragt
Claudia Erdmann von der DKJS erlebt häufig, dass viel über Jugendliche gesprochen wird, aber wenig mit ihnen. Sie möchte wissen, wie Thomas Jarzombek dazu steht. Jarzombek hat gute Erfahrungen mit einem Jugendrat auf Kommunalebene gemacht, der für einen regelmäßigen Austausch sorgte. Er wünscht sich Jugendliche, die sagen, was sie brauchen und lädt dazu ein, ihn auf Facebook, Twitter, über E-Mail oder seine Homepage zu kontaktieren: „Gute Vorschläge sind immer gut“, sagt er.Wie kann man Engagement fordern und fördern? Und wo fängt Engagement eigentlich an und wie lässt es sich mit dem Internet verbinden? Diese Fragen wurden anschließend diskutiert.Für Nina Neef von Spendino etwa sind es Leidenschaft und Überzeugung, die zu Engagement führen. Sebastian Hoffmann (21) versucht dort etwas zu ändern, wo er etwas schlecht findet. Simal Bervari erzählt, dass er erst einmal etwas für sich erleben wollte, als er bei Think Big mitmachte. „Und dann habe ich gedacht, warum sollen andere Jugendliche nicht davon profitieren, wovon ich profitiert habe? Das Engagement für andere gibt mir eine innere Befriedigung“, berichtet er. Einig sind sich alle darin, dass es Spaß macht, sich für etwas zu begeistern und andere damit anzustecken. Patrick Klinski Medina gefällt an Programmen wie Think Big, „dass ich da hingehen kann, wenn der Fußballplatz kaputt ist und ich Mittel brauche, um ihn wieder zu reparieren. Dabei engagiere ich mich gleich ganz anders.“ Mirac Ener ist davon überzeugt, dass man bei sich selbst anfangen muss: „Ich kann nur etwas verändern, wenn ich mich selbst verändern kann“. Er selbst hat es vorgemacht und ist nun Vorbild für die Jugendlichen in seinem Brennpunkt-Kiez, die sehen, dass er nach Berlin oder nach Mannheim fährt, dass er raus kommt und interessante Dinge erlebt.
Engagement motivieren
Spenden ist wichtig, finden die meisten. Aber fast noch wichtiger ist es, andere ebenfalls zu motivieren, zum Beispiel indem man das eigene Engagement auf Facebook teilt. Überhaupt hat Engagement etwas damit zu tun, Möglichkeiten aufzuzeigen. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, dass sie die Chance haben, etwas zu verändern“, hat Kappel Chadha erfahren. Gefragt sind Vorbilder, die zeigen, wie man etwas bewirken kann. Dabei ist den Jugendlichen der reale Kontakt immer noch am wichtigsten. Sie wollen sich inspirieren lassen von anderen Menschen und brauchen Räume für den regelmäßigen Austausch. Philippe Gröschel bietet spontan sein Büro an. In der zweiten Gruppe geht es darum, wie Erwachsene das Engagement von Jugendlichen unterstützen können. Claudia Erdmann weist darauf hin, dass es Älteren oft an Vertrauen fehlt: „Wir wollen alles steuern und kontrollieren.
Es ist eine große Aufgabe, Jugendlichen Raum zu geben. Sie brauchen viel mehr Rechte, um mitzubestimmen“, ist sie überzeugt. Kappel Chadha (17) sieht es ähnlich und weist darauf hin, dass Eltern in sozialen Brennpunkten seiner Erfahrung nach ihren Kindern zu viele Grenzen setzen: „Manche tun es aus religiösen Gründen, manche aus Angst, dass das Kind auf die falsche Bahn kommt, und bei anderen ist es einfach nur dämlich. Man muss den Jugendlichen Freiraum geben, damit sie sich entfalten können und auch Scheiße erfahren können. Man muss auf die Schnauze fallen dürfen!“ Isabell Rausch-Jarolimek von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V. (FSM) will bei Erwachsenen für Toleranz und Offenheit werben, denen es oft schwer fällt, die Jugendlichen zu akzeptieren wie sie sind. Angelo Wyszengrad wünscht sich Vorbilder: „Ich kenne kaum Erwachsene, die sich engagieren. Alle sagen, sie haben keine Zeit. Aber mein Leben ist auch stressig und ich engagiere mich trotzdem“. Daniel Bayer (21) beklagt: „Es ist traurig, dass die Erwachsenen gar nicht mehr das Gefühl haben, sie müssten etwas verändern“.Aufgeschlossen reagieren die Jugendlichen auf die Frage, ob sie auch mit Erwachsenen zusammenarbeiten würden? „Wir finden es cool, wenn Erwachsene uns zuhören und Interesse an dem haben, was wir tun.
Wenn sie sich nicht zu sehr einmischen, dürfen sie auch mitmachen“, erklärt Sophie Obermeier (19). In München hat sie bereits erlebt, wie Mitarbeiter von Telefónica sie bei einem Dance-Mob unterstützt haben. „Das hat wunderbar geklappt. Man hat gemerkt, dass sie engagiert sind. Sie sind gekommen und haben gefragt: Was machst du und wie kann ich dir helfen?“ Für Angelo Wyszengrad spielt Alter keine Rolle, wenn es darum geht, gemeinsam etwas zu erreichen: „Wenn es auf Augenhöhe abläuft, ist es egal, ob es Senioren, kleine Kinder oder Erwachsene sind“.Sven Oswald möchte wissen, was Politik tun kann, um Jugendlichen zu helfen? Als erstes werden niedrigere Hürden und weniger Bürokratie genannt. Daniel Bayer fordert, Politik solle verständlicher und transparenter werden. Am besten könne jemand die Ziele einer Partei vermitteln, der von außen kommt. Alle wünschen sich Politikerinnen und Politiker, die sich mit ihnen unterhalten. Obermeier weist auf die Politikverdrossenheit von Jugendlichen hin: „Es ist ein Riesenproblem, dass Politiker so viel versprechen und nach den Wahlen kommt die Ernüchterung. Das ist für Jugendliche nicht zu verstehen, warum das so ist. Ich kenne viele, die sagen: Die Politiker reden eh nur viel und machen nur etwas für sich selbst.“Moderator Sven Oswald hat zum Schluss nur noch einen Wunsch: „Es wäre gut, wenn ein paar von euch mal in die Firmen gehen würden und uns Versteinerte wachrütteln würden“, gibt er den Jugendlichen mit auf den Weg. Immerhin, Thomas Jarzombek hat den Jugendlichen einen positiven Eindruck von der Politik vermittelt. „Glaubt ihr, dass er antwortet, wenn ihr ihm eine Mail schreibt?“, will ein Erwachsener wissen. „Er hat mir schon auf Twitter geantwortet, es könnte aber auch sein Büro sein“, erklärt Angelo Wyszengrad mit Blick auf sein Smartphone.
Riccarda Possin: Mit Trompi durch die Musikgeschichte
Dass Musikgeschichte richtig spannend sein kann, erfährt der Trompeter Jochen bei seinem Besuch im Trompetenmuseum. Ja, all die Geschichten und Eindrücke sind sogar so spannend, dass er darüber komplett die Zeit vergisst und prompt im Museum eingesperrt wird. Doch nicht nur das, jetzt begegnet der Musiker auch noch Trompi, dem Trompetengeist, der ihn kurzerhand auf eine Zeitreise, mitten hinein in die Geschichte der Trompete schickt. Wer Interesse an Musik, aber auch an geschichtlichen Hintergründen und Zusammenhängen hat, der hat auf www.trompis-zeitreise.de die Chance, gemeinsam mit den beiden auf eine spannende Reise durch die Vergangenheit zu gehen. Denn die Fakten über das Instrument Trompete sind eingebettet in allerhand interessantes, geschichtliches Hintergrundwissen. Und wer weiß schon, dass die erste Trompete aus einem hohlen Knochen entstand oder die erste Grundschule in der Barockzeit errichtet wurde. Die Webseite bietet Kindern ab dem mittleren Grundschulalter die Möglichkeit, in Jochens Begleitung in die Urzeit, die Metallzeit, das Mittelalter, die Zeit des Barock, der Klassik und Romantik sowie des Jazz einzutauchen und etwa zu erfahren, welche Werkzeuge die Steinzeitmenschen nutzten, wie die Barocktrompete klingt oder auch wie der Jazz entstand. Um den Aufbau der Seite zu verstehen und eine kleine Einführung in das Thema zu erhalten, finden alle großen und kleinen Surferinnen und Surfer auf der Startseite der Website ein Video, das die Geschichte von Jochens und Trompis Aufeinandertreffen erzählt und auch schon eine kurze thematische Einführung gibt. Die Mädchen und Jungen haben nun die Möglichkeit, sich entweder gemeinsam mit Trompi auf einen Streifzug durch den interaktiven Grundriss des Museums zu begeben und in jedem Zimmer eine andere spannende Epoche oder einen Teil Musikgeschichte zu entdecken. Oder aber sie orientieren sich an der Symbolleiste und springen direkt zum gewünschten Inhalt, den es dann anhand vieler nützlicher Informationen zu entdecken gilt.
So kann zu einem Themenblock etwa ein Video gesehen werden, das direkt in die Vergangenheit blickt und das Leben in der jeweiligen Zeit visualisiert und auch musikalische Eindrücke vermittelt, oder die historischen Einzelheiten sind in kurzen Texten und Bildern veranschaulicht. Zudem werden immer wieder spannende Informationen etwa durch Trompi am unteren Bildrand oder direkt während der Videos eingeblendet. Schließlich können die kleinen und großen Zeitreisenden ihr neu erworbenes Wissen noch in zwei verschiedenen, spannenden Wissensquiz testen, die in jeder Einheit zur Verfügung stehen. Dort müssen etwa Fragen zu den gelesenen und gesehenen Inhalten im Wettlauf gegen die Zeit beantwortet oder aus einer Reihe von Bildern die richtigen Antworten gewählt werden. Das sehr umfangreiche Material der Website bietet gemeinsam mit dem frechen Trompetengeist vieles zu entdecken und ist interessant und gut verständlich aufbereitet. Allerdings wirkt die Seite durch diese Fülle an Informationen und durch die zwei Zugänge über den Grundriss und die Menüleiste zunächst etwas unübersichtlich und kann gerade jüngere Kinder schnell überfordern. Doch hat man sich einmal orientiert, steht der Entdeckungsjagd nichts mehr im Weg. Auch für interessierte Eltern und andere ‚junggebliebene‘ Erwachsene steht eine Informationsseite über Nutzungsmöglichkeiten und Ziele der Website bereit und eine Linksammlung verweist auf weitere spannende Angebote für Kinder. Und falls den kleinen und großen Nutzerinnen und Nutzern doch noch etwas fehlt, lädt eine Feedbackseite dazu ein, hilfreiche Anregungen für eine Weiterentwicklung der Seite zu geben.
Insgesamt gelingt es der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten und von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und dem Freiburger Barockorchester unterstützten Internetseite, einen breiten Überblick über das Feld der Musikgeschichte zu geben und einen Beitrag dazu zu liefern, Kinder an die Themen Geschichte und Musik spielerisch heranzuführen.
Judith Schuhbauer: Großes Kino in kurzen Filmen
Eine Woche lang präsentierten junge Nachwuchsregisseurinnen und -regisseure aus aller Welt auf dem 31. Internationalen Festival der Filmhochschulen München 2011 ihre Werke. Die 54 Regie-Talente kamen aus insgesamt 26 Ländern, um ihre Arbeiten ins Rennen um Preisgelder in Höhe von mehr als 40.000 Euro zu schicken. Von Montag bis Freitag, von nachmittags bis spät abends wurden im Münchener Filmmuseum 61 Kurzfilme in zehn bunt gemischten Programmen dem Publikum und der Jury vorgestellt. In eindrucksvollen Spielfilmen, packenden Dokumentationen und aufwändigen Animationen behandelten die Nachwuchsfilmemacherinnen und -macher ein breites Themenspektrum. Vom Milchbauern Kurt, der aus Biogas so viel Strom erzeugt, dass er tropische Früchte im ländlichen Bayern anbauen kann und sich dabei eine goldene Nase verdient, über die verzwickte Situation des Lottomoderators, der nach Einführung des Farbfernsehens in Finnland nicht mehr zum Senderimage passt, bis hin zu den Problemen Homo- und Transsexueller in der Gesellschaft Bosniens und Herzegowinas. Der studentische Nachwuchs verarbeitete eine Vielzahl an aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen. Neben einer Reihe an ernsten Filmen, die das Publikum mit nachdenklicher Stimmung entließen, zeigten sich viele der Nachwuchsfilmerinnen und -filmer von ihrer humorvollen Seite. Mit viel Witz und Ironie erzählten sie in ihren Kurzfilmen die absurdesten, aber doch tiefgründigen Storys. Ob traurig oder witzig, Fiktion oder Dokumentation, den jungen Filmemacherinnen und -machern gelang es, Stimmungen zu schaffen und mit den Zuschauerinnen und Zuschauern in meist fremde Lebenswelten einzutauchen.
Mal bedrückend, mal weise, mal mit einer guten Portion Humor, der Regienachwuchs beobachtete seine Umwelt genau. Dabei belächelten sie manch gesellschaftliche Konvention ebenso leise, wie sie soziale Probleme klar und deutlich zur Schau stellten. Die jungen Regisseurinnen und Regisseure überzeugten das Publikum mit gut durchdachten Drehbüchern und professionellen Produktionen. Für Auskünfte zu ihren Werken standen alle Filmemacherinnen und -macher persönlich zur Verfügung. Hintergrundinformationen zur Idee, zum Dreh und zu den Absichten der Regisseurinnen und Regisseure machte das Erlebnis ‚Film‘ noch faszinierender. Dass den meisten Studierenden nur ein geringes Budget zur Verfügung stand, zeigt wieder einmal, dass auch mit einfachen Mitteln hervorragende Filme möglich sind. Mit Einfallsreichtum und Leidenschaft setzte der Filmnachwuchs seine Ideen eindrucksvoll um. Ideen und Kreativität zeigte der studentische Nachwuchs auch im Sonderwettbewerb Climate Clips. Sein Ziel ist es, Erfahrungen, Vorstellungen und Wünsche zu Klimawandel und Energieversorgung aus allen Erdteilen zusammenzutragen und Lösungsansätze publik zu machen. Auch hier setzten die Nachwuchsregisseurinnen und -regisseure der drei ausgewählten Short Cuts auf Humor und Leichtigkeit statt auf Weltuntergang und erhobenen Zeigefinger.
Die Message ihrer Clips ist dennoch eindeutig: Jede und Jeder Einzelne kann (und muss) etwas gegen den Klimawandel unternehmen! Den Abschluss des Kurzfilmmarathons bildete die feierliche Preisverleihung am Samstagabend (19. November). Der 27-jährige Regisseur aus Paris, Lilian Corbeille, wurde für sein Drama Les Trous Noirs mit dem Hauptpreis, dem VFF Young Talent Award ausgezeichnet. Aber auch neun weitere Filmstudentinnen und -studenten durften sich über eine Auszeichnung ihrer Filme und das Preisgeld freuen. Neben den hervorragenden Filmen sorgten die Veranstalterinnen und Veranstalter des Festivals für ein sympathisches Ambiente im Filmmuseum am Münchner St.-Jakobsplatz. In einer gemütlichen Lounge konnten sich Gäste sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen den Programmen bei Getränken und Snacks zusammensetzen, entspannen oder informieren. Für eine persönliche Atmosphäre sorgten eine Fotowand der teilnehmenden Nachwuchsregisseurinnen und -regisseure sowie eine Wand mit ausgedruckten Pressestimmen zum Festival. Auch die Taschen aus der diesjährigen Plakatkampagne sowie Infomaterial zum Filmfest konnten als Souvenirs erworben werden. Die Besucherzahlen belegen den großen Erfolg des 31. Internationalen Festivals der Filmhochschulen München. Viele der Vorstellungen waren bereits im Vorfeld komplett ausverkauft und auch nachmittags war der Kinosaal gut besucht. Das Festival lockte, neben einem jungen kunstbegeisterten Publikum, Interessierte aller Altersgruppen in die Räume des Filmmuseums.
Auch Festivalveranstalterin Diana Iljine zieht eine zufriedene Bilanz: „Es war ein Fest der Entdeckungen mit vielen außergewöhnlich guten Filmen. Um die Zukunft des Films muss man sich bei diesen Talenten keine Sorgen machen.“ Weitere Informationen rund um das Festival und die Preisverleihung sowie weitere Termine unter: www.filmschoolfest-munich.de.
Judith Schuhbauer: Reality-TV als Trauma-Therapie: Jonas
Die Musik laut aufgedreht irrt Jonas in seinem knatternden alten Wagen durch Zeuthen, eine Gemeinde nahe Berlin. Er ist auf dem Weg zur Paul Dessau Gesamtschule. Heute ist sein erster Schultag. Darüber freut er sich nicht so sehr, denn Schule macht ihm eigentlich keinen Spaß. Aber er weiß auch, dass dies seine letzte Chance ist. Jonas, der neue Film aus der Boje Buck Produktion, erzählt die Geschichte des 18-jährigen Sitzenbleibers, der hofft, seine letzte Chance auf einen Schulabschluss zu bekommen. Dokumentarisch begleitet die Kamera Jonas vom ersten Schultag bis zur alles entscheidenden Lehrerkonferenz, in der sein Schicksal entschieden wird. Der Film gibt Einblicke in den Schullalltag, hält Szenen aus dem Unterricht fest und dokumentiert das Leben der Schülerinnen und Schüler. Schule, Lehrkräfte und Schülerschaft sind real. Nur Jonas heißt eigentlich Christian und hat seinen Schulabschluss schon seit Jahren in der Tasche: Nach Undercover-Rollen in Mein neuer Freund und ulmen.tv schlüpft Christian Ulmen diesmal in die Rolle des 18-jährigen, mehrfach sitzengeblieben Schülers Jonas. Aber anders als die Charaktere aus Mein neuer Freund, die ihre Mitmenschen durch provokantes Auftreten in den Wahnsinn treiben sollen, ist Jonas ein recht normaler Junge. Schnell lebt er sich in der neuen Schule ein, schließt Freundschaften und beteiligt sich am Unterricht. Nur mit Mathe steht er auf Kriegsfuß. Als er sich dann noch in die Musiklehrerin Frau Maschke verliebt, gerät das Sorgenfach noch mehr ins gedankliche Abseits: Um die Frau seines Herzens zu beeindrucken, gründet er eine Schülerband. Neben Bandproben und Parkplatzpartys stellt sich Jonas der Herausforderung ‚Logarithmus‘, um seine Probezeit an der Gesamtschule Paul Dessau zu bestehen – was sich in der finalen Lehrerkonferenz entscheidet. Soweit die Story des Films, die schnell erzählt ist. Aber um eine komplexe Geschichte mit verschiedenen Handlungssträngen geht es auch nicht. Vielmehr ist der Film ein Experiment: Eine Kunstfigur im realen Raum und das in Kinoformat.
Schülerschaft und Lehrkräfte wurden zwar im Vorfeld informiert, dass in ihrer Schule Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm stattfinden, Genaueres wussten sie jedoch nicht. Und nachdem der 36-jährige Schauspieler täglich drei Stunden in der Maske verbrachte, erkannte keiner mehr den ‚neuen Schüler‘ als Christian Ulmen. Ein richtiges Drehbuch gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Alle Mitwirkenden gestalten durch ihr Handeln das Drehbuch mit. Nur mit einer Backstory zu Jonas und ein paar vagen Ideen ausgerüstet, begab sich das Filmteam in das Abenteuer. Dies bot Christian Ulmen genug Raum zur Improvisation. Allerdings sollte Jonas bewusst nicht die Szene dominieren und das Geschehen beeinflussen – er passt sich seinem Umfeld an, lässt sich lenken. Die Idee, die dahinter steckt, dreht das Schema bekannter provokativer Reality-Formate, wie zum Beispiel Borat, um: Nicht die Kunstfigur provoziert und manipuliert ihr Umfeld, sondern die Realität prägt die Kunstfigur. Christian Ulmen nahm als ganz normaler Schüler am Schulalltag teil, beteiligte sich an Unterrichtsgesprächen, verbrachte mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern die Pausen und schrieb Klassenarbeiten. Das Publikum wirft einen Blick in den Mikrokosmos ‚Schule‘, es verfolgt reale Debatten zu Kirche und Glauben mit Ethik-Lehrerin Frau Schröder, beobachtet den Ärger einiger Schüler bei der Notenvergabe im Geografieunterricht und bangt mit Jonas in Matheausfragen. Dabei lässt Christian Ulmens Unwissenheit um Logarithmen das Publikum regelrecht mitleiden. Für alle, die ihre Schulzeit hinter sich haben, ist der Film wie eine Zeitreise und lässt ab und an erleichtert aufatmen, nie wieder Mathearbeiten schreiben zu müssen. Ulmen selbst bezeichnete die Dreharbeiten als persönliche Trauma-Therapie, die ihm seine Albträume von der eigenen Schulzeit nahm. Doch auch für diejenigen, die nicht hin und wieder von Albträumen geplagt werden, bietet der Film Spaß und Unterhaltung.
Allein das Hinzufügen einer Kunstfigur im realen Raum und deren wechselseitige Beeinflussung ist ein spannendes Experiment. Dass Christian Ulmen ab und zu den Bogen etwas überspannt und sich ein wenig eigentümlich benimmt, stört dabei nicht weiter. Entsprechend ist auch das Genre schwer zu bestimmen. Weder als Dokumentar-, noch als Spielfilm angelegt, wird dem Film die Bezeichnung ‚Reality-Komödie‘ gerecht. Dabei wird allerdings nicht immer ganz deutlich, was real und was gestellt ist. Die Kinoproduktion bietet ein unterhaltsames Abbild des Schulalltags mit allem, was dazu gehört: Pubertät, Liebe und Musik. Aber auch ein etwas ernsteres Bild vom Jungsein wird gezeichnet. Verärgert über die schulischen Leistungen seiner Klasse hält der Chemielehrer eine überspitzte Ansprache zur Situation Deutschlands und den Berufschancen seiner Schülerinnen und Schüler. Christian Ulmen, 20 Jahre älter als seine Klassenkameradinnen und -kameraden, lässt Jonas diesen Appell öffentlich kritisch hinterfragen. Dass sich Schülerinnen und Schüler immer häufiger unter Druck gesetzt fühlen und Zukunftsängste aufbauen, verwundert angesichts solcher Szenen kaum. Insgesamt zeichnet sich der Film weniger durch eine spannende Handlung als vielmehr durch sein charmantes Setting aus.
Mit einem Augenzwinkern verkörpert Ulmen den liebenswerten und manchmal etwas zu freimütigen Jonas. Die authentischen, weil echten Charaktere und Situationen schaffen eine vertraute Atmosphäre. Die ungestellten Unterrichtsgespräche sind meist interessant und zeigen, was junge Menschen beschäftigt. Der Film aus der Boje Buck Produktion (Same Same But Different, Herr Lehmann, Sonnenallee), der unter der Regie von Robert Wilde (Mein neuer Freund) entstanden ist, ist ein unterhaltsamer sowie informativer Film über das Schulleben an einer Berliner Gesamtschule. Gleichzeitig wird ein spannendes filmisches und sozialpsychologisches Experiment geboten. An den Hype um Reality-TV-Formate anknüpfend, ist Jonas eine durchaus kinotaugliche Produktion, die auch ein jüngeres Publikum anspricht. Im Gegensatz zu fiktionalen Teenager-Komödien oder Reality-Dokus wie Die Schulermittler wird das Schulleben an einer durchschnittlichen deutschen Schule authentisch abgebildet. Dass das nicht immer trocken und stockernst sein muss, zeigt dieses Filmprojekt.
Für all diejenigen, die an innovativen Filmkonzepten und/oder an psychologischen Experimenten interessiert sind, ist Jonas sicherlich sehenswert. Aus medienpädagogischer Perspektive bietet die Umsetzung ebenfalls Ansätze zur Diskussion über Fiktion und Realität in den Medien, zumal der Filmkontext jedem aus eigener Erfahrung bekannt sein dürfte. Die Mischform aus Dokumentation und Spielfilm regt an, Filmgenres und Stilrichtungen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Günther Anfang: Create Your World – Ars Electonica 2011
Mit „Create Your World“ hat die Ars Electronica dieses Jahr die Jugend als Zielgruppe entdeckt. Zwar gab es immer schon den Wettbewerb U19, der sich an den Mediennachwuchs unter 19 Jahren richtete, doch nun hat die Festivalleitung um Gerfried Stocker und Christine Schöpf entschieden, die Jugend noch mehr in den Mittelpunkt des Festivals zu stellen und das Zukunftsfestival der nächsten Generation kreiert. Aus diesem Grund mutete die Ars Electronica zum Teil wie ein Jugendmediencamp an. Eine Zelt- und Bauwagenstadt rund um das Ars Electronica Center wurde aufgebaut. Hier wurden sowohl Pizzas gebacken als auch im Erfinderladen Dinge angeboten, die es noch nicht gibt, wie Bücher mit Kleiderhaken oder elegante „Stuhlsocken“. Von kleinen Geschenkartikeln bis hin zu witzigen und durchaus interessanten Ideen, war vieles dabei, was junge Menschen entwickelt haben. Auf einem Markplatz der Talente konnten darüber hinaus am Samstagnachmittag Jugendliche ihre Fähigkeiten auf der Donaubrücke zur Schau stellen. Hier versammelten sich dann auch jede Menge Expertinnen und Experten, die ihr Wissen über Fragen zum Sonnensystem bis hin zu Fragen, die nicht beantwortet werden können, weitergaben. Im Ausstellungsbereich konnte man schließlich die Gewinner des diesjährigen U19 – freestyle computing Wettbewerbs kennen lernen.
Insgesamt 15 Preise und Anerkennungen wurden vergeben, unter anderem an das Projekt Weltherberge Schulhaus, das als Kooperationsprojekt zweier österreichischer Schulen die Goldene Nica erhielt. Grundidee dieser mehrteiligen Installation ist es, dass jedes Lebewesen Spuren, Gedanken, Geschichten und Erinnerungen in Zimmern hinterlässt. Diese Spuren werden mit Hilfe sensorenbestückter Möbel bei Berührung sichtbar gemacht und als Geräusche wiedergegeben. Dadurch kann die Geschichte des Raumes, von wem er betreten und besucht wurde, eingefangen und erfahrbar gemacht werden. Diese aufwändige und vielschichte Installation war nicht nur deshalb beeindruckend, weil hier fast 100 Schülerinnen und Schüler mitwirkten, sondern auch weil hier unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mädchen und Jungen zum Zug kamen. Angefangen von der Programmierung der Sensoren bis hin zu den Bastel- und Näharbeiten zur Erstellung der Installation. Weitere U19-Preise und Anerkennungen gingen unter anderem an das Projekt Bikemap von Felix Krause, der ein iPhone-App für ein Radfahrer-Portal entwickelt hat, das innerhalb weniger Tage über 20.000 Mal heruntergeladen wurde, sowie an den Animationsfilm Flug und Fall von Nikolai Maderthoner, der vor allem aufgrund seiner ausgefeilten Grafik überzeugte.Das Ars Electronica Festival selbst stand dieses Jahr unter dem Motto „origin – wie alles beginnt“. In Zusammenarbeit mit dem CERN, an dem über 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt die Entstehung des Universums und den Ursprung aller Materie erforschen, widmete sich die Ars Electronica der Welt der Spitzen- und Grundlagenforschung. Dieser Schwerpunkt verlagerte allerdings auch das Gewicht des Festivals auf sehr technizistische Fragestellungen. Auch wenn im Logo des Festivals künstlerisch eine Kernspaltung visualisiert wird, bleiben die Fragen rund um die Ursprünge des Universums letztendlich auf der Ebene der Grundlagenforschung, bei der die Kunst nicht mehr viel beizutragen hat. Wenn im Rahmen des Festivals der Antimaterie-Experte Michael Doser über „Neue Physik und das Neuland, nach dem im CERN gestrebt wird“ spricht oder ein Wissenschaftler über die vier großen Experimente am LHC, dem weltweit größten Teilchenbeschleunigungskomplex in der Nähe von Genf, berichtet, dann geht das sehr in die Tiefe der Grundlagenforschung, die für Laien nicht mehr verständlich ist. Da kann auch das im Rahmen des Festivals präsentierte Buch mit Bildern und Texten zum LHC keine Abhilfe schaffen. Denn die in diesem Bildband präsentierten Bilder über die ‚Weltmaschine‘ LHC bleiben ebenfalls sehr technizistisch und glatt. Mit Medienkunst hat das wenig zu tun. Spannend waren aber auch dieses Jahr wieder einige der Preisträger des Wettbewerbs.
So überzeugte zum Beispiel das Projekt Newstweek von Julian Oliver aus den Niederlanden und Dana Vasiliev aus Russland, das die Goldene Nica im Bereich „Interactive Art“ erhielt. Dieses Projekt ist vor allem deshalb so irritierend, da es aufzeigt, wie leicht Informationen im Internet manipuliert werden können. Mit Hilfe eines Tools können innerhalb eines offenen Hotspots Informationen verändert und zum Beispiel die Schlagzeilen von Nachrichtenportalen manipuliert werden. So kann aus der Spiegel online-Schlagzeile „Obama legt neues Investitionsprogramm auf“, schnell „Obama scheitert mit neuem Investitionsprogramm“ werden. Welchen Glauben man somit den Nachrichten aus dem Internet schenken kann, wird damit sehr schnell anschaulich. Weniger nachvollziehbar war dagegen die Entscheidung, das Projekt May the horse live in me von Marion Laval-Jeantet und Benoît Mangin aus Frankreich zu prämieren. Als Preis in der Kategorie „Hybrid Art“ löste dies kontroverse Diskussionen zu (Bio-)Ethik und der gängigen wissenschaftlichen Praxis aus. Im Rahmen einer Performance lässt sich hier eine der Künstlerinnen Blut eines Pferdes injizieren, um die Blutsbrüderschaft zwischen Pferd und Mensch zu dokumentieren. Die Sinnhaftigkeit eines derartigen Projekts erschließt sich jedoch nicht jedermann. Aber auch im letzten Jahr war der Preis in dieser Kategorie umstritten. Hier ließ sich ein Künstler ein Ohr an seinen Arm verpflanzen. Doch diese Verstörungen machen schließlich auch den Reiz der Ars Electronica aus. Es gilt vieles zu entdecken und nicht alles muss gefallen.
Alle Preise des Festivals sind zu finden unter new.aec.at/prix/en/gewinner.
Marc Reisner: Alles für lau
Will man als Pädagogin oder Pädagoge praktische Medienarbeit anbieten, steht man oft vor dem Problem, dass dies mit Kosten verbunden ist. Man braucht Fotoapparate, Videokameras, Computer und natürlich auch Software. Zumindest im Bereich der Software kann man mittlerweile echte Schnäppchen machen, indem man sie sich kurzerhand kostenlos aus dem Internet herunterlädt – und das absolut legal. Software muss heutzutage nichts mehr kosten. Viele Pädagogen arbeiten schon lange mit dem Open Office Paket und kommen damit genauso gut zurecht, wie mit den teuren Produkten von Microsoft. Wie verhält es sich aber tatsächlich mit Programmen für die praktische Medienarbeit? Auch hier gibt es Alternativen! Aber können diese tatsächlich mit kommerziellen Produkten mithalten? Diese Frage lässt sich nicht in einem Satz beantworten, denn es gibt nicht für jedes kommerzielle Produkt ein vergleichbares Gegenstück. Manche Freewareprogramme sind einfacher gestrickt, andere füllen eine Lücke aus, die es im kommerziellen Bereich überhaupt nicht gibt. Unterm Strich kann man aber schon jetzt sagen, dass es für einen Medienpädagogen eigentlich keinen wirklichen Grund mehr gibt, Software zu kaufen. Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es einen gewissen Eindruck schindet, wenn man sein nagelneues Laptop aufklappt und dann dem Klientel die gesamte Produktpalette von Adobe auf dem Desktop entgegen springt. Aber selbst als Schüler oder Studentin muss man dafür noch einige hundert Euro berappen. Es wird zwar immer wieder der Begriff des „Industriestandards“ in den Raum gestellt, aber man sollte sich ernsthaft fragen, welche medienpädagogischen Projekte diesen Standards gerecht werden müssen, und dann kommt noch hinzu, dass so ziemlich jeder Hersteller von halbwegs professioneller Software behauptet, dass sein Produkt diesen Industriestandard repräsentiert. Von daher kann man es wirklich einmal wagen, einen ernsthaften Blick auf das zu werfen, was das Internet einem kostenlos anbietet.
Kostenlos gleich billig?
Ohne an dieser Stelle zu sehr ins Detail zu gehen, sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben, dass die Herstellung kostenloser Software nicht zwangsläufig kostenlos ist. Was all diese Produkte von denen aus den Regalen der Elektrodiscounter unterscheidet, ist lediglich die Tatsache, dass der Endnutzer kein Geld für den Erwerb von Freeware zahlen muss. In manchen Fällen stehen Firmen hinter den Programmen, die diese aus Prestigegründen weiterführen. So gehört Open Office im Moment noch der Firma Oracle. In anderen Fällen wird einfach soviel Geld gesammelt, bis man die Programmierer für das nächste Update bezahlen kann. Die 3D-Software Blender wird so finanziert. Es gibt aber auch noch die demokratischste Form der Softwareentwicklung: Der Programmcode ist nicht verschlüsselt, so dass jeder, der dazu in der Lage ist, das Programm selbst erweitern kann. In diesem Fall spricht man von Open Source. Interessanterweise wird man schnell feststellen, dass sich an diesen Projekten oft Hochschulen beteiligen und sogar die Weiterführung einzelner Programmteile in ihren Unterricht mit einbinden. Von daher ist auch hier festzustellen, dass mancher Professor dies nicht in seiner Freizeit macht. Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten Programme kostenlos anzubieten und sich dennoch die Herstellung bezahlen zu lassen. Oft finden sich auch Spendenaufrufe auf den entsprechenden Anbieterseiten.Der Endnutzer bzw. die Endnutzerin sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass es sich bei den Anbietern von Freeware um keine Informatik AGs irgendwelcher Schulen handelt, sondern dass diese Programme nach den gleichen Kriterien erstellt werden wie kommerzielle Produkte.
Gimpwww.gimp.org (alle Betriebssysteme)
Gimp ist neben Open Office das wohl bekannteste Freewareprogramm. Es handelt sich dabei um ein Programm zur Verbesserung und Manipulation von Fotos. Kostenlose Bildbearbeitungsprogramme findet man im Internet in einer unübersehbaren Menge, aber Gimp ist zweifelsohne das umfangreichste. Dennoch kann man es nicht direkt mit dem kommerziellen Photoshop vergleichen, denn dieser genießt tatsächlich einen Sonderstatus, weil das Programm in seinem Funktionsumfang nach wie vor konkurrenzlos ist. Allerdings hat diese Konkurrenzlosigkeit auch ihren Preis und gerade im Fall von Photoshop muss man ganz genau hinsehen und sich fragen, was man mit der Fülle an Funktionen überhaupt anfangen will. So wurde es gerade in letzter Zeit mit unzähligen 3D-Funktionen versehen, dessen Sinn sich dem Normalanwender niemals erschließen werden. Gimp hingegen ist schlank und übersichtlich. Es ist schnell zu erlernen und hat vor allen Dingen ein Feature, dass es deutlich von der Freeware-Konkurrenz abhebt: Ebenenmasken. Diese finden sich noch nicht einmal im kommerziellen Photoshop Elements. Dabei sind sie doch so wichtig, wenn man eine halbwegs ordentliche Bildretusche erstellen will. Ansonsten sind alle wichtigen Funktionen zur Helligkeits- und Farbveränderung vorhanden. Es gibt eine Ebenen- und eine Kanäle-Palette. Man kann Masken zeichnen und speichern und findet ebenso eine große Auswahl an Pinselwerkzeugen wie Filtern. Wer medienpädagogische Projekte mit Kindern macht, wird sicherlich nie an die Grenzen von Gimp stoßen. Und selbst für etwas aufwendigere Projekte sollte die Software ausreichen. Das wirklich Schöne an Gimp ist auch darin zu sehen, dass es wirklich eine Fülle an Büchern darüber gibt. So findet man auf jeden Fall einen schnellen Einstieg, sowie Erklärungen zu den etwas komplexeren Funktionen. Gimp gibt es in einer deutschen Version.
Celtx www.celtx.com (alle Betriebssysteme)
Dieses Programm eignet sich zur Planung und Durchführung von Medienprojekten. Wenn man es zum ersten Mal startet, kann man sich aussuchen, ob man ein Drehbuch, ein Hörspiel, ein Comic, ein Theaterstück, oder was auch immer damit erstellen will. Celtx ist flexibel und eins der erwähnten Programme, das man in der kommerziellen Software vergeblich sucht. Zunächst einmal stellt es dem Autor bzw. der Autorin einen speziellen Texteditor zur Seite, der das Leben wirklich erleichtert. So wird der Text nach Szenen geordnet, und es muss nicht jedes mal der Name einer Figur eingetippt werden, wenn diese etwas zu sagen hat. Der Anfangsbuchstabe genügt. Weiterhin sorgt Celtx dafür, dass gewisse Formatierungen eingehalten werden, die in der Medienindustrie sinnvoll sind. Das mag aus medienpädagogischer Sicht vielleicht weniger wichtig sein, aber die Dokumente sind dadurch aufgeräumt und niemand kommt auf die Idee, sich an der Schriftgröße der Überschrift zu verkünsteln. Celtx kann aber noch mehr: Es verwaltet die Requisiten, speichert Adressen der Beteiligten, man kann sogar Zeichnungen der geplanten Szenenabläufe einfügen. Die Software ist natürlich in erster Linie für größere Projekte gedacht. Allerdings hilft Celtx dabei, Struktur in jede Art von Projekt zu bringen. So wird beispielsweise für jeden Charakter einer Geschichte eine Seite bereitgestellt, auf der man einen Fragebogen ausfüllen kann. Angefangen mit den äußerlichen Merkmalen der Figur, bis hin zu ihren Zielen und den damit verbundenen Konflikten. Für ein Schulprojekt also durchaus geeignet, da man schon ein Gerüst vorfindet, in das Schülerinnen und Schüler ihre Ideen einfügen können. Für Celtx gibt es zahlreiche Videotutorials, die man bequem über das Hilfesystem erreicht. Leider nur in englischer Sprache. Die Software selbst liegt in einer deutschen Version vor, inklusive deutschem Wörterbuch. Wer sich ein wenig mit Textverarbeitung auskennt und auch schon eine kleine Datenbank für DVDs oder CDs angelegt hat, wird sich schnell in Celtx zurechtfinden.
Lightworkswww.lightworksbeta.com (nur PC)
Lightworks hat wohl die ungewöhnlichste und spektakulärste Geschichte in der Welt der kostenlosen Software. Das liegt daran, dass es lange Zeit nicht kostenlos war. Es war vielmehr so teuer, dass sich fast niemand dieses Programm leisten konnte. Diejenigen, die es konnten, haben Filme damit geschnitten, die Geschichte geschrieben haben: Pulp Fiction (1994), Braveheart (1995), The Departed (2006), The King‘s Speech (2010), um nur einige zu nennen. Lightworks ist also ein Schnittprogramm. Es war eines der ersten nichtlinearen Schnittsysteme überhaupt und kam schon Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf den Markt. Was es damals wie heute von den Konkurrenzprodukten unterschied, war die Tatsache, dass es maßgeblich von Filmcuttern mitentwickelt wurde. Als der Rechteinhaber Editshare Lightworks letztes Jahr aus der höchstklassigen Preiskategorie nahm und in ein Freewareprogramm umwandelte, sorgte das für ziemlich viel Verwirrung und Spekulationen in der Filmbranche. Bei soviel Vorschusslorbeeren stellt sich nun die Frage, ob Lightworks diesen gerecht wird.
Erstaunlicherweise sieht die Oberfläche der Software sehr aufgeräumt und übersichtlich aus. Man findet eine Werkzeugleiste mit ein paar Schalterchen und unter dem rechten Mausknopf verbergen sich ab und zu noch ein paar Kontextmenüs. Das war es aber auch schon. Noch nicht einmal die obligatorische Menüleiste ist vorhanden. Lightworks hat vor allem ein Ziel: Effizientes und schnelles Arbeiten. Dazu gehört zunächst einmal ein aufgeräumter Arbeitsplatz. Wenn man von einem anderen Schnittprogramm wechselt, muss man sich erst einmal an ein paar Dinge gewöhnen: Man kann für jeden Clip ein eigenes Fenster aufmachen. Die Fenster sind nicht fest angeordnet, sondern man kann sie verschieben wie man will. Das gilt auch für das Programmfenster, in dem die Schnitte aus der Timeline dargestellt werden. Alles in allem ist das aber alles kein Hexenwerk. Das Programm ist einfach zu erlernen, wenn man sich ein wenig mit der Anleitung beschäftigt. Allerdings ist diese, wie das Programm selbst, nur in englischer Sprache verfügbar. Lightworks ist in sich gesehen logisch aufgebaut. Allerdings unterscheidet sich diese Logik in mancher Hinsicht von der der Konkurrenten. So gehen beispielsweise alle Ordner (Bins) verloren, wenn man sie nicht benennt und schließt. Im Profibereich würde nie jemand auf die Idee kommen, seine Ordner nicht zu benennen – Laien schon. Weiterhin ist momentan kein Titeleditor vorhanden (dieser ist für eine der nächsten Versionen angekündigt), da man in einer Filmproduktion die Titel nicht innerhalb des Schnittprogramms erstellt. Und dann sind da noch zwei Einschränkungen, die man unbedingt im Hinterkopf behalten sollte: Zum einen kann Lightworks im Moment nur eine einzige Framerate innerhalb eines Projektes abspielen. Das liegt daran, dass ein Kinofilm mit 24 Bildern in der Sekunde läuft und etwas anderes gibt es in der Kinowelt nicht. Versucht man also, alles mögliche in ein Projekt zu importieren, vom iPhonefilm, über ein paar DV-Clips und HDVSachen, könnte sich das Programm dagegen verwehren. Weiterhin sollte man prüfen, ob Lightworks den Videocodec der verwendeten Kamera versteht. Das Problem liegt darin, dass zwar die Software an sich kostenlos ist, manche Kamerahersteller aber ihre Codecs nicht kostenlos anbieten. Daher sind diese in Lightworks nicht integriert. Die meisten Codes versteht das Programm problemlos, aber die Videocodecs von Sony sind beispielsweise nicht vorhanden, Dateien der beliebten PMW-EX1 von Sony können also nicht eingelesen werden. In diesem Fall muss der Codec bei Sony nachgekauft werden. Die üblichen MPEG-Codecs oder das Einspielen via Firewire funktionieren hingegen tadellos.
Unterm Strich kann man sagen, dass Lightworks ein Programm ist, mit dem man schnell und effizient schneiden kann. Man muss sich allerdings die Mühe machen, sich mit der Anleitung auseinanderzusetzen. Im Moment gibt es auch außer ein paar Videotutorials (auf englisch) keine zusätzlichen Lernhilfen. Hat man erst einmal den Geist des Programmes verstanden, kann man sehr schön damit arbeiten. Es ist auch durchaus für Schulprojekte zu empfehlen, allerdings nur für aufwendigere Vorhaben, die auch über einen längeren Zeitraum angedacht sind. Die Software kommt mit verhältnismäßig wenig Ressourcen aus, sie läuft anstandslos auf einem einigermaßen aktuellen Laptop. Weiterhin fällt sehr positiv auf, dass sie sehr stabil läuft. Im Moment ist Lightworks nur für PC erhältlich. Eine Mac- und Unix-Version ist aber für Ende des Jahres angekündigt.
Scribuswww.scribus.net (alle Betriebssysteme)
Wer schon einmal versucht hat, eine Schülerzeitschrift mit einem Textverarbeitungsprogramm zu gestalten, wird schnell an dessen Grenzen gestoßen sein. Hier kommt Scribus ins Spiel. Dieses Programm erleichtert die Herstellung professioneller Druckerzeugnisse. Seien es Flyer, Plakate oder auch Schülerzeitschriften. Scribus reiht sich in die Reihe der sogenannten Desktop Publishing Programme (DTP) ein. Wer schon Erfahrung mit einem ähnlichen Programm (z.B. InDesign oder Quarkexpress) gemacht hat, wird mit Scribus keinerlei Probleme haben. Was die Funktionalität betrifft, lässt die Software keine Wünsche offen. Man kann verschiedene Textfelder definieren und diese miteinander verbinden, so dass ein importierter Text fortlaufend durch diese Felder sichtbar wird. Scribus versteht alle gängigen Bildformate. Damit ist das importieren von Bildern ein Kinderspiel. Man kann Musterseiten anlegen, die später nur noch mit Inhalt gefüllt werden müssen. In Bibliotheken kann man alle Elemente eines Projektes verwalten. Besonders hilfreich ist dabei, dass man diese Bibliotheken auch in andere Projekte importieren kann. Weiterhin findet man etliche Funktionen zum Ausrichten einzelner Elemente zueinander sowie eine Verwaltung für Ebenen. Farben müssen, wie in anderen DTP-Programmen auch, zunächst definiert werden, bevor man sie verwenden kann. Bis zu einem gewissen Punkt, kann auch in dem Programm selbst gemalt werden. Einfache Formen, Verläufe, Linien et cetera können hier gestaltet werden. Mit der zusätzlichen Installation von ghostscript (www.ghostscript.com) ist es sogar möglich, interaktive PDF-Dateien zu erstellen. Scribus bietet eine Fülle an Möglichkeiten für die Erstellung professioneller Druckerzeugnisse. Überall, wo Bilder, Farben, Formen und vor allen Dingen viele Texte zusammengefügt werden müssen, ist man mit dem Programm gut bedient. Für kleinere medienpädagogische Projekte ist es sicherlich zu umfangreich und zu kompliziert. Hat man jedoch fortlaufende Druckerzeugnisse, wie beispielsweise eine Schülerzeitung, wird sich auf lange Sicht, die Einarbeitung lohnen. Scribus ist in deutscher Sprach verfügbar.
Audacityaudacity.sourceforge.net(alle Betriebssysteme)
Wer Musikprojekte oder Hörspiele realisieren will, ist bei Audacity bestens aufgehoben. Die grundlegenden Funktionen lassen sich schnell und einfach lernen bzw. vermitteln. Im Gegensatz zu Scribus wird den meisten Schülerinnen und Schülern die grundlegende Konzeption einer Audiosoftware bekannt sein: Man kann damit etwas aufnehmen, bearbeiten und wieder ausgeben. Das Aufnehmen geschieht über das interne Mikrofon eins Laptops oder einer externen Audioquelle. Dabei greift das Programm auf die Treiber des betreffenden Betriebssystems zurück, Audacity kann also auf jede Audiohardware zugreifen, die korrekt installiert ist. Die meisten Rechner verfügen mittlerweile ohnehin über eingebaute Ein- und Ausgänge für Audio. Diese können natürlich auch benutzt werden. Beim Schneiden von Sounds stehen beliebig viele Spuren zur Verfügung. Ein internes Performancetestwerkzeug sagt aber genau, wie viele Spuren der jeweilige Rechner auch tatsächlich abspielen kann. Neben Audiospuren stehen auch Zeit- und Textspuren zur Verfügung. Die Zeitspuren können alle Spuren gemeinsam beschleunigen oder verlangsamen. Mit den Textspuren kann man Texte an Audiospuren koppeln. So können beispielsweise bestimmte Passagen kommentiert, Songanfänge markiert oder gar ein Liedtext eingefügt werden. Für MIDI ist Audacity nicht gedacht. Weiterhin steht eine Fülle von Audioeffekten zur Verfügung. Von einem normalen Equalizer bis hin zu Vocoder-Effekten findet hier der Audiotüftler alles, was sein Herz höher schlagen lässt. Leider lassen sich nicht alle Effekte in Echtzeit vorhören. Nach wie vor ist Audacity der Klassiker unter den Audiobearbeitungsprogrammen im Freewaresektor. Die Software ist einfach zu bedienen und birgt dennoch genug Funktionen, um auch komplexere Aufgaben damit zu bewältigen. Audacity gibt es auch auf deutsch.
Schlusswort
Natürlich gibt es noch viel mehr Freewareprogramme als die oben aufgeführten. Inzwischen ist es nicht einfach, bei dem Angebot die Übersicht zu behalten. Viele Programme sind für alle Plattformen und auf Deutsch erhältlich. Einige sind so umfangreich, dass sich ihre Verwendung außerhalb eines professionellen Umfelds kaum lohnt. Dazu gehört beispielsweise das anfangs erwähnte Programm Blender, mit dem 3DAnimationen erstellt werden können. Dieses Aufgabenfeld ist so komplex, dass man es nicht innerhalb von kurzer Zeit lernen kann – weder mit Blender, noch mit einem kommerziellen Produkt. Selbstredend gibt es auch Programme, die besonders für den Einsatz in der Schule sinnvoll sind, wie SkillCapture oder SkillSpector (video4coach.com), welche für die Analyse von Bewegungsabläufen im Sportunterricht von Nutzen sein können. Und natürlich finden sich unendlich viele Werkszeuge, um Videos für YouTubevorzubereiten oder Audio-CDs in MP3-Dateien zu verwandeln. Stellvertretend dafür soll an dieser Stelle der Free Studio Manager genannt werden (www.dvdvideosoft.com/de). Freewaresoftware kostet die Medienpädagoginnen und Medienpädagogen nichts. Sie müssen sich allerdings die Zeit nehmen, die Programme, die sie für ihre Projekte brauchen, im Internet ausfindig zu machen. Die hier vorgestellte Auswahl ist ein guter Ausgangspunkt für die praktische Medienarbeit. Sie sollte stellvertretend für all die anderen Freewareprogramme stehen, um zu zeigen, dass es heute tatsächlich nicht mehr nötig ist, Geld für Software auszugeben. Es ist alles da. Man muss es nur suchen.
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Marc Reisner
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Anika Bonitz: Loverboys ins Netz gegangen
Das Phänomen der „Loverboys“ war in den Niederlanden schon 2010 weithin bekannt. In Deutschland hingegen wird es erst nach und nach wahrgenommen. Im August 2011 wurde ein Fall in Schleswig-Holstein publik gemacht. Die tatsächliche Zahl der Opfer in Deutschland ist nicht bekannt. Presseberichten zufolge wurden im Zeitraum von 2009 bis 2010 drei Fälle zur Anzeige gebracht. Loverboys lassen bevorzugt bei jungen Mädchen eine emotionale Abhängigkeit entstehen, indem sie Liebe vortäuschen, um sie nach einiger Zeit in die Prostitution zu drängen. Soziale Netzwerke bieten den verdeckten Zuhältern eine einfache Möglichkeit, Bekanntschaften zu schließen und Vertrauen aufzubauen. Fotos und Informationen, die Rückschlüsse auf familiäre und freundschaftliche Beziehungen aber auch persönliche Interessen oder Probleme zulassen, machen den Zugang zu geeigneten Opfern sehr einfach. Bisher gibt es zwei deutschsprachige Internetseiten, die gezielt Aufklärungsarbeit leisten, vor allem jedoch persönliche Foren sind.
Die Internetseite der niederländischen Stiftung StopLoverboys bietet Betroffenen Hilfe bei der Suche nach Vermissten. Hier ermöglichen ein Forum und Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner einen Austausch und Unterstützung. Durch zahlreiche Erfahrungsberichte und aktuelle, persönliche Meldungen wird Betroffenen auf dieser Internetseite eine Plattform gegeben. Im September 2011 wurde nun in Deutschland der Verein EILOD e.V. gegründet. Dieser Verein entstand aus der Elterninitiative für Loverboy Opfer Deutschland. Die Internetseite dieser Initiative wurde in Form eines Tagebuchs gestaltet und bietet eine erste Anlaufstelle für Eltern und Opfer. Ziel der Internetseite ist, über das Thema zu informieren sowie Eltern und Opfer zu beraten. Dazu gehört die Vermittlungsarbeit zwischen Betroffenen, die sich auch hier über ein Forum austauschen können. Während die Informationen im ‚Tagebuch‘ auf das Wesentlichste reduziert sind, besteht über das Forum die Möglichkeit, zusätzliche Informationen über Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Anlaufstellen zu erhalten. Neben dem Onlineforum wird eine persönliche Kontaktaufnahme angeboten, über die gegebenenfalls professionelle Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner vermittelt werden. In Düsseldorf finden inzwischen monatliche Treffen statt. Die Inhalte der Seite ermutigen Betroffene, sich zu öffnen. Dazu wenden sich die Initiatorinnen und Initiatoren einfühlsam an die Opfer und klären auch Angehörige über deren Probleme auf. Die Auflistung möglicher Anzeichen, die bei Opfern dieser Form der Prostitution häufig beobachtet werden, bietet eine unverbindliche Orientierung. Die niederländische Internetseite www.stoploverboys.nu und die deutsche Seite www.eilod.de bieten ein niedrigschwelliges Hilfsangebot für viele, die es nie zu einer Anzeige kommen lassen. Beide Internetseiten sind auf Initiative persönlich Betroffener hin entstanden. Die beste Prävention im Internet ist die Stärkung Jugendlicher, indem ihnen das Bewusstsein über Risiken vermittelt wird. Sie sollen sich die Fähigkeit aneignen, souverän im Internet zu kommunizieren und sich angemessen zu präsentieren. Kenntnisse über mögliche Alarmsignale, Handlungsmöglichkeiten und Hilfsangebote bei eigenen Problemen aber auch im Verdachtsfall können steigenden Fallzahlen entgegenwirken.
Linktipps
www.chatten-ohne-risiko.netwww.klicksafe.dewww.schau-hin.info
Initiativen für Loverboy-Opfer und Betroffene
www.eilod.de/index.htmlwww.stoploverboys.nu
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Anika Bonitz
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Anika Bonitz: The Help
The Help erzählt die Geschichte von Eugenia ‚Skeeter‘ Phelan, die es sich in den Kopf setzt, die afroamerikanischen Dienstmädchen in den USA zu interviewen und ihre Unterdrückung damit öffentlich zu machen. Sie kündigt damit nicht nur ihre Freundschaften aus Kindertagen auf, sondern erntet auch auf Seiten der Hausmädchen Skepsis. Jackson, Mississippi Anfang der 60er Jahre: Die Frauen der Oberschicht tragen bunte Haarbänder und Perückenfrisuren, sie haben das Sagen im Haus und dienen der Dekoration an der Seite ihrer Männer. Sie verbringen ihren Tag mit Kartenspielen, Klatsch und Tratsch und der Organisation des Haushalts, zu der ihnen das persönliche Hausmädchen den Tee reicht.
Change begins with a whisper
In diese Welt kehrt Skeeter (Emma Stone) nach ihrem Abschluss an der Ole Miss University zurück, unverheiratet, idealistisch und unkonventionell. Während ihre Mutter, gespielt von Allison Janney, nichts anderes im Kopf hat, als ihre Tochter hübsch zu kleiden und zu frisieren, um sie endlich unter die Haube zu bringen, träumt Skeeter davon, Journalistin oder Schriftstellerin zu werden. Sie gehört zu den Menschen, die um die Anerkennung ihrer Überzeugungen kämpfen, frei heraus, den Konventionen der spießbürgerlichen Oberschicht will sie sich nicht anpassen. Damit wird sie schnell zu einer unabhängigen Außenseiterin. Doch voll gesunder Naivität spricht Skeeter ohne eine gute, vorweisbare Referenz bei einer Zeitung vor. Gleichzeitig erfährt sie vom mysteriösen Verschwinden des Hausmädchens der Familie. Dies ist ein Schicksalsschlag für Skeeter, die liebevoll von ihr großgezogen wurde. Das Erlebnis bewegt sie dazu, afroamerikanische Dienstmädchen über ihre erniedrigende Lebenssituation zu interviewen.
Dafür erntet sie keineswegs Anerkennung. „Wenn ich mitmache, kann ich mein Haus auch gleich selber anzünden“, klärt Aibileen (Viola Davis), eines der Hausmädchen, sie auf. Sie ist selber vom Leben hart gelehrt worden. Doch gewissenhaft und liebevoll zieht auch sie die kleinen Kinder der ‚erwachsenen Kinder‘ groß und sie brät die besten Hühnchen für die Herrschaft. Hier existieren zwei Welten nebeneinander, zwischen denen Skeeter steht. Die schicken und hysterischen Püppchen auf der einen Seite und die rechtlosen und doch lebensbejahenden, schwarzen Dienstmädchen auf der anderen Seite. Sie zollen den Hausherrinnen trotz allem stummen Gehorsam. Hilly Holbrook (Bryce Dallas Howard) hat das Sagen in der eingeschworenen Frauenclique des Ortes. Sie ist wie Skeeter ein Mensch, der unerschütterlich in seinen Überzeugungen ist. Sie versteht es andere mitzureißen. Sie hat jedoch nie etwas anderes gelernt, als dass Schwarze zur dienenden, schmutzigen Klasse gehören. So wird sie zu einer vielschichtigen Gegenspielerin für Skeeter, die fürchten muss, dass ihre Arbeit an dem Buch, das die Lebenslage der Hausmädchen öffentlich macht, entdeckt wird. Die diskriminierende Denkweise von Hilly spiegelt wider, wie die gesellschaftlich anerkannten Überzeugungen in den Köpfen der Menschen funktionierten. Maßnahmen, wie das Einrichten einer gesonderten Außentoilette für die Dienstmädchen als hygienische Notwendigkeit, klingen für Hilly nicht mehr absurd Es ist undenkbar, ein ungehorsames Dienstmädchen im Haushalt zu beschäftigen, ohne dabei selber sein Gesicht in der Gemeinde zu verlieren.
Be Courageous. Share Your Story
Über den Gerechtigkeitskampf Martin Luther Kings, den Marsch auf Washington und die Freedom Riders haben uns die Geschichtsbücher unterrichtet, doch die Menschlichkeit, die darin steckt, einem Irrglauben zu folgen, der von der großen, unbekannten Gesellschaft bis in die eigene Familie hinein anerkannt ist, haben sie uns nicht erklärt. Der Film ist ein anrührender Ausgangspunkt, um über Rassendiskriminierung, amerikanische Geschichte, Freundschaft und Mut oder gesellschaftliche Denkmuster nachzudenken. Die erfolgreiche literarische Vorlage von Kathryn Stockett und das Thema selber können auch zu eigenen, mutigen Geschichten inspirieren. Es ist jedoch empfehlenswert, jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern die Umstände der damaligen Zeit schon im Vorhinein bewusst zu machen. Damit werden sie für geschichtliche Anspielungen und die Lage der Hausmädchen sensibilisiert.
Ein berührender Film zum Nachdenken und Schmunzeln
Regisseur Tate Taylor hat sich mit spürbarer Begeisterung der literarischen Vorlage Gute Geister von Kathryn Stockett angenommen. Dafür musste die über 400 Seiten lange Bestsellervorlage einige Kürzungen ertragen. Mit der charakterstarken Darstellung und der Liebe zum Detail geht die charmant erzählte Geschichte jedoch keineswegs verloren. Die besondere, exzentrische Eigenart der Bewohner, die Kulisse der authentischen Drehorte und nicht zuletzt auch die mit besonderer Sorgfalt hergerichteten Originalspeisen, erwecken die Geschichte auch auf der Leinwand zu einem kurzweiligen Filmerlebnis. In Deutschland wird der Film ab dem 8. Dezember 2011 in den Kinos gezeigt. Am Ende, so viel sei verraten, lässt die gewissenhafte Aibileen ihre berühmten, gebratenen Hühnchen doch anbrennen.
The Help (2011)
USA
Regie: Tate Taylor
Darsteller: Emma Stone, Viola Davis
FSK: noch nicht geprüftDreamworkswww.thehelp-film.de
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Anika Bonitz
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Sebastian Ring: Die Gamescom 2012
275 000 Menschen kamen, um sich das Spektakel anzusehen, das heuer zum dritten Mal in Köln stattfand. Genug, um den Zugang zur Messe am Samstag vorsichtshalber sperren zu lassen – sehr zum Missfallen derjenigen, die sich vor dem Messegelände drängten und nun mit kühlen Drinks abgespeist wurden, während sie ihrem Ärger bei Facebook Luft machten. Allemal zu viele waren es auch in den Messehallen, und das führte dazu, dass die Wartezeiten zum Ausprobieren der Neuigkeiten ins Endlose gedehnt wurden. Aber das sollte niemanden wirklich abschrecken. Die Gamescom lebt davon, Treffpunkt für die Gamesbranche und Gamesbegeisterte zu sein und sie bietet schlicht die Möglichkeit, wenigstens einen kurzen Blick auf Battlefield 3, FIFA12, Diablo 3, Assassin’s Creed Relevations, Deus Ex: Human Revolution oder viele andere der Neuerscheinungen zu erheischen und kennerhaft im Freundeskreis und der Welt mitteilen zu können, dass in diesem Jahr eigentlich nichts wirklich Neues dabei war: Weit und breit keine wirklich neuen genreprägenden Titel in Sicht – bevor sich an dieser Stelle Widerspruch regt: Doch, The Witcher 2 des polnischen Entwicklerstudios CD Projekt RED und From Dust des Designers Eric Chahi sind tatsächlich einen zweiten Blick wert. Neben der Software waren aber auch keine Hardwareinnovationen greifbar – nicht einmal die noch im Juni auf der weltgrößten Videospielmesse E3 präsentierte Wii U. Lediglich die Playstation Vita und überhaupt das Spielen auf mobilen Endgeräten, sowie Cloud Gaming- Dienste wie onlive, die antreten, um Konsolen und Gaming-PCs überflüssig zu machen, zeigen offensichtlichere Entwicklungslinien auf.
Alte Spiele in neuen (Verkaufs-) Schläuchen
Stattdessen setzt die Industrie auf die Ausbeutung etablierter Marken. Das sind zum einen bewährte AAA-Titel, wie eben beispielsweise die Reihen Call of Duty, Diablo, FIFA, Silent Hill, Anno et cetera und zum anderen aus anderen Medienbereichen bekannte Bestseller, zum Beispiel das Tanzspiel Black Eyed Peas Experience oder das MMORPG Star Wars – The Old Republic. Irgendwie bemerkenswert waren auch die runden Geburtstage von Spieleserien (z. B. 25 Jahre Zelda) oder Entwicklerstudios und Publishern (z. B. 25 Jahre ubisoft), die auf der Gamescom gefeiert wurden. Die Branche hat sich etabliert, keine Frage, aber Neuentwicklungen lassen sich eher im Bereich von Geschäftsmodellen ausmachen. Free-to-play-Modelle greifen um sich, vorwiegend im Bereich der Browser- und Social Games, aber zum Beispiel auch die Vertriebsplattform Steam bietet diese Möglichkeit mittlerweile. Für Spieleproduzenten ist diese Form des Bezahlens durchaus einträglich. Bigpoint zählt laut eigenen Angaben zum Weltmarktführer für Browsergames und setzt stark auf dieses Bezahlmodell. Für viele Spielende bietet das die Möglichkeit, Spiele kostenfrei zu spielen oder eben zu entscheiden, wie viel Geld einem ein Spiel wirklich wert ist – sofern die Kostenmodelle ausreichend transparent sind und Kaufentscheidungen autonom getroffen werden. Flexibilisierung von Kosten findet auch an anderer Stelle statt: Neben den vollen Kosten für eine als boxed product oder Download vertriebene Vollversion stehen kostenpflichtige Zusatzdownloads (DLC) oder Onlinedienste (z. B. Call of Duty Elite) bereit. Solche Modelle sind wichtig und interessant für die Gamesindustrie, die auf Wachstum abzielt und die sich auch der Konkurrenz durch Spielangebote im Niedrigpreisbereich, zum Beispiel auf Smartphones, erwehren will. Die Gamescom bietet der Branche zum Beispiel durch die Business Area und die Games Developer Conference Europe Anlässe und Räume für Kontakt und Austausch über solche Entwicklungen.
Gamescom – Jahrmarkt der Gameswelt
Für die normalen Besucherinnen und Besucher standen die Spiele und das Spektakel im Vordergrund. Auch in dieser Hinsicht wurde hier einiges geboten. Brandneue Autos wie der BMW M5 wurden präsentiert, Kamele trugen die dritte Version von Uncharted durch die Stadt zum Messestand und die ESL und die World Cyber Games fanden ihr Publikum. Einfallsreichtum war gefragt, um aufzufallen. Das galt auch für die Cosplayer, die sich zahlreich und wie jedes Jahr geschminkt und in aufwändig gestaltete Roben und Kostüme gehüllt, auf der Gamescom tummelten. Was eine so große Zahl von spielbegeisterten Menschen lockt, zieht natürlich auch die Werbetreibenden an, die an dieser Zielgruppe interessiert sind. Klar im Fokus standen natürlich die Spiele, aber auch Hardwarehersteller (z. B. für Konsolen, Mäuse etc.) präsentierten sich. Zeitschriftenverlage stellten ihre Magazine, Romane oder Comics zu Games aus. Die Bundeswehr war mit von der Partie, die Junge Union und etliche Gamer stürmten neugierig die PC-Stationen der Deutschen Post, um dort das vermeintliche Game namens E-Postbrief zu testen. Wie in den vergangenen Jahren stand aber nicht nur die Unterhaltung im Fokus. Einige Serious Games wurden der Öffentlichkeit präsentiert, beispielsweise Zappelix, das laut Herstellerangabe einzige Computerspiel, das man in der Apotheke erwerben kann und das ADHS-Kindern und ihren Eltern als wirkungsvolle Alternative zu dem nicht unumstrittenden Medikament Ritalin angeboten wird. Oder SQUIN – Smoke Quit Win!, eine Smartphoneapp, die frischgebackenen Ex-Raucherinnen und Ex-Rauchern in schwachen Momenten unter anderem mit einem Notfallbutton den rettenden Strohhalm reicht. Interessanter unter den ernsthafteren Angeboten der Gamescom erscheint da doch der gamescom campus, auf dem sich neben anderen das Jugendforum NRW, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Personalabteilungen deutscher Spieleentwickler präsentieren. Auch wenn an diesen Ständen keiner stundenlang anstehen musste, war die Nachfrage doch gut und vor allem die Einblicke in den Arbeitsmarkt und Wege dorthin von vielen jungen Spielern und Spielerinnen auch stark nachgefragt. Die deutsche Gamesbranche entwickelt sich stetig weiter. Öffentliche Förderung durch einige Bundesländer soll diesen Zukunftsmarkt und die Rolle Deutschlands im globalen Wettbewerb stärken. Deutschland ist weltweit in Sachen Games nicht gerade als Hotspot für Innovation bekannt.
Die Spiele(r) und ihr Platz in der Gesellschaft
Um das zu ändern, gilt es auch, das Bild von Computerspielen und ihren Spielerinnen und Spielern in der Öffentlichkeit differenzierter darzustellen. Zu negativ erscheint es im Allgemeinen und die klischierten Vorstellungen von Gamern als meist jungen, männlichen, pickligen, pummligen und Pizza essenden Nerds ist immer noch weit verbreitet. Eindrucksvoll belegte das ein Bericht von RTL Explosiv, der – jenseits journalistischer Professionalität und Ethik – einzelne Gamescombesucher maßlos bloßstellte und ihre Offenheit und Auskunftsfreude ausnutzte, um eben jene Klischees zu bedienen. Die Aufregung der Gamer darüber war groß und zurecht braute sich ein Sturm der Entrüstung über RTL zusammen. Dieser führte schließlich immerhin dazu, dass sich der verantwortliche Redakteur und mit ihm der Sender entschuldigen mussten.
Aufrufe zur Beschwerde über die Sendung, die über das Netz verbreitet wurden, erreichten, dass das Online-Bürgerportal der Landesmedienanstalten www.programmbeschwerde.de seine größte Beschwerdewelle erfuhr und zeitweise von den über 100.000 Anfragen überfordert war. Ein medienrechtlicher Verstoß konnte durch die zuständige Niedersächsische Landesanstalt für Rundfunk (NLM) jedoch nicht festgestellt werden. Diese Geschichte dokumentiert aber deutlich, dass sich die vielen Gamer mit ihrem schlechten Image in der Öffentlichkeit nicht abfinden möchten und sich dagegen zur Wehr setzen. Interessanter erscheint in diesem Kontext der Schritt, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinem Spartensender zdf.kultur erstmals wagte: For the win übertrug E-Sport. Was in anderen Ländern längst selbstverständlich erscheint, nämlich die Berichterstattung über E-Sport im Massenfernsehen, ist in Deutschland nach wie vor randständig entwickelt. Aus Gründen des Jugendschutzes – eine der Disziplinen, in der die E-Sportler gegeneinander antraten, war der erst ab 16 Jahren freigegebene Shooter Counter-Strike – wurde die Sendung erst spät in der Nacht ausgestrahlt. Eine breitere öffentliche Berichterstattung über Spielerkulturen, zu der unter anderen auch der E-Sport zählt, täte auch der Differenzierung der öffentlichen Debatte über Computerspiele im Allgemeinen gut.
Mehr Aufmerksamkeit für Spielkultur
Im Umfeld der Gamescom wurden noch weitere Facetten dieser kulturellen Seite des Gaming sichtbar. Zum zweiten Mal veranstaltete die Agentur 37 Grad das Platine Festival für elektronische Kunst und alternative Spielformen (www.platine-cologne.de). Besonders charmant erschien hier das Spiel Pong Invaders Reality von Tobias Othmar Herrmann (www.tmmbach.net), bei dem man auf einer Tischtennisplatte und mit Schläger und Ball bestückt gegen Space Invaders antritt. Eine weitere seiner Kreationen befand sich am Stand der Bundeszentrale für politische Bildung: Milky Boat, bei dem man ein ferngesteuertes Boot über einen kleinen Milchsee zu steuern hatte und dieses vor dem – tatsächlich ebenso physischen Untergehen nach Crash mit projizierten Seeminen – bewahren musste. Man darf sich wünschen, dass solche Formen von Spielkultur mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren und der Facettenreichtum der Gameskultur stärkere Anerkennung erfährt. Die bundesdeutsche Gesellschaft – oder zumindest Teile von ihr – haben hier noch einiges zu lernen und ein erster Schritt hierzu könnte sein, sich ein eigenes Bild zu machen und die Gamescom zu besuchen.
Als größte Gamesmesse Europas hat sich die Gamescom in den drei Jahren in Köln etabliert und ist gewachsen. Aber bei weitem nicht alle Aussteller und Gäste sind zufrieden mit den Rahmenbedingungen und den Organisationsverläufen der koelnmesse. So steht in den Sternen, ob der Tross nicht in den nächsten Jahren weiterzieht. Wie leicht das vonstatten gehen kann, zeigte der Umzug von Leipzig nach Köln. Vielleicht belebt aber auch Konkurrenz das Geschäft. Die zweitgrößte US-amerikanische Gamesmesse PAX denkt über einen möglichen Ableger in Europa nach. Für das kommende Jahr scheint aber alles auf die Stadt am Rhein hinauszulaufen. Der Termin wurde angekündigt und kann getrost in den Terminkalender eingetragen werden: Die Gamescom findet vom 15. bis 19. August 2012 statt – am ersten Tag ist der Zugang dem Fachpublikum vorbehalten. Die Game Developer Conference Europe findet ebenso wieder in Köln statt, und zwar vom 13. bis 15. August 2012.
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Sebastian Ring
Beitrag als PDF
Judith Ackerman, Kelvin Autenrieth und Sebastian Ring: Gamescamp 2011
Gut 60 jüngere (15 bis 25 Jahre) und ältere Menschen (Veranstalter) aus ganz Deutschland verließen das Gamescamp in Hagen am Sonntag mit einem anhaltenden Lächeln auf den Lippen. Sie alle hatten das Wochenende auf einem Barcamp verbracht. Barcamps1 stellen die klassische Rollenverteilung von Konferenzen auf den Kopf, indem sie ohne fertiges Programm auftreten und dieses vor Ort durch die Teilnehmenden gestalten lassen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind zugleich Referierende, wodurch ein hoher Partizipationsgrad erzielt wird. Ein Konzept, das auch von den Teilnehmenden des Gamescamps sehr wohlwollend angenommen wurde.
Themenvielfalt
Schon im Veranstaltungsvorfeld diskutierten sie im Forum gamescamp.info erste Sessionvorschläge, die am Samstagvormittag gemeinsam festgelegt wurden. Auffällig war die hohe Dichte sozialer und politischer Themen wie Jugendschutz, Gamification, pädagogischer Einsatz von Games und geschlechtstypische Nutzungsunterschiede. Hinzu kamen Workshops zu einzelnen Spielen und verschiedenen Bereichen der Spielproduktion.
Formenvielfalt
Die Form der Auseinandersetzung mit den Themen wurde durch die Community bestimmt. Es entstand eine abwechslungsreiche Mischung aus Vorträgen, Diskussionen, Frage- und Antwortsessions, Workshops und Spielpräsentationen. Für den Transfer nach außen und spätere Diskussionen wurden alle Sessions auf Etherpads dokumentiert.
Partizipation und Balancen
Das Gamescamp profitierte von den verschiedenen Backgrounds der Teilnehmenden (Schülerinnen und Schüler, Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, Informatikstudierende u. a.) und den spezifischen Wissens- und Erfahrungsressourcen der Organisatorinnen und Organisatoren, sowie der geladenen und durch das Sozialministerium NRW finanzierten Fachleute, die als ‚Joker‘ fungierten. Trotz der Heterogenität der Gruppe geriet das Gefüge zu keiner Zeit aus der Balance. Der Aufbau künstlicher und die Instrumentalisierung faktischer Hierarchien konnte vermieden werden (gegenseitiges Duzen, Gleichstellung in der Vorstellungsrunde, gleicher Zugang zu Räumen und Speisen, gemeinsames Diskutieren und Spielen). Die organisatorische Unterstützung durch die Veranstalter und auch die Finanzierung von Fahrtkosten, Unterkunft und Verpflegung für die Teilnehmenden durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) waren hierfür eine weitere, grundlegende Voraussetzung.
Vielfalt an Erfahrungen und Perspektiven
Was vom Gamescamp bleibt, muss jeder und jede für sich selbst beantworten. Viele individuelle Reaktionen lassen sich in den Blogs, Tweets (#gamescamp) und Posts der Teilnehmenden in der Facebookgruppe finden. Die Vielfalt an Perspektiven hat das Gamescamp so besonders gemacht: Selbstreflexion, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und ethische Perspektiven auf Spiele und Nutzende trafen aufeinander. Im Rückblick lehrreich und unterhaltsam zugleich. Für die Teilnehmenden „ein kleiner Urlaub, wo man so manches lernen konnte“ (Christian) und „eine der besten ‚Lehr‘-Veranstaltungen, zu denen ich je gegangen bin“ (Stephan). Das Gamescamp hat einen Raum geschaffen, in dem eine junge Community zusammenfand, Kontakte knüpfte, Positionen diskutierte, zu Ergebnissen kam und Anerkennung dafür fand.
Anmerkung
1 Mehr zu Barcamps in Gräßer, Lars (2011). NeueFormate für die Medienbildung? www.mekonet.de/t3/index.php?id=44&tx_ttnews[tt_news]=1119&tx_ttnews[backPid]=41&cHash=90ccdc2cc3e895593d9cdac5f96430ad [Zugriff: 23.09.2011]
Weitere Informationenwww.gamescamp.infowww.facebook.com/LetThereBeGa
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Kelvin Autenrieth
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Günther Anfang: Alter Wein in neuen Schläuchen
Sieht man sich die aktuelle Landschaft der Kinderlernsoftware an, so kann man feststellen, dass sich nicht viel Neues tut. Alte Programme werden in neuen Formaten wiederaufgelegt und Bewährtes zum wiederholten Mal vermarktet. So gibt es für die Vierjährigen den PC-Klassiker Oskar der Ballonfahrer, der zum ersten Mal als PC-Spiel vor über zehn Jahren erschienen ist, nun auf Nintendo DS in der Ausgabe Tierische Abenteuer. Das Spiel ist immer noch hervorragend und macht Kindern sicher viel Spaß, auch wenn das kleine Display des Nintendo DS den Vierjährigen sicher ein bisschen Fingerfertigkeit abverlangt. Trotzdem enthält die Neuausgabe zehn spannende Spiele mit drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Und Oskar muss natürlich viele Aufgaben lösen, wie zum Beispiel Kokosnüsse sammeln, Muscheln sortieren und eine Hütte bauen, die Kinder anregen, sich intensiv mit dem Spiel zu beschäftigen. Darüber hinaus gibt es interessante Informationen über die verschiedenen Tiere auf der Insel und viele knifflige und spannende Spiele.
Ebenfalls für die gleiche Zielgruppe erschien im letzten Jahr Lernerfolg Vorschule – Capt‘n Sharky. Dieses didaktisch und grafisch gut gestaltete Spiel ist ebenfalls von seiner Konzeption nicht neu. In vielen kleinen Übungen erlernen die Spielenden den Umgang mit Buchstaben und Zahlen, trainieren ihr Gedächtnis, üben den Umgang mit Geld und müssen kleine Logikspiele lösen. Als Belohnung für ein erfolgreiches Lernen werden immer mehr Level eines Bonusspiels freigeschaltet. Kinder lernen dabei die ersten Buchstaben und Zahlen kennen sowie erste Vokabeln in Englisch. Erinnerungsvermögen und logisches Denken werden trainiert. Wortgruppen und einfache Zahlenreihen können spielerisch erlernt werden. Diese Art der Lernsoftware gibt es schon seit einigen Jahren für PCs, in der Version für Nintendo DS kann es nun aber immer und überall gespielt werden und ist mobil dabei. Die Frage bleibt allerdings, ob sich Kinder immer und überall mit Lernspielen beschäftigen wollen.
Auch die bei Terzio erschiene JanoschVorschulbox zielt in die gleiche Richtung. Sie erschien bereits 2007 und setzt ebenfalls darauf, Kinder möglichst frühzeitig mit Rechnen, Schreiben und Lesen zu konfrontieren. Interessant bei diesem Spiel ist die langsame und behutsame Vorgehensweise. Alle Anweisungen werden betulich vorgelesen und erfordern vom Kind viel Geduld, bis es spielen kann. Denn solange vorgelesen wird, kann man nichts tun. Hier fragt man sich, ob Kinder derartige Spiele nicht viel intuitiver angehen. Sie wollen klicken und dann sehen, was passiert. Und natürlich viele lustige Geschichten mit dem Tiger und dem Bären erleben. So schön und liebevoll die Zeichnungen sind, und Janosch-Fans werden die CD schon wegen Tiger und Bär kaufen, so altbacken kommt das Spiel daher.
Neu zumindest in Bezug auf das Spielsystem ist der bei Tivola im letzten Jahr erschienene Lernerfolg GS Mathematik. Mit den Schwerpunkten Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division und Geometrie geht es durch die Lehrpläne der ersten vier Klassen. Freddy der kleine Vampir gibt dabei Tipps und korrigiert Fehler. Ursprünglich erschien das Spiel für den PC, nun jedoch wurde es für die Wii überarbeitet und kann nun auch per Wii-Fernbedienung intuitiv gesteuert werden. Allerdings bleibt die Steuerung bei weiten Teilen des Programms sehr konventionell und statt mit der Maus, muss man nun mit der Wii-Fernbedienung das richtige Ergebnis anklicken. Anscheinend war Tivola von der Wii-Lösung auch nicht ganz überzeugt, weshalb sie sich entschieden haben, den gesamten Lernerfolg Grundschule nun als Lernportal im Internet anzubieten. Ich denke, das ist zumindest zukunftsweisend, denn die CD-ROM ist schon länger ein Auslaufmodell und inwieweit sich Lernprogramme auf Nintendo DS oder Wii bewähren, ist fraglich.
Zum Schluss aber noch ein sehr nettes Spiel, das zwar von der Konzeption auch nicht neu ist, aber als interaktives Bilderbuch sehr gelungen. Grundlage dieses Lernspiels zur Frühförderung am PC ist das Kinderbuch Klopf an! von Anne- Clara Tidholms. Kinder ab drei Jahren können sich hier sehr intuitiv in verschiedenen bunten Zimmern bewegen und auf Entdeckungsreise gehen. Wenn man an eine Tür klopft, kann man dahinter farbenfrohe Bilder, Geschichten, Melodien, Animationen und Spiele entdecken. Eine CD, die Kindern sichtlich Spaß macht und vollkommen frei von vielem Schnickschnack und großen Lernzielen ist.
Übersicht über die besprochenen Spiele
Ab 3 Jahren
Klopf an! Frühes Fördern am PC
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Lernspiel
System: PC
Preis in Euro: 7,95
Verlag: Terzio
Ab 4 Jahren
Oscar der Ballonfahrer – Tierische Abenteuer
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Lernspiel
System: Nintendo DS
Preis in Euro: 30,00
Verlag: Tivola
Lernerfolg Vorschule - Capt‘n Sharky
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Lernspiel
System: Nintendo DS
Preis in Euro: 28,00
Verlag: Tivola
Ab 5 Jahren
Janosch – Meine große Vorschulbox: Lesen, Schreiben, Erstes Englisch
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Lernspiel
System: PC
Preis in Euro: 12,95
Verlag: Terzio
Ab 6 Jahre
Lernerfolg GS Mathematik
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Lernspiel
System: Wii
Preis in Euro: 40,00
Verlag: Tivola
Lernerfolg Grundschule
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Lernportal
System: www.lernerfolg.de
Preis in Euro: 9,99,--/pro Monat (bei längerer Buchung billiger)
Verlag: Tivola
Beitrag aus Heft »2011/05: Vernetzung von Rechts und gegen Rechts«
Autor:
Günther Anfang
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Tilmann P. Gangloff: Unheimliche Aufklärung im Internet
Früher war die Sache einfach: Pornofilme gab’s im Pornokino oder im Sexshop, und wer noch nicht 18 war, musste draußen bleiben. Wer heutzutage konsequent verhindern will, dass sich Minderjährige pornografische Filme ansehen, muss ihnen den Computer wegnehmen. Die Angaben schwanken zwar, aber mindestens sechzig Prozent der Jugendlichen ab 13 Jahren hat schon Erfahrung mit Internetpornografie gemacht. Jungs nutzen die einschlägigen Adressen deutlich häufiger als Mädchen, allerdings meistens im Kreis Gleichaltriger. Es wäre zwar übertrieben, von einer ‚Generation Porno‘ zu sprechen, weil laut einer Bravo-Studie nur acht Prozent der männlichen Heranwachsenden regelmäßig Pornos konsumieren; aber andererseits sind das eindeutig zu viele, um die Problematik zu bagatellisieren. Oftmals sind die Jugendlichen von purer Neugier getrieben, und sicherlich spielt auch die Hoffnung auf einen gewissen Lerneffekt eine Rolle. Nicht zu unterschätzen, sagen Sozialwissenschaftler, sei auch der Imageeffekt: Wer Pornos konsumiert, gilt als cool. Während Eltern ihren Kindern den Pornokonsum schon aus rein moralischen Gründen untersagen würden, warnen Psychologen vor möglicherweise weitreichenden Folgen. Je nach psychischem und sozialem Hintergrund der jungen Nutzerinnen und Nutzer könne „die mechanische, leistungsorientierte, herabwürdigende Sexualität in Pornos einen mehr oder weniger negativen Einfluss auf die Sexualentwicklung“ haben. Umso wichtiger ist es, mit Kindern und Jugendlichen über den Umgang mit Pornografie zu reden. Die Frage ist bloß, wie. In der Pädagogik trifft das Phänomen genau in eine Schnittstelle: Sexualpädagogen haben meist wenig Kenntnisse von Medienpädagogik; und umgekehrt.
Beiden kann jedoch geholfen werden: Im Rahmen der EUInitiative klicksafe hat das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg in Kooperation mit pro familia Bayern den Baukasten Let’s talk about porno erarbeitet. Der Ansatz ist aufklärerisch, undogmatisch und wenig didaktisch; außerdem kommt das Material ohne moralische Vorbehalte aus. Die Texte lassen dennoch keinen Zweifel daran, dass man das Thema mit Jugendlichen behandeln muss: Damit das Weltbild, dass bei ihnen „hinsichtlich Sexualität und Geschlechterbeziehung entsteht, nicht von der Pornoindustrie geprägt wird.“ Das Arbeitsmaterial besteht aus vier Bausteinen. Pädagoginnen und Pädagogen müssen sich aber keineswegs mit Pornografie beschäftigen, um das Material zu nutzen; man kann ohne weiteres einzelne Projekte aus dem Zusammenhang herauslösen. In den Arbeitsaufgaben geht es zum Beispiel um die Sexualisierung von Sprache oder um Rollenklischees etwa in Rap-Songs. In anderen Projekten lernen gerade heranwachsende Mädchen, sich nicht allzu freizügig im Internet zu präsentieren oder sich gegen sexuelle ‚Anmache‘ im Internet zu wappnen. Bei jedem einzelnen Schritt wurde darauf geachtet, die Jugendlichen immer mit einzubeziehen, ohne dass sie intime Details preisgeben müssen.Nicht nur aus juristischen Gründen ist der Gegenstand des Baukastens pikant, schließlich sind pornografische Darbietungen nicht jugendfrei. Zwölfjährigen wiederum ist Sexualität tendenziell eher peinlich; konfrontiert werden sie trotzdem damit. Wie klug das Material konzipiert ist, zeigen schon allein die ausführlichen Vorbemerkungen, in denen den pädagogischen Fachkräften unter anderem geraten wird, sich mit Hilfe einer Selbsterkundung erst mal über die eigene Einstellung zum Thema klar zu werden. Ganz zu schweigen von der unvermeidbaren Recherche: Wer über Pornografie im Internet sprechen will, kommt nicht umhin, die entsprechenden Websites aufzusuchen. Außerdem gibt es ebenso plausible wie praktische Tipps für die Arbeit etwa im Unterricht.Mit den Arbeitsmaterialien Let’s talk about porno für Schule und Jugendarbeit können Pädagoginnen und Pädagogen das Thema Pornografie behandeln. Die 134 Seiten umfassende Broschüre kann unter www.klicksafe.de abgerufen werden. Für 3 € Schutzgebühr wird sie auch zugesandt. Das Material enthält vier Bausteine, jeweils mit mehreren Projekten. Dabei geht es etwa um Pubertät, Schönheitsideale, Castingshows, sexualisierte Kommunikation und konkret um Pornografie. Jedes Kapitel enthält nicht nur ausführliche Sachinformationen, sondern auch ergänzende Übersichten mit Lektüretipps und Internetadressen von Institutionen, die bei Bedarf weiterhelfen.
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Markus Fischer: Erlaubnisfreie Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke
Die medienpädagogische Arbeit baut auch auf dem Schaffen anderer auf oder nimmt Bezug auf fremde urheberrechtlich geschützte Werke. So wird zum Beispiel fremde Musik in Filmen genutzt, im Unterricht werden Filmausschnitte gezeigt und Drehbücher fußen auf vorhandenen Drehbüchern, Theaterstücken, Romanen oder Erzählungen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Einwilligungen der Urheber bzw. Rechteinhaberinnen und -inhaber für die Verwertung in der medienpädagogischen Arbeit eingeholt werden müssen, oder ob die urheberrechtlich geschützten Werke ohne Erlaubnis der Berechtigten in die medienpädagogische Arbeit einfließen können. Nachfolgend wird dargestellt, unter welchen Voraussetzungen urheberrechtlich geschützte Werke ohne Erlaubnis der Berechtigten von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen wiedergegeben werden können. Urheberrechtlich geschützte Werke sind persönliche geistige Schöpfungen1, wie zum Beispiel Drehbücher, Romane, Erzählungen, Filme und Musikstücke. Auch Teile solcher Werke sind geschützt, sofern sie die Gestaltungshöhe einer persönlichen geistigen Schöpfung beinhalten. Die Wiedergabe dieser Werke kann innerhalb der medienpädagogischen Arbeit beispielsweise durch Vorträge (z. B. Lesen von Texten), Aufführungen (z. B. Spielen eines Theaterstücks oder Singen von Liedern), Vorführungen (z. B. Aufführung von Filmen), Zugänglichmachung (z. B. Bereitstellen von Filmen im Internet) und Sendungen (z. B. Stadtradio) erfolgen. Die Werke können erlaubnisfrei wiedergegeben werden, wenn die Wiedergabe gemeinfreie Werke beinhaltet, nicht öffentlich geschieht, die urheberrechtlich geschützten Elemente frei benutzt werden oder die medienpädagogische Arbeit sich innerhalb der Urheberrechtsschranken hält. Zudem können aus urheberrechtlich geschützten Werken erlaubnisfrei Elemente genutzt werden, die nicht die Anforderungen der persönlichen geistigen Schöpfung erfüllen.
Gemeinfreies Werk
Unter gemeinfreien Werken werden amtliche Werke und Werke, deren Schutzdauer abgelaufen ist, verstanden.3 Darunter fallen Gesetze, Verordnungen, amtliche Bekanntmachungen und Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen. Diese amtlichen Werke genießen keinen Urheberrechtsschutz. Innerhalb der medienpädagogischen Arbeit ist also eine Auseinandersetzung mit diesen Werken erlaubnisfrei möglich. Siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt das Urheberrecht.5 Goethes Texte können folglich erlaubnisfrei wiedergegeben werden. Bei Filmwerken ist die Dauer des Urheberrechtsschutzes schwieriger festzustellen. Hier erlischt das Urheberrecht siebzig Jahre nach dem Tod des Längstlebenden aus folgendem Personenkreis: Hauptregisseur, Urheber des Drehbuchs, Urheber der Dialoge und Komponist der Filmmusik.
Nichtöffentliche Nutzung
Die nichtöffentliche Wiedergabe fremder Werke ist erlaubt. Nichtöffentlich ist die Wiedergabe, wenn die Personen, die das Werk wiedergeben und aufnehmen, durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind. Ob eine Verbindung durch persönliche Beziehungen besteht, muss jeweils für den Einzelfall entschieden werden. Als Entscheidungskriterien sind dabei die Anzahl der das Werk aufnehmenden Personen und die Art der Beziehungen untereinander heranzuziehen. So werden zum Beispiel Wiedergaben urheberrechtlich geschützter Werke in Hochschulseminaren, in Projektgruppen und in Schulklassen als nicht öffentlich angesehen.
Freie Benutzung
Nach der Rechtsprechung liegt eine freie Benutzung eines Werkes vor, wenn das neue Werk zu dem benutzten älteren Werk einen so großen inneren Abstand hält, dass die übernommenen Züge des älteren Werkes in dem neuen Werk verblassen und somit das neue Werk als selbständig anzusehen ist. Bei einer Parodie bzw. Karikatur kann aufgrund des Schaffens einer neuen Aussage eine freie Benutzung vorliegen, obwohl urheberrechtlich geschützte Elemente fast unverändert übernommen werden. Für die medienpädagogische Arbeit bedeutet dies, dass beispielsweise eine filmische Parodie über eine Seifenoper erlaubnisfrei öffentlich aufgeführt werden kann, obwohl urheberrechtlich geschützte Elemente der Soap, zum Beispiel einzelne Figuren, übernommen werden. Voraussetzung ist, dass die übernommenen Elemente in der Parodie verblassen. Das ist einzelfallartig zu beurteilen. Eine freie Benutzung liegt nicht vor bei der erkennbaren Entnahme einer Melodie aus einem Werk der Musik.
Nutzung innerhalb der Urheberrechtsschranken
Aufgrund von Interessen der Allgemeinheit werden die urheberrechtlichen Befugnisse in bestimmten Fällen durch das Urheberrechtsgesetz eingeschränkt. Unter den Voraussetzungen des Zitatrechts können urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen der medienpädagogischen Arbeit wiedergegeben werden. So dürfen beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen Filmausschnitte zu Unterrichtszwecken gezeigt werden. Für dieses Beispiel bedeutet das, dass die Unterrichtsvermittlung für sich ein Werk darstellt, dass der Unterricht sich mit dem Filmausschnitt auseinandersetzt und der Filmausschnitt nur einen für die Auseinandersetzung angemessenen Umfang hat, was bei Filmausschnitten von wenigen Minuten grundsätzlich zu bejahen ist. Zudem ist in der Regel eine Quellenangabe vorzunehmen. Unter den Voraussetzungen der öffentlichen Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung können beispielsweise im Rahmen des Hochschulunterrichts für die Studierenden erlaubnisfrei Filmausschnitte zum Download bereit gestellt werden.19 Hierfür ist eine angemessene Vergütung zu bezahlen, die durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann. Die öffentliche Zugänglichmachung eines Filmwerkes ist vor Ablauf von zwei Jahren nach Beginn der üblichen regulären Auswertung in Filmtheatern nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig.
Anmerkungen
1 vgl. 2 Abs. 2 UrhG.2 vgl. Fischer, Urheberrechtsschutz im Arbeitsverhältnis in merz 02/2011.3 zur freien Musik im Internet vgl. Broschüre: LAG Lokale Medienarbeit NRW e. V. (Herausgeber), Freie Musik im Internet Schriften zur lokalen Medienarbeit 9, 2. Aufl. 2010.4 Vgl. § 5 UrhG.5 Vgl. § 64 UrhG.6 Vgl. § 65 Abs. 2 UrhG.7 Vgl. § 15 Abs. 3 UrhG.8 Vgl. v. Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 15 Rn. 75.9 Vgl. v. Ungern-Sternberg aaO, § 15 Rn. 83, 84.10 Vgl. § 24 UrhG.11 Vgl. BGH ZUM 1993, S. 537 (546).12 Vgl. Raue in Münchener Anwaltshandbuch Urheber- und Medienrecht 2011, § 1 Rn. 144.13 Vgl. § 24 Abs. 2 UrhG.14 Vgl. §§ 44a-63a UrhG.15 Vgl. § 51 Nr. 2 UrhG.16 Vgl. Jäger, Rechtliche Problemfelder bei der Vorführung von Filmausschnitten im Hochschulunterricht und deren Bereitstellung im Internet zum Download, herausgegeben von der Universität Passau, Forschungsstelle für Rechtsfragen der Hochschul- und Verwaltungsmodernisierung am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Sicherheitsrecht und Internetrecht, Prof. Dr. Heckmann, Stand: 2005, S. 4f.17 Vgl. § 63 UrhG.18 Vgl. § 52a UrhG.19 Vgl. Jäger, aaO, S. 5-9.20 Vgl. § 52a Abs. 4 UrhG.21 Vgl. § 52a Abs. 2 S. 2 UrhG.
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Markus Fischer
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Kati Struckmeyer: Apps für Kinder
Sommerzeit – Urlaubszeit – Zeit zum Kofferpacken … Wer mit Kindern in den Urlaub fährt, steht jetzt vor der Frage: Wie viele Bücher und Spiele müssen in den Umfang und das Gewicht des Koffers mit eingeplant werden? Nicht nur für diese Familien sind Apps für Smartphones oder iPads eine willkommene Alternative oder Ergänzung. Auch für medienpädagogisch Tätige lohnt sich ein Blick in die sich rasch entwickelnde Welt des Edutainments für die Kleinen. Es gibt mittlerweile eine Menge lehrreicher, unterhaltsamer und auch ansprechend gestalteter Apps für Kinder. Man muss nicht pädagogisch tätig sein, um in Praxistests mit Kindern herauszufinden, dass die meisten Apps so intuitiv gestaltet sind, dass bereits Zweijährige sich mühelos damit beschäftigen können, ohne dabei große Unterstützung zu benötigen. Hier werden nun einige Apps vorgestellt, die im App Store Dschungel Orientierung geben sollen, wenn es um Angebote geht, die Kindern nicht nur Inhalte vermitteln, sondern dabei auch noch ansprechend und unterhaltsam gestaltet sind. Außerdem sind die vorgestellten Apps so strukturiert, dass immer wieder Zwischenergebnisse erreicht werden, an denen das Spiel der Kinder gut beendet werden kann. Im Gegensatz dazu gibt es auch Apps, die darauf angelegt sind, immer weiter zu spielen, und die Ansage „Jetzt ist Schluss!“ viel schwieriger zu argumentieren ist.
Conni und die Zahlen/Conni und die Buchstaben
Conni ist vielen Familien schon bekannt durch ihre Abenteuer, die vom Carlsen Verlag verlegt werden. Ob beim Zelten, beim Umzug oder auf dem Reiterhof, Conni hat immer etwas zu erzählen, das der Lebenswelt von Vor- und Grundschulkindern entspricht. Außerdem kann man mit Conni eine Menge lernen – zum Beispiel auch Zahlen und Buchstaben. Im Zahlen App haben Kinder im Vor- und Grundschulalter die Möglichkeit, sich auf verschiedenen Wegen mit den Zahlen von eins bis zehn zu beschäftigen. Beim Lernspiel Zahlen von 1 bis 10 lernen legt zum Beispiel ein Huhn jedes Mal ein Ei und gackert, wenn die Kinder es berühren. Wenn die Anzahl der gelegten Eier stimmt, schlüpft aus dem letzten Ei eine Überraschung. Dieses Spiel ist besonders für Kindergartenkinder geeignet, die die Welt der Zahlen zu entdecken beginnen. Bei den Rechenspielen werden Grundschulkinder für richtige Lösungen mit Sternen belohnt. Ab einer bestimmten Anzahl Sterne gibt es dann eine kleine Conni-Geschichte zur Belohnung. Ähnlich ist das Conni Buchstaben App aufgebaut. Zum einen kann man das ABC samt richtiger Aussprache und Reihenfolge lernen. Darüber hinaus geht es aber auch um die phonologische Bewusstheit – welches Wort fängt mit welchem Anfangsbuchstaben an? Die richtigen Antworten werden in fünf Conni-Bilderalben gesammelt. Wie viele richtige Antworten man hat, wird mit magisch wachsenden Wollfäden gezeigt, so dass die Kinder ihren Lernerfolg auch überprüfen können.
Tom und seine Freunde
Tom ist eine vielen bereits bekannte Figur aus dem SWR Kindernetz. Gesprochen von Dirk Bach, überzeugt Tom sowohl durch einfache und liebevolle Grafiken als auch durch originelle Geschichten mit witzigen Wendungen. Denn das Besondere ist, dass man Toms Abenteuer im App Tom und seine Freunde selbst steuern kann. Nach jedem Handlungsstrang hat man drei Möglichkeiten, wie die Geschichte weitergeht – Ziel ist es, Tom gegen seinen knurrenden Magen ein Erdbeermarmeladenbrot mit Honig zu verschaffen. Dabei kann man skurrile Wendungen erleben, die nicht nur Kindern Spaß machen. Nach circa 20 Minuten hat man die Geschichte spätestens durchgespielt, wobei die Verlockung natürlich groß ist, gleich noch einmal zu beginnen und dieses Mal andere Wege auszuprobieren.
MyPuzzle Ritter Rost/ MyPuzzle Fritz und Fertig
„Potz Wellenblech und Stacheldraht!“, hier werden Ritter Rost und seine Freunde in Einzelteilen verlegt. Mit diesem Puzzle, das man in verschiedenen Schwierigkeitsgraden spielen kann, bietet der terzio Verlag eine Ergänzung zu seinen erfolgreichen Produktlinien Ritter Rost und der Schachlernsoftware Fritz und Fertig an. Dabei gibt es tolle Extras – zum einen können sich Puzzleanfänger verschiedene Hilfen einblenden lassen, um schneller zum Erfolg zu kommen. Zum anderen kann man die fertigen Bilder natürlich auf dem Smartphone oder iPad speichern und sogar per E-Mail verschicken. Kinder ab vier Jahren können dabei sogar zwischen Englisch und Deutsch als Sprachen wechseln. Bei diesem App ist zu beachten, dass die einfachen Puzzles mit wenigen Teilen kostenlos im App Store herunter zu laden sind. Sobald man die Schwierigkeitsstufe erhöhen will, muss man die kostenpflichtigen Apps dazu kaufen. Das sich permanent erweiternde Feld der Apps für Kinder ist auf jeden Fall weiter im Auge zu behalten. Ihr medienpädagogischer Nutzen ist in keinem Fall abzustreiten, dennoch birgt auch dieses Angebot Gefahren und Risiken. Zum einen ist es wie mit anderen digitalen Lernangeboten auch – Kinder profitieren in erster Linie davon, wenn diese Angebote gemeinsam mit den Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen genutzt werden. Erst durch die Gespräche darüber werden die Inhalte vertieft und eventuell auftauchende Schwierigkeiten und Fragen gelöst und beantwortet. Deshalb sollten auch die wert- und gehaltvollsten App-Angebote nicht als Babysitter eingesetzt, sondern im familiären Kontext genutzt werden. Nur dann haben die Eltern auch im Blick, wie das Kind sich das Angebot aneignet und wie viel Zeit es in die Nutzung investiert. Hier gilt es, Eltern zu informieren – nicht nur über die Potenziale, sondern auch über die Nachteile digitaler Lernangebote bzw. über eine sinnvolle Nutzung, von der Kinder profitieren, statt nur damit ruhiggestellt zu werden. Ein weiteres Risiko ist die selbstständige Nutzung des App Stores durch Kinder. Da dieser viele Verlockungen bereithält und man mit zwei Klicks schnell etwas gekauft hat, sollten Kinder im Grundschulalter nur mit Begleitung der Eltern dort unterwegs sein. Für Vorschulkinder eignet sich der selbständige Einkauf noch gar nicht. Für Grundschulkinder gehört es natürlich dazu, mit dem eigenen Taschengeld zu haushalten. Doch um in keine Kostenfalle zu geraten und nicht auf für Kinder ungeeignete Inhalte (Pornografie, Gewalt etc.) zu stoßen, empfiehlt sich die Begleitung durch die Eltern auf jeden Fall.
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Verschläge, Erdlöcher, Kleiderschränke
Sie liegen in Scheunen, auf Dachböden, in Verschlägen über dem Stall oder unter der Treppe oder in Bunkern. Manchmal auf Dörfern, manchmal mitten in der Stadt. Manchmal haben sie einen Decknamen und können sich im ganzen Dorf bewegen, weil alle dicht halten, manchmal dürfen sie aber auch nur nachts aus ihrem Verschlag spitzen, damit niemand Verdacht schöpft. Bisweilen sind sie in netten Familien, die sich liebevoll kümmern, bisweilen bei geldgierigen Menschen, die sie wie Sklaven behandeln, hungern lassen und vielleicht sogar ausliefern. Manchmal sind sie alleine, manchmal mit ihren Familien zusammen ... Die Rede ist hier nicht von Spionen oder Gangstern – sondern von Kindern und Jugendlichen, die alle das gleich Schicksal teilen: Sie gerieten während des zweiten Weltkrieges ins Visier der Nazis und mussten sich versteckt halten. Versteckt wie ihre berühmteste Leidensgenossin, Anne Frank.
23 Geschichten von jüdischen Mädchen und Jungen, die während des zweiten Weltkrieges in den Niederlanden untertauchten, um dem sicheren Tod zu entkommen, haben Marcel Prins und Peter Henk Steenhuis gesammelt, haben mit den Menschen gesprochen und ihre Lebenswege aufgezeichnet und alles in dem Buch Andere Achterhuizen. verhalen van Joodse onderduikers gesammelt und veröffentlicht. Daraus entstand später die gleichnamige, niederländische Homepage und seit Kurzem gibt es die bewegenden Geschichten auch auf Deutsch, Dank der Übersetzung von Sybille Krumpl und einer Förderung durch die Botschaft des Königreichs der Niederlande und das Anne Frank Zentrum in Berlin: I>www.verstecktwieannefrank.de. Die Seite kommt schlicht daher: Eine schwarze Linie kennzeichnet die geografischen Umrisse der Niederlande, darin sind einige Punkte verstreut, darüber nur drei Links: „Inhaltsverzeichnis“, „Das Buch“ und „Über diese Seite“. Fährt man mit der Maus über die Karte, werden die Punkte bunt, gestrichelte Linien dazwischen erscheinen und kleine Strichzeichnungen tauchen neben den Punkten auf. Sie markieren wichtige Stationen im Leben der 23 vorgestellten Personen. Per Klick gerät man dann jeweils zu den Lebensgeschichten: Die sind in Form von Gedächtnisprotokollen mit vielen Zitaten und einigen Erklärungen dazwischen aufgeschrieben und werden von Fotos der zitierten Personen veranschaulicht. Einige zentrale Erlebnisse oder Momente jeder Geschichte werden audiovisuell präsentiert: als kleine Animationsfilme, die auf Strichzeichnungen basieren. Zu den schlichten bewegten Bildern werden die Geschichten vorgelesen – im niederländischen Original von den tatsächlichen Zeitzeugen, in der deutschen Version von Synchronsprechern. Das ist alles nicht sehr spektakulär, es gibt keine Effekte, keine aufwändigen Filme, keine auf die Tränendrüse drückende Musik und keine Mitleid heischenden Texte. Stattdessen aufs Wesentliche reduzierte Strichzeichnungen und unaufgeregt vorgelesene Gedächtnisprotokolle. Dennoch, oder aber gerade deshalb, sind die Geschichten authentisch und berührend. Die ehrlichen kleinen Geschichten sind so persönlich erzählt, dass man sich tatsächlich auf den Teppich vor einen Schaukelstuhl versetzt fühlt und andächtig lauscht, die auf das Wichtigste beschränkten Zeichnungen, die auf alle stören-den Elemente verzichten, bisweilen nur mit Umrissen und Andeutungen arbeiten, lassen genügend Raum, sich selbst in die Situationen zu versetzen – und zeichnen dennoch, gerade in ihrer klaren, unbeschönigenden schwarz-weiß Optik die Drastik der Situationen.
So entführt die Seite auf sehr nüchterne und sachliche Art und doch sehr ergreifend und aufwühlend in eine Zeit und ein Leben, das heute – zum Glück – für viele unvorstellbar ist. In geheime Kammern, in denen man mit angehaltenem Atem sitzen und hoffen muss. Auf dunkle Straßen, durch die man sich mit allem Hab und Gut unterm Arm schleichen muss. In ungewisse Stunden, die man zwischen Hoffen und Bangen ertragen muss. Das nimmt mit und führt die schrecklichen Ereignisse des zweiten Weltkrieges mit ganz neuer, da sehr persönlicher und sehr authentischer Heftigkeit vor Augen, ohne vordergründig moralisierend oder erzieherisch sein zu wollen. Es gibt aber auch viel Grund zum Lächeln und Aufatmen, weil es zugleich die andere Seite zeigt: Die vielen Menschen, die sich nicht vereinnahmen ließen von Ideologien, sondern sich widersetzten und auf ihre je eigene Art gegen das Regime kämpften, indem sie Kinder und Familien aufnahmen, ihnen zur Flucht verhalfen oder sich Untergrundbewegungen anschlossen. So ist die Seite durch ihre behutsame Aufmachung schon für jüngere Kinder – hier natürlich in Begleitung eines Erwachsenen, denn die Inhalte bleiben schwer verdaulich –, aber auch für alle anderen Altersgruppen ein wahres Juwel, mit dem man sich diesem oft überstrapazierten Thema auf erfrischend besonnene Art und doch ganz intensiv nähern kann. Wer bereits gut informiert ist, wird hier eine ganz neue Facette des Themas entdecken können, wer erst beginnt, sich damit auseinander zu setzen, kann die Seite dank vieler Links in den Texten auch gut als Startpunkt nutzen. Zwar führen auch die Links natürlich auf niederländische Seiten (in englischer Sprache), bieten aber trotzdem viel Interessantes. Die übersichtliche Aufbereitung hilft zudem, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und macht es einfach, sich ganz intuitiv zurecht zu finden. Hier können nicht nur Erwachsene sondern auch Kinder und Jugendliche, Projektgruppen und Schulklassen eintauchen in eine spannende Welt voller berührender Geschichten – aus der man gar nicht so leicht wieder auftaucht.
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Michael Gurt: Alles echt? Reality TV ohne Ende
Reality TV gibt es im deutschen Fernsehen schon relativ lange. Als Vorläufer gilt die Sendung Aktenzeichen XY im ZDF, die 1968 das erste Mal auf Sendung ging. Mit Hilfe des Publikums sollten Straftaten im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung aufgeklärt werden. Dazu wurden in jeder Sendung drei bis fünf ungelöste Kriminalfälle in Form von filmischen Rekonstruktionen vorgestellt. Im Anschluss wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer aufgefordert, durch Hinweise zur Aufklärung der Kriminalfälle beizutragen. In dieser Tradition steht auch die Sendung Notruf (RTL) mit Moderator Hans Meiser, in der tatsächliche Ereignisse – meist Katastrophen, Unfälle oder Verbrechen – nachgestellt oder durch Videoaufnahmen (z. B. Überwachungskameras) dokumentiert wurden. Meist wurde der Verlauf der Unfälle mit den Beteiligten an Originalschauplätzen nachgedreht. Off-Kommentare und Kurz-Statements der Unfallbeteiligten, des Rettungspersonals und der Ärzte begleiten und strukturieren dabei die filmischen Sequenzen. Durch die mitunter drastische Darstellung der Gefühle und schmerzhaften Verletzungen der Beteiligten sollte das Publikum auf einer emotional mitreißenden Art und Weise angesprochen werden. Dazu wurden die filmischen Sequenzen häufig mit Musik unterlegt, des Weiteren wurden Zeitlupe und ähnliche Elemente eingesetzt. Für manche Eltern war Notruf eine Art Aufklärungsunterricht, um Kindern und Jugendlichen die Gefahren des Alltags nahe zu bringen: Ich sag’ ‚guck dir das an’, dass er mit keinem mitgehen soll … oder die Tür nicht öffnen darf, wenn er alleine ist“ (Theunert 1996, S. 25), begründete eine Mutter, warum sie gemeinsam mit ihrem Sohn die Sendung Notruf anschaut. In den folgenden Jahren wurden weitere narrative Reality TV-Angebote entwickelt, unter anderen Nur die Liebe zählt (Sat.1) oder Verzeih mir (RTL).
Statt lebensbedrohlicher Situationen oder Verbrechen standen hier romantische Gefühle, Liebeserklärungen und Versöhnung von zerstrittenen Partnern im Mittelpunkt. Gemeinsam war all diesen Sendungen ein hoher Grad von Emotionalisierung. Andere Varianten des „Affektfernsehens“ (Klaus/Lücke 2003, S. 197) waren Suchsendungen oder Konfrontations-Talkshows (Der heisse Stuhl (RTL)). Mit Big Brother (RTL II) startete dann im Jahr 1999 der Prototyp des sogenannten „performativen Reality TV“ (ebd., S. 199). Hier wird die Sendung zur „Bühne einer nicht-alltäglichen Inszenierung, die jedoch direkt auf die Lebenswirklichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten eingreift“ (ebd.). An Big Brother entzündete sich besonders heftig die Diskussion über Formen und Grenzen dieser neuartigen Fernsehformate. Vor allem die Frage, ob die Zurschaustellung von Privatpersonen in ihrer Privat- bzw. Intimsphäre legitim ist, selbst wenn es mit Zustimmung der beteiligten Personen geschieht. Die öffentliche Erregung verschaffte dem Format enorme Aufmerksamkeit und machte auch vor dem jüngeren Publikum nicht halt. So war zu Beginn die Neugier auch bei (älteren) Kindern und Jugendlichen groß. Laura (16 Jahre) brachte diese Faszination auf den Punkt: „Es ist authentischer als die meisten Daily-Soaps. Da ist alles sehr authentisch, wahr gelebt.“ (FLIMMO-Kinderbefragung 1/2001) Aktuelle Einschaltquoten zeigen, dass die mittlerweile elfte Staffel von Big Brother bei Kindern und Jugendlichen kaum noch eine Rolle spielt. Dagegen sind Castingshows wie Deutschland sucht den Superstar (RTL) bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor populär. Die Sendung hat in Deutschland einen wahren Castingshow-Boom ausgelöst. Ein Grund für die Popularität der Sendung dürften auch die verbalen Einlassungen des Jury-Chefs Dieter Bohlen sein. Die Beschimpfung wenig talentierter Bewerber wurde zum Markenzeichen der Sendung und führte bereits mehrfach zur Beanstandung durch die KJM. „Die hämische Inszenierung der Auftritte untalentierter Kandidaten und die herabwürdigenden Kommentare der Jury stellen Menschen bloß und können zusehende Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigen“, so die KJM anlässlich der Einleitung eines Ordnungswidrigkeits-Verfahrens im Jahr 2008. Überhaupt spielt der kalkulierte Tabubruch im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Programsegment eine wichtige Rolle: „Die öffentliche Sensibilität um Skandale im Reality TV, die sich zuletzt vor dem Start des Formats Erwachsen auf Probe gezeigt hat, droht zum kalkulierten, ja strategisch geplanten Kommunikationsereignis im Interesse des ausstrahlenden Senders zu werden, wenn sie sich auf folgenlose, öffentliche Empörung beschränkt.“ (Lünenborg et al. 2011, S. 12) Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde eine Vielzahl von Programmformaten des Reality TV entwickelt, mit sehr unterschiedlichem Erfolg.Während manche Sendungen nach schlechten Quoten schnell wieder verschwunden sind (z. B. Girls Camp (Sat.1) und The Big Boss (RTL)) wurden andere zu echten Dauerbrennern (Frauentausch (RTL II)). Die aktuelle Programmlandschaft zeigt eine große Zahl von Sendungen, in denen vorgeblich Wirklichkeit abgebildet wird oder – im Sinne des performativen Reality TV – reale, nichtprominente Menschen in konflikthaften und mehr oder weniger dramatischen Settings zur Schau gestellt werden. Derzeit lassen sich vor allem drei Ausprägungen zusammenfassen:
„Help-TV“: Das Fernsehen als Retter in der Not
Auch wenn das Sendungskonzept variiert, letztendlich werden Menschen mit mehr oder weniger großen Problemen in unangenehmen, verzweifelten und ausweglosen Situationen gezeigt: egal ob Menschen mit Übergewicht (The biggest Looser (Kabel1)), mit massiven Erziehungsproblemen (Die Supernanny (RTL), Teenager außer Kontrolle (RTL)), oder mit Schwierigkeiten bei der Bewältigung des eigenen Alltags (Schluss mit Hotel Mama (Kabel 1), Das Messie-Team – Start in ein neues Leben (RTL II)). Die Dramaturgie solcher Sendungen läuft immer ähnlich ab: Zunächst wird die problematische Finanz-, Familien- oder Lebenssituation in drastischer Weise in Szene gesetzt, die dann mithilfe eines Experten oder einer Expertin bearbeitet wird. Dabei setzt die Sendung auf Stereotype und Vereinfachung, differenzierte Ursachenforschung wird kaum betrieben. Stattdessen werden die Schwächen und Probleme der Beteiligten lustvoll ausgeschlachtet: Die Qualen beim Abnehmen, die Hilflosigkeit überforderter Eltern in Konfliktsituationen mit ihren Kindern, die Unfähigkeit sogenannter Messies, sich dem Chaos in den eigenen vier Wänden zu stellen. Dabei wird die Vorstellung transportiert, dass durch eine einmalige Hilfsaktion grundlegende und nachhaltige Verbesserung für die Betroffenen herbeigeführt werden kann. Dass dies nicht der Realität entspricht, wird von Fachleuten aus den Bereichen Erziehungsberatung, Psychotherapie und Pädagogik immer wieder betont. Ein Coaching der besonderen Art wird jungen Männern in der Sendung Das Model und der Freak – Falling in Love am Nachmittag auf PRO 7 zuteil. In jeder Sendung sollen zwei schüchterne Eigenbrötler zu „ganzen Kerlen“ gemacht werden. Die Kandidaten werden zunächst als einfältige Trottel und alltagsuntaugliche Verlierer in Szene gesetzt, um dann von attraktiven und weltgewandten Models ‚beziehungstauglich‘ gemacht zu werden. Dabei soll zum Beispiel fehlendes Körpergefühl durch die Kontaktaufnahme mit einer Stripperin gefördert werden, ein neues Outfit soll Selbstvertrauen schaffen et cetera. Die „Freaks“ müssen Häme und Schadenfreude über sich ergehen lassen, um bereit zu sein für ihr neues, besseres weil ‚normales‘ Ich. Wie in allen Formaten dürften sich die Beteiligten kaum über die Konsequenzen im Klaren sein. Nämlich was es bedeutet, im Alltag als „Freak“, „Messie“ oder „Problemkind“ aus dem Fernsehen erkannt zu werden.
Alltag nach Drehbuch: Scripted Reality
Andere Sendungen zeigen einen mehr oder weniger dramatischen Alltag nach Drehbuch. „Scripted Reality“ werden solche gestellten Dokumentaraufnahmen genannt. Schon bei Ermittlungs- und Gerichtsshows wurde nach diesem Prinzip verfahren, mittlerweile gibt es immer mehr Formate, die auf dieses Stilmittel zurückgreifen. Mit „Scripted Reality“ wird der Eindruck erweckt, die Zuschauerinnen und Zuschauer seien bei realem Geschehen live dabei. Stattdessen werden die Geschichten von Laienschauspielerinnen und -schauspielern in Szene gesetzt. Die Produktionskosten sind gering und die Konflikte können auf diese Weise viel effektvoller dargestellt werden. Vor allem am Nachmittag finden sich zahlreiche Vertreter dieser Form des Reality TV. Egal ob große Familienstreitigkeit, Computersucht, bevormundende Großeltern oder nachlässige Väter: Mitten im Leben (RTL) lässt das Publikum an den Problemen fiktiver Menschen teilhaben. Genervte Ehefrauen, traurige Kinder oder rebellierende Jugendliche klagen vor der Kamera über Schwierigkeiten, Ungerechtigkeit oder erlittene Schicksalsschläge. Bei der Suche nach den Ursachen wird mit Schuldzuweisungen nicht gespart: Die Konflikte werden detailliert ausgetragen – dramatische Gefühlsausbrüche inklusive. Oft sind in die Problemfälle Kinder und Jugendliche verwickelt, zum Beispiel in X-Diaries – love, sun & fun (RTL II). Dort spielen jugendliche Laiendarsteller angebliche Urlaubsgeschichten auf Ibiza, Mallorca und an ähnlichen Urlaubsorten. Die Kamera folgt den ‚Urlaubern‘ dabei eine Woche lang auf Schritt und Tritt, die gespielten Konflikte, Dialoge und sexuellen Aktivitäten werden dabei von den Beteiligten ausgiebig kommentiert.
Experimente, Rollentausch und Selbstinszenierung
Im Gegensatz zu Scripted-Reality liegt beim „performativen Reality TV“ (z. B. Big Brother) kein Drehbuch vor. Stattdessen werden Kandidaten in einer schwierigen, konflikthaften ‚Zwangslage‘ mit der Kamera begleitet. Diejenigen, die sich in dieser Situation als ausdauernd und leidensfähig erweisen und sogenannte ‚Challenges‘ meistern, haben gute Chancen, vom Publikum zum Sieger bzw. zur Siegerin gekürt zu werden. Bei Frauentausch (RTL II) etwa tauschen zwei Mütter für jeweils zehn Tage ihre Familien. Mit nur wenig Kontakt zur eigenen Familie erbringen die Tauschmütter ihren Alltag mit der Tauschfamilie. Von Anfang an kommt es zu dramatischen Gefühlsausbrüchen oder handfesten Streitigkeiten aufgrund unterschiedlicher Meinungen über Haushalt und Familienleben. Dies umso mehr, da gezielt Familien mit unterschiedlichen Lebensweisen und Gewohnheiten ausgewählt werden, was zu Konflikten führt, die die Teilnehmer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führen. PRO 7 kürt auch dieses Jahr wieder das Sommermädchen. Um diesen Titel tragen zu dürfen, stellen sich die Kandidatinnen zahlreichen Herausforderungen. Eine rasante Fahrt in der Achterbahn zählt ebenso dazu wie ein Fotoshooting unter Wasser. Letztendlich dienen diese Aufgaben den Kandidatinnen als Bühne, um den eigenen mehr oder weniger makellosen Körper zu präsentieren. Bei diesem Schaulaufen werden Missgunst und Konflikte unter den jungen Frauen geschürt. Die Kandidatinnen sind von Anfang an auf eine bestimmte Rolle festgelegt, etwa die „Drama-Queen“ oder das „Luder“. Die Kamera bleibt dran, wenn Tränen fließen, wenn sich Angst, Frust oder Enttäuschung Bahn brechen. Diese Gefühle sind vorprogrammiert, denn der quotenträchtig aufgebauschte Zusammenbruch ist Teil der Inszenierung.
Offene Fragen und Ausblick
Gerade ältere Kinder sind neugierig, in vorgeblich realitätsnahen, authentischen Sendungen das Verhalten von Teenagern und Erwachsenen zu beobachten. Sie erhoffen sich Anregungen für die eigene Identitätsarbeit und das eigene Alltagshandeln: Wie muss ich mich verhalten, um beim anderen Geschlecht anzukommen? Welches Verhalten führt zu gesellschaftlicher Anerkennung? Welche Rolle, welches ‚Image‘ passt zu mir? Vor diesem Hintergrund erscheinen die Art der Darstellung und die gezeigten Inhalte der meisten Reality TV Formate aus pädagogischer Sicht äußerst problematisch. Dabei lassen sich vor allem drei Problembereiche identifizieren: - Kindern fällt es noch schwer, die ‚gemachte Fernsehrealität‘ als solche zu durchschauen, weil durch dramaturgische und technische Gestaltungsmittel die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt werden. Dies dürfte vor allem auf Kinder zutreffen, die über wenig Strukturwissen bezüglich der Inszenierung von Fernsehformaten verfügen. - Entsprechend groß ist das Risiko, dass Kinder die gezeigten Handlungsmuster und Vorbilder der Sendungen ernst nehmen. Die Inhalte und Botschaften bekommen durch die Inszenierung als Pseudorealität‘ mehr Gewicht, es fällt schwerer, sich vom Gezeigten zu distanzieren. - Die beteiligten Personen werden vorgeführt, ihre Probleme und Eigenarten ausgeschlachtet. Dies kann die Vorstellung begünstigen, dass das Vorführen und Lächerlich-machen von Menschen zu Unterhaltungszwecken legitim ist. Darüber hinaus wird fragwürdiges Sozialverhalten als Normalität dargestellt. Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, vorhandenes Wissen zur kindlichen Fernsehrezeption in Bezug auf Reality-TV-Formate zu vertiefen und vor allem die Frage zu klären, inwieweit Kinder die Inszenierungsformen des Reality TV durchschauen, welche Unterschiede es in der Rezeption von Kindern und Jugendlichen gibt und welche Unterstützungsformen geeignet sind, um Kindern die Einordnung solcher Formate zu erleichtern.
Literatur
FLIMMO-Kinderbefragung 1/2001: www.flimmo.tv/downloads/BerichtBigBrother.pdf [Zugriff 21.07.2011].
Klaus, Elisabeth/Lücke, Stephanie (2003). Reality TV – Definition und Merkmale einer erfolgreichen Genrefamilie am Beispiel von Reality Soap und Docu Soap. In: Medien- und Kommunikationswissenschaft 2003/2. Baden-Baden: Nomos Verlag, S. 195-212.
Lünenborg, Margreth/Martens, Dirk/Köhler, Tobias/Töpper, Claudia (2011). Skandalisierung im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality TV. Berlin: Vistas.Theunert, Helga (1996). „Da kann ich lernen, was ich nicht machen soll“. Kinder rezipieren Reality-TV. In: Schorb, Bernd/Stiehler, Hans-Jürgen (Hrsg.), Medienlust – Medienlast. Was bringt die Rezipientenforschung den Rezipienten? München: kopaed, S. 17-30
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Michael Gurt
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Riccarda Possin: 007 für die Kleinen
Es ist dunkel und wir befinden uns inmitten eines einsamen Ozeans. Ein Fischerboot kämpft sich in geheimer Mission durch die aufgewühlte See. Sein einziger Passagier – ein Geheimagent bei der Arbeit. Mit dieser Szene startet der Kinohit Cars in die zweite Runde. Wäre da nicht die Tatsache, dass die Protagonisten sprechende Fahrzeuge sind, könnte man sich fast in einem James Bond Film wähnen. Ab 28. Juli 2011 ist das spannende Abenteuer der sprechenden Autos auf den deutschen Kinoleinwänden zu bewundern und natürlich sind auch die altbekannten Gesichter aus Cars I, allen voran Lightning McQueen und sein bester Freund Hook, wieder mit am Start. Um zu beweisen, dass Lightning nicht nur das schnellste Rennauto Amerikas sondern der gesamten Erde ist, soll dieser am ersten World Grand Prix teilnehmen und so begeben sich die beiden gemeinsam auf eine abenteuerliche Reise rund um die Welt. Der Rennstar fühlt sich unter den schillernden Rennautos in Asien sofort wie zu Hause und ist voll in seinem Element. Der in die Jahre gekommene Abschleppwagen Hook tappt währenddessen tollpatschig von einem Fettnäpfchen ins nächste und so ist bald auch dieFreundschaft zu McQueen in Gefahr. Als wäre das noch nicht genug, wird der ungeschickte Kerl dann auch noch fälschlicherweise für einen Geheimagenten gehalten und soll undercover eine internationale Spionageaffäre aufdecken. Denn der gesamte Grand Prix ist in Gefahr und nach und nach verunglücken die teilnehmenden Rennautos auf äußerst mysteriöse Weise. Ist etwa der neue Biosprit für diese Misere verantwortlich? Oder haben die – verdächtig an Mafia-Clans erinnernden – großen Autofamilien, die aufgrund ihres älteren Baujahrs am Rande der Autogesellschaft stehen, ihre ‚Finger‘ mit im Spiel? Und wer ist der große unbekannte Gangsterboss, den einer der Geheimagenten noch kurz vor seinem Verschwinden fotografieren konnte? Zunächst scheint der Abschleppwagen Hook die Lage durch sein ungeschicktes Verhalten nur noch zu verschlimmern und dabei auch den Glauben an sich selbst zu verlieren. Doch dann hat seine Stunde geschlagen und Hook kann endlich zeigen, was in ihm steckt. Während Lightning McQueen in Tokio, Paris und London gegen die internationale Rennelite antritt, arbeitet Hook gemeinsam mit den Geheimagenten Holley und Finn McMissile fieberhaft daran, seinen besten Freund zu beschützen – und das auf seine ganz eigene Art. Schon scheinen die Agenten dem Scheitern nahe, aber durch seinen unermüdlichen Einsatz und seinen messerscharfen Verstand kann Hook die Katastrophe in letzter Sekunde verhindern. Schließlich gelingt es ihm, seine Mission zu einem erfolgreichen Ende zu führen und den Drahtzieher der Affäre dingfest zu machen. Auch die zweite Geschichte rund um die sprechenden Autos widmet sich wieder den Themen Freundschaft, Streit und Versöhnung und versucht dies dem jungen Kinovolk in einfachen Parabeln zu vermitteln. Eindrucksvoll wird gezeigt, dass auch in einem Außenseiter wie dem tapsigen Hook mehr steckt, als auf den ersten Blick zu erwarten ist. Und auch wenn sich die beiden Freunde Lightning und Hook heftig streiten und an ihrer Freundschaft zweifeln, so sind sie doch immer füreinander da, wenn es darauf ankommt. Den lustigen Fahrzeugen gelingt es durch ihre aussagekräftige Mimik und die ulkigen Grimassen gut, die Gefühlswelt der Charaktere darzustellen. Das Kinoabenteuer kann neben dem herkömmlichen 2D-Format auch in 3D genossen werden, was aber aufgrund der verwendeten Effekte nicht nötig ist. Leider ist die Handlung rund um die Spionageaffäre zum Teil sehr komplex aufgebaut und bei einer FSK 0 Freigabe für das junge Kinopublikum nicht immer einfach nachzuvollziehen. So setzt die Affäre rund um Biosprit und Ölbohrinseln einiges an Vorwissen voraus und kann Kinder mitunter überfordern. Auch einige düstere Szenen, wie etwa zu Beginn oder im Showdown des Films, könnten kleineren Zuschauerinnen und Zuschauern, die ja ebenfalls zur Zielgruppe gehören, zeitweilig zu viel werden. Zwar kommen die begleitenden Eltern bei einigen Witzen, etwa wenn Hook Wasabi mit Pistazieneis verwechselt, auch auf ihre Kosten, doch stellt sich hier die Frage, ob es sich dabei nicht um einen für die Zielgruppe der Kinder ungeeigneten, weil unverständlichen Humor handelt. Insgesamt ist der Film allerding im Gegensatz zu anderen Animationsfilmen der heutigen Zeit an Kinder gerichtet und dürfte für eine ältere Zielgruppe eher zu albern sein. Die Eltern sind also gefragt, ihre Kinder zu begleiten und für Erklärungen zur Verfügung zu stehen, dann aber kann der Kinobesuch zu einem tollen Erlebnis für die ganze Familie werden.
Beitrag aus Heft »2011/04: Migration und Medien: Vernetzung und Partizipation«
Autor:
Riccarda Possin
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Daniela Hilkert: Rechtsextremismus bekämpfen
Am 14. April 2011 traf sich im BayernForum München ein kleines Grüppchen politisch Interessierter, um sich beim 49. Münchner Mediengespräch zum Thema Rechtsextremismus in Bayern auszutauschen. Die Münchner Mediengespräche werden seit 1999 regelmäßigen vom BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Münchner Journalistenakademie veranstaltet. Auch in Bayern gibt es rechtsextreme Parteien, Nazis und Skinheads.
Die ist nicht jedem klar: Zu häufig wird dieses Thema auch medial nur dem Osten des Landes zugeordnet. Doch Namen wie Martin Wiese, der im April 2011 aus dem Gefängnis Schlagzeilen machte oder Vorkommnisse wie die Bürgerinitiative Ausländerstopp, die 2008 1,4 Prozent der Wählerstimmen und damit den Einzug des NPD-Mannes Karl Richter in den Münchner Stadtrat erreichte, zeigen, dass das Thema auch in Bayern nicht unterschätzt werden darf. Beim Mediengespräch diskutierten dazu Max Hägler, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Natascha Kohnen, SPD-Landtagsabgeordnete und Dr. Miriam Heigl von der Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Landeshauptstadt München. Die Moderation übernahm Dr. Gabriele Hooffacker der Stiftung Journalistenakademie.
Thematisiert wurden nicht nur die Strukturen in Bayern, sondern auch der Umgang der Medien mit dem Streben des Rechtsextremismus nach politischer Macht. Dazu gibt es in der heutigen Zeit viele Mittel und Wege – auch das Internet. Denn soziale Netzwerke, Homepages, Blogs oder Videoportale eignen sich hervorragend zur Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts. Das Web 2.0 ist ein Kommunikationsstil, der bei Heranwachsenden gut ankommt. Doch was kann man gegen derlei Inhalte tun? Es ist bekannt, dass rechtsextreme Seiten verboten sind und indiziert werden. Doch in diesem Bereich kämpfen jugendschutz.net, die KJM und BPjM gegen Windmühlen. Werden Kinder und Jugendliche nicht online mit rechtsextremem Gedankengut konfrontiert, geschieht dies in der Jugendszene oder auf dem Schulhof. Im Vordergrund steht daher Aufklärung. Der Bereich der Prävention muss gestärkt werden. Dies muss, so die einstimmige Meinung, nicht nur in der Schule geschehen, sondern auch im Elternhaus. Und zwar durch Vermittlung von Medienkompetenz – die praktische Umsetzung allerdings ließen die Diskutanten und gesprächsfreudigen und engagierten Gäste des Mediengesprächs offen.
Es gilt also mit kleinen Schritten voran zu gehen und das Thema altersgerecht immer wieder in die Köpfe der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu tragen. Einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung leistet hierzu beispielsweise die Ausstellung ‚Rechtsradikalismus in Bayern‘ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie informiert über Strukturen, Strategien und Wertvorstellungen des Rechtsradikalismus in Bayern und wurde seit Februar 2006 in 350 Orten Bayerns gezeigt. Im Mittelpunkt steht die Jugendszene. Neben der Vorstellung einschlägiger Codes, Symbole und Moden rechter Jugendkulturen, werden auch Aktionen und Initiativen vorgestellt, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Auch online sind zahlreiche Initiativen vertreten. Neben Angeboten der Friedrich-Ebert-Stiftung findet man überregionale Projekte wie Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. oder Gesicht Zeigen! e. V. und zahlreiche interessante Publikationen. Es lässt sich also das Resümee ziehen: Ein Blick ins World Wide Web lohnt sich, denn auch zur Bekanntmachung von Initiativen gegen Rechts und zur Informationsgewinnung eignet sich das Internet als Kommunikationsmittel hervorragend.
www.fes-gegen-rechtsextremismus.de
www.endstation-rechts-bayern.de
www.gegen-vergessen.dewww.gesichtzeigen.de
Sonja Rehbein: Einfach mehr wissen?!
Brockhaus-Verlag (2010). Scolaris. www.scolaris.de. 9,90 €/Monat.
„Einfach mehr wissen“ – mit diesem Slogan wirbt BROCKHAUS für seine interaktive Lernplattform Scolaris. In fünf verschiedenen Lernbereichen bietet das Lernportal Kindern und Jugendlichen von fünf bis 15 Jahren vielfältige Möglichkeiten, für die Schule zu üben, zu lernen und Gelerntes abzuprüfen.
Die fünf Lernbereiche sind nach Altersstufen aufgeteilt und erstrecken sich von Prescolaris, dem Lernbereich für Kindergarten und Vorschulkinder, über die Bereiche für erste bis zweite sowie dritte bis vierte Klasse. Ab der Sekundarstufe stellt das Lernportal einen Lernbereich für die fünfte bis sechste Klasse und als fünfte und letzte Lernabteilung einen Bereich für die Klassenstufen sieben bis neun zur Verfügung. Ziel der Lernplattform ist es, Kindern und Jugendlichen die Unterrichtsinhalte der Kernfächer Deutsch, Mathematik und später Englisch verständlich zu erklären und zu vermitteln. Um mit Scolaris üben und lernen zu können, muss ein Account und ein Profil angelegt werden. Dieser Zugang kostet 9,90 Euro im Monat. Hat sich die Schülerin oder der Schüler erfolgreich eingeloggt, wird eine bunt gestaltete Startseite sichtbar, auf der zwischen den fünf verschiedenen, nach Klassenstufen geordneten Lernbereichen gewählt werden kann. Ist die Wahl auf den passenden Lernbereich gefallen, kann abermals zwischen vier Gebieten gewählt werden. Der Aufbau aller Lerneinheiten ist immer gleich, inhaltlich gut gegliedert und übersichtlich.
So besteht die Möglichkeit, sich in „Mein Lerncenter“ spannenden Fragen aus der Rubrik „Kinderfragen“, beziehungsweise ab der fünften Klasse „Schon gewusst?“ zu widmen. Interessante Fragen von Natur über Technik bis hin zu Philosophie werden hier, je nach Lernbereich anfangs kindgerecht, in späteren Lernbereichen für Jugendliche ansprechend gestaltet, in gut verständlichen, übersichtlichen und schön illustrierten Artikeln beantwortet. Der zweite, in jedem Lernbereich wählbare Reiter heißt „Schülerwelt“. Kinder und Jugendliche gelangen hier zur „Lernwerkstatt“, die inhaltlich an den Schulstoff der jeweiligen Klassenstufe angepasst ist. Unterteilt in die einzelnen Kernfächer werden in der „Lernwerkstatt“ wichtige Themen und Begriffe des Schulstoffs der jeweiligen Klassenstufen erklärt und zusammengefasst. Teilweise sind nützliche Verlinkungen zu Internetseiten vorhanden. Eifrige Lernerinnen und Lerner können sich in der „Schülerwelt“ aber auch verschiedenen Arten von informativen Lexika über Tiere, Länder, Flaggen und vielem mehr widmen.
Reiter Nummer drei jedes Lernbereichs heißt „Üben & Lernen“ und ist der eigentliche Kernbereich von Scolaris. Während sich die Mädchen und Jungen in der „Schülerwelt“ oder der „Lernwerkstatt“ selbständig Wissen aneignen oder Fakten nachschlagen können, wird unter „Üben & Lernen“ gelerntes Wissen in Übungen, Minitests und Abschlusstests abgeprüft. Gewählt werden kann die benötigte Klassenstufe und das zu übende Kernfach. Alle zur Verfügung stehenden Übungen und Tests orientieren sich ebenfalls an den schulischen Inhalten der jeweiligen Klassenstufen, können unabhängig voneinander bearbeitet werden und bauen nicht aufeinander auf. Übungen und Minitests sind jeweils in drei Schwierigkeitsgrade unterteilt. Je nach Fach und Klassenstufe bestehen sie aus Einsetz- oder Schreibübungen, manchmal muss aber auch nur die richtige Antwort ausgewählt werden. Die Abschlusstests sind deutlich breitbandiger angelegt und prüfen alle Themengebiete eines Schuljahres in einem Test mit circa 20 Aufgaben ab. Am Ende jeder Übung oder jedes Tests bekommt die oder der Übende eine Auswertung der Aufgaben. Sehr positiv daran ist, dass genau ersichtlich ist, was richtig und was falsch war.
Auf Wunsch stellt die Lernplattform Übungsempfehlungen zusammen, die, angepasst an den Lern- und Wissensstand des Kindes oder Jugendlichen, die Bereiche fördern, in denen noch Schwächen bestehen. So können Schülerinnen und Schüler gezielt und selbständig an ihren Defiziten arbeiten und werden in ihrem Übungsverhalten unterstützt, was vor allem jüngeren Schülerinnen und Schülern alleine eventuell sehr schwer fallen kann. Manchmal kann es aber sein, dass trotz der besten Auswertung einfach kein Durchblick herrscht. Auch für diesen Fall hat Scolaris vorgesorgt und bietet eine Hausaufgabenhilfe im „Schüler-Forum“ und eine „Lehrer-Hotline“ an. Taucht eine dringende Frage auf, kann montags bis freitags zwischen 15 und 19 Uhr per Telefon die „Lehre-Hotline“ angerufen werden. Hier helfen Lehrkräfte bei allen auftretenden Problemen in Deutsch, Mathematik oder Englisch weiter. Ist das Problem nicht ganz so akut, kann das „Schüler-Forum“ Abhilfe schaffen. Auch auf diesem Weg helfen Lehrkräfte ratlosen Schülerinnen und Schülern bei den Hausaufgaben.
Aber auch die Eltern kommen bei Scolaris nicht zu kurz: Für sie gibt es in jedem Lernbereich die „Elternwelt“. Hinter der „Elternwelt“ verbirgt sich ein bunter Strauß aus verschiedenen Ratgebern, Grundlagentests und anderem Wissenswerten, der Eltern Hilfestellungen zu Themen wie Erziehung und Entwicklung, Bildung und Gesundheit liefert. Natürlich gilt auch hier: Gleiches Recht für alle! Aus diesem Grund steht auch den Eltern ein „Eltern-Forum“ für Onlinefragestellungen sowie eine telefonische „Eltern-Hotline“ zur Verfügung. Anders als bei der „Lehrer-Hotline“ wird die „Eltern-Hotline“ aber nur jeden ersten Donnerstag im Monat freigeschaltet. Expertinnen und Experten beantworten Müttern und Vätern dann Fragen zu einem bestimmten Themenbereich, der zuvor auf der Seite angekündigt wird.
Dass nur die Kernfächer Deutsch, Mathematik und später Englisch auf der Lernplattform vertreten sind, ist schade, zumal zu bedenken ist, dass die Lernplattform 9,90 Euro im Monat kostet. Die ab der Sekundarstufe gegebene Differenzierung in unterschiedliche Schulformen ist durchaus sinnvoll, lässt aber leider keine Rückschlüsse darauf zu, auf welche Bundesländer die Inhalte abgestimmt sind. Die präsentierten Materialien und Erklärungen sind anfangs liebevoll kindgerecht gestaltet, sprechen aber in den Lernbereichen ab der siebten Klasse auch durchaus Teenager an. Ausführlich und gut strukturierte Übungen und Tests ermöglichen ein kontinuierliches ‚Mitlernen‘ im Unterricht und eine gute Vorbereitung auf jede Art von Prüfung.
Alles in allem ist die Scolaris-Lernplattform von BROCKHAUS eine gute Ergänzungs- und Fördermöglichkeit für alle Kinder und Jugendlichen zwischen der ersten und neunten Klasse, die mit ihrem fundierten Aufbau nicht nur viel Wissen, sondern auch viel Freude vermitteln kann.
Annika Borgmann, Claas Wegner: Ran ans Ei
Die Abteilung für Biologiedidaktik der Universität Bielefeld bietet bereits seit 2006 ein spezielles Förderprogramm für begabte Schülerinnen und Schüler an, die sich für Naturwissenschaften interessieren. Das Besondere an diesem Projekt mit dem Namen Kolumbus-Kids ist neben der Orientierung an wissenschaftlichen Arbeitsweisen und der Kontinuität der Förderung vor allem der Einsatz einer Vielzahl von unterschiedlichen Medien und E-Learning-Szenarien sowohl innerhalb der gemeinsamen Unterrichtsstunden als auch für deren Vor- und Nachbereitung. Die grundlegenden Ideen für dieses Projekt findet man auf der projekteigenen Homepage: www.Kolumbus-Kids.de
Das ProjektInsgesamt werden derzeit fünf Kurse mit maximal 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern angeboten, davon einer für die Primarstufe Klasse 4, drei für die Jahrgangsstufe 5 und ein Kurs für Schülerinnen und Schüler der Klasse 11 (bzw. 10 nach G8) der Oberstufe. Der Unterricht findet innerhalb der Universität für jeden Kurs einmal pro Woche statt und dauert jeweils 90 Minuten. Die Ausbildung der Lehramtsstudierenden innerhalb des Projekts Kolumbus-Kids umfasst ein Jahr und gliedert sich in ein Theorieseminar, das Kenntnisse und Kompetenzen in den Bereichen Unterrichtsmethodik und Begabungsdiagnostik vermittelt, sowie einen Praxiskurs, der der Umsetzung der Theorien in die Praxis dient. Dabei unterstützt der Internetauftritt des Projekts die Lernorganisation und -prozesse der Lehramtsstudierenden sowohl bei der theoretischen Vor und Nachbereitung als auch bei der praktischen Anwendung innerhalb der selbst gestalteten Unterrichtsstunden.
Der InternetauftrittAuf der projekteigenen Homepage finden sich in der Navigationsleiste am rechten Rand die vier Hauptkategorien „Kolumbus-Kids“, „Projekte“, „Lehrveranstaltungen“ und „Partner“. Im oberen Bereich werden weitere informative Aspekte wie ‚Berichte aus den Kursen‘ und ‚Kontakt‘ angeführt. Seit kurzem findet sich unter der Rubrik ‚Kontakt‘ eine Flash-Animation, die die Wegbeschreibung zu den unterschiedlichen Projekträumen anschaulich abbildet. So können Besucherinnen und Besucher der Internetseite wählen, welchen Raum sie innerhalb des Universitätsgebäudes aufsuchen möchten und werden dann von den bewegten Fußabdrücken der Animation über den Lageplan des Gebäudes dorthin geführt. Hinter dem Punkt „E-Learning“ in der Hauptkategorie „Projekte“ verbirgt sich eine Anzahl verschiedener Umsetzungsmöglichkeiten zum E-Learning im Projekt Kolumbus-Kids. Beispielsweise konnte ein interaktives Whiteboard angeschafft werden – eine Art digitale Tafel – auf der Grafiken, Animationen, Videos et cetera gezeigt, Aufgaben interaktiv von mehreren Lernenden bearbeitet und Ergebnisse dokumentiert werden können. Diese innovative und effektive Art des Arbeitens und Lernens wird auch bereits in vielen Schulen eingesetzt und wird wohl auch in Zukunft eine immer größere Rolle spielen.
Dazu gehört auch ein Voting-System, das es ermöglicht, über interaktiv bedienbare Elemente, sogenannte ‚Klicker‘, über Fragen und deren Antwortmöglichkeiten abzustimmen. Dabei können verschiedene Varianten wie Ja/Nein, Single- oder Multiple-Choice oder auch die Eingabe einer Zahl bzw. eines Worts als Antwortmöglichkeiten genutzt werden. Besonders innovativ neben diesen Systemen ist vor allem der Einsatz unterschiedlicher Lernvideos, die einerseits von den Studierenden selbst konzipiert, gedreht und vertont werden und andererseits mit Hilfe des Internetauftritts allen Lernenden zur Verfügung gestellt werden. Der Lernprozess der Studierenden wird zudem unterstützt und vereinfacht durch die Bereitstellung von kursinternen Materialien über das LernBlog-System der Universität Bielefeld. Diese Verknüpfung ermöglicht die Einbindung eines projektinternen passwortgeschützten Bereichs, über den der Up- und Download sowie der Austausch von Dateien erfolgen können. Für verschiedene Kurse besteht zudem das Angebot einer virtuellen Testklausur zu den erlernten und erarbeiteten Inhalten, mit Hilfe derer sich die Studierenden auf die eigentliche Prüfungssituation vorbereiten können.
Ebenfalls in den LernBlog eingebunden ist ein „Tutorial zum Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten“ mit eigener Navigationsleiste, das neben einer Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Schreibprozess auch eine Reihe von nützlichen Open-Office-Programmen empfiehlt und gleich zu Internetseiten mit Download-Möglichkeit verlinkt. Dort finden sich erneut Lernvideos, die die Benutzung verschiedener gängiger, lizensierter Programme sowie diverser Open-Source-Software erklären. Besonders vorteilhaft an dieser Art der Bereitstellung ist die jederzeitige Abrufbarkeit für die Studierenden. Die Fülle an in den Internetauftritt www.Kolumbus-Kids.de eingebundenen unterschiedlichen Elementen bildet die Basis dieses Konzepts für eine E-Learning-Plattform. Als außerordentlich hilfreich wird dabei die beidseitige Orientierung empfunden, die sich sowohl an den Anliegen der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer und deren Eltern als auch an den Bedürfnissen der Studierenden ausrichtet. Hervorhebenswert ist dabei insbesondere auch die Übertragbarkeit des Konzepts auf andere Veranstaltungen aus den Bereichen Biologie, Chemie etc. Dank der Berücksichtigung geltender qualitativer und technologischer Standards (Camtasia, Premiere Elements, freie HTML- und PHP-Programmierung) ist eine vergleichbare Struktur auch ohne sehr umfangreiche Programmierkenntnisse nachvollziehbar und selbst umsetzbar.
Diese in dieser Form in Deutschland einzigartige Homepage wird zudem kontinuierlich verbessert und weiter ausgebaut. Vor kurzem wurde beispielsweise das gesamte Layout erneuert und der Fülle der sich stets erweiternden Inhalte angepasst. Der Erhalt und die Weiterentwicklung der Plattform werden allerdings erst durch eine hohe Eigeninitiative und zum Teil ehrenamtliches Engagement seitens der Beteiligten ermöglicht.
Beitrag aus Heft »2011/03: Jugendarbeit und social networks«
Autor:
Annika Borgmann,
Claas Wegner
Beitrag als PDF
Markus Achatz: Zur Definition von Kindheit.
„Sobald es dunkel im Kino wird, geht es auf leisen Pfoten in neue Lebenswelten“. Maryanne Redpath, Leiterin der Kinder- und Jugendfilmsparte GENERATION der Berlinale, umschreibt die Faszination Kino in ihrer Einführung zum diesjährigen Festival. Das Spektrum der Helden, Superhelden und Antihelden in den Kinderfilmen der 61. Internationalen Filmfestspiele in Berlin war sehr breit und die Geschichten ermöglichten dem jungen Publikum Reisen in ferne Länder und gaben neue Einblicke in scheinbar vertraute Umgebungen. Auch in diesem Jahr scheuten sich die Veranstalter nicht vor der Auswahl schwieriger und problembeladener Themen, die sich nicht immer in ein gutes Ende auflösten und die offene Fragen der jüngsten Zuschauerinnen und Zuschauer bisweilen nicht zu beantworten vermochten.
Dennoch machten die GENERATION-Beiträge 2011 auch viele Türen zu neuen und anderen Welten auf und boten dem jungen Publikum teils einzigartige Kinoerfahrungen.Hadikduk HapnimiAls durchaus ‚sperrig’, aber nicht minder fesselnd kann der israelische Film Hadikduk Hapnimi (Der Kindheitserfinder, Israel 2010) beschrieben werden. Regisseur Nir Bergman hat den gleichnamigen Roman des Schriftstellers David Grossman inszeniert. Bergman ist es gelungen, das Poetische und Parabelhafte des Buches auf die Leinwand zu übertragen. Für Kinder ab zwölf Jahren sicher kein einfacher Stoff. Bergman betont aber auch, diesen Film nicht speziell für ein junges Publikum gemacht zu haben. Zu komplex und zu tiefgründig sind die Gedanken und Erinnerungen Grossmans. Der Autor ist in seinem Heimatland eine feste Größe der zeitgenössischen Literatur und hat in zahlreichen Veröffentlichungen die Traumata des Holocaust zum Thema gemacht. Der Kindheitserfinder erschien in Israel 1991 und ist im Gegensatz zu einigen anderen Veröffentlichungen Grossmans, wie Joram und der Zauberhut (dt. 1998) oder Zickzackkind (dt. 1996), kein ausgesprochenes Jugendbuch. 2010 erhielt Grossman den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Der Kindheitserfinder versetzt uns ins Jerusalem der frühen 1960er Jahre. Im Mikrokosmos einer Wohnsiedlung werden drei Jahre im Leben des Jugendlichen Ahron Kleinfeld erzählt. Ahrons Vater war in einem Konzentrationslager, die Großmutter wurde während des Krieges geisteskrank und für die Mutter scheint das Leben noch immer wie ein Krieg zu sein. Ahrons Gefühlsleben ist völlig durcheinander. Freundschaften, Verliebtsein, Erwachsenwerden – all das bricht über ihn herein. Zu allem Überfluss hat er auch noch aufgehört zu wachsen und muss herausfinden, was gut daran ist, dass sich alles verändert. In seiner Welt sind nur die ältere Schwester Yochi und sein bester Freund Gidon so etwas wie Vertraute. Doch Gidon scheint sich auch zu verändern. Vor allem als Yaeli, ein Mädchen aus der Parallelklasse, in ihr Leben tritt. Yaeli geht Ahron nicht aus dem Kopf. In seiner Schüchternheit schafft er es nur mit Hilfe von Gidon, sich mit Yaeli zu verabreden. Sie treffen sich zu dritt, doch anders als zu Beginn ihrer Begegnungen, verliert Ahron den Anschluss an Yaelis und Gidons Gespräche und Gedanken. Er verharrt mehr in seinen kindlichen Träumen und Sehnsüchten. Ahron kämpft für das Bewahren eines Teils seiner Kindheit, denn er möchte nicht werden wie seine Eltern. Für ihn sind die Momente wichtig, in denen er selbst entscheidet, wann es mehr um Träume und Sehnsüchte gehen soll. Diese will er nicht verlieren, so wie seine geheimen Zeichen mit Gidon. Niemand sonst vermag sie zu deuten: Eine Münze im Elektrizitätskasten vor dem Haus, eine verschobene Holzlatte an der Parkbank oder ein Lichtreflex mit dem Spiegel ins Zimmer des anderen. Der gesamte Film bewegt sich stets innerhalb der Enge der Siedlung. Manche verlassen zwar ihre Häuser und gehen zur Arbeit oder wohinauch- immer, das Publikum bleibt aber – so wie Ahron. Manchmal stehlen sich Ahron und Gidon heimlich in die Wohnung der Nachbarin Fräulein Blum voller Bücher, Gemälde und Musikinstrumente. Nicht nur Ahrons Welt, sondern vor allem die des Vaters und langsam auch aller anderen, gerät gehörig ins Schwanken, als Fräulein Blum den Vater darum bittet, in ihrer Wohnung eine Wand herauszureißen.
Grossmans Bücher zu verfilmen ist eine schwierige Aufgabe und es war richtig, diese an den 41-jährigen Nir Bergman zu geben. Nach mehreren Kurzfilmen und Episoden für israelische TV-Serien sorgte Bergman mit seinem Kinodebüt Knafayim Shvurot (Broken Wings) 2002 für Furore. Der Film lief im Panorama der Berlinale 2003 und erhielt weltweit zahlreiche Auszeichnungen. Damals wie auch jetzt in Hadikduk Hapnimi hat Bergman die Rolle der Mutter mit Orly Zilbershatz besetzt, die herausragend spielt.Jutro Będzie Lepiej
Eine ganz auf Empathie und Freiraum angelegte Form von Kindheit vereinen alle Filme der polnischen Regisseurin Dorota Kędzierzawska. Kaum eine andere europäische Filmemacherin traut ihren kindlichen Hauptfiguren so viel zu. Ihr mit Spannung erwarteter neuer Film knüpft an das tiefe Verständnis für das Denken und Handeln Heranwachsender aus den vorherigen Werken – wie Wrony (Die Krähen, 1994) oder Jestem (Ich bin, 2007) – an. Mit Jutro Będzie Lepiej (Morgen wird alles besser, Polen/Japan 2010) ist der 53-Jährigen wieder ein herausragender Film gelungen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, Produzenten und Kameramann Arthur Reinhart erzählt sie in opulenten Bildern von der Flucht dreier Brüder. Die Geschichte beginnt, als die Jungen schon unterwegs sind. Woher sie kommen und wohin sie wollen, erschließt sich erst nach und nach. Ab der ersten Einstellung sind die Zuschauerinnen und Zuschauer nah dran an diesen Jungen – vor allem an Petya, dem Jüngsten der drei, so als würden sie ihn schon lange kennen. Petya ist sechs Jahre alt, ein obdachloses Straßenkind, unterwegs mit seinem elfjährigen Bruder Vasya und dessen Freund Lyapa. Die beiden älteren Jungen hecken einen Plan aus. Wenn dieser aufgeht, wird alles besser werden. Im Verborgenen schlagen sie sich durch, erst in einem Güterzug, später zu Fuß durch einsame Landstriche. Die Reise ist eine Suche nach einer neuen Heimat, nach einem besseren Leben. Die Jungs sind sich selbst gegenüber hart und wissen, dass sie nur weiterkommen, wenn sie zusammenhalten. Der Kleine wird von den Großen regelmäßig ausgeschmiert, aber sie würden ihn tatsächlich nie zurücklassen.
Die Spannung steigt, als die drei Kinder zum hochgesicherten Grenzstreifen gelangen, der von Russland nach Polen führt. Die Regisseurin scheint sich ganz auf ihre Charaktere zu verlassen. Alles in Jutro Będzie Lepiej fokussiert sich auf die Jungen. Die Kamera begleitet die Kinder eher, als dass die Geschehnisse inszeniert wirken. Mit Ausnahme von Licht und Farben, denn diese sind großes Kino und verhelfen der Landschaft im nordöstlichen Grenzgebiet Polens ebenfalls zu einer Hauptrolle. Die Geschichte soll wirklich passiert sein, so Dorota Kędzierzawska, wobei es keine Rolle spiele, ob es genau so war. Entscheidend sei der unbedingte Wille der Drei, ihr tristes Dasein zu verlassen – einzig geschürt durch die Hoffnung, dass es irgendwo einen besseren Ort gibt.
Eine ausdrucksvolle Interpretation des Wandels der Kindheit ist die Szene, als die drei nachts in einem Güterwaggon liegen. Der Zug hält an einem unbekannten Ort und gibt für Vasya den Blick durch eine Ritze frei auf eine beleuchtete Wohnung. Hinter einem Fenster geht eine Mutter mit einem schlafenden Kind auf und ab. Sie wiegt und liebkost das Kind, während Vasya den in seinen Armen schlafenden Petya betrachtet und ihn fest an sich drückt. Jutro Będzie Lepiej erhielt 2011 sowohl den Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks für den besten Spielfilm (vergeben durch die internationale GENERATION Kplus-Jury) als auch den Friedensfilmpreis 2011, der im Rahmen der Berlinale verliehen wird.
Aus der Jurybegründung: „Mit eindringlichen und poetischen Bildern erzählt die polnische Regisseurin Dorota Kędzierzawska dieses so bittere Märchen unserer heutigen Realität. Mit den Augen der Kinder entlarvt sie die harte Welt der Erwachsenen und der von ihnen gezogenen Grenzen. Und Petya, der Sechsjährige, durchleuchtet die Welt – direkt ins Herz.“ Deutlicher als während früherer Festivals wurde in diesem Jahr diskutiert, was dem jungen Kinopublikum zuzumuten ist und was nicht. Die Debatte ist nicht neu, hat aber mit einigen Beiträgen im GENERATION -Wettbewerb der 61. Berlinale ein breiteres öffentliches Interesse generiert. Vielleicht ist gerade das als ein wichtiges und positives Signal für die Nische ‚Kinderkino’ zu werten. Im Vorfeld hatte Maryanne Redpath bereits angedeutet, dass die jungen Protagonistinnen und Protagonisten in den diesjährigen Programmen Kplus und 14plus riskant leben würden, ganz egal woher sie kämen und wo sie sich befänden. Davon, wie Heranwachsende ihre Grenzen testen, sich in Fantasiewelten träumen oder sich teils gefährliche Zufluchtsorte suchen, handeln die Geschichten aus 30 Ländern. „Heranwachsen verlangt Wagemut. Selten gab es so viele Filme, die derart radikal davon erzählen“, so Redpath. Diesen Wagemut forderte die Veranstaltung auch von ihrem Publikum.
Markus Achatz: Andere Jugendwelten
On the Ice
In der Programmsektion 14plus hat vor allem das Erstlingswerk On the Ice (USA, 2011) von Andrew Okpeaha MacLean auf allen Ebenen überzeugt. Dramaturgisch brillant verband der US-Independentfilm einen immer packender werdenden Plot mit spürbarer Nähe zu den Hauptfiguren und setzte die arktische Landschaft wie eine weitere ‚Hauptrolle‘ als Motor der Ereignisse und der subtilen Spannung ins Rampenlicht. Überhaupt bildeten das Licht und die Farben im Eis Alaskas in dieser Geschichte weit mehr als einen spektakulären Schauplatz. Die harten Bedingungen im Eis des Nordens sind ein wesentlicher Aspekt der Geschichte – als Exposition und in seiner Auflösung. Barrow/Alaska hat etwa 5.000 Einwohner, liegt direkt am Eismeer und ist die nördlichste Gemeinde der Vereinigten Staaten.
Regisseur Andrew Okpeaha MacLean ist Iñupiat – ein Ureinwohner Alaskas – und weiß, wovon er erzählt. Er ist in Barrow aufgewachsen, dort wurde On the Ice auch gedreht. Autobiografische Bezüge sind nicht zu leugnen und selten bot das amerikanische Kino in den vergangenen Jahren eine so authentische und gleichzeitig sensible Darstellung des kulturellen Zwiespalts von Minderheiten. Weder verkrampft noch oberlehrerhaft führt er die Teenagerfreunde Qalli und Aivaag als Hauptfiguren ein, die sich im Spannungsfeld zwischen jugendlichem Sprach-Slang, Hip Hop-Kultur einerseits sowie Familienritualen und traditioneller Robbenjagd andererseits arrangieren. Statt mit Hundeschlitten wie früher oder mit Motorrädern wie Gleichaltrige heute in anderen Regionen der Welt cruisen die Kids hier mit ihren Motorschlitten durch die Gegend. Als Qalli und Aivaag mit James, einem Kumpel, per Schnee-Scooter zur Eiskante rausfahren, kommt es zu einem verheerenden Streit, an dessen Ende James tot ist. Die beiden Freunde versuchen das Unglück wie einen Unfall aussehen zu lassen. Ausgerechnet Qallis Vater, ein erfahrener Iñupiat, schöpft Verdacht, dass diese Variante der Geschichte nicht die volle Wahrheit ist. Qalli gerät sowohl durch die Nachforschungen seines Vaters als auch durch die Wankelmütigkeit Aivaags, der kaum mehr dicht halten kann, immer mehr unter Druck.
Hauptdarsteller Josiah Patkotak stammt ebenfalls aus Barrow. Auf der Bühne des Premierenkinos konnte man über die Präsenz des 16-Jährigen mit der bärengleichen, tiefen Stimme staunen. Als er die Frage aus dem Publikum, wie er mit der Schauspielerei zurecht gekommen sei, lakonisch beantwortete: „It was fun, dude“, kam es einem beinahe so vor, als wäre der berühmte ‚Dude’ aus The Big Lebowski richtig harmlos. Die sieben Jugendlichen der 14plus-Jury vergaben den Gläsernen Bären für den besten Film 2011 an On the Ice: „Dieser Film hat uns von der ersten Minute an gefangen genommen und bis zum Ende kein einziges Mal losgelassen. Mit einfachen Mitteln wird hier zwischen Einsamkeit und unendlicher Weite eine Atmosphäre von erstickender Enge geschaffen.“ Zusätzlich erhielt der Film überraschend und doch verdient den Berlinale Preis für den besten Erstlingsfilm des Gesamtfestivals.
Tomboy
Der Eröffnungsfilm des diesjährigen PANORAMA war gleichzeitig ein Beitrag, der im Rahmen der Cross-Section auch Zuschauerinnen und Zuschauern der GENERATION empfohlen wurde. Behutsam schildert die französische Regisseurin Céline Sciamma in Tomboy (Frankreich 2011) das Gefühlsdilemma der heranwachsenden Laure. Sie ist fest davon überzeugt, kein Mädchen sein zu wollen. Laure ist mit ihrer Familie – Mutter, Vater und der jüngeren Schwester Jeanne – an einen anderen Ort gezogen. Es sind Ferien, alle Kinder spielen im Freien, aber niemand kennt Laure. Da sie sich wie ein Junge kleidet, nimmt sie die Gelegenheit wahr und stellt sich der gleichaltrigen Lisa als Mikael vor. Schnell findet sie Anschluss und fühlt sich pudelwohl in der neuen Clique, spielt mit den anderen Jungs Fußball und tobt durch die Gegend. Die Situation wird kompliziert, als sich Lisa und Mikael näher kommen und dann auch noch Laures Schwester Jeanne hinter das Geheimnis kommt. Zunächst kann Laure Jeanne dazu bringen, das Spiel mitzuspielen. Die kleine Schwester beginnt sogar Stolz auf ihren ‚großen Bruder’ zu sein. Als sich bei einem Streit eine Rauferei entwickelt und Mikael einen der Jungs verprügelt, stehen wenig später der Junge und seine Mutter vor der Türe bei Laures Familie und fragen nach Mikael …
Regisseurin Céline Sciamma zählt schon jetzt zu den Vertreterinnen eines jungen, realistischen Kinos in Frankreich. Bereits mit ihrem Debüt Water Lillies erhielt sie 2007 in Cannes gute Kritiken. Das Drehbuch zu Tomboy stammt ebenfalls von ihr und ist die Grundlage für einen stimmigen und sensiblen Film, der vor allem auch hervorragend besetzt ist. Zoé Héran spielt Laure/Mikael mit allen Facetten und überzeugt besonders im Zusammenspiel mit Malonn Lévana (als kleine Schwester) und den Kids der Clique. Als Eltern sind mit Mathieu Demy und Sophie Cattani bekannte französische Darstellerinnen und Darsteller dabei. Tomboy versprüht stellenweise große Leichtigkeit, vermag aber dennoch das Publikum immer wieder in den realen Rollenkonflikt und die schwierigen Emotionen des Mädchens hineinzuziehen. Dem Film wurde hochverdient der Jury Award des Teddy-Filmpreises der Berlinale 2011 verliehen.
Daniela Hilkert: Sicher in sozialen Netzwerken
Kinder und Jugendliche verbringen immer mehr Zeit in sozialen Netzwerken. Dieser selbstverständliche Umgang in der alltäglichen Kommunikation kann jedoch auch mit Schwierigkeiten und Gefahren verbunden sein. Denn die meisten Userinnen und User gehen sehr offen und sorglos mit ihren privaten Daten und Fotos um. Einstellungen, welche die Selbstdarstellung im Netz einschränken, werden oft nicht genutzt, da sie unbekannt sind.
Um Heranwachsende hinsichtlich dieser Problematik zu stärken, entwickelte Schulen ans Netz e. V. das Lernangebot Soziale Netzwerke – Sei sicher dabei! für junge Erwachsene. Das Angebot befindet sich auf qualiboXX, dem Portal für Berufs- und Ausbildungsvorbereitung von Schulen ans Netz e. V. unter www.qualiboxx.de und soll Heranwachsende in berufsvorbereitenden Maßnahmen für die Themen „Positive Darstellung in sozialen Netzwerken“, „Gezielter Schutz eigener Daten“ und „Rechte anderer Userinnen und User“ sensibilisieren und somit eine reflektierte Nutzung von sozialen Netzwerken ermöglichen.
Die Userinnen und User begleiten in dem Lernangebot die beiden Jugendlichen Sabrina und Kemal beim Anmelden bei einem sozialen Netzwerk. Dabei erklärt Kemal Sabrina und den Lernenden verständlich den Einstieg in eine Online-Community – hier am Beispiel des Netzwerkes schülerVZ. Das Angebot ist in die drei Kapitel Einstieg, Profil und Verantwortung mit je sechs Inhaltsseiten und sechs bis acht Übungen in Form eines Wissenstestes untergliedert. Zu den vermittelten Inhalten gehört der Anmeldevorgang mit der Wahl eines Passwortes und der Erläuterung von Begriffen wie AGBs und Datenschutzerklärung. Die Erstellung eines Profils mit der Thematisierung der Problematiken des Profilbildes, dem Anlegen eines Fotoalbums und der Nutzung der Pinnwand. Ebenso werden verantwortliches Handeln und die Spielregeln im Netz mit den Bereichen Datenschutz, Netiquette und Urheberrecht vermittelt.
In dem zur Verfügung gestellten Wissenstest werden die Lernenden aktiv angesprochen, denn auch Freunde wie Elena und Andrej möchten Mitglied bei schülerVZ werden und brauchen wertvolle Tipps. Jeder Block endet mit Wissensfragen in Form von Multiple-Choice-Fragen oder Satzergänzungen, die sich streng an den Stoff des Kapitels halten. Die Auswertung erfolgt direkt im Anschluss an die Beantwortung der Frage und gibt eine kurze Erklärung. Durch die gleichzeitige direkte Anwendung des Gelernten und die ansprechende und realistische Aufmachung beispielsweise durch Screenshots verspricht das Angebot einen hohen Lernerfolg. Zusätzliche kleine Infoboxen, die weitere Hintergrundinformationen bereitstellen und ein ausführliches Glossar ergänzen das Lernangebot. Auf dem Portal befinden sich ebenfalls weiterführende Informationen und Links für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Lehrkräfte. Leider ist das Angebot nicht offen zugänglich. Die Durchführung des Lernangebotes setzt eine Anmeldung auf dem Portal voraus. Diese Hürde ist ein Manko, da interessierte Schülerinnen und Schüler das Angebot nicht eigenständig ohne Freischaltung nutzen können.
Auch verschiedene soziale Netzwerke haben die Wichtigkeit der Aufklärung ihrer Nutzerinnen und Nutzer verstanden und bieten hier Hilfestellung an. Beispielsweise veröffentlichte das soziale Netzwerk wer-kennt-wen zum diesjährigen Safer Internet Day am 8. Februar 2011 den Leitfaden „Tipps zur Sicherheit auf wer-kennt-wen“.Der ansprechende im Comic-Stil gehaltene Leitfaden richtet sich vor allem an junge Nutzerinnen und Nutzer und veranschaulicht in einfachen Worten mögliche Gefahren.
Beitrag aus Heft »2011/02: Nichtkommerzielle Lokalradios heute«
Autor:
Daniela Hilkert
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Daniela Hilkert: Gefangen im virtuellen Raster
Das Science-Fiction-Abenteuer Tron: Legacy ist eine Fortsetzung des Films Tron aus dem Jahre 1982 und läuft seit Ende Januar in den deutschen Kinosälen. Doch nur wenigen Kinogängern und -gängerinnen wird bekannt sein, dass es sich bei dem Film um die Fortsetzung eines Klassikers handelt. Denn die Fortführung der Geschichte schafft es, einen unabhängigen Film zu erschaffen. Der Spieleentwickler Kevin Flynn, der wie auch im ersten Teil von Jeff Bridges gespielt wird, ist seit 20 Jahren gefangen in seiner selbst geschaffenen, virtuellen Welt. Sein Sohn Sam (Garrett Hedlund) bekommt über Alan Bradley (Bruce Boxleitner) eine Nachricht von seinem Vater übermittelt. In der alten Spielhalle seines Vaters stößt Sam auf ein Labor und wird in das virtuelle Raster gezogen. Nun beginnt ein spannender Kampf, denn in der Welt von Tron haben sich die Programme weiterentwickelt und Clu, das Abbild von Kevin Flynn, möchte die Weltherrschaft an sich reißen. Gemeinsam mit Quorra (Olivia Wilde) begibt sich Sam auf eine gefährliche Reise, in der es wie in der realen Welt plötzlich um Leben und Tod geht.
Viele Filmfans freuten sich auf den Kinostart des heiß ersehnten 3D-Kinohighlights des Winters. Freuten sich auf nie gesehene Computereffekte, Animationen, Musik, geschrieben von Daft Punk, und eine in den Bann ziehende Handlung. Doch beim Verlassen des Kinos sind bei den Zuschauerinnen und Zuschauern nur vereinzelt strahlende Augen zu sehen. Denn die Fortsetzung erreicht lange nicht das, was Tron im Jahre 1982 schaffte. Ein Film, der damals mit seinen Special-Effects alles andere übertraf. Die Möglichkeiten der Filmbranche haben sich weiterentwickelt und so sind die Erwartungen des Kinopublikums nicht leicht zufriedenzustellen. Trotzdem sind die Effekte der digitalen Welt, der Lichträder und atemraubenden Kämpfe mit Identitätsdiskursen auf hohem Niveau, ansprechend und actionreich computeranimiert und durch die Musik vom Elektro-Duo Daft Punk bestens untermalt.
Gute Effekte alleine reichen leider jedoch nicht aus und so ist die ‚belanglose’ Story ein großer Schwachpunkt des Filmes. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Vater-Kind-Beziehung zwischen Sam und Flynn. Allerdings ist diese nicht mitreißend und tritt so leider neben den Effekten eher in den Hintergrund, anstatt die Emotionen der Zuschauenden zu wecken. Der Film bekam eine FSK 12-Freigabe, die durchaus gerechtfertigt ist, da jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer aufgrund der undurchsichtigen Handlung dem Film nicht folgen könnten und auch durch die gewalthaltigen Kämpfe, in denen es für die Protagonisten um Leben und Tod geht, verängstigt werden. Das Game Over in der digitalen Welt ist das Aus für den Spieler oder die Spielerin in der Realität. Die Schwierigkeit ist es, Realität und Computerspiel auseinanderzuhalten. Die Grenzen verschwimmen, was auch eindeutig von Regisseur Joseph Kosinski gewollt ist.
Für Heranwachsende besonders interessant sind natürlich die dazugehörenden Computerspiele wie beispielsweise Tron: Evolution, ein Actionspiel für die Play Station 3 oder die Xbox360, in dem man sich in einem digitalen Universum unterwegs auf Lichträdern durchkämpfen muss. Auch mit dieser Ergänzung scheint Disney kein Trumpf gelungen zu sein, doch davon sollte sich jeder selbst sein eigenes Bild machen und dem rasanten Abenteuer die Chance geben, sich in das virtuelle Raster der digitalen Welt ziehen zu lassen.
Daniela Hilkert
Tron: Legacy (2010)
Regisseur: Joseph Kosinski
Schauspieler: Jeff Bridges, Garrett Hedlund, Olivia Wilde, Bruce Boxleitner, James Frain und Beau Garrett
FSK 12
Beitrag aus Heft »2011/02: Nichtkommerzielle Lokalradios heute«
Autor:
Daniela Hilkert
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Sonja Rehbein: Das vierte Fragezeichen
Die drei ??? – Das Quiz, United Soft Media Verlag GmbH, PC CD-ROM, 11,97 €.
„Packende Quiz-Spannung bei Rätseln und Aufgaben rund um die Welt der drei Kultdetektive“, das verspricht das PC-Quiz allen Fans der Drei ??? . Die Spielenden bewerben sich als Assistenz-Detektive in Rocky Beach und müssen beweisen, dass sie der Zusammenarbeit mit den Drei ??? würdig sind. Erst dann dürfen sie den Drei ???und Inspektor Cotta bei der Jagd auf Victor Hugenay, den berühmt berüchtigten Kunstdieb und Dauerkontrahenten der Drei ???, helfen. Um sich als gewiefter Detektiv auszuweisen, müssen vier ‚Meisterfragen‘ gelöst werden, die an den unterschiedlichsten Stellen in Rocky Beach verteilt und mit einer Fahne gekennzeichnet sind. Die fiktive Küstenstadt wird mittels eines Spielplans dargestellt, auf dem sich die Amateurdetektive schrittweise bewegen können. Als Spielfigur kann anfangs entweder Justus, Peter oder Bob gewählt werden. Wer allerdings glaubt, von einem der Drei ??? oder Inspektor Cotta, der immer am unteren linken Rand zu sehen ist, Hilfe zu bekommen, hat sich geirrt.
Um sich mit seiner Spielfigur fortbewegen zu können, muss das kompassähnliche Symbol im rechten oberen Bildrand angeklickt werden, welches dann eine Zahl zwischen eins und drei angibt. Diese Zahl beschreibt den Radius, in dem sich die Spielfigur auf dem Spielplan bewegen darf. Um gehen zu dürfen, muss jeweils eine Quizfrage beantwortet werden, die nicht von schlechten Eltern ist. So muss man beispielsweise Buch- oder Kassettencover der jeweiligen Drei ???-Folge zuordnen, eine Hörprobe identifizieren und den passenden Titel dazu ermitteln oder aber eines der Minispiele lösen. Diese Aufgaben haben meist eine sehr knappe zeitliche Begrenzung, die teilweise zum Problem werden kann und kein längeres Nachdenken erlaubt. Es gibt auch ‚normale‘ Quizfragen ohne Zeitlimit. Hier geht es oft um detaillierte Einzelheiten, die sowohl Bücher und Hörspiele, aber auch die beiden Kinofilme, die neu aufgelegten Drei ??? Kids oder DiE DR3i, eine Hörspielserie, die auf der US-amerikanischen Jugendbuchserie The Three Investigators sowie den Drei ??? basiert, betreffen können. Auch vor detaillierten Einzelfragen über die Charaktere, die verschiedenen Autorinnen und Autoren, Synchronstimmen oder Schauspielerinnen und Schauspieler der Kinofilme macht das Spiel nicht Halt.
Um alle Fragen beantworten zu können, müssen die angehenden Detektive entweder eine komplette Bibliothek aller Drei ???-Werke griffbereit haben oder aber über ein enormes Fachwissen gepaart mit einem nahezu meisterlichen Gedächtnis verfügen. Auch ist es von Vorteil, wenn man nicht nur alle Folgen der Serie gehört, sondern auch gelesen hat, denn manchmal tauchen Fragen auf, deren Antworten in keinem Drei ???-Hörspiel, sondern nur in den Büchern Erwähnung finden. Natürlich kommt es vor, dass man eine Frage falsch beantwortet. Das verschlechtert dann nicht nur das persönliche Gesamtergebnis, hier kommt auch Inspektor Cotta wieder ins Spiel. Mit Sprüchen wie „Jetzt denk doch mal nach!“ oder „Ich bin sprachlos vor Entsetzen!“ äußert er dann sehr direkt seinen Unmut über die ‚schlechte‘ Leistung des angehenden Detektivs. Hat man endlich alle ‚Meisterfragen’ gelöst, kann man mit den erworbenen ‚Detektiv-Punkten‘ detektivische Hilfsgegenstände erwerben, die einem bei der späteren Jagd auf Victor Hugenay behilflich seien sollen. Die Jagd auf Hugenay gestaltet sich genau wie die vorangegangene Suche nach den Fähnchen mit den ‚Meisterfragen‘. Hier sollte man seine Schritte allerdings so wählen, dass man dem gesuchten Knstdieb möglichst nahe kommt. Steht man irgendwann mit ihm auf demselben Feld, hat man ihn ‚erwischt‘.
Auch Hugenay hat nur den begrenzten Radius von ein bis drei Schritten zur Verfügung. Wann er allerdings wie viele Schritte macht, ist nicht ersichtlich. Hat man den berüchtigten Kunstdieb und Dauerwidersacher der Drei ??? dann dingfest gemacht, wird der persönliche Highscore ermittelt und die Tauglichkeit als Detektiv geprüft. Dies geschieht anhand der Zeit und der Fragen, die der ‚Detektiv‘ gebraucht hat, um ans Ziel zu gelangen. War die benötigte Zeit zu lang, oder wurden zu viele Fragen falsch beantwortet, wird die Spielerin oder der Spieler als ‚zu schlecht‘ befunden und nicht in das Detektivteam aufgenommen. Ist dies der Fall, wird das der Juniordetektivin oder dem Juniordetektiv von Inspektor Cotta durchaus ucharmant gesagt. Für ganz Eifrige besteht auch die Möglichkeit, den persönlichen Highscore im Internet mit anderen zu vergleichen.
Auch wenn das Spiel ohne Altersbegrenzung freigegeben ist, heißt das nicht, dass es für Kinder aller Altersstufen geeignet ist – im Gegenteil. Insgesamt ist die Handhabung des Spiels teilweise problematisch, da die Menüführung nicht selbsterklärend und teilweise unübersichtlich ist. Dieser Umstand weist das Spiel, besonders für Kinder unter zwölf Jahren, als ungeeignet aus. So ist beispielsweise von Anfang an nicht ersichtlich, wo das momentane Spiel gespeichert werden kann. Schließt das Kind die Spieloberfläche versehentlich, wird nicht darauf aufmerksam gemacht, dass das Spiel gespeichert werden muss, da sonst alle erspielten Punkte verloren gehen. Zu Beginn des Quiz‘ wird der Spielerin oder dem Spieler zwar auf Wunsch der Verlauf des Spieles erklärt, während des Spiels besteht aber keine Möglichkeit, Rückfragen zu stellen, wenn man etwas nicht verstanden hat – eine Hilfefunktion gibt es nicht. Die Informationen beziehen sich außerdem ausschließlich auf den ‚Inhalt‘ des Spiels, nicht aber auf die Handhabung oder die Menüoptionen. So kann auf dem Spielplan auch nichts angeklickt werden, das helfen würde, Fragen zu beantworten oder den richtigen Weg zu finden. Eine Spielanleitung ist ebenfalls nicht vorhanden.
Die zugrundeliegende Coverstory ist ferner sehr dürftig. Zwar wird anfangs erklärt, was der Auftrag ist und warum die ‚Meisterfragen‘ beantwortet werden müssen, während des eigentlichen Spiels ist davon aber nicht mehr viel zu bemerken. Auch die Kommentare, die Inspektor Cotta vom Spielfeldrand verlauten lässt, werden schnell einseitig. Neben den eigentlichen Quizfragen müssen immer wieder Minispiele, die aus Gedächtnisaufgaben, Suchbildern und ‚Dechiffrieraufgaben‘ bestehen, gelöst werden.
Diese wiederholen sich aber häufig und werden mit der Zeit langweilig. Insgesamt ist das Quiz eine nette Unterhaltung für Drei ???-Fans, die allerdings schnell ihren Reiz verliert. Für Kinder unter zwölf Jahren ist das Drei ??? -Quiz nicht geeignet, da das geforderte Fach- und Überblickswissen über die drei Kultdetektive beträchtlich ist und von jüngeren Kindern kaum aufgebracht werden kann.
Beitrag aus Heft »2011/02: Nichtkommerzielle Lokalradios heute«
Autor:
Sonja Rehbein
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Daniela Hilkert: Medienpakete zum Thema Gewalt
Programm polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. (2009). Abseits. Medienpaket. Stuttgart. Institut für Friedenspädagogik Tübingen e. V.
Günther Gugel. (2011). Medien und Gewalt. Problemfelder und Handlungsmöglichkeiten. Praxisbox. Tübingen.
Playstation, Internetzugang, Handy – so sieht der heutige Alltag der meisten Kinder und Jugendlichen aus. Besitzen sie kein eigenes Gerät, so zumindest oft die Möglichkeit, sich Zugang zu verschaffen. Neben den vielen Vorzügen der sogenannten neuen Medien und positiven Inhalten bieten diese auch Zugang zu gewalthaltigen Darstellungen, denen Kinder oft schutzlos ausgesetzt werden. So ist es nicht verwunderlich, dass mittlerweile nicht mehr nur Eltern die Vermittlung von Medienkompetenz als wichtiges Erziehungsziel ansehen, sondern auch die Schule ihre wichtige Aufgabe erkannt hat. Es finden sich zahlreiche Medienpakete und Arbeitsmaterialien zu den Themen Medien und Gewalt, sei es direkt zu in den Medien vermittelte Gewalt oder zur Gewaltprävention, die medial vermittelt wird. Nachfolgend sollen zwei Materialien vorgestellt werden, die sich nicht nur für den Einsatz im Unterricht eignen, sondern auch in der offenen Jugendarbeit eingesetzt werden können.
Abseits ist ein Gewaltpräventionspaket für Schülerinnen und Schüler ab neun Jahren. Das Medienpaket bestehend aus einer DVD mit sechs Filmsequenzen zu erschiedenen Formen der Gewalt und einem Filmbegleitheft, legt den Schwerpunkt auf Aufklärung und Opferschutz. Es sollen Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, sowie das Helfer- und Zeugenverhalten bei Opfern aktiviert und die Empathie gefördert werden. Die einzelnen Filmsequenzen dauern je drei bzw. fünf Minuten und behandeln die Themenschwerpunkte verbale Aggression, Mobbing, körperliche Aggression, Sachbeschädigung – Graffiti und Erpressung – Abzocken.
Im Jahre 2009 wurde das Medienpaket aktualisiert, das heißt angeglichen „an aktuelle Entwicklungen jugendtypischer Gewaltphänomene“ (Filmbegleitheft, S. 5) und um eine neue Filmepisode zumThema Handygewalt, dem sogenannten „Happy-Slapping“ erweitert. Die Filmsequenzen können als Film im Ganzen oder einzeln präsentiert werden. Die Kurzfilme sind sehr realitätsnah aus dem Schulalltag von Kindern und Jugendlichen gegriffen, dementsprechend regen sie die Betrachterinnen und Betrachter an, sich mit dem Geschehen intensiv auseinanderzusetzen. Die jugendaffine Aufmachung mit der Verwendung altersentsprechender Sprache, ‚cooler‘ Hintergrundmusik und den spannenden Schnitten unterstützt diese Wirkung. Verantwortlich ist das Programm polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. Die ergänzte Episode zum Thema Handygewalt wurde mit Unterstützung des Informationszentrums Mobilfunk produziert. Das praktische, eher kurz gehaltene Begleitheft richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer und bietet zu jedem Themenschwerpunkt allgemeine Zielsetzungen, Konzepte, Lernziele und stellt eine mögliche Unterrichtsumsetzung vor. Das Begleitheft rät, bei einer eher kognitiven Auseinandersetzung mit den Themenkomplexen circa zwei Stunden zur Bearbeitung der Inhalte einzuplanen. Allerdings können die Unterrichtseinheiten erweitert werden, wenn „die Umsetzung der Konzepte (Kommunikationstraining, Selbstbehauptungstraining et cetera) intensiv und unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung von Handlungs- und sozialen Kompetenzen und deren Umsetzung in zukünftigen relevanten Situationen geschieht“ (Filmbegleitheft, S. 6).
Das Paket bietet somit eine gelungene Orientierung für Lehrerinnen und Lehrer, da zwar ein Rahmen für die Verwendung der Materialien vorgeschlagen wird, dieser aber nicht zwingend eingehalten werden muss und so Freiraum für den Einsatz bietet. Zusätzlich enthält das 18-seitige Programmheft, welches der DVD beigefügt ist und auch im Internet frei zur Verfügung steht, Tipps für Lehrerinnen und Lehrer zum Thema Handygewalt mit wertvollen Links und vorgedruckte Elternbriefe in deutscher, türkischer und russischer Sprache. Die Elternbriefe sollen das Thema weiter in die Öffentlichkeit bringen, Informationen über das Projekt geben und gleichzeitig die Eltern bestärken. Interessant ist auch die Bastelanregung, ein Würfel zum Ausschneiden, der zentrale Botschaften vermittelt wie „Was Gewalt ist, entscheidet das Opfer“ (Filmbegleitheft, S. 29) und eine freie Seite für persönliche Statements bereithält. Die ‚kleine Basteleinheit‘ kann gut in den Unterricht integriert werden. Der Hintergedanke ist klar ersichtlich, allerdings bleibt offen, ob man die Zielgruppe, die das Paket erreichen möchte, von der ‚Auflockerung‘ begeistern kann.
Für Pädagoginnen und Pädagogen sehr hilfreich ist das für das eher dünne Begleitheft ausführliche Literaturverzeichnis. Hier finden sich zahlreiche, gut gegliederte Literaturangaben, die ergänzend bearbeitet werden können und eine weitere Vertiefung in das Thema Gewaltprävention erlauben. Heutzutage dürfen auch wertvolle Internetseiten nicht fehlen, entsprechende Links finden sich am Ende des Heftes. Die Praxisbox Medien und Gewalt des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen e. V. beschäftigt sich im Gegensatz zum Medienpaket Abseits nicht mit realer Gewalt auf den Schulhöfen, sondern mit den Problemfeldern und Handlungsmöglichkeiten von Medien, speziell Fernsehen, Video, Internet und Computerspiele. Die Praxisbox möchte jedoch einen Bezug der medialen Gewalt zur realen Gewalt, welcher Kinder und Jugendliche im Alltag ausgesetzt sind, herstellen. Bereitgestellt werden ausgewählte Materialien und didaktische Zugänge für verschiedene Bildungsinstitutionen. Im Vordergrund steht der eigene produktive Umgang mit den verschiedenen Medien. Neben einem Booklet mit wichtigen Hintergrundinformationen über Gewalt in Bildschirmmedien, bieten klar gegliederte Materialien unter anderem zu den Themen Mediennutzung, Gewalt in Medien, Computerspiele, Darstellungsformen, Probleme und Risiken im Internet oder Umgang mit Gewalt in Medien Tipps und Möglichkeiten für den direkten Praxiseinsatz. Die Jugendlichen werden beispielsweise aufgefordert, ein eigenes Medienprotokoll zu erstellen oder sie werden mit einem Facebookprofil konfrontiert, welches die Gefahren der Onlinepräsentation zeigen soll. Zusätzlich enthält die Praxisbox 30 Bildkarten, die Werbeplakate aus den Bereichen Film, Computerspiele und Fernsehen seit den 1950er Jahren zeigen. Gewalt in den Medien ist also kein neues Thema. Bei der Diskussion über Merkmale und Unterschiede sind hitzige Debatten vorprogrammiert. Auf der Rückseite der Bildkarten finden sich Texte, die konkrete Situationen des Umgangs mit Medien schildern und eine eigene Stellungnahme fordern.
Der Einsatz der Karten ist erst in höheren Klassen empfehlenswert, allerdings eignen sich diese sehr gut, um Diskussionen anzuregen und den eigenen Standpunkt beispielsweise zu den Themen Privatsphäre im Internet oder Computersucht zu ergründen. Das Booklet beschreibt eine mögliche Umsetzung in der Praxis. Eine CD-ROM bietet ultimediale Zugänge und Quellenmaterialien, Filmbeispiele oder Interviews für die Praxis und den Filmkatalog von Cinema of Peace, der Filme für den Schulunterricht einstuft und beschreibt. Auch für die Arbeit mit der CD-ROM gibt es im Booklet Vorschläge. Die Vorteile der Praxisbox liegen eindeutig in den umfangreichen didaktischen Zugängen und Möglichkeiten für den Einsatz in der Praxis. Beide kostenlosen Materialien sind empfehlenswert, um im Unterricht oder in der offenen Jugendarbeit das Thema „Medien und Gewalt“ zu thematisieren. Wichtig ist, dass man sich als Pädagogin oder Pädagoge über seine genaue Zielsetzung aber auch seine eigenen Vorkenntnisse bewusst wird. Die Praxisbox Medien und Gewalt bietet zwar einen guten Einstieg mit wichtigen und ausführlichen Informationen zum Thema, lässt allerdings in der didaktischen Umsetzung viel Spielraum. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Materialien ist Voraussetzung. Im Gegensatz zu dem eher vorstrukturierten Medienpaket Abseits, welches neben klaren Zielsetzungen, Konzepten und Lernzielen sich sehr gut auch für ‚Neulinge‘ im Bereich der Medienarbeit eignet.
Beitrag aus Heft »2011/02: Nichtkommerzielle Lokalradios heute«
Autor:
Daniela Hilkert
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Spiel, Spaß und Ärgernis mit dem ‚klügsten Stift der Welt‘
tiptoi® Stift, Ravensburger, 34,99 €, (Im Lieferumfang: Stift, USB-Kabel, ausführliche Bedienungsanleitung), ab 4 Jahre Tiptoi Globus Puzzleball, Ravensburger, 49,99 € (Im Lieferumfang: Globus; Stift muss separat erworben werden.), ab 8 Jahre, 96 Teile
96 kleine Plastikstücke liegen vor mir auf dem Tisch verstreut. Sie sind bilderbuch-pastellfarben bemalt und alle ein bißchen verbogen und verdellt. Daneben ein oranges Plastik-Gerät, das entfernt an eine Karotte, noch entfernter an einen adipösen Kugelschreiber erinnert. Außerdem verschiedene, undefinierbare Plastikteilchen in allen Größen, Farben und Formen. Beim Anblick des chaotischen Kunststoff-Berges beschleicht mich langsam Hilflosigkeit und das Gefühl, vier Jahre alt zu sein und gerade das große tausend-Teile-Puzzle über den Esstisch geschüttet zu haben: Nur mit Mühe kann ich dem Drang widerstehen, laut und weinerlich „Papaaa“ zu rufen. Leicht resigniert werfe ich nach einigen Anläufen, Ordnung in den Tumult zu bekommen, schließlich meine Trial-and-Error-Ambitionen über Bord und ziehe ergeben die mitgelieferte Bedienungsanleitung aus dem Karton. tiptoi® – Der klügste Stift der Welt brüllt mir die Packung dabei entgegen und ich frage mich, ob der klügste Stift der Welt wohl auch den klügsten Bediener der Welt erfordert.
Doch die Überraschung folgt auf dem Fuß: Als ich derart eingeschüchtert beginne, in der Hochglanz-Anleitung zu blättern, erwarten mich keine aus dem Japanischen übersetzten Grammatik-Ungeheuer, sondern eine nett gestaltete Einführung, die mir schnell eine wahre Ballsaal-Beleuchtung aufgehen lässt. Und dann kann die Bastelstunde losgehen: zwei Plastik-Kärtchen fungieren als Vorlage, die anderen Teile setzen sich nach und nach zu einem Globus zusammen, auf dem mich in bunten Farben nicht nur die Kontinente, sondern auch Schmankerln wie in den jeweiligen Ländern beheimatete Tiere sowie eine tiptoi-Bedientafel anstrahlen. Die Hartplastik-Karotte wird mit einigem Geschraube und Geziehe und zwei kleinen Batterien zum Leben erweckt und fertig ist das ‚audiodigitale Lernsystem‘, die allerneueste Innovation aus dem Hause Ravensburger. Mein kluger Stift begrüßt mich mit einem fröhlichen Dreiklang, lässt sich per USB- und Internet-Verbindung mit dem nötigen Wissen füttern (denn natürlich gibt’s den tiptoi nicht nur für den Globus, sondern für zahlreiche andere Bücher, Puzzles und Lernspiele) und wünscht mir dann viel Spaß mit meinem neuen Globus. Noch etwas skeptisch beginne ich, wahllos auf Länder und Meere zu tippen und mir von der etwas blechernen Stift-Stimme Ländernamen aufsagen zu lassen, die ich auch lesen könnte. Meine Versuche, die Stimme im Stift durch völlig planloses Tippen zu ärgern, scheitern natürlich und sind auf Dauer auch nicht sehr kurzweilig – das hätte mir aber sicher auch ein Vierjähriger sagen können und der befindet sich, im Gegensatz zu mir, an der Untergrenze der Altersempfehlung für den tiptoi. Also schlage ich eben doch wieder die Anleitung auf und lerne nun, was es mit den beiden silbernen Tafeln auf sich hat, die im Paket dabei sind: Die darauf eingezeichneten kleinen Formen und Zeichen fungieren sozusagen als Mittler zwischen intellektuellem Stift und wissbegierigem Anwender. So bringt man das orange Superhirn etwa durch Klick auf eine Art Skyline dazu, statt Ländernamen nunmehr Hauptstädte auszuspucken. Ein Tip auf ein Mund-Symbol beschert hernach Informationen über die Sprache des jeweiligen Landes, außerdem hält der Stift Wissen zu Fläche, Zeitzone, Geografie, Tieren, aber auch „Interessantes“ bereit.
Nach und nach lerne ich so kluge Dinge wie „Dieses Land heißt Marokko“, „Finnland hat 5.300.000 Einwohner“, „Kolumbien hat 1.140.000 m2“, „Die Hauptstadt von Kanada ist Ottawa“, „Eine der einzigartigsten Landschaften der Welt befindet sich an der Nordseeküste und ist 2009 zum Weltkulturerbe ernannt worden: das Wattenmeer“. Zwar hätte der Stift mit seiner etwas freudlosen Stimme vermutlich wenig Chancen als Radiosprecher, aber die Informationshäppchen sind kurz und prägnant, so dass man wirklich etwas erfahren kann. Dennoch braucht es wohl eine ausgeprägte Geografie-Affinität oder wahlweise herannahende Probearbeiten in der Schule, um tatsächlich die Motivation aufzubringen, länger als drei Minuten damit zu verbringen, sich Fakten über aller Herren Länder vor die Füße bzw. die tippenden Finger schmeißen zu lassen. Auch hier kann das Plastik-Wunderwerk aber Abhilfe schaffen und bietet vier verschiedene Spiele an, die je einer bis vier Spieler gemeinsam bestreiten können. In kleinen Variationen sind sie alle Schnelligkeits-Memorys, es gilt, vor dem Gegner Länder, Tiere oder Städte zu finden. Als Gegenspieler können entweder Freundinnen und Freunde herhalten oder – sollten solche gerade nicht greifbar sein – auch der unschlagbare Stift. Der ist zwar – im Gegensatz zu echten Antagonisten –unermüdlich und ein äußerst guter Verlierer, irgendwie ist er mit seiner blechernen Besserwisserei dann aber doch nicht der Gesprächspartner, den ich mir für lange Abende bei Kerzenschein und Rotwein wünsche. Und als ich mich daher von ihm verabschiede, schenkt er mir einen ebenso freudigen Dreiklang wie zur Begrüßung. Er wird mich wohl auch nicht vermissen.
Was bleibt zum Schluss meines Intermezzos mit dem schlauen Gerät? Spaß hat es definitiv gemacht. Der Globus ist schön und liebevoll gestaltet, der Aufbau herausfordernd aber auch spaßig. Kinder brauchen definitiv Hilfe dabei, sowohl kognitiv als auch in Form von Muskelkraft, denn die harten Teile halten zwar für immer, wenn sie einmal am richtigen Platz sind, müssten dorthin aber erst gezwungen werden. Auch die Bedienung ist durchaus reizvoll, der tiptoi hat den „Aha“-Effekt definitiv auf seiner Seite und besticht durch seine Andersartigkeit: Sich einen Globus, ein Bilderbuch oder Ähnliches von einem sprechenden Stift erklären lassen – das will jeder mal probieren. Natürlich ist es unter Umständen auch sinnvoll: Als Geografie-Nachhilfe, um Kindern ein langweiliges Thema ‚peppig‘ zu verkaufen, wenn gerade niemand Zeit hat … Und doch: Nach der ersten Faszination bleibt das langweilige Thema eben doch langweilig, auch wenn es von einem orangen Stück Plastik präsentiert wird. Und nach der ersten Testrunde sind sicher auch Spielkameraden aus Fleisch und Blut auf Dauer reizvoller, als der kleine artifizielle Besserwisser.
Obendrein lässt sich die innovative, digitale Vorleseoma stolz bezahlen: 34,99 Euro muss man für den Stift berappen, die passenden Produkte kommen obendrauf – im Fall Globus wären das 49,99 Euro. Für den Preis kann man die echte Oma schon fast in einen Zug setzen, anreisen lassen und ihr Kaffee und Kuchen spendieren. Bei ihr darf man beim Bilderbuch-Blättern dann nämlich auf einem Schoß sitzen, kann sich interessante Geschichten erzählen lassen und auch mal zurück fragen, kann ganz ohne digitale Unterstützung Memory spielen mit einem Gegner, der nicht auf gewonnene wie verlorene Züge mit gleich bleibendem Phlegma reagiert – und am Ende knipst sie noch das Licht aus und sagt nett „gute Nacht“ statt „Ding Dang Dong“.
Beitrag aus Heft »2011/02: Nichtkommerzielle Lokalradios heute«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Markus Fischer: Urheberrecht im Arbeitsverhältnis
Medienpädagoginnen und Medienpädagogen unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, Erfahrungen mit Medien zu machen mit dem Ziel, ihnen einen kompetenten Medienumgang zu vermitteln. Dafür verfassen sie Konzepte und Lehrmaterialien für den Umgang mit Medien. Zudem führen sie Projekte und Workshops durch. Während ihrer Arbeit können urheberrechtlich geschützte Werke entstehen. Als Urheber haben sie nach dem Urheberrechtsgesetz das Recht, über die Verwertung ihres Werkes zu bestimmen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt sie zudem vor erheblichen Veränderungen ihrer urheberrechtlich geschützten Arbeit und gibt ihnen die Rechte, als Urheber genannt zu werden und zu bestimmen, ob und wie das Werk zu veröffentlichen ist. Die Verletzung dieser Rechte kann zu zivilrechtlichen Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen führen. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Verletzung strafrechtlich zu verfolgen. Im Folgenden sollen die Fragen beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen medienpädagogische Arbeiten urheberrechtlichen Schutz genießen und inwiefern dieser Schutz eingeschränkt ist, wenn die medienpädagogische Arbeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geleistet worden ist.
Eine große Anzahl von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen arbeiten heute im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses in Bildungs- und Kultureinrichtungen. Der urheberrechtliche Schutz medienpädagogischer Arbeiten setzt voraus, dass die jeweilige Arbeit eine persönliche geistige Schöpfung im Rahmen der Literatur, Wissenschaft und/oder Kunst beinhaltet. Im Rahmen sämtlicher Medienarten, also in den Bereichen Print, Audio, Foto, Film, Computer und Internet, können urheberrechtlich geschützte Werke entstehen. Sobald eine persönliche geistige Schöpfung entwickelt worden ist, tritt der Urheberrechtsschutz in Kraft. Es bedarf keiner gesonderten Anmeldung bei irgendeiner Institution. Sowohl Texte, Hörspiele, Fotos und Filme als auch noch nicht fixierte, aber gehaltene Reden, können Urheberrechtsschutz genießen. Dabei kommt es auf das Alter des ‚Schöpfers‘ nicht an. Wenn in der Medienpädagogik Tätige mit Kindern und Jugendlichen zusammen ein urheberrechtlich geschütztes Werk schaffen, sind alle daran Beteiligten sogenannte Miturheber, denen die Rechte am Werk gemeinschaftlich zustehen. Eine persönliche geistige Schöpfung erfordert einen geistigen Gehalt, der zu einem gewissen Grad von Individualität geprägt ist. Ideen, Anregungen, einzelne Gedanken, Methoden, historische und gegenwärtige Ereignisse sind daher urheberrechtlich nicht geschützt. Wenn diese Elemente jedoch konkret in der medienpädagogischen Arbeit ausgestaltet werden, können sie urheberrechtlich geschützt sein. Es hängt jeweils von einer Einzelfallbeurteilung ab, ob eine medienpädagogische Arbeit als urheberrechtlich geschützt angesehen werden kann. Wissenschaftliche Texte, Treatments, Drehbücher, Filme, Hörspiele werden in ihrer Gesamtheit in der Regel eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten und somit Urheberrechtsschutz genießen. Die zugrunde liegenden Ideen erlangen dagegen keinen Urheberrechtsschutz und können von jedem ohne irgendeine Erlaubnis genutzt werden. Zu solchen Ideen gehören zum Beispiel: einzelne Spielideen, das Ausprobieren einzelner Einstellungen mit der Videokamera oder der Gedanke, einen Film über die Bedrohung von Lehrern durch Schüler zu machen.
Das Konzept für einen medienpädagogischen Workshop in seiner Gesamtheit kann wiederum urheberrechtlich geschützt sein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob eine persönliche geistige Schöpfung vorliegt und somit als Werk Urheberrechtsschutz genießt. Wenn die medienpädagogische Tätigkeit ein urheberrechtlich geschütztes Werk im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses1 hervorbringt, ist die Medienpädagogin bzw. der Medienpädagoge Urheber des Werkes. Es stellt sich die Frage, ob und wie der Arbeitgeber das jeweilige Werk ohne Erlaubnis des Arbeitnehmers vollständig nutzen darf, wenn im Arbeitsvertrag keine eindeutigen Regelungen diesbezüglich enthalten sind. Bei der Schaffung eines urheberrechtlich geschützten Computerprogramms im Rahmen eines Arbeitsvertrages darf der Arbeitgeber alleine die vermögensrechtlichen Befugnisse im Hinblick auf das Urheberrecht ausüben, sofern er keine andere Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer geschlossen hat. Bei den sonstigen urheberrechtlich geschützten Werken, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses entwickelt worden sind, räumt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mangels anderweitiger Vereinbarung diejenigen Nutzungsrechte ein, die der Arbeitgeber zur Erfüllung seines Betriebszwecks benötigt. Dieser Betriebszweck muss dem Arbeitnehmer erkennbar sein Wenn zum Beispiel ein Unternehmen Workshops zu medienpädagogischen Themen anbietet und angestellte Medienpädagoginnen bzw. Medienpädagogen im Rahmen ihres Arbeitsvertrages diese Workshops entwickeln und durchführen, besitzen die Unternehmen ohne besondere vertragliche Regelung bestehende Nutzungsrechte zur Veranstaltung bzw. Durchführung des Workshops.
Ob der Arbeitgeber bei Fehlen einer besonderen Regelung im Arbeitsvertrag und im Tarifvertrag die Rechte zur Durchführung des Workshops alleine nutzen darf oder ob die Arbeitnehmer berechtigt sind, die entwickelten urheberrechtlich geschützten Ausgestaltungen des Workshops auch für die Durchführung von Veranstaltungen bei anderen medienpädagogischen Unternehmen zu verwenden, hängt von dem Betriebszweck des jeweiligen Arbeitgebers ab. Die Vergütung für die Einräumung der Nutzungsrechte ist nach herrschender Meinung grundsätzlich mit dem Arbeitsentgelt abgegolten. Für eine gesonderte Vergütung wird grundsätzlich kein Anlass gesehen, da im Arbeitsverhältnis im Gegensatz zur freien Mitarbeit gesicherte Einkommensverhältnisse bestehen4. Ein Anspruch auf eine gesonderte Vergütung kann jedoch bestehen, wenn das Arbeitsentgelt die Nutzungsrechtseinräumungen nicht angemessen abgilt und eine Vergütung für die Nutzungsrechtseinräumungen nicht tarifvertraglich bestimmt ist. Die Angemessenheit der Vergütungen beurteilt sich nach der üblichen und redlichen Branchenübung und nach den Umständen des Einzelfalles.
Nadine Jünger: Pornogesellschaft?!
Die Frage, ob wir in einer ‚Pornogesellschaft‘ leben stellte sich kaum jemand zum Ende der interdisziplinären Fachtagung Pornografisierung von Gesellschaft?! vom 28. bis 30. Oktober 2010, ausgerichtet von der Fachhochschule Köln, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationskultur (DGPuK). Zwar ist Pornografie schon immer gegenwärtig gewesen, die Vorträge und Workshops im Ganzen deuten jedoch auf eine neue Quantität und ‚Qualität‘ der Verbreitung von pornografischen Inhalten und zugleich auch auf eine neue Qualität der wissenschaftlichen Diskussion. So verließ das Symposium erfreulicherweise die eingetretenen Pfade der erhitzten öffentlichen und häufig medial bestimmten Debatte um die verwahrlosende Wirkung von Hardcorepornografie und öffnete den Blick ebenso für die Bedeutung medialer Phänomene, die nicht der klassischen Definition von Pornografie zuzurechnen sind.
Aus dieser Perspektive lassen sich pornografische Inhalte und Darstellungsformen eben nicht nur in separaten Abteilen der Videotheken oder in den Tiefen des World Wide Web finden, sondern in nahezu jedem medialen Produkt, ob in der Werbung oder in Ratgeberliteratur (Anusch Köppert), im Sport (Daniela Schaaf, Jörg-Uwe Nieland), in Castingshows und Reality Soaps wie Deutschland sucht den Superstar oder Big Brother (Claudia Töpper), auf Mobiltelefonen und in Social Networks wie SchülerVZ (Iren Schulz, Wolfgang Reißmann) oder in Musik(-clips) (Andres Wagenknecht, Julia Jäckel). Insofern verwies die Themenvielfalt der Tagungsbeiträge darauf, dass sich ein zunehmend breites Medienspektrum pornografischer Elemente bedient. Darüber hinaus zeigten insbesondere die Präsentationen von Doris Allhutter und Kristina Pia Hofer, dass sich sowohl Produktions- und Darstellungs-, als auch Rezeptionsmodalitäten von ‚klassischer‘ Pornografie verändert haben. So stünde den Nutzerinnen und Nutzern neben professionellen Produktionen seit einiger Zeit auch ein breites Angebot an Online-Amateurpornografie als – wie Hofer es beschreibt – „fiction of the real“ zur Verfügung. Darüber hinaus wären die Konsumenten von Pornografie nicht länger bloße Rezipienten, sondern könnten über die Bedienung von computergenerierten Sexsimulatoren Pornografie interaktiv mitgestalten. Solange Medien im Alltag allgegenwärtig sind, sind auch pornografische Bezüge in der Gesellschaft allgegenwärtig und scheinen gleichermaßen gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität normierend zu durchdringen.
Wenngleich sich klassische Pornografie neuer Gestaltungs- und Produktionsformen bedient und pornografische Elemente in diverse mediale Unterhaltungsformate Einzug halten, bietet sich aus Sicht der Vortragenden inhaltlich nicht viel Neues. Die Tagungsbeiträge standen zumeist unter dem Stern der Gender-Studies und stellten die mediale Inszenierung von geschlechterhierarchischer und insbesondere heteronormativer Sexualität in das Zentrum der Auseinandersetzung.Die durchweg heteronormativitätskritische Perspektive machte sogar vor vermeintlich feministischen oder gar queeren Darstellungen nicht Halt. So unterzog etwa Julia Bader die TV-Serie The L-Word einer kritischen Analyse und zeigte, wie trotz aller Bemühungen um ‚lesbische Normalität‘ anhand spezifischer Inszenierungsstrategien auch hier heteronormative Strukturen reproduziert werden. Unter dem Schlagwort ‚Pornofeminismus‘ erörterte Paula-Irene Villa wiederum, welche Bedeutung, Chancen und Risiken jenem neuen ‚lustbetonten‘ feministischen Selbstverständnis zuzurechnen sind, wie es beispielsweise Lady Bitch Ray oder Charlotte Roche propagieren. So wurde aus der Diskussion um die ‚Pornogesellschaft‘ schnell eine Diskussion darüber, wie Feminismus in einer sexualisierten (Medien-)Gesellschaft auszusehen hat, was er leisten kann und soll. Einerseits wehrte man sich gegen das Bild der „humorlosen Feministin mit Achselhaaren“ (Myrthe Hilkens) und erkannte im populärkulturellen Feminismus durchaus ‚empowerment‘-Potenziale im Sinne eines selbstbestimmten Umgangs mit dem eigenen Körper. Andererseits sah man in seinem ebenso heteronormativen und pornografisierten Gewand eine Gefahr für Geschlechterdemokratie und sexuelle Vielfalt.
Diesem Trend entgegenzuwirken, hat sich die PorYes-Bewegung als Gegenoffensive zur PorNo-Kampagne verschrieben. Initiatorin Laura Méritt zeigte anhand von Filmausschnitten, wie sich PorYes um sexpositive Darstellungen und um einen Reichtum an sexuellen Ausdrucksweisen bemüht. Ob nun queere oder feministische Pornofilme besser sind als ie des Mainstreams und ob es unbedingt eines Feministischen Pornofilmpreises bedarf, ist fraglich, insofern dies eine Pornografisierung der Gesellschaft womöglich weiter vorantreibt. Nichtsdestotrotz gibt die Philosophie der Bewegung einen Anstoß zu neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen (Gegen-)Diskursen, indem sie Pornografie nicht per se als potenzielle Gefahr für die Gesellschaft begreift, sondern indem auch danach gefragt wird, inwiefern sie zur Akzeptanz sexueller Vielfalt beitragen kann. Zwar war von Seiten der geladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selten die Rede von generell negativen Auswüchsen des Pornografiekonsums, umso mehr wurde aber mahnend auf die mediale Öffentlichkeit gezeigt, deren Moralpaniken um die sexuelle Verwahrlosung der Jugend laut dem Sexualpädagogen Uwe Sielert jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Die „Generation Porno“ gebe es im eigentlichen Sinne nicht und zeichne ein unzutreffendes Bild von den Heranwachsenden unserer Zeit, denn gerade heute sei für die Mädchen und Jungen Liebe der zentrale Beweggrund für sexuelles Handeln. Wenn man überhaupt von einer „Generation Porno“ sprechen möchte, dann nur in der Weise, dass diese Generation wie kaum eine andere zuvor mit expliziter Pornografie und pornografisch assoziierten Medieninhalten aufwächst. Schließlich hätten laut einer Studie der Jugendzeitschrift BRAVO zwei Drittel der Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren bereits pornografische Bilder gesehen.
In den Vorträgen und Workshops deutet sich unterdessen an, dass pornografische Elemente oftmals nicht mehr als ein Ausdruck von Jugendkultur seien und damit ebenso Bestandteil alltäglicher Kommunikationskultur. Gleichwohl vermittelte der Filmvortrag zum Wuppertaler Medienprojekt von Andreas von Hören den Eindruck, dass die Jugendlichen selbst durchaus kompetent und reflektiert mit pornografischen Darstellungen umgehen können und diese nur selten als handlungsleitend für ihre eigene Sexualität wahrnehmen. Dies enthebe die Pädagoginnen und Pädagogen laut Sielert jedoch nicht von der Pflicht, ihren Beitrag zur Sexualerziehung zu leisten und die Heranwachsenden ‚pornokompetent‘ zu machen. Als Reaktion auf jugendschutzrechtliche Defizite wurde in den Diskussionen immer wieder der Ruf nach Sexual- und Medienkompetenzerziehung laut. An welchen Stellen konkret Handlungsbedarf besteht und wie der pädagogische Beitrag in der Praxis genau auszusehen habe und überhaupt umgesetzt werden kann – im Falle von Pornografie rechtlich gesehen keine leichte Aufgabe –, darauf konnte das auf einen wissenschaftlichen Diskurs angelegte Symposium nur schwer Antworten geben. Zurück blieben einige fragende Gesichter auf Seiten der pädagogischen Fachkräfte. Auf diese Weise zeigte die Tagung, dass sich Schlagworte wie „sexuelle Verrohung“ längst in den Gedächtnissen eingebrannt haben und sich diese nur schwer durch vorsichtige Entwarnungsbekundungen der empirisch Forschenden entkräften lassen. Das Symposium vermochte es dennoch zu vermitteln, dass eine Pornografisierung von Gesellschaft bzw. von Medien nicht zwingend mit einer Pornografisierung von individuell gelebter Sexualität einhergeht und es weiterer wissenschaftlicher Forschung bedarf, diesen Zusammenhang zu ergründen.
Jens Dehn: Nordische Filmtage Lübeck
Zum 49. Mal fanden im vergangenen November die Nordischen Filmtage in Lübeck statt. Ein besonderer Schwerpunkt lag 2007 auf dem skandinavischen Kinder- und Jugendfilm. „Die skandinavische Kinder- und Jugendfilmkultur gilt weltweit als eine der lebendigsten“, stellte Linde Fröhlich, Künstlerische Leiterin der Filmtage, schon vor Beginn des Festivals fest. Und diesem Ruf wurden die Skandinavier auch diesmal wieder gerecht. Einer der Höhepunkte des Programms: Hoppet von Elling-Regisseur Petter Næss, der die Geschichte des zwölfjährigen kurdischen Flüchtlingsjungen Azad erzählt. Dieser wollte mit seiner Familie vor dem Krieg in seiner Heimat nach Deutschland fliehen, doch nachdem sie von Schleusern betrogen wurden, landen Azad und sein traumatisierter, stummer Bruder Tigris alleine mit einem ungeliebten Onkel und dessen Familie in Schweden. Hoppet gewann den Kinder- und Jugendfilmpreis der Nordischen Filminstitute. „Dass man an sich selbst nicht den Glauben verlieren darf und es sich lohnt für die eigenen Träume zu kämpfen, davon erzählt Hoppet emotional berührend“, hieß es in der Begründung der Jury. Zudem belegt der Film einmal mehr eine der ganz großen Stärken des skandinavischen Kinder- und Jugendkinos: die Gabe, politische und auch brisante Themen auf sehr einfühlsame Weise zu erzählen und sein junges Publikum dabei immer ernst zu nehmen. Neben dem vielfältigen Programm wurde in diesem Jahr auch abseits der Leinwand ein Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche gelegt. So gab es zum ersten Mal das Projekt Junge Journalisten, in dem Jugendliche unter fachlicher Anleitung die Filme des Kinder- und Jugendprogramms rezensieren und erste Erfahrungen als Reporterinnen bzw. Reporter und Filmkritikerinnen und Filmkritiker sammeln konnten. Daneben hatten Lübecker Schulklassen an zwei Vormittagen während des Festivals Gelegenheit, die Kinder- und Jugendprogramme anzuschauen. Kritisiert werden muss jedoch die Retrospektive, eigentlich heimliches Highlight jedes Festivals.
Bevor die Nordischen Filmtage zum 50-jährigen Jubiläum auf die großen Klassiker der skandinavischen Filmgeschichte zurückblickten, sollten 2007 auch hier die „Höhepunkte des skandinavischen Kinder- und Jugendfilms“ zu ihrem Recht kommen. Doch das Ergebnis war mager: Ganze sieben Filme umfasste die Retrospektive, die ihren Namen somit kaum verdient hatte. Ein Wiedersehen gab es immerhin mit kleinen Klassikern wie Lasse Hallströms Mein Leben als Hund (Mit liv som hund), Allan Edwalls Åke und seine Welt (Åke och hans värld) und Goldregen (Guldregn) von Sören Kragh-Jacobsen. Das Fehlen einer Begleitpublikation wertet die Retrospektive jedoch zusätzlich ab. Und Astrid Lindgren, die im November einhundert Jahre alt geworden wäre, mit nur einem Film, nämlich Pippi Langstrumpf, zu würdigen (Neues von uns Kindern aus Bullerbü lief zudem in der Retrospektive), war schon eine kleine Frechheit. Umso mutiger war das reguläre Jugendfilm-Programm. Fernab der heilen Kinderwelt Astrid Lindgrens bewegt sich der dänische Film Life Hits (Råzone) von Christian E. Christiansen. Die Freundinnen Christina, Cecilie, Trine und Pernilla, alle von Laiendarstellerinnen gespielt, verbringen ihre Tage in der Kopenhagener Vorstadt vornehmlich mit Alkohol, Drogen und Partys. Als sich Cecilies Freund Shaid an Christina ranmacht, steht diese plötzlich isoliert in der Gruppe. Angestachelt von der ehemaligen Freundin, wird Christina in immer stärkerem Masse gemobbt, bis hin zu körperlicher Gewalt. Geschlagen und erniedrigt greift das Opfer zur Waffe. Life Hits verlangt seinem Publikum mit der zunehmenden Direktheit der Gewalt einiges ab. Lösungen bietet er dabei keine. Genauso wenig wie Die Klasse (Klass) aus Estland. Die Außenseiter Joosep und Kaspar werden hier von ihrer Schulklasse drangsaliert und geschlagen. Um sich zu rächen, besorgen sie sich den Schlüssel zum Waffenschrank von Jooseps Vater … Wo Life Hits mit Laienschauspielerinnen bzw. -schauspielern und dem Einsatz von Videomaterial den Eindruck des Dokumentarischen erzeugen will, wählt der Este Ilmar Raag eine gänzlich stilisierte Ästhetik. Mit Zeitlupe, Zwischentiteln und dem abrupten Wechsel in Schwarz-Weiß verweigert sich Die Klasse äußerlich dem Anschein des Authentischen. Tatsächlich beruht die Geschichte aber auf wahren Begebenheiten und weckt – gerade beim deutschen Publikum – automatisch Assoziationen zu den Geschehnissen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium.
Die Geschichte von Holger Danske
Einen festen Platz im Rahmen der Nordischen Filmtage hat seit mittlerweile 20 Jahren das „Filmforum Schleswig Holstein“. Hier wird einheimischen Produktionen aus Hamburg und Schleswig-Holstein eine Plattform geboten, sich dem breiten Publikum zu präsentieren. In seiner halbstündigen Dokumentation Flucht über das Meer – Die Rettungsaktion für jüdische Dänen begleitet Rasmus Gerlach über zwei Jahre lang Seminare des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes. Rund 25 Jugendliche aus Schleswig-Holstein und Dänemark im Alter zwischen zwölf und 22 Jahren stechen dabei von Kopenhagen aus in See, um nachzuempfinden, wie es jüdischen Flüchtlingen ging, die 1943 vor der Gestapo flüchteten. Holger Danske hieß die Widerstandsbewegung, die in Dänemark zur Zeit der Besatzung im Zweiten Weltkrieg Juden über den Öresund an die Küste des politisch neutralen Schwedens brachte.Rasmus Gerlach kam über seine Mutter zu dem Projekt, die die Seminare organisierte. Die dänischen Jugendlichen stammen von einer Schule, wobei die Teilnahme freiwillig war. Alle Deutschen meldeten sich über den Newsletter des Heimatbundes. Die Jugendlichen wussten, dass eine Kamera mit an Bord sein würde, doch alles durfte der Filmemacher nicht zeigen. „Ich war willkommen“, sagt Gerlach im Interview mit merz, „aber es gab Einschränkungen: Man sieht die Kojen nicht, wobei es mich schon gereizt hätte, auch mal die schlafenden Seminaristen in diesen abenteuerlichen Schlafräumen auf dem alten Schiff darzustellen. Aber das war sozusagen Tabu. Genau wie die Landgänge, also die Ausflüge in die Disko, wo die Jugendlichen auch mal ganz ausgelassen waren. Was dann auch dazu führte, dass der tapfere Kapitän nachts die Diskos abklappern musste, um die Versprengten einzusammeln.“ Ausflüge in die Disko, ausgelassenes Feiern – für die meisten der Jugendlichen stand zweifelsfrei der Abenteuercharakter des Seminars im Vordergrund. Dementsprechend war auch allen Beteiligten – Filmemacher, Organisatoren und den Jugendlichen – klar, dass der Eindruck, der entstehen würde, nicht dem entsprechen konnte, was die Flüchtlinge 1943 empfanden. Trotzdem war die Bereitschaft von allen da, sich auf dieses Experiment einzulassen, und beispielsweise auch die extreme Kälte an Bord zu erleben. „Ich glaube, es hat sich herausgestellt, dass es gut ist, den Jugendlichen möglichst viel abzuverlangen.
Wir haben den Eindruck, dass die jungen Leute viel mehr und schneller auffassen können als wir uns das vorgestellt haben. Und dass auch die Bereitschaft, so ein Thema durchzuarbeiten, relativ groß ist. Da waren wir sehr positiv überrascht.“Frappierend waren für Gerlach die Unterschiede in der Herangehensweise der Deutschen und Dänen. „Man kann vielleicht sagen, dass die Dänen spielerischer damit umgegangen sind. Vielleicht auch, weil es für die dänischen Jugendlichen anders ist, es ist sozusagen Teil ihres nationalen Heldenschatzes. Sie sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es da etwas gibt in der Geschichte, das für die Dänen ganz gut ist. Sie wissen nur nichts darüber. Die Deutschen sind da wesentlich ernsthafter herangegangen.“ Holger Danske war die effektivste Widerstandsbewegung in Europa. Dennoch ließen sich keine Förderanstalt und kein Sender finden, die bereit waren, den Film zu produzieren. Gerlach hat das Projekt aus eigener Tasche finanziert. Für den Filmemacher eine ähnlich idealistische und von persönlichem Engagement getriebene Aufgabe wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des schleswig-holsteinischen Heimatbundes. „Da dieses Seminar von meiner Mutter ausgearbeitet wurde, habe ich auch bei den Vorbereitungen viel mitgeholfen und zum Teil auch die Kontakte zu den Zeitzeugen mit hergestellt. Das war ein Projekt, das mir sehr viel Freude gemacht hat. Im Moment sind jetzt leider die Geldmittel für solche Seminare gestrichen, also müssen wir etwas warten, ob sich da noch einmal etwas ergibt. Die etwas prekäre Situation des Filmprojekts spiegelt sich also auch noch mal in der mangelnden Möglichkeit, solche Seminare durchzuführen.“Ein Grund, weshalb die Geschichte von Holger Danske in Deutschland noch vollkommen unaufgearbeitet ist, ist auch die strikte Weigerung der ehemaligen Widerstandskämpfer, mit deutschen Verlagen zusammenzuarbeiten. Den Jugendlichen gegenüber waren die alten Leute jedoch sehr aufgeschlossen und bereit, an Bord zu kommen und ihre Geschichte zu erzählen. Rasmus Gerlach kann sich vorstellen, in Zukunft noch einmal ein Seminar zu machen, bei dem die Jugendlichen dann das ganze Unternehmen als eine Art Videolabor betreiben und mit ihren Kameras neuerlich aufgetauchte Zeitzeugen selbst befragen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Viel Exotik, wenig Essenz
Ich möchte eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Mädchens, das in einem anderen Zeitalter aufwuchs – eine Geschichte von Liebe, Hass, Vergebung, Brutalität, und von der Schönheit des Lebens. Es ist eine wahre Geschichte – es ist meine Geschichte.
So schallt es Dolby Digital in den Kinosaal, während zur Einstimmung des folgenden Filmes ein endloser See aus Baumwipfeln über die Leinwand zieht, in Zeitlupe, unterlegt mit gefühlsschwangerer Musik aus Trommelschlägen und kehligen Lauten. So wird auch begrüßt, wer sich hinter den grünen Karton der Originalvorlage – des autobiografischen Romans Dschungelkind von Sabine Kügler – wagt und beginnt zu lesen. Dann allerdings, mit dem Umblättern der ersten Buchseite und mit dem Ausfaden des Vorspann-Liedes im Kino, ist es scheinbar vorbei mit den Gemeinsamkeiten und man taucht ein in zwei Dschungelwelten, beide spannend und aufregend, beide mitreißend und bewegend und doch beide grundverschieden. Worum geht es? Sabine Kügler, acht Jahre alt, ein abenteuerlustiges und offenes Mädchen, wandert mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in den Dschungel aus. In West-Papua bezieht die Familie ein schlichtes, selbst gezimmertes Heim aus Baumstämmen und Palmenblättern und lebt fortan mit den Fayu, einem bis dato unbekannten Stamm indigener Eingeborener, die Lendenschurze tragen, sich mittels Tonmodulation verständigen und ihr Mittagessen mit selbst geschnitzten Pfeilen erlegen. Dort freundet sich Sabine mit den Kindern des Stammes an, hält sich eine Spinne als Haustier, planscht nachmittags mit den Krokodilen und lernt nach und nach die Regeln des Stammes und die des Dschungeln kennen und – zum Teil – auch lieben.
Das Leben dort ist im wahrsten Sinn kein Zuckerschlecken (eher ein Zuckerrohr-kauen), das Leben in der noch fast unberührten Natur fordert hohen Tribut, von Kakerlaken im Frühstückskaffee bis zu Schlangenbissen und Malaria. Aber auch das Leben mit dem Stamm birgt einige Herausforderungen, denn die Fayu pflegen einen hartnäckigen Glauben an eine allgegenwärtige Geisterwelt, an Flüche und Zaubereien und an die Blutschuld, die für jedes Verbrechen gezahlt werden muss, und der es zuzuschreiben ist, dass der Stamm sich bereits bei der Ankunft der Küglers fast vollständig selbst ausgerottet hat.
All das erzählt Sabine Kügler in ihrem Buch in kurzen Streiflichtern, in aneinandergereihten Erinnerungsfetzen auf sehr persönliche und leicht lakonische, verklärte Art. Man hat beim Lesen das Gefühl, ihrem Gedankenstrom zu folgen, sich heimlich eingeschlichen zu haben und ihrem Sinnieren über den Dschungel und die Fayu nur zu lauschen – sie erzählt von Freundschaft und Malaria, Englischunterricht und Blutschuld und scheint dabei einfach ihren Assoziationen zu folgen. Regisseur Roland Suso Richter hat wohl versucht, diese Struktur und diese ganz eigene Art aufzugreifen, indem er auch im Film keine zusammenhängende Geschichte aufbaut, sondern einzelne Momentaufnahmen des Lebens zeigt. Unterteilt durch Zwischentitel hat jeder Abschnitt des Filmes ein eigenes Thema, beginnend mit ‚Ankunft‘, endend – natürlich – mit ‚Rückkehr in den Dschungel‘. Nach diesem zaghaften Versuch scheint ihn dann aber doch der Mut verlassen zu haben, ausgetretene Filmdramaturgie-Pfade zu verlassen. So wird aus dem rauen und (lebens-)gefährlichen Dschungelleben im Film ganz schnell romantisch verklärtes Lianen Schwingen und Schlammrutschen. Aus einer geschwisterlichen Liebe und tiefen Verbundenheit zwischen Sabine und einem Fayu-Jungen wird eine hollywood-tauglich überzeichnete, tränenreiche Love Story und aus mit allen Wassern gewaschenen und kämpferischen Fayu-Männern werden Harte-Schale-Weicher-Kern-Stereotype. Und selbst vor zentralen Kernaussagen macht Richter leider nicht Halt in seiner Mission, ein echtes Leben den Vorgaben einer genormten Filmgeschichte anzupassen.
So geht Familie Kügler in der literarischen Vorlage in den Dschungel, um dort als Missionare und Sprachforscher zu arbeiten. Sie begegnen den Fayu mit Respekt für deren Sitten, bleiben aber dennoch ihren Überzeugungen treu, helfen kranken Menschen, die die Fayu als ‚verflucht‘ ansehen und ausstoßen, leben ihnen ein demokratisches Familienleben vor, das einen krassen Unterschied zur Fayu-Sitte darstellt, nach der Frauen ‚gestohlen‘ und ‚besessen‘ werden und zeigen ihnen, dass Nächstenliebe und Vergebung sie weiter bringen als Rache und Vergeltung. Doch sie müssen den Fayu solche Ideen nicht einhämmern: Indem sie ihnen mit Liebe und Respekt begegnen, kommen sie ins Gespräch – und geben den Fayu so die Chance, selbst zu überdenken, ob all ihre Traditionen wirklich noch Sinn machen. Im Film dagegen fehlt der Mut dafür, solche leisen und ehrlichen Annäherungsprozesse zu zeigen. ‚Klausu‘ ist auf der Leinwand plötzlich kein Missionar mehr – christliche Werte entsprechen zwar zumeist den sozial erwünschten, dürfen aber scheinbar nicht beim Namen genannt werden. Stattdessen ist der Familienvater hier Sprachforscher mit Leib und Seele, erfüllt sich im Dschungel einen egoistischen Wunsch (den seine Frau nur widerwillig mitträgt) und nähert sich dem Stamm mit einem sachlichen, wissenschaftlichen Interesse statt mit Menschenliebe. Das gipfelt darin, dass er seiner Frau vorwirft: „Wir sind hier Gäste. Du kannst nicht kommen und ihre Regeln auf den Kopf stellen“, als sie einem angeschossenen Fayu einen Verband und tröstende Worte bringen will. Sein Beruf steht hier über allem, das Leben der Fayu scheint ihn nur so lange zu interessieren, bis er die Sprache kann – dann dürften sie sich wohl auch ausrotten. Wertvoll ist der Film sicher dennoch: Er bietet an vielen Stellen einen wirklich spannenden Blick in eine ganz andere Welt, kann neue Sichtweisen eröffnen und Diskussionen anregen – und eignet sich durch die Unterteilung sicher auch gut, ihn in einer Schulklasse oder Jugendgruppe in Teilen anzusehen und einzelne Aspekte zu diskutieren.
Darüber hinaus lohnt es aber auch, die Originalvorlage einmal zur Hand zu nehmen und selbst nach der eigentlichen Botschaft zwischen Bildern und Buchstaben zu suchen. Denn, wie kino.de es treffend ausdrückt: „Roland Suso Richter macht aus Sabine Kueglers autobiografischem Bestsellerroman ein Culture-Clash-Abenteuer mit guten Darstellern vor exotischer Kulisse.“ Das muss nicht schlecht sein, muss aber auch nicht alles bleiben.
Beitrag aus Heft »2011/01: Populärkultur und Medien«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Wiebke Homann, Claas Wegner und Norbert Grotjohann: E-Learning im Unterricht
Naturwissenschaften und Technik beeinflussen unsere Gesellschaft in allen Bereichen und sind nicht zu vernachlässigende Teile unserer heutigen kulturellen Identität. Neue Verfahren in Medizin, Informatik oder Gentechnik beruhen auf den vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen den Naturwissenschaften und der ständigen Weiterentwicklung in der Forschung. Daher ist eine Grundbildung in den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik von großer Bedeutung für unsere Gesellschaft.
Mit dem Aufbau der neu entwickelten Lernplattform „Nawi-interaktiv.com“ (Naturwissenschaften-interaktiv) wurde an der Universität Bielefeld im Fachbereich Biologiedidaktik eine neue multimediale Lernumgebung für den Bereich der Naturwissenschaften geschaffen. Die Lernplattform Nawi-interaktiv.com soll Schülerinnen und Schüler in Welten entführen, in denen sie selbst Erfahrungen sammeln und Wissen konstruieren können. Ursachen- und Wirkungszusammenhänge können hier veranschaulicht werden und fördern spielerisch anwendungsnahes, entdeckendes Lernen. Dabei muss es allerdings darauf ankommen, Medien in geeignete Kontexte und Lernumgebungen zu integrieren, so dass ein didaktischer Mehrwert entsteht. Die „Nawi-interaktiv.com“-Lernumgebung wurde speziell für die Nutzung im naturwissenschaftlichen Unterricht konzipiert und bietet für Lehrer/innen, Referedar/innen und Schüler/innen kostenlos nutzbare Online-Materialien. Die Inhalte werden kontinuierlich erweitert.
Im Forschungsprojekt Nawi-interaktiv ist eine E-Learning-Plattform entstanden, die versucht, Forschung und Lehre zu vereinen. Zum einen besteht die Plattform aus verschiedenen Lerneinheiten, die von Studierenden in BA- und MA-Arbeiten entwickelt wurden und sich als Adressaten an die jeweiligen Schulen wenden. Des Weiteren werden mit Hilfe der entwickelten Lerneinheiten Forschungsvorhaben in der Biologiedidaktik von Studierenden durchgeführt, um den Nutzen und die Relevanz der erstellten Lerneinheiten für Schülerinnen und Schüler zu überprüfen. Diese Überprüfung sichert die Qualität und die Praxistauglichkeit der eingestellten Materialien. Nawi-interaktiv.com versteht sich daher als Schnittstelle zwischen der Studierendenausbildung und der Entwicklung von schulpraktischen Modulen, die für den späteren Unterricht der angehenden Lehrenden sowie von den bereits unterrichtenden Lehrer/innen genutzt werden können. Durch die Weiterentwicklung von E- Learning Lerneinheiten werden immer weitere aktuelle Themen der Biologie aufbereitet und anderen Lerneinheiten auf Basis der Evaluationsergebnisse so angepasst, dass sie von den Lehramtsstudierenden und den Lehrer/innen ideal im Unterricht genutzt werden können. Mit Hilfe eines Feedbackbogens, der auf der E-Learning Plattform hinterlegt ist, können die Lehrerinnen und Lehrer immer wieder durch eigene Ideen das Projekt ergänzen und vervollständigen. So gelangen zum einen aktuelle Themenbereiche aus der Schule in die Universität und können hier mit aktuellen Forschungsergebnissen und Inhalten ergänzt werden. Zum anderen haben die Studierenden so die Möglichkeit, sich in ihren Arbeiten mit schulrelevanten Inhalten zu beschäftigen und liefern den Schulen Inhalte (Filme und Lerneinheiten), zu denen oft aus Zeitgründen keine aufwendigen Materialien erstellt werden können.
Die Inhalte
Es werden verschiedene Lernthemen der Biologie sowie fächerübergreifende Inhalte mit kleinen Lernprogrammen auf Nawi-interaktiv.com kostenlos zur Verfügung gestellt. So zum Beispiel Informationen zu speziellen Tieren im Unterricht, virtuelle Besuche, Exkursionsplaner, Webquest, Filme, Geocaching und eine Webcam. In einer Inhaltsübersicht kann man sich einen schnellen Überblick über das Angebot verschaffen. Aktuell können 32 Themenfelder mit Hilfe der unterschiedlichen Angebote bearbeitet werden.
Lernprogramme
Die angebotenen Lernprogramme sind sehr vielfältig und lassen sich in den unterschiedlichsten Unterrichtsszenarien einsetzten. Sie steigern die Medienkompetenz der Lernenden und frischen den Unterricht auf. Hier sollen exemplarisch drei Beispiele kurz vorgestellt werden. Das Lernprogramm Virtuelles Mikroskop bietet die Möglichkeit, sich mit vielen Präparaten und Themen aus dem Bereich Mikroskopie im Unterricht virtuell auseinanderzusetzen. Texte, Aufgaben, Experimente und ein Quiz für Schülerinnen und Schüler dienen zusätzlich der Vertiefung des erworbenen Wissens. Stundenentwürfe, eine große Auswahl an mikroskopischen Präparaten, Fotos, Texten, Aufgaben und Experimenten sowie Hinweise zum fächerübergreifenden Biologie-Kunst-Unterricht finden sich im Programm. Farben in der Natur wurde ausgezeichnet mit dem 3. Platz des examedia-Wettberwerbs 2010. Das Thema Farben in der Natur wird in den Lehrplänen nie zusammenhängend dargestellt, sondern ist vielmehr fachübergreifend über die Fächer Biologie, Chemie und Physik zu begreifen. Deshalb eignet sich das Lernprogramm sowohl zur Betrachtung einzelner Aspekte als auch für den fächerübergreifenden Unterricht oder für Projekttage. So ist das Phänomen Farbe nicht einfach, sondern dreifach zu beantworten: Farbe ist Licht, Farbe ist Eigenschaft und Farbe ist Wahrnehmung.
Einige Lernprogramme sind auch speziell für die Unterrichtsvorbereitung ausgelegt und erleichtern den Lehrkräften den Einstieg in neue Themenbereiche, zum Beispiel die Software Schulgarten. Sie soll als ein Leitfaden dienen und berücksichtigt die Planung und Organisation, die vor der eigentlichen Gartenarbeit stattfinden muss, die praktische Arbeit und kleine Experimente im Schulgarten bis hin zu Angaben, wie der Garten winterfest gemacht werden muss. Tiere im UnterrichtTiere sind für den Biologieunterricht besonders interessant. Nawi-interaktiv.com stellt einige für den Unterricht interessante Arten vor und bietet Unterrichtsvorschläge und Arbeitsmaterialien zu den einzelnen Arten an. So stellt das Programm Amphibien die wichtigsten schulrelevanten Informationen über die Klasse der Amphibien übersichtlich zusammen. Einige Arten, die für eine Haltung im Klassenraum besonders geeignet sind, werden steckbriefartig vorgestellt. Kurze Filmsequenzen in einigen Kapiteln dienen der Veranschaulichung der Arten. Die Honigbiene ist eine interaktive Lerneinheit zu den folgenden Themen: „Die drei Bienenwesen“; „Körperbau“; „Entwicklung und Lebenslauf“; „Im Bienenstock“ sowie „Bienenerzeugnisse“. Zusätzlich gibt es ein Quiz, um das erlernte Wissen zu testen. Im Lehrplan gliedert sich das Thema „Honigbiene“ in die Punkte „Tier im Zusammenleben mit dem Menschen“ sowie in den Themenbereich „Haustierwerdung, Zähmung und Züchtung“ ein.
Virtuelle Besuche und Exkursionsplaner
Für die Vor- oder Nachbereitung von Schul-Exkursionen können die virtuellen Besuche und Exkursionsplaner auf nawi-interaktiv.com genutzt werden. So können zum Beispielen die heimischen Wildtiere mit Hilfe des virtuellen Rundgang durch den Heimattierpark entdeckt und interessante Informationen gesammelt werden. Zu den meisten Tierarten sind kurze Filme vorhanden, die eine realitätsnahe Beobachtung der Verhaltensweisen ermöglichen. Der virtuelle Rundgang kann hervorragend im Unterricht als Vor- oder Nachbereitung eines Klassenausfluges in einen Tierpark genutzt werden. Der Exkursionsplaner Klassenfahrt ans Wattenmeer ist sehr umfangreich und befasst sich mit der Nordseeinsel Amrum – exemplarisch für die als Klassenfahrt beliebten Nordseeinseln. In einem Teil für Lehrerinnen und Lehrer wird die Insel beschrieben, Anregungen für Unternehmungen und Tipps zur Organisation gegeben. Der Teil für Schülerinnen und Schüler enthält einen Inselrundgang, Flora und Fauna können virtuell erforscht werden. Ein Quiz rundet das Programm ab. Die Unterrichtsreihe Afrikanische Tiere in freier Wildbahn und deren Haltung im Allwetterzoo Münster enthält die Konzeption einer Unterrichtsreihe über fünf Schulstunden à 45 Minuten und einem Zoobesuch. Aufbereitet ist die didaktische Begründung, der Aufbau der Unterrichtsreihe, die Lernziele, der geplante Unterrichtsverlauf sowie ein Download der Materialien.
Weitere Inhalte
Webquests, Filme, Tipps und Beispiele zum Geocaching mit Schulklassen sowie eine Webcam sind weitere interessante Angebote der neuen Lernplattform. Im Film Die Rennmaus und Hausmaus im Vergleich (ca. sechs Minuten) für die Sekundarstufe I, unterhalten sich Rennmäuse mit Hausmäusen über ihren Lebensraum, Ernährung und Aussehen. Auf spielerische Weise werden den Schülern so die Grundlagen der Biologie der Mäuse vorgestellt. Über eine Webcam können Degus live beobachtet werden. An dieser Stelle gibt es auch Informationen zu den Verhaltensweisen und zur Anatomie, einen Steckbrief und eine Fotogalerie sowie Spiele. In den vorgestellten Geocaches werden Aspekte des Waldökosystems (und der Stadtökologie) behandelt.
Beitrag aus Heft »2011/01: Populärkultur und Medien«
Autor:
Wiebke Homann,
Claas Wegner,
Norbert Grotjohann
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Judith Königer: "Allen Gewalten zum Trotz"
Leisner, Barbara (2010). Sophie Scholl und der Widerstand der Weißen Rose. Lebendige Biographien. Hörbuch. Arena. 12,95 €„Warum gerade Sophie?“ fragt der Erzähler zu Beginn des Hörbuchs von Barbara Leisner Sophie Scholl und der Widerstand der Weißen Rose. Schon diese Eröffnungsfrage lässt Sophie Scholl wie eine Bekannte, eine Vertraute erscheinen – von Anfang an wird die Nähe aufgebaut, die das Hörbuch herstellen möchte. Wer war Sophie Scholl und warum wurde sie so berühmt? Die Hörerinnen und Hörer kennen den Namen von Straßen, Schulen und Plätzen, womöglich sogar von Büchern und Filmen. Vielleicht finden die Geschwister Scholl einmal Erwähnung im Geschichtsunterricht. Barbara Leisners Hörbuch möchte nicht unterrichten oder belehren oder gar erziehen. Es möchte von einem Mädchen erzählen, das eine fröhliche und gut behütete Kindheit verleben durfte, das sein Land liebte und sich dafür einsetzte. Das im Alter von 22 Jahren von seinem Land hingerichtet wurde. Einfühlsam und unpathetisch lesen Katja Amberger und Christoph Jablonka die Geschichte der jungen Frau und zeichnen parallel dazu die politische Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nach, von der Weimarer Republik, über die Machtergreifung Hitlers bis hin zum Zweiten Weltkrieg, ohne mit zu vielen Hintergrundinformationen zu überfrachten.
An der Familie Scholl wird gezeigt, was es bedeutete, in den 1930er Jahren zu leben, sich mitreißen zu lassen vom durch Hitler ausgelösten Wechsel von Katastrophen- in Aufbruchsstimmung, vom Gemeinschaftsgefühl in Jugendorganisationen wie der HJ und von einem Nationalgefühl, das nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Börsencrash von 1929 das Volk elektrisierte. Und was es bedeutete, die Schattenseiten zu erkennen, mit wachsender Skepsis die Situation der Juden zu beobachten, die Härte der abzuleistenden Reichsarbeits- und Kriegshilfsdienste sowie das Verbot zu erleben, die Bücher zu lesen und Lieder zu singen, die man mochte und somit die von den Nationalsozialisten propagierte Freiheit in Frage zu stellen. Sophie Scholl, die zusammen mit ihrem Bruder in verschiedenen Jugendbünden ihr Führungspotenzial unter Beweis gestellt hatte, öffneten sich die Augen über ein Regime, dem sie sich beugen musste, wollte sie zum Beispiel auf eine höhere Schule gehen. Die Familie spürte am eigenen Leib, wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen und rückte in ihrer Desillusionierung und Abscheu vor den Gräueltaten eng zusammen. „Allen Gewalten zum Trotz“ war der Leitspruch des Vaters, ein Zitat aus dem Goethegedicht "Feiger Gedanken“ und für Sophie sollte das zum Lebensmotto werden. Robert Scholl, ein Pazifist, scherte sich nicht um das Verbot fremde Radiosender zu hören und wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz verhaftet. Sophie zog mit der Flöte vors Gefängnis und spielte für ihren Vater das Lied Die Gedanken sind frei. Doch dem Mädchen reichte dieses Zeichen, dieses bisschen Widerstand nicht. In ihr keimten Schuldgefühle, da sie nichts gegen Hitler tat, da sie selbst zu denen gehörte, die das Regime aufbauen geholfen hatten. Immer wieder wird in Momentaufnahmen der Lebensalltag der Familie dargestellt, werden Briefe zitiert, die Sophie an ihre Liebe Fritz Hartnagel schrieb. Die Hörerinnen und Hörer nehmen die Gedanken einer jungen Frau um Familie, Freundschaft und Liebe wahr, die ihre eigenen sein könnten. Und werden gleichzeitig mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die fremder nicht sein könnte: Nürnberger Gesetze, Reichskristallnacht und Deportation. Als Sophie 1942 schließlich zum studieren nach München ging, fand sie mit ihrem Bruder Hans und seinen Freunden einen Weg, zwischen Ostfront, Fabrikarbeit und Studium Widerstand zu leisten. Fritz Hartnagel erfuhr in einem Brief, dass Sophie auf der Suche nach einem Vervielfältigungsapparat war und stellte ihr die prophetische Frage: „Weißt du denn nicht, dass dich das den Kopf kosten kann?“ Und Sophie antwortete: „Darüber bin ich mir im Klaren.“
Wo der Ton der ersten Flugblätter zunächst noch in gehobener Sprache und gespickt von Zitaten die Weitsicht und den Mut der Widerständler deutlich machte, wurde er später härter und deutlicher: „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur verlängern.“ 330.000 deutsche Soldaten hat Hitler in den Krieg und in den Tod geführt. Sie starben für ihr Land. Für ihr Land starben auch die, die das Regime hinrichten ließ, darunter Mitglieder anderer Jugendgruppen und Untergrundverbände wie die Weiße Rose. Als es beim 470. Jubiläum der Universität zu Unruhen und Zusammenschlüssen der Studierenden kam, nahmen die Geschwister Scholl die Stimmung zum Anlass, ihre Flugblätter nicht nur in Städten und auf dem Postweg zu versenden, sondern die Ansichten und Appelle der Weißen Rose auch in die Uni zu tragen. Am 18. Februar 1943 verteilten sie nicht nur das sechste Flugblatt „Kommilitoninnen! Kommilitonen!“, sondern Sophie stieß auch einen Stapel in den Lichthof – mit fatalen Folgen. Der Hausmeister sah die fliegenden Blätter und die Geschwister wurden verhaftet. Sophie Scholl war sich immer über die möglichen Folgen ihres Handelns im Klaren. Mutig und mit hoch erhobenem Haupt nahm sie die Konsequenzen in Kauf, versuchte ihre Freunde zu schützen und strahlte den Sieg aus, den sie errungen hatte: Ihr Tod würde Wellen schlagen. Sie hätte ein milderes Urteil bekommen können. Die Rezipientinnen und Rezipienten des Erzählten hören und sehen das Unvermeidliche kommen, mit trockenem Mund und klopfendem Herzen, berührt und erschüttert vom Mut und Willen dieser jungen Frau. Am Ende des Hörbuchs weiß man ein bisschen besser, wer die Geschwister Scholl waren. Warum sie auch international zum Sinnbild des Widerstandes gegen das NS-Regime wurden. Warum es so wichtig ist, sie nie zu vergessen, weil man nie vergessen darf, warum sie gegen Hitler gekämpft haben.
Allen Gewalten zum Trotz. Dem im Mai 2010 beim Arena Verlag erschienenen Hörbuch für 12,95 Euro liegt ein Booklet bei, in dessen Glossar Zuhörerinnen und Zuhörer Begriffserklärungen finden, zum Beispiel zu „Nürnberger Gesetze“ oder „Gestapo“. So wird ein erster Anhaltspunkt für das Publikum ab elf Jahren geschaffen, sich über das Gehörte hinaus zu informieren und womöglich das Interesse geweckt, ein wenig darüber hinaus zu gehen. Barbara Leisner bringt ihren jungen (oder auch älteren) Hörerinnen und Hörern in der etwa zweistündigen Erzählung ein wichtiges Stück deutscher Geschichte näher, ohne sie durch grausame Details, die auch zum Holocaust gehören, zu verstören. Anhand eines bemerkenswerten Einzelschicksals wird feinfühlig ein Bewusstsein dafür geschaffen, was Nationalsozialismus einmal bedeutet hat. Auf den belehrend erhobenen Zeigefinger wird verzichtet, dem Publikum bleibt selbst überlassen, eigene Schlüsse für die eigene Zeit und ihre Defizite zu ziehen und sich zu fragen, ob die eigenen Gedanken tatsächlich frei sind.
Sebastian Ring: gamescom 2010
Die gamescom ist ja nun schon eine ganze Weile her und alle Besucherinnen und Besucher haben sich wieder in alle Winde zerstreut. Was bleibt von der Messe, die sich als Motto „celebrate the games“ auf die Fahnen schrieb? Über eine Viertelmillion Menschen, die mit und von den Games leben, waren dort und haben sich während der fünf Tage in den kühlen Messehallen getummelt. Zuallererst sind das natürlich die vielen Gamerinnen und Gamer selbst. Besser gesagt, es sind die vielen Gamer und wenigen Gamerinnen, denn Jungs dominieren nach wie vor deutlich das Bild. Die gamescom ist aber ein wichtiges soziales Ereignis. Unter all denen, die sich in den ersten Minuten nach der Öffnung an den Besuchertagen gierig auf die Spiele stürzen, lassen sich viele kleine Freundesgrüppchen ausmachen, darunter auch Pärchen, die gemeinsam und Händchen haltend die Messe und ihre Neuheiten erkunden und großen Spaß daran haben: Stundenlanges Anstellen für knappe 15 Minuten Spielspaß, etwa das neue Add-on Cataclysm für World of Warcraft, wird locker in Kauf genommen für einen Blick auf ein lang erwartetes Spiel. Es ist das spannende und unterhaltsame Gefühl, dabei zu sein, einer der ersten zu sein und stolz darüber zu twittern, sich im Chaos der vier Messehallen, der Gänge und Outdoor-Area zu verlieren, um Giveaways aller Art – T-Shirts, Gaming-Mäuse, Software und vieles andere mehr – zu erheischen, sich wie die Spielhelden und -heldinnen zu verkleiden, die Spiele und die Spielbegeisterung zu inszenieren und zu feiern. „Celebrate the games“ – die Rechnung geht auf. Manche Eltern, die ihre Kids lieber zum Spektakel begleiten (oder sie als Vorwand für den eigenen Messebesuch vorschieben?) staunen selbst nicht schlecht und posieren für das Familienfoto neben Darth Vader oder Lara Croft. Die Messe funktioniert nach wie vor als Riesenrummel und abgesehen von Games wartete sie auch heuer wieder mit Beachball, Konzerten, Massageständen, Gastronomie, ESL-Meisterschaften und vielen anderen Dingen mehr auf.
Alles nur Spiel?
Auch für die Spieleindustrie – die Spieleproduzenten, -entwickler und -vertriebsleute, Beschäftigte von Spielezeitschriften, Hardwarehersteller et cetera – ist die Messe ein wichtiger und internationaler Treffpunkt geworden. Nicht nur für große Fische, auch für die kleinen ist die gamescom eine wichtige Kontaktbörse und so findet sich immer ein kleiner Slot für Gespräche und Networking. Der Games Convention in Leipzig scheint nun endgültig der Rang abgelaufen und die Luft ausgegangen zu sein, auch wenn viele nach wie vor von der intimeren und weit über die Messehallen hinaus in die Stadt und urbane Kultur hinein greifende Atmosphäre schwärmen. Schade für den Standort Leipzig, denn eines ist klar: Die Spielemesse ist kommerziell nicht ohne. Das gilt natürlich auch für die vielen Menschen, die an den Ständen Promotion machen. Das scheinen auf den ersten Blick allerdings nach wie vor hauptsächlich Frauen zu sein, möglichst jung und blond, möglichst kess und kontaktfreudig, von Games oder den Dingen, die sie dort darstellen und promoten, haben sie meist keine Ahnung. Es ist Showbusiness. Die Bundeswehr setzte an ihrem Stand für diese Aufgabe eher auf smarte, junge und uniformierte Herren. Sie verzichtete auf den Panzer, der noch im Vorjahr den Stand schmückte, und verteilte stattdessen Popcorn.
Spätestens mit einem Blick auf das Plakat des Standnachbarn er Bundeswehr, der das (Kriegs-)Strategiespiel R.U.S.E mit dem Politikerzitat „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“ präsentiert, wird man auf einmal damit konfrontiert, wie nah Spiel und Ernst des Lebens beieinander liegen können. Militärspiele stehen nach wie vor hoch im Kurs. Im September erscheint der Nachfolger des Kassenschlagers Call of Duty – Modern Warfare II mit dem Titel Call of Duty: Black Ops. Auch die Präsentation von Medal of Honor, jenem Spiel, das heftig diskutiert wird, weil man darin im Afghanistankrieg auch in das Gewand der Taliban schlüpfen kann, durch den Sänger von Linkin Park offenbarte eine beklemmende Nähe zwischen Computerspielinszenierung und Videoaufnahmen aus dem Irakkrieg, die Wikileaks Anfang diesen Jahres veröffentlichte, so berichtete Chris Stöck von Spiegel Online www.spiegel.de/netzwelt/games/0,1518,713257,00.html). „Celebrate the games“ bekommt da dann eher einen schalen Beigeschmack. Und so wäre es wünschenswert, dass auf der gamescom Spiele nicht eben nur einfach glorif iziert und gefeiert werden, sondern auch über die gesellschaftlichen und politischen Implikationen diskutiert wird. Es macht Sinn, dass sich politische Parteien dort präsentieren und ist zu kritisieren, dass die einzigen, die sich dort der Diskussion mit einem Stand stellten, die Jungen Piraten und die Junge Union waren.
Päd & Play: Aktionen, Ausstellungen und Prädikate
Es macht auch Sinn, dass sich Institutionen, Projekte und Initiativen der Medienpädagogik und des Jugendschutzes präsentieren. Viele waren dort zu finden: Die Bundeszentrale für politische Bildung, das Jugendforum NRW, Jugend online, die Initiative Creative Gaming, das Institut Spielraum und der Spieleratgeber NRW, das Münchner Netzwerk Inter@ktiv, klicksafe, die Kommission für Jugendmedienschutz, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle und viele andere mehr. Für sie ist die gamescom auch ein wichtiger bundesweiter ‚Branchentreffpunkt‘ geworden, auf der Kontakte geknüpft, Ideen und Ansätze ausgetauscht und diskutiert und gemeinsame Aktivitäten geplant werden. Einen im wahrsten Sinne des Wortes auch schönen Ansatz präsentierte das Institut für Computerspiel Spawnpoint. Neben einem Workshop wurden die Ergebnisse des Artwork Contest – pic your game life! (www.artworks-contest.de) für Spielerinnen und Spieler gezeigt, in dem eine kreative Auseinandersetzungen mit den und dem Computerspielen stattfand und durch den auch die Sichtweisen der daran Teilnehmenden vermittelt wurden. Jugend online mit der Aktion watch your game, der Multimediawettbewerb MB21 und der Handyclipwettbewerb Ohrenblick mal! präsentierten sich passend zur Messe spielerisch, zum einen mit der Schreibox, in die neben 4.000 Besucherinnen und Besucher auch einige Star Wars Krieger und Nasguls ihren Weg fanden (siehe www.netzcheckers.de/p1975404185_545.html).
Zum anderen mit einer QR-Code Rallye zu Games und Jugendschutz, die mit dem Smartphone gespielt wurde und über mehrere über das Messegelände verteilte Stationen führte. Am Stand der Initiative Creative Gaming konnten etwa Filme mit den Sims 2 gedreht werden (siehe www.youtube.com/user/InsideCreativeGaming). Auf der gamescom wurde zudem das Gütesiegel pädagogisch wertvoll (www.games-wertvoll.de) präsentiert. Es soll Konsumentinnen und Konsumenten bei der Auswahl von Videospielen für in erster Linie Sechs- bis Zwölfjährige helfen. Im Gegensatz zur Kennzeichnung durch die USK, die den Schutz der Spielenden vor Schaden im Blick hat, geht es bei dieser Positivprädikatisierung darum, Eltern Hinweise für die Auswahl von Spielen zu geben, die einen pädagogischen Mehrwert bieten. Hersteller können ihre Spielezur Prüfung einreichen und entsprechend der Prüfkriterien durch ein pädagogisches Gremium Label in den Kategorien soziales Verhalten, Kreativität, Bewegung, Wissensvermittlung, für die Jüngsten, strategisches Denken, Gedächtnistraining, logisches Denken oder Lernprogramm erhalten. Veranstalter ist die HSG Handels-Servicegesellschaft mbH, ideelle Träger des Gütesiegels sind das ComputerProjekt Köln e. V. und der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels e. V. (BVS). Eine entsprechende pädagogisch fundierte Orientierungshilfe wäre überaus zu begrüßen und kann für Eltern bei ihrer Auswahl durchaus nützlich sein, denn oft fehlt im (Medien-) Erziehungsalltag schlichtweg die Zeit, sich fundiert mit Computerspielen zu beschäftigen.
Auf der anderen Seite ist die Bewertung nach kompetenzförderlichen Potenzialen überaus schwierig, weil sie ja nicht nur abhängig vom Produkt, sondern auch von den Spielhandlungen der Spielenden selbst ist. Inwieweit die dann auf dem Produkt notwendigerweise recht reduzierte Darstellung im Stile von „3x pädagogisch wertvoll“ dem Sachverhalt gerecht ist, wird auch die Praxis zeigen. Man darf gespannt sein, wie sich dieses Label entwickeln wird, wie es einerseits von der Spieleindustrie und andererseits von den Käuferinnen und Käufern angenommen wird.
Und was gibt es Neues in der Welt der Spiele?
Zunächst gab es mal viel zu entdecken und schon Bekanntes wieder neu zu entdecken, auszuprobieren oder Einblicke in noch zu erscheinende Titel zu gewinnen. Jede Menge Fortsetzungen oder Add-ons erfolgreicher Spiele, aber auch Neuentwicklungen fanden ihre Fans. Neben den schon genannten World of Warcraft Cataclysm und Call of Duty: Black Ops weitere wie etwa Star Wars: The Old Republic, Guild Wars 2, Diablo III, Mafia II und vieles andere mehr. Die Bereiche Online und Social Gaming, die nicht zuletzt wegen inadäquater Jugendschutzmechanismen, Fragen des Datenschutzes und intransparenter Finanzierungsmodelle eine Herausforderung für die Pädagogik darstellen, fanden auch auf der gamescom ihre Präsentationsfläche. Bigpoints Poisonville, ein 3D-Action Online Rollenspiel, das von der USK mit der Altersfreigabe ab 16 Jahren eingestuft wurde, tritt in die Fußstapfen großer Vorbilder wie Rockstars Grand Theft Auto IV. Der große Trend liegt aber in neuen Steuerungsgeräten. Die von Microsoft für die Xbox 360 entwickelte Hardware Kinect verzichtet komplett auf ein herkömmliches Gamepad zur Steuerung. Spielende können sich so frei vor dem Bildschirm bewegen. Ihre Bewegungen werden gefilmt und als Steuerung der Figur in das Spiel übertragen. So kann man beispielsweise auf dem Crossboard 7 an Wettrennen teilnehmen, mit Michael Jackson – The Game oder bei Kung Fu Live das Bein schwingen.
Bei letzterem wird gleich der komplette Spieler per Kamera in das Spiel übertragen. Auch Sony präsentierte die Playstation Move, einen bewegungsempfindlichen Controller für die Hand, der in seiner Bedienung an die Wii Remote erinnert, allerdings um ein bunt leuchtendes Element an seiner Spitze erweitert ist. Beides ist als Antwort auf die äußerst erfolgreiche Entwicklung und Vermarktung der Wii zu verstehen, die auch in deren Akzeptanz als bewegungsorientiertes Spielgerät für die ganze Familie begründet ist. Ein weiterer Trend sind Spiele in 3D. Auf der IFA in Berlin wurde das für den Bereich Fernsehen und Video überaus deutlich, bei Computerspielen war dies allerdings praktisch noch nicht so recht sichtbar. Nintendo präsentierte etwa seine mobile Spielkonsole 3DS, die ohne Brille funktioniert und neben Spielen auch Filme in 3D darstellen kann. Das Feld bleibt insgesamt dynamisch, im Bereich der Hardwareentwicklung, der Entwicklung der Grafik und – wenn auch vielleicht nicht ganz so rasant – im Bereich der Entwicklung neuer Spielgeschichten. Dies hier ist selbstverständlich nur ein kleiner Ausschnitt aus den vielen Angeboten, Highlights und Aktionen der Spielemesse.
Es lohnt sich, im nächsten Jahr selbst einen Fuß auf das Gelände zu setzen oder einen Blick in die Fülle von medialen Berichten, Blogeinträgen oder Tweets zu werfen. Ein Tag auf der gamescom ist anregend und anstrengend zugleich. Fein, dass es da eine ganze Reihe von (auch Open Air) Ablenkungs- und Verköstigungsmöglichkeiten gibt. Ebenso fein, dass man sich an anderer Stelle gleich wieder in die Menschenmassen stürzen und zwischen den Ständen hindurch schlängeln kann, dieses ausprobierend, jenes beobachtend, ein E-Sport-Match verfolgend und sich wundernd und freuend – über die Computerspiele und auch auf die nächste gamescom vom 17. bis 21. August 2011.
Tilmann P. Gangloff: Ob Manni oder Roary – am Ende bleibt es immer Bob
Weil die Welt nicht so heil ist, wie wir alle gerne hätten, verbringen viele kleine Kinder den Vormittag nicht im Kindergarten, sondern zuhause; und da ist der Fernseher oft der einzige Spielgefährte. Programmmacherinnen und -macher stehen daher auf dem Standpunkt: Wenn Vorschulkinder schon Zeit vor dem Fernsehgerät verbringen, dann sollen sie dort auch Sendungen finden, die exakt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. So weit die Theorie. In der Praxis zeigen Ki.ka , Super RTL und Nickelodeon in den Morgenstunden wöchentlich insgesamt rund sechzig Stunden Vorschulfernsehen; und das, obwohl aus der Zielgruppe mitunter nicht mal 100.000 Kinder zuschauen.
Das Angebot besteht beispielsweise bei Nick jr., der Vorschulstrecke des Senders Nickelodeon, auch schon mal aus acht Folgen der Serie Backyardigans hintereinander. Die einzelnen Episoden sind nicht etwa wie bei vielen anderen Produktionen knapp zehn Minuten lang, sondern dauern fast eine halbe Stunde. Wenn der Kinderkanal von ARD und ZDF das Konkurrenzprogramm seit Oktober mit der Programmfläche Kikaninchen kontert, ist das also weit mehr als bloß ein sympathisches Wortspiel. Zum einen versucht der KI.KA durch diese Markenbildung, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das Vorschulfernsehen war lange eine öffentlich-rechtliche Domäne, weil ein Sender wie Super RTL in diesem Bereich früher kaum Erlösmöglichkeiten sah. Aber auch der KI.KA vernachlässigte den vermeintlichen Selbstläufer. In der Vorabendschiene mit dem „Abendgruß“ vom Sandmann, in vielen Familien ein fest in den Tagesablauf integriertes Ritual, ist der KI.KA zwar klarer Marktanteilsfavorit. In den Morgenstunden aber hatte Super RTL schon 2008 die Nase vorn, in diesem Jahr konnte der Vorsprung bei den Drei- bis Fünfjährigen (6.00 bis 10.15 Uhr) deutlich ausgebaut werden. Super RTL erreicht nach eigenen Angaben über 52 Prozent der Kinder, die zu dieser Zeit vor dem Fernseher sitzen, der KI.KA kommt nur auf gut 21 Prozent. Doch das ist Senderpolitik. Entscheidender aus Sicht kritischer Eltern ist die Qualität des Programms und auch in dieser Hinsicht hat der KI.KA Nachholbedarf. Seit vor rund zehn Jahren die Stopp-Trick-Serie Bob der Baumeister ihren Siegeszug durch die Kinderwelt antrat, haben die Geschichten des immer gut gelaunten Gemeindearbeiters Dutzende von Nachahmern gefunden und die bevölkern jetzt das Programm der Kindersender, auch das des Kinderkanals. Medienpädagogischen Mehrwert sucht man vergebens. Immerhin helfen die Sendungen ihren jungen Zuschauerinnen und Zuschauern, eine soziale Kompetenz zu entwickeln.
Die Botschaft all dieser Produktionen lautet schlicht: Nur gemeinsam sind wir stark. Während Bob bei Super RTL Verstärkung durch Meister Manny und seine Werkzeugkiste bekommt, brummen beim KI.KA ein kleiner roter Traktor und Roary der Rennwagen durch die Gegend, beides selbst nach Einschätzung von ARD-Mitarbeitern „die achte und die neunte Variante von Bob der Baumeister“. Mit Kikaninchen wird das Vorschulprogramm keineswegs auf einen Schlag völlig anders, aber es ändert sich immerhin schon mal. Die Hauptf igur selbst, ein sympathisches blaues Kaninchen, das sprechen kann und mit seinem Freund Christian (der Schauspieler Christian Bahrmann, 34) Abenteuer erlebt, ist die auffälligste Veränderung. Die kurzen, nur wenige Minuten langen Zwischenspiele sollen vor allem die Fantasie anregen. Da wird ein Schirm kurzerhand zur Rakete umfunktioniert, mit der die beiden in den Himmel fliegen, um dem Mann im Mond ein Ständchen zu bringen. Und natürlich wird auch der Vorschulklassiker schlechthin, die Sesamstraße, in die neue Schiene integriert. Medienpädagogisches Schmuckstück der dreieinhalbstündigen Programmfläche aber ist Die Sendung mit dem Elefanten vom WDR. Bei den kunterbunten Darbietungen wechseln sich Menschen und Zeichentricktiere in fröhlicher Folge ab. Die Sendung ist gewissermaßen der perfekte Vorschulersatz, weil die Kinder auf keinen Fall still in der Ecke sitzen, sondern hüpfen, singen und beiläufig auch was lernensollen. Also fast wie im Kindergarten.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Wenn Seelen zwischen Wellblechdächern verschwinden
Gleißende Sonne. Staub. Wellblechdächer. Bunte Tücher und zerfetzte Jeans. Alte Ledersandalen. Neue Handys. Glücksspiel und Bettler. Lachen. Schüsse. Erste Liebe. Überleben. Aberglaube. Religion. Familie. Mittendrin Abi, rennend, schwitzend, redend, suchend. Wenn man 14 Jahre alt ist und eines Morgens erfährt, dass seinem Vater die Seele abhanden gekommen ist, dann geht man sie suchen. Soviel ist klar. Ein Vater ohne Seele ist eine traurige Angelegenheit. Aber wo sucht man eine Seele? Abis Mutter und leidgeprüfte Ehefrau des um seine Seele Erleichterten würde sich da vertrauensvoll an den nächsten Spirituosenhändler wenden: Seit Jahren schon vermutet sie das Corpus Delicti auf dem Grund einer Schnapsf lasche. Shiku, Abis Freundin und Mythen-Expertin dagegen, macht ein ganz anderes Laster für den Seelenschwund verantwortlich. Die Nyawawa, so weiß sie von ihrer Mutter, ist seit dem liebeskummer-bedingten Freitod ihrer Tochter unermüdlich auf der Suche nach untreuen Männern, die sie zunächst beglückt und dann um ihre Seelen erleichtert. Zur Vergeltung natürlich, und nicht, um sie dem nächstbesten Sohn gleich wieder auszuhändigen. Dazu, so f lüstert im dunkelsten Winkel der unheimlichsten Wellblechhütte des Slums Kiberna eine in blaue Gewänder und furchterregende Schattenspiele gehüllte Nyawawa geheimnisvoll, braucht es schon etwas mehr als ein nettes „Bitte“: Schlüpfe in die Haut eines anderen. Begleiche jemandes Schuld, ohne zu stehlen. Hilf einem Sünder, ohne ihn zu verurteilen. Erkunde eine neue Welt. Erkenne den Unterschied. Rette ein Leben. Stelle dich deiner größten Furcht. „Und dann bekomme ich die Seele zurück?“ will Abi wissen.
Statt einer Antwort gibt es Schattenspiele. Es ist eine Gratwanderung, auf der sich Abi befindet, zwischen den Andeutungen des Vaters, dem pragmatischen Überlebenskampf der Mutter, den Mythen der Freundin, seinen Ängsten und Hoffnungen … und damit ist es das ganz normale Leben in Kiberna, dem größten Slum Nairobis. Wenn Abi zwischen Staub und Wellblechhütten eine abhanden gekommene Seele sucht und dabei ein bißchen den Alkohol verflucht, ein bißchen betet und ein bißchen mit mythischen Geisterfrauen verhandelt, befindet er sich genau in dem Spannungsverhältnis, in dem sich das Leben in vielen Teilen Kenias nun einmal abspielt: Zwischen Armut, Religion und Aberglauben. Darüber muss man nicht jammern, das muss man auch nicht glorifizieren. Das ist einfach so. Und genau so zeigt es die kenianisch-ghanaische Regisseurin Hawa Essuman in ihrem Spielfilmdebüt Soul Boy auch. Ohne Tränen. Ohne Kitsch. Ohne Trommelmusik und kleine Kinder mit großen Augen. Mit afrikanischen Augen eben, ohne europäische.
Die europäischen Augen haben in diesem Fall nämlich zum Glück nur zugeschaut: Tom Tykwer und Marie Steinmann, die mit der alternativen Produktionsf irma One Fine Day Films und der britischen NGO Anno’s Africa zusammen ein Filmprojekt ins Leben riefen, um Kindern und Jugendlichen in Kibera die Chance zu geben, ihre Geschichte in einem Kinofilm so zu erzählen, wie sie es wollten. Wenige Wochen lang und mit einem kleinen Budget arbeitete Tom Tykwer in Nairobi, suchte dort Freiwillige und ihre Ideen für seinen Filmworkshop, stellte ihnen sein Wissen und seine Technik zur Verfügung – und hielt sich sonst raus. So stammt Abis Geschichte aus der Feder des kenianischen Autors Billy Kahora, Regie führte Hawa Essuman, die Schauspielerinnen und Schauspieler wurden per Mundpropaganda gesucht und vor Ort gefunden. Manche hatten schon Schauspielerfahrung, manche standen zum allerersten Mal vor einer Kamera. Es wird sich also wohl eher keiner der Beteiligten ernsthaft Hoffnung machen, demnächst einen Brief von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences im Kasten zu haben – Oscar-trächtig ist Soul Boy, der am 2. Dezember 2010 in die deutschen Kinos kommt, ganz bestimmt nicht. Es gibt keine gigantischen Effekte à la Avatar, keine halsbrecherischen Stunts à la Matrix, keine verzwickten Geschichten à la Inception.
Im Gegenteil: Sitzt man, seine westeuropäischen Erwartungen im Gepäck, im Kinosessel und beobachtet Abi, wie er seine Aufgaben nacheinander löst, ist man im ersten Moment fast enttäuscht, dass diese gar so wörtlich erledigt werden und nicht, wie man es mittlerweile von den meisten Filmen gewöhnt ist, bei jeder Aufgabe erst um fünf Ecken gedacht, die große Liebe und der Sinn des Lebens gefunden werden. Im zweiten Moment aber freut man sich, packt die Erwartungen weg, lehnt sich zurück und genießt den wahrscheinlich ehrlichsten, herzlichsten, unaffektiertesten Film seit Langem. Statt den altbekannten Zutaten zum Klassenschlager, die Hollywood meist standardmäßig zusammenschmeißt, umrührt und einen Film draus knetet, gibt es klare Bilder, lange Einstellungen, eine einzelne, stringente Geschichte – und viel Herz für das Land, die Menschen, das Thema des Filmes. Es ist ein nüchterner, pragmatischer Blick auf Kiberna, der die Probleme und Schwierigkeiten genauso sieht wie die Schönheit und Liebenswürdigkeit dieses kleinen Stückchens der Welt.
Es sind authentische Schauspieler, die sich in ihrer natürlichen Umgebung bewegen und die Zuschauerinnen und Zuschauer für einen Moment teilhaben lassen an ihrem Leben. Es ist eine ehrliche Geschichte, die ohne Sozialromantik und Kitsch vom ganz normalen und ganz besonderen Leben in Kiberna erzählt. Und es ist ein ambitionierter Film, der nicht dabei stehen bleibt, dass er ein paar afrikanische Mythen nacherzählt, sondern der die komplexe, spannungsreiche Alltagswelt der Kenianer aufzeigt, ihr Leben zwischen Tradition und Moderne, zwischen Pragmatismus und Sagenwelten, zwischen Religion und Mythen ganz deutlich macht und jede Zuschauerin und jeden Zuschauer einlädt und auffordert, diese Welt für einen Moment zu besuchen, sich hineinnehmen zu lassen in Abis Situation und sich damit auseinander zu setzen. So gewinnt man keinen Oscar, aber so gewann Soul Boy bisher schon den Dioraphte Audience Award auf dem International Film Festival in Rotterdam und den Veto Award auf dem Afrika-Filmfestival in Löwen, Belgien. So prädestiniert man sich auch nicht dafür, Hauptdarsteller in einem F ilmanalyse-Seminar zu werden. Aber so eignet man sich hervorragend, um Menschen, sei es privat oder sei es im Kontext von pädagogischer Arbeit in Schulen oder Jugendgruppen, einen Blick in eine ganz andere Welt zu eröffnen, neue Horizonte aufzuzeigen und sie anzustupsen, sich auf ein ganz anderes Land, auf ein ganz anderes Leben einzulassen und darüber nachzudenken.
Denn das Denken nimmt der Film seinem Publikum nicht ab. Er bezieht nicht Stellung, er zeigt bewusst die Themen und Lebensansätze in Kiberna auf und überlässt es am Ende den Kinobesucherinnen und -besuchern, ob sie Abis Vater oder seiner Mutter, der Nyawawa oder dem Pastor, Abis Freunden oder Shiku glauben wollen, wie es kommt, dass Seelen plötzlich verschwinden und plötzlich wieder auftauchen. Irgendwo zwischen Sonne und Staub, zwischen Wellblechdächern, bunten Tüchern und alten Sandalen. Irgendwo in Afrika.
Soul Boy
Kenia/Deutschland: 2010, 60 Minuten
Produktion: Marie Steinmann, Tom Tykwer, One Dine Day Films
Regie: Hawa Essuman
Darsteller: Samson Odhiambo (Abila), Leila Dayan Opou (Shiku), Krysteen Savane (Nyawawa)
x-verleih
Beitrag aus Heft »2010/05: Partizipation und Medien«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Heidi Seyfferth: Ich packe meine Kita-Tasche und nehme mit: Apfel, Puppe, Nintendo DS
„… und in meiner Schultüte wünsch‘ ich mir ein neues Nintendo DS-Spiel!“ Die Zeiten, in denen Spielekonsolen Kindern und Jugendlichen vorbehalten waren, die zumindest schon selbst die Anleitung lesen konnten, sind endgültig vorbei. Die Anbieter entdecken die jüngeren Zielgruppen und umgekehrt. Von Wickie über Prinzessin Lillifee bis Fritzi Fisch – für die jüngsten Spielerinnen und Spieler gibt es mittlerweile etwa für die Nintendo DS zahlreiche Angebote zum Lernen, Spielen, Zeit Vertreiben. merz hat zwei davon unter die Lupe genommen.
Kokosnüsse zählen und Proviant kaufen mit Capt’n Sharky
Sandstrand, Palmen, das weite Meer und ein großes Piratenschiff – darauf ist ein kleiner freundlicher Pirat unterwegs. Er heißt Capt’n Sharky und führt neben seiner Tätigkeit als Pirat kleine Vorschülerinnen und Vorschüler durch ein Lernprogramm unter der Sonne des Südstrandes. Lernerfolg Vorschule – Capt’n Sharky heißt das Nintendo DS-Spiel für Vorschulkinder. In kleinen Übungen soll auf die Zeit in der Grundschule eingestimmt werden, dazu wird der Umgang mit Buchstaben und Zahlen, das Gedächtnis, die Logik sowie das erste Englisch geschult. Capt’n Sharky holt die Spielerinnen und Spieler beim Einschalten des Spieles ab, zeigt ihnen seine Welt und erklärt, wie das Spiel funktioniert. 20 verschiedene Angebote können die Kinder durchspielen – auf der Piratenlandkarte sehen sie, wo sie gerade sind – und am Ende wartet natürlich der Schatz. Einige der Spiele fördern dabei die ersten englischen Worte, bei einigen gilt es, Mengen zu erkennen, andere bieten Gedächtnistraining. Außerdem üben die jungen Piratinnen und Piraten beim Proviantkaufen den Umgang mit Geld, beim Schiff-beladen das schnelle Zählen und Vergleichen von Mengen und beim Schippern durchs Labyrinth Konzentration und Überblick. Auf der Bildungsmesse didacta konnten Sharky und seine Crew schon den Deutschen Bildungsmedienpreis didacta 2010 abräumen. Zwar dreht sich immer wieder alles um Zahlen, Buchstaben, deutsche und englische Wörter, allerdings werden die in verschiedenen Umgebungen – im kleinen Laden am Strand, unter Deck oder an der Felsbrandung – und mit verschiedenen Spielkonzeptionen geübt. Und schließlich sind die Lerninhalte, mit denen man sich in der Vorschule beschäftigen kann, eben nicht endlos. Capt’n Sharky macht es den jungen Spielerinnen und Spielern außerdem einfach, indem sie die Spiele in ihrer eigenen Reihenfolge spielen können und er stets erklärend zur Seite steht, Tipps und Lob bereithält und auch einmal aufmuntert, wenn ein Spiel nicht so klappt.
Tortenwerfen und Motorradfahren im Crazy Circus
Nicht ganz so abenteuerlich, aber trotzdem spannend ist Crazy Circus, ein anderes Vorschul-DS-Spiel. Die Story beginnt mit einem ergreifenden Ende und einem schwungvollen Anfang – der alte Direktor des Crazy Circus dankt ab und übergibt seinem Sohn das Zepter der Manege. Nun kann man in die Rolle des jungen Direktors schlüpfen und dem Zirkus zu neuem Ruhm verhelfen. Dazu gilt es natürlich, die verbliebenen Artistinnen und Artisten zu Höchstleistungen anzuspornen und immer wieder möglichst gute Darbietungen zu veranstalten, um Fans, Geld und neue Artistinnen und Artisten zu gewinnen – was der fiese Gegenspieler Leslie von Rambotton stets zu verhindern sucht. Insgesamt sind 14 Spiele geboten, in denen man dem Publikum zeigen kann, dass man zur Weltspitze gehört. Eine turbulente Tortenschlacht mit den Clowns des Zirkus‘, waghalsiges Turnen des Papageis in schwindelerregender Höhe auf einem Trapez oder die pure Geschwindigkeit auf dem Motorrad mit dem Bären Oleg warten unter anderem auf die Spielerinnen und Spieler. Die Aufgaben können allein oder zu mehreren erledigt werden, jedes geschaffte Spiel schaltet ein weiteres frei, so dass es wirklich notwendig ist, alle Aufgaben nacheinander zu bestehen, um den Zirkus zu retten. Crazy Circus punktet durch eine gut animierte 2D-Graf ik, eine 14-teilige Spielreihe, drei Spielmodi (Story, Arcade, Mehrspieler) und eine kreative Nutzung des Touchscreens. Die Spielerinnen und Spieler werden gleich beim Start abgeholt und mit bewegten Bildern und Dialogen in das Geschehen integriert. Die Spiele werden kurz und eindeutig erklärt. Im Gegensatz zu den Piratenabenteuern steht hier der Spaßfaktor im Zentrum – es gibt nichts zu lernen, außer vielleicht Geduld. Als Freizeitbeschäftigung ist es für Vorschülerinnen und Vorschüler zwar nett, da es liebevoll gestaltet und kurzweilig umgesetzt ist, den Lern-Mehrwert sollte man aber lieber gar nicht erst suchen.
Laura Handlos: Von Rittern und Burgen
Das Mittelalter mit seinen Burgen, dem Minnegesang und vor allem den Rittern übt eine große Faszination aus. Und das nicht nur auf Kinder, wie gut besuchte Ritterspiele und -turniere wie etwa im bayerischen Kaltenberg jedes Jahr aufs Neue zeigen. Doch wie war das eigentlich genau, das Ritterleben? Das Computerspiel Abenteuer Zeitmaschine – Anni und Fred bei den Rittern verspricht hier einen Blick hinter die Burgmauern, in die Kerker und natürlich auf den Übungsplatz, auf dem sich die wackeren Recken auf die Turniere um die Hand einer schönen Prinzessin vorbereiten. Die Kinder Anni und Fred, beide nicht auf den Mund gefallen und schon fast naseweis zu nennen, wollen auch wissen, wie es bei den Rittern und Burgfräulein tatsächlich zugegangen ist und begeben sich in der Zeitmaschine des Onkels kurzerhand auf eine Zeitreise. Kaum auf dem mittelalterlichen Burghof gelandet gibt die Zeitmaschine allerdings den Geist auf und die Suche nach den Ersatzteilen beginnt. Doch wo einen Fön hernehmen und was eignet sich als Ersatz für die kaputte Glühbirne?
Die jungen Spielerinnen und Spieler begeben sich nun zusammen mit Anni und Fred auf die Suche. Die Spielf iguren lassen sich mit der Maus steuern und so geht es vom Burghof hinein in die Burg, in die Burgküche, den Garten oder auch in den Kerker. Bald sind die ersten geeigneten Ersatzteile gefunden – doch die rücken die Besitzerinnen und Besitzer meist erst dann raus, wenn man erfolgreich kleine Spiele absolviert hat. So muss der Burgbesitzer erst für das Ritterturnier trainiert, die eigene Geschicklichkeit im Armbrustschießen bewiesen oder der Weg durch das Kellerlabyrinth gefunden werden. Die Spiel-Geschichte, vom Hersteller als geeignet für Kinder ab fünf Jahren angepriesen, lässt sich leicht und problemlos installieren und ist sowohl für Windows wie auch für Mac geeignet. Grafisch recht liebevoll gestaltet, wenn auch die Burgdame und die Magd einen etwas weiblicheren Look gut vertragen hätten, vermittelt das Abenteuer um die beiden Protagonisten Anni und Fred durchaus Wissenswertes über die Ritterzeit, allerdings sind die Texte häufig leicht gestelzt und von Anni und Fred oberlehrerhaft vorgetragen, so dass bezweifelt werden darf, dass Fünfjährige hier auf ihre Kosten kommen. Zwar wird Abenteuer Zeitmaschine als „Spiel-Geschichte“ angekündigt, so dass klar ist, dass das Spielen lediglich einen Teil der CD-Rom ausmacht, aber die Unterhaltungen und Erzählungen der Figuren ziehen sich bisweilen derart, dass den jungen Spielerinnen und Spielern der Spaß abhanden kommen könnte, noch bevor sie selbst aktiv werden können.
Sind die Unterhaltungen beendet, kann man die F iguren per Mausklick durch die Burg lotsen und nach Ersatzteilen suchen. Einzelne Gegenstände können angeklickt werden, und auch wenn sie nicht als Ersatzteil taugen, so wird anhand der Gegenstände erklärt, wie etwa ein Katapult funktioniert oder worum in Ritterturnieren gekämpft wurde. Was für Teile für die Reparatur der Zeitmaschine gebraucht werden wird in einer Grafik am unteren Spielfeldrand angezeigt, so dass gezieltes Suchen möglich ist. Hier müssen die Spielerinnen und Spieler auch schon mal um die Ecke denken – statt eines Föns ist der Blasebalg geeignet, und hat man gerade kein Zahnrad zur Hand, könnte der Schmied doch aus der Säge eines machen! Was also durchaus Kombinationsgabe erfordert und zum Knobeln anregt, hat aber auch einen Haken. Denn das Spiel erweist sich hier als schwerfällig. Hat man zum Beispiel den benötigten Blasebalg gefunden, so muss man diesen mehrmals anklicken, bevor Anni und Fred auf den Gedanken kommen, den Blasebalg durch ein Spiel mit der Burgdame zu gewinnen. Bei einigen Gegenständen bedarf es also großer Hartnäckigkeit seitens der jungen Spielerinnen und Spieler, was anstatt zu Spielspaß eher zu Frustration führen dürfte.
Die Spiele selbst sind dann aber mit kleinen Ausnahmen durchaus unterhaltsam und jeweils in zwei Schwierigkeitsstufen verfügbar, so dass auch die jüngeren oder in Sachen Computer noch unerfahrenen Spielerinnen und Spieler gute Erfolgschancen haben. Nur das Gänsefangen bildet hier eine fast ärgerliche Ausnahme, da die Steuerung zu schwerfällig ist und die Gänse sich nur schwer in die gewünschte Richtung treiben lassen. „Wie im richtigen Leben“ könnte man nun argumentieren, aber dennoch bleibt der Spaß gerade für junge Spielerinnen und Spieler, die motorisch noch Probleme mit der Maus haben, zumindest bei den ersten Versuchen auf der Strecke. Insgesamt ist Abenteuer Zeitmaschine wohl eher für ältere Grundschulkinder geeignet, die bereits einige Erfahrung in Sachen Computer gesammelt haben. Diese werden auch die Texte besser verstehen und das Quiz, in dem es zum Teil recht knifflige Fragen über das Mittelalter zu beantworten gilt, auch in Bezug auf ihre Lesefähigkeit meistern können. Zwar verfolgt das Spiel eine nette Idee, allerdings ist oft gerade die Steuerung nicht ausgereift und die Figuren sind zum Teil so schwerfällig, dass es einiges an Durchhaltevermögen braucht, um alle zehn Ersatzteile zu finden. Wer das Spiel aber eher der erzählten Geschichte und der Fakten über das Ritterleben wegen nutzt, kann trotz einiger technischen Unsauberkeiten seinen Spaß haben.
Laura Handlos: Physik? Ein Kinderspiel!
„Cool, Physik!“ – ein Ausspruch dieser Art dürfte in den Schulen nicht allzu häufig zu vernehmen sein. Denn gerade die sogenannten ‚MINT’-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, erfreuen sich häufig bei Schülerinnen und Schülern nicht allzu großer Beliebtheit. Zu trocken der Stoff, zu weit weg von der Lebenswelt der Heranwachsenden, vor allem in niedrigeren Jahrgangsstufen, wird geklagt. Dass das auch anders geht und besonders die Naturwissenschaften in zahlreichen Experimenten auch für Jüngere greibar gemacht werden können, will die Online-Plattform Junior Physics (www.intelinteraktiv.de) zeigen, die Bestandteil der Intel-Bildungsoffensive ist.
Junior Physics, eine nach der Registrierung kostenlos zugängliche Plattform, bietet Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften die Möglichkeit, in verschiedenen kleinen Experimenten die Welt der Physik zu entdecken und herauszufinden, wie Naturwissenschaften funktionieren. Zum Start der Plattform Ende März 2010 sind derzeit fünf verschiedene Tools verfügbar, die sich etwa mit der Spiegelung von Licht durch Planspiegel, der Lichtbrechung durch verschiedene Linsen oder der Funktionsweise von Elektromagneten befassen. Jedes Tool verfolgt ein klar definiertes Ziel, wodurch die Schülerinnen und Schüler die klar strukturierte Herangehensweise an Experimente lernen sollen. Optisch kommt die Plattform recht sachlich und nüchtern daher. In einer Übersicht werden die einzelnen Tools sowie das Ziel der Übung jeweils kurz beschrieben, durch einen Klick auf den Tool-Namen öffnet sich direkt ein eigenes Fenster, in dem das Experiment durchgeführt werden kann. Bevor die Schülerinnen und Schüler nun versuchen können, etwa durch die richtige Drehung der Planspiegel das Licht wie gewünscht zu spiegeln, wird die Funktionsweise des Tools noch einmal in einer anschaulichen Grafik erklärt. Dann kann es auch schon losgehen – ohne zeitliche Beschränkung können sich die Nachwuchsphysikerinnen und -physiker nun an der Fragestellung versuchen und nach Lust und Laune experimentieren.
Grafisch sind die Experimente ansprechend gestaltet, ohne überladen zu wirken. Die einzelnen Experimente zielen auch darauf, den Forschergeist der Kinder zu wecken und ihre Kreativität sowie ihr Vorstellungsvermögen zu schulen. So gilt es herauszufinden, wie weit sich das Gas in einem Ballon ausdehnen muss, damit der Ballon eine Brücke so stützt, dass ein Auto darüber fahren kann, oder wie der Magnetismus eines Krans verändert werden muss, um die geforderte Menge Schrott in den Container zu bewegen. Wenn auch beim Tool zum Thema „Masse und Volumen“, in dem durch Untersuchungen in einem Kriminallabor ein Kriminalfall aufgeklärt werden soll, leider die Möglichkeit fehlt, den Fall tatsächlich zu lösen, erschließen sich in diesen Experimenten den Schülerinnen und Schülern physikalische Phänomene auf spielerische Weise, wie es häufig im Unterricht wünschenswert wäre. Als erste Schule hat eine Grundschule in Dresden die Plattform bereits in den Unterricht integriert – schließlich bietet die Plattform nicht nur wertvolle Anregungen und Ergänzungen für den Physikunterricht, sondern fördert durch die Einbeziehung digitaler Medien auch die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Und damit vielleicht auf in Zukunft den Ausspruch „Cool, Physik!“
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Klebst du noch oder surfst du schon?
Arbeitsblätter waren schon immer ein Phänomen: Links klebte ein ausgeschnittener Lexikon-Eintrag, rechts oben stand mit Bleistift „Name“ und „Klasse“, darunter eine bis fünf Schreibmaschinen-getippte Fragen und per Hand gezogene Linien für die Antworten. Unten noch eine Ergänzung, vom Arbeitsblatt einer Kollegin ausgeschnitten und dazugeklebt. Bei besonders schönen Exemplaren gab es vielleicht noch einen Comic aus der Tageszeitung. Die ganze Collage wurde dann in den großen Ordner gepackt und 40 Schuldienst-Jahre lang zu Tode kopiert, bis selbst die neuesten Auflagen aussahen wie im Antiquariat erstanden … doch was bleibt den Pädagoginnen und Pädagogen auch übrig, um ihr Wissen mundgerecht und DIN A 4-förmig an die Schülerinnen und Schüler zu bringen, wenn ihnen als einzige Arbeitsmaterialien Bücher und Blätter, Schere und Kleber und der berühmt-berüchtigte Schulkopierer zur Verfügung stehen? Viel! Nach der Schuluniform, dem Rohrstock und dem Federkiel wird es langsam aber sicher auch für zusammen-kopierte Arbeitsblätter Zeit, in die Mottenkiste der Schul-Erinnerungen abzuwandern, denn ihre geistigen Väter und Mütter wandern immer häufiger ganz wo anders hin ab: in die unendlichen Weiten des World Wide Web, wo die digitale Konkurrenz zu den vergilbten Eselsohren schon lange hellwach ist. Und sie macht es den von unfreiwilligen Bastelstunden geplagten Lehrerinnen und Lehrern wahrlich leicht, neue, digitale Wege bei der Stundenvorbereitung zu beschreiten: Selbst wer sich nur zögerlich vorwagt und – den offenen Pritt-Stift noch neben der Maus bereit haltend – erst einmal unbeholfen nach „Unterrichtsmaterial“ oder „Arbeitsblätter“n sucht, wird vom Freund und Helfer Google bereits mit etwa einer halben Million Treffern belohnt. Das stürmt zwar nicht gerade alle Google-Rankings, kann es mit dem Schulkopierer aber auf alle Fälle aufnehmen (und zwar in jeder Hinsicht: bei Google findet man den alten Gesellen nämlich nur etwa 7.500 mal) und macht doch zumindest realistische Hoffnungen, dass auch etwas Brauchbares für die nächste Mathe-Stunde dabei ist. Hoffnungsfroh kann jetzt also der Pritt-Stift zugestöpselt, die Schere bei Seite geschoben und die Tastatur zurecht gerückt werden – jetzt geht es ans Aussortieren und Aussuchen. Und das kann bei großer Auswahl bekanntlich auch zur sprichwörtlichen Qual werden. Bildungsserver und Schulportal, klingende Namen wie netzwerk-lernen und eher pragmatische wie unterrichtsmaterial-schule, professionelle Download- Server und private Tausch-Communitys buhlen hier um Aufmerksamkeit, machen die Entscheidung schwer – und lassen unheilvolle Vorahnungen an unfruchtbare Klick-Odysseen aufkommen. Deshalb gilt: Augen auf beim Arbeitsblätter- Download.
Blätter-tauschen mit ruedi und berni: Angebote von und für Lehrerinnen und Lehrer(n)
Es wäre sicher übertrieben, zu behaupten, alles „was Lehrer können, können nur Lehrer“ – nichtsdestotrotz sind Kolleginnen und Kollegen bestimmt nicht die schlechtesten Ansprechpartner auf der Suche nach sinnvollem Unterrichtsmaterial. Das hat sich längst auch online herumgesprochen und so finden sich im Netz diverse Homepages und Foren, auf denen Pädagoginnen und Pädagogen sich gegenseitig Arbeitsblätter, Klassenarbeiten, Projektideen und Erfahrungswerte kredenzen. Bekanntestes Portal ist wohl 4teachers.de, eine Open-Source-Community, die 1999 von zwei visionären Referendaren (die heute noch als ruedi und berni dort unterwegs sind) ins Leben gerufen wurde und sich mittlerweile zum wahren Pädagogen-Mekka gemausert hat: Mehr als 580.000 tauschwillige Mitglieder tummeln sich auf den Seiten, klicken durchschnittlich sieben Millionen mal pro Monat darin herum und bieten ihre Materialien feil. Kein Wunder: Auch wenn die Seite auf den ersten Klick kein Eye-Catcher ist, sondern bescheiden grau-grüne Raufasertapeten-Optik präsentiert, überzeugt sie doch schnell durch Bedienung und Inhalte. Links alle wichtigen Rubriken von „Stundenentwürfe“ über „Foren“ und „Service“ biszum Impressum ordentlich untereinander, rechts die Anmeldung und der direkte Weg zur Community, dazwischen ein paar aktuelle Informationen über Seminare, Events, Publikationen – für so eine ordentliche Heftführung möchte man gleich einen Fleiß-Stempel aus dem integrierten 4teachers-Shop vergeben. Wer sich über eine – erfrischend unkomplizierte – Maske angemeldet hat, kann dann auch gleich in der Community mitmischen und sich durch das schier endlose Angebot klicken. Da gibt es Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, kleine Ideen und komplette Sequenz-Entwürfe, interaktive Materialien, Sounds und Videos, didaktische und methodische Hinweise, Rezensionen, Linksammlungen, ein Wiki – und zu guter Letzt, wenn der Kopf summt und der Daumen schmerzt, auch noch Forum, Chat und eine „Just4tea“-Spaßecke. Zwar ist die Bedienung nicht überall ausgefeilt, so wird das Material etwa nur nach Fächern sortiert angezeigt, nicht aber nach Jahrgangsstufen und ein Durchklicken bis zum richtigen Dokument kann sich sehr mühsam gestalten. Dafür wird man aber mit einer Suchfunktion entschädigt, die zu fast jedem beliebigen Thema eine Ergebnisliste präsentiert, bei der Lehrer-Herzen Loopings schlagen dürften. Natürlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier jedes Los ein Gewinn, sprich jedes Ergebnis von gleich hoher Qualität ist – das von einem komplett ehrenamtlich geführten und gefüllten Portal zu verlangen, wäre aber auch reichlich unverfroren. Dennoch bieten fast alle Ergebnisse zumindest Anregungen oder verwertbare Bestandteile, bisweilen finden sich auch wahre Goldstücke wie komplette Lehrproben oder professionell ausgearbeitete Sequenzen darunter – und als Sahnehäubchen obendrauf sind alle Inhalte garantiert schulerprobt und praxistauglich, die allermeisten sind sogar noch um Kommentare zu ihrer Tauglichkeit erweitert. Material für ein ganzes Lehrerleben also, dazu ein kleiner Shop, ein nettes Forum zum Austausch mit kathi23, klaush und BerlinerIn und das alles kostenlos und ehrenamtlich – damit verdient sich 4teachers eine ganze Tonne voll Fleiß-Bienchen.
Natürlich sind berni und ruedi aber nicht die einzigen rührigen Pädagogen weit und breit und so offeriert das weltweite Netz noch viele weitere Homepages, auf denen Lehrerinnen und Lehrer ihr Können und Wissen der Welt zugänglich machen. Horst Hicke etwa, Sonderschullehrer aus Gomaringen, bietet die Erträge seiner Schullaufbahn auf www.unterrichtsmaterial-schule.de an und hat dort eine ansehnliche Sammlung an Arbeitsblättern, Klausuren et cetera im Angebot. Da die Seite keine Community, sondern nur die öffentlich zugängliche Datensammlung einer einzelnen Person ist, bietet sie natürlich einen Bruchteil der Materialflut auf 4teachers, auch die Bedienung gestaltet sich etwas schwieriger: Um zu einem Ergebnis zu gelangen, muss man sich meist durch lange, unsortierte Listen scrollen und wer dies per Suchfunktion umgehen will,wird umständlich zu Google und zurück geleitet. Dennoch punktet die Seite mit vielen interessanten Inhalten und bietet vor allem zahlreiche Links kreuz und quer durch’s Web, wie zu klassenarbeiten. de oder abfrager.de. Als Haus-und- Hof-Materiallieferant eignet sich diese – und die vielen ähnlichen, privat betriebenen – Seite(n) nicht, ist sie aber auch nicht gedacht. Schaden kann es aber auch nicht, sie in die Browser-‚Lesezeichen’ aufzunehmen – gut möglich, dass Horst Hicke einem noch einmal die kurzfristige Vertretungsstunde retten kann!
Dieses Arbeitsblatt wird Ihnen präsentiert von … Angebote von Unternehmen
Doch nicht nur wohlmeinende Kolleginnen und Kollegen können Lehrkräfte auf ihrer Wanderschaft durch’s weltweite Netz treffen: Auf der Suche nach dem perfekten Arbeitsblatt landet so mancher bei Siemens, Minimax oder dem Schweizer Fleischerfachverband – und das nicht etwa aus Gründen der fehlenden Motivation. Tatsächlich wird auf zahlreichen Plattformen Unterrichtsmaterial von Anbietern bereit gestellt, von denen man eigentlich eher Telefone, Feuerwehrschläuche oder Schnitzel erwartet hätte– doch unverhofft kommt schließlich oft. „Wo Schule und Wirtschaft sich treffen“ etwa sitzt kiknet.org, ein Angebot der Schweizer Kommunikationsagentur kik AG. Die übersichtlich gestaltete, sehr professionell aufgemachte Seite bietet nicht nur Arbeitsblätter, sondern ganze Sequenzpläne, Präsentationen, Tests, dazu Lehrerinfos und nette Hilfsmittel wie ein ‚Ämtliblatt’. Leider beschränkt sich das Angebot zwar bisher auf digitale Print-Materialien; Videos, Sounds oder andere Medien sucht man umsonst. Auch insgesamt ist die Auswahl sehr überschaubar, doch die Anbieter prophezeien stolz, dass sie um „mindestens drei Lektionen pro Monat“ wachsen soll. Diese Anbieter, dasist zunächst einmal natürlich die kik AG, bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass jedes Arbeitsblatt seinen eigenen Anbieter hat:Warner Brothers präsentiert die Sequenz zum Film Buddenbrooks, Minimax steuert Vorschläge zu einem Projekttag „Feuerwehr“ bei und der Fleischereifachverband zeichnet für ein Arbeitsblatt zum Thema „Berufe“ verantwortlich, nach dessen eingehender Besprechung die Bewerberquoten in den Metzgereien landauf landab explodieren dürften. Das ist natürlich erfreulich für karnivorische Feinschmecker, Verfechter der unabhängigen Bildung könnte es aber weniger begeistern. Dem kompletten Portal Schleichwerbung unterstellen zu wollen wäre allerdings etwas radikal und auch nicht fair. Immerhin bietet es großteils wirklich gut gestaltetes Material, das meist sehr schön und professionell gemacht ist und wirklich hilfreich sein kann, sofern es kritisch betrachtet und nicht ungeprüft kopiert und verteilt wird – dass das allerdings unabhängig von kiknet immer und überall angebracht ist, darin wären sich wohl nicht nur die besagten Karnivoren und Bildungsverfechter einig.
Ein zweites Portal mit eher überraschendem Anbieter ist das Medienportal der Siemens Stiftung. Auch bei dem Elektronik-Konzern tummeln sich offenbar Menschen, die kommenden Schüler-Generationen ihre traumatischen Arbeitsblatt-Erfahrungen ersparen wollen und zwar mit Hilfe von www.medienportal.siemens-stiftung.org. ImVergleich zu den meisten anderen Seiten ist diese so professionell aufgemacht, dass vorbeiklickende Pädagoginnen und Pädagogen sich wohl erst einmal verwundert die Augen reiben dürften: Sie werden von einem Begrüßungstext inklusive Einführungsvideo in Empfang genommen, um sich dann mittels ausgeklügelter Suchfunktion durch die Materialfluten zu klicken. Das Portal beschäftigt sich zwar fast ausschließlich mit den MINTFächern, also mit naturwissenschaftlichen und technischen Themen, bietet dazu aber ein nicht enden wollendes Sammelsurium an Informationen, Ideen, Material. Die Masse birgt allerdings auch ihre Schwierigkeiten: So hat die Suchfunktion zwar mehr Eingabefelder als andere Seiten überhaupt Inhalte, liefert aber trotzdem (oder vielleicht deshalb?) bisweilen eher abstruse oder gar keine Ergebnisse, dann wieder so viele Treffer, dass man den Sinn einer eingrenzenden Suche kurz anzweifeln möchte. Und auch wenn es schön ist, eine Auswahl zu haben: Wenn schon die Ergebnisliste leichten Schwindel hervorruft, kann das die Motivation zum Durchklicken schnell beeinträchtigen. Wirklich angenehm sind dagegen die angebotenen „Medienpakete“, die Informationen zu einem Themenkomplex übersichtlich und sortiert bündeln und so bisweilen schlüssiges und sinnvolles Material für ganze Sequenzen wie „Wasser“ oder „Kommunikationstechniken“ bieten. Das entschädigt tatsächlich wieder für die müßige Suche und zaubert vor allem auf Physik- und Chemielehrerinnen und -lehrer-Gesichter sicher das ein oder andere Lächeln.
Mein LO – Spiel, Spaß und Spannung bei Lehrer Online
Last but not least darf natürlich die Mutter aller Schul-Portale nicht fehlen: Lehrer Online. 1998 von Schulen ans Netz e.V. gegründet, um es Lehrerinnen und Lehrern zu erleichtern, auch neue Medien im Unterricht einzusetzen, erhielt das Portal einen solchen Zuspruch, dass es nach zehn Jahren seine eigene Betreibergesellschaft – die lo-net GmbH – gründete und sich vom kleinen Hilfe-Tool zur umfassenden Hamsterkiste gemausert hat, in der Lehrerinnen und Lehrer fast alles finden können, was man sich wünschen kann im Schulalltag. „Einmal hin, alles drin“, möchte man sagen. Zentrales Angebot ist nach wie vor Lehrer-Online.de, wo es Nachrichten, Infos, Tipps, Rezensionen – und vor allem natürlich Unterrichtsmaterialien aller Art gibt. Auch wenn Menschen mit ausgeprägtem Ordnungssinn bei Anblick der Seite kurz in Stress geraten könnten und auch die Zeremonie, bis man tatsächlich auf der Seite angemeldet ist, heftiges Geklicke und Getippe und einen langen Geduldsfaden erfordert, entschädigt das Portal mit seinen Inhalten allemal. Hier wird nämlich eine Fülle an Materialien angeboten, die sich großteils am Lehrplan orientieren, ordentlich markiert und sortiert sind und zu fast jedem Thema wirklich nützliche Informationen, Vordrucke, Ideen et cetera bieten. Und das Sahnehäubchen dazu: Lehrer Online bietet nicht nur ‚normale’, analoge Arbeitsblätter in digitaler Form, sondern hat sich auch inhaltlich ganz der Medienkompetenz verschrieben. So gibt es zu den meisten Themen Links, Online-Infos, WebQuests, Filme, Audio-Beiträge, Anleitungen zur medialen Aufarbeitung und und und. Nicht nur Reproduktion, sondern gleich eine richtig schöne Transferleistung dazu also. Neben den 'Hauptseite’ bietet LO außerdem noch lo-net2, einen komplett digitalen Arbeitsraum für ganze Schulen oder einzelne Klassen, wo Lehrende und Lernende mit Hilfe von eigenen Seiten, Wikis, Messengern, Gruppenräumen und Lesezeichen an ihren Themen und Projekten arbeiten können und primolo, einen Webseiten-Generator für Grundschulen. Und schließlich gibt es zusätzliche, nützliche Seiten wie lo-recht, lo-eltern, lo-kompakt oder lo-shop. Alles in allem lässt sich festhalten: Wer nicht nur auf der Suche nach ein paar neuen Comics für die Arbeitsblätter ist, sondern es ernst meint mit den neuen Medien, wird bei Lehrer Online schnell sein persönliches Schlaraffenland finden.
Fazit: Klassenziel erreicht
4teachers, kiknet, Lehrer Online – die fünf vorgestellten Angebote sind natürlich nur ein winziger Ausschnitt dessen, was das Internet zu bieten hat. Eines zeigen sie aber: Die Pädagoginnen und Pädagogen haben ihre Hausaufgaben gemacht und so mancher Pritt-Stift dürfte schon gnadenlos eingetrocknet sein, während dagegen die eine oder andere Tastatur aus dem Glühen kaum heraus kommt. Das heißt natürlich nicht, dass alles was digital ist, gleich gut ist – kritisches Mitdenken ist von den Lehrerinnen und Lehrern sowohl off- als auch online gefragt. Nichtsdestotrotz bieten die Weiten des Netzes eine schier endlose Fülle an nützlichem, schlauem, sinnvollem,unterhaltsamem, gutem Material und wer sich die Mühe macht, findet sicher zu jedem Thema gute Hilfen, Anregungen und Rüstzeug für den Schulalltag und das ganz ohne Vergilbungen und Eselsohren. Das gibt eine klare 1 mit Sternchen.www.4teachers.dewww.unterrichtsmaterial-schule.dewww.kiknet.orgwww.medienportal.siemens-stiftung.orgwww.lehrer-online.de
Laura Handlos: Lust auf Kino?
Von Norwegen über Serbien, Polen, Deutschland und Frankreich nach Indien, Japan und Nepal – das Kinderfilmfest, das parallel zum Filmfest München vom 25. Juni bis zum 3. Juli 2010 stattfand, bot auch in diesem Jahr eine facettenreiche Auswahl an nationalen und internationalen Produktionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die Filme aus Indien und Nepal die Zuschauerinnen und Zuschauer in die zum Teil recht harte Realität der jeweiligen Länder entführten und sich dabei nahezu dokumentarischer Mittel bedienten, erschufen die meisten Beiträge aus den westlichen Ländern eine bunte Fantasiewelt, in der magische Stühle Wünsche erfüllen, ein sprechender Ast zum besten Freund wird und das Sandmännchen Abenteuer im Traumland erlebt. Der Kontrast könnte also kaum größer sein und doch macht gerade diese Mischung das Programm des Kinderfilmfests für junge und auch ältere Besucherinnen und Besucher so reizvoll. So können in der polnischen Produktion Der magische Baum nicht nur die vielen Kinder, sondern auch die anwesenden Erwachsenen herzhaft über die Kapriolen des roten Stuhls lachen, der, aus dem Holz einer magischen Eiche gefertigt, Wünsche erfüllen kann.
„Super Sache, so ein Stuhl“, mag so mancher im Vorführraum gedacht haben, doch so leicht und wunderbar wie gedacht, klappt auch das mit dem Wünschen nicht immer. Das stellen auch die drei Geschwister im Film fest. Gerade ist ihnen der rote Stuhl quasi zufällig auf das Dach des Familienautosgefallen und der jüngste Spross, der drollige Kuki, nimmt den Stuhl kurzerhand mit auf das Konzert seiner Eltern auf einem Straßenfest. Die klassischen Musiker sind ständig blank, und so ist jede Gelegenheit recht, um mit der geliebten Musik etwas dazu zu verdienen. Hier zeigt der Stuhl dann auch das erste Mal seine Zauberkraft, als Handwerker, die mit ihrem Lärm das Spiel der Eltern stören, wie von Kuki gewünscht nahezu fluchtartig das Weite suchen. Schlag auf Schlag erfüllen sich nun die Wünsche des Familienmitglieds, das auf dem Stuhl Platz genommen hat. Da wird Pizza geliefert und ein lukrativer Job für die Eltern an Land gezogen – doch genau da hat die Sache mit dem Wünschen einen Haken.
Denn der Job mag zwar lukrativ sein, doch wie sollen die Eltern ein Jahr lang an Bord eines Kreuzfahrtschiffs musizieren, ohne die Kinder mitzunehmen? Natürlich ist der Vorschlag der von den Kindern ungeliebten Tante, die Kinder so lange bei sich aufzunehmen, für die Eltern undiskutabel. Bis die Tante auf dem Stuhl sitzt und sich wünscht, ihre Schwester möge endlich vernünftig sein und das Angebot annehmen. Schnell sind nun die Koffer gepackt, die Kinder bei der Tante untergestellt, und für die beginnt nun eine rasante Jagd nach dem zaubernden Stuhl, der als einziger die Situation retten kann. Doch die Kraft des Stuhls ist begrenzt und die Eltern sind zu weit entfernt, als dass man sie einfach herbeiwünschen könnte. Also machen sich die Kinder in Begleitung der aus Versehen geschrumpften Tante auf den Weg, um das Schiff noch rechtzeitig zu erreichen ...
Vor der Familienzusammenführung stehen allerdings einige Abenteuer und knifflige Situationen, die es zu bewältigen gilt. Und am Ende zählt doch nur, wieder vereint zu sein. Die Mischung aus ‚Magie‘ und realen Problemen wie der angespannten finanziellen Situation der Eltern und deren Versagensängste kommt bei den Kindern gut an. Die witzigen Dialoge und misslungenen Wünsche bringen die jungen Zuseherinnen und Zuseher ebenso zum Lachen wie die Kunststücke des Stuhls, der hüpft, tanzt, dem Bösewicht, der die Kinder verfolgt, entkommt und sogar auf einem Roller fährt. So drehte sich das anschließende Gespräch des Regisseurs Andrzej Maleszka mit dem Publikum auch vor allem um die Special Effects, die bei den jungen Filmfans einige Begeisterung ausgelöst haben. Dem Regisseur gelingt es aber auch, die Kinder mit seiner eigenen Begeisterung für den Film anzustecken und in einem rasch improvisierten Workshop angehenden Jungschauspielerinnen und -schauspielern die Grundlagen der Schauspielerei näher zu bringen.Weniger zum Lachen als zum Nachdenken gebracht hat das junge Publikum der indische Film Harun – Arun, der von dem Jungen Harun erzählt, der mit seinem Großvater das Dorf in Pakistan verlässt, um in das eigentliche Heimatdorf des Alten nach Indien zu gehen. Um an der Grenze nicht gefangen zu werden, trennt sich der Großvater von Harun. Doch bevor er den Jungen alleine in das Dorf weiterziehen lässt, gibt er ihm einen Brief an einen alten Freund mit, an den sich Harun wenden soll, sowie eine alte Medaille, anhand derer der Freund den Jungen als den Enkel des Alten erkennen wird. Denn der Freund trägt die gleiche Medaille, die die beiden Männer vor der Vertreibung des Großvaters aus dem Dorf bei einem Seifenkistenrennen gewonnen haben. Während der Großvater die patrouillierenden Polizisten an der Grenze ablenkt, macht sich Harun alleine auf den Weg in das Heimatdorf seines Großvaters. Doch er bekommt Fieber und wird von drei Kindern aufgegriffen, die ihn kurzer Hand im Kuhstall verstecken und gesund pflegen.
Es dauert nicht lange und die Mutter der drei kommthinter das Geheimnis und nimmt den Jungen auf, der in Indien aber Arun genannt wird, das moslemische Harun kommt den Kindern gar zu fremd vor. Der Name, der in beiden Ländern anders ausgesprochen wird, wird zum Symbol für die Trennung der Länder, die verschiedenen Religionen, die in den Ländern das Leben bestimmen und die Grenze in den Köpfen mancher Dorfbewohnerinnen und -bewohner, die den fremden Jungen argwöhnisch beäugen. Dieser komische Junge soll ein entfernter Verwandter dieser Familie sein? Unmöglich. Der Teppichhändler im Dorf zettelt eine Verschwörung an mit dem Ziel, den Jungen des Dorfes zu verweisen und die Frau zu bestrafen, die ihn aufgenommen hat. Doch durch viel Geschick und die Offenheit der Kinder dem Neuen gegenüber, der eigentlich genau wie sie ist, gelingt es Harun, das Komplott aufzuhalten.
Der Film transportiert auf unaufdringliche Art und Weise und für das junge Publikum sehr anschaulich die Problematik der durch eine künstlich gezogene Grenze seit über 60 Jahren getrennten Länder und zeichnet dabei ein hoffnungsvolles Bild einer besseren Zukunft. Ohne besondere Effekte inszeniert der Regisseur Vinod Ganatra, der sonst hauptsächlich Dokumentarfilme dreht, einen einfühlsamen Film, der zum Nachdenken anregt. Doch dabei ist der Film nie nur ernst, sondern unterhält die Kinder ebenso wie die Erwachsenen. Im Gespräch mit dem Regisseur zeigten sich die Kinder ebenso interessiert an der Heimat des Filmemachers wie am Filmemachen selbst. Mit diesem facettenreichen Programm bietet das Kinderfilmfest viel Unterhaltung, ohne oberflächlich zu sein oder sich den Problemen, mit denen auch Kinder heute immer wieder konfrontiert sind, zu verschließen. Auch die witzigsten Filme enthielten meist einen Hauch Ernst, und die eher problemorientierten Beiträge aus Indien und Nepal wussten dennoch, auch gut zu unterhalten. Ein großes Plus des Kinderfilmfests war es aber sicherlich auch, dass sich die Regisseurinnen und Regisseure meist den Fragen und Anregungen des jungen Publikums stellten. Dadurch entstand eine große Nähe zwischen den Kindern und den Filmemacherinnen und Filmemachern, das junge Publikum fühlte sich ernst genommen und brachte sich begeistert ein. Damit macht das Kinderfilmfest auch vor allem eines – Lust auf Kino.
Heidi Seyfferth und Laura Handlos: In die Seele gebrannt
„Der Mensch ist aus Stahl, der Panzer nur aus Eisen“ steht an der Innenwand des Panzers geschrieben, in dem die vier jungen Soldaten Yigal, Shmulik, Hertzel und Assi in ihren ersten Kampfeinsatz ziehen. Im Juni 1982, in den ersten Libanon-Krieg. Laut ihrem Kommandanten handelt es sich bei diesem ersten Einsatz um ein „Kinderspiel“, schließlich gilt es lediglich, eine Stadt nach dem Kahlschlag durch die Luftwaffe endgültig zu ‚reinigen’. Erst ab dem Hotel St. Tropez wird aus dem Einsatz ein echter Krieg, so der Kommandant. Und der muss es ja wissen, denken sich die unerfahrenen Soldaten, die in ihrer Militärausbildung bisher nur auf Fässer geschossen haben. Doch auf einmal haben diese ‚Fässer’ Gesichter, Gefühle, Erinnerungen, kurz: ein Leben. Ein Leben opfern, um selbst am Leben zu bleiben – aus dem ‚Kinderspiel’ wird innerhalb von Sekunden bitterer Ernst.
Der israelische Regisseur Samuel Moaz thematisiert seine persönlichen Erfahrungen im ersten Libanon-Krieg, den er mit Anfang 20 als Richtschütze der Panzerbesatzung miterlebt hat. Erst 2007 sah sich der Regisseur in der Lage, diese Erlebnisse in einem Drehbuch zu verarbeiten – Lebanon, der Mitte Juli 2010 in die deutschen Kinos kommt, ist das Ergebnis. Maoz nimmt in diesem Film die Zuschauerinnen und Zuschauer mit in das Innere eines Panzers. Sie sitzen hier auf engstem Raum zusammen mit den vier jungen Soldaten, zwischen leeren 7Up-Dosen, Zigarettenkippen und Phosphorgranaten, deren Einsatz durch geltendes Kriegsrecht verboten ist – weswegen sie als „flammender Rauch“ bezeichnet werden, was einen Einsatz freilich rechtfertigt. Es ist heiß, der Boden ist mit Wasser bedeckt, vermengt mit Urin. Der Panzer setzt sich in Bewegung, die Kamera vibriert im Takt mit dem Dröhnen des Motors, es ist laut. Unerträglich laut. Durch diese ungewöhnliche und einzigartige Perspektive erlebt das Publikum diesen Krieg hautnah. Lediglich durch denSucher des Zielfernrohrs wird die Umgebung wahrgenommen, teils bei Tageslicht, teils auch durch das Nachtsichtgerät in grünlicher Färbung. Das durch die sehr subjektive Perspektive ohnehin sehr intensive Erleben der Handlung wird durch die Kameraführung und die langen Einstellungen noch verstärkt. Im Gegensatz zu der Dramatik des Kriegsgeschehens ist die Kameraführung des Films äußerst ruhig und langsam. Dadurch werden die emotionalen Bildsequenzen nahezu unerträglich lang betont – ein leidendes Tier mit offenem Bauch und beinahe sichtbaren Tränen in den Augen, ein Junge, der gerade seine Familie und die restlichen Dorfbewohnerinnen und -bewohner verlorenhat und eine vollkommen verstörte Frau, deren Mann und die fünfjährige Tochter gerade vor ihren Augen erschossen wurden.
Lebanon ist ein verstörender Film. Wie kaum ein Kriegsdrama schafft er es, den Zuseherinnen und Zusehern die ganze Tragweite eines Krieges nahe zu bringen, ohne politisch Stellung zu beziehen oder sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Im Mittelpunkt stehen die vier Soldaten, deren Leid das Publikum nahezu selbst erlebt – mit jedem Zittern der Hand Shmuliks, der den Abzug drücken muss, mit jedem Blinzeln der Augen, mit dem die Tränen und der Schweiß am Weiterlaufen gehindert werden sollen, zum Teil vergeblich. Damit ist der Film nicht das, was man guten Gewissens als Unterhaltung bezeichnen kann, nichts, das Erholung nach einem harten Arbeitstag verspricht. Man wird das Kino wohl nicht entspannt, sondern aufgewühlt, bewegt und nachdenklich verlassen. Durch die Stärke der Bilder, die nahezu unerträglich langen Einstellungen und den Lärm der Einschläge ist Lebanon für zarte Seelen eine Herausforderung. Allerdings eine, der sich zu stellen lohnt – denn der Film ist damit auch ein Plädoyer gegen den Krieg, egal ob im Libanon, im Irak oder in Afghanistan. Gerade vor dem Hintergrund der nach wie vor nicht beruhigten Situation im Nahen Osten eignet sich Lebanon sicherlich auch für den Einsatz in der Schule, angesichts der Brutalität zwar erst in den älteren Jahrgangsstufen, doch dort dürfte eine Thematisierung im Geschichtsunterricht sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler ein Gewinn sein. Denn auch wenn Geschichtsbücher den Kriegsverlauf darlegen mögen, das Gefühl, im Inneren des Panzers unter Beschuss zu stehen, können sie nicht vermitteln. Den Film, der unter anderem mit einem Goldenen Löwen bei den es vergönnt ist, gesund und sicher aus einem Kriegseinsatz heimzukehren“. Denn Kriegserlebnisse, so Maoz, sind ein Leben lang in die Seele eingebrannt. Mit diesem Film sind sie es auch ein wenig in die des Publikums.
Lebanon
Israel 2009Kinostart: 15.07.2010
Regie: Samuel Maoz
Darsteller: Yoav Donat, Italy Tiran, Oshri Cohen, Michael Moshonov, Zohar Strauss, Dudu Tassa, Ashraf Barhom, Reymonde Amsellem
Musik: Nicolas Becker
Laufzeit: 93 min
Freigegeben ab 12 Jahren
Verleih: Senator Film Verleih
Heidi Seyfferth: Was würdest du tun?
Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. (2010)
Weggeschaut ist mitgemacht.
DVD. Stuttgart.„Es passiert täglich, überall und am hellerlichten Tag: Ein Mensch wird belästigt, bedroht oder tätlich angegriffen – in der Straßenbahn, in der Fußgängerzone oder beim Einkaufen, es werden Parkbänke oder Spielplätze beschädigt, Gebäude und Verkehrsmittel besprüht und demoliert oder Friedhöfe geschändet. (...) Nur wenn Polizei und Bevölkerung an einem Strang ziehen, gelingt es, die Sicherheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu verbessern.“ (S. 1 Filmbegleitheft) Die polizeiliche Kriminalprävention hat primär die Aufgabe, die Bürger über Möglichkeiten des Selbstschutzes aufzuklären. Mit der aktion-tu-was gibt die Polizei praktische Tipps an die Hand, wie man anderen Opfern helfen und sich selbst schützen kann. Eingebunden in diese Aktion ist das Medienpaket Weggeschaut ist mitgemacht. Dieses Angebot richtet sich an pädagogische Lehrkräfte für den Einsatz in Schulen und der Jugendarbeit. Ziel des Medienangebots, bestehend aus vier Filmsequenzen und einem Filmbegleitheft, ist es, mehr Bürgerengagement und Zivilcourage im öffentlichen Raum zu schaffen.
Vier Episoden können in dem Hauptmenü der DVD Weggeschaut ist mitgemacht angewählt werden. Die Themenfelder reichen von Alkohol und Gewalt, Drogendeal, Handyraub bis hin zum Ladendiebstahl. Beim Anwählen einer Szene werden realistische Darbietungen geboten. Jugendliche im Alter der Zielgruppe geraten in einen Konflikt. Eine Hauptakteurin oder ein Hauptakteur stehen jeweils im Mittelpunkt der Handlung. Anschließend stoppt die Filmszene. Die Jugendlichen haben dann die Option, in der Gruppe zu diskutieren oder alleine zu überlegen, welche Alternativen moralisch und vernünftig sind. Das Menü stellt drei Handlungsoptionen bereit. Alle drei können angewählt und diskutiert werden. Eine der vier Filmsequenzen zeigt Jugendliche auf einem Spielplatz. Es werden alkoholische Getränke konsumiert. Ein Jugendlicher hat bereits zuviel Alkohol getrunken, wird aus einem banalen Grund wütend und verlässt die Gruppe. An der nächsten Bushaltestelle randaliert er und ein älterer Mann spricht ihn darauf an. Der Jugendliche geht aggressiv auf den älteren Mann zu, einer seiner Freunde erscheint im Hintergrund. Dieser ist der handelnde Akteur. Die Filmsequenz stoppt. Nun werden die Zuschauerinnen und Zuschauer gefragt: „Was machst du?“ Anschließend werden die drei Handlungsoptionen geboten. Eine der drei Wahlmöglichkeiten ist: „Ich mach’ doch meinen Kumpel nicht an!“ Hier sieht man, wie der Hauptakteur nichts unternimmt und den Kumpel strafrechtliche Konsequenzen verfolgen. Die zweite Option ist: „Der hat sie doch nicht alle – den stopp ich!“ Der Hauptakteur wird in diesem Falle selber zum Opfer und wird von seinem Kumpel geschlagen.
Die dritte Variante stellt sich als die richtige Handlung heraus. Der Hauptakteur holt seine Freundinnen und Freunde zu Hilfe, gemeinsam stoppen sie ihren Kumpel, reden ihm gut zu und entschuldigen sich bei dem älteren Mann. Das Filmbegleitheft enthält Erläuterungen zum Film sowie didaktische Hinweise für Lehrkräfte und pädagogisches Fachpersonal, um das Medienangebot mit den Jugendlichen zu bearbeiten. Beispielsweise sollte als Lehrbeauftragte und Lehrbeauftragter darauf hingewiesen werden, dass es kein Rezept für eine Reaktion gibt. Der Einzelfall ist entscheidend. Daneben enthält das Heft Hinweise zur aktion-tu-was und damit ebenso praktische Handlungstipps zur Hilfe und zum Selbstschutz im Alltag. Das Medienangebot ist gut durchdacht. Neben dem Medienbezug, was für die Jugendlichen wie ein Eye-Catcher wirken müsste, wird die Zielgruppe auch direkt mit eigenen Gedanken und Diskussionsbeiträgen gefordert. Ebenso vorteilhaft ist, dass verschiedene Optionen in dem Medienbeitrag dargestellt werden, so dass alle Handlungsoptionen in ihren Folgen vorstellbar werden.
Das Medienangebot ist eingebundenin die Initiative aktion-tu-was und steht somit in einem größeren Zusammenhang. Neben dem Bewusstsein, was durch das Medienangebot Weggeschaut ist mitgemacht geschaffen werden kann, wäre es sinnvoll die Kinder und Jugendlichen in die übergeordnete aktion-tu-was einzubinden, so dass die moralisch einwandfreie Intention des umsichtigen Miteinanders über die Schwelle des Klassenzimmers hinausgehen kann. Beispielsweise könnten die Kinder und Jugendlichen, mit Unterstützung derPolizeilichen Kriminalprävention, selbst einen Film zum Thema drehen.
Christine Then: Mit Eddie im WWW-Weltmeer
Internet ABC (Hrsg.). Wissen, wie´s geht! Mit Spaß und Sicherheit ins Internet. Handbuch und CD-ROM, 223 S., www.internet-abc.de
Browser, URL, Layer – selbst für Erwachsene stellt das Word Wide Web bisweilen noch eine Herausforderung dar. Umso wichtiger ist es, dass Kinder früh damit vertraut werden, um zu kompetenten Userinnen und Usern heranzuwachsen. Das dachte wohl auch Internet-ABC e. V., ein gemeinnütziger Verein, dem zwölf Landesmedienanstalten angehören, und hat deshalb das Handbuch Wissen, wie´s geht! Mit Spaß und Sicherheit ins Internet mitsamt gleichnamiger CD-ROM für Lehrerinnen und Lehrer herausgebracht. Die Materialien sind parallel entwickelt und eng angelehnt an die gleichnamige Rubrik auf der Homepage des Internet ABC – sie bieten Eltern und Lehrkräften die Möglichkeit, Kinder on- oder offline, auf dem Papier oder am Bildschirm und bestenfalls natürlich alles kombinierend an das Internet, seine Chancen und Tücken heranzuführen.
Handbuch und CD-ROM
Das Handbuch Wissen, wie´s geht! beinhaltet elf verschiedene Themenpakete, die immer nach dem gleichen Muster aufgebaut sind: Titelblatt, didaktische Hinweise, Einführungstexte, Lexikon, Checkliste, Arbeitsblätter, Spiel und Lösungsblatt zur Aufgabe. Die Lehrkräfte bekommen Hilfestellung, wie sie beispielsweise das Thema „Suchen und Finden im Netz“ einleiten, mit welcher Erarbeitungsform der Inhalt gut behalten wird und wie eine Hausaufgabe zum entsprechenden Thema aussehen kann. Vor den eigentlichen Lernmodulen informieren didaktische Kommentare zum jeweiligen Thema und geben Hinweise zu erlernbaren Kompetenzen. Die CD-ROM beinhaltet Teile der Homepage eins zu eins: Sie kann eingesetzt werden, wenn kein Internet zu Verfügung steht. Sie eignet sich als Ergänzung zu den Arbeitsblättern des Buches, kann aber auch problemlos alleine verwendet werden. In aufeinander aufbauenden Modulen werden die Kinder hier mit Spiel und Spaß an das Internet herangeführt. Erst lernen sie die wichtigsten Begriffe kennen, dann folgt eine Einführung in die Welt der Tastatur und Maus. Außerdem lernen sie mit Hilfe des Pinguins Eddie, wie man mit Suchmaschinen schnell das erwünschte Ergebnis findet oder warum Werbung im Internet oft gar nicht so leicht zu entlarven ist. Alle Lektionen sind gleich aufgebaut. Bei jedem Modul gibt es zunächst einen Infotext, danach eine Aufgabe und dann ab zum nächsten Infotext. Am Ende einer Lektion werden schließlich ein oder zwei Spiele als Belohnung angeboten. Ist ein Spiel zu Ende, erscheinen bei manchen Spielen Eddie und seine Freundinnen und Freunde und greifen die Thematik des Spieles auf, um eine Transferleistung bei den Kindern anzuregen. Müssen Kinder zum Beispiel gefährliche Gegenstände in einem Koffer erkennen, so erklärt Eddie, dass auch gefährliche ‚Gegenstände’ wie Viren in den Computer geraten können. Des Weiteren wird nach manchen Spielen auf entsprechende Lernkapitel hingewiesen, so dass eine Rückbindung an die eigentlichen Lernaufgaben stattfinden kann.
Jede Information oder Aufgabenstellung kann auch immer angehört werden, so dass auch leseschwächere Kinder dieses Lernmedium nutzenkönnen und die Kinder nicht unbedingt Begleitung durch Lehrkräfte oder Eltern benötigen.Auf der Startseite der CD-ROM gibt es – wie auch online – vier Hauptrubriken: „F it für´s Internet“, „Spiel und Spaß“, „Infos für Eltern“ und „Zur CD-ROM“. Diese können auch unabhängigvon den Lektionen angeklickt werden, so dass die Lektionen und Spiele in jeder beliebigenReihenfolge angesehen werden können. Dies sorgt für Selbstbestimmtheit beim Lernen und bietet auch fortgeschrittenen Kindern die Möglichkeit, mit Spaß und Motivation zu lernen. Zwar verbirgt sich ein sinnvoller Aufbau hinter der Anordnung der Lernmodule, der Einstieg ist aber trotzdem an jeder Stelle möglich und jedes Modul funktioniert auch selbständig. Bei der Einschätzung hilft eineEinteilung der Inhalte in ‚leichte‘, ‚mittlere‘ und ‚schwere‘ Lektionen. Immer im Blickwinkel ist ein Symbol „Elterntipps“, mit dem Eltern darauf aufmerksam gemacht werden, auf was sie bei der jeweiligen Übung oder Aufgabe zu achten haben und welche Vorbereitungen sie treffen sollten. Unter der Rubrik „Infos für Eltern“ bietet die CD-ROM zu jedem Lernmodul einen didaktischen Leitfaden, so dass auch zu Hause ein spielerischer, aber sinnvoller Zugang zum Internet erfolgenkann. Außerdem gibt es auf der CD-ROM auch Spiele, die man sich ausdrucken und ausschneidenkann, so dass die ganze Familie zusammen spielen kann. Das Handbuch sowie die CD-ROM Wissen wie´s geht eignen sich für Grundschülerinnen und Grundschüler ab acht Jahren.
Bei der CD-ROM können grundsätzlich alle Inhalte der Rubriken „Fit für‘s Internet“ und „Spiel & Spaß“ von Kindern alleine erforscht und gelöst werden. Das Risiko ist jedoch gegeben, dass die teils umfangreichen Informationen nicht richtig gelesen beziehungsweise angehört werden und auch an der einen oder anderen Stelle Fragen auftauchen, die eine kompetente Ratgeberin oder einen Ratgeber erfordern. Das Handbuch findet man zum kostenlosen Download auf der Internetseitedes Internet ABC. Außerdem können beide Materialien über das Internet- ABC e. V. sowie die Landesmedienanstalten kostenlos bezogen werden.
Wenn im Unterricht kein Computer zum Abspielen der Audios zur Verfügung steht, werden Audios, die sich in ihrer Reihenfolge nach den Einführungstexten aus dem Lehrerhandbuch richten, ebenfalls zum Download angeboten. Mit dem Handbuch haben die Lehrkräfte einen guten Leitfaden an der Hand, wie man Medienkompetenz bereits im Grundschulalter aufbauen kann. Die CD-ROM bietet im Schulbereich sowie zu Hause die Möglichkeit, erfolgreicher Kapitän im großen WWW-Weltmeer zu werden – nur ohne allzu große Schiffbruch-Gefahr.
Markus Achatz: Annäherungen ans Anderssein
Das Programm der Sektion Generation auf den 60. Internationalen Filmfestspielen 2010 in Berlin befasste sich in vielen Fällen mit der Frage nach „Fremdheit“ und was dies bedeuten kann. Hervorgestochen sind Filme, die Andersartigkeit als Chance begreifen, die offen sind für neue Perspektiven und die Neugier ihrer Protagonistinnen und Protagonisten. Die Zugänge zu den teils schwierigen Themen wurden durch Verknüpfungen von Fantasie und Realität erleichtert. Neben rein fiktionalen Kurz- und Langfilmen wurden in diesem Jahr vermehrt Dokumentationen und Mischformen zwischen Doku und Fiktion in die Programmschienen Kplus und 14plus aufgenommen. Die Erweiterung fand beim jungen Publikum erstaunlich guten Zuspruch. Beispielsweise erhielt der Dokumentarfilm Wie wir leben (Neuseeland/Kanada, 2009) eine „Lobende Erwähnung“ der Kinderjury. Der "Gläserne Bär“ als Hauptpreis der 14plus-Jugendjury ging an die deutsche Doku Neukölln Unlimited (2010), in der drei Geschwister einer Familie aus dem Libanon in Berlin zwischen Anerkennung und drohender Abschiebung leben (siehe Beitrag von Isabel Rodde in diesem Heft). Als Kplus-Eröffnungsfilm lief die Dokufiktion Alamar (Mexiko, 2009) von Pedro González-Rubio. Darin begeben sich der fünfjährige Natan und sein Vater auf eine Reise aufs offene Meer. Der Junge lebt eigentlich bei seiner Mutter in Italien, sein Vater stammt aus einer Maya-Familie aus Mexiko. Während der Zeit, die der Junge bei ihm in der mexikanischen Karibik verbringt, lernt Natan unterschiedliche kulturelle Lebensräume kennen und macht völlig neue Erfahrungen mit der Natur und dem Meer.
Märchenhaft: Yuki & Nina
Noch stärker als für Natan in Alamar geht es für die neunjährige Yuki im Spielf ilm Yuki & Nina um das Zurechtkommen mit einer neuen Situation und um neue Erfahrungswelten. Ausgangspunkt der französisch-japanischen Produktion ist Paris. Yuki und Nina sind enge Freundinnen und verbringen zusammen so viel Zeit wie möglich. Ninas Wunsch, dass Yuki mit ihr in den Urlaub fahren darf, stößt auf große Zurückhaltung bei Yukis Mutter. Nach und nach wird klar, woran dies liegt: Yukis Eltern werden sich trennen und die Mutter plant, mit ihr in die japanische Heimat zurückzukehren. Für die beiden Mädchen bricht eine Welt zusammen. Sie beschließen wegzulaufen und als der Umzug nach Japan immer näher rückt, fahren die Kinder mit der Bahn aufs Land. Dort verstecken sie sich in einem Haus, das Ninas von der Familie getrennt lebendem Vater gehört. Als die Mädchen dort beinahe entdeckt werden, fliehen sie weiter in den Wald. Auf dem Weg in die Tiefe des Waldes wandelt sich der Film sachte. Alles scheint sich zu verändern, nicht wie in einem ‚Gruselfilm‘, sondern eher als gäbe es ein tieferes Eintauchen in die Natur. Geleitet von einem unerklärlichen, inneren Wunsch und überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein, verlässt Yuki ihre Freundin und geht immer weiter. Die Geschichte wird zur Fabel, die Märchensymbolik des Waldes zum zentralen Element. Yuki tritt schließlich auf eine Lichtung mit einem Haus. Die folgenden Szenen zeigen sie in einer trauten Runde mit anderen Mädchen spielend und scherzend. DieKinder sprechen japanisch. Yuki ist in ihrem zukünftigen Leben angekommen. Im späteren Verlauf des Films werden Yuki und Nina von Yukis Vater (gespielt von Hippolyte Girardot) im Wald wiedergefunden. Ein erneuter Wechsel am Filmende zeigt Yuki und ihre Mutter, wie sie – inzwischen in Japan angekommen – mit dem Auto an jener Lichtung und dem Haus vorbei fahren. Yuki weiß, dass sie schon einmal dort gewesen ist. Nicht nur die kindlichen Zuschauerinnen und Zuschauer sind von den Szenen wechseln und Brüchen in der Geschichte irritiert. Konsequent behalten die Regisseure das langsame Erzähltempobei. Die Zielgruppe im Kino reagiert unterschiedlich. Während manche ein lautes Gähnen nicht zurückhalten können, zieht andere die sehr poetische Erzählweise in den Bann – auf eine Art wie es auch Märchen schaffen. Das gemeinsame Werk von Nobuhiro Suwa, einem wichtigen Vertreter des japanischen Autorenkinos (Un couple parfait, 2005) und (als Regiedebüt) vonSchauspieler Hippolyte Girardot (u. a. Le Tango des Rashevski, 2005, Le Parfum d’Yvonne, 1994)gibt den kindlichen Protagonistinnen die Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln. Und darinliegt – neben dem überzeugenden Spiel der beiden Mädchen – das Besondere an Yuki & Nina.Den Heranwachsenden wird etwas zugetraut, sie haben die Möglichkeit selbst herauszuf inden,was richtig ist. Nicht durch ein Ausblenden der Zwänge des Alltags und der Probleme derErwachsenenwelt, sondern durch Emanzipation und das Bewältigen neuer Erfahrungen.
Überraschend: Superbror
Weitaus zugänglicher ist dagegen der dänische Spielfilm Superbror (Superbruder, 2009) und kommt dem Anspruch auf gute Unterhaltung im Kino auch deutlich näher. In der Traditionideenreicher und übermütiger skandinavischer Kinder- und Jugendfilme schafft es Regisseur Birger Larsen, ein wirklich schwieriges Thema mit Gefühl, Spannung und positivem Lebensgefühl auszustatten. Im Mittelpunkt stehen die beiden Brüder Anton und Buller. Anton ist mit seinen zehn Jahren eigentlich der ‚Kleine‘, doch er muss ständigauf seinen älteren Bruder aufpassen. Buller ist autistisch und bekommt manchmal Angstattacken,während denen er nicht einmal alleine eine Straße überqueren kann. Ständig kritzelt er Zeichnungen, die er wie Kleinkindbilder der Mutter oder Anton schenkt. Anton ist oft genervt undes fällt ihm zeitweise schwer zu akzeptieren, dass sein Bruder so anders ist. Dennoch sorgt er sichauch um ihn und wird selbst traurig, wenn Buller bei der Mutter weint und sagt: „Ich weiß es nichtin meinem Kopf“. Auch in der Geschichte von Superbor kommt es zu überraschenden Brüchen wenn sie zwischen realistischer Familienstory und Science-Fiction-Abenteuer wechselt. Antonentdeckt in einem Park einen Meteoriteneinschlag und zieht einen dampfenden Stein ausdem Krater. Als sich herausstellt, dass es sich um etwas Außerirdisches handelt, kommt Anton einGedankenblitz. Er sammelt alle in der Wohnung verteilten Kritzeleien seines Bruders ein und setzt die einzelnen Teile wie ein Puzzle zu einem Ganzen zusammen. Das riesige Gesamtbild zeigtden Kometen und Anton wird klar, dass er Buller ins Geschehen einweihen muss. Gemeinsamöffnen sie den rätselhaften Fund und f inden eine geheimnisvolle Fernbedienung. Mit Hilfe des galaktischen „Super Trip Controllers“ wird Buller zum tatsächlichen Superbruder – mit Superkräften und galaktischer Coolness. Anton hat endlich einen Bruder, wie er ihn sich immer gewünscht hatte. Allerdings gibt’s auch Probleme mit der Superfernbedienung, denn die Wirkungszeit ist limitiert, der Countdown zählt unaufhaltsam zurück und Anton verliert die Kontrolle über „Super-Buller“. Was zunächst wie ein Desaster erscheint, macht den Jungen nachdenklich, denn ein fliegender Superbruder mit Superkräften und großer Klappe ist ja auch nicht gerade ‚normal‘. Gemeinsam mit Anton stellt sich auch das Kinopublikum die Frage: „Was ist schon normal?“ Am Schluss ist Anton sehr dankbar dafür, den ‚Wunsch‘-Buller erlebt zu haben, weiß aber gleichzeitig und ganz bestimmt: Er liebt seinen großen Bruder und zwar genau so ‚anders‘ wie er immer war.
Eindrucksvoll: Dooman River
Im 14plus-Programm fiel die koreanisch-französische Koproduktion Dooman River besonders auf. Der Tumen ist ein langer, breiter Fluss, der die Grenze zwischen Nordkorea und China bildet. Vor allem in der kalten Jahreszeit ist die Region um das Gewässer Schauplatz von Grenzkonflikten und Flüchtlingsdramen. Wenn der Tumen zugefroren ist, wird dasEis zur Verbindung zwischen den Armen auf der chinesischen und den Hungernden aufder nordkoreanischen Seite. Der Spielfilm erzählt in nahezu dokumentarischen Bildern vomAlltag auf der chinesischen Seite und dem Aufeinandertreffen mit den Flüchtlingen. Nachchinesischen Angaben sollen bereits über 400.000 Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner über den Fluss geflohen sein. Die geschilderten Varianten des Umgangs mit der angespannten Situation sind vielfältig: Auf koreanischer Seite wird das Ufer von bewaffneten, schussbereiten Militärs bewacht. Eine Gruppe von Flüchtlingskindern muss ein Mädchen zurücklassen, das auf dem Weg hungrig und geschwächt zusammenbricht. Ein chinesischer Händler agiert als Schlepper. In China werden per Lautsprecher Durchsagen gemacht, dass es verboten sei, sich mit den Fremden einzulassen. Der zwölfjährige Chang-ho lebt mit seiner stummen Schwester Soon-hee im chinesischen Grenzdorf, während die Mutter das ganze Jahr über in einer fernen Großstadt arbeitet. Chang-ho freundet sich mit einem gleichaltrigen Flüchtling an. Die Kinder spielen zusammen Fußball und teilen sich das Essen. Für Chang-ho hat es keine Bedeutung, woherder Junge kommt. Die Lage wird indes dramatischer, als der Flüchtlingsjunge mit ansehen muss, wie ein betrunkener Nordkoreaner Chang-hos Schwester vergewaltigt. Dooman River zeigt die harte Realität. In seinem bewegenden Film schildert der chinesische Regisseur Zhang Lu viele Facetten im Umgang mit der Extremsituation: Großherzigkeit und Diskriminierung, Hilfe und Verrat, Freundschaft und Grausamkeit. Die 14plus-Jugendjury fand in ihrer „Lobenden Erwähnung“ für Dooman River die richtigen Worte: „Zum Schluss des Films herrschte Schweigen. Wir waren perplex von der Wucht der Bilder, von der eindringlichen Botschaft und der Stille, die dieser Film beschreibt. Jeder Aspekt des Films will uns wachrütteln, uns auf etwas aufmerksam machen, das in unserer Gesellschaft kaum jemand kennt. Ohne starke Charaktere und Musik schafft es der Film, in der Stille eine Sprache zu entwickeln, die mehr aussagt als jeder verzweifelte Schrei.
“Yuki & Nina (Yuki & Nina)
Frankreich, Japan 2009, 92 min
Regie: Nobuhiro Suwa, Hippolyte Girardot
Darsteller: Noë Sampy (Yuki), Arielle Moutel (Nina), Hippolyte Girardot (Yukis Vater), Tsuyu Shimizu (Yukis Mutter),Marilyne Canto (Ninas Mutter)
Produktion: Comme des Cinémas (Paris); Weltvertrieb: Films Distribution (Paris)
Superbror (Superbruder)
Dänemark 2009, 89 min
Regie: Birger Larsen
Darsteller: Lucas Odin Clorius (Anton), Victor Kruse Palshøj (Bullet), Anette Støvelbæk (Anja), Andrea Reimar (Agnes), Nicolai Borch (Max)
Produktion: Nordisk F ilm AS (Valby); Weltvertrieb: Trust Nordisk (Hvidovre)
Dooman River (Dooman River)
Republik Korea, Frankreich 2009
Regie: Zhang Lu
Darsteller: Cui Jian (Chang-ho), Yin Lan (Soon-hee), Li Jinglin (Jeong-jin), Lin Jinlong (Großvater)
Produktion: Lu F ilms (Seoul); Weltvertrieb: Arizona Films (Paris)
Isabell Rodde: Nenn‘ mich nicht Vater ...
Ein sommersprossiges Mädchen, allein am Strand. Aufmerksam beobachtet sie einen Mann, der das Badezeug seiner kleinen Tochter fürsorglich zusammenpackt. Er ist auch ihr Vater, wird sie später sagen, wenn sie in das Haus der Familie einbricht und alle Fotoalben zerreißt. Im dänischen Kurzfilm Sonnen Schein von Alice de Champfleury verschwimmen Trauer und Wut,Fantasie und Realität. Aber die Sehnsucht nach dem Vater, die ist echt. Abwesende Väter zogen sich wie ein roter Faden durch das Kinder-Programm der Generation-Sektion. Ob im dänischen Science-Fiction-Abenteuer Superbruder (siehe Beitrag von Markus Achatz in diesem Heft), der neuseeländischen Maori-Komödie Boy oder dem koreanischen Adoptionsdrama Ein neues Leben – fehlende Väter wurden von ihren Kindern ersehnt, gehasst, kopiert und immer wieder neu erfunden. In Ein neues Leben (Lobende Erwähnung der Kplus- Fachjury) bringt der Vater die neunjährige Jinhee in ein Waisenhaus in der Nähe von Seoul. Die katholischen Nonnen sollen sie bei wohlhabenden Adoptionseltern unterbringen, aber die ebenso zurückhaltende wie hartnäckige Jinhee will die Hoffnung nicht aufgeben, dass der Vater wiederkehrt. Sie isst nicht, schläft nicht und lächelt auch nicht, wenn fremde Ehepaare kommen, um sich ein kleines Mädchen auszusuchen. Nur der drei Jahre älteren Sookhee vertraut sie sich an, schließtlangsam Freundschaft. Die koreanisch-französische Regisseurin Ounie Lecomte hat die Trauer,aber auch die Rebellion des Mädchens sehr präzise und ohne jede Melodramatik in Szene gesetzt. Es ist ein Stück eigene Geschichte, das die 43-jährige Filmemacherin in ihrem Spielfilmdebüt erzählt: Sie selbst lebte in den 1970er Jahren zwei Jahre in einem koreanischen Waisenhaus, bis eine französische Familie sie adoptierte und nach Frankreich brachte – in „ein neues Leben“.
Mitten im Geschehen
In Boy (Großer Preis der Kplus-Fachjury) übernimmt Regisseur Taika Waititi selbst die Rolle des Vaters, der in den 1980er Jahren nach einem Gefängnisaufenthalt zu den bei der Großmutter aufwachsenden Kindern zurückkehrt. Sein Sohn Boy ist begeistert – schließlich hat er allen Freunden erzählt, dass sein Vater nicht nur talentierter Rugby-Spieler, Tiefseetaucher und Soldat ist, sondern auch noch ebenso gut tanzt wie Michael Jackson. Doch nach und nach zerplatzen die Träume des elf-jährigen Maori-Jungen vom „Supervater“. „Tu mir einen Gefallen“, sagt der schon bald. „Nenn‘ mich nicht Vater, das klingt irgendwie komisch.“ Die abwechslungsreich montierte, hintergründige Komödie ist ein beeindruckendes Beispiel für das selbstbewusste neue Aborigine-Kino aus Neuseeland und Australien. Es ist vor allem aber auch ein Film, den Filmfestleiterin Maryanne Redpath und ihre Kolleginnen und Kollegen vor Augen hatten, als sie das Kinder-Filmfest der Berlinale 2007 in Generation umbenannten. „Wir zeigen nicht nur klassische Kinderfilme, sondern auch Produktionen, die aufgrund ihrer Thematik und Perspektive für ein junges Publikum interessant sind“, so Redpath. „Viele Filmemacher sind überrascht, wenn ihre Filme bei uns gezeigt werden und sagen: Ich habe doch gar keinen Kinderfilm gemacht.“
Auch Boy ist kein klassischer Kinderfilm: Er konfrontiert die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem revolversüchtigen, kiffenden Vater, der skrupellos die Lieblingsziege seines Sohnes überfährt – bis sich Boys ganze Enttäuschung über den angehimmelten Vater in einem befreienden Schlagabtausch entlädt. Die Produktion, ganz ohne pädagogischen Zeigefinger und nicht in erster Linie für junges Publikum gedreht, begeisterte vielleicht auch gerade deswegen die Kinder im Berliner Zoopalast.
„Man hatdas Gefühl, mitten im Geschehen zu sein“, kommentierte der zwölfjährige Zino Marinekaus dem Team der jungen Berlinale-Journalisten. „Boy ist ein sehr witziger F ilm,der trotzdem den nötigen Ernst hat.“ Väter als Partner Neben den zahlreichen abwesenden Vätern hatte der Kplus-Wettbewerb auch einige „Vorzeige-Väter“ zu bieten. In der mexikanischen Dokufiktion Alamar führt Fischer Jorge seinen fünfjährigen Sohn, der inzwischen mit der Mutter in einer italienischen Großstadt lebt, liebevoll in das Leben in einem Pfahlhaus mitten in der mexikanischen Karibik ein. Die Dokumentation Wie wir leben (Lobende Erwähnung der Kinderjury) begleitet eine achtköpfige Maori-Familie und ihre fünfzig wilden Pferde über vier Jahre in ihrem unkonventionellen, naturverbundenen Alltag in den Bergen Neuseelands. Vater Peter hat ein inniges und partnerschaftliches Verhältnis zu seinen sechs Kindern. Eigentlich lerne er jeden Tag etwas von ihnen, erzählt er im Film. „In unseren Filmen gibt es funktionierende und nicht funktionierende Familien, wie im richtigen Leben auch“, sagt Festival-Leiterin Maryanne Redpath. „Für Kinder und Jugendliche ist es interessant, andere Modelle zu sehen und ob sie funktionieren oder nicht.“ Der Hauptpreis der Kplus-Kinderjury ging an einen Film, in dem eine Familie trotz aller Schicksalsschläge funktioniert. Der chinesische Spielfilm Echo des Regenbogens spielt im britisch geprägten Hongkong der 1960er Jahre. Der kleine Big Ears wohnt mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung über dem Schuhgeschäft der Eltern. Trotz bescheidener Verhältnisse ist das Leben des Achtjährigen unbeschwert. Die Eltern sind liebevoll und nachsichtig, die Nachbarinnen und Nachbarn in der geschäftigen Straße freundlich und auch dieFische und Wasserschildkröten, die Big Ears über alles liebt, scheinen glücklich. Besonders stolz istBig Ears auf seinen großen Bruder Desmond: Anders als er selbst, bringt der gute Zensuren nachHause und gewinnt die Schul-Wettkämpfe im Hürdenlauf. Doch dann bekommt die in warmesLicht getauchte Familienidylle Risse: Erst zerstört ein Taifun das Holzhaus, dann erkrankt der großeBruder an Leukämie. „Ich wollte zeigen, wie wichtig es ist, dass eine Familie zusammenhält“, erzählte Regisseur Alex Law, der diese Geschichte selbst als Junge erlebt hatte, bei der Preisverleihung. Diese Botschaft kam beim jungen Publikum gut an. „Ein tieftrauriger und berührender Film, der wohl niemanden kalt lässt“, schrieb Janus Torp von den Jungen Journalisten, „aber Achtung: Haltet Taschentücher griffbereit!“
Familien-Integration
Auch im Siegerfilm des Jugendwettbewerbs 14Plus ging es um den Zusammenhalt einer Familie. Neukölln Unlimited von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch portraitiert eine libanesischstämmige Familie aus Berlin-Neukölln, die seit 16 Jahren von Abschiebung bedroht ist. Im Mittelpunkt stehen die drei ältesten Geschwister Hassan, Lial und Maradona – alle drei talentierte und preisgekrönte Break- und Streetdancer. Während Maradona immer wieder der Schulausschluss droht, verfolgen Lial und Hassan den ehrgeizigen Plan, der Familie durch ihre Tanz- und Gesangsauftritte einen regelmäßigen Lebensunterhalt und damit das Bleiberecht zu verschaffen. Aber wie sollen sie sich entscheiden, wenn nur sie bleiben dürfen, der Rest der Familie aber nicht? Neukölln Unlimited montiert Alltagsszenen in Schule, Familie und Ausländerbehörde mit Tanz und Gesangsszenen sowie Animationssequenzen, die in Braun-Grau-Schwarz-Tönen von der Abschiebung der Familie vor drei Jahren erzählen.„Ich bin damals aus dem Kinderleben herausgerissen worden“, erinnert sich Hassan. „Wirsahen, wie wir unsere Heimat verloren.“
In Neukölln Unlimited sind es vor allem die beidenältesten Geschwister, die Verantwortung übernehmen und quasi nebenbei den getrennt lebenden Vater ersetzen. Entstanden ist ein vielschichtiges Familienportrait, das von starken Persönlichkeiten, geballter künstlerischer Kreativität und dem ungebrochenen Willen erzählt,sich endlich eine gesicherte Existenz in der deutschen Heimat zu erkämpfen. Jenseits aller gängigen Klischees vermittelt Neukölln Unlimited eindrücklich, wie sehr junge Migrantinnen und Migranten das Leben in Deutschland bereichern. „Ein Film zum Lachen, Weinen, Jubeln und Protestieren“, brachte es die Jugendjury der Generation-Sektion treffend auf den Punkt.Die Internationalen Filmfestspiele Berlin zeigen seit 1978 Filme speziell für Kinder und Jugendliche. 2007 wurde der ursprüngliche Name Kinderfilmfest in Generation umbenannt.
Die Sektion besteht aus dem Kinderwettbewerb Kplus und dem Jugendwettbewerb 14plus. Als Hauptpreise vergeben eine Kinder- und eine Jugend-Jury Gläserne Bären für Lang- und Kurzfilme. Eine international besetzte Fachjury verleiht im Rahmen von Kplus außerdem einen Lang- und Kurzfilmpreis des Deutschen Kinderhilfswerks. Das diesjährige Programm umfasste rund 60 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus 31 Ländern. Weitere Informationen:www.berlinale.dewww.jungejournalisten.berlinale.deYeo-haeng-ja (Ein neues Leben)
Republik Korea / Frankreich, 2009, 92 min
Regie: Ounie Lecomte
Darsteller: Kim Saeron, Park Doyeon, Ko A-sung, Park Myoungshin,Oh Mansuk, Sul Kyounggu, Moon Sungkeun
Produktion: Now Films
Weltvertrieb: Fine Cut.Co., Ltd. (Seoul)
Boy (Boy)Neuseeland, 2010, 87 min
Regie: Taika Waititi
Darsteller: James Rolleston, Te Aho Eketone-Whitu,Taika Waititi, Moerangi Tihore, Cherilee Martin, Ricky-Lee Waipuka-Russell
Produktion: Whenna F ilms (Wellington)Weltvertrieb: New Zealand Film (Wellington)
Shui Yuet Sun Tau (Echo des Regenbogens)Hongkong, China, 2009, 120 min
Regie: Alex Law
Darsteller: Buzz Chung, Aarif Lee, Simon Yam, SandraNg, Ann Hui, Evelyn Choi
Produktion: Sky Cosmos Development Limited (HongKong)
Weltvertrieb: Mei AH Entertainment Group Ltd (HongKong)
Neukölln Unlimited (Neukölln Unlimited)Deutschland, 2010, 96 min
Regie: Agostino Imondi, Dietmar Ratsch
Darsteller: Hassan Akkouch, Lial Akkouch, MaradonaAkkouch
Produktion: Indi F ilm (Ludwigsburg)
Verleih: GMf ilms (Berlin)
Lisa Geiger: Eine Maus, zwei Küken, drei Enten ...
Preiß, Gerhard/Braun, Benji (2007). Bellos Bauernhof. Zahlen von 1 bis 10 blitzschnell erfassen. CD-ROM für PC + MAC. 19,00 €.
Was braucht man eigentlich, um Kindern im Vorschulalter und der ersten Klasse den Umgang mit Zahlen beizubringen? In der CD-ROM Bellos Bauernhof Zahlen von 1 bis 10 blitzschnell erfassen ist die Lösung hierzu ganz leicht gefunden: Einen liebenswürdigen sprechenden Hund und einen Bauernhof mit Tieren. Bello spricht während des Spiels mit den jungen Computernutzerinnen und -nutzern und begleitet sie bei ihrem Rundgang auf dem Bauernhof und dem Besuch von Mäusen, Enten, Küken, Kühen und Vögeln. Der spielerische Umgang mit den Zahlen bleibt Hauptbestandteil der Software, während die Kinder lernen sollen, kleinere Zahlen schnell und sicher, sozusagen auf den ersten Blick, zu erfassen. So kann die Zeit, in der die Tiere zu sehen sind, individuell nach den Fähigkeiten der Kinder eingestellt werden. Anschließend muss die Anzahl der Tiere, die auf dem Bildschirm zu sehen waren, wiedergegeben werden. Durch Anklicken des Storches kann die Anzahl der zu sehenden Tiere und die Darstellungsform, zum Beispiel von Zahlen oder Tierabbildungen ausgewählt werden.
Die Kinder müssen selbständig entscheiden, wie viele Tiere zu sehen waren, sich also die Anzahl bzw. die Menge der Tiere ins Gedächtnis zurückrufen. Das Ziel ist hierbei das Erlernen der sogenannten Simultanerfassung, die von großer Bedeutung für die Wahrnehmungsleistung ist und als Voraussetzung für das mathematische Verständnis von Kindern angesehen wird. Haben die Kinder die Tiere richtig gezählt, werden sie durch das Bellen des Hundes gelobt und erhalten Auszeichnungen, die gesammelt werden. Lösen die Kinder eine Aufgabe falsch, weist der Hund Bello sie aufmerksam darauf hin. Bellos Bauernhof ermöglicht es Kindern ab vier Jahren, auf spielerische Weise Zahlenverständnis und Rechenfertigkeiten zu erlangen. Diese Fähigkeiten sind wesentlich, um später in der Schule auch größere Zahlen erfassen zu können.
Das Lernspiel ist verständlich und einfach zu bedienen – lediglich kleinere Kinder benötigen anfangs möglicherweise die Hilfe einer computererfahreneren Person. Vorschulkindern wird die Möglichkeit geboten, sich im Zahlenraum bis fünf zu bewegen, älteren Kindern steht der Zahlenraum bis zehn zur Verfügung. Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern können zusätzlich ein Lernprotokoll für ihre Kinder anlegen und speichern, um deren Fortschritte oder Probleme festzuhalten. Den Kindern wird die CD-ROM bestimmt großen Spaß bereiten, während sie nebenbei schon frühzeitig ihr Mengenverständnis trainieren, ihre Reaktionszeit verbessern und Transfer zwischen Spiel und eigenem Leben herstellen können. Auch die Medienkompetenz und die Geschicklichkeit, zum Beispiel beim Umgang mit der Maus werden beim Spielen geschult.
Laura Handlos: Wie man ungebetene Gäste vertreibt ...
Ardagh, Philip (2010). Herr Urxl und das Glitzerdings. Übersetzt und gelesen von Harry Rowohlt. Oetinger Audio. ca. 93 Minuten, 13,95 €, ab acht Jahren.Bad Dreckskaff ist auf den ersten Blick keiner dieser Orte, in denen man seine großen Ferien verbringen und mit seinen Freunden Kuchen essen möchte. Bad Dreckskaff ist ganz und gar nicht schön, und ganz und gar nicht einladend. Es ist eine kleine Stadt bevölkert von einer Vielzahl von Exzentrikerinnen und Exzentrikern, die sich nur untereinander an Skurrilität übertreffen. So strickt Specki Gómez etwa gerade an seinem Haus, mit „einem Haufen Wolle und einem Zuschuss von der Stadt“. Bevor die Frage aufkommt, warum dafür Zuschüsse gewährt werden – Specki Gómez ist der Bürgermeister von Bad Dreckskaff und damit auch für die Vergabe von Zuschüssen zuständig. Neben dem Bürgermeister leben noch so einige Gestalten in der Stadt, in der Philip Ardagh’s Geschichte spielt. Da wären zum Beispiel die sieben blonden Nörgel-Schwestern und das Mädchen Yvonne, genannt ‚Ywonne’, die durch einen Zufall zur offiziellen Enteneinsammlerin von Bad Dreckskaff aufgestiegen ist. Diese Aufgabe ist nötig, seit die Mutter der Familie Fuchs nach eigener Aussage durch die Schuld einer Ente durch diepraktische Führerscheinprüfung fiel und nun den Enten Bad Dreckskaffs nach dem Leben trachtet. Und zum Leidwesen der Bewohnerinnen und Bewohner ist da auch Herr Urxl. Der überbietet an Ekelhaftigkeit alle anderen in Bad Dreckskaff. Und das ist wahrlich eine Leistung, die dazu führt, dass man ihn gerne loswerden würde ...Ja, der Brite Philip Ardagh ist kein Freund des ‚Normalen’, Gängigen in der Kinderliteratur.
Und damit ist er mit Harry Rowohlt auf den richtigen Übersetzer getroffen. Nach der Eddie- Dickens-Trilogie – die tatsächlich aus sechs statt den Trilogie-üblichen drei Büchern besteht – entführen Ardagh und Rowohlt nun junge Zuhörerinnen und Zuhörer ab acht Jahren – und vielleicht auch deren Eltern – nach Bad Dreckskaff. Es mag nicht immer alles pädagogisch wertvoll sein, was sich da abspielt. Und auch die Figuren sind auf den ersten Blick kaum realitätsnah und freundlich zu nennen. Doch trotzdem – ein Ausflug in die skurrile Stadt Bad Dreckskaff lohnt sich. Dort steht man vor dem Problem, den ekelerregenden Herrn Manuell Urxl dazu zu bewegen, die Stadt zu verlassen. Denn selbst für die Alteingesessenen in Bad Dreckskaff ist er einfach zu ekelhaft. Sein Gesicht gleicht einer Kartoffel, „die vergessen und sich selbst überlassen wurde, damit sie mal so richtig aus sich herausgehen kann“, und auch seine Körperhygiene und sein Benehmen lassen zu Wünschen übrig. Schließlich muss es ja nicht sein, ausgiebig zu rülpsen, während man in einer Schlange ansteht und so alle um einen herum wissen zu lassen, was es heute zu essen gab. Vor allem bei dem, was Herr Urxl so isst – etwa zwei F liegen, „eine aus Versehen“, die zweite, weil es ihm so gut geschmeckt hat. Doch kaum ist der Entschluss gefasst, den ungeliebten Zeitgenossen der Stadt zu verweisen und ‚Ywonne’ abbestellt, diese Botschaft zu überbringen, da entpuppt Herr Urxl sich als ungeheuer reich. Trillionär, um genau zu sein, und Erbe der „Diamantschürfkompanie“. Da sieht die Sache nun freilich ganz anders aus. Aber es ist Herrn Urxl nicht recht, nur seines Geldes wegen geduldet zu werden. Und auch die freundliche ‚Ywonne’, die den sonderbaren Mann bald ins Herz schließt, zumal er sich nur nicht wäscht, um einen lange zurückliegenden Kuss nicht von seiner Haut zu wischen, hält es nicht für richtig, Freunde für Manuell Urxl zu kaufen. Doch es scheint der einzige Weg zu sein, um ihn nicht aus seiner Heimatstadt vertreiben zu müssen. Bis Herr Urxl beobachtet, wie eine der sieben Nörgel-Schwestern beim Rudern auf dem See aus dem Boot fällt. Er vergisst seine Angst vor Wasser und stürzt sich ins Nass, um das Mädchen zu retten. Und diese Aktion macht ihn nicht nur zum Helden, sondern auch sauber ...
Herr Urxl und das Glitzerdings ist ein besonderes Hörspiel, und das nicht nur durch die nicht alltägliche Geschichte. Harry Rowohlt liest diese Geschichte aus Bad Dreckskaff nahezu virtuos und mit einer Leichtigkeit, die Spaß macht und gerade bei der Fülle an ungewöhnlichen Namen umso bewundernswerter ist. Da braucht es nur Rowohlts Stimme, die für die verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohner immer eine ganz eigene Färbung bekommt – auf Musik oder andere Untermalung wurde in der Hörfassung verzichtet, was das Hörbuch aber eher trägt alsdass es darunter leidet. Mitunter kommt die eigentliche Geschichte um Herrn Urxl etwas stockend ins Laufen, da so viele Details rund um Bad Dreckskaff und seine Bewohnerinnen und Bewohner erzählt werden, dass sich der rote Faden etwas verheddert – doch diese Details sind so liebevoll und witzig erdacht, dass dieses kleine Manko verschmerzt werden kann. Kinder dürften an der derben, aber nie niveaulosen Schilderung des sonderbaren, aber doch liebenswürdigen Herrn Urxl und seinen Essgewohnheiten ebenso ihre Freude haben wie an der ganzen Stadtgemeinde mit all ihren skurrilen Besonderheiten. Und auch die Eltern kommen auf ihre Kosten, so dass Herr Urxl und das Glitzerdings dazu einlädt, einen verregneten Nachmittag oder frühen Abend gemeinsam mit dem CD-Player zu verbringen. Denn mit Bad Dreckskaff und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ist nicht nur kurzweilige Unterhaltung geboten, sondern auch eine Geschichte, die ans Herz geht und zeigt, dass es hilft, jemanden nicht etwa auf Grund seines Äußeren zu schneiden, sondern den Menschen hinter der sichtbaren Fassade kennenzulernen. Denn nicht selten steckt hinter einer heruntergekommenen Fassade etwas sehr Schönes.
Tilmann P. Gangloff: Es kann nur besser werden
Der Rundfunkrat des MDR hat grünes Licht für die Online-Pläne des KI.KA gegeben, die Projekte kikaninchen.de und die Mediathek KIKAplus zu starten. Gerade an das Vorschulportal werden große Hoffnungen geknüpft. Eine Analyse vergleichbarer Internetportale zeigt, dass ein fundiertes, auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der jungen Nutzerinnen und Nutzer ausgerichtetes Angebot überfällig ist: Die meisten Veranstalter scheinen die Kinder vor allem für die spätere Nutzung von Video- und Computerspielen ausbilden zu wollen.Die ARD-Kinderseite (www.kinder.ard.de) ist so etwas wie das Einstiegsportal zu den Angeboten für Kinder aller ARD-Anstalten. Vorschultauglich allerdings sind nur wenige, rundum empfehlenswert allein die beiden Angebote des WDR. Der Web-Auftritt des Kinderklassikers Die Sendung mit der Maus (www.wdrmaus.de) bietet einreichhaltiges, auf die Zielgruppe zugeschnittenes Angebot.
Die Seite ist ein wahrer Tummelplatz, auf dem man immer wieder neue überraschende Angebote findet. Neben Lach- und Sachgeschichten bietet sie je rund ein Dutzend Spiele, Ausmalvorlagen, Bastelanleitungen und Rezepte. Die Spiele sind überwiegend lustiger Zeitvertreib. Pädagogisch ausgereifter ist die Seite mit dem Elefanten (www.wdrmaus.de/elefantenseite), die auf den gleichen Grundsätzen wie die Sendung mit dem Elefanten basiert. Zu jedem einzelnen Angebot gibt es einen Elternbereich mit Informationen über die jeweiligen Lernziele. Die Seite ist insgesamt stärker auf Online-Anfängerinnen und -Anfänger ausgerichtet als die Maus-Website. Die Navigation ist einfach und leicht zu durchschauen. Sympathisch ist auch die reduzierte Anmutung.
Die Spiele sind für Online-Anfängerinnen und -Anfänger leicht zu durchschauen, da eine Kinderstimme die Regeln erklärt. Auch die Sandmännchen-Seite des RBB (www.sandmann.de) hält ein reichhaltiges Angebot bereit, das von Information über verschiedene Filmfiguren bis zu Geschichten reicht, die sich die Kinder erzählen oder von Eltern vorlesen lassen können. Viele Spiele sind schlichte Formen von Jump & Run-Games, bei denen die Figuren vorwärtsstrebend Hindernissen ausweichen müssen. Die Seiten der anderen ARD-Sender richten sich meist an Kinder im Grundschulalter, ebenso tivi.de, die Kinderseite des ZDF. Der sparsame Vorschulbereich ist nicht mal ausdrücklich ausgewiesen und ebenso wenig mit dem großen Spektrum der Elefantenseite zu vergleichen wie der Vorschulbereich im KI.KA, der mit seiner bunten Aufmachung an kommerzielle Angebote erinnert: Die Glücksbärchis würden besser zu Super RTL passen. Die entsprechende Website ist genauso bonbonbunt und infantil wie die Serie. Einige der Herausforderungen hingegen dürften selbst jüngste Nutzerinnen und Nutzer unterfordern. Ungleich komplexer, aber dafür nicht gratis ist der Toggolino Club von Super RTL (www.toggolinoclub.de).
Nicht zu Unrecht fürchtet der Sender angesichts der Pläne für kikanichen.de um seine Pfründe. Der Club richtet sich an Drei- bis Siebenjährige und bietet unter anderem rund 130 (Lern-)Spiele. Die jährlichen Kosten betragen 69 Euro. Nach Angaben von Super RTL hat der Toggolino Club derzeit 70.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Die Spiele sind rund um die Figuren der Vorschulserien des Senders gestaltet. Der angekündigte Mehrwert klingt mitunter jedoch vielversprechender, als die Spiele halten können; die sind zum Teil hinsichtlich der Animation wie auch des Einfallsreichtums doch eher schlicht. Es kann also nur besser werden.
Tilmann P. Gangloff: Keine weiteren Fragen
Wenn Thomas Gottschalk heute verkünden würde, im Sommer sei Schluss mit Wetten, dass..? – So richtig überrascht wäre niemand. Die Ankündigung Willi Weitzels, sich aus dem Kinderfernsehen zurückzuziehen, wird zwar kaum vergleichbare Wellen schlagen, ist für die Zielgruppe aber ein ungleich größerer Verlust. Gottschalks Quoten bröckeln schließlich schon seit geraumer Zeit, von der immer wieder unterstellten Amtsmüdigkeit ganz zu schweigen. Weitzels Status im Kinderfernsehen ist ein ganz anderer. Sein Nimbus entspricht längst der Rolle, die einst Peter Lustig (Löwenzahn) im Leben heutiger Erwachsener spielte.Weitzel, dessen Reportagereihe Willi wills wissen unter anderem mit dem Robert-Geisendörfer-Preis, dem Erich-Kästner-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet worden ist, hat nicht nur Kinder, sondern auch Eltern stets durch Unbefangenheit und Natürlichkeit beeindruckt. Seine Authentizität war die Basis für den Erfolg: Man hat ihm immer abgenommen, dass seine Neugier nicht bloß gespielt war, wenn er bei Polizei, Feuerwehr und Müllabfuhr hinter die Kulissen schaute. Weitzel war nie bloß dabei, sondern immer auch mittendrin. In der preisgekrönten Folge über Obdachlose hat er gemeinsam mit Stadtstreichern im Park übernachtet und ist bei einem Überfall verletzt worden.
In der Reihe Willis VIPs hat er die Zielgruppe mit Reportagen über Anne Frank oder den Auschwitz-Überlebenden Max Mannheimer auch mit unbequemen Themen konfrontiert. Damit ist nun Schluss: Willi wills nicht mehr wissen. „Ich bin acht Jahre lang für 180 Ausgaben von Willi wills wissen quer durch Deutschland und die halbe Welt gereist; jetzt habe ich das Gefühl, dass mir keine Fragen mehr einfallen.“ Weitzel hat sich den Abschied nicht leicht gemacht, zumal er sich seiner Verantwortung durchaus bewusst ist: „Am liebsten würde ich jeden Fan persönlich trösten.“ Eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für den Rücktritt hat seine Tochter gespielt: Seit ihrer Geburt vor eineinhalb Jahren hat Weitzel, mittlerweile 37, das Gefühl, er sei auf die Seite der Erwachsenen gewechselt. Als er kürzlich von dreiwöchigen Dreharbeiten in Island zurückkehrte, stand sein Entschluss fest: „Was hat meine Tochter davon, dass mich die Kinder lieben, sie selbst ihren Papa aber öfter im Fernsehen als zuhause erlebt?“ Weitzel nimmt sich mit seinem Rückzug eine „kreative Auszeit“. BR-Redakteur Andreas M. Reinhard gibt allerdings die Hoffnung nicht auf, dass sein Schützling irgendwann ins Kinderfernsehen zurückkehrt: „Wenn Willi jetzt kürzer treten und über sich und seine Rolle reflektieren will, so verstehen und respektieren wir das natürlich. Aber wir wissen alle, dass man sich auch im Berufsleben immer mindestens zweimal trifft.“ Reinhard versichert, man werde jetzt nicht nach einem neuen „Willi“ suchen.
Betroffen von dem Rücktritt ist natürlich auch der KI.KA, der sämtliche Formate mit Weitzel ausstrahlt. KI.KA -Geschäftsführer Steffen Kottkamp verliert eines seiner Zugpferde, aber auch er hat Verständnis für Weitzels Entschluss: „Willi hat unglaublich viele Talente. Er ist Lehrer, Reporter, Moderator und Schauspieler. Er schafft es auf unnachahmliche Weise, die Perspektive der Kinder einzunehmen. Nicht zuletzt deshalb wird er von ihnen geliebt: Er ist eben wie sie. Da kann man sich auch mal eine kleine Auszeit nehmen.“
Lisa Geiger: Oh du wunderschöne Mongolei
Wer kennt nicht das schöne Gefühl, wenn man etwas verloren Geglaubtes wiederfindet? Oder die Freude, wenn sich etwas Getrenntes wieder zusammenfügt? Das Glück, wenn eine schier unmögliche Hoffnung doch erfüllt wird?Urna zumindest, die Hauptfigur des Kinofilmes Das Lied von den zwei Pferden, glaubt an diese Gefühle und sehnt sich genau danach: Ein fast unmögliches Versprechen, das sie einst ihrer Großmutter gab, doch noch einzulösen und mit Hilfe der Verse des Liedes Die zwei Pferde des Dschingis Khan die alte, zerstörte Pferdekopfgeige der Familie so realitätsgetreu wie möglich nachbauen zu lassen. Voller Neugierde und Enthusiasmus begibt sie sich auf ihre Reise in die äußere Mongolei, wo während der chinesischen Kulturrevolution die geliebte Geige ihrer Großmutter fast ganz vernichtet wurde. Nur die wertvollen Überreste des Pferdekopfes und Teile des Pferdehalses, in die die Verse des uralten, volkstümlichen Liedes eingraviert sind, konnten gerettet werden und bilden den Leitfaden ihrer Suche. Atemberaubende Landschaften, unendliche Weiten, der fühlbar donnernde Galopp von Pferdeherden und wehmütige Gesänge begleiten Urna auf ihrer Entdeckungsreise zu den unterschiedlichen Einwohnerinnen und Einwohnern der Mongolei. Von einem berühmten Pferdekopfgeigenensemble in der Hauptstadt Ulaanbaatar über einen Pferdezüchter in der mongolischen Steppe bis zu einem Schamanen, der sie in spirituelle Welten entführt und einer uralten Sängerin in den Bergen, die sie Geduld und Durchhaltevermögenlehrt.
Urnas Reise wird zu einer persönlichen Erfahrung, die Niederlagen und Erfolge, Hoffnung und Verzweiflung beinhaltet, doch durch ihre Musik und durch die Hilfe und Unterstützung vieler wohlmeinender Menschen schöpft die Sängerin immer wieder erneut Kraft. Doch Urnas Reise symbolisiert auch die Geschichte der Mongolei, den Wandel des Landes und die Konflikte der inneren und äußeren Mongolei, die dokumentiert und immer wieder metaphorisch mit Hilfe des gesuchten Liedes aufgearbeitet werden: Die zwei Pferde des Dschingis Khan sehnen sich nach ihrer Herde. Wenn der Schnee auf den Bergen schmilzt, finden die Brüder wieder nach Hause.Gerade die Gratwanderung des Landes zwischen Traditionsverbundenheit und Fortschritt stehen dabei immer wieder im Fokus. Volkstanzaufführungen und mobile Kommunikation, moderne Straßen und urtümliche Natur, Stadt und Land verdeutlichen diesen Konflikt. Urnas Reise ist von der Melancholie und der Kraft der typisch mongolischen Musik begleitet. Byambasuren Davaa, die Regisseurin von Die Geschichte vom weinenden Kamel und Die Höhle des gelben Hundes versucht in ihrem dritten Film Das Lied von den zwei Pferden, der seit 4. März 2010 in den deutschen Kinos zu sehen ist, den Blickpunkt vermehrt auf die musikalische Tradition ihres Heimatlandes und die damit verbundene nationale Identität zu legen.
Den Zuschauerinnen und Zuschauern soll die Kultur und Lebensweise des mongolischen Volkes näher gebracht werden. Diesmal jedoch steht nicht die Lebensform der Nomaden im Vordergrund, sondern die Suche einer ‚Fremden’ nach ihren eigenen kulturellen Wurzeln. So wird Urnas Suche nach dem verloren geglaubten Lied zum Symbol der Suche nach den verloren geglaubten Traditionen des Landes und der Vereinung eines ‚zerbrochenen’ mongolischen Landes, das nicht getrennt, vertrieben oder gespalten bleiben soll, sondern sich langsam wieder vereinigt. Gleichzeitig wird aber auch die Bedrohung durch den Fortschritt und die oftmals damit verbundene Ausbeutung von Rohstoffen in der heutigen Zeit, wie hier dem Goldabbau, kritisch beleuchtet. So werden im Film unterschiedliche Problematiken angesprochen und Fragen aufgeworfen. Müssen Dinge wirklich erst zerstört werden, damit Neues entstehen kann? Die Botschaft könnte lauten, dass der Kreislauf der Zerstörung unterbrochen werden muss, damit das kulturelle Erbe eines Volkes mit Weltgeschichte nicht in Vergessenheit gerät. Aber auch Vertreibung und Spaltung müssen länder- und kulturübergreifend bekämpft werden. Der Film Das Lied von den zwei Pferden, ist eine Geschichte vom Finden und Suchen eines verlorenen gegangenen Schatzes, einer beinahe verloren gegangenen Kultur und Geschichte eines Landes und stellt eine Bereicherung für Kinobesucherinnen und Kinobesucher jeden Alters dar. Egal ob Schülerinnen oder Schüler, Erwachsene, Kultur- oder Geschichtsinteressierte, die Verbindung von Dokumentarfilm und Spielfilm bietet die Möglichkeit, Einblicke in die Geschichte, die Völkerkunde und die Kultur, wie zum Beispiel die Musik des mongolischen Volkes, zu erhalten.
Aber auch moralische, politische und individuelle Fragen werden beleuchtet. Welche Bedeutung hat das Miteinander? Welche Folgen haben Zerstörung und Ausbeutung? Welche Wirkung haben Geduld und Durchhaltevermögen? Welche Bedeutung hat der Erfahrungsschatz der älteren Generation? Wie kann Teilung überwunden werden und Wiedervereinigung gelingen? Der Film hat keine Altersbegrenzung, wobei jedoch diemelancholische Stimmung und die spirituellen Rituale des Schamanen von jüngeren Kindern als bedrohlich und beängstigend empfunden werden können. Eltern könnten jedoch gemeinsam mit ihren Kindern ab dem älteren Grundschulalter einen Kinobesuch antreten, um ihnen Einblicke in fremde Welten und Kulturen, abseits der westlichen Konsumgesellschaft zu ermöglichen, für die sich möglicherweise nicht alle Kinder oder Jugendlichen automatisch interessieren. Als Schulmaterial kann der Film im Unterricht der Mittel- und Oberstufe ebenfalls brauchbare Themenschwerpunkte setzen und somit als Hilfsmittel dienen. Was bleibt nun noch groß zu sagen, außer Oh du wunderschöne Mongolei, nimm uns mit auf eine Reise, die zum Träumen und Nachdenken anregt, in unbekannte Welten entführt und uns mit atemberaubenden Naturaufnahmen und berührenden Liedern verzaubert.
Das Lied von den zwei Pferden
Deutschland 2009, 91 min
Regie: Byambasuren Davaa
Darsteller: Urna Chahar-Tugchi, Hircheengui Sambuu,Chimed Dolgor
Produktion: Grasland F ilm GbR, Atrix Films & DavaaByambasuren München
Markus Achatz: „Frozen Land – Moving Pictures“
Tromsø liegt auf 69,7 Grad nördlicher Breite, 344 Kilometer Luftlinie nördlich des Polarkreises. In der zweiten Januarhälfte wird die Polarnacht allmählich kürzer und immerhin drei bis vier Stunden täglich wird es etwas heller im hohen Norden Norwegens. Ein idealer Zeitpunkt fürs Kino und gleichzeitig, um ein paar Stunden täglich die imposanten Berge und Fjorde rund um Tromsø zu bestaunen. „Gefrorenes Land – bewegende Bilder“ – so das Motto des beinahe exotischenTromsø International Filmfestivals TIFF. Seit nunmehr zwanzig Jahren ändert die Stadt mit ihren 65.000 Einwohnerinnen und Einwohnern für eine Woche im Winter den gewohnten Polarnacht-Rhythmus und wird zum Schauplatz einer der wichtigsten Filmveranstaltungen in Skandinavien. Ohnehin gilt Tromsø als heimliches Kulturzentrum Norwegens, schließlich gibt es hier nicht nur eine hohe Dichte an Kneipen und Cafés, sondern auch die nördlichste Universität und die nördlichste Bierbrauerei der Welt. Und nirgendwo sonst ist die Wahrscheinlichkeit höher, nahe an einer Stadt die sagenumwobenen Polarlichter am Himmel zu erleben.
Unter der Aurora
Auf dem TIFF 2010 zwischen dem 18. und 24. Januar liefen zahlreiche Produktionen als skandinavische oder zumindest norwegische Erstaufführungen. Das Programm setzte sich aus den Sektionen „Horizonte“, „Overdrive“, „Critic’s Week“ sowie einer Retrospektive der französischen Regisseurin Claire Denis (z. B. Chocolat – Verbotene Sehnsucht, 1988, Nénette et Boni, 1996, White Material, 2009) zusammen. Kernstücke des Festivals sind der Wettbewerb um den AURORA-Filmpreis und die Reihe „Films From The North“. Hier werden neue Kurz- und Dokumentarf ilme aus der Polarregion gezeigt – vornehmlich Produktionen, die in den nördlichsten Regionen Europas entstanden sind. Der Wettbewerb präsentierte 15 Filme aus 13 Ländern – allesamt norwegische Premieren. Unter ihnen der türkische Film "10 to 11" der Regisseurin Pelin Esmer und "Hadewijch" des Franzosen Bruno Dumont. Der mit 100.000 norwegischen Kronen (ca. 12.500 Euro) dotierte AURORA-Preis für den besten Wettbewerbsbeitrag ging an den Thriller "Die Tür" (The Door) des deutschen Regisseurs Anno Saul. Neben dem AURORA-Filmpreis wird im Rahmen des TIFF regelmäßig auch der norwegische Friedensfilmpreis vergeben. Diesen erhielt dieses Jahr der georgisch-kasachische Film "Gagma Napiri" (Das andere Ufer, 2009) von George Ovashvili, der bereits auf der Berlinale 2009 in der Sektion GENERATION lief (siehe Artikel „Grenzübertritte“ in merz 2-2009).
Films From The North
Die umfangreichste und gleichzeitig speziellste Programm-Sparte des TIFF bilden die „Filme aus dem Norden“. Die knapp 50 Kurzfilme und Dokumentationen stammen alle aus Finnland, Schweden, Norwegen und Russland; Filme, die in der Regel in den Polargebieten spielen oder zumindest dort produziert worden sind und häufig nirgendwo sonst zu sehen sind. Im 13-minütigen Feature-Film "Superhelter har ikke leggitid" (My Superhero) des jungen norwegischen Regisseurs Jim Hansen ist der sechsjährige Bent die Hauptfigur. Sehnsüchtig wartet Bent auf die Rückkehr seines Vaters, der sich auf einer Geschäftsreise befindet, jedoch nicht kommt. Im Verhalten seiner Mutter erkennt der Junge, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wann soll er ihr die Frage stellen, die ihm am meisten Angst macht? Behutsam und eindringlich schildert Jim Hansen das tragische Moratorium zwischen der Meldung eines Unglücks und der schrecklichen Gewissheit. Hansens Film konzentriert sich auf die beiden Protagonisten Mutter und Sohn. Die Sicht des kleinen Jungen, der vieles noch nicht begreifen kann, aber dennoch merkt, dass etwas Schlimmes geschehen ist, bildet den Mittelpunkt der Geschichte. Traditionell stammen mehrere Beiträge der Reihe „Films From The North“ aus der Nordland Kunst- og Filmfagskole in Kabelfåg. Die kleine Filmhochschule in den norwegischen Lofoten bereichert regelmäßig die skandinavische Filmszene mit Kurzfilmen. "Duett" (Duet) von Ragna Nordhus Midtgard ist ein solcher Beitrag. Der Pianist Lucas ist ein verschrobener Einzelgänger, der seine Wohnung nicht verlässt und auch niemanden hineinlässt. Dem kleinen Nachbarssohn gelingt es, allmählich in Lucas‘ Welt zu gelangen. Häufig spielt der Junge mit bunten Flummis im Treppenhaus. Seine Eltern haben ständig Streit, den Nachbar Lucas in seiner Wohnung mithören muss. Stets beginnt er dann Klavier zu spielen. Obwohl das Klavier furchtbar verstimmt ist, hört der Junge im Treppenhaus gerne zu. Durch seine beharrliche Neugier nach dem unbekannten Klavierspieler, weckt er auch Lucas‘ Interesse. Zunächst kommunizieren die beiden nur über den Austausch der Flummis durch den Briefschlitz. Bis Lucas dem Jungen irgendwann die Türe öffnet und dieser endlich auch einmal ans Klavier darf.
Regisseurin Ragna Nordhus Midtgard beweist mit "Duett" ihr großes Talent im Umgang mit den Figuren. Licht, Kamera und Szenenbild an beiden Motiven – Treppenhaus und Lucas‘ Wohnung – erzeugen eine warme und intensive Atmosphäre. Torfinn Iversen ist ebenfalls Absolvent der Filmhochschule in Kabelfåg. Mit seinem vierten Kurzfilm "Forventninger" (A Tale of Balloons) nahm er am diesjährigen TIFF teil. Auch hier steht ein Junge im Mittelpunkt. Der siebenjährige Tim ist sehr aufgeregt, denn es ist Norwegens Nationalfeiertag und er möchte unbedingt mit seiner Mutter zur Parade gehen. Am Vorabend fand in der Wohnung eine Party statt und als Tim von der Mutter ins Bett geschickt wurde, schlich er sich vor die Tür und lernte den „Ballonmann“ kennen, der in einem Wohnwagen wohnt und Luftballons mit Gas füllt. Von ihm lernt Tim, dass auch Gedanken fliegen können – genauwie Ballons. Am nächsten Morgen ist Tim schon früh wach und versucht seine Mutter zu bewegen, mit ihm zum „National Day“ zu gehen, doch sie ist nach der Party des Vorabends nicht ansprechbar. Vielleicht können die Ballons auch seine Mutter zum Fliegen bringen? Der 15-minütige Kurzfilm "Forventninger" zeigt die intensive Vorstellungskraft eines Kindes, bei der Fantasie und Wirklichkeit verschmelzen. Ein weiterer Film mit einem heranwachsenden Protagonisten ist aus dem Programm hervorzuheben: diesmal eine junge Frau, die als einzige Figur im Zentrum von "Lumikko"(Little Snow Animal) steht. Der Film der jungen Regisseurin Miia Tervo aus Finnland beginnt mit einem Radiogespräch aus der realen Talkradio-Sendung Night Line. Der Moderator spricht mit einem anonymen 16-jährigen Mädchen, das sich unter großem psychischen Druck befindet, mit der Schule nicht zurechtkommt und vor allem nach einer Affäre mit dem Freund der Mutter einer Klassenkameradin nicht mehr weiter weiß. Die Konversation ist unterlegt mit abstrakten schwarz-weiß Zeichenanimationen und wird unterbrochen durch Filmszenen einer jungen Frau, die allein und schweigend auf dem Sofa sitzt oder durch die Wohnung läuft. In einer anderen Szene sehen wir sie einsam auf der Tanzfläche einer leeren Diskothek. Der Film kombiniert die stilisierten Großeinstellungen der jungen Frau in ihrem vermeintlichen Alltag mit dem bedrückenden Dialog zwischen dem verzweifelten Mädchen und dem Radiomoderator. Durch die Vermischung von Spielfilmelementen mit dokumentarischen und animierten Anteilen gelingt es der Regisseurin, eine große Spannung aufzubauen.
Open-Air-Kino in einer neuen Dimension
Seit Jahren liegen Open-Air-Kinovorführungen im Trend. Großveranstaltungen mit Kinofilmen unter freiem Himmel begleiten unsere Sommermonate. Das TIFF führte dieses Veranstaltungsformat in eine neue Dimension. Zweimal täglich liefen auf der „Snowscreen“ mitten in Tromsø Filme für jedermann. Vormittags wurden Kurzfilme für Schulklassen gezeigt – zumeist Zeichentrickfilme – und nachmittags eine Auswahl an Kurzfilmen. Ein Highlight war die Vorführung des Stummfilms "Nanook of the North" (Nanuk, der Eskimo, 1922) von Robert J. Flaherty mit Livemusik. Der schwedisch-norwegische Komponist Matti Bye hat für "Nanook" neue Musik komponiert und live zur Vorführung in Tromsø präsentiert. Nahe der Schneeleinwand spielte die Band in einem Ladengeschäft hinter einem hell erleuchteten Schaufenster und intonierte den Film mit Musik und Geräuschen. Der Stummfilm handelt von einer Inuit-Familie, die im Gebiet der Hudson Bay in Kanada lebte und im rauen Klima ums tägliche Überleben kämpfte. Die weite Schneelandschaft und die in den 20er-Jahren bahnbrechende Kameraarbeit unter den extremen Lichtverhältnissen erzeugte in der eindrucksvollen Kulisse Tromsøs eine besondere Stimmung. Mehr als einhundert Besucherinnen und Besucher bestätigten, dass Open-Air-Kino auch unter den ungewohnten Bedingungen der Arktis bei deutlichen Minusgraden zu einem einzigartigen Erlebnis werden kann.
Superhelter har ikke leggitid (My Superhero)
Norwegen 2009, 13 min
Regie: Jim Hansen
Produktion: Sweet Films
Duett (Duet)
Norwegen 2009, 12 min
Regie: Ragna Nordhus Midtgard
Produktion: Nordland Kunst- og Filmfagskole
Forventninger (A Tale of Balloons)
Norwegen 2009, 15 min
Regie: Torf inn Iversen
Produktion: Nordland Kunst- og Filmfagskole
Lumikko (Little Snow Animal)Finnland 2009, 19 min
Regie: Miia Tervo
Produktion: University of Art and Design Helsinki
Saloua Chaatouf: Die Antike. Kelten, Griechen, Römer.
Kuck mal! Die Antike. Kelten, Griechen, Römer – Die Kulturgeschichte der Menschheit für Kinder ab 8.
DVD für Win/Mac. München: USM-Verlag, 2008, 24,95 €
Woher kamen die Etrusker? Wie kolonisierten die Römer Europa? Woran glaubten die Kelten? Mit diesen und vielen anderen Fragen beschäftigt sich die Lernsoftware Kuck mal! Die Antike. Zu Beginn wählt die Spielerin oder der Spieler eine Figur aus und gibt ihr einen Namen und schon kann die Entdeckungsreise in die Vergangenheit beginnen. Ein neugieriger virtueller Reiseführer namens Klick begleitet die Spielerinnen und Spieler durch das Programm – und in die Antike. In 13 Kapiteln erfährt man Wissenswertes über das Leben und die Kultur der „Kelten, Griechen und Römer“. Die spielerische Expedition führt die kleinen Abenteurerinnen und Abenteurer vor den Bildschirmen sogar bis nach China und Mittelamerika. Über 300 Kunstobjekte, unter anderem aus den Bereichen der Architektur und Skulptur mit Detailansicht und Steckbrief, diverse Spiele und über 30 Minuten filmische Animation veranschaulichen die Epoche.
Vor allem in kurzen und kurzweiligen Spielen und Rätseln können junge Geschichte-Fans die Antike und die Eisenzeit erforschen. „Kelten Memo“ zum Beispiel ist Memory mit keltischen Instrumenten und Figuren und bei „Statopolis“ müssen Prachtbauten auf den richtigen Platz des vorgegeben Geländes gesetzt werden. Klick kommentiert das Vorgehen der Spielerin oder des Spielers und stellt im Spiel „Skulptur-Pantomime“ die Skulpturen selbst nach, die Nutzerinnen und Nutzer aus einer Reihe von bekannten Statuen auswählen. Der pfiffige Moderator und Reiseführer Klick will alles wissen und fragt so lange nach, bis es bei den Nutzerinnen und Nutzern im buchstäblichenSinne „klick“ macht. Er zeigt, wie man sich zurecht findet und unterbricht den Erzähler, um nachzuhaken. Bleiben dennoch Verständnisfragen offen, so kann man diese mittels des Lexikons, das über 100 Fachbegriffe enthält, oder anhand der Zeitleiste und des interaktiven Kartenmaterials klären. Mit Kuck mal! Die Antike konzipiert die Multimedia-Abteilung des Louvre die dritte Folge der Lernspielreihe nach Kuck mal! Die Steinzeit und Kuck mal! Das alte Ägypten.
Die DVD läuft ganz ohne Installation auf allen handelsüblichen PCs und Macs. Die Lernsoftware ist sehr vielseitig und kreativ und bietet so eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich das Thema anzueignen und es für Kinder und Jugendliche interessant zu machen. Hin und wieder wirken aber die vielen Anwendungsmöglichkeiten überladen und zudem ist es fraglich, ob Kinder ab acht Jahren die nötige Medienkompetenz und das Verständnisvermögen mitbringen, um etwa die Texte im Lexikonstil zu verstehen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Farbenfrohes für die Ohren
Brigitte Jünger: Kunst-Stücke für Kinder. Franz Marc. Die gelbe Kuh.
Dortmund: Igel Records. Hörspiel-CD, 51 Min, 12,95 €„Gelbe Kühe können singen,fröhlich über Wiesen springen.Grasen munter zwischen Bäumenund verstehen es zu träumen.Ja wovon?Wer weiß das schon.Etwa von hellgrünen Höhen,die nur gelbe Kühe sehen?Blauen Pferden, roten Kälbern oder blauemAbendlicht?“Ob sie wirklich singen konnte, wird vermutlich nie jemand erfahren – sicher ist aber etwas anderes, nämlich dass die ‚Gelbe Kuh’ des expressionistischen Malers Franz Marc (1880-1916), die auf dem gleichnamigen Bild scheinbar so heiter zwischen blauem, grünem, rotem und orangem Gras umher springt und in sich hinein zu lächeln scheint, ihre Betrachterinnen und Betrachter bis heute zu faszinieren und zu erstaunen vermag. Und das ganz gleich, ob diese Staunenden nun zehn, zwanzig oder neunzig Jahre Lebenserfahrung mitbringen.Doch hinter dem scheinbaren Farbenwirrwarr des Bildes, das einen auf den ersten Blick gefangen nimmt, verbirgt sich natürlich viel mehr: Die ganze Lebensgeschichte, Weltanschauung und das Kunstverständnis seines Schöpfers spiegeln sich in diesem Gemälde wieder.
Erkennen und nachempfinden kann das aber vermutlich nur, wer Franz Marc kennt, wer etwas weiß über seine Lebensgeschichte, seine künstlerische Entwicklung und seine Beziehung zu den Farben. Dem bzw. der bislang Unbedarften bleiben dahin allerdings nur wenige Möglichkeiten: viele Semester in Hörsälen sitzen und Kunstgeschichte studieren, sich nächtelang durch dicke Franz Marc-Biografien blättern – oder einfach jemandem zuhören, der sich damit auskennt und gerne und gut erzählt. So jemanden bietet im Moment zum Beispiel der Igel-Genius-Verlag in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur: Brigitte Jünger, Germanistin, Psychologin, Autorin und Kunstgeschichte-Expertin. Aus ihrer Feder stammt nämlich die Hörspiel-Reihe Kunst-Stücke für Kinder, in der verschiedene Kunstwerke für nachwachsende Kunst-Fans ab acht Jahren kindgerecht und kurzweilig beschrieben, erklärt und interpretiert werden. Mittlerweile fünf CDs hat sie produziert und bringt ihren jungen – aber sicher auch älteren – Zuhörerinnen und Zuhörern so bereits van Goghs Zugbrücke, van der Weydens Dreikönigsaltar, da Vincis Mona Lisa und Rembrandts Nachtwache nahe. Dazu findet man in jeder Ausgabe das jeweilige Bild etwa im DIN-A-4 Format zum Aufklappen im Booklet und auf der CD etwas weniger als eine Stunde gesprochenen Text – Informationen und Fakten zu Künstlern und Bildern, kurze, nachempfundene Dialoge sowie Zitate der jeweiligen Hauptperson. Und dieser Text ist so interessant und ansprechend, dass die feingeistigen Hörspiele sogar bereits drei Preise eingeheimst haben: Mona Lisa und die Nachtwache können sich jeweils mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik schmücken, die auditive Annäherung an die schöne Mona Lisa wurde zudem mit dem Auditorix Qualitätssiegel für Hörbücher ausgezeichnet.
Franz Marc und seine bunten Tiere, respektive das Hörspiel dazu, ist zwar bislang nicht preisgekrönt, steht den anderen CDs der Reihe aber dennoch in nichts nach. In neun Kapiteln wird auf der CD das Leben des Künstlers nacherzählt, die Zuhörerinnen und Zuhörer begleiten ihn durch seine anregende Kindheit im bayerischen Voralpenland, in die identitätsstiftende Bundeswehrzeit und bis an die Kunsthochschule, dann weiter zum wilden Künstlerleben nach Paris und ins erhellende Völkerkundemuseum nach Berlin. Dabei nimmt das Hörspiel einen mit in die traurigen und schweren Momente, wenn Marc versucht, sein Leben ‚mit Farben zuzudecken’ und in die schönen Zeiten, wenn er seinen eigenen Stil findet, mit Farben experimentiert, die Welt durch die Augen der Tiere sieht und begeistert ausruft: „Zurück zur Natur! Zum allereinfachsten. Alles andere lenkt nur ab!“ Man staunt mit Marc über das Pariser Leben, entdeckt die Schönheit der Tiere und die Kraft der Farben und kämpft mit ihm und seinen Freunden im Blauen Reiter gegen verständnislose Zeitgenossinnen und -genossen und für neue Wege in der Kunst – und sieht seine gelbe Kuh am Ende selbst mit ganz anderen Augen. Der einfache Erzählstil, die kurzweiligen Blöcke mit den auf lockernden Dialog- und Zitatelementen und die thematische Strukturierung des Hörspieles durch kurze Musik-Stücke machen das Zuhören dabei auch für Kinder im älteren Grundschulalter schon abwechslungsreich und spannend und lassen keine Längen aufkommen. Freilich wäre es noch schön gewesen, wenn das Bild großformatiger vorhanden wäre, im Booklet oder auch als Datei auf der CD – denn ein DINA-4-Bild lässt sich zum Beispiel schwerlich von einer ganzen Schulklasse betrachten.
Auch noch ein paar weitere Bilder vom Maler und seinen anderen Werken wünscht man sich manchmal herbei, um noch besser in das Gehörte eintauchen und es sich vorstellen zu können. An manchen Stellen schließlich hätten einige verschriftlichte Fakten, etwa ein Lebenslauf im Booklet oder direkt auf der CD, dem einen oder anderen vielleicht geholfen, die dargebotenen Informationen besser zu verstehen und zu behalten. Doch da die CD nun mal scheinbar ein reines Hörvergnügen bleiben sollte, muss man darauf eben verzichten. Nichtsdestotrotz ist das, mit 12,95 Euro auch erfreulich erschwingliche, ‚Kunst-Stück’ gerade für Lehrerinnen und Lehrer bzw. Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch für interessierte Eltern durchaus empfehlenswert, da es eine erfrischende Abwechslung zu staubigen Kunst- Büchern bietet und Kindern – und nicht nur diesen – einen leichten und altersgerechten Zugang zu Malern wie Franz Marc ermöglicht. Auch wenn ‚Kunst im Ohr’ vielleicht nicht ganz alltäglich ist, aber – um mit Marc zu sprechen – „Neue Ideen sind erstmal ungewohnt und schwer zu verstehen. Aber deshalb dürfen wir uns doch nicht davon abhalten lassen, neue Ideen zu haben!“
Beitrag aus Heft »2010/02: Stigmatisierung und Leistung«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Saloua Chaatouf: Wie hört sich deine Welt an?
Die Schranke an einem Bahnübergang schließt sich klackernd, eine Tür wird mit einem leisen Knarren geöffnet, Wasser strömt gluckernd in eine Gieskanne... Diese und zahlreiche andere Geräusche sind auf AUDIYOU zu finden, einer Plattform für Audiofiles. Was auf den ersten Blick wie eine Plattform für Handyklingeltöne anmutet, stellt sich auf den zweiten Blick als eine umfangreiche Fundgrube von Audiodateien heraus – von Geräuschen über Hörspiele, Reportagen und Klingeltöne bis hin zu Themenmusik ist hier alles zu finden, was zur Hörkultur gehört. „...Und wie hört sich deine Welt an?“ ist der Leitspruch der Seite, auf der Internetnutzerinnen und -nutzer sowohl eigene Produktionen ins Netz stellen sowie Veröffentlichungen anderer Userinnen und User herunterladen können.
Unter der Kategorie „Turbo Taxi“ sind Interviews zu hören, die „Turbo Schmidt“ mit verschiedenen Taxifahrerinnen und -fahrern geführt hat. So berichtet etwa ein marokkanisch-stämmiger Mann über seine Integration in Deutschland und seinen Wunsch, ein Fischrestaurant in seiner Heimat zu eröffnen. Ein weiterer Taxifahrer erzählt über seine prominenten Fahrgäste, denen wohl viel daran gelegen ist, auch tatsächlich erkannt zu werden. In der Kategorie „Hörspiel“ können Titel wie „Das Verbrechen im Zirkus“ oder „Ullas Traumstunden“ abgerufen werden. Monatlich wird die Top Ten der Audiofiles nominiert. Ein Team von Soundbegeisterten aus Autorinnen und Autoren, Schülerinnen und Schülern sowie Designerinnen und Designern betreibt die sowohl kostenlose als auch werbefreie Plattform, auf der im Gegensatz zu Portalen wie YouTube alle Inhalte redaktionell geprüft werden.
Das Team hinter AUDIYOU legt viel Wert darauf, Soundpiraterie nicht zu unterstützen. So werden geklaute oder kopierte Stücke aus dem Netz genommen und das Thema Urheberrecht den Nutzerinnen und Nutzern kindgerecht anhand einer Checkliste erklärt. Bei AUDIYOU geht es in erster Linie nicht darum, perfekte Produkte zu veröffentlichen oder herunterzuladen – vielmehr soll die Kreativität und zur produktiven Nutzung des Internets angeregt werden. Die Plattform lässt sich damit auch gut in den Unterricht integrieren, denn wer in der Klasse mit Podcasts arbeitet wird hier einen großen Pool an verwendbaren Tonspuren entdecken. AUDIYOU bietet Kindern und Jugendlichen einen sicheren Rahmen, um Medienkompetenz zu erwerben. Das Layout der Seite ist bunt und besonders für junge Leute ansprechend. Eine ausführliche Anleitung zur Durchführung und eine schnelle Anmeldung erleichtern den Umgang. Ob für Fans oder einfach für den privaten Gebrauch, ein Blick auf die Seite lohnt sich.
Tilmann P. Gangloff: Fernsehen macht dünn
Fernsehen macht dick, heißt es gern. Bei einer ganz bestimmten Zielgruppe aber erzielt es offenbar auch den gegenteiligen Effekt. Vergleicht man die Zahlen aus den Dr. Sommer-Studien (Bravo) und setzt sie in Bezug zu Germany’s Next Topmodel, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand: Seit 2006 ist die Unzufriedenheit junger Frauen mit ihrem Gewicht unübersehbar gestiegen. Genauso lange gibt es die Model-Suche mit Heidi Klum, in deren Show selbstverständlich ein Schönheitsideal propagiert wird, das jenseits der Normalität liegt. Am deutlichsten ist die Entwicklung bei den 16- und 17-Jährigen. 2006 gaben noch 69 Prozent an, mit ihrem Gewicht zufrieden zu sein; drei Jahre später ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Dabei sind fast 80 Prozent der befragten Mädchen normalgewichtig. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI (München), ist über diese Koinzidenz alles andere als überrascht: „Jugendliche suchen in ihrer Umgebung, aber natürlich auch in den Medien ein ideales Selbst, jemanden, der die gleichen Werte vertritt, vor ähnlichen Herausforderungen steht und sie meistert.“
Diese Vorbilder, ergänzt Medienpädagoge Stefan Aufenanger (Universität Mainz), „dienen im Jugendalter zur Orientierung und zur Identitätsbildung.“ Gerade das Fernsehen spielt in diesem Prozess laut Aufenanger eine zunehmend zentrale Rolle. Tatsächlich ist es längst zum zuverlässigen Lieferanten für Vorbilder geworden: Seit das Medium seine Zuschauer im Jahr 2000 mit Big Brother erstmals selbst zu Stars gemacht hat, finden sich solche Vorbilder verstärkt in verschiedenen Formaten der kommerziellen TV-Sender, allen voran natürlich bei Deutschland sucht den Superstar (RTL). Alltagsmenschen, erläutert Aufenanger, „werden hier zu Leitbildern, dafür müssen sie gar keine großen Stars sein.“ Gleiches gilt natürlich für Germany’s Next Topmodel. Während die Sängersuche immer wieder für Schlagzeilen sorgt, weil Jury-Mitglied Dieter Bohlen talentlose Teilnehmerinnen und Teilnehmer demütigt, hat die Klum-Show möglicherweise konkrete Folgen für den weiblichen Teil der jungen Zielgruppe. Vor allem Mädchen, glaubt Götz, identifizierten sich sehr stark mit den Protagonistinnen: „Was hätte ich an ihrer Stelle getan, wie hätte ich mich verhalten?“, fragten sie sich, wenn die Nachwuchs-Models wieder mal von ihrem strengen Idol kritisiert werden. Gerade während der Pubertät seien Jugendliche „besonders anfällig für Figuren, die eine Leitorientierung geben. Das ist einer der zentralen Gründe für den Erfolg dieser Sendungen. "Während man sich an Bohlen eher reibt, weil man seine Meinung zwar meistens teilt, aber seine allzu direkte Art nicht mag, werden die Urteile von Klum nicht in Frage gestellt. Je jünger die Zuschauerinnen sind, umso mehr gilt die Maxime „Heidi hat immer Recht.“
Eine kaum geringere Rolle im Leben Jugendlicher spielen Daily Soaps wie der RTL-Dauerbrenner Gute Zeiten, schlechte Zeiten oder Telenovelas wie der aktuelle Sat.1-Quotenerfolg Anna und die Liebe mit Jeanette Biedermann, der regelmäßig bis zu 45 Prozent Marktanteile bei Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren hat. Mit Hilfe dieser Serien bauen die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer parasoziale Beziehungen auf. Diese emotionalen Bindungen sind sogar noch deutlich stärker als bei den Casting-Shows, schließlich stehen die Soap-Figuren zuverlässig über Jahre hinweg jeden Wochentag zur Verfügung. Dafür genießen die Casting-Shows wegen ihres „Event“-Charakters einen besonderen Stellenwert. Germany’s Next Topmodel ist laut Götz während der Ausstrahlungszeit bei rund 80 Prozent der weiblichen Jugendlichen tägliches Gesprächsthema.
Saloua Chaatouf: Not Welcome
Bilal ist seit drei Monaten auf der Flucht. Über 4.ooo Kilometer hat der 17-jährige Kurde hinter sich gelassen. Zu Fuß. Aus dem Irak, einmal durch ganz Europa und bis zum Ärmelkanal. Nun liegt nur noch eines vor ihm: 34 Kilometer eiskaltes Wasser, das es zu überqueren gilt. Denn auf der anderen Seite wartet Mina, Bilals Freundin und große Liebe, die mit ihren Eltern nach England emigrieren musste und die nun das große Ziel ist, auf das Bilal zuläuft, koste es was es wolle. Liebe, Freundschaft, MigrationEs scheint nichts als eine weitere Geschichte mit dem scheinbar nie aus der Mode kommenden ‚Romeo-und-Julia‘-Motiv zu sein: Bilal und Mina, zwei große Liebende, durch Eltern, Kilometer und Gewässer getrennt, die ihr Leben riskieren, um zusammen zu sein. Und doch ist ihre Geschichte mehr als das. In seinem Film Welcome, der seit 4. Februar 2010 auch in den deutschen Kinos läuft, erzählt Regisseur Philippe Lioret eine tragische Liebesgeschichte, vereint mit einer tragischen Lebensgeschichte. Der Geschichte nämlich von Menschen, die in ein Land wollen, in dem andere sie eben nicht ‚Welcome‘ heißen. Der Geschichte illegaler Einwanderer. Sie kommen mit großen Hoffnungen und viel Mut, wie auch Bilal, der sich vorstellt, in England eine Fußballkarriere zu starten und dort mit seiner Mina zu leben. Doch seine Reise nimmt schon viel früher ein abruptes Ende, als er an der Nordküste Frankreichs in Calais mit mehreren Flüchtlingen in einen Lastwagen klettert, um mit der Fähre über das Meer zu gelangen. Mit einem Plastiksack über dem Kopf sollen die Flüchtlinge sich während der Kontrollen ruhig verhalten, damit sie bei den CO2-Detektoren nicht auffliegen.
Bilal hält es jedoch nicht aus, er bekommt Panik und schließlich werden alle erwischt. Die anderen Flüchtlinge sind wütend und meiden ihn, die Fähre ist abgefahren für den jungen Kurden und doch liegt immer noch der eiskalte und vielbefahrene Ärmelkanal zwischen ihm und der nächstgelegenen englischen Stadt. Kurzentschlossen sucht der Junge das örtliche Hallenbad auf, um Schwimmen zu lernen. Hier trifft er Bademeister Simon, der fortan sein einziger Freund und Mentor wird. Simon ist ein ehemaliger Topschwimmer, der jetzt vom Unterrichten lebt. Vor allem aber ist er einsam, da er in Scheidung lebt, seine Frau Marion aber immer noch liebt und zurückgewinnen möchte. Er ist fasziniert von der Unbedingtheit und dem Mut des Jungen vor ihm – schließlich ist er selbst „nicht einmal über die Straße gegangen“, um seine Ehe zu retten. Und so entspinnt sich eine Freundschaft zwischen dem Mann und dem Jungen, zwischen dem legalen Bewohner und dem illegalen Einwanderer, zwischen dem frisch Verliebten und dem von der Liebe Enttäuschten. Gemeinsam machen sie sich an die Umsetzung ihres Plans, Bilal übt Kraulen und Simon versucht, ihn auf seine gefährliche Reise vorzubereiten.
Sie fahren ans Meer, wo Bilal in Simons Taucheranzug Kälte, Strömungen und nahende Schiffe am eigenen Leib erfahren soll, um sich die Ausmaße seines Vorhabens klar zu machen. Sie verstecken sich vor spitzfindigen Behörden,die Bilal auf den Fersen sind und immer wieder versuchen, ihn ausfindig zu machen und des Landes zu verweisen. Und nebenbei arbeiten sie gemeinsam ihre Liebesnöte und Lebenseinstellungen auf. Selbst die Hiobsbotschaft, dass Mina von ihrem Vater bereits einem Cousin zur Hochzeit versprochen wurde, kann Bilals Entschlossenheit nicht erschüttern – er kämpft bis zum Ende für seinen Traum, auch wenn es ein Traum ist, den viele träumen und wenige leben können.
Ein Fall wie tausend andere?!
Das Leben illegaler Emigrantinnen und Emigranten in Frankreich steht im Mittelpunkt des Films – Liebesgeschichte hin oder her. Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer mag dies eine fremde Welt sein. „Und dennoch so nah. Da ist es gut, im Kino das Land zu entdecken, von dem man keine Ahnung hat“, sagt der französische Regisseur Philippe Lioret über die Thematik seines Films. Der Filmemacher ist wochenlang mit seiner Castingdirektorin herumgereist, nach Istanbul, Berlin, London und Schweden, um die richtigen Orte, die richtigen Personen für sein Drama zu finden. Schließlich hat er Firat Ayverdi (Bilal) in Frankreich getroffen, der kein professioneller Schauspieler war und erst überzeugt werden musste, dass er mit seiner Intensität der richtige für die Rolle sei. Auch viele andere Personen der Filmes werden von Laiendarstellerinnen und -darstellern verkörpert, die Lioret auf seiner Reise kennen gelernt und für seinen Film begeistert hat. Keine bekannten Gesichter sind zu finden in Welcome, keine Kassen-Garanten, sondern ‚echte‘ Menschen, authentische Charakterköpfe. Welcome ist ein sensibles, emotionsgeladenes Drama, das das Publikum in eine realistische Thematik taucht. Die Stadt Calais liegt an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals, deshalb ist diese seit Jahren die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge aus aller Welt, die um jeden Preis ins Vereinigte Königreich wollen. Viele Geschichten dort beginnen, enden oder verlaufen – zumindest teilweise – wie Bilals.Welcome ist die Geschichte zweier mutiger Männer, die mit mehr als einem Problem kämpfen: um ihre Frauen, für ihre Freiheit, gegen innere und äußere Zwänge. Die Geschichte zweier Männer, die für einen Traum alles geben und dabei über sich hinaus wachsen. Und die Geschichte so vieler anderer Männer und Frauen mit ahnlichen Träumen, ähnlichen Problemen, ähnlichem Schicksal.
WELCOME
Frankreich, 2009, 115 Minuten
Regie: Philippe Lioret
Darsteller: Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Audrey DanaProduktion: Nord-Ouest Films/www.nord-ouest
Filmstart: 4. Februar 2010
Daniela Sprengler: Knobel-Klassiker neu aufgelegt
Käsekästchen, Schiffe versenken, Drei gewinnt: Wer kennt sie nicht, die Klassiker unter den Schülerspielen! Seit unzähligen Generationen werden Stift und Papier gezückt, um mit den kleinen Logikspielen für Abwechslung in Schule und Freizeit zu sorgen. Doch heute haben Block und Bleistift ausgedient, denn dank moderner Technik sind die beliebten Minispiele vermehrt digital verfügbar. So auch für Nintendo DS: Die dtp entertainment AG hat mit Crazy School Games eine Spielesammlung auf den Markt gebracht, die Jung und Alt aus ihrer Schulzeit bekannt sein dürfte. Das für rund 30 Euro erhältliche Nintendo DS-Spiel bietet zehn Minigames mit vielversprechenden Namen wie Code Breaker, Crazy 4 und Pairs. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Hier gibt’s kein frisches Spielefutter, sondern altbekannte Klassiker mit neuen Namen. Denn wo einst Schülerinnen und Schüler ihre grauen Zellen bei Master Mind rauchen ließen, trainieren die Kids heute ihr Gehirn bei Code Breaker. Und wer sich in Crazy 4 versuchen will, der tut gut daran, die Regeln von Vier gewinnt zu befolgen.
Hinter Pairs – wie könnte es anders sein – verbirgt sich das gute alte Memory. Und auch Race Track dürfte allen Schülerinnen und Schülern sowie denen, die einmal die Schulbank drücken durften, bekannt vorkommen: Wo sich einst auf einem karierten Blatt Papier imaginäre Autos riskante Kurvenrennen lieferten, manövrieren sich jetzt farbige Flitzer über den Konsolenbildschirm. Doch eigentlich spielt es keine Rolle, ob die Gegnerin oder der Gegner beim Schiffe versenken besiegt wird oder man ihn oder sie in der Seeschlacht absaufen lässt. Denn: Gleich welcher Name, der Spaßfaktor ändert sich nicht. So auch bei den sechs Minispielen, die nicht umgetauft wurden: Das Logikrätsel Sudoku sowie Fünfer Pasch, auch bekannt als Kniffel, und das gute alte Käsekästchen durften, ebenso wie Tic Tac Toe, ihre Namen behalten. Aber egal wie alt oder neu: Die farbenfroh und schnörkellos gestalteten Crazy School Games bieten abwechslungsreichen Knobelspaß, der sich allein oder gemeinsam genießen lässt: Im Mehrspieler-Modus können bis zu vier Crazy- School-Gamerinnen und -Gamer gegeneinander antreten und um die Wette spielen und rätseln.
Eine gute Hilfestellung bieten dabei die übersichtliche Menüführung, die gut strukturierten Tutorials und extra Hilfsfunktionen: Mit ihnen gelingen auch den Jüngeren die Spiele problemlos. Und auch die technische Umsetzung lässt kaum Wünsche offen: Die Steuerung – je nach Vorliebe – mit Touchpen oder Steuerkreuz ist immer möglich. Zudem ermöglichen extra Einstellungen auch Linkshänderinnen und -händern barrierefreies Navigieren. Nur ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Crazy Golf lässt sich mitunter nur unpräzise per Touchpen bedienen. Da kann es dann schon passieren, dass der Ball auf seinem Weg ins Ziel ungewollt mit zu viel Schwung in den Hindernissen landet oder heillos übers Ziel hinausschießt. Doch alles in allem bieten die Crazy School Games mit ihren leicht bedienbaren, jeweils nur wenige Minuten dauernden Einzelspielen bereits Kindern ab dem Grundschulalter einen unterhaltsamen Zeitvertreib. Aber auch ältere Kinder und Erwachsene haben jede Menge Spaß an den kurzweiligen Knobeleien, denn unterschiedlich einstellbare Schwierigkeitsstufen machen die Spielchen mitunter auch für erfahrene Denksportlerinnen und Denksportler zu einer harten Nuss. Zu hoffen bleibt nur, dass sich die jüngeren Crazy-School-Gamerinnen und -Gamer durch die Gestaltung des Spielecovers nicht dazu animiert fühlen, ihre Spielkonsole im Unterricht zum Einsatz zu bringen.
Beitrag aus Heft »2010/01: Musik – Die schönste Nebensache«
Autor:
Daniela Sprengler
Beitrag als PDF
Elisabeth Jäcklein-Kreis: 3, 2, 1 – Sprachgenie?!
Kurs 1 Spanisch 4.0. Langenscheidt. 49.90 € (44,90 € bei Download) ISBN 978-3-468-91102-6.Sprachkurs Plus Anfänger. lex:tra (Cornelsen). 22,95 €. ISBN 978-3-589-01582-5.Softwarekurs für Anfänger. Pons. 44,95 €. ISBN 978-3-12-561278-5.MultiLingua-Sprachkurs Spanisch Intensiv. USM & Max Hueber Verlag. 29.90 €. ISBN 978-3-8032-5006-3.„Hablo español“ (Ich spreche Spanisch), „Jag talar svenska“ (Ich spreche schwedisch) oder vielleicht sogar „我说中文说得很好“ (Wo shio zhongwén shuo de hen hao, Ich spreche Chinesisch) – wer würde so etwas nicht gerne von sich behaupten. Allein, wer die Schule hinter sich gelassen hat, nicht über nützliche Bekannte mit exotischen Muttersprachen verfügt, 30 km Anreise zur nächsten Volkshochschule auf sich nehmen muss und für einsames Durchackern dicker und oft genug wenig ansprechender Bücher nicht den nötigen Fleiß aufbringen kann, dem vergeht bisweilen schnell die Motivation zum eifrigen Sprachenlernen. Den Kopf hängen lassen und sich für den nächsten Urlaub Zeige-Wörterbücher kaufen muss dennoch niemand, denn im digitalisierten Zeitalter gibt es für Multilingualisten in spe zahlreiche verlockende Angebote bei den verschiedenen Verlagen. Und die versprechen wahre Wunder: Zum eloquenten Cosmopoliten in wenigen Monaten und mit einem Aufwand von nur ein paar Minuten pro Tag, direkt am heimischen Computer und mit viel Spaß – das klingt fast zu schön um wahr zu sein. Doch was steckt wirklich dahinter? Linguistische Höchstleistungen oder doch Babylonische Sprachverwirrung?
szukać – suchen: Wo gibt es was?
Auf dem Weg zur digitalen Mehrsprachigkeit wird man im Internet schnell fündig: Langenscheidt, Pons, USM: Überall gibt es Sprache per Mausklick. Von den größeren Verlagen setzt einzig Lex:tra, die Cornelsen Sprach-Marke, auf Tradition und erspart die Qual der (Medien-) Wahl, indem sie nur die Buch-und-Audio-CDVariante anbietet. Bei allen anderen gibt es Linguistik multimedial. Schon auf den ersten Blick fällt die Auswahl des Kurses nicht leicht. Langenscheidt und Pons machen mit großen Kartons in schickem Design auf sich aufmerksam und geben zudem bereits auf der Verpackung stolz damit an, dass ihr Kurs sich am europäischen Referenzrahmen A1 bzw. A2 orientiert. USM dagegen kommt zwar im Verpackungs- und Referenz-Verweigerer-Outfit daher, kostet dafür aber auch nur etwa die Hälfte (ca. 30 € im Vergleich zu 45 bzw. 50 €). Man darf also gespannt sein. Einzig Apple-Besitzerinnen und -Besitzern fällt die Entscheidung leicht: Eine Version für das fruchtige Betriebssystem ist nämlich nur bei Pons integriert. Bei Inbetriebnahme der Programme scheint sich der erste Eindruck fortzusetzen: Nach einer – überall gleichermaßen unkomplizierten – Installation warten Pons und Langenscheidt mit farbenfrohen, kräftig animierten Programmen auf, der Lernstoff scheint einen förmlich anzuspringen und vor Motivation zu triefen. USM dagegen gibt sich bescheiden, präsentiert seine Inhalte im schlichten zweifarbigen Fenster ohne technische und grafische Spielereien aller Art. Der inhaltliche Aufbau allerdings stellt sich recht schnell als sehr einheitlich heraus und erinnert stark an die noch aus Schulbüchern bekannten Sprachlern-Schemata: In zehn bis 18 Lektionen werden der bzw. dem Lernwütigen Dialoge und kurze Texte zum Anhören und selbst Lesen präsentiert, zu denen es dann jeweils Übungen gibt. In den Übungen verstecken sich meist die zu lernenden grammatikalischen oder vokabularen Neuheiten mehr oder weniger offensichtlich. Die Nutzenden werden automatisch durch die Lerneinheiten geführt, Buttons ermöglichen es aber auch, zwischen den Kapiteln und Themen zu springen sowie Gesamtgrammatik und Wortschatz in Pop-up-Fenstern aufzurufen. Damit allerdings haben sich die Gemeinsamkeiten auch schon erledigt.
choisir – auswählen: Wer bietet was?yellow – gelb: Comic-Gewusel und Schulbuch-Familien bei Langenscheidt
Am augenfälligsten unter den Sprachlernprogrammen ist wohl die bekannte Marke mit dem L. Langenscheidt kommt im erstaunlich großen (und erstaunlich teuren), charakteristisch gelben Karton daher und bietet auch auf der CD-ROM Corporate-ID-trächtige Inhalte, die sowohl grafisch als auch technisch anspruchsvoll sind: opulente Gestaltung mit zahlreichen Buttons, Animationen, Soundeffekten, etc. Jede Lerneinheit ist reich bebildert und vertont und auf einer Skala kann der eigene Fortschritt erkannt werden. Sehr hilfreich sind die Grammatik- Zusammenfassungen am Ende jeden Kapitels sowie das zweisprachige Wörterbuch, das sich allerdings in einem zweiten Fenster öffnet und das Programm damit regelmäßig in große Verwirrung stürzt – es muss dann mühsam beruhigt und neu gestartet werden. Überhaupt bringt die technische Raffinesse nicht nur Pluspunkte. Die allzu vielen Spielereien, die sich die Programmierer haben einfallen lassen, machen das Programm leider auch sehr instabil und lassen es oft abstürzen. Auch die sehr bunte Grafik ist zwar nett gemeint, versetzt die ahnungslosen Nutzerinnen und Nutzer aber oft ohne Vorwarnung zurück zu altbekannten Familien aus Schul-Sprach-Büchern und wirkt teilweise etwas überfrachtet, was nicht der Übersichtlichkeit dient, und kitschig. Auch dass nur ein einziger Benutzer bzw. eine Benutzerin für die Software vorgesehen ist, dass der eigene Spielstand eher kryptisch nachvollzogen wird und dass es keine offensichtliche Möglichkeit gibt, bei Aufgaben Sonderzeichen einzugeben, was regelmäßig Fehlerpunkte einbringt, trübt die Lernfreude doch merklich. Wirklich punkten können die Sprachpakete mit dem L aber bei ihrer Ausstattung: Neben der CDROM bietet die gelbe Schatzkiste eine CD mit „Audio-Wortschatztrainer“, der auch auf einen iPod oder mp3-Player übertragen werden kann. Zusätzlich gibt es ein Begleitheft mit allen Dialogtexten und dem Kurswortschatz im Printformat: Jeder Lerntyp kann sich hier also gut bedient fühlen und das Lernen wird vor allem wirklich zeit- und ortsunabhängig. So kann auch eine langweilige Straßenbahnfahrt plötzlich zum kleinen Sprachurlaub werden. Fazit: Ein ambitioniertes,aber noch nicht ganz ausgereiftes Programm für Farb-Fans mit großem Geldbeutel.
verde – grün: Spiel, Spaß und Spannung mit den grünen Punkten von Pons
Einen Schritt weiter auf dem Farbkreis siedelt sich Konkurrent Pons an: Ganz in Grün kommendessen Sprach-Softwarekurse daher. Der Aufbau unterscheidet sich von Langenscheidt kaum, die Gestaltung dafür umso mehr. Pons bietet eine schöne, aber nicht überfrachteteGrafik, ansprechende Bilder und eine einleuchtende Anordnung der Buttons, die das Navigieren zwischen den grünen Punkten denkbar einfach macht. Statt technischer Spielereien gibt es inhaltliche Schmankerl: Wissenswertes und Nützliches über die Lerneinheiten hinaus, wie Sprichwörter oder Anleitungen zum Briefeschreiben, werden immer wieder angeboten.Motivationstiefs aller Art wird mit kurzweiligen Bingo- oder Hangman-Übungen der Kampfangesagt, bei denen Vokabeln und Grammatik fast unbemerkt in die Synapsen rutschen. Dankstabiler Software sind auch die Grammatik- und Wortschatz-Übersichten eine echte Hilfe, da sie stets offen und verfügbar sein können. Und weil sprechen zu zweit irgendwie effektiver ist als alleine, können sich bei den grünen Punkten mehrere Benutzerinnen und Benutzer mit Nicknamesanmelden und gleichzeitig lernen. Beim Wörter-lernen sollte man allerdings schnellsein: Es gibt leider keinen Kapitel-Wortschatz zum Pauken, dafür kann aber der kompletteWortschatz – etwas umständlich über den Internet-Browser – ausgedruckt werden. Großes Manko: Der Audio-Wortschatz wurde in der grünen Variante scheinbar für überflüssig erachtet. Schade für auditive Lerntypen. Auf den Punkt gebracht besticht Pons mit einem wirklich ansprechenden Programm, das jeden inneren Schweinehund zum Schweigen bringt, sich preislich aber nur mit Mühe und Not unter Konkurrent Langenscheidt ansiedelt – trotz etwas weniger Inhalt.
rdeč – rot: Die pragmatische Lösung von USM
Perfektioniert wird das ‚schlicht-aber-zweckmäßig’- System von USM. Konsequent folgt der unauffälligen Verpackung auch ein unauffälliges Programm. Ein zweifarbiges Fenster, ab und an ein schwarz-weißes Bild müssen genügen, schließlich soll der Sprach-Fan sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist dafür dann überraschend ansprechend: Die ‚Arbeitsfläche’ist zwar schlicht, aber sehr sinnvoll und übersichtlich aufgebaut, was nach dem Farbengewuselanderer Anbieter richtig entspannend sein kann. Die Lerntexte bedienen sich bewährter Sprachlern-Themen, werden aber von Muttersprachlerinnen und -sprachlern gesprochen, was sie anspruchsvoller, aber auch interessanter macht. Die Übungen kommen ohne langes Laden zügig hintereinander, sind nicht weltbewegend aber interessant und bieten direktes Feedback und Vokabeln und Grammatik sind immer hilfreich im Sichtfeld. CD 2 bietet – einzigartig unter den verglichenen Programmen – ein umfassendes Vokabeltraining inklusive Übungs-, Abfrage- und Druck-Funktion. Schade ist allerdings, dass auch hier kein Kapitel-Wortschatz angeboten wird, dass das Wörterbuch nur in eine Richtung (Fremdsprache deutsch) funktioniert und das Programm bisweilen sadistische Züge aufweist und richtige Lösungen penetrant als falsch markiert. Alles in allem aber eine günstige Alternative für pragmatische Lernerinnen und Lerner.
bleu – blau: Die papierne Lex:tra-Variante
Wer bei Cornelsen bzw. dessen Ableger Lex:tra nach Sprachsoftware sucht, wird enttäuscht:„Interaktive Sprachkrimis“ auf Video-DVD sind das höchste der digitalen Gefühle. Stattdessen bekommen Lernwillige ganz klassisch ein Buch mit Audio-CD serviert. Hier können sie Dialogelesen und hören, Grammatik üben und Wortschatz pauken, ganz wie in alten Schulzeiten. Das ist allerdings ansprechend gestaltet und sinnvoll aufgebaut, besticht mit interessanten Übungen,kurzen Kapiteln und optisch gelungener, blau-weißer Gestaltung. Eine durchaus reizvolleAlternative also für Nostalgiker, Computer-Verweigerer, sehr konsequente Lernerinnen undLerner und ganz sparsame (mit 22,95 € ist das blau-weiße Schriftwerk Spitzenreiter im Preisvergleich) Käuferinnen und Käufer.
decidirse – entscheiden: Der Königsweg zur neuen Sprache
Natürlich stellen die vorgestellten Programme lediglich einen Ausschnitt der Produktpalettevor: Von Terzio über RosettaStone bis Nintendo findet man mit etwas Recherche Lernsoftware in Hülle und Fülle. Sie alle sind ambitioniert und bieten bereits eine sinnvolle und attraktive Alternative zu vhs und dicken Wälzern, aber keine erfindet das Rad neu. Dennoch sollte man sich vor dem Kauf klar machen, dass es Unterschiede gibt. Soll das Lernen vor allem Spaß machen oder vor allem schnell gehen? Entscheidet der Geldbeutel mit oder das genutzte Betriebssystem? Muss ein Referenzrahmen der Europäischen Sprachzertifikate her oder soll die Sprache nur den Urlaub erleichtern? Solcherlei Fragen müssen einer Kaufentscheidung unbedingt vorausgehen, wenn am Ende „grand enthousiasme“stehen soll und nicht „big disappointment“.
Beitrag aus Heft »2010/01: Musik – Die schönste Nebensache«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Tilmann P. Gangloff: Wie das Fernsehen auf unterhaltsame Weise Bildung vermittelt
Sollten Studienräte auf den Nobelpreisträger Werner Heisenberg nicht gut zu sprechen sein, hat das seinen Grund. Der Entdecker der Heisenbergschen Unschärferelation hat mal gesagt: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles, was man in der Schule gelernt hat, vergisst.“ Ein Großteil jenes Wissens, das man nicht in der Schule gelernt hat, stammt aus Zeitungen und Zeitschriften, aus Büchern, aus dem Internet und natürlich aus dem Fernsehen. In seiner Frühzeit in den Fünfzigern sollte das Medium hierzulande ausdrücklich „zur Gesundung der Volksseele“ (Adolf Grimme) beitragen. Das ist zwar lange her, aber Bildung gehört neben Information und Unterhaltung nach wie vor zu den ausdrücklichen Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und seit die kommerzielle Konkurrenz entdeckt hat, dass Wissen nicht nur Spaß macht, sondern auch ordentliche Marktanteile bringt, kann man dank Sendungen wie „Galileo“ (ProSieben) oder „Clever“ (Sat.1) auch bei den Privatsendern was lernen. Die Frage ist bloß: Tut man das auch? Oder vermitteln die Magazine nur das Gefühl, seine Zeit nicht verschwendet zu haben? Die Meinungen gehen auseinander. Ranga Yogeshwar, der wohl bekannteste Wissenschaftsjournalist des deutschen Fernsehens, hält die Wirkung des Mediums für überschätzt: „Beim Buch ist das anders, da ist man ungleich aktiver und entscheidet selbst, wann es weitergeht. Das Fernsehen aber plätschert vor sich hin; es ihm völlig egal, ob ein Zuschauer innerlich vielleicht längst abgeschaltet hat.“ Yogeshwar hat das Wissenschaftsfernsehen mit der Magazinreihe „Quarks & Co.“ (WDR) zu seiner Blüte gebracht. In „Wissen vor 8“ (im Vorabendprogramm der ARD) gelingt ihm sogar das Kunststück, komplexe Sachverhalte in 150 Sekunden zu erklären. Auf diesen Wissensbissen basiert auch sein soeben erschienenes jüngstes Buch, „Sonst noch Fragen?“ (Kiepenheuer & Witsch, 308 Seiten, 8,95 Euro), in dem er lehrreich und kurzweilig typischen Alltagsphänomen auf den Grund geht: Warum bekommen Frauen kalte Füße? Wie entsteht Muskelkater? Solche Themen kommen den Erwartungen einer Zielgruppe entgegen, die von „Galileo“ geprägt worden ist. Für das ProSieben-Magazin hat Yogeshwar allerdings nur Kritik übrig: „Es vermittelt ein völlig verzerrtes Bild von der Realität. Für die Zuschauer sind Wissenschaftler junge Männer, die sich im Parka und unter Einsatz ihres Lebens auf hochdramatische Weise der Forschung verschrieben haben.“ Außerdem findet im Fernsehen natürlich kein interaktiver Prozess statt. Wie vor fünfzig Jahren, als die Redakteure der ersten Generation das Medium als Volkhochschule der Nation betrachteten, bleibt die Wissensvermittlung einseitig; ganz gleich, ob es sich wie bei „Galileo“ um informative Unterhaltung oder wie bei „Abenteuer Wissen“, „Abenteuer Forschung“ (beide ZDF) und dem Kindermagazin „Wissen macht Ah!“ (WDR/Kika) um unterhaltende Information handelt. „Wahrer Wissensdurst muss sich von innen aufbauen“, sagt Yogeshwar, das sei auch das Problem der Schule, wo Wissen von oben nach unten vermittelt werde. Außerdem sei nicht überall, wo Wissen draufsteht, auch Wissen drin. Tatsächlich haben sich die Angebote von ARD und ZDF unter dem Konkurrenzdruck von RTL & Co. enorm gewandelt. Dass die Mainzer ihre Wissensmagazine immer noch und mit Erfolg zur besten Sendezeit ausstrahlen, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit; „W wie Wissen“ (ARD) zum Beispiel läuft sonntags gegen 17 Uhr. Anders als Yogeshwar bricht Peter Arens, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, eine Lanze für ProSieben: Mit der täglichen Ausstrahlung von „Galileo“ habe sich der Sender „um einen jüngeren, populäreren Zugang zu Wissen und Wissenschaft verdient gemacht, zumal sich die Redaktion um eine einfallsreiche Ästhetik bemüht.“ Im Unterschied zu „Galileo“ hätten die Formate des ZDF allerdings insgesamt einen strengeren Zugang zu Wissenschaft: „ProSieben würde eher fragen, warum der Himmel blau ist und die Banane krumm. Themen aus Bereichen wie Klimaforschung, Gentechnologie oder Ressourcennutzung findet man bei uns.“ Arens ist absolut überzeugt, dass das Fernsehen Wissen vermitteln kann – unter bestimmten Bedingungen: „Nur wer fasziniert ist, lernt auch. Also dürfen wir kein akademisches Programm machen, sondern müssen moderne Filme anbieten.“ Deshalb werden anspruchsvolle Themen in der ZDF-Reihe „Terra X“ (sonntags, 19.30 Uhr) mit Hilfe vieler Spielszenen attraktiv verpackt; auf diese Weise haben die Angebote mitunter mehr Ähnlichkeit mit einem Spielfilm als mit der klassischen Dokumentation. Ginge es nach Arens, müsste Wissensfernsehen noch stärker aufgewertet werden: „weil Wissen und Bildung neben Gerechtigkeit eine Pflichtleistung der Gesellschaft sind, und für diese Inhalte beim Fernsehen stehen zu dürfen, ist ein großes Privileg.“
Beitrag aus Heft »2009/05: Medienpädagogik international«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Dorothee Klemm: Wenn Träume fliegen lernen ...
Manch Kindertraum beginnt mit einem Vorbild auf der großen Kinoleinwand. Auch der kleine Carl Fredericksen schaut fasziniert die Wochenschau im Kino und folgt gebannt den abenteuerlichen Reisen des Forschers Charles Muntz (gesprochen von Karlheinz Böhm), der in den Regenwäldern Südamerikas nach einem Riesenvogel forscht. Das Publikum von OBEN wird mitgenommen, als Carls Lebenstraum geboren wird, es dem großen Abenteurer gleichzutun und einmal im Leben die gigantischen „Paradise Falls“ – Wasserfälle inmitten eines Bergplateaus – in Südamerika zu sehen. Was in den nächsten Minuten des Films folgt, ist ein kurzes, emotionsgeladenes Filmchen im Film. Im Zeitraffer folgt das Leben Carls vom kleinen, schüchternen Jungen bis zum betagten, grantelnden Rentner mit 78 Jahren. An seiner Seite von klein auf: Ellie – das freche Mädchen aus der Nachbarschaft, das denselben Forscher- und Abenteuerdrang wie Carl in sich trägt und mit ihrer taffen Art schnell das Herz von Carl und allen Kinobesucherinnen und -besuchern erobert. Sie lernen sich kennen und mit den Jahren lieben und der gemeinsame Lebenstraum, ein buntes Haus an den Paradise Falls zu haben, wächst in ihrer bescheidenen aber glücklichen Ehe. Ohne Dialoge kommen die farben-frohen, glückseligen und gefühlvollen Bilder vom Leben des alternden Ehepaars aus und können dennoch die Zuschauerinnen und Zuschauer in den wenigen Minuten schon so sehr fesseln, dass bereits kurz nach Filmstart eine heimliche Träne oder zumindest Gänsehaut bei Jung und Alt nicht verwunderlich wäre, wenn Ellie und Carl der zweite sehnlichste Wunsch der Fredericksens, Kinder zu bekommen, verwehrt bleibt oder Jahre später letztendlich Carl als 78-Jähriger alleine und deprimiert mit einem Luftballon in der Hand nach Krankheit und Tod von Ellie Abschied nehmen muss. Mit Ellies Leben verblasst nicht nur die Lebensfreude des Rentners, auch die Farben im Film nehmen kurzzeitig die tristen Töne seiner Seele an. Aus dem ehemals fröhlichen Luftballon-Verkäufer ist ein grummelnder, einsamer Witwer geworden, der sich vehement dagegen weigert, in ein Altersheim „abgeschoben“ zu werden, schließlich helfen ihm Treppenlift und Gehhilfe ja über die Gebrechlichkeiten des Alters hinweg – letztere wird sich im weiteren Verlauf des Films noch auf manche witzige Art und Weise als Lebensretter erweisen. Doch der gemeinsame Abenteuertraum lebt auch nach Ellies Tod im Witwer weiter. Das „Abenteuer-Buch“ von Ellie mit dem unerfüllten Versprechen, auf große Reise zu gehen, erinnert ihn stetig daran. Aber Versprechen sind dafür gemacht – das weiß auch jedes Kind, das mit seinen Eltern in den Kinosesseln den Grantler schon lieb gewonnen hat – gehalten zu werden. Deshalb packt Carl die Abenteuerlust und er nutzt die letzte Chance, vor der „Residenz für Alte“ zu fliehen und startet sein großes Projekt „Paradise Falls“: Mit Tausenden kunterbunten Luftballons am Kamin befestigt hebt Carl mitsamt seinem Haus ab und fliegt, die irritierten Pfleger und die Welt unter sich zurücklassend, fröhlich und befreit Richtung Südamerika. Im Gepäck nur seinen Hausrat, Ellie in seinem Herzen („Wir sind unterwegs, Ellie!“) und den sehnlichsten Wunsch, den gemeinsamen Lebenstraum zu verwirklichen. Doch mit der Vorfreude ist es schnell vorbei. Denn Russell, ein achtjähriger, pausbäckiger Pfadfinder, den Carl bereits auf Erden vergeblich versucht hat, abzuwimmeln, ist als blinder Passagier und selbsternannter Wildnis-Forscher mit an Bord. Die Abenteuer- und Entdeckerlust des quasselnden Scheidungskindes stößt beim grimmigen Alten schon schnell auf taube Ohren: Ist der Kleine ihm zu nervig, schaltet er einfach sein Hörgerät aus. Eine unterhaltsame und amüsante Reise kann beginnen... Die erste Bewährprobe für die Beiden lässt nicht lange auf sich warten und so gibt ein schweres Gewitter einen Vorgeschmack auf all die Gefahren und Probleme, die das ungleiche Duo noch gemeinsam durchstehen muss. Zumindest haben sie ihr Ziel, Paradise Falls, vor Augen, nachdem sie der Sturm unsanft auf dem nahe gelegenen Bergplateau absetzt. Doch das Berg-massiv muss erst mal überwunden werden – zu Fuß, das Haus im Schlepptau. Was da nur hilft, ist Zusammenhalt. Für den Rentner ist das nicht immer einfach, denn der tollpatschige Pfadfinder raubt ihm mit seinen Einfällen zusehends den letzten Nerv. Verstärkung im Geduldsspiel gegen Carl bekommt Russell vom kunterbunten Riesenvogel Kevin, der eigentlich ein Weibchen ist und Schokolade ebenso liebt wie Russell. Komplettiert wird das kuriose Trio noch durch den liebenswerten Golden Retriever Dug, der dank eines High-Tech-Halsbands sprechen kann (Dirk Bach). Russell schließt, im Gegensatz zu Carl, die beiden lustigen Tiere sofort in sein Herz, ohne zu wissen, dass dadurch, neben all dem kommenden Spaß so manche Gefahr für die Vier lauert. Ärger ist quasi vorprogrammiert: Mitten im Regenwald, umringt von einem Rudel mehr oder weniger böser Hunde, stößt das Quartett auf das Herrchen der sprechenden Meute, Carls Vorbild aus frühen Kindertagen, den skrupellosen Charles Muntz, der immer noch den Riesenvogel (Kevin) sucht und mittlerweile gar nicht mehr so freundlich ist, wie noch in Carls Kindheitserinnerungen. Es folgen spannende Szenen und witzige Aben-teuer im Regenwald, an denen die „ungewöhnlichste Zweckgemeinschaft des Dschungels“ immer wieder an ihre Grenzen gerät und die Erfüllung Carls Traums zeitweise in unerreichbare Ferne rückt. Harte Entscheidungen gegen eigentliche Pläne und festgefahrene Charakterzüge müssen getroffen werden. Der Held der kuriosen „Patchwork-Familie“ erkennt in stillen Momenten, dass die glückliche Ehe mit seiner Ellie mehr wert war als jede verpasste Abenteuerchance und erfährt dadurch mit jeder weiteren Herausforderung neue Lebenslust. „Man ist so alt, wie man sich fühlt“ könnte sein Motto lauten und so mutiert Carl im Showdown gegen Muntz schon fast wieder zum früheren Jungspund mit ungeahnten Kräften und später einem ungeahnt weichen Herz. Wer beim zehnten Film aus dem Hause Pixar und Walt Disney eine kitschige Disney Welt oder besser -Himmel erwartet, wird enttäuscht sein. Denn den Machern ist es gelungen, einen herrlich unterhaltsamen Familienfilm zu produzieren, der von Situationskomik, Abenteuerlust und Spannung gespickt ist, aber dennoch eine bewundernswerte Tiefe aufweist und Themen anschneidet, die bisher in Kinderfilmen eher tabuisiert wurden: Kinderlosigkeit, Tod, Trauer und Scheidung. Dies aber mit einer gekonnten Leichtigkeit, dass für Schwermut und Trübsal in den Zuschauerreihen kein Platz bleibt. Himmel und Erde, Trauer und Glück, Lachen und Weinen wechseln und erschaffen eine herzerwärmende, melancholische und bunte Geschichte über ein unterschiedliches Duo bzw. Quartett, das mit jeder Herausforderung stärker zusammenwächst. Der Film ist ein Plädoyer für wahre Freundschaften zwischen Generationen und zeigt außerdem, dass es sich lohnt, an eigenen Träumen solange festzuhalten, bis man irgendwann die Chance hat, ihnen doch noch Leben einzuhauchen – egal wie alt man ist. OBEN (Up)USA 2009, 96 MinutenRegie: Pete Docter, Bob PetersonDarsteller: Karlheinz Böhm (Charles Muntz), Dirk Bach (Dug), Fred Maire (Carl Fredricksen), Maximilian Belle (Russell)Produktion: Pixar Animation Studios/Walt Disney PictuesVerleih: Walt Disney Studios
Michael Bloech: Die Games Convention Online
Zum ersten Mal startete in Leipzig vom 31.07 bis zum 2.08.09 unter dem Titel Games Convention Online, Europas erste Messe für sogenannte Online Computerspiele. Nach dem konfliktträchtigen Wegzug der Games Convention von Leipzig nach Köln war eine Neuausrichtung notwendig, zumal die Veranstalter in Leipzig den Computerspielemarkt nicht kampflos nach Nordrhein-Westfalen ziehen lassen wollten. Natürlich geschieht so ein Neuanfang nicht ohne Blessuren, und auch die ursprüngliche Games Convention hat bekanntlich erst klein angefangen und erlangte dann erst im Verlauf ihres Bestehens im Jahr 2008 mit über 200.000 Besuchern und über 500 Ausstellern Kultstatus. So verwundert es nicht, dass der Start der GCO mit 43.000 Besuchern und 74 Ausstellern eher überschaubar und vielleicht ein wenig enttäuschend geriet. Allerdings haben auch sehr viele große Computerspielanbieter und Hardwareproduzenten den Weg zur neuen, in Gamescom benannten Messe nach Köln eingeschlagen. Um daher zukünftig mit der GCO bestehen zu können, sind von den Veranstaltern in Sachsen sehr große Anstrengungen erforderlich, um interessante aber auch bekannte Aussteller wieder für sich zu gewinnen, um damit die Attraktivität für ihre Messegäste und damit die Besucherzahlen zu erhöhen.Doch was sind eigentlich Online Computerspiele und macht es überhaupt Sinn diesen Teil aus der virtuellen Spielwelt herauszulösen? In erster Linie geht es bei Online Computerspielen ja nicht um Spiele, die aus dem Internet einfach nur heruntergeladen werden und auf dem heimischen Rechner installiert werden.
Vielmehr drehte sich bei der GCO alles vornehmlich um Spiele, bei denen der Spielverlauf nicht direkt auf den Festplatten des Rechners zu Hause erfolgt, sondern auf den Servern der Spieleanbieter. Keine schlechte Idee, denn hier scheinen sich große Zukunftschancen zu ergeben, da sich die Gamer, vernetzt mit anderen, in ständiger Interaktion befinden. Ein isoliertes Spielen findet dann definitiv nicht statt und die Spielmöglichkeiten werden interessanter und komplexer. Außerdem entfallen auf der Nutzerseite hohe finanzielle Investitionen in teure Computertechnik. Für Microsoft ist diese Verlagerung von Software auf eigene Server bereits seit längerem selbstverständlicher Bestandteil künftiger Firmenstrategie. Um ihre teuren Büroanwendungen besser, und nicht zuletzt geschützt vor unerlaubtem Kopieren, auf den Markt zu bringen, verfolgt der Softwareriese ähnliche Taktiken wie der Suchmaschinengigant Google, der ebenfalls Softwareprodukte, wie zum Beispiel Bildbearbeitungsprogramme, Online zur Verfügung stellt. Auch ist es für die Anbieter dann wesentlich einfacher Hackerattacken zu begegnen, da nicht die unzähligen Rechner der Nutzer geschützt werden müssen, sondern nur die relativ gut gesicherten Firmenserver. Hier wie dort wird kommerzieller Gewinn dann vornehmlich über Abonnementgebühren oder Werbung angestrebt. Dementsprechend versuchen viele browserbasierte Online-Spiele sich durch klassische Bannerwerbung zu finanzieren. So gesehen, ist es durchaus sinnvoll sich gezielt mit dem Markt der Online Computerspiele zu beschäftigen. Doch in Leipzig wurde noch mehr geboten: Weitere Schwerpunkte der Messe waren das „Mobile Gaming“, also kleine Handyspiele für die immer größer und höher auflösenden Handydisplays und das sogenannte „Case-Modding“, bei dem Computergehäuse durch aufwändige Umrüstungen in technisch-künstlerische Meisterwerke verwandelt werden.Konsequent wurde aber auch in Leipzig der Versuch unternommen die Online Spiele Community, oft in virtuellen Clans und Gilden der Fantasy-Rollenspiele organisiert, nicht nur virtuell, sondern auch real in Kontakt treten zu lassen. Ein eigens geschaffener Campingplatz direkt neben der Messe, Bandauftritte und diverse Sportmöglichkeiten sollten den überwiegend jungen Gästen neben dem Kennenlernen neuer Spiele, auch Abwechslung und Unterhaltung mit Gleichgesinnten bieten. Für pädagogische Fachkräfte und Familien wurde mit „Online4Family“ ein eigener Messebereich geschaffen, der Informationen für den sinnvollen pädagogischen Umgang mit Computerspielen anbot. Wie wichtig gerade dieser Bereich war, zeigte sich gleich nach Messestart, denn Online Spiele, vor allem wenn sie im Ausland produziert werden, haben durchaus oft Kompatibilitätsprobleme mit den deutschen Rechtsvorschriften. Jugendschutz im Internet ist zwar ein bekannt heikles Problem, dennoch sollte sich niemand davor drücken.
So gesehen war es nur konsequent, dass einige Anbieter ihre Spiele für jüngere Gamer unzugänglich machten, allerdings und das ist das eigentlich Traurige, erst nachdem es Beanstandungen gab und die Messe bereits begonnen hatte. Im nächsten Jahr sollte besonders auf diesen Aspekt vermehrt geachtet und eindeutige, strenge Regelungen getroffen werden. Hersteller aus Südkorea, die den größten Anteil der Aussteller auf der Messe bildeten, handelten zwar sofort und bauten viele ihrer Messestände um oder entfernten Tastaturen und Mäuse, aber dennoch war gut erkennbar, wie sehr sich Rechtsauffassungen unterscheiden können. Ein weiterer zentraler Punkt bei den Online Computerspielen, der in dem pädagogischen Bereich vermehrt diskutiert werden sollte, sind Probleme im Umfeld mit der Spieldauer. Denn es wird vermehrt bei den sogenannten „Massively Multiplayer Online Role-Playing Games“, kurz den MMORPGs, wie zum Beispiel World of Warcraft, deutlich, dass mit klassischen pädagogischen Empfehlungen nicht mehr gearbeitet werden kann. Jugendlichen beispielsweise die tägliche Verweildauer am Rechner zu limitieren, entpuppt sich als völlig unsinnig, da sich ein individueller Spielerfolg bei gemeinschaftlichen Online Rollenspielen nur in der Gruppe nach zeitlich intensiver Spielphase ergibt. Hier sind dringend Diskussionen notwendig, um dieses Problem transparent zu machen. Ein weiteres Problemfeld, das sich zum wiederholten Mal zeigte, lag in den finanziellen Aspekten der Online Spiele selbst. Nicht nur Abogebühren oder kostenpflichtige Spielerweiterungen können nämlich das reale Budget der Jugendlichen einschmelzen, auch das vermehrte Benutzen von virtuellem Geld im Spiel selbst und der Transfer zwischen virtuellem und realem Geld im Spielverlauf, können möglicherweise das Gefühl für den Umgang mit realen Finanzmitteln in einigen Fällen bei jungen Menschen beeinträchtigen, so die vielfach gehörte kritische Meinung. Dieses als Mudflation bezeichnete Themenfeld sollte dennoch ebenso relativiert werden, denn viele Gamer umgehen geschickt durch illegale „Hacks“ die Vorgaben der Hersteller. Damit wird es ihnen zum Beispiel auch möglich virtuelles oder reales Geld in den Spielverlauf einzuspeisen. Bei Onlinespielen, bei denen das Spiel auf den Servern der Anbieter gehostet wird, ist dies zwar wesentlich schwieriger geworden und vielfach werden auch von Gilden und Clans diese Vorgehen als unfair geächtet, dennoch finden sich im Netz überaus viele dieser als „Cheats“ bezeichneten kleinen Applikationen, um den Spielverlauf zu manipulieren.
Weiter diskutierbar sind natürlich die Inhalte der Spiele selbst, denn eins ist in Leipzig deutlich geworden: Die meisten Computer Online Spiele besitzen neben allen spielerischen Aspekten mehr und mehr narrativen Charakter und eine hohe ästhetische Finesse. „Brennende Ölfässer, verfeindete Streetgangs und du bist mittendrin“, so könnte ein Gangsterfilm beginnen, doch bei „Poisonville“ der Firma Bigpoint handelt es sich um ein browserbasiertes Computerspiel, das sich stark an den Klassiker „Grand Theft Auto“ anlehnt und neben guter dreidimensionaler Grafik eine ähnliche, actionreiche Handlung offeriert. Klar ist auch, dass klassische „Shooter“ vor allem männliche Gamer in ihren Bann zogen. Doch bei allen jugendschützerischen Aspekten, eins hat auch wieder die Messe gezeigt, die größten Attraktionen waren nicht virtuell, sondern eher real: Gewinn- und Geschicklichkeitsspiele besitzen noch immer wirklich hohen Unterhaltungswert. Und das sollte schließlich alle Jugendschützer und Medienskeptiker der Welt wirklich glücklich machen: bei den Computerspielbegeisterten Gästen, ob alt oder jung, war ein moderner „Hau den Lukas“ Stand der heimliche Renner der Messe.
Susanne Frenkel: Tötungsmotiv: absolute Verzweiflung
„Vielleicht solltest du einfach wegziehen und deinen Namen ändern und ein neues Kind bekommen“, schreibt Gary an seine Mutter. Gary ist tot, sein Freund Brendan liegt mit einem unheilbaren Hirnschaden im Koma. Was bleibt, sind ihre Abschiedsbriefe, Erinnerungen an ihren Amoklauf in der Schule ... und was noch? Morton Rhue, bekannt durch den Bestseller „Die Welle“, begibt sich mit dem Hörspiel „Ich knall euch ab!“ erneut in die Gefühls- und Gedankenwelt von Jugendlichen. In einer fiktiven Dokumentation erzählt er die Geschichte der Amokläufer Gary und Brendan auf besondere Art und Weise.
Denise Shipley, fingierte Herausgeberin des Hörbuchs und Garys Stiefschwester, recherchiert die Hintergründe des Amoklaufs und kommentiert die gesammelten Stimmen. 22 verschiedene Personen, die die Zuhörerinnen und Zuhörer niemals ganz zu erfassen vermögen, sind zu hören und die Vielfalt der Meinungen und Beobachtungen zeigt das ganze Ausmaß ohnmächtiger Hilflosigkeit. Eine Fülle von Erinnerungen stürzt auf die Zuhörenden ein und begräbt sie unter einem zunächst undurchdringlichen Geflecht von Stimmen. Aus den aneinandergereihten Aussagen von Eltern und Freunden, Mitschülerinnen, Mitschülern und Lehrkräften, Verwandten und Nachbarn entsteht eine ebenso real wie bedrückend wirkende Rekonstruktion der Gewalttat. Dabei kommen sowohl Täter als auch Opfer zu Wort. In Chat-Protokollen, E-Mails und Abschiedsbriefen werden die Charaktere nachgezeichnet und immer wieder verschwimmen die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld. Mobbing, Gewalt an Schulen, Waffengesetze und fehlende Aufmerksamkeit aber auch Ohnmacht der Lehrerinnen und Lehrer – kaum ein Thema bleibt unausgesprochen.
„Ich habe mehrere hundert Stunden lang Gespräche geführt, zugehört und gelesen. Aber das alles hat mir nicht geholfen zu verstehen...“ kommentiert Denise Shipley und wühlt weiter im dicken Nebel der Bestürzung, Wut und Verzweiflung, den die Tat von Brendan und Gary in der Middelton-Highschool verursacht hat. Durch die außergewöhnliche Aufbereitung gelingt es dem Hörbuch, einen besonderen Zugang zu einem facettenreichen Thema zu erschließen, ohne den moralischen Zeigefinger allzu sehr in die Höhe zu recken. Die einleitenden und abschließenden Kommentare sind hinreichend moralisierend. Dies bringt aber im Zusammenspiel mit der vielgestaltigen Handlung keinen Nachteil. Die fiktive Geschichte eignet sich über die Grenzen der Schule hinaus als Diskussionsgrundlage für Jugendliche ab 14 Jahren zu Themen wie Mobbing, Toleranz oder der Rolle von Medien. Die Sprachaufnahme ist in diesem Fall ein thematisch außergewöhnlich passendes und gelungenes Produkt und eine echte Alternative zum gleichnamigen Buch.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Große Politik ganz cool?!
Das ZDF ganz jung, MeinVZ ganz vernünftig und Politik ganz nah zum Anfassen. Was irgendwie klingt wie verkehrte Welt ist tatsächlich ein aktuelles Projekt von ZDF und MeinVZ: Politik für alle im Open Reichstag. Ganz im Sinne eines „offenen Parlaments“ und einer „offenen Gesellschaft“, wie das ZDF verlauten ließ – und zudem wohl ganz im geistigen Erbe des amerikanischen Wahlkampfes – lädt das Projekt auf seiner YouTube-Seite www.youtube.com/openreichstag Wählerinnen und Wähler sowie Politikerinnen und Politiker ein, sich online über Wahl und Qual, über große Politik und kleine Sorgen und auch sonst über alles, was man mit mehr oder weniger Mühe mit der Bundestagswahl in Zusammenhang bringen kann, auszutauschen.
Ankermann des Online-Wahlspektakels ist Ex-MTV-Moderator Markus Kavka, der im schicken Anzug versucht, den Spagat zwischen seriösem Politik-Berichterstatter und jugendlichem Zielgruppen-Fischer zu meistern. Der präsentiert den Wahlkampf hier in vier Etappen: In Phase eins drehte sich von 7. Juni bis 19. Juli beim Open Reichstag alles um die „Sonntagsfrage“: Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien stellten jede Woche eine Frage zu einem politischen Thema, die die Wählerinnen und Wähler dann per Videobotschaft beantworten und natürlich möglichst engagiert diskutieren sollten. Ausgewählte Antwort-Videos wurden zusätzlich im ZDF-Programm gezeigt. Ab 19. Juli startete das Projekt in die zweite, die „Deine Meinung“-Phase. Diesmal lösen prominente Partner die Politiker beim Themen-Stellen ab, die Nutzerinnen und Nutzer sind wie gehabt fürs Diskutieren zuständig. Bis 9. August müssen sie damit aber fertig sein, dann nämlich ist die Diskussionsrunde beendet, rien ne va plus. Jetzt werden im Open Reichstag noch einmal die wichtigsten Themen und Meinungen zusammengefasst präsentiert, damit sich auch all diejenigen für ein Kreuzchen entscheiden können, die vorher beim Diskutieren nicht zum Nachdenken gekommen sind.
Ab 16. September schließlich fragt der Open Reichstag: „Debatte, was nun?“ Während und nach der Wahl soll dann aktuell berichtet werden, mögliche Koalitionen werden vorgestellt und immer die neuesten Entwicklungen berichtet. Zusätzlich zeigt die Seite während des ganzen Projektes Beiträge aus ZDF-Sendungen zu aktuellen politischen Themen. Hintergrundinfos zu Politikerinnen und Politikern und ihren Parteien steuert das MeinVZ auf verlinkten Seiten bei. Die Überraschung des Jahres ist diese ‚Wahl 2.0’ eher nicht – nachdem schon im vergangenen Jahr der werdende US-Präsident Barrack Obama schier allgegenwärtig durch das Web geisterte. Und schließlich, betrachtet man die Beteiligung gerade der jungen Wählerinnen und Wähler bei der zurückliegenden Europawahl im – zugegebenermaßen nicht ganz fairen – Vergleich zu ihrer Beteiligung an diversen Social Communitys und Plattformen online, so drängt sich der Verdacht auf, dass das Internet irgendetwas hat, was die Politik nicht hat. Warum also nicht das eine mit dem anderen verknüpfen? Politik + Web 2.0 = begeisterte Jungwählerscharen bei der Bundestagswahl. So oder so ähnlich rechnet bzw. hofft wohl das ZDF. Und die Nutzerinnen und Nutzer rechnen mit. Sie klicken sich zwar nicht invasionsgleich, aber doch recht fleißig in den Open Reichstag und hinterlassen dort ihre Kommentare, Meinungen und Videobotschaften unterschiedlichster – politischer, inhaltlicher und qualitativer – Couleur. Natürlich ist der Versuch, den Wahlkampf in den neuen Medien schmackhaft zu machen, für die Organisatoren ein neuer und so wackeln sie teilweise doch etwas unbeholfen in Kinderschuhen durch ihr Projekt. Markus Kavka scheint nicht ganz genau zu wissen, wieviel Gramm Musiksender-Coolness und wieviel Gramm Heute-Themen-Seriosität den perfekten Web 2.0-Wahl-Teig geben und auch das jugendliche Handschrift-Design der Seite wirkt unecht, wenn der angestrengt jung gelayoutete Text seine Leserinnen und Leser inhaltlich siezt. Das merken auch die Besucherinnen und Besucher der Seite und kritisieren in den – leider am Rand etwas schmal geratenen und nicht thematisch sortierten – „Channel Comments“ abwechselnd das formelle Siezen und das „Fingerfarben-Design“, den denglischen Namen und den negativ belegten Begriff „Reichstag“, die Linken und die Rechten, das ganze Projekt und seine Kritiker. Überhaupt finden sich durchdachte und engagierte politische Aussagen hier neben stumpfen Parolen, Spaßbeiträge neben tiefsinnigen Gedanken – und auch, wenn nicht alle Beiträge wirklich sendetauglich sind, so zeigt das Kaleidoskop der Meinungen doch, dass offenbar ein buntes Grüppchen an unterschiedlichsten Besucherinnen und Besuchern seinen Weg auf die Seite findet. Ob ein genauso buntes und großes Grüppchen auch wieder seinen Weg von der Seite weg in die Wahllokale findet, bleibt abzuwarten und zu hoffen.
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Tilmann P. Gangloff: Wege zum Ruhm
„Man braucht zwanzig Jahre, um über Nacht zum Star zu werden“, heißt es im Showbusiness. Das gilt allerdings nur für die geregelte Karriere. Seit einigen Jahren bietet das Fernsehen mit den Casting-Shows eine höchst reizvolle Abkürzung. Die kürzlich zu Germany’s Next Topmodel“ gekürte Sara Nuru aus Erding bei München oder der aktuelle „Superstar“ Daniel Schuhmacher aus Pfullendorf am Bodensee brauchten nur wenige Wochen, um berühmt zu werden. Wie lange ihr Ruhm anhält, ist eine ganz andere Frage. Tatsache ist jedenfalls: Sie haben es geschafft, ihre Fans ein ganzes Frühjahr lang in Atem zu halten. Gerade unter jungen Zuschauerinnen und Zuschauern gehört es quasi zum guten Ton, über die jüngsten Entwicklungen bei Deutschland sucht den Superstar (DSDS, RTL) oder dem Topmodel-Casting (ProSieben) informiert zu sein.
Genau dies ist laut Bernd Schorb, Professor für Medienpädagogik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und Vorstandsvorsitzender des JFF – Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, der entscheidende Grund für die imposanten Zuschauerzahlen: „Man muss die Sendungen gesehen haben, um in seiner ‚Peergroup’, im gleichaltrigen Freundeskreis also, mitreden zu können.“ Junge Frauen nutzen Germany’s Next Topmodel seiner Meinung nach aber auch, um eine Identität aufzubauen: „Aussehen und Wirkung auf andere haben in diesem Alter eine große Bedeutung. In den Shows werden Entwürfe angeboten, mit denen man sich ohne jedes Risiko identifizieren oder die man ablehnen kann.“ Gewissermaßen Expertin für dieses von Medienpsychologen „parasoziale Interaktion“ genannte Phänomen ist Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) München. Ihre Forschungen befassen sich seit vielen Jahren mit den Fernsehvorlieben von Kindern und Jugendlichen. Bislang suchten sich gerade weibliche Teenager ihre Vorbilder vor allem in sogenannten Daily Soaps wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten (RTL). Die Castingshows haben den täglichen Serien etwas den Rang abgelaufen.
Für Götz hängt das vor allem mit dem Wertewandel der Zielgruppe zusammen: „Vor zehn oder zwanzig Jahren wären diese Sendungen längst nicht so erfolgreich gewesen wie heute. Seither sind die sozialen Ängste der Jugendlichen enorm gewachsen. Ihre Perspektiven sind ungewiss; sie müssen damit rechnen, dass sie den sozialen Status ihrer Eltern wahrscheinlich nicht erreichen werden.“ Tatsächlich sind die Unterschiede etwa zu den Achtzigern enorm. Ein gewisser Markus Mörl hat das Lebensgefühl jener Jahre durch seinen Schlager Gib Gas, ich will Spaß auf den Punkt gebracht. Mit ihrer Leistungsorientierung führen heutige Jugendliche ein deutlich konservativeres Dasein. Und da dieses Leistungsprinzip auch die Castingshows dominiert, dienen sie dem jungen Publikum quasi als Schule fürs Leben. Maya Götz hat allerdings festgestellt, dass die deutschen Formate im Gegensatz etwa zu den britischen oder amerikanischen Versionen extrem auf die zentralen Figuren Heidi Klum und Dieter Bohlen zugeschnitten sind: „Beide werden wie Meisterin und Meister präsentiert, was die Teilnehmer und damit auch die jungen Zuschauer automatisch zu Lehrlingen degradiert.“ Die Inszenierung gerade von DSDS unterstütze diesen Eindruck: „Auf diese Weise wird überzeugend nahegelegt, dass es gar keine Alternative zu den Deutungsmustern von Bohlen geben kann.“ Gerade Bohlen sorgt mit seinen verächtlichen Äußerungen zudem immer wieder für Empörung. Bernd Schorb hält dieses Verhalten des Musikproduzenten und früheren Popstars für höchst problematisch.
Der Pädagoge fürchtet, Bohlens Beleidigungen könnten zu einer „Entgrenzung“ führen: „In einer ohnehin verunsicherten Lebensphase fragen sich Jugendliche, denen es auf dem Schulhof ähnlich ergeht wie Bohlens Opfern, ob sie sich überhaupt gegen diese Erniedrigungen wehren dürfen, schließlich scheint so ein Verhalten ja ganz normal zu sein, wenn es im Fernsehen vorgemacht wird.“ Jan-Uwe Rogge, einer der bekanntesten Erziehungsberater des Landes, hat allerdings „kein Verständnis für die Arroganz und Besserwisserei mancher Erwachsenen, die vor Jahrzehnten selber ‚Bravo’-Poster in ihren Zimmern aufgehängt und von einer Karriere als Popstar oder Mannequin geträumt haben.“ Rogge attestiert den Castingshows nicht nur handwerkliche Professionalität: „Sie gehen sehr konsequent auf latente Bedürfnisse und Sehnsüchte der Pubertierende ein.“ Natürlich würden die Teilnehmenden „mehr oder minder vorgeführt, aber genau das ist ja Teil der Inszenierung: Die Zuschauerinnen und Zuschauer fiebern, ja leiden mit ihnen. Sie sind Identifikationsobjekte, in die man eigene heimliche Wünsche legen kann.“ Irgendwann sei diese Zeit dann vorbei; wie sich ja auch heutige Eltern an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung endgültig von ihrer Bravo-Phase verabschiedet hätten.
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Dorothee Klemm: HOME
Rauchende Vulkane, glitzernde Eisberge in tiefblauem Polarmeer, türkisfarbene Korallenriffe, goldgelbe Felder und sattgrüne Wiesen, wandernde Tierfamilien und gigantische Wasserfälle – beeindruckende Bilder circa 90 Minuten lang aneinander gereiht, untermalt von rührseliger Musik. Der Flug über die Erde im Dokumentarfilm HOME zeigt Mutter Natur in ihrer ganzen Vielfalt und Einzigartigkeit, in einem Gleichgewicht, in dem sie sich vier Milliarden Jahre befunden hat – bevor der Mensch auf die Erde kam. Die Aufnahmen sind durchwegs aus der Vogelperspektive gefilmt, das Charakteristikum des eigentlichen Fotografen Yann Arthus-Bertrand, um die Schönheit unseres ‚Zuhauses’ noch bewusster hervorzuheben. Im Kontrast zu den ergreifenden Naturbildern stehen Aufnahmen, die die Verletzlichkeit des Planeten offenbaren, so wie ihn der Homo Sapiens, der „weise, vernunftbehaftete“ Mensch in den letzten 200.000 Jahren seines Daseins verändert und aus der Balance gebracht hat: brennende Wälder, smogverhangene Megacitys, verstopfte Straßen, überdimensionale Müllberge, Erdölraffinerien, schmelzende Eisberge. Jedoch mitunter aus der Luft so in Szene gesetzt, dass sich manch schillerndes Farbenspiel erst bei längerem Hinsehen und gezoomt als abstoßender Ölfilm oder anderweitige Umweltverschmutzung entpuppt. Erschreckend-schön ...
Kalt lässt es wohl auch niemanden, wenn man hinter den dunklen Schwaden einer Luftaufnahme nach ein paar Sekunden Hungernde erkennt, die in dampfenden Mülldeponien Essbares oder anderes Verwertbares suchen. Arthus-Bertrand spielt fast 80 Minuten lang mit diesen Gegensätzen. Die bestechende Schönheit und die Zerbrechlichkeit unseres Planeten auf der einen Seite und andererseits das, was der Mensch seinem Zuhause durch sein unüberlegtes Handeln, seiner Gier nach Luxus und Wohlstand bisher angetan hat. Der Fotograf lässt atemberaubende Bilder in seinem Flug über die Erde sprechen, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen und aufzurütteln. Des Öfteren mag man fast an der Echtheit der Aufnahmen zweifeln, so unnatürlich schön sind sie. Doch manchmal wäre es sicherlich besser gewesen, die Aufnahmen kommentarlos für sich stehen und wirken zu lassen. Aber dies ist den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht vergönnt. Der eindringliche Tonfall der englischen Kommentatorin (Glenn Close) in der Internetfassung mit dem Tenor, der ach so weise Homo Sapiens sei durch seine unvernünftige Lebensweise schuld an der ganzen Misere, erzeugt auf Dauer bei manchen Beobachterinnen und Beobachtern vermutlich den Eindruck einer 90-minütigen Moralpredigt.
In der deutschen Fernsehfassung ist dies besser gelungen, da der Sprecher in einem weniger emotional überladenen Ton – wie es für Dokumentarfilme üblich ist – die Reise über 53 Länder der Erde neutraler kommentiert. Schuldbewusstsein ruft dennoch auch die deutsche Fassung hervor. Zusammen mit der bewusst eingesetzten schwülstigen Musik ergibt sich aber in beiden Versionen vor allem gegen Ende des Films ein starkes Abgleiten in die Pathetik, wenn beispielsweise zu den Klängen Vivaldis „Cum Dederit“ (Psalm 126) in weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund die Fakten des momentanen Zustands der Erde aufgelistet werden. Mit erhobenem Zeigefinger wird dem Publikum immer wieder vor Augen geführt, dass es als Verursacher der Misere nur noch zehn Jahre Zeit hat, die von ihm angestiftete Apokalypse zu verhindern. Doch konstruktive Vorschläge, wie fortschreitender Klimawandel und Umweltzerstörung aufzuhalten sind, fehlen bis zu diesem Zeitpunkt des Films völlig. Der Mensch wird aufgefordert, sich zu ändern, aber wie er dies tun soll, bleibt ihm vorenthalten. Seinen theatralischen Höhepunkt erreicht der Film in den letzten zehn Minuten, wenn der Kommentator in die Rolle des Fotografen schlüpft. Er berichtet von Flüchtlingslagern und Mauern, die er gesehen hat, von der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich. Aber noch gäbe es Hoffnung, das Schicksal abzuwenden, denn jeder Mensch könne einen Beitrag leisten. Der filmprägende Satz, „Es ist zu spät, um Pessimist zu sein!“ wird besonders in dem Teil des Filmes ermüdend oft erwähnt, in dem Arthus-Bertrand verheißungsvolle Maßnahmen aufzeigt, die Mensch und Natur in Einklang bringen sollen. Hier finden sich auch erstmals positive Beispiele: Die Verwendung erneuerbarer Energien, Nationalparks, Windräder, Seeschlangen und Solaranlagen geben ihm Anlass zur Hoffnung, zumindest in kleinen Schritten dem Untergang der Welt entgegenzutreten. „Wichtig ist nicht, was verloren ist, sondern was bleibt!“ Und so legt er das Schicksal der Zuschauerinnen und Zuschauer in deren eigene Hände und fordert sie auf, nicht länger tatenlos zuzusehen. Denn „wir schreiben die Fortsetzung unserer Geschichte – gemeinsam.“ So anmutig, ergreifend und beeindruckend die Bilder in der Dokumentation von Yann Arthus-Bertrand auch sind und so bedeutend die Thematik Umweltschutz ist, etwas weniger Pathos und gehobene Zeigefinger-Mentalität hätten dem Appell des Films „Rettet die Umwelt!“ und dessen Erfolg wohl keinen Abbruch getan. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, Home anzusehen. Schon alleine wegen der atemberaubenden Bilder, egal ob zu Hause im Fernsehen, im Internet oder im Kino, wo sie vermutlich am besten zur Geltung kommen.
Doch nicht nur für den privaten Gebrauch, gerade auch aus schulischer Sichtweise, zum Beispiel in den Fächern Erdkunde, Biologie oder Ethik, kann der Film – eventuell aufgrund der Länge gekürzt – einen wertvollen Beitrag zum Verantwortungsbewusstsein von Schülerinnen und Schülern gegenüber unserem Planeten leisten. Der Dokumentarfilm Home will aufrütteln, und zwar alle Menschen, egal ob alt oder jung. „Jeder Einzelne muss an dieser gemeinsamen Anstrengung teilnehmen; und um so viele Leute wie möglich darauf aufmerksam zu machen, habe ich den Film HOME gedreht.“, begründet Arthus-Bertrand den Film. Um dies zu erreichen ging er zusammen mit dem Regisseur Luc Besson (Das fünfte Element) einen Weg, der in der Mediengeschichte bisher einmalig ist. Der Film sollte in fast allen Medien weltweit zur gleichen Zeit erscheinen. Neben der normalen Ausstrahlung in einzelnen Kinos fand die Weltpremiere online auf dem Videoportal YouTube statt. Pünktlich um 0 Uhr am 05. Juni 2009, dem Welt-Umwelttag – ein passenderes Datum hätte man für die Veröffentlichung wohl nicht finden können – hatte „die Welt ein Date mit dem Planeten“: Da stand der Film in voller Länge für Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern in mehreren Sprachen, leider nur als Untertitel, zur Verfügung. Dieses Novum in der Filmgeschichte wurde nochmals dadurch verstärkt, dass am selben Tag zusätzlich die DVD erschien, eine eigene Internetpräsenz startete (www.home-2009.com), einige Fernsehsender den Dokumentarfilm in ihr Programm aufnahmen und in größeren Städten Public Viewing-Veranstaltungen Publikumsmassen anlockten. Hoffen wir, dass Arthus-Betrand mit seinen einzigartigen Bildern die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht zu sehr verzaubert, sondern wirklich aufrüttelt. Denn wie wir spätestens nach dem Film wissen, es ist zu spät, um Pessimist zu sein!
Home Frankreich 2009, ca. 90 Minuten (Internet-, DVD-, TV-Fassung)
Regie: Luc Besson, Yann Arthus-Bertrand
Verleih: Universal Pictures Germany
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor:
Dorothee Klemm
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Dorothee Klemm: Lagerfeuerromantik und Bauhausgezanke von Mitte bis Ende August
Ein Sommermorgen in der Großstadt. Thomas (Milan Peschel) wacht auf, dreht die Anlage auf und tanzt ausgelassen durch die Wohnung, während seine Freundin Hanna (Marie Bäumer) wohl eher zum Typ ‚Morgenmuffel‘ gehört und ihm stumm, aber liebevoll die Zahnbürste reicht. Kleine Gesten und Rituale, die die Liebe und Zärtlichkeit des glücklichen Pärchens wortlos aber deutlich zeigen. Ihr Glück scheint perfekt: Mitte Ende August scheint die Geschichte zweier junger Menschen, die sich trotz oder wegen ihrer Gegensätze lieben und deren Romantik nichts stören kann. Um der sommerlichen Großstadthitze zu entfliehen und das gemeinsame Glück noch zu steigern und ungestört zu genießen, kaufen die Mittdreißiger ein Landhaus in aller Abgeschiedenheit. Das Haus stellt sich als heruntergekommen und renovierungsbedürftig heraus. Doch Hanna und Thomas freuen sich auf die Aufgabe, auch wenn sie bald feststellen müssen, dass neben Lagerfeuerromantik, Harmonie im Kerzenschein und Federball spielen in der Natur ihre Fähigkeiten in Sachen Renovierung stark begrenzt sind. Manch ein Besuch im kilometerweit entfernten Baumarkt stellt auch eine Bewährungsprobe für die Beziehung dar. Die anfänglich nur zu erahnenden Gegensätze formieren sich in mancher Baumarkt-Szene zu deutlichen Meinungsverschiedenheiten, in denen Hanna meist schweigend nachgibt („Schön, dass du (!) glücklich bist!“). So auch bei Thomas‘ Vorhaben, eine tragende Wand einzureißen, ohne sich über mögliche Konsequenzen Gedanken zu machen. Mit einem Vorschlaghammer macht er sich an die Arbeit, die Wand – und damit vielleicht auch seine Beziehung – zum Einsturz zu bringen. Die Zweisamkeit der Verliebten wird immens gestört, als Friedrich (André Hennicke), Thomas‘ älterer Bruder telefonisch um Asyl bittet und Thomas ihn ohne zu zögern einlädt, nachdem dieser von Frau, Kind und Architektenjob verlassen wurde. Nach einer handfesten Diskussion – schließlich hatte sich das Paar einsame Tage versprochen – besinnt sich die wütende Hanna jedoch auf das architektonische Können ihres Schwagers und lässt sich umstimmen, nicht ohne dann selbst für einen weiteren Gast zu sorgen.
Sie lädt ihre junge, quirlige Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) ein, die mittlerweile doch schon sehr erwachsen ist. So wird aus der trauten Zweisamkeit erst ein Trio, dann ein Quartett voller Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Die ersten Tage laufen harmonisch: Man lacht viel, scherzt, schwimmt im See, genießt die Abende weinselig im Kerzenschein und kocht gemeinsam. Auch die Renovierungsarbeiten gehen durch Friedrichs Pläne gut voran und es scheint möglich, das Haus an Hannas nahendem Geburtstag gebührend zu feiern. Trotz der Harmonie und Ausgelassenheit entgeht es aber wohl niemandem, dass sich die Beziehungen verschieben. So finden sich immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen Augustine und Thomas, der bei ihr endlich das Kind im Manne herauslassen und seiner Liebe zu McDonald’s nachgehen kann und wie ein Teenager, an manchen Stellen fast schon peinlich, um die Gunst der jungen, scheinbar Unschuldigen buhlt. Die reife Hanna dagegen fühlt sich bei Friedrich aufgehoben, der mit seiner ruhigen und ernsten Art ihren nachdenklichen und erwachsenen Zügen entspricht. Und so kommt es, wie es kommen muss und wie es wohl alle Kinobesucherinnen und -besucher schon geahnt haben. Die Spannungen zwischen Hanna und Thomas werden größer, man sucht die Nähe der anderen und flieht zu ihnen – zunächst in Gedanken, später im Rausch der Gefühle und Joints auch in Wirklichkeit. Es kommt zum Eklat und letztendlich stehen Thomas und Hanna wieder alleine vor ihrem Haus. Das Haus renoviert – ihre Beziehung in Trümmern. Doch vielleicht müssten auch sie in ihrer Beziehung nur wieder eingerissene Wände neu aufbauen?
Wer sich bei der einstigen Idylle auf dem Lande, der Viererkonstellation, den Renovierungsarbeiten und dem Beziehungswirrwarr von Mitte Ende August an Goethes Werk Die Wahlverwandtschaften erinnert, hat im Deutschunterricht gut aufgepasst. Denn der Regisseur des F ilmes, Sebastian Schipper, hat sich den Klassiker als Grundmauer seines Filmes hergenommen, um darauf seine eigene, leichte und lockere Adaption aufzubauen. Schippers Film, der am 30. Juli in die Kinos kommt, wirkt weniger durch gesprochene Worte, denn gerade die langen Dialoge wirken oft gestelzt und sperrig. Was den Film ausmacht, sind die kleinen Gesten und Mimiken der Darstellerinnen und Darsteller, Momentaufnahmen von Natur und Protagonisten. Man erfährt nicht viel über sie und kann manch unverständliches Verhalten nur aus bedeutungsvollen Blicken erklären. Auch die eigens für den Film komponierten Gitarrenklänge des US-amerikanischen Sängers und Komponisten Vic Chesnutt tragen einiges dazu bei, den schwelenden Konf likt zwischen den Akteuren ohne große Worte eindringlich anzukündigen. Wer sich ein tiefgehendes Drama von Mitte Ende August erwartet und hofft, pedantische Vergleiche zwischen dem Film und Goethes Wahlverwandtschaften ziehen zu können, wird wohl enttäuscht werden. Doch wer sich von der Einmannshow Peschels mitreißen lässt und sich einlässt auf ein leichtes Sommerdrama, das in den kleinen und stillen Momenten überzeugt, der wird sich in mancher Baumarktszene wiedererkennen, leise schmunzeln und bestätigen, dass es ganz schön kompliziert ist, eine Beziehung am Leben zu erhalten.
Mitte Ende August
Deutschland, 2009, 93 Minuten
Regie: Sebastian SchipperDarsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss, Agnese Zeltina
Produktion: Film 1 GmbH + Co. Berlin
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor:
Dorothee Klemm
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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mit Brainmonster zum Weltenretter und Mathekönig
Das Land Trillion ist mit einem Bann belegt! Überall hat der böse Magier Godron Unheil und Chaos gestiftet und jeder mutige Held, der es beseitigen will, wird mit kniffligen Aufgaben traktiert, die es zu lösen gilt. Da reicht kein weißes Ross und kein scharfes Schwert, um den schlauen Zauberer zu besiegen – ein Held mit hellem Köpfchen muss her, um Trillion zu retten. Einer wie Bernard oder Celestine, oder der freche Drache 2weistein.Natürlich ist Trillion kein echtes Land auf dem Planeten Erde, sondern eine virtuelle Welt: 2weistein – das Geheimnis des roten Drachen heißt das Spiel, in dem sich alles um Godrons finstere Pläne dreht. Es kommt aus dem Hause Brainmonster, geistert seit 2008 durch die Computerspielewelt und hat dort auch schon abenteuerliche Fußstapfen hinterlassen: Das österreichische Spiele-Magazin GAMINGXP etwa kürte es zum „Kinderspiel des Jahres 2008“, bei TOMMI, dem deutschen Kindersoftwarepreis, rätselten und kniffelten sich 2weistein und Co. auf Platz zwei und der Pädagogische Interaktivpreis Pädi sowie die Österreichische Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen BuPP versahen das Adventuregame auch gleich noch mit ihren Gütesiegeln. Doch 2weistein hat noch mehr zu bieten als ein paar protzige Siegel auf der Verpackung. Wer Bernard und Celestine aus ihrer CD-Hülle befreit und in Trillion laufen lässt, begibt sich damit tatsächlich mitten in ein aufregendes Abenteuer.Immer neue Orte mit spannenden Aufgaben warten auf unerschrockene Spielerinnen und Spieler, die die Welt hüpfend und rennend erkunden und furchtlos retten. Manchmal müssen nur Kürbisse eingesammelt, manchmal auch harte Kämpfe mit den Gegnern ausgefochten werden – und natürlich muss immer wieder gerechnet, geknobelt, gezählt und kombiniert werden, um ans Ziel zu kommen und beispielsweise von Geisterhand verschlossene Türen wieder zu öffnen. Dabei ist von einfachen Zählaufgaben über Addition und Subtraktion bis zu verzwickten Knobelrätseln die ganze mathematische Palette dabei, die Grundschulkinder können könnten oder sollten. Nicht umsonst sind die Aufgaben in 2weistein an den Grundschullehrplan angepasst und eignen sich deshalb gut, um ganz nebenbei und fast unbemerkt auch noch in der Schule zum Mathekönig bzw. zur Mathekönigin zu werden.
Großer Pluspunkt ist hier auch die Möglichkeit, verschiedene Schwierigkeitsstufen zu spielen, so dass schon Siebenjährige Erfolgserlebnisse einfahren können und trotzdem auch Zehnjährige das Spiel nicht gelangweilt zu den Bibi Blocksberg-Kassetten schieben. Doch mathematische Aufgaben allein, mögen sie noch so viele Schwierigkeitsstufen haben, begeistern vermutlich bestenfalls Eltern und Pädagoginnen bzw. Pädagogen – die jungen Spielerinnen und Spieler selbst legen wohl andere Kriterien an ein Spiel. Bei Brainmonster scheint man das zu wissen: Trotz hoher pädagogischer Ansprüche kommt 2weistein nicht als halbherzig auf ‚cool’ getrimmtes Lernprogramm daher, sondern bietet sozusagen Spiel, Spaß und Spannung in einem. Trillion ist eine sinnvoll und ansprechend gestaltete Welt, in der es wirklich etwas zu entdecken und erleben gibt und in der man gerne unterwegs ist. Die Figuren sind kindgerecht und liebevoll gemacht und bieten dem Nutzer bzw. der Nutzerin an Tastatur oder eigens gestaltetem und (gegen Aufpreis) mitgeliefertem Gamepad viele Möglichkeiten zur Bedienung, statt stur von einer Aufgabe zur nächsten zu laufen. Die einzelnen Spiele werden verständlich erklärt, die Bedienung erschließt sich intuitiv und muss höchsten den jüngsten Abenteurerinnen und Abenteurern erklärt werden.
Für gelöste Aufgaben schließlich gibt es Lob und Anerkennung. Auch die Aufgaben selbst präsentieren sich nicht wie ungeliebte Mathe-Schulaufgaben sondern noch als kleine Spiele, in denen man beispielsweise auf richtige Lösungen springen oder Truhenschlösser knacken muss. Ein richtig spannendes Adventure mit Freizeitwert und Lerneffekt in einem also, das Kinder, Eltern und Lehrkräfte glücklich macht – und am Rande bemerkt bietet das Spiel sozusagen als Schmankerl sogar noch eine Optimierung für PC und Mac. Scheinbar eine wahrhaftige eierlegende Wollmilchsau unter den Computerspielen, die Brainmonster da für 39,99 €, mit Gamepad für 49,99 € anbietet. Obendrein schickt Brainmonster für alle Eltern, die nicht nur kluge Spiele kaufen, sondern selbst auch noch etwas lernen wollen, in der ausführlicheren „Trainigsversion“ des Spieles für 98 € nicht nur ein paar zusätzliche Levels sondern auch noch ein „Fachbuch“ mit, in dem theoretische und pädagogische Hintergründe zum Spiel, Wissen über Lerntheorien, aber auch AD(H)S und Dyskalkulie angeboten werden. Da bleiben keine Fragen, Wünsche und Matheschwächen offen.
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Elisabeth Jäcklein: Geschichten aus dem Leben
Familien tummeln sich auf Mattscheiben aller Art mit Vorliebe: Von den putzig-netten Flintstones über die schräg-frechen Simpsons und die hilflos-doofen Ludolfs bis zu den tragisch-komischen Windsors gibt es Eltern, Kinder und Anverwandte anscheinend in allen Farben, Formen und Ausführungen. Dazu kommen diverse ‚Eintags’-Familien diverser Namen, die allabendlich bei den öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern auf der Suche nach dem Glück ihre kleinen und großen Abenteuer bestreiten. Wenigstens im Kino will man da doch von banalem Familienglück und -leid verschont bleiben und große Filme über große Themen sehen – oder?Rémi Bezancon sieht das wohl anders und präsentiert seit dem 23. April auch in deutschen Kinos ganz unverdrossen ‚seine’ Familie Duval. Unter dem eher betulich wirkenden Titel C’est la vie – so sind wir, so ist das Leben schickt er die ‚ganz normale’ Familie auf die ganz große Leinwand und will damit ganz viele Zuschauerinnen und Zuschauer begeistern. Ganz schön gewagt.Und tatsächlich: Familie Duval ist nichts Besonderes – eher richtig normal. Der Taxi fahrende Familienvater Robert kämpft zeitlebens um die Liebe seines unterkühlten Vaters, die taffe Mutter Marie-Jeanne lässt sich zwar nicht von ihren pubertierenden Kindern, wohl aber von ihrem unaufhaltsamen Älterwerden beeindrucken, während die Kinder Albert, Raphaël und Fleur jedes auf seine eigene Art die kleineren und größeren Probleme auf dem Weg zum Erwachsenwerden ausfechten. Dazu bietet Bezancon noch nicht einmal eine tolle Verpackung – die Hauptdarsteller wirbeln nicht mittels Special Effects in Zeitlupe durch die Lüfte, es gibt keine dramatische Opernmusik und auch keinen effekt-heischenden zeitgeschichtlichen oder geografischen Hintergrund. So weit, so unspektakulär, derselbe Film läuft wohl in vielen mitteleuropäischen Häusern täglich live.Doch bekanntlich ist nicht alles Gold was glänzt – und manchmal verstecken sich die schönsten Perlen da, wo es am wenigsten glitzert. Die Duvals zumindest haben bereits in den ersten Minuten einen Charme, der den Zuschauer sofort fesselt und bis zum Ende nicht loslässt. Nur fünf ausgesuchte Tage innerhalb von zwölf Jahren ihres Lebens verbringt man mit ihnen, aber fünf Tage, nach denen nichts mehr ist wie vorher: Der Tag, an dem Albert, der Älteste, auszieht und das erste Loch in die heile Familie reißt – jetzt gilt es für alle, ihre Plätze neu zu sortieren. Und das nicht nur am Esstisch. Der Tag, an dem Fleur, die Jüngste, 16 wird und beschließt, erwachsen zu sein – inklusive erstem Mal und erbitterter Feindschaft gegen die allzu coole Mutter. Der Tag, an dem Raphaël seinen Großvater und Seelenverwandten verliert und dafür langsam beginnt, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Der Tag, an dem Marie-Jeanne den verzweifelten Kampf gegen ihr Alter aufnimmt. Und schließlich der Tag, an dem Robert erfährt, dass seine Tage gezählt sind. Nur fünf Tage, fünf Wendepunkte im Leben der Familie und ihrer Mitglieder – und doch kommt einem die Familie in diesen fünf Tagen so nah, als kenne man sie ein Leben lang. Man schmunzelt mit Robert und seinem hinreißend feinsinnigen Humor, verzweifelt mit Marie-Jeanne in ihrer so liebenswert starken und doch so verletzlichen Art, grübelt mit Albert über das Leben an sich, im Großen, Ganzen, Kleinen und Halben, lacht von Herzen mit Raphaël, der die Welt mit seinem unbeeindruckten Phlegma ganz einfach nicht ernst nimmt und weint bitterlich mit Fleur, die mitten im Gefühlschaos manchmal zu ertrinken droht. Und immer lacht, weint, grübelt oder schmunzelt man dabei über das eigene Leben, die eigenen Erinnerungen und Erlebnisse, die unweigerlich wachgerufen werden. Nicht umsonst wurde die tragisch-komische Geschichte der tapferen Familie zum Überraschungserfolg in Frankreich und für insgesamt neun Césars nominiert. Denn die fünf Charaktere sind so alltäglich, so normal in ihren Hoffnungen und Ängsten, ihren Freuden und Nöten, dass sich wohl wirklich jeder und jede in ihnen finden kann. Und auch wenn natürlich jede Familie anders ist und sich überall andere Szenen abspielen – die Emotionen und Muster bleiben doch dieselben. Und so ist C’est la vie eine hinreißend ehrliche und berührende Hommage an die Familie, die eindrücklich vor Augen führt, dass es manchmal ganz schön schrecklich und doch meistens ganz schrecklich schön ist, eine Familie zu haben.Vielleicht hat der Film keine millionenschwere Kulisse oder oscarverdächtige Effekte. Vielleicht besteht die Besetzung zu einem beachtlichen Teil aus Nachwuchsschauspielerinnen und -schauspielern und die Musik kommt nicht vom großen Orchester. Doch vielleicht schafft er genau deshalb, was viele teure Hollywood-Streifen bei all dem Streben nach toller Verpackung anscheinend leider verlernt haben: Dass aus den Kinositzen herzhaftes Gelächter und unterdrücktes Schluchzen abwechselnd ertönt; dass wohl jede Zuschauerin und jeder Zuschauer danach heimlich die alten Familiendias entstaubt, um den Zauber der Erinnerungen selbst zu wecken; und dass sie bzw. er dabei immer noch ein leises Ziehen im Zwerchfell spürt, während gleichzeitig die letzte kleine Träne auf seiner Wange trocknet.C´EST LA VIE - SO SIND WIR, SO IST DAS LEBEN(Le premier jour du reste de ta vie)Regie: Rémi Bezancon | Frankreich 2007Mit: Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Déborah Francois, Marc-André Grondin, Pio Marmai uva. Verleih: KinoweltKinostart: 23.04.2009
Beitrag aus Heft »2009/03: Wie gut ist Medienpädagogik?«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Markus Achatz und Bettina Arnoldt: FUMETTO - Vom Comic-Virus infiziert
Jedes Jahr im Frühling wird die schweizerische Touristenstadt Luzern am Vierwaldstätter See zum Zentrum der Comic-Kultur im deutschsprachigen Raum. In Deutschland fristen Comics und deren gesamte Szene eher ein Schattendasein. Als Medium völlig unterschätzt – als Kultur eher eine Subkultur – bieten die gezeichneten Bilderfolgen jedoch ein riesiges Repertoire an Genres, Techniken und vor allem an großartigen Geschichten. Innerhalb der Comicszene kommen derzeit vor allem Mangas aus Japan sowie Graphic Novels – Romane in Comicform, die mehr ‚Bücher’ als klassische Comic-Alben sind – mit herausragenden und innovativen Neuerscheinungen auf den Markt. Das Festival zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass es sich an Schnittstellen heranwagt. Fumetto interessiert sich für alles, was mit Bildern arbeitet. Dadurch reicht die Gesamtschau der gezeigten Werke vom klassischen Comic über bildende Kunst und Animationen bis hin zum Theater.
Das Fumetto, das 2009 vom 28. März bis 5. April stattfand, bietet Einblicke in zahlreiche neue Comic-Veröffentlichungen und stellt jedes Jahr bedeutende Zeichnerinnen und Zeichner sowie Verlage oder Comic-Kollektive in Ausstellungen vor. Hierbei dominiert zwar die europäische Szene, der Anteil internationaler Künstlerinnen und Künstler wurde in den letzten Jahren jedoch stetig erweitert. Ein wichtiger Bestandteil des Festivals ist der Wettbewerb, der jährlich zu wechselnden Themen ausgeschrieben wird und an dem sich jedermann beteiligen kann. Tatsächlich reichten rund 1.000 Zeichnerinnen und Zeichner aus der ganzen Welt und aus allen Altersstufen ihre Strips ein. Eine Auswahl der 2009 eingesandten Arbeiten zum Thema „Virus“ war in der Wettbewerbsausstellung zu sehen. Eine Fachjury kürte die Preisträger in drei verschiedenen Alterskategorien und auch die Besucherinnen und Besucher konnten ihre Stimme für den Publikumspreis vergeben.Das besondere am Comix-Festival in Luzern ist, dass sich die Ausstellungen auf die ganze Stadt verteilen und gleichzeitig feste Anlaufstellen alle Comic-Begeisterten wieder zusammenbringen. Dies sind vor allem das Festivalzentrum in der historischen Kornschütte und die vielen Events des Rahmenprogramms mit Performances, Diskussionsrunden, Zeichen-Battles oder Konzerten. In diesem Sinne ist es auch ein Festival für das Publikum, dem ein vielfältiges Programm geboten wird. Unterstützt wird die einladende Atmosphäre durch die Beteilung der Luzerner Bevölkerung am Fumetto, denn neben dem eigentlichen Festival gibt es in der gesamten Stadt sogenannte ‚Satelliten-Ausstellungen’, für die eine Vielzahl Luzerner Geschäfte, Firmen, Cafés in den eigenen Räumen oder Schaufenstern die Werke von Comic-Künstlerinnen und -Künstlern frei zugänglich aushängen.Den Kern des Fumetto bildeten neben der Wettbewerbsausstellung in diesem Jahr 18 Einzelausstellungen. Die Künstlerinnen und Künstler kamen aus Frankreich, Belgien, Großbritannien, Finnland, USA, Kanada, Israel, der Schweiz und erstmals in der Geschichte des Fumetto aus Japan. Einer der prominentesten Künstler des diesjährigen Festivals war der Franzose Blutch. Der 42-Jährige gilt in Frankreich seit einigen Jahren als einer der bedeutendsten Zeichner und Autoren seiner Generation. Außerhalb Frankreichs ist der vielseitige Künstler und Erzähler bislang kaum bekannt, obwohl Blutch auf dem Comic-Festival von Angoulême 2009 den „Grossen Preis der Stadt Angoulême“, eine der höchsten Auszeichnungen für einen französischen Comic-Autor, erhalten hatte. In Luzern waren vor allem seine Gemälde (u. a. aus seinen Alben La Volupté und La Beauté) sowie Originalskizzen seiner Serie Le Petit Christian zu sehen. Im Rahmen des Fumetto fand auch die Buchvernissage der deutschen Gesamtausgabe Der kleine Christian (Reprodukt 2009) statt. Vor kurzem war Blutch als Zeichner auch am Band Der Sohn der Drachenfrau aus der Donjon-Kultreihe von Lewis Trondheim und Joann Sfar beteiligt (erschienen als Nr. 7 der Serie Donjon-Monster, Reprodukt 2009).
Die wachsende Bedeutung des Fumetto für die internationale Comic-Szene lässt sich an Talenten wie der 28-jährigen Amanda Vähämäki aus Finnland festmachen. Die in Tampere geborene Künstlerin gewann den Fumetto-Wettbewerb im Jahr 2005 und veröffentlichte seither in zahlreichen Comic-Anthologien ihre teils alltäglichen, teils surreal-traumhaften Geschichten. Vor allem durch die Kontakte mit der italienischen Gruppe Canicola in Bologna und Veröffentlichungen in der gleichnamigen Anthologie weckte sie internationale Aufmerksamkeit. In Deutschland sind erste Comics unter anderem in den Magazinen Strapazin oder Orang erschienen. Auf dem Fumetto hatte sie 2009 nun eine Einzelausstellung und präsentierte Auszüge ihrer enigmatischen Geschichten über das Lebensgefühl Jugendlicher.Jedes Jahr verdeutlicht das Fumetto seine Offenheit gegenüber anderen Künsten. Die Grenzen zu Grafik, Malerei, Design oder Aktionskunst sind fließend. Geneviève Castrée aus Québec (Kanada) greift diese Möglichkeiten des Comics ganz bewusst auf. Die 27-Jährige zeichnet seit 1996 Comics und arbeitet gleichzeitig als Illustratorin und Musikerin. Gemeinsam mit ihrem Partner Phil Elvrum spielt sie in der Band Woelv und verarbeitet dort ihre Bilder und Geschichten zu melancholischen Folksongs. Woelv-Platten sind gleichzeitig Tonträger und Comics, denn die aufwändig gestalteten Booklets mit vielen Zeichnungen beziehen sich auf die Songs und umgekehrt. Im Jahr 2007 erschien auf dem US-Plattenlabel K-Records der Titel Tout seul dans la forêt en plain jour, avez-vous peur? (Haben Sie Angst, tagsüber ganz allein im Wald?).
Seit einigen Jahren ist das Kunstmuseum Luzern als Ausstellungsort fester Bestandteil des Fumetto. Ausgesuchte Comic-Künstler haben die Gelegenheit, ihre Arbeiten im bedeutendsten Kunstmuseum der Zentralschweiz zu zeigen. In diesem Jahr war es unter anderem der Japaner Yuichi Yokoyama, dessen Stil kaum auf externe Einflüsse festlegbar ist. Er lebt in einem Vorort von Tokio ohne Computer, Fernseher und Führerschein und sagt von sich selbst, dass er in seinen Bildern auf Namen, Dialoge und Emotionen völlig verzichtet. Vielmehr versteht er sich als jemand, der den „Schein der Dinge, ihre Oberfläche“ zeigen möchte. Seine Zukunftsvisionen konzentrieren sich auf Bewegung, Aktion und Tempo. Zum Comic ist Yuichi Yokoyama gekommen, weil ihn die Abgeschlossenheit des Gemäldes zunehmend gestört hat. Comics ermöglichen ihm, die Komponente des zeitlichen Verlaufs aufzugreifen.Mit 55.000 Besucherinnen und Besuchern war das Publikumsinteresse in diesem Jahr ungebrochen hoch. Dies zeugt von einer Anerkennung des Comics als eigenständige Kunstform außerhalb von Deutschland. Auch die rege Nutzung des eigens entwickelten Programms für Schulklassen bietet einen Hinweis darauf, dass das Medium Comic in anderen Ländern einen besseren Ruf genießt. Einerseits beteiligen sich ganze Schulklassen von den untersten Jahrgängen an am jährlichen Wettbewerb. Im Vorfeld des Festivals erstellen die Kinder und Jugendlichen ihre Arbeiten unter anderem im Rahmen des Schulunterrichts.
Durch die Preisvergabe auch für jüngere Altersklassen (bis zwölf Jahre sowie 13 bis 17 Jahre) besteht die Chance, dass auch die Mühen der jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewürdigt werden. Dieses Vorgehen ist so erfolgreich, dass dieses Jahr die erst 16-jährige Anina Mirjam Schärer aus der Schweiz, die ihren Wettbewerbsbeitrag im Rahmen des Zeichenunterrichts erstellte, sogar den altersübergreifenden Publikumspreis gewann.Andererseits gibt es ein speziell für Schulklassen entwickeltes interaktives Begleitprogramm für den Festivalbesuch. Das Fumettino Maxi besteht aus zwei Bausteinen und einer Arbeitsmappe, die eine didaktische Einführung zum Thema „Comic“ und Übungen für den Unterricht im Vorfeld enthält. Der Baustein „Führung“ bringt den Schülerinnen und Schüler das Medium Comic anhand des Wettbewerbsthemas näher. Es wird das Zusammenwirken von Form und Inhalt der Bilder- und Sprachwelt der Comics erläutert. Im zweiten Baustein „Postenarbeit“ haben die Schülerinnen und Schüler selbst die Möglichkeit, aktiv zu werden. In Kleingruppen besuchen sie einzelne Ausstellungsorte („Posten“), an denen selbständig Aufgaben bearbeitet werden. Mithilfe von Fragen werden die Kinder und Jugendlichen an die Comicgeschichten herangeführt. Zeichenübungen schulen ihr Sehen und machen den Comicaufbau verständlich. Das Begleitprogramm wurde auch dieses Jahr von Schulen und Jugendgruppen vielfach genutzt. Für jüngere und jugendliche Einzelpersonen besteht im Rahmen des Kinder- und Jugendprogramms Fumettino ebenso die Möglichkeit, an Zeichenkursen, Workshops und betreuten Programmen teilzunehmen.Insgesamt gelang es den Veranstaltern auf unkommerzielle Art und Weise, Nachwuchs, Newcomer, etablierte Künstler und ihr Publikum zusammenzubringen.
Beitrag aus Heft »2009/03: Wie gut ist Medienpädagogik?«
Autor:
Markus Achatz,
Bettina Arnoldt
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Willi und die Wunder dieser Welt - Expedition 1 Megacity & Dschungel; Expedition 2 Arktis & Wüste. USM Digital Media, je 19,90 €
Jetzt will’s Willi scheinbar wirklich wissen: Nachdem der selbsternannte ‚neugierige Reporter’ Willi Weitzel mit seiner wöchentlichen Fernsehshow regelmäßig beträchtliche Zahlen an Kindern auf die Sofas und vor die Fernseher gelockt hatte und seine crossmediale (Sint-)Flut an Zusatzangeboten von Wissenskärtchen über Sachbücher und Brettspiele bis DVDs und Computerspiele offensichtlich auch ihren Weg in die Kinderzimmer fand, kurbelt der knabenhafte Abenteurer fleißig weiter an der Vermarktungsmaschine. Zum aktuellen Kinofilm gibt es – simsalabim – gleich zwei passende Computerspiele mit Willi-Konterfei. Jedes der Spiele lädt seinen jungen Benutzerinnen und Benutzer – passend zum Leinwand-Abenteuer – auf zwei „Expeditionen“ ein: einmal in Megacity und Dschungel, beim zweiten Spiel in Arktis und Wüste. Laut Anbieter warten dort jeweils spannende „Adventure mit realistischer 3D-Grafik“ sowie pro DVD-ROM „16 Quests sowie zahlreiche Mini- und Arcade-Games“. Klingt soweit ganz neudeutsch, doch was steckt wirklich dahinter? Zumindest wohl eher kein achtes Weltwunder, so viel muss leider festgehalten werden. Auch wenn die Spiele auf den ersten Blick ganz interessant und sinnvoll daher kommen. Die Spielerin bzw. der Spieler bewegt einen Willi-Avatar durch eine virtuelle Welt. Dort bekommt dieser verschiedene, thematisch zur Welt passende Aufgaben, die er mittels kleiner Geschicklichkeits- oder Denkspiele lösen kann. Pro gelöster Aufgabe erhält man ein ‚Erinnerungsfoto’ ins eigene Fotoalbum, ist das vollgeklebt, winkt als Belohnung ein ‚Extra Spiel’. Weil Willi aber, sei es nun aus purer edler Gesinnung oder weil der reine Fun-Faktor nur wenige elterliche Geldbeutel öffnet, nicht nur Spaß machen, sondern dabei noch spielerisch Wissen vermitteln will, ist überall noch ein extra Lerneffekt eingebaut: So gilt es in allen Spielwelten Informationen über die jeweilige Welt zu finden, zu sammeln und in das dafür vorgesehene Notizbuch einzutragen. Ein volles Notizbuch verhilft den fleißigen Informationssammlerinnen und -sammlern zu den nötigen Punkten, um das Spiel zu ‚gewinnen’ sowie zu einem ‚spannenden Quiz’. Denk- und Geschicklichkeitsspiele und Wissensquizzes? Da ist per se nichts Schlechtes dran und wenn dann noch der wissebgierige Willi dafür wirbt, kann man ja eigentlich nichts falsch machen – sollte man meinen. Die Enttäuschung folgt der Installation leider auf dem Fuße. Nach einer dürftigen Einführung findet man seinen Avatar – der außer an seiner Stimme selbst für eingefleischte Fans vermutlich schwer als Willi zu identifizieren sein wird – auf einem sehr begrenzten und grafisch recht uninspirierten Spielfeld wieder. In der angepriesenen Megacity etwa, die man sich als argloser Benutzer vermutlich tendenziell eher groß vorstellt, hat Willi vier rechteckig angeordnete Straßen sowie einen modern minimalistischen Stadtpark zur Auswahl. Hier darf er – umständlich per Mausklick herumgezogen – seine Runden drehen und dabei abwechselnd Katzen, verlorene Münzen oder Papierschnipsel suchen. Katzen-Allergiker seien aber getröstet: Die zu suchenden Gegenstände erkennt man ohnehin in erster Linie an darüber schwebenden grünen Lichtpunkten, so dass sie selbst recht zweitrangig scheinen. Der versprochene inhaltliche Bezug zur Welt wird zwar hergestellt, wirkt aber recht bemüht: Dass es in einer Stadt viele entlaufene Katzen, verlorene Centstücke oder herumliegende Papierfetzen gibt, ist sicher richtig, von einem kreativen Bezug zur Welt war ohnehin nicht die Rede. Die Geschicklichkeitsspiele, mittels derer die gefundenen Gegenstände gesammelt werden, bewegen sich zwischen langweilig und – dank hektisch und stockend funktionierendem Cursor – nicht lösbar. Das steigert natürlich nicht die Spielmotivation, vor allem da sich das Spielniveau auch bei wiederholtem Misserfolg im immer selben Spiel nicht an die Spielerin oder den Spieler anpasst und es auch keine Möglichkeit gibt, ein Spiel zu überspringen oder aufzugeben, wenn sich beispielsweise der herumflitzende Papierschnipsel partout nicht fangen lässt. Auch Willis Geräuschewelt kann leider keine Begeisterungsstürme wecken, die aus scheinbar wahllos eingestreuten, offensichtlich per Computer erzeugten Atmosphären-Geräuschen sowie quäkenden Signalen bei Erfolg bzw. Misserfolg in den Aufgaben bestehen. In Anbetracht all dessen scheint es lässlich, dass die Stadt beispielsweise – ist es Smog oder ist Willi etwa ein Nachtschwärmer? – während des ganzen Spieles in wenig heimeligem Dämmerlicht liegt oder dass Willi von der StVO gänzlich unbeeindruckt quer über alle Straßen läuft, ohne je überfahren zu werden.Der Funfaktor sprengt also leider nicht alle bisher gekannten Grenzen. Doch man täte dem armen Willi Unrecht, spräche man seinem Spiel sämtliche Qualität ab. Denn schließlich sucht der digitale Willi nicht nur Katzen und Cents, sondern auch Informationen. Diese sind – auch für weniger gewiefte Spielerinnen und Spieler leicht erkennbar – mit roten Leuchtpunkten markiert. Ein Klick auf besagten Punkt öffnet eine Notizbuchseite, auf der von „Grüner Welle“ und „Erfindung der Telefonzelle“ über diverse Tiere des Dschungels, der Wüste und der Arktis bis „Fata Morgana“ tatsächlich interessante Wissensschmankerl angeboten werden. In kurzen Texten mit oder ohne Bild gibt es hier so einiges über die Welt zu erfahren und zu lernen. Leider werden diese Texte, im Gegensatz zu den Spielanleitungen, nicht vorgelesen – verständlich, da das Spiel ab acht Jahren empfohlen wird, weniger verständlich, da Niveau und Aufmachung der Sammelspiele zuvor eher nicht geeignet sind, Kinder diesen Alters noch bei der Stange zu halten. Das angekündigte Quiz am Ende des Spieles bietet wohl den nötigen Anreiz, die teils mehr, teils weniger fesselnd aufbereiteten Informationen tatsächlich zu lesen. So wäre zumindest für den Lerneffekt gesorgt.Alles in allem aber bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass nicht überall, wo Willi Weitzel drauf grinst, auch wirklich sinnvoller Inhalt drin ist. Für Willi-Fans empfiehlt sich wohl eher der Gang ins Kino – wenn er wissen will, wie man ein Computerspiel macht, sollte Willi vielleicht lieber erstmal jemanden fragen, der sich damit auskennt.
Marx, André/Pfeiffer, Boris: Das wilde Pack und der geheime Fluss. Audio-CD. USM Audio. 7,99 €.Blanck, Ulf: Die Baadingoo-Feriendetektive. Die Zauberpalme. Audio-CD. USM Audio. 7,99€
Ungezählte Geheimnisse haben sie aufgedeckt, Bösewichter gestellt und Kriminalfälle gelöst und die Welt jahrelang ein bisschen besser gemacht. Mittlerweile sind die berühmt-berüchtigten Drei ??? erwachsen geworden – zwar gehen sie noch lange nicht in Jung-Kriminalisten-Rente, in Acht nehmen müssen sich die Spürnasen aber schon, denn sie haben starke Konkurrenz. Timo und Hamlet heißen die, Lillie und Barnabas, Max, Spy, Kaka und Du. Um nur eine Auswahl der tapferen Abenteurer aus den Federn der ???-Autoren zu nennen, die der Kosmos Verlag und USM Audio gerade auf ihre spannenden Missionen schickt.Timo, Lillie und Max, das sind Baadingoo, drei Freunde mit eigenem Detektivclub, die Bösewichter und Kleinkriminelle das Fürchten lehren. Und zwar in den Ferien. Während andere am Strand liegen und den Bauch in die Sonne halten, gehen die drei frechen Kids auf Verbrecherjagd. Dabei schaffen sie es, mit Köpfchen, Mut und viel Neugierde, selbst den gewieftesten Halunken das Handwerk zu legen. Im Hörspiel Die Zauberpalme etwa verfolgt die Clique eine fiese Betrügerbande, die ahnungslosen Touristen auf Teneriffa eine völlig nutzlose Salbe zu kolossalen Preisen verhökert. Doch dabei haben sie die Rechnung ohne Baadingoo gemacht, denn die unerschrockenen Freunde lassen sich weder von halsbrecherischen Bergtouren noch von Tiefsee-Tauchgängen oder falscher Lava aufhalten und lassen nicht locker, bis die Ganoven gestellt sind. Gerade für Kinder ab der zweiten oder dritten Klasse bieten die drei wirklich kurzweilige Unterhaltung und spannende Abenteuer mit viel Nervenkitzel aber auch einem guten Identifikationsangebot: Ein kleiner Krimi im Urlaub, ohne Eltern, dafür aber mit zwei besten Freunden ein richtiges Abenteuer bestehen und dabei gleich noch ein bisschen Weltverbesserer spielen – welches Kind träumt davon nicht ab und zu? Die Stimmen der Audio-Version sind zwar nicht immer perfekt auseinander zu halten, doch die Geschichte ist gut zu verstehen und kommt auf jeden Fall als rundes Hörerlebnis daher.Doch Baadingdoo sind nicht die einzigen Helden unserer Tage: Während auf Teneriffa den Salben-Schurken das Lachen vergeht, bestreiten Hamlet, Barnabas, Spy, Kaka und Du ein mindestens ebenso spannendes Abenteuer im U-Bahn-Schacht unter der großen Stadt. Dort lebt nämlich der Trupp von ausgebüchsten Zootieren und versucht, irgendwie in ihr Heimatland zu kommen. Was sich als gar nicht so einfach herausstellt für das Wilde Pack. Die tierischen Freunde müssen sich allerhand kluge Dinge ausdenken und immer neue Probleme gemeinsam lösen, um ihre Flucht vorzubereiten und dabei nicht vom hinterhältigen Zoodirektor wieder eingefangen zu werden. Vorsichtig sein heißt es da, gemeinsam die gewieftesten Pläne schmieden und mit viel Mut umsetzen. Der tapfere Leitwolf Hamlet, sein treuer Freund, der Gorilla Barnabas und die stets gut gelaunten Vögel Kaka, Du und Spy sprechen vor allem etwas jüngere Kinder ab der Grundschule an, die mit ihnen zusammen durch die U-Bahn-Schächte tollen, immer auf der Hut vor Zoodirektor Müller. Dabei machen gerade die witzig umgesetzten Tierstimmen – etwa die sssssschlaue Ssssschlange Rafina mit ihren zzzzzüngelnden Sssss-Lauten oder Kolibri Spy, der kleine Wicht, der immer nur in Reimen spricht – und die erstaunlich realistischen und liebevoll umgesetzten Hintergrundgeräusche an den verschiedenen Spielorten das tierische Abenteuer zum wahren Hörvergnügen.Teneriffa oder U-Bahn-Schacht, Schlangengezüngel oder Junior-Detektei – abenteuerliche Zeiten kommen auf uns zu. Da sollten sich alt gediente Jungedetektive wie die Drei ??? oder TKKG lieber schon mal warm anziehen.
Christina Oberst-Hundt: Vom Fernsehen zum Denken!
„Vom Telekolleg zum PISAtest“: Unter diesem Titel wurde bei den diesjährigen Tutzinger Medientagen am 2. und 3. März über das Thema „Wissen und Bildung im Fernsehen“ referiert und diskutiert. Mit dem Telekolleg haben seit Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts über 60.000 Menschen die Fachhochschulreife erlangt und weiterhin melden sich rund 2.000 Menschen pro Kurs an. Das ist durchaus eine Erfolgsgeschichte! Von den PISAtest-Ergebnissen in deutschen Schulen kann dies keineswegs gesagt werden. Hat das Fernsehen möglicherweise das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler beeinflusst? Oder anders gefragt: Können TV-Programme dazu beitragen, dass Wissen (nicht nur) für die Schulgeneration an Wert gewinnt, ‚in’ ist, dass Bildung nicht mit verstaubten Lerninhalten sondern als interessant, wichtig und erstrebenswert angesehen wird? Die in Tutzing anwesenden Macher, ob Produzent, Redakteur oder Moderator (die beiden einzigen eingeladenen Frauen waren leider verhindert) vermittelten nicht den Eindruck, dass es ihnen darum geht, den Erwerb von abfragbarem Wissen, wie bei PISA getestet, zu fördern, sehr wohl aber Menschen: junge wie alte, zu der Einsicht zu bringen, dass Wissenssendungen Informationen und Erkenntnisse über Dinge und Sachverhalte vermitteln können, von denen sie vorher nichts wussten und ahnten, dass Aha-Erlebnisse einen Mehrwert bringen und außerdem auch noch Spaß machen können.
Pioniere des Wissensfernsehens
Schon die ‚Steinzeit’ des Fernsehens, als es noch allein das Öffentlich-Rechtliche gab, leistete dies, wenn auch anders als heute. Ein durchaus unterhaltsamer Rückblick der Journalistin Klaudia Wick auf die Wissenssendungen von gestern bestätigte das. Namen wie Bernhard Grzimek, Heinz Sielmann, Jaques Cousteau oder Horst Stern erinnern daran, dass ihre Tiersendungen, deutlicher wohl als viele der aktuellen Zoo-Sendungen, ein Bewusstsein zu vermitteln suchten, das die heutigen Vorstellungen von Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit mit beeinflusst hat. Ein Highlight dieser Zeit war die Übertragung der ersten Mondlandung am 21. Juli 1969. Astronaut Neil Armstrong macht den ersten Schritt eines Menschen auf den Nachbarplaneten und weltweit 530 Millionen Menschen sehen zu. Mit den Weltraum-Sendungen ist der Name Ernst von Khuon eng verbunden. Auch Heinz Haber gehört mit Was sucht der Mensch im Weltraum? und Unser blauer Planet zu den Pionieren der Wissenssendungen. Und Hoimar von Ditfurth schrieb mit der Reihe Querschnitte Fernsehgeschichte. Schon damals befasste er sich unter dem Sendetitel Hatte Darwin Recht? mit den Vorurteilen gegenüber der Evolutionstheorie.Die von Wick gezeigten Ausschnitte vermittelten mitunter Bilder reger Diskussionsrunden älterer weißhaariger Männer. Die Zuschauer und Zuschauerinnen durften beim wissenschaftlichen Diskutieren zusehen! Auffällig war allerdings, dass geisteswissenschaftliche Themen, wie Soziologie oder Psychologie kaum vorkamen. Eine Ausnahme, so Wick, sei die Unterhaltungsshow Wünsch Dir was gewesen, die Themen wie zum Beispiel „Schlangenphobie“ oder „Autosuggestion“ in der ZDF-Unterhaltungsredaktion zu Wettkampfspielen verarbeitete.
Mit „Edutainment“ ein Leben in Extremen?
Gerade Wünsch Dir was mit teilweise bizarren und manchmal auch nicht ganz ungefährlich scheinenden Spielen relativiert den Blick auf die mitunter nahezu beschaulich wirkende TV-Vergangenheit. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hatte ihr unter dem Titel „Edutainment – Bildung macht Spaß“ mögliche Szenarien gesellschaftlicher Entwicklungen in der näheren Zukunft gegenübergestellt, die jedoch nicht durchweg Optimismus auszulösen vermochten.Freizeit, so der Trend, werde gegenüber der Arbeitszeit weiter zunehmen. Alte Menschen, zur Hälfte pflegebedürftig, würden immer mehr und Jugendliche zur Minderheit der Gesellschaft werden, vor allem deshalb, weil Frauen mit akademischem Abschluss ihren durchaus vorhandenen Kinderwunsch (86 Prozent) wegen des eklatanten Mangels an Betreuungseinrichtungen immer weniger realisieren (23 Prozent) könnten. Die Auseinandersetzungen der Zukunft würden sich also zwischen Menschen mit und ohne Kindern abspielen und Bildung sei dann vorrangig etwas für die ältere Generation.Jugendliche dagegen würden, verunsichert durch Sparmaßnahmen und steigende öffentliche Ausgaben, ihr Freizeit- und Konsum-Verhalten auf ein „Leben in Extremen“ oder auch „Luxese“: mal Luxus, mal Askese, erst Genuss, dann sparen, orientieren nach der Devise: „Stil ist, nicht viel Geld zu haben, aber es auszugeben!“ In Themenparks und Science-Centern, oder mittels Videospielen würden sie „erlebnisorientiertes Lernen“, das selbstgesteuerte interaktive Auseinandersetzung erfordert und alle Sinne einbezieht, pflegen. Dieser Trend beeinflusse schon jetzt auch das Fernsehen durch zunehmende Komplexität. Serien zum Beispiel haben schon heute deutlich mehr Handlungsstränge als früher. Vernachlässigt dagegen das Buch, das lediglich lineares isoliertes, passives Tun ermögliche!Bedenklich stimmt hierbei zudem die tiefgreifende gesellschaftliche Spaltung: Gymnasiasten nutzen drei mal so häufig neue Medien wie Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen! Die Generation @ entpuppt sich hier also eher als Mittel- und Oberschicht-Phänomen.
Alltagswissen, das Spaß macht
Was setzen die in Tutzing vorgestellten Wissensformate der privaten Sender dieser Entwicklung entgegen oder wie entsprechen sie ihr? „Das Neue“, so Christoph Steinkamp, bei PRO SIEBEN für die Sendung Galileo zuständig, sei, „dass der Zuschauer mitgenommen wird. Man lässt ihn etwas erleben“. Es gebe „viele Experimente, richtiges Jungsfernsehen, das Spaß macht!“ Dass man natürlich auch die weiblichen Zuschauer ansprechen wolle, fügt er – etwas später – hinzu. Aber insgesamt erreichten sie schon eher junge Männer um die 34 Jahre und keineswegs nur aus der Oberschicht. Galileo will Leute ansprechen, „die unterhalten werden und dabei auch noch was mitbekommen wollen.“ Ob das unbedingt auch für die Frage gilt, wie stabil eine PET-Flasche ist und was alles gemacht werden muss, um sie endlich kaputt zu kriegen, sei dahingestellt.Sein Kollege Hendrik Hey von RTL 2 (Welt der Wunder) betont, dass die Vermittlung von „Alltagwissen besonders erfolgreich“ sei. Dabei geht es dann zum Beispiel auch um Fragen wie “Wie kann man seinem Kater im Fasching am besten entgegenwirken, was ist sinnvoll, was falsch und genau das wird dann vorgeführt“. Er nennt das „angewandte Wissenschaft im freien Feld“. Fernsehen soll ein „Tor zur Welt“ sein: Es geht ihm um „Infos, die seine Zuschauer gebrauchen können, über die sie am nächsten Tag sagen können ‚Ich weiß das!’“. Er betont, dass Welt der Wunder auch sehr viele Acht- bis 13-Jährige erreicht, darunter auch Kinder aus sozial schwächeren Familien.“Sendungen wie diese sollen auf unterhaltsame Art Informationen und Wissen mit Alltagsgebrauchswert vermitteln und Spaß machen. Und das ist schon eine ganze Menge!
Trendsetter Maus
Viele Kindersendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gelten als Highlights des Wissens- und Bildungsfernsehens. Die Sendung mit der Maus, so alt wie die Weltraumforschung seit der 1. Mondlandung mit Neil Armstrong 1969, war schon immer Trendsetter und hat bis heute nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt und eine Reihe von ‚Nachkommen’ durchaus eigenständiger Art, wie zum Beispiel Wissen macht Ah! gezeugt. Sie ist in allen ARD-Sendern zu Hause. Für den direkten Kontakt mit ihrem Publikum gibt es die Maus-Initiative Frag doch mal und das Maus-Post-Büro, das innerhalb weniger Wochen über 78.000 Fragen erreicht. Es gibt Maus-Seiten im Internet und Podcast-Angebote von Maus und Wissen macht Ah! belegen nicht nur bei Kindern Spitzenpositionen. Während die Maus ihre Beiträge anfänglich streng nach der Devise „Nur keine Pädagogik!“ ausrichtete und sich so von Frontalunterricht und trockener Wissensvermittlung distanzieren wollte, ist ihr heute allerdings der Begriff ‚Pädagogik’ kein Tabu mehr, sondern wird, wie Siegmund Grewenig, Programmgruppenleiter Kinder und Familie beim WDR, in Tutzing betonte, „als dringende Notwendigkeit“ gesehen, um „neben der inzwischen unkontrollierbaren Unterhaltungsflut auch pädagogisch wertvolle Programme für Kinder anzubieten.“ Als öffentlich-rechtlicher Anbieter, sagt er, „müssen wir dafür Sorge tragen, das Programm zu bieten, das Kinder woanders nicht bekommen.“ In der Sendung mit dem Elefanten wird Pädagogik sogar Programm. Es gibt Medienpakete und Veranstaltungen, wie den Tag der Medienpädagogik oder das Multimedia-Lernpaket Die Welt ist elefantastisch – Sprachförderung mit dem Elefanten, die sich insbesondere an Erzieherinnen und Erzieher wenden. Maus und Elefant gehen direkt in die Gesellschaft, dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Zugleich versteht sich, wie Grewenig betonte, öffentlich-rechtliches Kinderfernsehen nach wie vor der Tradition verpflichtet, sein vor allem junges Publikum gut unterhalten zu wollen.
Bildung nicht allein dem Internet überlassen!
Seit elf Jahren schon gibt es den einzigen und mittlerweile Grimme-Preis-gekrönten deutschen TV-Bildungskanal BR alpha. Dass Werner Reuß von „seinem“ Sender begeistert ist, vermittelt sich bereits nach den ersten Sätzen seiner Rede in Tutzing. Am Beispiel des Dokumentarspiels Hitler vor Gericht betont er den umfassenden Bildungsauftrag, dem sich der Sender verpflichtet fühlt. Der Film, so Reuß, „ist Bildung. Bildung in Geschichte, Bildung in Politik und Bildung in Demokratie“. Gerade diesem gesellschaftspolitischen Aspekt könne das Fernsehen wie kein anderes Medium Geltung verschaffen, da es über eine von keinem anderen erreichte Suggestivkraft verfüge und damit die Fähigkeit habe, „das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln der Zuschauer suggestiv zu beeinflussen.“ Bildung hat, so Reuß, „mit Verstehen zu tun – und mit Emotion, Faszination und Euphorie“. „Bildung bedeutet innere Veränderung ... neue Sichtweisen“ und „Erkenntnis, die handlungswirksam werden kann“.Bildung dürfe deshalb keineswegs allein dem Internet überlassen werden. Dass trotz des Internet-Wachstums die TV-Nutzung auf täglich 221 Minuten gestiegen sei, zeige, dass der Anstieg des Internets nicht zulasten des Fernsehens gehe, sondern eher zulasten anderer Freizeitaktivitäten. Und natürlich sei auch BR alpha im Internet umfangreich vertreten. Fernsehen und Internet sollten nicht als Gegensätze gesehen werden. „Wir sprechen nicht vom Entweder-oder, sondern vom Sowohl-als-auch.“ Und er ist überzeugt, dass BR alpha als einziges Bildungsvollprogramm „auch bundesweit eine immer größere Rolle spielen wird“. Gerade im Verbund von Fernsehen und Internet könnten sich die medialen Möglichkeiten für Bildung voll entfalten. Allerdings scheint die Politik, wie er „am Rande“ kritisch anmerkte, die „Qualität der Online-Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks offenbar so sehr zu fürchten“, dass sie im Internet, „diesem demokratischen Weltall von Angeboten“ mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag nun „Schranken und Restriktionen“ aufgebaut hat.
Abenteuer Forschung
Dass Forschung das denkbar Spannendste ist und selbst vor Undenkbarem nicht Halt macht, das will der Physiker und Astronom Harald Lesch als Moderator der ZDF-Sendung Abenteuer Forschung rüberbringen. „Was uns interessiert“, so der Professor, „sind Fragen, die man sich möglicherweise noch nicht gestellt hat“ und Menschen auch mit Themen zusammen zu bringen, „von denen sie noch nie etwas gehört haben“. Er will sie „dazu veranlassen, ihr Hirn zu benutzen.“ „Wenn wir das beim Zuschauer schaffen, dass er seinen Kopf benutzt, dann haben wir meiner Ansicht nach genau die Funktion erfüllt, die wir erreichen können.“ Das kann die Beschäftigung mit dem Thema ‚Zeit’ sein, die Frage, was ist Schönheit? oder klarzumachen, dass die Evolutionstheorie viel tiefer greift, „als einfach nur die Entwicklung von Lebewesen auf einem Planeten zu erklären“. Es geht nicht so sehr um Wahrheiten, sondern vielmehr darum, herauszufinden, ob etwas falsch ist. Eine Wissenschaftssendung sollte seine Zuschauerinnen und Zuschauer dazu bringen, „dass eine grundsätzliche intellektuelle Haltung erworben wird und nicht nur Information alleine.“
Lebenslanges Lernen und soziale Gerechtigkeit
In Tutzing ging es um den Beitrag des Fernsehens, öffentlich-rechtlichem wie privatem, bei der Vermittlung von Wissen und Bildung und darum, ob Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachkommt. Das schließt auch die Frage ein, wie ‚lebenslanges Lernen’ als gesellschaftlicher Anspruch durch die vielfältigen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen unterstützt und gefördert werden kann. Lebenslanges Lernen, das umfasst auch die Wünsche der immer mehr werdenden Alten, die durch körperliche und eben auch geistige Fitness am gesellschaftlichen Leben so lange wie möglich teilhaben wollen, ebenso wie die sich in Politik und Gesellschaft inzwischen vermehrt durchsetzende Erkenntnis, dass Menschen von klein auf bildungsbedürftig und -fähig sind, Kindertagesstätten also nicht lediglich notgedrungene Betreuungs-, sondern vorrangig Bildungseinrichtungen sind, bzw. sein sollten und Erzieherinnen und Erzieher sowie Eltern Unterstützung brauchen und erhalten müssen, um Kinder angemessen zu fördern und hierbei niemand ausgegrenzt werden darf.Dieses ganzheitliche Bildungsverständnis, das Wissen, Bildung und Erziehung im Zusammenhang sieht, hatte der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer in seinem Einführungsreferat betont. Bräuer wandte sich gegen eine bloße „Ökonomisierung der Bildungsziele und Bildungsinhalte“, die auf bloße Vermittlung von „vornehmlich Verfügungswissen“ ziele. Ebenso „breiten Raum“ müsse das Orientierungswissen, welches „die Grundfragen des menschlichen Lebens, nach Hoffnung und Halt, Orientierung und Vertrauen“ einschließt, einnehmen. Dabei geht es auch um soziale Gerechtigkeit: Bildungsferne dürfe nicht „dauerhaft über Generationen vererbt“ werden und Menschen, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, müsse möglich sein, dass sie sich „chancengleich in die Gesellschaft integrieren können“.Dass Fernsehen ein „Bildungsmotor“ sein kann und sollte, dazu hatte die Tagung vielfältige Anregungen gegeben, aber auch kritische Fragen aufgeworfen: Warum zum Beispiel erreichen die vielfältigen qualitativ hochwertigen Wissenssendungen oft nur Miniquoten? Wie kann in der Bevölkerung der Wunsch gestärkt werden, sich selbst bilden zu wollen? Was kann der Staat für mehr Bildungsbereitschaft, was der Rundfunk selbst für mehr Medienkompetenz tun? Warum wird im Fernsehen Wissenschaft meist mehr auf naturwissenschaftliche und technische Themen beschränkt? Welchen Beitrag kann das Unterhaltungsfernsehen leisten? Wie können insbesondere mehr Jugendliche erreicht werden? „Es muss ‚cool’ werden, Bescheid zu wissen“, so der ARD-Vorsitzende Boudgoust in der Abschlussdiskussion. Ob Fernsehen klüger macht und dann auch die PISA-Ergebnisse besser werden? Zumindest schadet es nicht. Im Gegenteil!
Beitrag aus Heft »2009/03: Wie gut ist Medienpädagogik?«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
Beitrag als PDF
Dorothee Klemm: Wie Webman die Internetwelt Jugendlicher retten will
Die Sicherheit persönlicher Daten im Netz wird großgeschrieben. Vor allem wenn es um die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichengeht, ist das Bemühen von Seiten des Jugendschutzesenorm. So hat jetzt eine neue Kampagne ihr Portal für mehr Sicherheit im Netz ins Leben gerufen. Initiiert vom Projekt Jugend online der Fachstelle für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. (IJAB) will die Plattform watchyourweb.de Jugendlichen die Gefahren und Risiken des Surfens im Web vermitteln.
Mithilfe kleiner Videoclips, den Protagonisten Webman und Data Devil (der ‚Superman’ des Webs kämpft gegen den bösen Datenteufel), Web-Tests, Tipps für mehr Sicherheit im Netz und verschiedenen Aktionen wird den Jugendlichen ein kompetenter Umgang mit Daten im Netz auf interaktive Weise ans Herz gelegt. Gefördert wird die Kampagne vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz (BMELV) und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend (BMFSFJ). Die Liste der Partner ist lang. Darunter sind einschlägige Anbieter vonSozialen Netzwerken wie SchülerVZ zu finden sowie namhafte Vertreter des Jugendschutzes im Medienbereich (BPjM, FSM, klicksafe, jugendschutz.net).
Die Kampagne hat sich zum Ziel gesetzt, ihre vier wichtigsten Botschaften für einen sicheren Umgang mit Daten im Internet auf multimediale Weise zu verbreiten. Die Mottos „Das Internet vergisst nichts!“, „Was einmal im Internet steht, kann sich schnell verbreiten!“, „Virtuellesist real.“ und „Im Internet istman nicht immer ungestört.“ werden in verschiedenen Rubriken vermittelt. So gliedert sich das Portal in die fünf Bereiche „Über uns“, „Video-Clips“, „Web-Test“, „Aktionen“ und „Hilfe!“ Die wichtigste Rubrik ist wohl die der Videos. Die Macher selbst bezeichnen die drei Kampagnenfilme als „Herzstücke der Kampagne“. In den kurzen Clips werdendie Gefahren des Chattens und der Entblößung in sozialen Netzwerken aus dem alltäglichen Leben Jugendlicher aufgezeigt. Am Ende jedes Clips erscheinen die Comicfiguren Data Devil und Webman und arbeiten die jeweiligen Inhalte und Risiken nochmals kurz auf. Ob die animierten Zeichnungen bei der Zielgruppe Jugendliche so gut ankommen, bleibt abzuwarten. Sie wärenvermutlich auf einer Plattform für Kinder besser aufgehoben. Neben den drei F ilmen, die man übrigens in die eigene Homepage oder in einen Blog einbinden kann, gibt es die Möglichkeit, einen weiteren Film „Klasse“ (über die schnelle Verbreitung von Daten) auch an Freunde zu verschicken und mit einer persönlichen Nachrichtzu versehen. In der Rubrik „Web-Test – Welcher Webtyp bist du?“ können die Userinnen und User mithilfe von zehn mehr oder weniger sinnvollen Fragen rund um die Datensicherheit testen, ob sie ein „Web-Profi“ oder doch eher ein „Web-Kamikaze“ sind. „Wann hättest du Webman gebraucht?“ Diese Frage beantworten die Benutzerinnen und Benutzer im „Aktionen“-Bereich.
Sie gestalten aktiv Webman’s Pinnwand und berichten dort über ihre erlebten negativen Erfahrungen im Netz. Konkrete Tipps und Tricksrund um den Schutz von persönlichen Daten erhalten die Teenager im Bereich „Hilfe!“ In den jeweiligen Tutorials der Partner-Netzwerke erklären unter anderem Screenshots auf verständliche Weise, wie in den unterschiedlichen Communitys mit ein paar einfachen Klicks diePrivatsphäre der jungen Nutzerinnen und Nutzergesichert werden kann. Außerdem gibt es eine Linkliste mit nützlichen Hinweisen auf Seiten im Internet zum Thema sicheres Surfen im Netz – allerdings auch hier wiederum nur auf Partnerhomepages. Alles in allem bietet die neue Plattform watch your web für Jugendliche viele interaktive Möglichkeiten, sich mit den Gefahren des Internetsauf spannende Weise auseinanderzusetzen. Zufinden ist die Plattform unter www.watchyourweb.de.
THINK Kids - Spiel dich schlau! Nintendo DS-Spiel. dtp und Ravensburger, 2008, 29,99€
Schon länger können Erwachsene ihre grauen Zellen mit den THINK Logik Trainern trainieren. Jetzt darf auch die jüngere Generation zum Touchpen greifen und mit dem kindge-rechten Nachfolger, dem THINK Kids – Spiel dich schlau!, die Köpfchen mit Denk-sportaufgaben zum Rauchen bringen. In dem übersichtlich aufgebauten und farbenfroh gestal-teten Nintendo DS-Spiel werden die kleinen Gehirnjogger von ihrem persönlichen Trainer oder ihrer persönlichen Trainerin – Charlie oder Jane – bei den abwechslungsreichen Aufga-ben begleitet und mit den nötigen Tipps und Tricks versorgt. Dabei bietet das Spiel zwei Hauptoptionen: das Training und die Karriere. Der Tainingsmodus gliedert sich wiederum in die Kategorien Sprache, Gedächtnis, Rechnen, Räumliches Denken, Auffassung und Logik, wobei der Trainer bzw. die Trainerin vor jeder neuen Aufgabe ein kurzes Tutorial bereit hält. Und wer sich dann in den Minispielen des Trainingsmodus warm gespielt hat, kann seine Fähigkeiten im Karrieremodus unter Beweis stellen.
Hier kann weiter nach Wörtern gesucht, Kopfrechenaufgaben gelöst, oder gepuzzelt werden. Und wer flink genug ist, dem werden zur Belohnung im Trainingsmodus weitere Schwierigkeitsstufen mit neuen Spielen frei geschal-tet. Zusätzlich ist es jederzeit möglich, seinen persönlichen Fortschritt sowohl im Training als auch in der Karriere im Analyse-Modus mit Hilfe einer Grafik zu überprüfen. Das liebevoll animierte Spiel punktet mit seiner nutzerfreundlichen Handschriftenerkennung und seinen facettenreichen Mini-Spielen, die im Multiplayermodus auch gegeneinander gespielt werden können. Was aber schnell mal auf die Nerven gehen kann und sogar das Denken erschwert, ist die stets gleich bleibende, recht unruhige musikalische Untermalung. Fraglich ist auch die Benutzung des Karrierebegriffs in einem Kinderspiel. Als Altersempfehlung gibt der Heraus-geber ‚3+’ an, wobei es wohl eher selten vorkommt, dass ein Kind in diesem Alter bereits Kopfrechenaufgaben oder Wörterpuzzle bewältigen kann. Kinder ab sieben oder acht Jahren könnten sich jedoch auf jeden Fall an der kurzweiligen Unterhaltung mit THINK Kids – Spiel dich schlau! erfreuen.
Keine Bildung ohne Medien!
Zentrale medienpädagogische Einrichtungen haben im Rahmen der internationalen Konferenz „Computer Games/Player/Games Culture“ in Magdeburg am 21. März 2009 ein Medienpädagogisches Manifest veröffentlicht. Sie fordern darin eine dauerhafte und nachhaltige Verankerung der Medienpädagogik in allen Bildungsbereichen.Die Verschmelzung der alten und der neuen Medien, ihre zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit (Laptop und Handy) sowie der Zugriff zum Internet eröffnen den Menschen neue Lern- und Erfahrungsbereiche. Medien bieten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe. Darüber hinaus liefern Medien wichtige Deutungsangebote, Identifikations-, Orientierungs- und Handlungsräume. Sie sind eine kontinuierlich verfügbare Ressource für Identitätskonstruktionen von Heranwachsenden. Gleichzeitig bringen sie auch neue Entwicklungs- und Sozialisationsprobleme sowie gesellschaftliche Risiken mit sich. Diese reichen von ethisch fragwürdigen Medienangeboten über soziale Benachteiligung bis hin zu fahrlässigen Formen des Umgangs mit (digitalen) Medien. Gerade der Umgang mit persönlichen Daten in der Internetkommunikation offenbart in letzter Zeit gravierende Fehlentwicklungen. Medienkompetentes Handeln setzt fundierte Kenntnisse über die verschiedenen Medien voraus: Kenntnisse über technische Grundlagen und ästhetische Formen, über die Bedingungen und Formen medialer Produktion und Verbreitung in der Gesellschaft, ein Bewusstsein für die kulturell-kommunikative, ökonomische und politische Bedeutung, die Medien in globalisierten Gesellschaften haben. Medienkompetenz zielt auf die Fähigkeit zur sinnvollen, reflektierten und verantwortungsbewussten Nutzung der Medien. Hierzu gehören unter anderem die Fähigkeit zu überlegter Auswahl, zum Verstehen und Interpretieren medialer Codes, zu einer reflektierten Verwendung von Medien in Freizeit, Schule und Beruf. Das aktive und kreative Gestalten mit Medien für Selbstausdruck, für die Artikulation eigener Themen, für Kontakt und Kommunikation ist ein weiterer, zentraler Bereich von Medienkompetenz. Schließlich fördert Medienpädagogik die Medienkritik, die sich sowohl auf die gesellschaftliche Medienentwicklung als auch die (selbstreflexive) Mediennutzung und die eigene Gestaltung mit Medien bezieht.Die Medienpädagogik hat in den beiden vergangenen Jahrzehnten beachtliche Fortschritte in Theorie, Forschung und Praxis erzielt. So konnte eine Reihe notwendiger, aber längst nicht hinreichender medienpädagogischer Fundamente geschaffen werden: Theoretische und empirische Arbeiten beleuchten die vielfältigen Dimensionen des Medienhandelns und die Bedeutung der Medien für Sozialisation und kulturelle Alltagspraktiken. Es gibt eine Fülle an hervorragenden medienpädagogischen Materialien für die Praxis, eine Vielzahl an überzeugenden Modellversuchen und eindrucksvollen Leuchtturmprojekten aber es fehlt an der erforderlichen Nachhaltigkeit. Es mangelt nach wie vor an der Infrastruktur und an den organisatorischen Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen sowie an der medienpädagogischen Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte. Die sozialen und kulturellen Auswirkungen globalisierter Medienwelten und die Entwicklung der Gesellschaft zu einer allumfassenden Informations- und Mediengesellschaft fordern den gesamten Bildungsbereich und damit auch die Medienpädagogik auf neue Weise heraus. Notwendig ist eine umfassende Förderung der Medienpädagogik in Wissenschaft und Forschung sowie auf allen Ebenen der Erziehungs- und Bildungspraxis. Dies verlangt nicht nur programmatische Überlegungen sowie eine auf Jahre angelegte strategische Planung, sondern insbesondere auch personelle, infrastrukturelle und finanzielle Investitionen auf Länder- und Bundesebene. Dabei müssen alle Erziehungs- und Bildungsbereiche und deren Institutionen, aber auch die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit, die berufliche Aus- und Fortbildung sowie Erwachsenen-, Familien- und Altenbildung berücksichtigt werden.Bildungspolitische Forderungen der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses ManifestsDie zentrale Aufgabe besteht heute darin, die Medienpädagogik von einer Phase der Modellprojekte und einzelnen Aktionen auf lokaler und regionaler Ebene zu einer Phase struktureller Veränderungen zu überführen. Punktuelle Maßnahmen und diverse Informations- und Beratungsangebote im Internet und in anderen Medien reichen längst nicht mehr aus. Bislang hat in der Breite gesehen die Medienpädagogik keinen festen Platz an Schulen und Hochschulen. In vielen Familien und pädagogischen Einrichtungen findet eine reflektierte Auseinandersetzung mit Medien kaum statt. Viele Eltern und Erziehende in allen pädagogischen Bereichen sind hinsichtlich ihrer medienerzieherischen Verantwortung unsicher. In dieser Situation ist es geboten, Medienpädagogik dauerhaft in allen Bildungsbereichen zu verankern. Mit besonderer Dringlichkeit stellen wir folgende Forderungen:- Damit alle Kinder und Jugendlichen die Chance erhalten, ihre Medienkompetenzen zu erweitern, müssen medienpädagogische Programme vor allem in den Einrichtungen der Elementarpädagogik sowie in der Jugend-, Familien- und Elternbildung verstärkt werden. - Im Schulalltag hat sich Medienpädagogik als Querschnittsaufgabe für alle Fächer bislang nicht durchgesetzt. In der aktuellen Diskussion zur Schulreform (z. B. Ganztagsschulen) müssen für alle Schulformen auch Bildungsstandards für Medienkompetenz vereinbart und entsprechende medienpädagogische Inhalte in Curricula verbindlich verankert werden. Dieser Prozess muss durch Evaluationsstudien und Programme zur Qualitätssicherung sowie durch nachhaltige Fortbildungsmaßnahmen für alle Lehrpersonen und pädagogischen Fachkräfte unterstützt werden.- Einen besonderen Schwerpunkt stellen pädagogische Angebote für Heranwachsende aus Migrationskontexten und bildungsbenachteiligten Milieus sowie Angebote zur geschlechtersensiblen Arbeit dar. Dafür müssen stärker als bisher die Einrichtungen der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit genutzt werden. Eine Intensivierung der Medienprojekte in diesem Bereich ist durch die Verbesserung der Infrastruktur und der personellen Ausstattung sowie durch kontinuierliche öffentliche Mittel zu sichern. Medienpädagogik ist im Kontext kultureller Bildung erheblich mehr zu fördern.- In der Ausbildung von Erzieher/innen, Lehrer/innen, Erwachsenenbildnern und Sozialpädagogen/innen ist generell eine medienpädagogische Grundbildung als verbindlicher Bestandteil der pädagogischen Ausbildung zu verankern. Daneben müssen spezifische medienpädagogische Ausbildungen in Form von Master-Studiengängen und als Wahlpflichtbereiche in anderen Studiengängen angeboten werden. Voraussetzung hierfür ist der erhebliche Ausbau medienpädagogischer Professuren und Lehrstühle mit Infrastruktur an den Hochschulen.- Während es zur quantitativen Mediennutzung diverse Studien gibt, mangelt es nach wie vor an tieferreichenden Untersuchungen, die die Mediennutzung in sozialen Kontexten differenziert und prozessbezogen analysieren, auch im Sinne von Grundlagenforschung. Notwendig ist vor allem eine deutliche Verstärkung der Mediensozialisationsforschung und der medienpädagogischen Begleit- und Praxisforschung.Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Manifests:Für den Vorstand der Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft: Prof. Dr. Dorothee Meister, Prof. Dr. Heinz Moser, Prof. Dr. Horst Niesyto; www.dgfe.de/ueber/sektionen/sektion12/mp/index_htmlFür die Fachgruppe Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft: Ulrike Wagner, Dr. Angela Tillmann; www. dgpuk.deFür den Vorstand der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK): Prof. Dr. Norbert Neuß, Dr. Dagmar Hoffmann, Prof. Dr. Bernward Hoffmann; www.gmk-net.de/Für den Vorstand des JFF – Jugend, Film, Fernsehen e. V.: Prof. Dr. Bernd Schorb, Prof. Dr. Rüdiger Funiok; www.jff.deFür das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung: Prof. Dr. Uwe Hasebrink, Dr. Claudia Lampert; www.hans-bredow-institut.deEinrichtungen, die das Manifest unterstützen möchten, wenden sich bitte an eine der oben genannten Organisationen/Einrichtungen.Die Verfasserinnen und Verfasser des Medienpädagogischen Manifests regen eine Diskussion der dargestellten Positionen an. Gelegenheit dazu bietet sich im merz-Forum auf www.merz-zeitschrift.de
Markus Achatz: Grenzübertritte
Zahlreiche Filme im Programmbereich GENERATION auf den 59. Internationalen Filmfestspielen in Berlin konfrontierten ihre Protagonistinnen und Protagonisten unmittelbar mit den Härten des alltäglichen Lebens und mit schwerwiegenden Problemen. Dies galt für die Programmschiene des Kinderfilmfestivals Kplus genauso wie für die seit 2004 eingeführte Sparte 14plus mit einer Auswahl an Filmen, die sich an ein jugendliches Publikum richten. Die Beiträge in beiden Programmbereichen beeindruckten häufig dann besonders, wenn sie auf der Grenze ihrer Zugehörigkeit zur jeweiligen Rubrik lagen. Die GENERATION-Organisatoren der Berlinale beweisen durchaus Mut, indem sie Grenzgänger bezüglich des Zielpublikums ins Programm aufnehmen. Die Eignung der GENERATION-Filme für bestimmte Altersgruppen führt beinahe jedes Jahr zu Diskussionen. Immer wieder überrascht dabei die jährlich neu zusammengesetzte Kinderjury aus elf- bis 13-jährigen Berliner Schülerinnen und Schülern durch unkonventionelle und mutige Entscheidungen bei der Vergabe der Preise und beweist damit ihre Urteilsfähigkeit zum Programm. Auch im GENERATION-Programm der Berlinale 2009 wurden nicht nur die Heldinnen und Helden, sondern auch das Publikum mit Schicksalsschlägen, Emotionen, Leid und Krieg und in besonders glücklichen Fällen mit Empathie – für das Leben Heranwachsender konfrontiert. In Filmen, die von widrigen Bedingungen im Grenzgebiet zwischen Georgien und Abchasien, in ärmlichen Landgebieten Anatoliens oder der bedrückenden Einfamilienhaus-Siedlung an der Peripherie einer kanadischen Stadt der 1960er Jahre handeln.Grenzen der InnenweltIm Jahr 2009 ging der Gläserne Bär der Kinderjury für den besten Film an die kanadische Produktion C’est pas moi, je le jure! (Ich schwör’s, ich war’s nicht!), dessen Regisseur zwar betonte, den Film nicht für Kinder gemacht zu haben, der aber dennoch beeindruckt war von den Rückmeldungen des jungen Publikums. Auf seine Frage an die Kinder im Auditorium, ob sie denn glauben, der Film sei für sie geeignet, kamen sowohl „Ja“- als auch „Nein“-Rufe. Ein 13-jähriger Junge meldete sich und meinte, er würde den Film nicht für Kinder empfehlen, die jünger seien als er, aber er fand ihn gut. Unabhängig vom schwierigen Thema Altersempfehlung bieten Festivals dem Publikum (und nicht nur Kindern) die einzigartige Möglichkeit, über die Filme zu sprechen und Fragen zu stellen. Dies ist auch ein wichtiger Teil der Kultur auf der Berlinale und macht das Festival-Kino zu einem weitaus interaktiveren Medium als sonst möglich. Regisseur Philippe Falardeau stellte sich gerne den Fragen des Publikums und führte einen Dialog, der zu einer bereichernden Komponente seines Films wurde.„Mein Name ist Leon Doré, ich bin zehn Jahre alt und ganz bestimmt nicht normal.“ Gleich zu Beginn des Films hängt Leon mit der Schlinge um den Hals am Baum vor dem Haus seiner Eltern. Die Mutter schafft mit Mühen, Leon zu befreien, bevor er sich stranguliert. Es war nicht das erste und letzte Mal, dass Leon einen Selbstmordversuch startete. Er unternimmt vieles, um gegen die permanenten Streitereien seiner Eltern anzukommen, um auch auf sich aufmerksam zu machen. Vor allem aber, um zu verhindern, dass seine Mutter alleine nach Griechenland geht. Leons Bruder scheint alles viel leichter zu nehmen. Er ist älter als er und wütend über die Suizidambitionen des Jüngeren. Obwohl Leon als strategischen Schachzug sogar das Schlafzimmer in Brand setzt, kann er nicht verhindern, dass die Mutter die Familie verlässt. Sein Vater, sein Bruder und er müssen nun auf neue Art zurechtkommen und sich gegenseitig neu kennen lernen. Dem heimischen Ärger zu entkommen gelingt Leon am besten, wenn er heimlich in den Häusern der Nachbarfamilien herumstöbert und sich dadurch an deren vermeintlich heiler Welt rächt. Mit Lea ist vieles anders. Leon trifft sich regelmäßig mit ihr im Geheimversteck inmitten des Maisfelds. Sie ist ein bisschen rätselhaft und hat es in ihrem Leben auch nicht leicht. Sollten sie und er einmal ausbrechen aus dieser Welt – dann vielleicht zusammen. Als Leon Lea gesteht, dass er sie liebt, zuckt Lea mit den Schultern und meint nur: „Ich mich auch.“Die Antwort ist so überraschend wie Philippe Falardeaus Film manchmal unbequem ist. Man rechnet nicht damit und man möchte etwas anderes hören. Konsequent zeigt Falardeau die Welt aus Leons Sicht. Mit allen seinen Querdenkereien und seinem Drang, Dinge zu verstehen, die kompliziert sind. Die besondere Leistung liegt darin, dass der Film nicht deprimiert, sondern immer wieder mit humorvollen Szenen und Dialogen ein im Grunde tiefsinniges Thema aufzulockern versteht. Als erwachsener Zuseher staune ich auch im Nachhinein noch, wie der Film dies geschafft hat. Sicher auch durch Antoine L’Écuyer als ein Hauptdarsteller, der diese Gratwanderung auf hervorragende Weise mitträgt, der von stiller Melancholie, spontaner Freude bis zur tiefsten Verzweiflung in 110 Minuten beweist, wie komplex das Leben sein kann. Damit hat er auch die Gefühle der Kinderjury erreicht, die den Gläsernen Bären so begründet: „Wir haben uns für diesen Film entschieden, da er Komödie und Tragödie gut zusammenbringt. Es geht um einen Jungen, der mit vielen Tricks und originellen Ideen um die Liebe seiner Eltern und die eines Mädchens kämpft. Der junge Hauptdarsteller hat eine starke Ausstrahlung, so dass uns der Film von der ersten bis zur letzten Minute in seinen Bann zog.“ Der Große Preis des Kinderhilfswerkes, verliehen von einer erwachsenen Fachjury, ging ebenfalls an Ich schwör’s, ich war’s nicht!GrenzüberschreitungIn Leons Geschichte wird Leben und Tod vornehmlich in inneren Grenzgängen manifest. In Gagma Napiri (Das andere Ufer) erhalten reale Grenzübertritte inmitten des Krieges zwischen Georgien und Abchasien eine konkrete Bedeutung. Die georgisch-kasachische Koproduktion erzählt in düsteren, langsamen Bildern die Suche des zwölfjährigen Tedo nach seinem Vater. Als Tedo vier Jahre alt war, musste er wegen des Bürgerkriegs aus Abchasien nach Georgien fliehen. Sein Vater blieb damals zurück, weil er als Herzkranker den Strapazen der Flucht nicht gewachsen gewesen wäre. Sein trostloses Leben bestreitet Tedo mit Hilfsarbeiten und Kleindiebstählen. Das wenige Geld steckt er seiner Mutter zu, damit sie sich nicht weiterhin mit den fremden Männern einlassen muss. Die Aussichtslosigkeit treibt ihn an, das Land zu verlassen, um auf der anderen Seite – „am anderen Ufer“ – nach seinem Vater zu suchen. Obwohl ihn alle, die erfahren, dass er ernsthaft gehen wird, seltsam ansehen und fragen, ob er denn keine Angst habe, bleibt er bei seinem Beschluss. Ja, er hat Angst vor der Grenze, vor der Reise und vor den Abchasiern, aber es ist seine einzige Hoffnung.Auf seinem Weg durch Krisengebiete und Ruinen reisen Angst und Tod mit. Tedos Geschichte ist keine Kinderfilmgeschichte, kein Unterhaltungskino und dennoch sind es große Bilder von fernen Landschaften. Er begegnet verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen Kulturen, von denen man lernt oder die unverständlich bleiben. Es ist nur zu erahnen, wie lange sich Feindschaften zwischen Völkern halten, wenn keine Lösung in Sicht ist. Durch den aufgeflammten Konflikt in der Region im Jahr 2008 erhielt der Film, dessen Dreharbeiten schon etwa drei Jahre zurücklagen, neue, bedrückende Aktualität. Gagma Napiri wandelt an der Grenze zum Dokumentarfilm. Die Reise des Jungen kommt teils mit sehr wenigen Dialogen aus, teils können sich die Personen gegenseitig nicht verstehen, denn es wird georgisch, russisch und abchasisch gesprochen. (Dem Kinopublikum helfen die Untertitel.) Außerdem hält sich Tedo an den Rat eines Bekannten, sich lieber stumm zu stellen, als sich als Georgier zu outen. Schließlich erreicht Tedo die Ruinen seines früheren Wohnorts Tkvarcheli. Die Kälte und Ödnis der Stadt wird nach der langen Reise des völlig übermüdeten Jungen durch einbrechenden Schneefall noch verstärkt.Regisseur George Ovashvili erzeugt in den Ruinen von Tkvarcheli beinahe poetische Szenen, die dem Lärm und der Gewalt auf Tedos Reise entgegenstehen. Die Stadt ist ein Symbol für die endgültig vergangene Kindheit Tedos, der aus den Resten der elterlichen Wohnung sein kaputtes Spielzeug herauszieht. Im Verlaufe der gesamten Geschichte kneift Tedo immer wieder fest seine Augen zusammen. Der Flüchtlingsjunge auf der Flucht: nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen. Einzig dadurch kann er sich ungestört an frühere Zeiten erinnern oder an andere Orte träumen. In diesen Momenten erkennt man aber auch Hoffnung in Tedos Gesicht. Der Darsteller Tedo Bekhauri spielt dies mit beeindruckender Intensität. Im Anschluss an die Vorführung wurde der Schauspieler Tedo nach der schwierigsten Szene des Tedo im Film gefragt und antwortete mit einer späten Sequenz, in welcher der Junge von Rebellenkämpfern im Wald aufgegriffen wird und um sein Leben bangen muss. Er weint und schreit vor Angst bis er die Augen zukneift und alles ganz still wird.In seiner Konsequenz, Tedos Reise ganz und gar der Hauptfigur zu überlassen, die Inszenierung ganz in den Hintergrund treten zu lassen, erinnerte mich der Film an die Meisterwerke der polnischen Regisseurin Dorota Kedzierzawska. Geschichten wie Wrony (Krähen, 1994) oder Jestem (Ich bin, 2005) sind zwar nicht unmittelbar mit Gagma Napiri vergleichbar, weisen aber Parallelen in der Arbeit von Kamera und Licht auf, die für eine besondere Grundatmosphäre sorgen. Vor allem jedoch das beinahe bedingungslose ‚Sich-Einlassen’ auf die zentrale Figur und deren Erfahrungen haben die Filme gemeinsam. Leider wohl auch die Tatsache, dass es kaum Möglichkeiten geben wird Gagma Napiri ebenso wie Wrony oder Jestem ohne Weiteres wiederzusehen. Dazu sind sie zu wenig breitenkompatibel und zu unbequem. Filme, die ewig Grenzgänger bleiben.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor:
Markus Achatz
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Elisabeth Jäcklein: Mit einem vieräugigen Alien zu mehr Weltverständnis?!
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind“ prangt auf dem Deckel der monströsen, hellblauen Box. Daneben: step21 – Box [Weltbilder : Bilderwelten] und ein Bild von einem grinsenden, vieräugigen Alien. Nein, die Box ist keine Post aus anderen Galaxien und auch kein Esoterik-Kit für Anfänger. Stattdessen verbirgt sich hinter der bunten Verpackung Lehrmaterial für die Grundschule in Hülle und Fülle.Es ist bereits die zweite „Lernbox“, die step21, die „Initiative für Toleranz und Verantwortung“, diesmal mit Förderung durch die Nordmetall Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und Ein Herz für Kinder, herausgegeben hat. Nachdem die erste Box sich an ältere Adressatinnen und Adressaten im Jugendalter richtete und ‚Identität’ zu ihrem großen Thema gemacht hatte, dreht sich nun alles um Weltbilder und Bilderwelten. Konkret bedeutet das: Die Box will Grundschullehrerinnen und -lehrer dabei unterstützen, ihren sieben- bis zehnjährigen Schützlingen Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz nahezubringen. Dazu bietet sie nicht nur Ideen und Hintergrundinformationen, sondern auch komplett ausgearbeitete Stundenentwürfe, Druckvorlagen für Arbeitsblätter, Bilder und Karten, ausgiebig Overheadfolien, Arbeitshefte im Klassensatz sowie drei CDs bzw. DVDs mit Bildern, Filmen, Hörspielen und Software zur Unterrichtsgestaltung. Die reinste Schatzkiste also.Inhaltlich sind die Materialien recht übersichtlich und sinnvoll aufgebaut: Acht verschiedene ‚Lerneinheiten’ fordern die Benutzerinnen und Benutzer auf, sich „zu Hause“, „in meinem Zimmer“, „auf der Straße“, „in der Schule“, „in der Kirche, Moschee & Synagoge“, „im Museum“, „im Einkaufscenter“ und „auf dem Bahnhof“ mit Medien, Bildern und Kulturen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es zu jeder Einheit wiederum verschiedene einzelne Themen. ‚Zu Hause’ beispielsweise findet man Familiensituationen und Familienbilder – im wörtlichen und übertragenen Sinn – vor, beschäftigt sich mit Esskultur in Deutschland und anderswo, bekommt einen Einblick in Entstehung, Aufbau und Wirkung von Fernseh(-bildern) und Zeitungen. Zu jedem dieser Themen lassen sich aus der Kiste die verschiedensten Unterrichtsmaterialien zaubern – von Bildern, Folien, Hörspielen oder Filmen zum Einstieg über Spielideen bis hin zu anspruchsvollen Projekten, in denen die Kinder sich selbständig und über einen längeren Zeitraum mit Medienbildern oder Kulturen auseinandersetzen. Dabei sind die Lehrerhefte stimmig aufgebaut und alle Materialien farblich sortiert und mit Verweisen versehen, so dass aus der opulenten Fülle an Material immer das richtige für jede Lerneinheit problemlos gefunden werden kann. In den Schülerheften begleiten das nette Alien Tiro und sein lilaner Freund Flecki die Kinder durch den Bilder- und Kulturendschungel. Und wem die unendlichen Möglichkeiten im Lernkoffer immer noch nicht ausreichen, der findet unter www.step21box.de das passende weiterführende Angebot zur Box, wo es noch mehr Materialien gibt und man zusätzlich Ergebnisse einstellen, sich mit anderen Klassen vernetzen und sich weiter informieren kann.Alles in allem dürfte die Box, die es online auf www.step21.de zu bestellen gibt, also die meisten Lehrerherzen höher schlagen lassen, bietet sie doch schön und kindgerecht gestaltetes und gut ausgearbeitetes Unterrichtsmaterial, ist ansprechend und interessant aufgebaut und überzeugt mit guten Ideen und wirklich viel Inhalt. Über die stolze Schutzgebühr von 137 €, die nur Schulen in Schlesweig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern erspart bleibt, könnte man in Anbetracht dessen sogar hinwegsehen. Weniger angenehm ist allerdings, dass den Machern nach dutzenden Arbeitsblättern und Folien leider die Puste ausgegangen zu sein scheint – das würde zumindest erklären, warum die Video- und Hörspiel-CDs die sonst so angenehm übersichtliche Sortierung gänzlich vermissen lassen und ihren Inhalt unbenannt und unsortiert präsentieren, oder warum die Hörspiel-Software lediglich in einem Verweis auf den Internet-Auftritt besteht. Auch erschließt sich die Themenkombination Weltbilder : Bilderwelten nicht unbedingt selbstredend. So schön das Wortspiel auch sein mag – man fragt sich bisweilen, warum ausgerechnet Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz in eine Lernbox zusammengewurstet werden mussten. Essmanieren in verschiedenen Kulturen etwa haben mit Medien herzlich wenig zu tun und der Zusammenhang zwischen der Arbeit eines Zeitungskioskverkäufers und seinem Migrationshintergrund wirkt auch etwas geschraubt und stereotyp. Vielleicht hätte eine Aufteilung der beiden Themen auf zwei Boxen den quantitativen Umfang jeder einzelnen etwas verringert – aber der inhaltlichen Klarheit des Themas doch einen Gefallen getan. Die hier vorhandene Masse an Vorschlägen lässt sich ohnehin zeitlich kaum im Unterricht unterbringen: Beim Versuch, die Box auch nur annähernd mit einer Klasse durchzuarbeiten, müssten wohl andere Lehrplaninhalte wie das Alphabet und das kleine Einmaleins dran glauben.Dennoch ist die Box alles in allem eine gute Bereicherung für jeden Unterricht und sicher ein guter Schritt, Welt und Medien ein bisschen mehr so zu sehen, „wie sie sind.“
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Markus Achatz: Kino aus China
In den verschiedenen Sektionen der Berliner Filmfestspiele 2009 ragten Filme aus Taiwan, Hongkong, China heraus, die sich stärker dem Alltag zuwenden. Fragen nach Freundschaft, Verständnis, Liebe und Sexualität werden direkter angesprochen denn je und zeigen auf mal vertraute, mal fesselnde und mal berührende Art, dass dieses Thema keine Grenzen kennt und junge Menschen überall auf der Welt versuchen, ihr Glück zu finden.Zum Beispiel im Programm von GENERATION 14 plus der Film Miao Miao des taiwanesischen Regie-Talents Cheng Hsiao-Tse. Die zurückhaltende Japanerin Miao Miao kommt als Austauschschülerin nach Taipeh. Durch die aufgekratzte Ai findet sie Anschluss in der Schule und für beide ist es eine rosarote Zeit. Sie halten Händchen, backen Törtchen und ziehen durch die Stadt. Dabei entgeht Miao Miao, wie sehr Ai sie mag und sich zunehmend zur neuen Klassenkameradin hingezogen fühlt. Miao Miao ist hingegen vom in sich gekehrten CD-Händler Chen Fei fasziniert. Die beiden Mädchen tauchen ständig in dessen obskurem CD-Laden auf. Chen Fei ist über zwanzig und damit älter als die Mädchen. Er scheint nur mit sich selbst beschäftigt und kommuniziert kaum mit seinen Kunden. Miao Miao findet schließlich heraus, dass aus seinen Kopfhörern gar keine Musik kommt. Doch hinter dieser Tatsache verbirgt sich ein weiteres Geheimnis um den ehemaligen Rockmusiker Chen Fei.Der Regisseur Cheng Hsiao-Tse beschäftigt sich sehr intensiv mit den wenigen Figuren seiner Geschichte. Der Film wird streckenweise zu einem Kammerspiel, in dem es um Sehnsucht, Liebe und die damit verbundenen Rätsel geht. Obwohl Ai und Miao Miao beste Freundinnen sind, wird nicht alles ausgesprochen. Auch Chen Fei ist nicht in der Lage mit irgendjemandem über seine Emotionen zu sprechen. Das Spielfilmdebut Miao Miao gibt lohnende Einblicke in den Alltag und die Konventionen des heutigen Taipeh. Gleichzeitig erzeugt der Film durch den intensiven Zugang zu den Gefühlen seiner Protagonisten einen beinahe weltumspannenden Effekt, der die Bedeutung von Freundschaft und Liebe auf alle Kontinente übertragbar zeigt. Symbolisiert wird dies in der Schlusssequenz, wenn Ai dem startenden Flugzeug hinterhersieht, in dem sich Miao Miao befindet – nicht wissend, wie stark Ais Gefühle für sie in Wirklichkeit sind.Neben Ko Chia Yen als Miao Miao spielt Sandrine Pinna als Ai eine gleichwertige Hauptrolle. Die Taiwanesin mit europäischen Wurzeln übernahm auch den Main-Part in Yang Yang (Taiwan 2009).Yang Yang war im PANORAMA der diesjährigen Berlinale zu sehen und ist der zweite Film des 1977 geborenen Regisseurs Cheng Yu-Chieh, der für sein Debüt Yi Nian Zhi Chu (Do Over) in seiner Heimat mehrere Preise gewinnen konnte. Yang Yang und Xiao-Ru sind um die zwanzig und bereits gute Freundinnen als Yang Yangs Mutter und Xiao-Rus Vater heiraten. Die beiden werden somit Schwestern und der Vater trainiert die Mädchen an der Schule als Leichtathletiktrainer. Nicht nur die Konkurrenz im Sport stellt die Freundschaft der Mädchen auf eine Probe. Als sich Xiao-Rus Freund Shawn und Yang Yang ineinander verlieben, bricht nicht nur eine Freundschaft, sondern auch die Familie auseinander. Yang Yang, deren leiblicher Vater Franzose ist, zieht mit Unterstützung des Modeagenten Ming-Ren nach Taipeh. Durch ihre eurasische Herkunft ergeben sich Chancen als Model und Schauspielerin. Doch muss sie erst viel über dieses Business lernen und Ming-Ren wird zu ihrem treuen Berater und Begleiter. Auch wenn der Film in der zweiten Hälfte einige dramaturgische Schwächen aufweist, hält er sich eng in der Perspektive der Hauptfiguren und macht deutlich, wie schwer es sein kann, den eigenen Gefühlen zu vertrauen und das Handeln der anderen zu verstehen.Diesen beiden Produktionen sowie weiteren Asia-Filmen der Berlinale – zum Beispiel Dongbei Dongbei (A Northern Chinese Girl, China 2009) oder Claustrophobia (Hongkong, China 2008) – ist gemeinsam, dass sich ihre Regisseure stark darauf fokussieren, eine überschaubare Geschichte zu erzählen, die sich für ihre Protagonistinnen und Protagonisten Zeit nimmt. Die Figuren bleiben dabei niemals eindimensional, sondern entwickeln sich im Laufe der Geschichten weiter. Die Storys schlagen keine unnötigen Haken und verzichten gänzlich darauf, unnötige Effekte und Actionelemente einzusetzen. Das Kino der authentischen Gefühle kommt derzeit aus Fernost.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor:
Markus Achatz
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Sabine Bonewitz: "mec - der Medienpädagogische Erzieher/innenclub" - ein rheinland-pfälzisches Modellprojekt
„Computer, Fernsehen, Medienwelt,das ist es, was uns kids gefällt.Doch wichtig ist’s, das zu verstehenund RICHTIG damit umzugeh’n.Der mec erklärt uns WIE und WAS,er macht uns medienfit – und SPASS!!“Solche kreativen Ideen entwickeln Kinder, wenn sie spielerisch an medienpädagogische Themen herangeführt werden. Dieses Kurzgedicht haben Vorschulkinder vom „Haus des Kindes“ in Stadecken-Elsheim (Rheinhessen) verfasst und im Rahmen der mec-Auftaktveranstaltung im November 2008 in Mainz vorgetragen. In dieser Kita, einer von zehn sogenannten Konsultationskitas, die es verstreut in ganz Rheinland-Pfalz gibt, wird Medienarbeit großgeschrieben. Das ist nicht die Regel und es gibt immer noch Einrichtungen der Kindertagespflege, die einer aktiven Medienarbeit eher skeptisch gegenüber stehen.Der neu gegründete mec – Der medienpädgogische Erzieher/innenclub will hier Aufklärungsarbeit leisten und allen rheinlandpfälzischen Kitas Anleitungen für die praktische Medienarbeit mit Kindern im Vorschulalter zur Verfügung stellen.
Medien gehören zum Kinderalltag
Er unterscheidet sich in vielen Dingen von dem vergangener Zeiten – der Kinderalltag von heute. Es stehen weniger bzw. andere Spielräume zur Verfügung, in vielen Familien sind beide Elternteile berufstätig und eine Vielzahl von Medien übt eine große Anziehungskraft auf Kinder aus und beeinflusst ihren Tagesablauf: Computer, Fernsehen, Handy, Radio, i-Pod und auch Zeitschriften und Bücher. Mit großer Begeisterung wird gesurft, gespielt, gechattet, ferngesehen und auch gelesen – und am liebsten alles gleichzeitig. Diese Veränderungen spiegeln sich auch im Kita-Alltag wider und fordern von den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Fachwissen im Umgang mit diesen Medien. Dabei spielt die Divergenz der unterschiedlichen Medien eine große Rolle. Entscheidend ist – und da sind sich alle Pädagoginnen und Pädagogen landauf und landab einig, dass Kinder den richtigen Umgang mit allen Medien lernen, je früher desto besser. Damit das gut gelingt, brauchen die Kinder medienkompetente Erwachsene.
Der mec und sein medienpädagogisches Angebot für die Praxis
Genau hier setzt der neu gegründete mec an, dessen offizieller Startschuss am 17. November 2008 in Mainz fiel. Gemeinsam mit medien+ bildung.com, einer Tochtergesellschaft der LMK (Rheinlandpfälzische Landeszentrale für Medien und Kommunikation), die den mec unterstützt, bietet die Stiftung Lesen diesen Service für Erzieherinnen und Erzieher an. Manfred Helmes, Direktor der LMK Rheinland-Pfalz meint zu dem neuen Projekt: „Angebote zur Orientierung in einem unübersichtlichen Mediendschungel für pädagogisches Fachpersonal und alle an der Erziehung von Kindern und Jugendlichen Beteiligten sind wichtige Bestandteile eines umfassend verstandenen Jugendmedienschutzes. Dieser gehört zu den Kernaufgaben der LMK. Darum unterstützen wir sehr gerne den mec, der genau hier ansetzt“.Dezentral und wohnortnah werden im Rahmen dieses einmaligen Netzwerkangebotes pädagogischen Fachkräften in Zusammenarbeit mit Fachberatungen und Weiterbildungsträgern Fortbildungsseminare angeboten. In mehr als 40 Kursen zu zehn verschiedenen Themenkomplexen können interessierte Erzieherinnen und Erzieher im kommenden Jahr ihr medienpädagogisches Know-how vertiefen und erweitern. Die Seminare sind vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium als zertifizierte Qualifizierungsmaßnahme anerkannt und gefördert.
Neben praktischen Anregungen zur Arbeit mit den Medien Fernsehen, Video und Computer, gibt es auch einen Schwerpunkt zur (Vor-)Leseförderung. Denn Bücher eignen sich besonders, um kleine Kinder auch in ihrer sprachlichen Entwicklung zu fördern. Ein Bilderbuch lädt zum Dialog ein, beim Vorlesen tauschen sich Vorlesende und Zuhörende aktiv aus, sprechen über das, was im Buch passiert. Dieser Aspekt liegt besonders der Stiftung Lesen am Herzen, die seit 20 Jahren Leseförderung für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen betreibt. Somit ergänzen sich die beiden mec-Kooperationspartner gut: Der eine deckt den kreativen Umgang mit den audiovisuellen Medien ab und der andere richtet sein Augenmerk auf die Literacy-Erziehung. Ein vierteljährlicher mec-Newsletter, der über aktuelle Themen der frühkindlichen Bildung informiert, und die Homepage www.mec-rlp.de, die viele Infos zu den Themen „Medienpädagogik“ und „Medienerziehung“ vorhält, runden das Angebot ab. Alle rheinland-pfälzischen Erzieherinnen und Erzieher können kostenfrei Mitglied im mec werden und Materialien zu Literacy und Medienpädagogik erhalten. Ein wissenschaftlicher Beirat begleitet das Projekt.
Am mec interessierte Erzieherinnen und Erzieher aus Rheinland-Pfalz können sich gerne bei Birgid Dinges oder Sigrid Strecker melden. Kontakt: Birgid Dinges/Sigrid Strecker; mec – Der medienpädagogische Erzieher/innen Club; c/o Stiftung Lesen; Römerwall 40; 55131 Mainz; Dinges@medienundbildung.com; Sigrid.Strecker@stiftunglesen.de
Beitrag aus Heft »2009/01: Medienpädagogik in Ganztagsschulen«
Autor:
Sabine Bonewitz
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Tilmann P. Gangloff: Werteverfall im Dschungelcamp?
Im Januar hat RTL neue Staffeln seiner beiden ebenso umstrittensten wie erfolgreichsten Formate gestartet: Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! und Deutschland sucht den Superstar. Gerade Dieter Bohlens unsensible Bewertungen der mitunter allerdings in der Tat völlig talentfreien Darbietungen haben DSDS nicht nur in Verruf gebracht, sondern auch den Jugendschutz herausgefordert. RTL musste wegen mehrfacher Verstöße ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Euro bezahlen. „Beleidigende Äußerungen und antisoziales Verhalten werden in dem TV-Format als Normalität dargestellt. So werden Verhaltensmodelle vorgeführt, die Erziehungszielen wie Toleranz und Respekt widersprechen. Das kann auf Kinder desorientierend wirken“, findet Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der Kommission für Jugendschutz (KJM).
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor schädlichen Medieninhalten müsse Vorrang vor Gewinnmaximierung haben; das sei keine Frage des Geschmacks. Auch Maya Götz, Leiterin des Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (München), hält Sendungen wie Ich bin ein Star ... oder DSDS gerade hinsichtlich der Wertevermittlung für problematisch: „Bestimmte Dinge werden ganz selbstverständlich als bewundernswert herausgestellt. Gerade im Dschungelcamp bekommen ‚Leistungen’ einen Wert, die weder sinnvoll noch zukunftsfähig für Kinder und Jugendliche sind. Für sie ist eine medienkompetente Diskussion besonders schwer: weil niemand die grundlegende Frage nach dem Sinn stellt oder zum Boykott aufruft, sondern sich alle bloß mit Leidenschaft über Details aufregen.“Immerhin hat sich RTL reumütig gezeigt und versprochen, die Casting-Folgen künftiger DSDS-Staffeln vor der Ausstrahlung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorzulegen. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der FSF und studierter Theologe, hat ohnehin erhebliche Zweifel an der Theorie des Werteverfalls: „Ältere Generationen denken dauernd, der Jugend kämen die Werte abhanden. Aber Jugendliche stellen in der Pubertät alle Werte in Frage, das gehört quasi zum entwicklungspsychologischen Standard zivilisierter Gesellschaften.“ Die Rolle des Fernsehens sieht er dabei sogar positiv: „Medien sind Werteagenturen.
Sie stellen verschiedene Fälle von gefühltem Werteverlust vor und zwingen uns als Publikum, uns zu positionieren.“ Gerade das Privatfernsehen provoziere zur öffentlichen Diskussion, weil es immer wieder Dilemmata präsentiere. Bei DSDS zum Beispiel sei dies das Dilemma zwischen innerer und äußerer Moral: „Viele der DSDS-Kandidaten sind völlig untalentiert. In unserer inneren Bewertung würden wir genauso urteilen wie Bohlen. Aber es ist etwas anderes, das dem Betroffenen ohne Umschweife ins Gesicht zu sagen. Darüber empören wir uns.“ Als Zuschauerin oder Zuschauer ist man also gezwungen,darüber nachzudenken, wie man mit Menschen umgehen soll, die sich offenkundig völlig überschätzen. Untersuchungen haben dieses Dilemma bestätigt: Man empfindet gleichzeitig Schadenfreude und Mitgefühl. Diese Gefühlsambivalenz, sagt der FSF-Chef, zwinge das Publikum zur Reflektion. Außerdem erlebten Jugendliche Menschen wie Bohlen ständig: in der Familie, in der Schule, in der Lehre. DSDS sei für sie in gewisser Weise also eine Simulation des Alltags, was unter anderem den Erfolg des Formats erkläre.
Den Erwachsenen wiederum biete das Konzept die Möglichkeit, ihren eigenen Stil auf einer Metaebene zu hinterfragen: „Ihnen wird vor Augen geführt, wie es wirkt, wenn man mit jungen Menschen etwas rauer umspringt.“Beide Sendungen, Ich bin ein Star ... wie auch DSDS, haben für Joachim von Gottberg, der seine Haltung zu dem Thema ausführlich in dem Buch „Verlorene Werte?“ erläutert, jedoch nichts mit Jugendschutz zu tun: „Wir kommen kaum weiter, wenn wir solche Sendungen mit Verboten bekämpfen, schließlich werden keine Grundrechte verletzt.“ Trotzdem begrüßt er es, dass sich Menschen über die Formate empören: „Wäre das nicht der Fall, müsste man sich um die moralische Verfasstheit der Deutschen Sorgen machen.“
Beitrag aus Heft »2009/01: Medienpädagogik in Ganztagsschulen«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Elisabeth Jäcklein: Von Mut, Tapferkeit, Zusammenhalt - und einem kleinen Wunder
Kaum sind die Schrecken des Zweiten Weltkrieges im Osten Polens im Jahr 1944 vorüber und die wenigen Überlebenden beginnen, ihr Leben in den zerstörten Dörfern neu aufzubauen, da passiert das Unfassbare: Mehr als tausend Menschen, Juden, tauchen wie aus dem Nichts auf, laufen zerlumpt, ausgelaugt, aber lebend einfach aus den nahen Wäldern. Doch es sind keine Geister, wie viele vermuten. Es sind Flüchtlinge, die sich in den Wäldern versteckten, dort drei Jahre lang ausharrten und wie durch ein Wunder überlebten.Die Geschichte beginnt 1941, als deutsche Soldaten in Osteuropa einfallen und unter den Juden dort ein schreckliches Massaker anrichten. Drei Brüder, Asael, Zus und Tuvia Bielski flüchten sich in die nahen Wälder, verstecken sich unter Büschen und hinter Bäumen, um den Soldaten zu entkommen. Doch sie bleiben nicht lange allein, immer mehr Menschen erfahren von den Brüdern und gesellen sich zu ihnen, ihre Gruppe wächst. Mit der Zeit entsteht eine Gemeinschaft von hunderten, schließlich über 1.000 Menschen, sie bauen sich Hütten im Wald, stehlen Essen von nahen Bauernhöfen, besorgen sich Waffen und ziehen immer weiter rastlos durch den Wald, immer auf der Flucht vor den Nazis. Die Geschichte ist so wahr wie unfassbar und war doch lange unbekannt. Erst Regisseur Edward Zwick verfilmte den Überlebenskampf der Bielski-Brüder in Defiance, der am 5. März auch in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Die tapferen Überlebenden sind dabei hochkarätig besetzt: Daniel Craig mimt Tuvia Bielski, den charismatischen Anführer der versteckten Juden, Liev Schreiber gibt Zus Bielski, den etwas jüngeren, rabiateren Bruder und Jamie Bell ist Asael, der jüngste im Bunde. Während ihres gemeinsamen Überlebenskampfes durchleben die Charaktere dabei die ganze Bandbreite der Gefühle. Von der Freude über ihre Rettung bis zur Verzweiflung und Resignation angesichts der nahenden Feinde, von Freundschaft und Liebe im Lager bis zu Konkurrenzkämpfen unter den Brüdern und Hass unter den Flüchtlingen, von ausgelassenen Feiern und guten Zeiten bis Todesangst, Krankheit und Hunger. Schließlich siegen aber immer der Überlebenswille, Gemeinschaftsgefühl und Tapferkeit, so dass die Gruppe auch noch so widrigen Umständen trotzen, noch so übermächtige Hindernisse besiegen und den noch so starken Feind vertreiben kann.
Dass der Film dabei dick aufträgt, mit Special Effects, pathetischer Musik und dramatischen Szenen nicht geizt, ist kaum verwunderlich, schließlich lädt das Thema ja geradezu dazu ein. Ein tapferer Krieger am Rande seiner Kräfte, ein blutüberströmter deutscher Soldat oder ein gebrochenes, weinendes Mädchen weniger hätte auch gereicht – womöglich hätte weniger filmische Dramatik die tatsächliche Unfassbarkeit der Geschichte noch betont.
Doch auch so ist das Publikum gebannt und ungläubig. Aus der Flut der Weltkriegs-Dramen, die so oft sehr stereotyp daher kommen, hebt sich dieser Film hervor. Und bietet sich damit auch geradezu an, das Thema etwa in der Schule einmal von einer etwas anderen Seite zu beleuchten. Gerade für ältere Schülerinnen und Schüler, die von der „Weltkriegsthematik“ oft schon überflutet sind und die auch mit schockierenden Eindrücken umgehen können, dürfte dieser Film eine gute Möglichkeit sein, das Interesse am Thema neu zu wecken.
Aber auch um den Vergleich mit anderen ‚Helden’ dieser Zeit wie Sophie Scholl oder Anne Frank zu ziehen, ist der Film gut geeignet. Jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer dagegen können von der Dramatik des Filmes, besonders von den blutigen oder bedrohlichen Szenen und ihrer Realitätsnähe leicht überfordert und geängstigt werden.Im Ganzen also sicher ein sehenswerter Film über Mut, Zusammenhalt und Tapferkeit. Nicht unbedingt überragend in seiner Gestaltung, aber faszinierend in seiner Geschichte, die ganz wahr und doch ganz anders ist – und dem Kinopublikum ein bisschen Glauben an ein Wunder zurück gibt.
Defiance
USA 2008
Regie: Edward Zwick
Darsteller: Daniel Craig, Liev Schreiber, Jamie Bell, Alexa Davalos, Allan Corduner, Mark Feuerstein
Produktion: Edward Zwick und Pieter Jan BruggeVerleih: Constantin Film
Beitrag aus Heft »2009/01: Medienpädagogik in Ganztagsschulen«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis
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Die Wilden Hühner – Der Club der schlauen Köpfe. CD-ROM, Win 2000/XP/Vista; Mac OS X. Nach der Buchvorlage von Cornelia Funke. Hamburg: Oetinger, 2008, 9,95 €
Rechtzeitig zum Start des dritten (und letzten) Kinoabenteuers mit Cornelia Funkes Wilden Hühnern erscheint nicht nur Thomas Schmids Roman mit Filmbildern oder eine CD mit poppigen Bandenhits, auch die Website wildehuehner.de präsentiert sich in frischem Gewand und mit aktuellen Angeboten. Außerdem legt Oetinger eine neue Wilde-Hühner-CD-ROM mit 16 Denk- und Geschicklichkeitsspielen vor. Der Club der schlauen Köpfe bietet nicht nur preiswerten Spielspaß im Medienverbund, sondern trainiert – ganz im Stil von Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging – die geistige Fitness in verschiedenen Disziplinen. Gefragt sind logisches Denken, Reaktionsvermögen, Kurzzeitgedächtnis, Sprachverständnis und Mathematik. Jede Spielaufgabe kennt drei Schwierigkeitsstufen und bringt das Huhn auf der Spielübersicht mit jedem erreichten Level der Ziellinie ein Stück näher. Über einen Menüpunkt kann sogar der „Trainingsfortschritt“ in Form einer Verlaufsgrafik angezeigt werden. Passend zum Thema gibt es ein Bild-Sudoku mit Kleidungsstücken aus Melanies Garderobe oder eine Tetris-Variante mit bunten Perlen aus ihrem Schmuckkästchen. Codeknacker versuchen Sprotte und Freds geheime Liebesbotschaften zu entschlüsseln oder machen sich am ausgeklügelten Drehmechanismus zu schaffen, der das Baumhaus der Pygmäen vor unliebsamen Eindringlingen schützt. Ein entlaufenes Huhn soll mit geschickter Mausführung zurück in Oma Slättbergs Hof bugsiert, ein anderes durch strategische Spielzüge mit möglichst vielen Körnern aufgefüttert werden. Auch Zahlenjongleure kommen auf ihre Rechnung, beispielsweise wenn es darum geht, bei einem Kauf auf dem Flohmarkt möglichst rasch das korrekte Wechselgeld zu bestimmen oder in einer Rechenaufgabe fehlende Ziffern und Operationszeichen zu ergänzen. Im Gegensatz zur CD-ROM Gestohlene Geheimnisse (vgl. merz 5/2005) oder dem NintendoDS-Spiel Die Wilden Hühner und die Jagd nach dem Rubinherz (vgl. merz 4/2008) sind die einzelnen Spielaufgaben hier nicht durch eine spannende Rahmenhandlung zu einem Abenteuer verknüpft, sondern stehen im virtuellen Spielmagazin von Anfang an zur Verfügung. Einzig das vierte Spiel jeder Kategorie wird erst freigeschaltet, wenn die ersten drei Aufgaben wenigstens angespielt wurden. Im Club der schlauen Köpfe gibt es zwar keinen Multiplayer-Modus, in dem Spielerinnen und Spieler direkt gegeneinander antreten können, aber es besteht doch die Möglichkeit, seinen persönlichen Punktestand laufend zu verbessern und sich dank individueller Logins mit anderen zu messen. Auf jeden Fall brauchen Spielerinnen und Spieler ab zehn Jahren viel Geschick, Konzentration und Ausdauer, wenn sie alle Einzelspiele über drei Level meistern wollen. Anders als bei der ersten Wilde Hühner-CD-ROM, wo als Belohnung eine Urkunde und ein Zugangscode für eine geheime Website winkte, muss man sich diesmal am Schluss jedoch mit einem einfachen Glückwunsch zufrieden geben.
Die Zeitdetektive – Montezuma und der Zorn der Götter. Folge 12, Hörbuch; Gesamtspielzeit: 01:14:27; JUMBO-Verlag, 10,95 €
Die Zeitdetektive, das sind der kluge Julian, der sportliche Leon und die schlagfertige Kim, stets begleitet von der rätselhaften, ägyptischen Katze Kija. Die vier Freunde haben ein Geheimnis: Sie besitzen den Schlüssel zu der alten Bibliothek im Benediktinerkloster St. Bartholomäus, wo der unheimliche Zeit-Raum „Tempus“ verborgen liegt. Von hier aus reisen Julian, Kim, Leon und Kija auf den Spuren von Verbrechern durch die Zeit. „Tempus“ pulsiert im Rhythmus der Zeit und hat tausende von Türen, hinter denen sich jeweils ein Jahr der Weltgeschichte verbirgt. Und auch wenn ihre Zeitreisen mehrere Tage dauern, ist in der Gegenwart keine Sekunde vergangen. Also bleiben die geheimnisvollen Reisen der vier Freunde stets unentdeckt. Julian, Kim und Leon interessieren sich sehr für die Geschichte und lösen bei ihren Reisen in die Vergangenheit so manchen mysteriösen Kriminalfall. Die Zeitdetektive ist eine Buchreihe des deutschen Schriftstellers Fabian Lenk. Die Bücher, die für Leserinnen und Leser ab neun Jahren empfohlen sind, begeistern auch als Hörbücher jung und alt. So auch die 12. Folge der drei Jungdetektive Montezuma und der Zorn der Götter. Mit geheimnisvoller Stimme zieht Stephan Schad die Hörerinnen und Hörer in den Bann der Krimigeschichte aus dem Reich der Azteken. Gekonnt verleiht er den einzelnen Akteuren mittels verschiedener Stimmvariationen Ausdruck und schafft so einen Wiedererkennungswert der Charaktere für die Zuhörenden. Die einfache und verständliche Sprache erleichtert das Zuhören auch bei dieser Folge: Nach einer Faschingsfeier, auf der Julian als Aztekenherrscher Montezuma II. erschienen war, wollen die Zeitdetektive das Geheimnis um dessen Herrschaftssymbole lüften. Wie bedeutend waren die Kopilli Quetzalli, die heilige Federkrone des Montezuma und das goldene Herz als Symbol seiner Macht tatsächlich? Gewappnet mit einigen Informationen zu den Azteken aus Büchern der Bibliothek beschließen die Freunde der Sache vor Ort auf den Grund zu gehen. Also reisen Julian, Kim, Leon und die Katze Kija wieder mit Hilfe des Zeit-Raum „Tempus“ – diesmal in die Hauptstadt der Azteken, nach Tenochtitlán. Doch die Zeitreisen der vier Freunde sind alles andere als ungefährlich. Auch im Tenochtitlán des Jahres 1510 nach Christus herrschen raue Sitten und die Zeitdetektive entgehen nur knapp einem schlimmen Schicksal. Aber sie finden auch schnell neue Freunde, was den Abschied umso schwieriger macht. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten des Aztekenherrschers Montezuma II. geschieht eine Katastrophe. Durch das Verschwinden des goldenen Herzens, dem Machtsymbol des Herrschers, droht die gute Stimmung im Volk zu kippen. Ohne das goldene Herz kann Montezuma II. seine Herrschaft über das Volk der Azteken verlieren. Sind die Götter ihm nicht mehr gnädig? Aber die Spürnasen der Zeitdetektive haben schnell einen Verdacht und helfen am Schluss das Rätsel zu lösen. Im Rahmen der beeindruckenden Indiziensuche der Superkombinierer Julian, Kim, Leon und der Katze Kija finden sich zügig Hinweise, Tatmotive und sogar ein Zeuge. Fast schon beiläufig und inmitten der Rätselsuche werden zahlreiche historische Informationen interessant dargestellt, so dass das Geschichtswissen überhaupt nicht schwer im Magen liegt. Aber aufgepasst – genaues Zuhören ist trotz allem erforderlich. Einerseits um des Rätsels Lösung vielleicht sogar schneller als die Zeitdetektive zu finden und andererseits um die historischen Zungenbrecher-Begriffe verstehen zu können. Neben den ausführlichen Erklärungen innerhalb der Erzählung, die eine gute Verständlichkeit fördern, finden die Hörerinnen und Hörer noch mal alle historische Randinformationen und ein Zungenbrecher-Glossar zum Nachlesen im Booklet. Die Zeitdetektive – Montezuma und der Zorn der Götter ist ein spannendes Hörerlebnis, das sich wie die gleichnamigen im Ravensburger Verlag erschienenen Bücher auch für junge Leserinnen und Leser ab neun Jahren eignet. Aber auch für erwachsene Hörbuchliebhaber ist es ein prickelnder Ohrgenuss gespickt mit Geschichtsnachhilfestunden.
Michael Bloech: Virtuelle Helden im Film - Boxer 3D
Ob Shrek oder Captain Buzz Lightyear aus dem Film Toy Story, computeranimierte Filmhelden sind aus der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Und wer wollte nicht schon einmal wissen, wie so ein Filmheld im Computer entsteht? In der 40-minütigen, technisch anspruchsvoll gestalteten Computeranimation Boxer 3D von Pierre Lachapelle versuchen die hypergestylte, schlangenhaft synthetische Moderatorin Maria und der korpulente, glatzköpfige Phil dieses komplexe Thema auf verständliche Weise den Zuschauerinnen und Zuschauern zu vermitteln. Ganz nach dem Motto „die Schöne und das Biest“ werden die beiden Moderations-Kunstfiguren präsentiert. Das Setting einer klassischen Fernsehshow wird zwar ironisch gebrochen, aber dennoch bleibt das Duo zu sehr den bekannten Medien-Vorbildern und entsprechenden Klischees verhaftet. Hier ist ein wenig zu spüren, dass sich Boxer 3D, wie viele actiongeladene, computergenerierte Animationsfilme, an ein vornehmlich männliches, technikbegeistertes Publikum wenden möchte. Ausgangspunkt der Erklärungen des virtuellen Moderationsduos bilden mit dem Computer gezeichnete Polygone, also Vielecke, die zusammen als Gitternetz über einen virtuellen Körper gelegt werden. Im nächsten Schritt wird das Gitterbild der Polygone geglättet, mit Farben und Strukturen überzogen, Bewegungen von realen Schauspielern über Messpunkte kopiert, auf die Polygonstruktur übertragen und schon ist eine Computer-Figur, ein kleiner junger Boxer, scheinbar zum Leben erweckt. All dies wird beeindruckend locker und unterhaltend für ältere Kinder bzw. Jugendliche erläutert.
Auf technischen Firlefanz wird dabei bewusst verzichtet, um vor allem das Prinzip der Computeranimation eines Darstellers und die Schritte von der Planung bis zur fertigen Animation durchschaubar zu machen. Im zweiten Teil von Boxer 3D wird dann ein amüsanter Kurzspielfilm präsentiert, der die zuvor konstruierte Person des Boxers in Aktion zeigt. Konkret wird eine Geschichte nach dem ‚David gegen Goliath’-Muster geboten, angesiedelt in einer Boxarena der 30er Jahre. Der vorlaute und schmächtige Slim muss beweisen, dass er gegen den bulligen und brutalen Boxer Killer im Ring bestehen kann. Klar ist natürlich, wer letztlich als Sieger aus dem Boxring steigt …Schließlich schlägt im dritten Teil der Produktion Boxer 3D wieder das Cyber-Moderationsduo zu und wirft launig die Frage auf, ob zukünftig Schauspielerinnen und Schauspieler überflüssig werden. Schon jetzt werden beispielsweise Stunts zunehmend von virtuellen Kolleginnen bzw. Kollegen erledigt, was das Verletzungsrisiko und natürlich auch Kosten erheblich mindert. Insgesamt bewegt sich Boxer 3D dennoch letztlich in einem eher medienkritisch oberflächlichen Rahmen. Was aber bleibt, ist ein ästhetisch überwältigender Eindruck der aktuellen Möglichkeiten professioneller dreidimensionaler Computeranimation. Das technisch anspruchsvolle Verfahren zur Präsentation, welches bei Boxer 3D – und ähnlich produzierten dreidimensionalen Filmen – Verwendung findet, erfordert eine gebogene, silbern bedampfte Leinwand, spezielle Brillen mit zwei unterschiedlich polarisierenden Gläsern und zwei parallel arbeitende Videoprojektoren, die von einem Computer bespielt werden. Entsprechend projizieren die Beamer jeweils ein Bild für das linke und das rechte Auge auf die Leinwand. Im Gehirn der Zuschauerinnen und Zuschauer werden dann diese zwei unterschiedlichen Bilder wieder zu einem dreidimensionalen Bildeindruck eines einzigen Bildes zusammengefügt. Anders als bei anderen, klassischen Verfahren ist der Farb-, Schärfe- und Tiefeneindruck natürlich auch durch die extrem dreidimensional im Computer entwickelten Räume ziemlich atemberaubend, allerdings darf der Kopf beim Betrachten des Leinwandbildes nicht bewegt werden, was nach längerer Zeit doch leicht ermüdend wird. In verschiedenen Sequenzen scheint Slim tatsächlich zum Greifen nahe, quasi schwebend vor der Leinwand über den anderen Zuschauenden. Da aber bundesweit nur wenige Kinos mit einer derartigen komplizierten Vorführtechnik aufwarten können, wird dieser, zwar nicht medienpädagogisch, aber zumindest ‚medien-kundlich’ interessante Film wahrscheinlich zusätzlich in einer herkömmlichen, klassischen 35mm Version zu sehen sein.
Boxer 3D
Kanada 2008, 40 min
Regie: Steven Bramson
Darsteller: Ronald Houle, Benoît Brière, Danniel Danniel
Verleih: Fantasia film
Michael Grisko: Kluge Filme auf DVD
Die DVD-Box Alexander Kluges sämtliche Kinofilme ist eine körperliche und geistige Herausforderung. Am Ende der 16 Kinofilme aus knapp 20 Jahren, der zahlreichen Kurz- und Kürzestfilme des Film- und Fernsehmachers Alexander Kluge hat man nicht nur eine dokumentarische Zeitreise durch die an Ereignissen nicht gerade arme deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts unternommen, man hat zudem alle durch das Hollywoodmainstreamkino geschulten, wohl besser verkümmerten, Rezeptionsmuster von Medienprodukten abgelegt bzw. rundumerneuert: Psychologie, Realismus, Handlung, Held, Genre, (Melo-)Dramatik, Happy End. Alexander Kluge hat diese cineastischen Parameter im Anschluss an das Oberhausener Manifest von 1963 konsequent neu definiert. Nach seiner Promotion (1956) hatte der 1932 in Halberstadt geborene Filmemacher und Schriftsteller ausgerechnet bei Arthur Brauners CCC ein Volontariat absolviert – einem Garanten für populäres Nachkriegskino. Alexander Kluge emanzipierte sich: Eigene Filmprojekte (Brutalität in Stein, 1960) und die dafür gewonnenen Preise in Oberhausen machten ihn schließlich zu einem der Initiatoren des Oberhausener Manifests.
Edgar Reitz, Peter Schamoni, Hansjürgen Pohland hatten zusammen mit anderen Filmemachern den alten Film, das von der UFA-Ästhetik bestimmte Kino für tot erklärt und programmatisch festgehalten: „Dieser Film braucht neue Freiheiten. Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner von der Bevormundung durch Interessensgruppen.“ Und weiter hieß es dort: „Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.“Alexander Kluge zählt zu den ästhetisch radikalsten Praktikern dieser Programmatik. Dazu gehört auch das dynamische Element in seiner Medienproduktion. Arbeitet er von 1966 bis 1986 mit seiner Produktionsfirma Kairos vor allem für das Kino, hat er sich mit der Etablierung des Dualen Rundfunksystems in Deutschland mit seiner Produktionsfirma dctp zum ständigen Gast im deutschen Privatfernsehen gemacht. – Einige Beispiele dieser Produktionen sind auch in der Box enthalten. Aber auch der Übergang und die Etablierung der Neuen Medien Mitte der 1980er-Jahre selbst und der damit verbundene Untergang des Kinos, war ein Thema seiner Filme.Überhaupt verdeutlichen die Bonusmaterialien der Box die intellektuelle Vielfalt des mittlerweile 74-jährigen Filmemachers. Neben den Filmpraktiker tritt hier auch der Gesellschaftstheoretiker und der Schriftsteller.
Als pdf-Dokumente sind Teile der Filmbücher, Aufsätze von und über Alexander Kluge zu entdecken, die sonst nur schwer in den Bibliotheken zu finden sind und essentieller Bestandteil seiner ästhetischen Arbeit sind. Schon allein die Titel seiner Kino- und Fernsehfilme haben programmatischen Charakter: Abschied von gestern (1965), Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (1973), Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968), Die unbezähmbare Leni Peickert (1970), Der große Verhau (1971), Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte (1969-71), In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod (1974), Der starke Ferdinand (1976), Deutschland im Herbst (1978), Die Patriotin (1979), Krieg und Frieden (1982), Der Kandidat (1980), Die Macht der Gefühle (1984), Serpentine Gallery Programm (1995-2005), Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit (1985), Vermischte Nachrichten (1985-86).
Alexander Kluges Filme wandeln sich vom Spielfilm zum Essay und balancieren auf einer unsichtbaren und sich ständig verschiebenden Linie zwischen Dokumentar- und Spielfilm und negieren sämtliche gängigen Filmkonventionen. So werden die Filme Der große Verhau und Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte zu einer Neubestimmung des Genres Science-Fiction-Film. In diesen Filmen wird auch Alexander Kluges assoziative, zeit- und formensprengende Arbeitsweise deutlich. Er verwendet alle stilistischen Mittel des Films: Inserts, Blenden, schwarz-weiß-Strecken; er arbeitet gegen die standardisierte Ästhetik von Film und Fernsehen, indem er zum Beispiel schreibmaschinengetippte Inserts verwendet. Seine Schnitte und Sprünge sind assoziativ und werden in späterer Zeit zunehmend freier, seine Ästhetik baut auf einen aufmerksamen und geschichtlich vorgebildeten Zuschauer. Er will Zusammenhänge nahelegen ohne sie zu behaupten – und dies sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Geschichte. Es geht ihm um Zusammenhänge von Gesellschaft, Geschichte und Ökonomie und das fernab einer auf psychologischen Handlungsmotivationen basierenden Filmästhetik. Mit den 16 DVDs ist nun ein zentrales Stück deutscher Film- und Gesellschaftsgeschichte verfügbar, das eindrucksvoll lehrt, die eigenen Sehgewohnheiten in Frage zu stellen und neu zu erlernen. Das ist eine lohnende Erfahrung (oder Wiederbegegnung)!
Peter Gerlicher: Schnittplatz Handy?
Wer kann sich heute noch an die Zeiten erinnern, in denen Mobiltelefone tatsächlich nur zum Telefonieren zu gebrauchen waren? Zumindest, wenn man sich in der Öffentlichkeit umschaut, scheinen diese Tage schon recht lange zurück zu liegen. Egal ob auf der Straße, in der U-Bahn oder bei Konzerten, überall werden Handys in die Höhe gereckt, um Schnappschüsse oder Videoclips aufzunehmen. Durch die Kamerafunktion hat sich das Mobiltelefon in den letzten Jahren zu einem allseits verfügbaren Fotoapparat und zur kleinen Videokamera für unterwegs entwickelt. Und auch die Medienpädagogik hat früh die Potenziale erkannt und genutzt, die in der Multifunktionalität der Mobiltelefone liegen. Inzwischen sind seit dem ersten Kamerahandy wieder mehrere Jahre vergangen. Der interne Speicherplatz, der in den Geräten zur Verfügung steht, hat sich rasant vergrößert und die Betriebssysteme der kleinen Telefone können inzwischen auch mit anspruchsvoller Bearbeitungssoftware umgehen. Grund genug, um einen Blick auf die medienproduktiven Möglichkeiten zu werfen, die aktuelle Handy-Modelle heute bieten.Als exemplarischer Ausschnitt soll hier ein Überblick zu den Funktionen eines Handy-Modells aus der Walkman-Reihe des Herstellers Sony Ericsson dienen (in diesem Fall das Modell w890i). Diese Geräte bieten umfangreiche mp3-Player-Funktionen und sind wohl gerade deshalb auch bei Jugendlichen beliebt. Davon abgesehen sind auf diesen Handys aber auch eine ganze Reihe von Anwendungen vorinstalliert, die den Nutzerinnen und Nutzern ohne Umwege über teure Downloads oder Software-Upgrades die Möglichkeit bieten, produktiv tätig zu werden.
Audio/Musik
Etwas begrenzt muten zunächst noch die Möglichkeiten im Bereich Audio und Musik an. Eine Funktion zum Aufnehmen von Audioclips steht bei den Sony Ericsson Handys zwar zur Verfügung. Allerdings werden die Dateien im relativ umständlichen AMR-Format abgespeichert. Ursprünglich war dies wohl vor allem für Sprachaufnahmen gedacht, etwa für Gesprächsnotizen oder Mitschnitte von Telefonaten. Natürlich lässt sich die Funktion aber auch dafür verwenden, originelle Klingel- oder Alarmtöne selbst aufzunehmen und sei es zum Beispiel nur das Bellen oder Miauen der eigenen Haustiere. Zum Herstellen eigener Musikclips hat Sony Ericsson auf seinen Geräten die Software MusicDJ vorinstalliert – einen simplen, vierspurigen MIDI-Sequenzer. Damit funktioniert das Komponieren von Musik ganz unkompliziert nach dem Baukasten-Prinzip. In den Kategorien Schlagzeug, Bass, Akkorde und Töne stehen jeweils mehr als zwei Dutzend kleine Musik- und Rhythmus-Elemente zur Auswahl, die beliebig miteinander kombiniert werden können. Die Resultate dieser stark vorstrukturierten Komponier-Versuche mit dem Handy bleiben zwar eher simpel und erinnern an die Dudel-Musik im Hintergrund der frühen Gameboy-Spiele. Dennoch hat man so die Möglichkeit, kleine individuelle Musikstücke direkt am Handy zu gestalten und sie an Freundinnen und Freunde weiterzuverschicken.
Foto/Video
Die Fotos, die man mit den aktuellen Handy-Modellen schießen kann, stehen in ihrer Qualität Aufnahmen mit einfachen Digitalkameras in nichts mehr nach. Zwei bis drei Megapixel Auflösung sind bei den meisten Kamerahandys heute Standard, einzelne Geräte bieten schon bis zu acht Megapixel. Spannend wird es aber vor allem nach dem Betätigen des Auslösers. Denn während es bei Audioaufnahmen mit Funktionen zum Nachbearbeiten und Weiterverwenden eher dürftig aussieht, bietet das Walkman-Handy für Fotos und Videos gleich mehrere Bearbeitungsmöglichkeiten. Mit der Anwendung PhotoDJ lassen sich die aufgenommenen Bilder sofort nach der Aufnahme verändern und nach individuellen Wünschen ‚aufhübschen’. Wie von einer Foto-Bearbeitungssoftware am PC gewohnt, können Handy-Fotografinnen und -Fotografen damit beispielsweise Lichtverhältnisse, Kontrast und Farben ihrer Bilder direkt am Handy anpassen und damit noch etwas mehr aus spontanen Schnappschüssen herausholen. Zusätzlich lassen sich auf diese Weise aber auch noch Bildeffekte, Texte oder poppige Rahmen und Cliparts hinzufügen.Die ebenfalls auf dem Handy vorinstallierte Software VideoDJ vereint in ihren Möglichkeiten schließlich sowohl Audio-, Foto- als auch Videomedien. Mit dieser Anwendung können am Handy aufgenommene Videoclips relativ simpel gekürzt, geteilt oder hintereinander geschnitten werden. Das Prinzip dabei ähnelt einfachen Video-Anwendungen am PC, wie etwa dem Windows Movie Maker. Aus allen Medien, die auf dem Handy gespeichert sind, lassen sich Bilder und Videoclips in beliebiger Reihenfolge auf eine Zeitleiste am unteren Bildschirmrand einfügen. Dadurch kann man sowohl auf vorinstallierte Cliparts und Videosequenzen zurückgreifen, man kann aber auch selbstaufgenommene Fotos und Videos oder per Bluetooth empfangene Dateien verwenden. Die einzelnen Sequenzen können dabei in der Länge verändert werden und auch für Titel, Abspann und die Übergänge zwischen den Clips stehen mehrere Effekte zur Auswahl. In die Audiospur lassen sich schließlich noch selbst aufgenommene Sound-Dateien, zum Beispiel Audiokommentare, oder mit dem MusicDJ erstellte Musikclips einfügen – lediglich mit mp3-Titeln funktioniert dies nicht. Dennoch bieten sich unzählige Möglichkeiten, wie mit dem VideoDJ Handy-Clips gestaltet werden können – sei es in Form einer simplen Diashow oder einer aufwändigeren Videocollage.Bleibt zuletzt die Frage, welche Konsequenzen die medienpädagogische Praxis aus den neuen Produktionsmöglichkeiten am Handy möglicherweise ziehen kann. Es ist festzustellen, dass das Mobiltelefon zunehmend nicht mehr nur als Aufnahmegerät dient, zum Beispiel als Foto- oder Videokamera. Immer mehr verlagern sich auch die nachfolgenden Produktions- und Bearbeitungsschritte vom PC-Bildschirm hin aufs kleine Handy-Display. Zwar sind viele der hier vorgestellten produktiven Funktionen stark vorstrukturiert und gerade im Audio-Bereich vom Umfang her sehr begrenzt. Andererseits ist das Handling der Handy-Softwares auffallend simpel und intuitiv, die Ästhetik der Foto- und Videoeffekte spricht Jugendliche an und die Anwendungen bieten einen niedrigschwelligen Zugang zum Ausprobieren von medienproduktiven Möglichkeiten.
Tilmann P. Gangloff: Charme und Chance
Mit bemerkenswerter Verbissenheit ringen verschiedene Interessenverbände und Gremien seit Monaten um die Art und Weise, wie sich ARD und ZDF im Internet präsentieren dürfen. Wortwahl und Engagement legen nahe: Hier wird nicht um einen singulären Sieg gefochten, hier werden Weichen gestellt. Es geht um die Zukunft, und die heißt nicht Fernsehen, sondern Internet; wer das nicht wahrhaben will, muss mit einem bösen Erwachen rechen. Jahrzehnte lang galt die Maxime, etablierte Medien würden durch neue nicht verdrängt. Tatsächlich haben Radio, Kino und Fernsehen nach einer gewissen Übergangsphase zu einem harmonischen Neben- oder sogar Miteinander gefunden. Aber das Internet ist kein neues Medium; es ist Radio, Fernsehen, Kino, ja sogar Zeitung, Illustrierte und Schallplatte oder CD in einem. Das nachgeborene Internet ist paradoxerweise die Mutter aller Medien. Kein Wunder, dass die Wortmeldungen im Streit um die öffentlich-rechtliche Internetpräsenz mitunter klingen, als ginge es um die Existenz: Es geht um die Existenz. ARD und ZDF dürfen in dieser Diskussion schon allein deshalb nicht klein beigeben, weil sie den Kampf um die Aufmerksamkeit im klassischen Fernsehen weitgehend verloren haben. Die beiden Systeme erreichen mit ihren diversen Beibooten zwar rund 40 Prozent der regelmäßigen TV-Zuschauer, doch das Publikum gerade der Vollprogramme ist im Schnitt um die sechzig.
Bei Jüngeren hat das Fernsehen seine dominante Rolle ohnehin längst eingebüßt. Wer unter dreißig ist, verbringt einen immer größeren Teil seiner Medienzeit am Computer. Auch aus diesem Grund bemühen sich ARD und ZDF so hartnäckig und mit großem finanziellem Aufwand um Sportrechte: Die Übertragungen von großen Fußballturnieren sind die pure Existenzberechtigung. Dabei sind die Sender bloß Dienstleister. Der Übertragungsweg könnte auch ganz anders aussehen, und genau das ist der springende Punkt: Wenn vom Bedeutungsverlust des Mediums Fernsehen die Rede ist, denkt man unwillkürlich zuerst an Sender und dann an Inhalte, doch das ist ein Denkfehler. Das Ende der Schallplatte war keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende der Musik; die Musik hat nur das Medium gewechselt. Fernsehen, erklärt der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger, „ist bloß ein kulturell gelernter Begriff, unter dem sich in fünfzig Jahren nur noch Ältere etwas vorstellen können“. Schon das Wort „Fernsehen“ steht für ganz unterschiedliche Bedeutungen: Es bezeichnet die gesamte Organisationsform, die einzelnen Sender, das Programm, die Übertragungstechnik und auch das Gerät selbst. Es geht also um Form und Inhalt. Die Form wird sich wandeln oder ganz verschwinden, doch der Inhalt wird bleiben; aber er wird mit dem, was wir heute unter Fernsehen verstehen, nicht mehr viel gemeinsam haben.
In Zukunft wird sich das Fernsehen vom Wohnzimmermedium zum Abrufdienst auf mobilen Endgeräten entwickeln. In einigen Jahren wird es vielleicht noch frei empfangbare Fenster für eine gewisse Grundversorgung geben, doch der Rest ist Pay TV; audiovisuelle Nutzung wird im Wesentlichen auf Abruf funktionieren. Schon heute leben junge Nutzerinnen und Nutzer längst ein Medienverhalten, das die Fernsehlandschaft stärker beeinflusst als die Einführung der Fernbedienung: weil sie sich dem Diktat des vorgegebenen Programmablaufs widersetzen. Diese Haltung war Voraussetzung für den enormen Erfolg von YouTube, wo Nutzerinnen und Nutzer durch die Eingabe bestimmter Suchbegriffe ihre eigene Programmdirektion übernehmen.Inhaltlich kann das Fernsehen seine Existenz also nur sichern, wenn es originäre Seh-Erlebnisse schafft, und damit ist nicht die Übertragung externer Ereignisse gemeint. Was immer man zum Beispiel von den diversen Ausschlachtungen der Marke Raab halten mag: Mit seinen ausufernden Darbietungen (Schlag den Raab, Wok-WM) ist es Stefan Raab gelungen, Live-Erlebnisse zu kreieren, die seine Zielgruppe gesehen haben muss. Auf der anderen Seite ist es fatal, wenn öffentlich-rechtliche Angebote kurzlebigen Trends hinterher hecheln: Weil niemand Lust hat, für einfallslose Kopien kommerzieller Erfolgssendungen, die ihrerseits bloß Adaptionen ausländischer Formate sind, auch noch Geld zu bezahlen. Gerade die ARD definiert Qualität in der Regel über den Marktanteil. Sendungen mit Erkenntnisgewinn gibt’s zumeist erst nach den Tagesthemen. Sortiert man den Fernsehkuchen übrigens nicht nach Sendern, sondern nach Senderfamilien, stehen ARD, ZDF und ihre Ableger plötzlich sogar recht gut da: Bei Zuschauerinnen und Zuschauern unter fünfzig belegte man im ersten Halbjahr 2008 hinter der RTL-Gruppe (32,7 Prozent) und der ProSiebenSat.1-Familie (28,9 Prozent) mit 25,4 Prozent (erstes Halbjahr 2008) einen guten dritten Platz.
Angelika Stark: Die Nanny und der deutsche Fernsehpreis
Von Liebling, wir bringen die Kinder um über Besser essen – leben leicht gemacht zu Der Schuldenberater, den Supermamas und Do-it-yourself SOS: Beratungssendungen wie diese gibt es unzählige und fast jeder kennt sie, denn sie sprießen aus der deutschen Fernsehlandschaft wie Pilze aus dem Waldboden. Wer Probleme mit Übergewicht, Ernährung, Kindererziehung oder auch nur dem Innendesign seiner Wohnung hat, braucht nur schnell auf den Knopf seiner Fernbedienung zu drücken und zu beinahe jedem Thema gibt es das passende Format. Der Boom von Lebensberatungssendungen im Fernsehen ist ungebrochen. Sogar der deutsche Fernsehpreis, verliehen von ARD, SAT.1, RTL und ZDF trug dieser Entwicklung nun Rechnung: In der eigens dafür eingeführten Kategorie Bester TV-Berater waren in diesem Jahr gleich drei Formate nominiert. Im Gegensatz zu Christian Rach (Rach, der Restauranttester; RTL/Eyeworks Deutschland GmbH) und Peter Zwegat (Raus aus den Schulden; RTL/probono Fernsehproduktion GmbH) konnte sich Preisträgerin Katharina Saalfrank alias Die Super Nanny (RTL/Tresor TV Produktions GmbH) bereits vor einiger Zeit auf dem Markt der Fernsehberater etablieren. Seit inzwischen mehr als drei Jahren greift sie medienwirksam überforderten Eltern bei der Erziehung ihrer schwierigen Kinder unter die Arme. Vor allem Privatsender haben eine Vielzahl unterschiedlicher Formate im Programm. Doch wie fachlich sind die im Fernsehen dargestellten Beratungsangebote tatsächlich? Und kann das Fernsehpublikum von der Rezeption solch einer Sendung profitieren? Geht es nur um Einschaltquoten oder auch um diejenigen die teilnehmen und diejenigen, die zuschauen?
Beispiel Super Nanny
Bleiben wir bei der Super Nanny. Ein Großteil der Deutschen kennt die junge, schlanke Pädagogin mit den langen dunklen Haaren und deren Sendung, doch die Bewertung ihrer Arbeit und Erziehungsmethoden fällt – auch in Fachkreisen – unterschiedlich aus. Besonders zu Beginn der ersten Staffel im September 2004 hagelte es harsche Kritik von allen Seiten. Da war im Hinblick auf die teilnehmenden Kinder zum Beispiel die Rede davon, dass die Sendung grundlegende ethische Forderungen und Maßstäbe verletze und mit ihrem autoritären Erziehungsstil schwarze Gehorsamspädagogik in die Wohnzimmer von Millionen von Menschen transportiere, die das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung dramatisch verletze. Darüber hinaus sei der Blick der Super Nanny auf ihr Klientel ausschließlich defizitorientiert, die Beratung nicht kontextorientiert und die Erschließung von Ressourcen aus dem sozialen Umfeld fehle gänzlich. Kurz: Die Arbeit der Super Nanny richte sich nicht nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sei damit nicht nur unprofessionell, sondern auch gefährlich.Doch wie kann es dann sein, dass so eine Sendung den deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Bester TV-Coach“ gewinnt? Zunächst einmal lassen sich seit Ausstrahlung der ersten Staffel der Super Nanny zahlreiche Änderungen sowohl im Sendungskonzept als auch in den Arbeitsmethoden der Expertin verzeichnen. In den neueren Folgen wohnt Frau Saalfrank nicht mehr bei der Familie (nur in den ersten Staffeln sah man sie mit Trolley anreisen), sondern in einem Hotel in der Nähe und die Altersspanne der ‚Problemkinder’ reicht vom Kleinkind bis zum Teenager. Somit muss die Super Nanny flexibler auf die Probleme ihrer Klienten eingehen, so dass das anfangs typische Aufstellen von Verhaltensregeln und die Auszeit auf dem „Stillen Stuhl“ nicht mehr als Allheilmittel fungieren. Auch andere Kritikpunkte konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen größtenteils widerlegt werden. Eine Forschergruppe um Jürgen Grimm fand beispielsweise heraus, dass der in der Sendung propagierte Erziehungsstil am ehesten als demokratisch zu bezeichnen ist und die Super Nanny den Eltern durchgehend einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern ans Herz legt. Viele der anfänglichen Beschwerden, insbesondere bezüglich der Methoden und starren Regeln der Super Nanny, sind daher heute weniger relevant oder sogar als hinfällig zu bezeichnen. Aber auch wenn Frau Saalfrank heute moderater erscheint als noch zu Beginn der Serie, bleibt die Frage, inwieweit diese Formate für das Fernsehpublikum tatsächlich als seriöse Ratgeber relevant sind und welchen Nutzen es ihnen bietet.
Quotenbringer oder Lebenshilfe
Aufgabe professioneller Lebensberatung ist es, Rat suchenden Klienten durch die Vermittlung von neuem Wissen zu Einstellungs- und Verhaltensneuerungen zu verhelfen, damit sie ihre Probleme besser lösen können. Da sich Privatsender jedoch ausschließlich durch Werbeeinnahmen finanzieren, kann man davon ausgehen, dass es beim Entwurf eines Programmformats hauptsächlich auf den Unterhaltungswert einer Sendung ankommt. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass in den Lebenshilfe-Formaten von RTL und Co. neben dem Unterhaltungswert auch Aspekte der Beratung vorhanden sind. Diese Anteile sind sicherlich bei einzelnen Formaten unterschiedlich ausgeprägt. Eine Analyse sämtlicher Lebensberatungs- und Coaching-Formate würde hier zu weit führen, bleiben wir also bei der Super Nanny:Aller Kritik über die Methoden der Super Nanny und der Darstellung der Familie im Fernsehen zum Trotz wird die betreffende Familie kompetent beraten. Die Protagonistin verfügt über eine professionelle Ausbildung, arbeitet, eigenen Angaben zufolge, nach einem systemischen Konzept und vermittelt Eltern und Erziehungsberechtigten neue Methoden und Techniken im Umgang mit ihren Kindern. Darüber hinaus ist Fernsehen grundsätzlich ein Medium, das von allen Bildungsschichten genutzt wird. Personen aus weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen neigen sogar dazu, ihre Informationen hauptsächlich aus dem Fernsehen zu beziehen (vgl. Jäckel 2002, S. 281).
Grimms Ausführungen zufolge sind das Sendungskonzept und die Botschaften oder Lösungsvorschläge der Super Nannys leicht verständlich, so dass sie auch von Personen mit geringem Bildungsniveau rasch aufgefasst und gut verstanden werden können. Anzunehmen ist demnach, dass eine Nutzungsmöglichkeit des Fernsehens als Medium zur Informationsgewinnung und Wissenserweiterung durchaus besteht. Zudem wirkt die Super Nanny sympathisch und fachlich kompetent, so dass sie auch persönlich als Coach und Lehrerin akzeptiert wird. Dies stellt eine gute Ausgangsbasis dar, um aus der Rezeption der Sendung persönlich zu profitieren (vgl. Grimm 2006, S. 127-137). Außerdem hält das Super Nanny-Format eine hohe Orientierungsleistung für die Zuschauerin bzw. den Zuschauer bereit. Diese zeigt sich in einem inhaltlich gut nachvollziehbaren Zusammenhang der geschilderten Problemsituation mit der folgenden Beratungssequenz und dem daraus resultierenden Lösungsansatz (vgl. Grimm 2006, S. 33 f.).
Eine weitere wichtige Voraussetzung für Lernprozesse ist damit gegeben: Das Fernsehpublikum sieht beispielsweise, wie eine Situation in der gezeigten Familie eskaliert und kann die darauf folgende Konsequenz oder den Interventionsansatz der Super Nanny zuordnen. Dadurch wird das Beratungsverhalten für zu einem logischen Prozess, der im besten Fall der Situation angemessen erscheint. So haben die Zuschauerin bzw. der Zuschauer die Möglichkeit, sich an diese Intervention zu erinnern, wenn in ihrem eigenen Lebensumfeld ein ähnliches Problem aktuell wird.Dennoch sind sich auch Expertinnen und Experten bei der Frage, ob Beratung im Fernsehen tatsächlich eine ernstzunehmende Hilfe für den Alltag der Rezipienten ist, nicht einig. Grimm attestiert dem Format Die Super Nanny – wie oben bereits angesprochen – durchaus eine Orientierungsfunktion für die Zuschauenden, wohingegen Jäckel sich auf amerikanische Untersuchungen bezieht, die eine Wissenserweiterung durch das Fernsehen eher nicht bestätigen.
Resümee
TV-Coaching-Formate sind sicher kein Ersatz für professionelle, fachlich qualifizierte und auf den Einzelfall abgestimmte Hilfe. Was diese Sendungen jedoch leisten können ist, eine breite Öffentlichkeit auf bestimmte, zum Teil auch gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Dabei kann der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer signalisiert werden: „Nicht nur du hast solche Schwierigkeiten – und es gibt einen Weg, sie aus der Welt zu schaffen.“ Zum anderen tragen die Formate dazu bei, das Mysterium ‚Beratung und Therapie’ ein wenig zu entzaubern. Dadurch werden Hemmschwellen abgebaut und Menschen möglicherweise ermutigt, ihre Probleme in die Hand zu nehmen, statt sie vor sich her zu schieben oder gar den Kopf in den Sand zu stecken. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Formate fließt meiner Meinung nach, jedenfalls im Fall der Sendung Die Super Nanny, echte Hilfe zu, denn sie werden von Katharina Saalfrank professionell beraten und in ihrem Erziehungsprozess unterstützt. Zudem kann allein das Modell einer funktionierenden Kindererziehung bereits einen ‚Aha-Effekt’ auf Familien mit gravierenden Problemen haben.
Im Fernsehen, einem für alle Menschen leicht zugänglichem Medium, wird gezeigt, wie man ‚es’ besser machen kann. Früher übliche Beratungs- und auch ‚Einmischungs’-Instanzen falle heute oft weg, weil die Oma weit entfernt wohnt und sich Nachbarn nicht mehr füreinander interessieren, so dass Sicherheit in Erziehungsfragen häufig aus anderen Quellen gewonnen werden muss. Dafür bietet sich – auch im Hinblick auf viele allein erziehende Elternteile, die nach einem Neun-Stunden-Arbeitstag und einem sich anschließenden, etwa fünfstündigen Erziehungsmarathon sicher keine große Lust mehr haben, sich mit Fachliteratur zu beschäftigen – das Fernsehen als Beratungsinstanz geradezu an. Auch wenn weder gesichert noch belegt ist, dass Beratung via Bildschirm einen problemlösenden Effekt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer hat, wäre denkbar, dass Eltern sich nach Rezeption der Sendung kompetenter im Umgang mit ihren Kindern fühlen. Da Kinder Klarheit in der Erziehung brauchen, wäre dies durchaus eine positive Komponente.Ich halte die Arbeit, die die Super Nanny in den Familien leistet, weder für unprofessionell oder gefährlich, noch trägt sie die Grundsätze der schwarzen Pädagogik in deutsche Wohnzimmer. Dennoch können sich durch bloßes Abschauen und Ausprobieren mancher Erziehungsmaßnahmen wie zum Beispiel dem ‚Stillen Stuhl’ große Schwierigkeiten ergeben. Um solche Techniken richtig einsetzen zu können, ist eine umfassende Information und Unterstützung durch eine reale Fachkraft zwingend nötig. Hier besteht die Gefahr, dass Eltern aus Unwissenheit die Situation verschlimmern, was zu noch größeren Entzweiungen in der Eltern-Kind-Beziehung führen kann. Diese Hintergrundinformationen kann die TV-Sendung mit 45 Minuten Sendezeit nicht bieten.Ob es ethisch und moralisch in Ordnung ist, Eltern und Kinder in solchen Ausnahmesituationen zu filmen und später im Fernsehen zu zeigen, ist schwer zu entscheiden. Ich bin der Meinung, dass es Aufgabe der Eltern ist, für sich und ihre Kinder gut Sorge zu tragen. Natürlich stellt sich die Frage, ob die teilnehmenden Eltern, durch familiäre Probleme gebeutelt und häufig aus weniger gebildeten sozialen Schichten kommend, in der Lage sind, eine solche Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen. Leider muss diese Frage hier unberücksichtigt und unbeantwortet bleiben. Unberücksichtigt aller Vor- und Nachteile bleibt es jedoch dabei, dass Ratgebersendungen, Real-Life-Formate, Reality TV Genres des Affektfernsehens sind, in denen es vor allem bei privaten Anbietern hauptsächlich darum geht, das Fernsehpublikum zu unterhalten.
Literatur
Grimm, Jürgen (2006). Super Nannys. Ein TV-Format und sein Publikum. Konstanz: UVK Verlags GmbH
Jäckel, Michael (2002). Medienwirkungen. Opladen: Westdeutscher Verlag
(merz 2008-4, S. 71-74)
Daniel Ammann: Wilde Hühner am Game Boy
Nun gibt es die Wilden Hühner (nach den Romanen von Cornelia Funke) auch für den NintendoDS. Die erste Game-Boy-Produktion aus dem Verlag Oetinger eröffnet gleich mit einem schwungvollen Abenteuerspiel und reiht sich in die breite Palette von Medienverbundangeboten aus Büchern, Filmen, Tonträgern und Computerspielen mit den Wilden Hühnern ein. Wie bei Spielgeschichten für den Multimedia-PC haben die Heldinnen eine wichtige Mission zu erfüllen und laden Spielerinnen und Spieler ab acht Jahren ein, ihnen bei der Lösung anspruchsvoller Aufgaben zu helfen. Benutzeroberfläche und Bedienung der Handheld-Konsole setzen dabei mehr an Multitasking-Fertigkeiten voraus, als dies bei vergleichbaren Spielen auf CD-ROM der Fall ist. Neben dem Steuerkreuz, Aktionsknöpfen und zwei Tasten an der Rückseite des Geräts kommt auf dem unteren (berührungssensitiven) Bildschirm regelmäßig der Touchpen zum Einsatz und in einem der Minigames muss man sogar ins Mikrofon pusten. Bevor die eigentliche Handlung der Geschichte losgeht, müssen die Wilden Hühner zuerst das fehlende Geld für die bevorstehende Klassenfahrt auftreiben.
An zündenden Ideen fehlt es den vielseitigen Mitgliedern der bekannten Mädchenbande keineswegs. Melanie möchte sich die Preissumme in einem Tanzwettbewerb holen, Wilma einen Kochwettbewerb in der Schule gewinnen und Frieda nimmt an einem Pferderennen teil. Oberhuhn Sprotte versucht derweil die Bandenkasse mit Taxifahren aufzubessern. Da sich ihre Mutter den Arm gebrochen hat, hilft sie ihr beim Einlegen der Gänge. Für die Spielerinnen und Spieler keine ganz einfache Angelegenheit. Sie müssen das Taxi nämlich durch die Straßen zu den ungeduldigen Kunden steuern, gleichzeitig Gas, Bremse und Gangschaltung bedienen und darüber hinaus noch auf den Verkehr und die Ampeln achten. Fährt man längere Zeit zu hochtourig oder stößt gar mit einem anderen Wagen zusammen, gehen sämtliche Einkünfte verloren und die Kosten für den verursachten Schaden sind aus der Reisekasse zu begleichen. Die sieben Minigames setzen vor allem Konzentration, Geschick und Geduld voraus. Meist muss man beide Bildschirme im Auge behalten und schnell reagieren. Aber zwischendurch ist auch gute Merkfähigkeit gefragt, etwa bei der Zubereitung verschiedener Menüs im Kochwettbewerb, denn jedes Nachschlagen im Rezept wird mit Minuspunkten bestraft. Zwischen den Aufgaben treffen sich die Wilden Hühner immer wieder im Wohnwagen, der ihnen als Bandenquartier dient, und tauschen sich über Erlebnisse und Fortschritte aus. Kaum haben sie jedoch das Geld für den Ausflug beisammen, geht es mit neuen Herausforderungen weiter und die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung. Nach ihrer Rückkehr herrscht im Wohnwagen große Unordnung und nicht nur ein wertvoller Brief, sondern auch Oma Slättberg ist verschwunden. Erst wenn die Entführer mit Unterstützung der Jungenbande gefasst sind, wird am Ende das Geheimnis um das kostbare Rubinherz gelüftet – und selbst Sprotte und Fred entdecken, dass sie ein Herz füreinander haben. Das kurzweilige Abenteuer für den NintendoDS kann drei unterschiedliche Spielstände speichern und lässt sich wahlweise auf Deutsch, Englisch oder Schwedisch spielen. Da Dialoge und Anweisungen – im Gegensatz zu Spielgeschichten am PC – nicht akustisch ausgegeben werden, kommt auch das Lesen nicht zu kurz. Über 5.000 Wörter werden im Verlauf des Spiels verarbeitet, was etwa dreißig Seiten eines Wilde-Hühner-Romans gleichkommt. Selbst wenn die Story eher Nebensache ist, sorgen die abwechslungsreichen Minigames und zahlreiche neue Levels, die nach bestandenem Abenteuer freigeschaltet werden, für anhaltenden Spielspaß. (merz 2008-4, S. 84-85)
Kai Hanke: Die Lust am Spiel ist immer und überall?!
Wo Jugendliche auch auftauchen, allein oder in der Gruppe, in der Schule, Disco oder an der Bushaltestelle: Das Handy ist immer dabei. Längst besitzen nahezu alle Jugendlichen (94 Prozent) ein eigenes Mobiltelefon und nutzen es ebenso oft wie gerne (vgl. JIM 2007). Doch was genau tun sie damit? Wie verbreitet ist zum Beispiel das Spielen auf dem Handy bei aller Beliebtheit des Mobiltelefons? Und wie sind entsprechende Spiele zu beurteilen? Die steigenden Verkaufszahlen der Gaming-Industrie deuten auf eine zunehmende Nutzung und damit verbunden auf einen wachsenden Markt hin – bei Jugendlichen wie Erwachsenen gleichermaßen. Grund genug, einen Blick auf die Bandbreite von Handyspielen zu werfen, auf ihre Eigenarten, ihre Mängel, ihre Verbreitung.
Verbreitung und Nutzung von Handyspielen
Bekanntermaßen verfügen heutige Mobiltelefone über eine Vielzahl von Funktionen. Und obwohl SMS und Telefonieren nach wie vor den Großteil der Aktivitäten mit dem Handy ausmachen, ist auch Handy-Gaming durchaus beliebt. Laut aktueller JIM-Studie ist das Spielen mit dem Handy heute für immerhin knapp ein Fünftel (18 Prozent) aller Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren üblich. Ähnliche Ergebnisse bringt auch eine Studie des JFF – Institut für Medienpädagogik (in Kooperation mit dem Kopäd e. V.) zutage. Bei dieser Erhebung auf der Games-Convention 2007 wurden Jugendliche zu ihren Mobile-Gaming-Vorlieben befragt. Das Handy stellt demnach für 49 Prozent aller Jugendlichen das wichtigste mobile Spielgerät dar. Dieses Interesse am Spielen auf dem Handy wird vor allem mit der permanenten Verfügbarkeit und Handlichkeit des Mobiltelefons als Spielgerät begründet (vgl. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis/Kopäd e. V. 2008, S. 8). Bezüglich der Genres von Handyspielen liegen Geschicklichkeitsspiele (Jump&Run) sowie Strategie-/Denk- und Wissensspiele bei den Jugendlichen vorn (36 bzw. 33 Prozent). Die größere Beliebtheit dieser Genres „ist vermutlich auf deren geringere technische Anforderungen sowie die häufige Vorinstallation dieser Spiele auf dem Handy zurückzuführen“ (ebd., S. 13). Die meisten Jugendlichen (61 Prozent) geben an, dass die von ihnen am häufigsten genutzten Spiele schon auf dem Handy installiert waren, rund ein Viertel erwirbt Spiele auch per Internet-Download.
Vorstellung exemplarischer Spiele
Wie auch immer Handyspiele erworben werden, als Download oder als im Kaufpreis des Mobiltelefons inbegriffene, vorinstallierte Versionen – sie unterscheiden sich deutlich von Spielen für PC oder Konsole. Zum einen sind sie günstiger als herkömmliche PC- oder Konsolenspiele: Je nach Format und Anbieter kostet ein Spiel durchschnittlich zwischen drei und zehn Euro, teilweise sind sogar kostenfreie Angebote zu finden. Bei letzteren ist jedoch in der Regel eine Registrierung notwendig, die mit Spam-SMS oder sogar ungewollten Abonnements verbunden ist. Zum anderen zeichnen sich Spiele für das Handy derzeit noch durch eine – verglichen mit aktuellen Konsolenspielen – eher anspruchslose Grafik sowie ein eingeschränktes Gameplay aus – nicht zuletzt aufgrund der Begrenzung von Bedienungselementen durch die Handy-Tastatur. Grundsätzlich lassen sich bei den Spielen verschiedene Genres unterscheiden, die jeweils besser oder schlechter mit den Geräteeigenschaften des Handys harmonieren. Hier sollen vor allem Actionspiele, Geschicklichkeits-, Wissens- und Strategiespiele sowie Sportspiele eingehender betrachtet werden.
Action – Shooter und Jump&Run
Actionspiele gehören vor allem für Jungen zu den beliebtesten Spielen. Auf dem Handy allerdings sind die Möglichkeiten für ein anspruchsvolles Actionspiel eingeschränkt. Das relativ kleine Display und die geringe Verarbeitungskapazität hinsichtlich grafischer Daten sorgt dafür, dass Actionspiele auf dem Handy meist deutlich hinter ihren Pendants auf PC und Konsole zurückbleiben. Beispiele hierfür sind die zahlreichen Jump& Run-Spiele wie Prince of Persia oder Merchandising-Produkte zu Kinofilmen und Serien (KungFu Panda oder 24 – Special Ops). Als Beispiel für Actionspiele auf dem Handy soll hier 24 – Special Ops herangezogen werden. Die Story des Spiels ist bezogen auf die in der TV-Serie erzählte Geschichte eines Terroristenjägers, der nicht nur gegen fiese Schurken, sondern auch gegen die Zeit kämpft. Der Spieler oder die Spielerin muss sich seinen bzw. ihren Weg dabei durch verschiedene Levels bahnen und Geiseln mit brachialer Gewalt aus der Hand von Terroristen befreien. Verschiedene Waffen und Items helfen dabei, alle Level erfolgreich zu bewältigen. Das Spiel kann kaum überzeugen. Neben der wenig abwechslungsreichen Levelgestaltung und der mehr oder weniger einfallslosen Story enttäuscht das Spiel vor allem auch durch eine ausbleibende Steigerung der Schwierigkeit von Level zu Level, Spielflow mag so gar nicht aufkommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Attraktivität von Actionspielen eben auf diesem Spielflow aufbaut. Auf dem Handy jedoch wird häufig nebenbei und mit vielen parallelen Ablenkungsmöglichkeiten gespielt. Dem Spielspaß bei einem solchen Genre kann das oftmals schaden. Auch sind keine weiteren Spielfunktionen, also Variationen oder Multiplayer-Sessions möglich. Allein die gelegentlichen kurzen Minigames (Autofahrten, Puzzle) sorgen für kleine Variationen.
Wissen – Wer wird Millionär?/Trivial Pursuit
Um Spielflow geht es bei den folgenden Spielen weniger, gefragt ist vor allem Wissen und ein Quäntchen Glück. Wissensspiele wie Wer wird Millionär? oder Trivial Pursuit basieren auf den Spielprinzipien ihrer Vorbilder im Fernsehen bzw. auf dem Spielbrett. Da sie ohne anspruchvolle grafische Inszenierungen auskommen und das Spielprinzip weniger auf spielinterne Action als auf die kognitive Herausforderung beim Spieler bzw. der Spielerin abzielt, sind sie besser für das Handy geeignet. Trivial Pursuit Deluxe Edition zum Beispiel funktioniert genauso wie das Brettspiel, entweder alleine oder gegen maximal sechs Mitspielerinnen und -spieler, die mit demselben Handy spielen. Je nach zufällig bestimmtem Würfelwert bewegt man sich mit seinem Spielstein auf verschiedenen Feldern, um Fragen in verschiedenen Wissensgebieten zu beantowrten. Ziel ist es, alle Wissensgebiete abzudecken. Neben diesem vom Brettspiel bekannten Spielmodus lassen sich auch zwei weitere Varianten wählen: Das Spiel gegen die Zeit oder der „Überleben“-Modus, bei dem die Anzahl der erlaubten falschen Antworten begrenzt ist. Insgesamt ist Trivial Pursuit ein gelungenes Handyspiel, vor allem weil die Voraussetzungen für Spielspaß nicht in einer grafisch und technisch anspruchsvollen Umsetzung liegen.
Geschicklichkeit – Tetris/Snake
Die bekanntesten Handyspiele überhaupt sind sicherlich Klassiker wie Tetris oder Snake. Schon seit den Anfängen der Computerspiele bekannt, finden sie heute, angepasst an moderne Ästhetik, als Handyspiel Verbreitung. Snake III ist wie Tetris grafisch und technisch weniger anspruchsvoll. Dafür sind allerdings Geschicklichkeit und Nachdenken gefordert. Entsprechende Spiele sind oftmals schon auf gekauften Mobiltelefonen vorinstalliert, auch dies trägt zu ihrer großen Verbreitung bei (vgl. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis/Kopäd e. V. 2008, S. 13). Das Spielziel lautet wie im Original: Eine stets in Bewegung befindliche Schlange muss durch ein Labyrinth gesteuert werden und möglichst schnell sämtliches vorgefundenes Futter vertilgen. Mit jedem Happen wird die Schlange länger und kommt sich daher immer öfter selbst in den Weg. Stößt die zu lenkende Schlange an ein Hindernis oder beißt sich gar selbst in den Schwanz, so ist das Spiel bzw. eines von drei Leben verloren. Dieses einfache Prinzip ermöglicht bei aller Anspruchslosigkeit unerwartet großen Spielspaß, zumal bei diesem Genre durchaus von einer gewissen (selbstverständlich nicht klinischen!) Suchtgefahr ausgegangen werden kann. Eine Multiplayerfunktion ist allerdings auch hier nicht integriert.
Strategie – Catan/Sims
Ein ebenfalls verbreitetes Handyspiel-Genre stellen die Strategiespiele dar. In der Regel sind dies entweder vereinfachte Versionen von Strategiespielen auf PC oder Konsole wie Die Sims oder aber Handyspielversionen von Brettspielen wie Catan – Die erste Insel oder Monopoly. Bei Catan beispielsweise gilt es wie im Original, mit Rohstoffen zu haushalten und zu handeln, sich mit Straßen neues Siedlungsgebiet zu erschließen, Siedlungen zu gründen und diese zu Städten auszubauen. Gehandelt wird entweder mit den computergesteuerten Kontrahenten oder mit bis zu drei weiteren Mitspielerinnen und -spielern, die wahlweise auf demselben Gerät spielen oder per Bluetooth verbunden sind. Die Animationen sind eher unaufwendig gestaltet. Da jedoch der Charakter des Originals durchaus erhalten bleibt, entfaltet das Spiel eine relativ hohe Komplexität und damit Spielspaß. Wie bei den schon erwähnten Wissensspielen wird hier nicht gegen die Zeit gespielt. Insofern eignen sich derartige Spiele sehr für Situationen, in denen dem Spiel zwar nicht uneingeschränkte und permanente Aufmerksamkeit gilt, das Spielen jedoch auch nicht gänzlich unterbrochen wird.
Sport – UEFA Champions League
Auf PC und der Konsole erfreuen sich auch Sportspiele großer Beliebtheit. Ob Fußballspiele wie UEFA Champions League, Golfen mit EA SPORTS Tiger Woods PGA TOUR 07 oder Tennisturniere mit Tennis Open 2007 – sie alle sollen den sportlichen Spielspaß auch auf dem Handy ermöglichen. Meist jedoch bleiben die Angebote deutlich hinter den Vorbildern auf dem PC- und Konsolenmarkt zurück. Vor allem weil Grafiken und Animationen, damit also auch Bewegungsabläufe und -kombinationsmöglichkeiten limitiert sind. Bei UEFA Champions League zum Beispiel, einem klassischen Fußballspiel, muss eine Mannschaft gesteuert werden. Dabei stehen jeweils verschiedene defensive oder offensive Spielzüge zur Verfügung, Schüsse, Flanken und verschiedene Umgangsformen mit dem Gegenspieler – mehr oder weniger fair. Der Spielspaß wird hier durch den mangelhaften Spielflow gehemmt, da Bewegungen und Spielzüge nicht einfach im Spiel per Tastendruck vollzogen werden, sondern erst in einem aufzurufenden Pop-Up-Menü angeklickt werden. Andererseits bietet das Spiel breite Auswahl an Einstellungen von Schwierigkeitsgraden, einzelnen Mannschaftsaufstellungen und Ähnlichem. Insgesamt hält es aber keineswegs mit Sportspielen auf nichtmobilen Trägermedien mit. Den größten Spielspaß bieten in diesem Bereich am ehesten noch Sportspiele wie Playman Summer Games 3 oder Yeti Sports 3, die weniger auf möglichst realitätsnahe Inszenierungen von Sportarten bauen als auf drollige Animationen und eine Abfolge kleiner, wenig komplexer Wettbewerbe in verschiedenen Disziplinen – oftmals auch im Multiplayer-Modus.
Folgerungen
Fasst man die Ergebnisse dieses sehr ausschnitthaften Überblicks zusammen, so lassen sich folgende Schlüsse ziehen:- Handyspiele sind PC- und Konsolenspielen aufgrund geringer technischer Leistungsfähigkeit der Mobiltelefone sowohl in grafischer Hinsicht als auch soundtechnisch bislang weit unterlegen. Ein noch immer relativ kleines Display führt dazu, dass entweder Figuren und Motive zu klein oder Bildausschnitte für komplexe Situationen im Spiel nicht groß genug dargestellt sind.- Handyspiele weisen wegen der kleinen Tastatur und den oftmals eher bescheidenen Handlungsentwicklungen der Spiele oft noch Mängel im Gameplay und dem Spielfluss auf. Navigation und komplexe Bewegungsabläufe gestalten sich schwierig.- Einige Handyspiele sind nicht auf die spezifische Spielsituation eingerichtet, die das Handy als Trägermedium mit sich bringt. Viele verfügen nicht über eine Pausenfunktion, so dass sie sich oftmals nur mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit und unter Zeitdruck spielen lassen. Dies fällt insbesondere in Situationen ins Gewicht, in denen Handyspiele eigentlich als Beschäftigung dienen könnten (in der U-Bahn, beim Warten auf den Bus oder Bekannte etc.).-
Diese Schwierigkeiten wirken sich bei actionorientierten Formaten negativer aus. Für Handys auf dem heutigen technischen Stand sind Spiele besser geeignet, die mehr auf originelle mediumsgerechte Spielideen setzen und Spielspaß auch ohne anspruchsvolle Grafik oder Zeitdruck im Spiel ermöglichen. Es ist anzunehmen, dass die technische Leistungsfähigkeit und damit auch Kapazität von Mobiltelefonen für anspruchsvollere Spiele in naher Zukunft zunehmen wird. Damit wird sich ein entscheidendes Argument gegen die Nutzung von Handyspielen erübrigen. Ist derzeit gerade das von Jungen bevorzugten Action-Genre noch unzureichend umgesetzt, so wird mit zunehmender Qualität jedoch auch der Anteil männlicher Handygamer weiter zunehmen. Ein anderes Argument, das für den Erfolg eines bestimmten Genres von Spielen spricht, wäre damit allerdings nach wie vor gültig: Die Spielgenres werden sich verstärkt auf die speziellen Situationen hin ausrichten müssen, in denen Handyspiele genutzt werden. Die Dauer eines Spiels oder die Aufmerksamkeitsanforderung werden über den Erfolg eines Spiels in verschiedenen Situationen entscheiden.
Insgesamt ist eine Vervielfachung von Mobile-Gaming-Angeboten zu erwarten. Unter der Voraussetzung, dass das Spielen mit dem Handy weiterhin finanziell so günstig bleibt wie bislang und immer billigere mobile Internetzugänge auch spontane Downloads ermöglichen, ist es durchaus plausibel, dass im Zuge dieser Entwicklung der Anteil der Nutzerinnen und Nutzer von Handyspielen tendenziell zunimmt. Und auch Erwachsenen wird gerade mit dem wachsenden Angebot von Strategie- und Wissensspielen ein Zugang zum Mobile-Gaming ermöglicht. Das beweisen nicht zuletzt die kommerziellen Erfolge von Spiel- und Trainingsangeboten für die mobile Nintendo DS. Morgen oder Übermorgen, früher oder später, sitzen wir vermutlich alle im Bus oder der U-Bahn, im Zug oder Flugzeug. Und zwar ohne Sudoku-Heftchen, ohne ständig auf die Uhr zu sehen. Stattdessen besiedeln wir Gaming-Welten oder spielen – jeder für sich – was die Gaming-Branche schon jetzt voller Enthusiamus pflegt: Wer wird Millionär?!
Literatur
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis/Kopäd e. V. (Hg.) (2008). Mit Handy, Spielkonsole und Laptop: Allerorten mobil spielen. www.jff.de/dateien/Mobilspielen_JFF.pdf
mpfs (2007). JIM 2007 Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger in Deutschland. Stuttgart: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.
(merz 2008-4, S. 80-84)
Kai Hanke: Eine kleinere Welt ist möglich
Der Atlas ist der Inbegriff der Schulzeit, der Fixpunkt des Erdkundeunterrichts. Ein muffiges Exemplar aus der Schulbibliothek und der Blick für die Beschaffenheit der Erde öffnet sich, der Globus schrumpft zu einer Sammlung informationsträchtiger Karten und Übersichten. Freilich stets unter den Augen und Vorgaben der Lehrerinnen und Lehrer. Atlanten waren und sind Faszinosum einerseits, Quelle nerviger Hausaufgaben andererseits. Für diejenigen, die keinen eignen zu Hause hatten, ein kostenfreies Stück Welt im Buchformat. Nun ergänzt der Westermann Verlag zum 150. Jubiläum des Diercke Weltatlas diese romantische Erinnerung um die Vorzüge des Web 2.0: Mit der neuesten Auflage des Atlas’ erhalten Käuferinnen und Käufer sowie Schülerinnen, Schüler, Lehr- und sonstige Fachpersonen neben dem herkömmlichen (anspruchsvollen) Karten-Spektrum einen Zugangscode zur Online-Version des Diercke Weltatlas. Ein Novum, im Guten wie im Schlechten.
Das Online-Angebot von Diercke umfasst im Wesentlichen drei Funktionen: den Onlineglobus, ein webbasiertes Geoinformationssystem (GIS) für den Einsatz in der Schule und den Diercke-Coach, einen interaktiven Erdkundetrainer, den Lehrkräfte in ihren Unterricht einbauen können. Der Onlineglobus umfasst 450 digitalisierte physische und Wirtschaftskarten, zudem geben Diagramme und Grafiken zusätzliche Informationen zu Klimaveränderung, Globalisierung, Städtewachstum, Migration über die geografische Beschaffenheit von Ländern und Kontinenten. Der Atlas bietet 3D-Ansichten aus frei wählbaren Winkeln und Perspektiven, mit Zoom, hochaufgelösten Satellitenbildern und Nachtansichten. Die Legendenzusammenstellungen sind individuell einstellbar, die Karten können mittels einer Zeichenfunktion markiert und bearbeitet werden. Das webbasierte GIS hingegen bietet interaktiv bearbeitbare aktuelle Statistiken für die meisten Atlaskarten sowie kostenfreie Web-GIS-Arbeitsblätter. Und auch die Coach-Funktion für Lehrerinnen und Lehrer ermöglicht den Lehrkräften die Erstellung und Nutzung interaktiver Lerneinheiten zu zahlreichen Atlaskarten. Die Einheiten sind orientiert an den Kernlehrplänen der Bundesländer, wobei die Schwierigkeitsgrade flexibel verstellbar sind. Die Schülerinnen und Schüler können so am PC in der Schule oder zu Hause Fragen beantworten und Erdkunde-Tests mit individualisiertem Feedback absolvieren.
All dies erweitert nicht nur das qualitativ anspruchsvolle Angebot der Printversion des Weltatlas’, sondern ermöglicht Lehrerinnen und Lehrern zudem die multimediale und ortsunabhängige Bearbeitung von Erdkundethemen im Unterricht. Die Lexikon-Funktion, das heißt, die automatische Weiterleitung von Städte- und Regionenbezeichnungen zu entsprechenden Einträgen in der Online-Enzyklopädie Wikipedia mag problematisch wirken, wenn man bedenkt, dass dadurch möglicherweise andere Quellen der Hintergrundrecherche ausgeblendet werden. Allerdings könnte dieses Problem von Lehrkräften auch leicht konstruktiv als Impuls für die kritische Reflektion und Einübung von Online-Recherchen genutzt werden. Ein großes Manko jedoch: Viele Funktionen sind (bislang) noch nicht aktiviert. Laut Hersteller ist „[...] der Diercke Globus Online noch eine zeitlich beschränkte „beta“-Version, in der einige Funktionen, zum Beispiel die Möglichkeit auf dem Globus zu zeichnen und eigene Ansichten abzuspeichern [...]“ fehlen. Hinzu kommen diverse Probleme mit grafischen Darstellungen, einige Regionen, Städte und so weiter sind noch nicht digitalisiert verfügbar. Insgesamt jedoch bietet die Jubiläumsausgabe des Diercke Weltatlas mit den zusätzlichen Online-Angeboten ein vielversprechendes Mittel, um den Erdkundeunterricht sinnvoll zu bereichern und die Welt – man gewöhnt sich daran – wieder mal ein kleines Stück kleiner, wenigstens aber (geografisch) übersichtlicher zu machen.
(merz 2008-4, S. 86-87)
Kai Hanke: Klassenkampf ... und die Menschen dahinter
Man könnte meinen, die Diskussion um das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland wäre abgedroschen, ein alter Hut, irgendwie langweilig. Zumal Alternativen zum deutschen Muster zwar vielerorts skizziert, in Anbetracht eines lahmen, reformunwilligen Politik- und Verwaltungsapparates aber kaum realistisch scheinen. Andererseits: wo kämen wir hin, wenn sich Erwachsene keine Gedanken mehr darüber machen würden, wie, wo und was ihre Kinder in der Schule lernen sollen? – Ja, wohin eigentlich?!Vielleicht ist die Hauptschulklasse, die Uli Kick in seinem Dokumentarfilm Klassenkampf ein Jahr lang begleitet hat, ein Ausblick auf das, was droht, wenn eine Schule sich selbst überlassen bleibt. Wenn Eltern desinteressiert, Lehrerinnen und Lehrer überfordert, Jugendliche motivations- und perspektivlos sind, und trotz allem nicht zu erwarten ist, dass ‚die Politik’ etwas an den strukturellen Rahmenbedingungen ändert, die für diesen Missstand verantwortlich gemacht werden. Doch so einfach ist es nicht. Der Alltag, den der Film schildert, ist schon heute Normalität. Und die Missstände sind nicht allein auf das Versagen einzelner Akteure zurückzuführen.
Die Hauptschule ist zudem nicht einfach im negativen Sinne ein Sammelbecken, für diejenigen, die es (aus verschiedensten Gründen) nicht auf die Realschule oder das Gymnasium schaffen, die schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt besitzen, die sich verweigern. Sie versammelt oftmals auch Jugendliche mit bewegenden persönlichen Geschichten, die einer reibungslosen Schullaufbahn nicht selten im Wege stehen. Sie ist ein Ort, an dem Menschen ihre Schwächen täglich vor Augen geführt bekommen und dennoch Stärken entwickeln, bemerkenswerte Fähigkeiten, individuelle Erfolgserlebnisse. Uli Kick wagt mit seinem Film einen Blick in diese Welt, deren Maßstäbe einer gesellschaftlich dominanten, bildungselitären Gruppe lediglich ein (in der Regel verstecktes) überhebliches Lächeln abverlangen mögen. Doch gerade dieses Lächeln ist es, das der Film verblassen lässt. Klassenkampf wirkt dabei auf den ersten Blick eher durchschnittlich. Nach einer kurzen Einführung in den Alltag der Hauptschulklasse, werden in kurzen Sequenzen einzelne Personen im Klassenalltag vorgestellt: Die Klassenlehrerin, der Hausmeister und natürlich die Schülerinnen und Schüler. Der Film legt dabei keinen großen Wert auf formelle Brillanz, auf effektvolle Einstellungen, perfekt abgemischtes Licht oder Ton. Und doch entwickelt Kick durch seine sensible Vorstellung der Hauptfiguren, ihrer Schicksale, persönlichen Kämpfe und Perspektiven eine atmosphärische Dichte, die nicht nur dramaturgisch funktioniert. Klassenkampf ist nebenbei eben auch authentisch, überzeugend dadurch. Er ist insgesamt geeignet, die Menschen zu erleben, die sich jeden Tag mit dem konkret auseinandersetzen, was für die meisten von uns lediglich als abstrakte Diskussion um die Organisation von Bildung bekannt ist. Dem Alltag einer Hauptschulklasse eben. Die unbedingte Nähe zu den jeweiligen Akteuren führt dabei zu einem im Ganzen eher unparteiischen Blick auf die Hauptschule. Die einfühlsamen Sequenzen, in denen sich zum Beispiel die Jugendlichen selbst vorstellen, stellen ihre jeweiligen Schwächen und Stärken, subjektive Reflektionen der eigenen Situation sowie des Schulalltags dar. Die Jugendliche inszenieren sich dabei vor allem selbst. Kick verzichtet auf Kommentare oder Zwischenfragen.
Die Wahrnehmung der Hauptpersonen wird dadurch wechselnd auf ihre eigentümliche Mischung aus jugendlicher Naivität, lebenserfahrener Abgeklärtheit und der orientierungssuchenden Frage gelenkt: Wo will ich eigentlich hin? So wird behutsam Verständnis erzeugt: für die Schülerin, die ihre Projektarbeit nicht erledigt hat, weil sie mit den Freundinnen Shoppen war; für die entnervte, enttäuschte Klassenlehrerin, die sich aufreibt für ihre Schützlinge und doch keinen Dank erhält; für den Schulschwänzer, der keinen Sinn darin sieht, zur Schule zu gehen, weil er doch ohnehin keinen Job bekommen wird; für den Hausmeister, der dienstbeflissen die neuen Überwachungskameras der Schule lobt, nur um anschließend in den Gesprächen mit den Jugendlichen so viel Empathie und Engagement zu zeigen, als sei er ihr persönlicher Sozialpädagoge. Der Alltag ist für alle mühsam. Die Schülerinnen und Schüler sehen in der Schule keine Chance auf ein besseres Leben. Sie erzählen von ihren Erfahrungen. Von kriegsbedingter Migration, Scheidung oder Krankheit der Eltern, prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen ihrer Familie, von daraus resultierenden Überforderungen. Wie viel Wert haben schon die Englisch-Hausaufgaben angesichts einer Mutter, die Krebs hat und ihre Chemotherapie neben zwei Jobs durchführen muss, so dass ihre Tochter sich nicht nur um sich selbst und ihre Zukunft, sondern daneben auch gleich noch um die Mutter und für ihre kleine Schwester sorgen muss? Das Publikum erfährt von den Stigmatisierungen, die Hauptschülerinnen und -schüler durch andere erfahren (Hauptschule gleich dumm, nutzlos, faul!). Und doch bleibt Klassenkampf dabei nicht verhaftet in einer entschuldigenden, sozialromantischen Attitüde. Die Interviews zeigen zwar den Verlust von Motivation, für die Schule zu arbeiten, den Sinnverlust: Warum mache ich das? „Lernen macht keinen Spaß“, sagt beispielsweise Farim, „Warum soll ich mich jetzt anstrengen, wenn ich’s niemals schaffe, schaffen werde!?“ Illustriert wird nicht selten der Teufelskreis aus Motivationsverlust und Leistungsabfall. Doch der Film verdeutlicht auch, wie unterschiedlich die Jugendlichen mit ihren Situationen umgehen. Während die einen resignieren, entwickeln andere Ehrgeiz, es trotz aller Widrigkeiten irgendwie zu schaffen. Und sie tun dies nicht nur in der Schule. Viele haben daneben Bereiche, in denen sie sich beweisen wollen (und es tun): beim Tanzen, beim Sport, beim Minijob – den viele der Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig neben der Schule auf sich nehmen (müssen).Klassenkampf erzählt diese Geschichten so tragisch und witzig, so verzweifelt und hoffnungsvoll, außergewöhnlich und normal wie sie eben sind – nämlich jeweils so, wie sie von den Betroffenen empfunden werden. Und am Ende bleibt es auch bei diesem Einblick in die Subjektiven. Der Film kann keine umfassende Systemkritik leisten – er will es vermutlich auch gar nicht. Was jedoch ersichtlich wird, ist die Realität einer Schulform und der Menschen, die darin leben und arbeiten. Allerdings werden im Verlauf des Films immer mehr die konkreten Symptome systematischer Probleme deutlich – auf menschlicher wie auf organisatorischer Ebene. Klassenkampf zeigt dabei keine Alternativen auf. Vielmehr veranschaulicht der Film die Schwierigkeiten, Menschen, ihren Schwächen und Stärken, individuell zu begegnen. Dies mag kein konstruktiver Beitrag zur Diskussion sein, eine Anregung zur erneuten Auseinandersetzung mit Alternativen ist es allemal.
(merz 2008-4, S. 75-77)
Marc Oliver Maier: Adjektiv Frau
Am letzten Maiwochenende fand das Filmfestival Adjektiv Frau der Kinothek Asta Nielsen in Frankfurt statt. In dem von Heide Schlüpmann und Karola Gramann in Zusammenarbeit mit Filmwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Frankfurter Goethe-Universität kuratierten Programm wurden im Mal Seh’n Kino sowie im Historischen Museum Frankfurt während der viertägigen Veranstaltung Filme mit Bezugspunkt zu ‘68 und zur Neuen Frauenbewegung gezeigt. Anliegen des Festivals war es nicht, die Klassiker zu diesem Themenkomplex zu zeigen, sondern sich dem weiten Spektrum alternativer Filmkultur zu öffnen.1968 bildet im Jahr seines vierzigsten Jubiläums den Ausgangspunkt zahlreicher Rückblicke und Kontroversen, die wohl auch getragen sind von dem Bemühen, die Revolte und ihre Zeitzeugen einzuordnen in den Lauf einer Geschichte, die sich endlich abschließend erklären lassen kann. Dagegen lässt sich einiges Gelehrtes einwenden oder Filme ansehen, die beispielsweise eine Zeitzeugenschaft mit den Fragen der Neuen Frauenbewegung auszeichnen. Die Unterschiedlichkeit und auch die Widersprüche der Filme und ihrer Themen im Programm dieser Veranstaltung springen ins Auge: Privates und Politisches, Pop und Polemiken, Ernstes und Unterhaltsames. Das Spektrum erstreckt sich von dem Sehgewohnheiten unterlaufenden US-Kurzfilm Near the Big Chakra von 1972, der Großaufnahmen weiblicher Genitalien zeigt, über mann&frau&animal der österreichischen Avantegardekünstlerin Valie Export von 1973, der einen selbstbewussten Blick auf weibliche Sexualität unternimmt bis hin zu unterhaltsamen Publikumsschlagern, wie Zur Sache Schätzchen von May Spils. Die Filmkomödie von 1967 mit Uschi Glas in der Hauptrolle porträtiert aufs Köstlichste die zwielichtigen Gestalten und gammeligen Nichtstuer des Münchner Stadtteils Schwabing am Vorabend der 68er Unruhen. So gewinnt das Filmfestival und das Symposium dem Thema Frauenbewegung und ‘68 mehrere Facetten ab, die sich ergänzen, in Widerspruch zueinander geraten und alles in allem ein überaus lebendiges Bild dieser Zeit zeichnen.Zum Auftakt wurde Georgy Girl von 1966 gezeigt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Georgy, gespielt von Lynn Redgrave die mit ihrer ungleichen Freundin Meredith (Charlotte Rampling) eine Wohnung teilt. Georgy, die sich selbst für unansehnlich hält, leidet unter den Liebeseskapaden ihrer Mitbewohnerin Meredith, die die Männer reihenweise um den Finger wickelt. Zu schüchtern zum Flirten widersteht sie dennoch den Annäherungen des älteren Geschäftsmanns James Learnington, in dessen Haus sie als Tochter eines Bediensteten aufgewachsen ist. Als ihre Freundin Meredith sich weigert ihr Neugeborenes aufzuziehen und obendrein den Vater des Kindes, Möchtegern-Macho Jos Jones (Alan Bates) abserviert, beginnt Georgy eine Beziehung mit Jos und kümmert sich wie eine Mutter um das Baby ihrer Freundin. Jos verlässt die unglückliche Georgy kurz darauf, um sich dem ungewollten Familienleben zu entziehen. Für ein Ende ganz nach dem Geschmack der Zeit vor der zweiten Frauenbewegung sorgt dann der Schluss des Films: Georgy heiratet schließlich doch den reichen James Learnington und verabschiedet sich mit ihrem 30 Jahre älteren wohlhabenden Bräutigam samt Adoptivkind von der Leinwand. Der Film erzählt die Geschichte der Emanzipation zweier Freundinnen vor dem Hintergrund einer bürgerlichen Gesellschaft in den Sechzigern.
Den Großteil ihres aufrührerischen Gehalts bezieht die Komödie aus dem Handeln von Meredith, die sich rigoros der bürgerlich-männlichen Ordnung und auch der Zuschreibung einer Opferposition innerhalb dieser Gesellschaft entzieht. So nimmt der Film im Spiel von Charlotte Rampling vorweg, was später signifikant für die Frauenbewegung ab ‘68 sein wird, und zeichnet eher unfreiwillig den Spielraum von Filmproduktionen in Bezug auf das Geschlechterverhältnis zu dieser Zeit nach.Das Festival und das Symposium bei dem auch das Verhältnis der heutigen jungen Frauen und deren Auffassung von Emanzipation in der Diskussion zum Thema Töchter der 68er reflektiert wurde, wurde in mehrfacher Hinsicht in ein Spannungsverhältnis zum regionalen und historischen Kontext gesetzt – zu Frankfurt und zu 1968. So ist zum Beispiel Filmemacherin Helke Sander anwesend, die 1968 als Vertreterin im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) unter dem Gejohle ihrer männlichen Kollegen eine Aufsehen erregende Rede bei der Delegiertenkonferenz hielt. Darauf folgte ihr berühmter Tomatenwurf, der als Auftakt der Frauenbewegung in der BRD gilt. Ihr Film Der subjektive Faktor verbindet Spielszenen mit Dokumentaraufnahmen aus den Jahren 1968 bis 1971. Aus der Perspektive der jungen Studentin Anni, die in einer WG in Frankfurt wohnt, in der die Männer den politischen Ton angeben, wird eine subjektive Entwicklung geschildert, die stellvertretend für viele Frauen der 68er-Bewegung ist. Kommt die Frauenfrage aus der Sicht ihrer männlichen Mitbewohner nur als Nebenwiderspruch im Klassenkampf vor, nimmt Anni mit aller Lust zur Veränderung das Heft selbst in die Hand. Die Selbstorganisation steht dabei an erster Stelle: Kinderläden werden gegründet, regelmäßige Treffen bereiten unabhängige Strukturen vor. Filme, die mit eigenen Produktionsmitteln entstehen, werden gedreht. So markiert der Film auch den Aufbruch feministischer Film- und Kinoarbeit, die den Wahrnehmungsweisen männlicher Blicke eine eigene Subjektivität entgegenstellt.Genau um diese geht es im italienischen Film Adjektiv Frau – L’aggettivo donna von 1971, der der Filmreihe den Titel gab. Gegen die Zurichtung zur „Adjektiv-Frau“, als Anhängsel des Mannes richtet sich der Kollektivfilm, der alle wesentlichen Frauenfragen der Zeit gleich einem Manifest mit der Montage dokumentarischen Materials behandelt. Es sind vornehmlich Arbeiterinnen, die hierbei zu Wort kommen und teilweise auch Erfahrungen im Kampf gegen Ausbeutung an der Seite ihrer männlichen Kollegen haben. Die Forderung ist deshalb auch keine nach Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen, schließlich seien diese ebenso unfrei: „Wir wollen die Gesellschaft revolutionieren, nicht in ihr eine bessere Stellung erreichen.“. Und die Etablierung eines „Wir“, als eine gemeinsame Sprechsituation von Frauen, ist dabei der Schlüssel zur Veränderung der Produktionsbedingungen. Ein Film lief über die gesamte Dauer des Filmfestivals im Foyer des Kinos: Sei schön und halt den Mund aus dem Jahre 1976 von Delphine Seyrig, die Interviews mit 22 Kolleginnen wie Shirley McLaine, Jane Fonda, Juliet Berto und Barbara Steel über ihre Erfahrungen im Filmbusiness zeigt. Dieser Beitrag stellte auch die thematische Klammer des Festivals dar, ging es doch um die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen von Frauen in der Selbstbehauptung. So versteht auch Kuratorin Heide Schlüpmann ihr Filmprogramm: „Das was an Befreiungswünschen und Sehnsüchten in den Filmen vorkommt, kann man heute dort wieder wahrnehmen und ich glaube, es weckt vielleicht auch schlafende Träume und Sehnsüchte in den Zuschauerinnen heute, auch in den jungen Zuschauerinnen.“ So können die beiden Kuratorinnen Gramann und Schlüpmann auf ein gelungenes Filmfestival zurückblicken, das verdientermaßen seine Zuschauerinnen und Zuschauer allen Altersgruppen gefunden hat. Die Anstöße und Impulse der damaligen Frauenbewegung entfalten in den gezeigten Filmen ihre ganz aktuelle Wirkung, die Geschichte der 68er stellt sich nicht abgeschlossen dar, sie bietet weiterhin Reizpunkte, die sicher auch künftig ihr interessiertes Publikum finden wird.
(merz 2008-4, S. 77-79)
Christina Oberst-Hundt: Fernsehen macht Geschichte – Vergangenheit als TV-Ereignis
Historische Themen, vor allem der jüngeren Geschichte, entwickeln sich zunehmend zu TV-Quoten-Highlights. Das gilt vor allem für sogenannte Eventfilme im öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehen. Zuletzt erreichte Die Jacht Gustloff (ZDF) über acht Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen, im vergangenen Jahr waren es Die Flucht (ARD/Arte) und Die Frau vom Checkpoint Charlie (ARD), die sich 10,66 Millionen, bzw. zehn Millionen Menschen anschauten. Aber auch die Filme Contergan (ZDF) und Tarragona (RTL) brachten es auf über sieben und fünf Millionen Zuschauende. Der Flucht gelang sogar der Sprung in die ansonsten von sportlichen Großereignissen dominierte Quoten-Top Ten 2007. Dokumentationen, Dokudramen und living history erreichen ebenfalls ein großes Publikum. Guido Knopps Produktionen Hitlers Helfer (ZDF) sahen schon 1998 bis zu acht Millionen Menschen. „Historische Stoffe sind populär wie nie zuvor in der deutschen Fernsehgeschichte“, heißt es in der Einladung zu den letzten Tutzinger Medientagen mit dem beziehungsreichen Titel Fernsehen macht Geschichte. Wobei „macht“ durchaus auch groß geschrieben werden darf, denn wenn das Me-dium Geschichte „macht“, kann es auch Macht entfalten, zumal es in vielen dieser Filme und Sendungen nicht (nur) um Information und Bildung, sondern auch um Unterhaltung, Spannung, Emotion und letztlich auch Vergewisserung und Deutung von Vergangenem geht, die bei den Rezipientinnen und Rezipienten Wirkung erzielen (können). Zum Beispiel die Klippe umschiffen zu müssen, auch nur den Anschein von Revanchismus bei Stoffen wie Dresden (in der Bombennacht am 13. Februar 1943) oder Die Flucht (aus Ostpreußen vor der anrückenden Roten Armee) zu erwecken, war den anwesenden Verantwortlichen für diese Produktionen, wie Drehbuchautorin Gabriela Sperl betonte, sehr wohl bewusst. Aber ist diese Sensibilität durchweg gegeben? Worin liegt der Erfolg solcher Produktionen? Weil sie Anhaltspunkte im kollektiven Gedächtnis haben? Oder wirken sie auf das kollektive Gedächtnis ein, verändern sie es? Pflegen sie eine ‚Erinnerungskultur’ oder schaffen sie neue ‚Erinnerungen’? Können sie ein defizitäres Geschichtsbewusstsein aufbrechen? Oder schaffen sie überhaupt erst ein Bewusstsein für Vergangenes? Fragen, die nicht zuletzt für die Jüngeren, die bei zeitgeschichtlichen Themen weitgehend nicht oder kaum auf persönliches Erleben zurückblicken können, relevant sind. Gerade aber in diesen Generationen konnten die massenattraktiven Eventfilme punkten. Sie erreichen viele Unter-50-Jährige und auch die sonst eher die kommerziellen Angebote nutzenden ganz Jungen.
„Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ oder: Wie authentisch ist das Historische?
„Authentizität ist das Schlüsselwort für den erfolgreichen historischen Film der Gegenwart“, betonte Prof. Rainer Wirtz, Historiker und So-ziologe mit dem Schwerpunkt ‚Geschichte in Medien’ an der Universität Konstanz. Aber was ist ‚Authentizität’? Mit den neuen Produktionen vollzieht sich, so Wirtz, ein Bedeutungswandel des Begriffs. Nicht mehr das strikte Festhalten an dokumentarisch gesichertem, auf Zeitzeugenschaft basierendem Material ist ausschlaggebend, Authentizität werde „wie das Wetter zunehmend gefühlt“ und lässt sich heute sogar steigern. Der Untergang zum Beispiel wurde damit beworben, dass er „authentischer als alle vorherigen Filme zum Thema“ sei. „Superauthentisch“ oder „echt authentisch“ sind weitere Etappen dieser Begriffsdehnung, die kaum problematisiert wird. Der Rechtsstreit um den Conterganfilm im ZDF, den die Firma Grünenthal angestrengt hatte, machte, wie Wirtz darlegte, deutlich, dass der Film „seine eigene Wahrheit konstituiert mit der Konsequenz, dass in Bezug auf Authentizität zwischen innerer und äußerer unterschieden werden kann. Die innere fragt nach der Stimmigkeit eines historischen Films jenseits aller Beglaubigungsstrategien, während die äußere alle Anstrengungen unternimmt, dass ein Film faktengerecht produziert wird.“ Mitunter gehe es allerdings lediglich „um die Aufrechterhaltung der Illusion von Authentizität, damit die Zuschauer in ihren Erwartungen von Antike“ – so im SAT.1-Schliemann-Film – „nicht enttäuscht werden“. Ebenso musste, vorrangig aus Quotengründen, ein hoher Wiedererkennungs- und Sympathiewert des Hauptdarstellers Heino Ferch, bekannt aus weiteren insbeson-dere SAT.1-Event-Filmen, erreicht werden zulasten von Authentizitätskriterien.Anders die Authentizitätserwartungen des Pulikums beim Zweiteiler Die Flucht: Der Zug von 600 Statisten über das vereiste Haff lasse „Bilder wieder auferstehen, die im Fundus kollektiver Erinnerung ohnehin vorhanden sind“. Der historische Event-Film könne so als „Augen- und Türöffner für das kollektive Gedächtnis“ fungieren, die filmischen Erinnerungstopoi – oder auch „Bild-Ikonen“ – könnten, so Wirtz, die realen aber auch überlagern, „weil sie sich doch so ähneln, um nicht zu sagen, sogar authentischer erscheinen.“ „Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ resümierte Wirtz in der anschließenden Diskussion. „Bildikonen, die wir in uns tragen, wie das vor Napalm wegrennende vietnamesische Mädchen, werden ersetzt“, durch Superauthentisches? Er plädiert für mehr qualitative Studien zur Rezeption von Geschichtssendungen und im Umgang mit historischen Stoffen, dafür, „Multiperspektivität“ einzufordern, „weil sie wichtig ist, um sich Wahrheit anzueignen!“„Nichts ist so groß wie Geschichte, die das Leben schreibt!“
Trailer nur für Einschaltimpuls, Verkauf und Quote?
In seiner „Zeitreise“ zum historischen Eventfilm weitgehend anhand ihrer Werbetrailer, sparte der Medienfachjournalist Tilman P. Gangloff nicht mit kritischen Anmerkungen: „Wenn das Fernsehen viel Geld ausgibt, um große Geschichte zu verfilmen, ist ihm jedes Mittel recht, um ein angemessen großes Publikum zu erzielen“. Oder: „Puristen“ gehe es „um Werte wie Wahrhaftigkeit, Authentizität, Seriosität. Sender aber denken anders. Produzenten erst recht.“ Bei diesen Kampagnen für Einschaltimpulse gehe es nicht „um hehre Ansprüche, sondern um knallharte kaufmänische Aspekte“. Erfunden habe „diese Art von Fernsehen“ die Firma teamWorx, durch deren Produktionen „sich die „Emotionalisierung der Stoffe wie ein Ariadne-Faden“ ziehe. Garantinnen für Erfolg seien „mittlerweile fast immer starke, moderne weibliche Figuren“, die aus kommerzieller Sicht ein weibliches Publikum ansprechen (sollen), da sie es in der Regel seien, die den Haushalt führten und „für die Einkäufe zuständig sind“. Beleg dafür: die relativ niedrigen Quoten der Pamir (ARD). Dort gab es nur männliche Hauptrollen. Filme wie Die Gustloff schafften es, „einen eminent politischen Stoff so lange zu verwässern, bis er völlig unpolitisch geworden ist.“Die Kritik der Angesprochenen blieb nicht aus. Wie andere wandte sich Hans Janke (ZDF) dagegen, die Kritik an „Verkaufstrailern“ festzumachen und kritisierte den „Gestus einer maliziösen Herablassung, die im Interesse eines kritischen Umgangs mit den Filmen nicht gerechtfertigt ist.“ Michael André (WDR) vermisste einen „analytischen Ansatz“ und die Produzentin Ariane Krampe wies auf die „Chance zur Schaffung von Geschichtsbewusstsein“ hin, die solche Filme böten. Warum aber müssen Trailer – auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (dessen Programmleistungen ja schon durch das grassierende Sponsoring negiert werden) – als derartige Aufreißer daherkommen, wird in ihnen doch eher das, worum es den Macherinnen und Machern der Filme eigentlich geht, konterkariert, nämlich vergangene Wirklichkeit nachzuzeichnen, um für historische Wahrheit den Blick zu öffnen.
Dennoch: Auf die Frage aus dem Publikum, ob es einen Unterschied mache, für Öffentlich-Rechtliche oder Private zu produzieren, kam die Antwort, dass dies „diametral anders“ sei. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gehe es „sehr viel angstfreier und akademischer im positiven Sinne“ zu, bei den Privaten mache sich sofort der Quotendruck bemerkbar, der einen „ganz anderen Auftrag“ zur Folge habe. Aus Schliemann zum Beispiel werde dann eben lediglich „eine spannende, die Leute unterhaltende Geschichte, in der ein Schatz gesucht wird“.
Großereignisse im Dokumentarfilm.Neue Wege der Aufarbeitung von Vergangenem
Einen anderen, sehr unterschiedlichen Umgang mit historischen Großereignissen pflegen Dokumentarformate, wie Claudia Wick in einem Überblick nachwies. Die Beschäftigung mit dem Holocaust bestimmte die Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Beginn an. Hier gehöre für sie Eberhard Fechners Der Prozess zu den wichtigsten Dokumentationen des Deutschen Fernsehens überhaupt. Für Dokumentationen über die NS-Zeit war das Medium Fernsehen aber weitgehend nur auf Propagandamaterial, Zeitzeugen oder abgefilmte Aktennotizen angewiesen, während später, beim Deutschen Herbst zum Beispiel, das Nachrichtenfernsehen immer vor Ort sein konnte. Material in Sendequalität also heute reichhaltig vorliegt. Breloers Todesspiel (1997) schaffte Neues durch Verbindung von Rekonstruktionen der politischen Ereignisse, Täter- und Opfer-Befragungen mit Reenactments, die erstmals Eindrücke aus der entführten Landshut, dem Hochsicherheitstrakt in Stammheim und dem Krisenstab in Bonn vermittelten. Heute gibt es neue Ansätze, den Deutschen Herbst aufzuarbeiten und zwar durch aussöhnende Fernsehgespräche zwischen ehemaligen Terroristen und Angehörigen ihrer Opfer. Die „schwierige Doppelrolle der Medien „als Zeitzeuge und Akteur“ während des Deutschen Herbstes wurde lange Zeit nicht thematisiert. Allerdings konnte Wick eine „Dokumentation entdecken“, die „schonungslos die eigene Verstrickung“ vermittelt: einen unkommentierten Zusammenschnitt aller Tagesschau-Ausgaben zwischen dem 5. September und dem 8. Oktober 1977.Die mediale Aufarbeitung der Deutschen Einheit dient, so Wick, vor allem dazu, „die emotionale Erinnerung an das vermeintliche ‚Wunder von Berlin’ in den Köpfen der Zuschauer wachzuhalten – bzw. sie überhaupt erst zum dramatischen Ereignis zu formen“. Denn in der Spiegel-TV- Dokumentation Der Fall der Mauer sahen die Ereignisse „sehr viel weniger erhaben“ aus, zumal hier auch deutlich wird, dass die Massen sich auffällig anders – lauter, aktiver – verhalten, wenn sie die Scheinwerfer von Fernsehkameras auf sich gerichtet spüren.
Die 68er-Bewegung, kein Großereignis?
Auffällig war, dass es in Tutzing keinerlei Berücksichtigung der 68er-Bewegung gab. Möglicherweise deshalb, weil es deren bildmediale Aufarbeitung bisher kaum gibt. Dabei gehören solche Bilder, wie die sich über den durch einen Polizeischuss todwunden Benno Ohnesorg beugende Friederike Hausmann vom 2. Juni 1967 oder der am 10. April 1968 vom Fahrrad geschossene Rudi Dutschke ebenfalls zu den Bild-Ikonen, „die wir in uns tragen“ und nicht verdrängen lassen dürfen. Im literarischen Bereich gibt es bereits wichtige Initiativen zur Erinnerung und Nacharbeitung, zum Beispiel die Suhrkamp-Reihe 1968 mit Textdokumenten und dazugehörigen DVDs, oder Uwe Timms Rekonstruktion seiner Freundschaft mit Benno Ohnesorg: Der Freund und der Fremde, dazu auch eine TV-Dokumentation (rbb), ausgestrahlt im April 2008. Es gab eben nicht nur die sexuelle Revolution, wie die derzeitige umfangreiche mediale Beschäftigung mit Uschi Obermaier und der Berliner Kommune 1 anlässlich des 40. Jubiläums suggeriert, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche, einschließlich sämtlicher Fachrichtungen, die es an Universitäten gibt, wurden in den Blick genommen und der Kritik, die in vielfältigen Aktionen ihren Ausdruck fand, unterzogen. Auch die Medien! „Enteignet Springer!“ war eine der Großkampagnen der 68er und 68erinnen und nicht zuletzt das Bayerische Volksbegehren Rundfunkfreiheit von 1972 hat seine Wurzeln in der 68er-Bewegung. Zeit also, eine Lücke zu schließen.
3 Anmerkungen
1 Zum Beispiel erreichte Dresden (ZDF) über zwölf Millionen Zuschauende, davon über vier Millionen 14-49-Jährige. Die Flucht Teil 1 (ARD) erreichte in dieser Altersgruppe 3,03 Millionen Zuschauende, trotz des jugendaffinen Konkurrenzangebots auf ProSieben Findet Nemo mit 3,68 Millionen Zuschauenden bis 49 Jahren
2 ZDF-Trailer für den Gustloff-Zweiteiler
3 Eine Dokumentation der in Tutzing gehaltenen Referate in epd medien 26 v. 02.04.2008
Daniel Ammann: Agility für Mensch und Tier
Die Sims Tiergeschichten. DVD-ROM. Win XP/Vista. Köln: Electronic Arts, 2007, 40 € Mac OS X. Heidelberg: Application Systems, 2007, 45 €
Seit Jahren gehören das Lebenssimulationsspiel Die Sims und sein Nachfolger Die Sims 2 mit zahlreichen thematischen Erweiterungspacks (vgl. merz 4/2007) und diversen Accessoires zu den erfolgreichsten Computerspielen. Für 2009 steht mit Die Sims 3 bereits eine weitere Fortsetzung ins Haus. Ergänzt wird die Angebotspalette inzwischen durch die eigenständige Produktreihe Die Sims Geschichten mit speziell Laptop-freundlichen Spielen auf DVD. Erschienen sind bisher Versionen zu den Themen „Lebensgeschichten“, „Tiergeschichten“ sowie „Inselgeschichten“ (www.diesimsgeschichten.de). Neben einem freien Spielmodus, bei dem – wie in bisherigen Sims-Spielen – die Nachbarschaft mit eigenen Figuren bevölkert oder sogar Hunde und Katzen mit Persönlichkeitsprofil erstellt werden können, bieten die neuen Standalone-Produkte auch einen ausgereiften Storymodus an. Die Sims Tiergeschichten, das auf dem Haustiere-Erweiterungspack für Die Sims 2 basiert, erzählt zwei Episoden mit unterschiedlichen Herausforderungen. In der Geschichte mit Alice und ihrem Dalmatiner geht es darum, genug Geld aufzutreiben, um das Haus zu bezahlen. So kann man der Künstlerin zum Beispiel dabei helfen, einen passenden Job zu finden oder durch den Verkauf von Bildern etwas dazu zu verdienen. Eine willkommene Gelegenheit ergibt sich anlässlich einer lokalen Hundeshow. Wenn es Alice nämlich gelingt, ihren temperamentvollen Hund innerhalb von zwei Wochen auf den bevorstehenden Wettbewerb vorzubereiten, hat sie gute Chancen, sich das ansehnliche Preisgeld zu holen. Im Mittelpunkt der zweiten Tiergeschichte steht Küchenchef Stefan, der sich während der Hochzeitsreise seiner Cousine um deren verwöhnte Katze Diva kümmern muss. Außerdem hat er sich vorgenommen, endlich die Partnerin fürs Leben zu finden. Sofern die Spielerinnen und Spieler sich an den Wünschen und Zielen der Hauptfiguren orientieren, diese bei der Erziehung und Pflege ihrer Vierbeiner unterstützen und anstehende Aufgaben meistern, können sie nicht nur nützliche Gegenstände für das Inventar gewinnen, sondern Kapitel für Kapitel zum beruflichen und privaten Erfolg ihrer Sims beitragen. Für Sims-Einsteigerinnen und -Einsteiger führt ein umfangreiches Tutorial schrittweise in die Bedienung des Spiels ein und gibt Tipps, worauf es im Umgang mit den virtuellen Menschen und ihren Schützlingen ankommt. Das Spiel ist zwar ohne Altersbeschränkung freigegeben, setzt jedoch ausreichende Lesekompetenz voraus und dürfte sich aufgrund der sozialen Thematik und der komplexen Steuerung erst ab etwa zwölf Jahren eignen.
Erika Kovacsics: Draussen bleiben
Ein kleiner Bolzplatz in München am Harras. Zwei Mädchen toben ausgelassen um den ledernen Ball herum, scherzen und lachen. Sie üben verschiedene Fußballtricks – gekonnt sieht das aus. Doch längst ist nicht alles so sorglos, wie es scheint. Die beiden Protagonistinnen, Suli und Valentina, haben sich in einer Münchner Flüchtlingsunterkunft kennen gelernt und Freundschaft geschlossen. Den Migrationshintergrund haben sie gemeinsam – beide sind vor Jahren mit ihren Familien nach Deutschland geflohen, die eine aus Nordchina, die andere aus dem Kosovo. Doch während die uigurische Familie der siebzehnjährigen Suli längst als politisch Verfolgte angesehen und ihnen der Aufenthalt samt Wohnung genehmigt wurde, schwebt die jüngere Valentina stets in Ungewissheit. Die Angst vor der Abschiebung begleitet sie tagtäglich: Ihre Familie wird in Deutschland lediglich geduldet und das immer nur für zwei bis drei Monate, dann beginnt das Bangen von Neuem. Was die Behörden an der endgültigen Abschiebung noch hindert, ist die psychiatrische Behandlung, in die sich Valentinas Mutter aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse begeben hat. Sie leidet unter den schwierigen Lebensumständen, wirkt müde und abgestumpft, sagt schon lange nichts mehr zu dem wilden Treiben ihrer sechzehnjährigen Tochter. Die kosovarische Familie lebt in einem Münchner Asylbewerberheim. In der Enge der Behausung herrscht reichlich Trubel. Valentinas Tagesablauf scheint durch ihre Standardmahlzeit, Rührei mit Fertigbrötchen, begleitet vom alltäglichen Streit der Nachbarn um die gemeinsame Waschmaschine, etwas wie Regelmäßigkeit zu gewinnen. Doch nur draußen fühlt Valentina sich frei. Unabhängig vom Einfluss der Familie, unbeschwert von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen. Zusammen mit ihrer besten Freundin Suli stromert sie in U-Bahnstationen und Hinterhöfen herum, außerdem geht sie als Anführerin der kleinen Mädchengang ‚Harras Ladies’ der gemeinsamen Leidenschaft, dem Straßenfußball, nach.
Im Freundeskreis der Mädchen gehören interkulturelle Konflikte und Handgreiflichkeiten untereinander ebenso zur Normalität wie Probleme in der Schule und mit den Behörden. Da wird Schule geschwänzt, die Kontroversen um die Hautfarben der anderen auf der Straße ausgetragen, der Verlust des Respekts vor der Polizei öffentlich begründet und debattiert. Valentina, obwohl in großer Unsicherheit aufgewachsen, scheint ihr Leben selbstbewusst und unbefangen zu meistern. Die zurückhaltendere Suli bewundert ihre Freundin für deren Durchsetzungsvermögen und scheinbare Unabhängigkeit. Doch die Realität holt die beiden schnell ein: Es hat wieder einmal Probleme mit der Polizei gegeben. Valentina muss für einen Monat in den Jugendarrest, es folgt ein reger Briefwechsel zwischen den beiden Freundinnen. Valentina greift das Leitmotiv des Filmes in eigener Aussage auf: „Ich vermisse die Freiheit.“Draussen bleiben ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm über zwei junge Mädchen in einer kulturellen Kluft zwischen Verweigerung und Vernunft, Selbstbewusstsein und Identitätsfindung, Illusion und Realität. Die Kamera begleitet die beiden Freundinnen in ihrem Alltag, meist als stumme Beobachterin, manchmal auch mit der Stimme aus dem Off, die mit den Teenies in Dialog tritt und der Dokumentation so noch mehr Authentizität verleiht. Ob Wunschträume eines kleinen, afrikanischen Jungen, ein reicher Fußballprofi zu werden, persönliche Definitionen von Glück oder der ständig wiederkehrende, improvisierte Sprechgesang eines Jugendlichen, der dadurch sein Lebensgefühl auszudrücken versucht – typische Grundbedürfnisse des Menschseins werden im Filmverlauf immer wieder aufgegriffen und verleihen der Dokumentation eine nahezu philosophische Note. Außergewöhnliche Kameraperspektiven lassen die Szenen zu einem visuellen Genuss werden – mal finden sich die Zuschauenden als Zielobjekte hinter einem Fußballtor wieder, mal nehmen sie die groteske Position eines Schminkspiegels ein. Regisseur Alexander Riedel versteht sich darauf, die Mädchen gekonnt in Szene zu setzen. Er verschafft den Zuschauerinnen und Zuschauern eine einzigartig Einsicht in das Leben zweier Teenager, die sich in der Anonymität der Großstadt ihre eigene Welt aufgebaut haben. Das sind Einsichten in einen Münchner Alltag, die sich dem Publikum normalerweise verschließen. Draussen bleiben ist zu Recht Preisträger der Internationalen Hofer Filmtage und anderer Dokumentarfilmfestivals des vergangenen Jahres. Er ist eine schamlose, sozialkritische und realitätstreue Dokumentation zweier Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden haben und daher ‚draussen bleiben’.
Draussen bleiben
Deutschland 2007, 84 min
Regie: Alexander Riedel
Produktion: pellefilm
Erika Kovacsics: Mit den vier Spürnasen auf Indizienjagd
TKKG Das unheimliche Zimmer. Windows 2000/XP/Vista, 256 MB RAM, Pentium III 1,2 GHz, 3D Grafikkarte Geforce 2 mit 128 MB RAM oder vergleichbar, DirectX-kompatible Soundkarte. Festplattenbedarf 500 MB; USK: Freigegeben ohne Altersbeschränkung; 18,99 €
Wer kennt sie nicht, die beliebte Jugendkrimiserie TKKG, die in den 1980er Jahren per Hörspiel und Buch Einzug in sämtliche Kinder- und Jugendzimmer hielt?TKKG – das sind Tim, Karl, Klößchen und Gabi, vier erfolgreiche Jungdetektive, die mit Unterstützung von Hund Oskar jeden noch so kniffligen Kriminalfall meistern. Längst hat der Spielehersteller Tivola das Konzept der Detektivbande für seine Kindersoftware aufgegriffen. Seit 1997 sind in der TKKG-Computerspielreihe 15 erfolgreiche Adventure Games erschienen, die sich jeweils mit einem neu konzipierten Fall beschäftigen. Diesen gilt es zu lösen – zusammen mit den jungen Protagonisten. Das neueste Rätsel trägt den unheilschwangeren Titel ‚Das unheimliche Zimmer’ und reiht sich als Nummer 16 in die Abenteuer von TKKG ein. Nicht nur die altbekannte Titelmelodie zu Beginn des Spiels sorgt für einen Wiedererkennungseffekt – auch die einführende Vorgeschichte des Falls, die sowohl in Textform auf dem Display erscheint als auch vorgelesen wird, erinnert an die Hörspielserie: TKKG befinden sich auf einer Fahrradtour, als plötzlich ein Unwetter aufzieht. Die vier Jugendlichen beratschlagen, wiederum in Text- und Audioform für die Nutzerin bzw. den Nutzer ersichtlich, was zu tun ist. Nun gilt es, inmitten der einsamen Landschaft einen Unterschlupf für die Bande zu suchen. Gemäß dem Spieltitel stößt die Bande bald auf ein altes, verlassenes und mysteriös wirkendes Hotel, dessen Räumlichkeiten ein schauriges Geheimnis zu bergen scheinen. Die Indizienjagd beginnt. Dazu wird der Mauszeiger in eine Lupe umgewandelt. Sobald man ein Objekt in der Gegend betrachtet, erscheint ein Textfeld mit der jeweiligen Beschreibung, mitunter auch mit Hinweisen, die für den weiteren Spielverlauf hilfreich sind.
Stößt man auf ein aufzusammelndes Indiz, wandelt sich der Mauszeiger automatisch in eine Greifhand um, mit deren Hilfe man den Gegenstand in das Inventar aufnehmen kann. Die im Spiel integrierte Iconleiste bietet neben einer Auflistung des Inventars noch zwei weitere Anwendungsmöglichkeiten, auf die jederzeit zugegriffen werden kann: eine kurze, schriftliche Darstellung der aktuellen Situation, die jedoch keine Lösungsvorschläge offeriert und eine vogelperspektivische Übersicht der Orte, deren Zugang man sich im Spielverlauf selbst erschließen muss. Oft sind mehrere Ortswechsel nötig, um durch scharfsinnige Anwendung und Kombination der gesammelten Gegenstände immer weiter in den Kriminalfall vordringen zu können. Taktische Interaktion und Konversation mit anderen Charakteren des Spiels, seien es kostümierte Kinder, harmlose Dorfbewohner oder unheimliche Fremde, treiben die Handlung voran. Gelungene Grafiken und geschickt eingesetzte Soundeffekte begleiten das Geschehen. Nachwuchsdetektivinnen und -detektive werden ihre Freude an diesem kniffligen Rätsel haben, bei dem Taktik, Logik und Kombinationsgabe gefragt sind. Jedoch ist die Altersempfehlung von acht Jahren deutlich zu niedrig angesetzt. Es gibt keine Hilfestellung, sodass man angesichts der teils schier abwegigen Schlussfolgerungen schnell stecken bleibt. Zudem besitzt das Geheimnis um ‚Das unheimliche Zimmer’ eine leicht gruselige Komponente, denn TKKG bleiben nicht von der Konfrontation mit Friedhöfen und einem Monster verschont. Für Kinder ab dem Sekundarstufenalter, die Spaß am Rätseln haben, ist dieses Adventure Game jedoch sicher ein gelungener Zeitvertreib.
Ilona Cwielong: „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Versteckt – Entdeckt! Der Konzentrationstrainer – Fantasy. Terzio 2008. Windows XP/Vista, Power Mac; Systemanforderung: Windows: P II Prozessor, 266 MHz/32 MB RAM; 20MB Festplattenspeicher; Grafikkarte: 800 x 600, 16-bit Farbtiefe; 24x speed CD-ROM-Laufwerk; Mac: 233MHz//32 MB RAM; 20MB Festplattenspeicher; Grafikkarte: 800 x 600, 16-bit Farbtiefe; 32768 Farben; 24x speed CD-ROM-Laufwerk; System Classic 9.1 oder höher, OS X 10.1 oder höher; USK: Freigegeben ab 6 Jahren; Preis: 14,95€
Der Computer- und Konsolenhype ist mittlerweile auch in die Kinderzimmer von Grundschülerinnen und Grundschülern eingedrungen. Eltern freuen sich, wenn der Markt mehr als nur ‚Killer-’ oder ‚Ballerspiele’ zu bieten hat. Terzio folgt dem Trend der Konzentrationsspiele und vermittelt den Kindern spielerisch Lesekompetenz. Versteckt – Entdeckt! Fantasy ist die dritte CD-ROM aus der Reihe, zu der die Vorgänger Das Geisterhaus und Die Schatzsuche gehören.Das Spiel ist aufgebaut nach dem Motto ‚Ich sehe was, was du nicht siehst’. Eine Weltraum-station, eine Ritterburg und eine Unterwasserwelt, eingebettet in 3D-Welten, warten darauf, von den Kindern ab sechs Jahren erforscht zu werden. Nachdem eine freundliche, deutlich sprechende Stimme ein gereimtes Rätsel vorgelesen hat, müssen die in dem Rätsel genannten Gegenstände, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen dargestellt sind, in einem von 30 Bildern gesucht werden. Bei jedem Rätsel gibt es Gegenstände, die umgehend ins Auge springen, aber auch einige Gegenstände, zum Beispiel integriert im Dekor eines anderen Gegenstandes oder im Hintergrund angesiedelt, die etwas kniffliger zu finden sind. Hilfestellung zur Bedienung finden die kleinen Spielbegeisterten oben rechts in Form eines Fragezeichenbuttons, für das wiederholte Vorlesen von Reimen gibt es einen Ohrbutton. Allerdings gibt es keine Unterstützung von Seiten des Spiels, falls Gegenstände nicht gefunden werden. Die Kinder erhalten, nachdem sie einen Gegenstand gefunden haben, direkte Rückmeldung in Form von einer kleinen Animation mit Musik. Der gefundene Gegenstand wird in dem Rätsel, das zum Mitlesen in einem kleinen Textfeld erscheint, farblich abgesetzt. Die Sprache ist kindgerecht, fantasieanregend und spielerisch, zum Beispiel ist der Zahlenwert Zwei bildlich dargestellt als Augenzahl auf einem Würfel oder ‚ein Süßes Herz’ gelegt aus verschiedenen Süßigkeiten. In jeder Fantasiewelt muss zum Abschluss ein Rätsel gelöst werden, in dem Gegenstände aus allen Bildern der gespielten Welt aufgesucht werden müssen. Nachdem das Spiel durchgespielt wurde, kann es noch zweimal mit jeweils anderen Rätseln durchgespielt werden, wobei sich auch die Reime verändern. Das Spiel kann der ganzen Familie großen Spaß bereiten. Durch die Option, dass sich auch Spielerinnen und Spieler mit (noch) unzureichender Lesekompetenz die Reimrätsel immer wieder vorlesen lassen können, ist es auch schon für Grundschulkinder geeignet. Somit ist Versteckt – Entdeckt! Fantasy ein rundum gelungenes Spiel, das das Sprachgefühl, die visuelle Wahrnehmung und das logische Denken trainiert.
Karl-Heinz Behr: Verführung zum Vorlesen
„Es waren einmal zwei grimmige Räuber mit großen …“ „Lies richtig!“ „Es waren einmal drei grimmige Räuber mit kleinen roten Hüten und engen roten Mänteln …“ Der Dreijährige schlägt mit den Händen auf die Bettdecke: „Lies endlich richtig!“ „Es waren einmal …“ und natürlich hatten die Räuber große Hüte und weite Mäntel und beides war schwarz. Und der Kleine weiß das. Die drei Räuber (Ungerer 2007) ist sein Lieblingsbuch und er kann es auswendig. Und wenn er nicht immer aufpassen müsste, dass Papa nicht falsch vorliest, absichtlich, dann könnte er auch ruhig und müde und schläfrig werden.
Neuankömmlinge in der Welt und in der Sprache müssen darauf bestehen, dass Mond auch morgen noch Mond und schwarz weiterhin schwarz heißt. Das eben begonnene Verstehen der Welt mit Händen und Begriffen braucht eine gesicherte Basis. Schon dem anderthalbjährigen Kind „wird klar, dass einzelnen Reihen von Sprachlauten einzelne Bedeutungen zugeordnet sind; und bald auch, dass diese Bedeutung tragenden Laute nicht an bestimmte Situationen geknüpft sind, sondern allen gleichartigen Situationen angemessen sind“ (Zimmer 1986). Lewis Carroll sagt das so: „Aber ‚Glocke’ heißt doch gar nicht ein einmalig schlagender Beweis“, wandte Alice ein. „Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man die Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ (Carroll 1963) Kleine Kinder ärgert das. Die Freude an Variationen, am Spiel mit Wörtern und Bedeutungen kommt später.Vorlesen ist eine Veranstaltung von Erwachsenen für Kinder, von Anfang an. Erwachsene erfinden die Geschichten und Bilder, Erwachsene wählen die Geschichten aus, die zu Büchern werden, Erwachsene suchen die Bücher aus und kaufen sie. Erwachsene lesen vor. Möglichst oft, möglichst täglich. Was bewegt Väter, Mütter, Onkels oder Omas Kindern vorzulesen? Die Gute-Nacht-Geschichte aus der eigenen Kinderzeit ist vielleicht noch in guter Erinnerung. Vielleicht soll am Ende des Tages Ruhe einkehren, Besinnlichkeit gar. Wo regelmäßig vorgelesen wird, gibt es dafür einen bestimmten Platz in der Wohnung, einen kuscheligen am besten. Alle sitzen so, dass während des Lesens die Bilder im Buch betrachtet werden können. Und Vorlesen hat seine bestimmte Zeit im Tagesverlauf, gehört zum Mittagsschlaf, zum Warten aufs Essen, zum abendlichen Einschlafen, je nachdem. Kinder mögen solche Rituale. Sie bieten Orientierung und bestärken Gemeinschaft. Vorlesen braucht Nähe. Ärger muss erst ausgeräumt sein, bevor wieder vorgelesen werden kann.
Der Tag geht zu Ende. Die Kinder liegen im Bett, erwartungsvoll, die Katze streckt sich auf der Bettdecke aus. Vorlesezeit: Wo die Wilden Kerle wohnen, Oh, wie schön ist Panama, Krokodil, Krokodil, Der glückliche Prinz, Die Regenbogenkobolde, Die kleine Hexe – der Geschichtenhunger der Kinder wird mit den Jahren nicht weniger. Immer wieder auf der Suche nach neuem Vorlesestoff geraten auch mal die Bücher aus der Kindheit des Vorlesers dazwischen: Peterchens Mondfahrt, Die dicke Dora oder Die Schule im Walde, die man nun beim besten Willen – also wirklich – nicht mehr vorlesen kann. Warum eigentlich nicht? Was ist ein gutes Vorlesebuch, was ist ein passendes? Monika Osberghaus legt ihre Auswahlkriterien für gute Bilderbücher dar. „Bei der Vorstellung des einzelnen Buches habe ich mich dann vor allem an seinen Wirkungsmöglichkeiten orientiert und an der Frage, was ein Kind wohl gerade umtreiben mag, das auf dieses spezielle Bilderbuch besonders stark reagiert.“ (Osberghaus 2006, S. 6) Warum also nicht Die Schule im Walde, wo der Große im nächsten Herbst in die erste Klasse kommt und der Kleine sich an Reimen begeistert? Was wirkt in Bilderbüchern und wie wirken sie? Wie immer in der Medienpädagogik kann mit Sicherheit nur festgestellt werden: Sie wirken. Die Medienpsychologen Michael Charlton und Klaus Neumann „wiesen nach, dass kindliche Bedeutungszuweisung an Figuren, Handlungsverläufe und Bildangebote in Bilderbüchern in entscheidendem Maße von den (auch medial geprägten) Sozialisationsbedingungen eines Kindes abhängen und dass Wirkungen von Bilderbüchern nicht direkt von Produktanalysen abgeleitet werden können“ (Thiele 2007, S. 9). Übersetzt heißt das: Ein Bilderbuch wie Königin Gisela von Nikolaus Heidelbach kann trotz Jugendbuchpreis und Empfehlung des Buchhändlers gähnende Langeweile auslösen, wenn das Thema, ‚Wer ist Be-stimmer im Kinderzimmer?’ gerade nicht aktuell ist. „Welche Fragen stellt dieses Buch, welche Antworten gibt es, welchen Trost und welche Art von Belebung? Welche Imaginationen entstehen durch die Bilder und Worte, und zu welchen Träumen liefern sie die Eingangsszenen?“ (Osberghaus 2006) Wie würden Kinder ihre Bücher auswählen, wenn sie es selbst und ganz alleine dürften? Man sollte das ausprobieren, wann immer es möglich ist, vielleicht durch gemeinsames Stöbern in Buchhandlungen und öffentlichen Büchereien. Ansonsten bleibt den Kindern nur die Wahl aus der Vorauswahl der Erwachsenen. „Das Bilderbuch entdeckt die Erwachsenen und vergisst die Kinder“, sagt Jens Thiele dazu. Würden Kinder in der Buchhandlung zu Wolf Erlbruchs Ente, Tod und Tulpe greifen oder zu Schwester von Jon Fosse/Aljoscha Blau, auch wenn das von der Jugendbuchjury 2007 empfohlen wurde? Wahrscheinlich nicht. Dennoch, solche Bücher stehen zu Recht im kindlichen Bücherschrank – Bücher, die über die aktuellen Fragen hinausweisen, die auch mal ablagern dürfen, bis die Zeit reif für sie ist und die den Dialog zwischen Kind und Erwachsenem brauchen, auch wenn das Ergebnis der Beschäftigung nur ist: Ach, so was gibt’s auch – solche Bilder, solche Geschichten.
Am Anfang waren Geschichten. „Die mündlich komponierten Dichtungen der Atoin Meto in Westtimor sind eine epische Literatur, die Themen der regionalen Geschichte tradiert. … Im rituellen Kontext entstehen mündliche Dichtungen als spontane Schöpfungen der Dichter-Sprecher aus dem Stegreif, als deren kreative Improvisation …“1 Oral Poetry – Mündliche Dichtung wird bis heute noch in manchen Kulturkreisen gepflegt. Erzählte Geschichten sind der Rohstoff für das Vorlesen „‚Erzähl uns doch eine Geschichte!’ bitten wir Papa. ‚Ja. Aber ihr müsst alles aufessen. Welche Geschichte wollt Ihr heute hören?’ ‚Die von der Prinzessin’, sage ich. Oder ich wünsche mir eine von den Arnold-Geschichten. Ronny will natürlich lieber die von den FBI-Agenten hören, die im underground arbeiten und sich mit „Unheil Hitler!“ grüßen. Es sind die vierziger Jahre und auch der Zweite Weltkrieg kommt in Vaters Geschichten vor. Ich liebe die Arnold-Geschichten.“ Der Komponist Arnold Schönberg erfand zum Mittagessen Geschichten, berichtet seine Tochter Nuria. „... Nur solange man aß, ging die Geschichte weiter. Hörte man auf zu essen, war auch mit dem Erzählen Schluss ... ‚Fertig? Aufgegessen? Die Milch ausgetrunken? So, dann geht die Geschichte morgen weiter. Bringt eure Teller in die Küche!’“ (Schoenberg Nono 2006, S. 36 ff.) Wer Geschichten erfindet, teilt mit, was ihn bewegt, was ihn interessiert, was er weitergeben möchte. Geschichten sind Informationen über die Welt ‚draußen’, die Kultur, in der sie leben. Und nebenbei erfahren Kinder, was Geschichten überhaupt sind, wie Geschichten erzählt werden, bei uns zu Hause, in dieser Kultur, erleben die unterhaltsame Seite der Sprache. „Der Papa fon Moni möchte in di Dinowelt, um Dinos zu erforschen. Er hat dafür ein Zauberor. Wen er dorschkukt, sit er di Dinos über al … Dabei ist er (in die) Geheimfalle der Dinos (gefallen). Monis Fater schtekt im Fangnez des feurigen Dinos. Der feurige Dino frist gar zu gern krose Menschen …“ „Kinder lieben Geschichten – denken sich welche aus – und vergessen sie irgendwann …“ (Haußner 2005). Johannes Haußner war sieben Jahre, als er die Dinogeschichte erfunden hat. Zum Vorlesen braucht es Geschichtenerfinder. Die bedeutendste Erfindung des letzten Jahrhunderts ist die elektronische Geschichtenerfindungsmaschine, das Fernsehen. Fantastische Abenteuer, Reisen und Berichte und unvorstellbare Bilder – mit offenen Augen und Mündern sitzen die Kleinen vor dem Apparat. Und die Freiheit steigert die Faszination: Kinder sind nicht mehr darauf angewiesen, dass Erwachsene Zeit und Lust haben, ihnen zu erzählen oder vorzulesen. Sie können sich innerhalb des Programms aussuchen, was sie interessiert. Unser kleiner Tomi-Ungerer-Drei-Räuber-Liebhaber suchte sich später in der Grundschulzeit Johann Lafers Kochsendungen aus, wenn niemand schaute. Der große Bruder verarbeitete in zig Wiederholungen American Werewolf – auf Video aufgenommen wird die Verfügbarkeit noch deutlich besser. Wie Geschichten erzählt werden, was spannend ist, welche Bildwelten vorstellbar und erwartbar sind – Kinder erfahren eine Menge über sich und die Welt von dieser Geschichtenerfindungsmaschine. Wenn sie Glück haben und sich ein bisschen auskennen, finden sie, was sie gerade umtreibt, Antworten, Trost, Belebung, Träume. Geschichten erzählen kann der Apparat wunderbar – nur, das ist nicht Vorlesen. Aber Vorlesen ist doch Kinderkram. Sobald die Kinder selbst lesen können, sind wir Erwachsenen ‚zum Glück’ dabei nicht mehr nötig, können nach dem Gute-Nacht-Kuss die Kinder auf ihre Bücher verweisen und in Ruhe Tagesschau und Tatort gucken. Vorlesezeit wird nicht mehr reserviert. Schwierig, wenn es nicht so klappt mit dem selber Lesen. Die Schule, die Lehrerinnen und Lehrer bemühen sich, aber wie das so ist mit dem Bemühen – manchmal reicht das nicht. Manche Kinder lesen trotzdem nicht. „Die Eltern sind schuld!“ „Zu Hause wurde nicht gelesen, vorgelesen schon gar nicht!“ Lehrer zählen diese Kinder zur eigenen Entlastung zu den „bildungsfernen Schichten“, aber die Aufgabe bleibt: Unsere Gesellschaft braucht kompetente Leserinnen und Leser, Betriebe brauchen lesekundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ohne ausreichende Kenntnis der Schriftsprache ist halt auch kein Staat zu machen. Panische Berichte bezüglich mangelnder Lesefähigkeit kommen auch aus anderen Ländern. Eine US-Studie des National Endowment for the Arts study (NEA) stellt fest, dass das Lesen dramatisch abnimmt: „The NEA makes a convincing case that both children and adults are reading fewer books. ‘Non-required’ reading – i. e., picking up a book for the fun of it – is down 7 % since 1992 for all adults, and 12 % for 18-24 year olds.“ (Johnson 2008, S. 31) Und die schlimmsten sind die Jungen: „Aus dem Jahr 1999 datiert die interessanteste Studie zum Leseverhalten von Jungs, durchgeführt vom Institut für angewandte Kindermedienforschung IfaK. Danach lesen rund 55 Prozent aller Jungen im Alter zwischen zehn und 16 Jahren keine erzählende Literatur. Rund acht Jahre später sind die Zahlen noch niedriger.“ (Sommer 2007)
Die Forschungen von Michaela Ulich am Münchner Institut für Frühpädagogik zur Literacy-Erziehung scheinen die Perspektive der Lehrkräfte zu stützen: „Es ist eindeutig erwiesen, dass Leseförderung in den ersten Lebensjahren für den Spracherwerb und die Lesekompetenz sehr wichtig sind. Schon Drei- bis Sechsjährige entwickeln ihre Sprache ganz anders, wenn sie eine entsprechende Leseförderung erhalten. Leseförderung sollte man allerdings im weiteren Sinne verstehen. Ich benutze dafür den Begriff der Literacy-Erziehung. … Erzählkompetenz, Textverständnis, Abstraktionsvermögen. Schon in der frühen Kindheit gibt es lernende Literacy, kindliche Erfahrungen rund ums Buch, um Erzähl-, Reim- und Schriftkultur.“ (Ulich 2007) Michaela Ulich verweist darauf, dass allein schon das mehrmalige Vorlesen eines Bilderbuches den sprachlichen Lerneffekt bei sprachlich weniger kompetenten Kindern deutlich steigert. (Schraml 2007) Da man die Kinder, die nicht lesen können, nicht einfach vergessen kann, gibt es eine Fülle von Initiativen und Programmen zur Leseförderung. Es gibt in Baden-Württemberg im Oktober einen Frederick-Tag, bundesweit lesen Promis jährlich im November auf Initiative der Wochenzeitung Die Zeit und der Stiftung Lesen in Schulen und Kindergärten vor, der UNESCO-Welttag des Buches ist im Jahr 2008 am 23. April und die Stiftung Lesen will alle jungen Nicht- und Wenig-Leser mit dem Geschichten-Erfinder-Bastelwettbewerb, der Türkischen Bibliothek und dem Projekt Vorlesepaten oder mit der Initiative Lesestart zum Lesen verführen. Vom Frühsommer 2008 an will die Lesestart-Initiative über Kinderarztpraxen Lesesets an Eltern verteilen, die mit ihren Kindern zu den Vorsorgeuntersuchungen kommen (vgl. Bonewitz in diesem Heft). Und die Idee der Vorlesepaten scheint in Schulen anzukommen. Mitunter entstehen aber auch Panikprodukte wie die folgende Wettbewerbsausschreibung vom Februar 2008: kicken & lesen – das innovative Leseförderprojekt für Jungen: „Jungen sind unruhig, trotzig und unmotiviert. Und lesen ist ‚uncool’. Gängige Vorurteile, mit denen die Landesstiftung Baden-Württemberg und der VfB Stuttgart 1893 e. V. aufräumen wollen: … Jungen aus bildungsfernen Elternhäusern mit erschwertem Zugang zum Bildungssystem sollen durch Fußball zum Lesen motiviert werden.“2 Vielleicht haben aber gerade solche Umwege hin und wieder eine Chance: Wenn es gilt, die Gebrauchsanweisung des mp3-Players richtig zu verstehen, sich im Internet zurecht zu finden oder einen sinnvollen und witzigen Eintrag in einem Forum zu machen, wird mancher und manchem klar, lesen und schreiben können hilft. Verführung zum Lesen eben. Vielleicht sollte auch die Schule die Verführung zum Lesen ebenso wichtig nehmen wie das Lesetraining, vielleicht durch regelmäßiges Vorlesen.Erwachsene können sich ihre Vorleser kaufen. Das erste bestverkaufte deutsche Hörbuch war Sofies Welt von 1995. Der HörVerlag kam auf knapp 100.000 Exemplare. 7.000 bis 8.000 Hörbuch-Titel sind in Deutschland lieferbar und jährlich kommen etwa 800 Neuerscheinungen hinzu. Inzwischen werden jährlich fast 50 Millionen Euro Umsatz mit Hörbüchern in Deutschland erzielt, und der Anteil der Hörbücher am Gesamtumsatz des Buchhandels beträgt damit etwa zwei Prozent.3 Und dies sind lediglich die offiziellen Zahlen. Was an Kopien und Mitschnitten weitergegeben und angehört wird, ist sicherlich ein Vielfaches. Ein Novum in der deutschen Literatur: Peter Kurzeck hat im Herbst 2007 sein autobiografisches Werk Der Sommer, der bleibt lediglich erzählt. Es ist nicht in gedruckter Form erhältlich.
Im Auto das Hörspiel Der Schwarm anhören, sich beim Bügeln, Geschirr spülen oder einem Glas Wein Das Herz der Finsternis oder Tannöd von der vielstimmigen Monika Bleibtreu vorlesen lassen – Hörbücher scheinen Erwachsene ebenso zu faszinieren wie Kinder, die Nachmittage lang mit dem Ohr auf dem Kassettenrekorder Räuber Hotzenplotz, Benjamin Blümchen oder TKKG-Geschichten lauschen. Wir sind aufs Zuhören eingestellt: Im Radio, selbst im Fernsehen werden die Nachrichten vorgelesen, Ansprachen werden verlesen. Tief bewegt waren die Zuhörerinnen und Zuhörer einer Rede im Oktober 2007 in der Frankfurter Paulskirche. Vorgelesen wurden letzte Briefe von in Auschwitz ermordeten Deutschen: „Madame, … ich schreibe Ihnen dies aus dem Zug, der uns nach Deutschland bringt. Im letzten Moment habe ich einem Vertreter der Quäker 6.000 Francs und ein Armband mit Anhängern und ein Briefmarkenalbum zum Weitersenden an Sie übergeben. Heben Sie alles auf für den Kleinen und nehmen Sie zum letzten Mal unseren unendlichen Dank und die herzlichsten Wünsche für Sie und Ihre ganze Familie entgegen. Verlassen Sie nicht den Kleinen!“ Der ‚Kleine’ war Saul Friedländer, der bei seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels die letzten Briefe seiner Eltern vorlas.Wer gerne liest, genießt es, Geschichten zu hören, glaube ich. Kindern sollte man diesen Genuss nicht vorenthalten. Faszinierend sind Kinder, die zuhören können: Aufmerksam, ganz aufs Hören konzentriert, mit großen Augen ins Leere schauend, inneren Bildern nachsinnend. Der Weg ins Herz ist weit geöffnet. Vorlesen braucht einen besonderen Raum, braucht Nähe, vielleicht gar Intimität. Vorlesen hat, ganz abgesehen von der Bedeutung für den Spracherwerb und die Lesekompetenz einen ganz eigenen Wert.Wir haben unseren Kindern vorgelesen, fast von Anfang an, fast täglich. Vom Maulwurf Grabowski, über Krabat, Grimms Märchen, Die Brüder Löwenherz, Schwabs Odyssee für Kinder bis zu Jan Graf Potockis Abenteuer in der Sierra Morena, bis weit ins Teenie-Alter. Bis wir nicht mehr abends vor dem Einschlafen am Bett saßen, die Tagesprogramme immer mehr ausein-ander liefen und wir keine gemeinsame Lese-Zeit mehr gefunden haben. Seitdem liest jeder in der Familie für sich. Schade eigentlich.
Anmerkungen
1 de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCndliche_Dich-tung_der_Atoin_Meto [Zugriff: 06.07.2007]
2 Wer Genaueres erfahren möchte, auch über den Fortgang des Wettbewerbs, kann unter www.kickenundle-sen.de oder bei Dr. Margrit Wienholz, Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg, Tel: 0711/ 6642107 vielleicht fündig werden
3 vgl. www.hoerjuwel.de/ [Zugriff: 02.03.2008]
Sabine Bonewitz: Frühkindliche Bildung beginnt mit dem Vorlesen und mit Lesestart
Für Goethe war es die Mutter des Lesens und für viele Entwicklungspsychologen ist es die beste Form der frühkindlichen Sprachförderung: Das VorlesenJe früher Menschen Zugang zu Büchern und zum Lesen finden, umso selbstverständlicher wird ihr Umgang damit sein. Das fängt schon bei Kleinkindern an. Seit den 90er Jahren haben Neurologen auf vielfältige Arten nachgewiesen, wie wichtig frühe Förderung ist, wie durch positive Anreize die Ausbildung des Gehirns aktiviert wird. So werden kontinuierlich neue Verzweigungen gebildet, die die Leistungsfähigkeit des Gehirns steigern. Das Vorlesen und Bilderbuch-Betrachten ist dabei ein idealer Weg, um die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kleinkindern ab circa zehn Monaten optimal zu begleiten.
Vorlesen – eine der wichtigsten Lernmöglichkeiten
Das Vorlesen im Vorschulalter bzw. das gemeinsame Bilderbuch-Anschauen ist wohl eine der wichtigsten Lernmöglichkeiten für das Kind, stellt der Entwickungspsychologe Prof. Dr. Michael Charlton fest. Erstens sind sich das Kind und die vorlesende Person dabei meist sehr nahe, das Kind sitzt vielleicht auf dem Schoß der Mutter oder es schaut Kopf an Kopf zusammen mit einem Erwachsenen in ein Buch.
Körperliche und geistige Nähe werden so miteinander verbunden. Dann – zweitens – wird dabei gesprochen. Die Forschung zum Spracherwerb im Kindesalter belegt, dass das Sprechen-Lernen beim gemeinsamen ‚Lesen’ in einem Bilderbuch besonders intensiv gefördert wird. Drittens bildet das Vorlesen einen hervorragenden Anlass zum Erzählen: Das Kind lernt, wie man eine Geschichte so erzählen kann, dass andere sie verstehen können. Was man alles in welcher Reihenfolge erwähnen sollte (also wer was wann wie wo tut). Und schließlich – viertens – erkennt das Kind, dass es mit seinen Erfahrungen und Erlebnissen nicht allein ist. Wo gibt es Parallelen zwischen der vorgelesenen Situation oder Geschichte und den eigenen Erfahrungen des Kindes? Wünsche nach Selbständigkeit und Abenteuer, nach Geborgenheit und Schutz kennen die Figuren im Buch genauso wie das Kind selbst. Diese Erkenntnis hilft dem Kind, den eigenen Alltag aus der Distanz zu betrachten und schöne wie schlimme Erfahrungen einzuordnen und zu bewältigen.
Das Modell Lesestart
Sowohl dem literarischen, als auch dem pädagogischen Fachurteil kann sich die Stiftung Lesen nur aus vollstem Herzen anschließen. Seit mittlerweile 20 Jahren ist die Leseförderung in den verschiedensten Facetten die zentrale Aufgabe der Stiftung Lesen. Dabei haben Projekte für Kinder und Jugendliche oberste Priorität und sollen vor allen Dingen eines bewirken: die ‚Leselust’ bei Kindern steigern. Und das Vorlesen hat daran einen wichtigen Anteil.Wer mit Spaß die spannende Welt der Bücher entdeckt, wird davon nicht genug bekommen und meist viel leichter Zugang zum selber Lesen finden – einer unverzichtbaren Fertigkeit in unserer modernen Wissensgesellschaft. Ob im Internet, beim Prüfen der Sonderangebote im Supermarkt, beim Blättern in der morgendlichen Tageszeitung oder beim Schmökern auf dem Sofa – ohne Lesen geht das alles nicht.Vor diesem Hintergrund startet die Stiftung Lesen am 29. Mai 2008 gemeinsam mit vielen Unternehmen der Druck- und Papierbranchen, dem VDMA (Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau), mit Verlagen und Sozialinstitutionen die bundesweit größte Sprachförderungsmaßnahme für Kleinkinder: Lesestart – Die Lese-Initiative für Deutschland.Im Laufe von zwei Jahren können 500.000 Familien in ganz Deutschland mit einem kostenlosen Lesestart-Set ausgestattet werden. Das erhalten die Eltern von einjährigen Kindern bei Kinder- und Jugendärzten im Rahmen der U6-Vorsorgeuntersuchung. Im Freistaat Sachsen läuft seit November 2006 mit großem Erfolg das Pilotprojekt, das vom Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Schorb wissenschaftlich begleitet wird. Die ersten Ergebnisse bestärken die Initiatoren darin, dass in Lesestart eine echte Chance liegt, um Eltern, egal welcher Herkunft und Bildung, zu erklären, wie wertvoll das (Vor-)Lesen für die Förderung ihrer Kinder ist. Laut der Studie, die das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Auftrag gegeben hat, haben zehn Prozent der sächsischen Eltern angefangen, ein Bilderbuch mit ihren kleinen Kindern anzuschauen. Eine Sache, die sie zuvor nie gemacht haben, und 30 Prozent nehmen sich im Familienalltag nun viel öfters Zeit fürs Vorlesen. Kleine Kinder nehmen Bilderbücher mit all ihren Sinnen wahr, sie begreifen sie im wahrsten Sinn des Wortes. Denn das ‚Ding’ mit den bunten Seiten kann man in die Hand nehmen, dran knabbern, in die Luft werfen, Türme bauen, Seiten umblättern und vor allem, man kann darin die Sachen wiedererkennen, die einem Tag für Tag begegnen. Dabei ist besonders wichtig, dass die oder der Vorlesende – ob Eltern, Großeltern oder ältere Geschwister – das, was auf den Bilderbuchseiten zu sehen ist, sprachlich begleitet, erzählt, was da zu sehen ist, die Geschichte langsam und packend vorliest. Über dieses dialogische Kommunizieren lernt das kleine Kind die Melodie und den Rhythmus der Sprache kennen. Ohne dass sich die Eltern darüber bewusst sind, setzen sie auf diese Weise das um, was Fachleute „Literacy-Erziehung“ nennen. Diese spielerische Heranführung von Kleinkindern an Sprache und Bücher lässt sich anschaulich in fünf Bausteine aufgliedern: „Fühl mal“, „Schau mal“, „Hör mal“, „Mach mit“ und „Das kann ich auch“.
Vorlesen ist ein ganzheitliches Erleben, bei dem jeder Baustein einen anderen Sinn anspricht: „Fühl mal“ zielt auf den Tastsinn ab, der besonders durch „Fühlbücher“ angeregt wird, und „Schau mal“ berücksichtigt, was die Kinder wahrnehmen und erkennen. „Hör mal“ umreißt die phonologische Entwicklung, die Lautmalerei durch Reime, Lieder oder Singspiele, „Mach mit“ geht auf die aktive Beteiligung des Kindes ein, die besonders durch so genannte Wimmelbilderbücher und Pop-up-Bilderbücher mit beweglichen Elementen angeregt wird. Mit „Das kann ich auch“ wird dem Nachahmungstrieb Rechnung getragen, der Kindern naturgemäß in die Wiege gelegt ist. Wenn Eltern selbst lesen, in der Zeitung blättern und Bücher einen festen Platz im Alltag haben, werden Kinder das ganz automatisch übernehmen und nachmachen. Diese Elemente verdeutlichen, wie einfach, selbsterklärend und wirkungsvoll Vorlesen für Kleinkinder ist. Und der große Spaß, den das Vorlesen allen Beteiligten bringt, stellt sich ganz von alleine ein.
Aufs Vorlesen kommt es an
Für Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Leiter der Arbeitsgruppe Medienpädagogik an der Universität Mainz und wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Lesen, ist das Vorlesen der erste Schritt, um Kinder auf einen selbstbewussten und bereichernden Umgang mit anderen Medien vorzubereiten. Allerdings ist auch das ‚Wie?’ nicht ohne Bedeutung. Denn im frühen Alter spielen nicht Texte und Bilder eines Buches eine besondere Bedeutung, sondern das Vorlesen selbst. Es handelt sich ja um eine Kommunikationssitua-tion und gibt damit auch Anregungen für das beteiligte Kind, wie Kommunikation organisiert werden kann. Jedoch hängt genau dies von der Art und Weise des Vorlesens ab. Es lassen sich zwei Formen unterscheiden: die geschlossene und die offenen Form beim Vorlesen. Die geschlossene Form ist durch eine sehr einseitige Kommunikation der Vorlesenden gekennzeichnet, die sich rein an dem Buch orientiert und dem Kind wenig Raum für Fantasie und Dialog lässt. Die offene Form eröffnet dagegen einen Dialog mit dem Kind über die Geschichte des Buches und sieht eher das Gespräch darüber als wichtig an. Lesestart möchte mit seinen Materialien den Eltern genau diese Perspektive aufzeigen und sie dazu anregen, sich dieser Form des Vorlesens anzunehmen. So lernt das Kind, dass Bücher nicht nur zum Lesen da sind, sondern Kommunikation ermöglichen. Damit bekommen Medien den Status als Kommunikationsmittel und das Kind kann lernen, Medien angemessen in Kommunikationssituationen einzubeziehen.
Ausführliche Informationen:
Daniel Ammann: Kleine Heldin - ganz groß
Lotta kann fast alles (DVD). 2 Bilderbuch-Filme. Nach der Buchvorlage von Astrid Lindgren und Ilon Wikland. Hamburg: Oetinger, 2007, 60 Min. 12,95 €
Das bewährte Bilderbuch hat im modernen Medienzeitalter noch lange nicht ausgedient. Dank digitaler Technik findet es als interaktive Spielgeschichte oder auf DVD sogar zu neuen Vermittlungsformen. Nach dem Tivola Verlag, der 2005 in Anlehnung an erste Produkte der Hamburger Firma Schirmbuch Bilderbuch-DVDs ins Programm aufnahm, bringt seit Herbst 2007 auch der Kinder- und Jugendbuchverlag Oetinger ausgewählte Bilderbuchgeschichten als DVD-Filme auf den Bildschirm. Das gemeinsame Betrachten und Vorlesen eines Bilderbuches soll und kann dadurch natürlich nicht ersetzt werden. Die sorgfältig abgefilmten Bilderbücher sind vielmehr als Ergänzung gedacht und stellen innerhalb eines reichhaltigen Medienensembles eine sinnvolle Alternative zum Fernsehangebot dar. Wie bei Hörbüchern wird das Erzählen der Geschichte von professionellen Sprecherinnen oder Sprechern besorgt. Die als Ganzes oder auch nur in einem kleinen Ausschnitt gezeigten Bildtafeln erscheinen ohne Schrift, werden aber oft durch Geräusche oder Musik unterlegt. Bilderbuch-Filme können zu Hause am Fernseher oder auf dem Computer betrachtet werden und lassen sich für größere Gruppen auch als Bilderbuchkino vorführen.
In den neuen Bilderbuchfilmen von Oetinger sind die ursprünglichen Buchillustrationen mit Hilfe einfacher Legetricktechnik liebevoll teilanimiert und sanfte Überblendungen, ruhige Zoom- oder Schwenkbewegungen nehmen auf die kindliche Wahrnehmung Rücksicht. Dies schafft zusätzliche Anreize, führt behutsam an die Bildsprache des Fernsehens heran und setzt doch einen bewussten Kontrast zu den rasanten Trickfilmangeboten im Kinderprogramm. Lotta kann fast alles – findet sie zumindest. Immerhin ist Astrid Lindgrens kleine Heldin schon fünf Jahre alt. Sie kann Rad fahren oder auf Skiern Slalom laufen und geht selbstverständlich schon zur Schule – wenn auch nur „im Geheimen“, wie sie gerne sagt. Im Alltag wird das gesunde Selbstbewusstsein des willensstarken (und zuweilen etwas mürrischen) Mädchens aber immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Die älteren Geschwister Mia-Maria und Jonas ziehen sie bei jeder Gelegenheit damit auf, dass sie für dies oder jenes eben noch zu klein sei. Davon lässt sich Lotta nicht entmutigen, im Gegenteil: Sie will sich und der Welt beweisen, dass sie schon fast alles kann. Die beiden Bilderbuchfilme auf der liebevoll gestalteten DVD erzählen in Bild und Ton, wie sich Lotta ein Fahrrad ‚borgt’, weil das ersehnte Geburtstagsgeschenk ausgeblieben ist, oder wie sie das Weihnachtsfest rettet, indem sie für die Bescherung gerade noch rechtzeitig einen Tannenbaum auftreibt. Dank einer zweiten Tonspur kann man sich die beiden Geschichten mit Lotta aus der Krachmacherstraße auch in englischer Sprache anhören. Ein interaktives Wörterbuch mit 28 Bildkarten und die Vokabelliste im Booklet regen vielleicht dazu an, sich spielerisch auf die neue Sprache einzulassen.
Hannah Landeck: Aufklärung, mal anders
Lust und Frust 1-3, 2007, 120 Min, freigegeben ab 12 Jahren, als DVD oder Video erhältlich. Kaufpreis jeweils 40 €, Ausleihe (Medienprojekt Wuppertal) 15 €
Das Medienprojekt Wuppertal, die größte Jugendvideoproduktion in Deutschland, hat eine umfassende Anzahl von sexualpädagogischen Kurzfilmen mit Jugendlichen produziert. Unter Anleitung von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen sowie Filmemacherinnen und Filmemachern sind drei DVDs mit dem Titel Lust und Frust 1-3 erschienen. Rund um das Thema Sex drehen sich die zahlreichen Filme und es werden Tabus angesprochen, die sonst selten thematisiert werden. Im Kurzfilm Noch mal und noch mal reden gleichgeschlechtliche Kleingruppen offen über das Thema Selbstbefriedung: wann man es macht, wie, wo und wie häufig. Teilweise oder ganz wurde in geschlechtshomogenen Gruppen gearbeitet, um Raum für einen weiblichen bzw. männlichen Blick auf Sexualität zu ermöglichen.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene reflektieren ihre Sexualität, erzählen von Problemen und Ängsten und beschreiben schöne Liebeserlebnisse. Das thematische Spektrum ist sehr vielseitig und facettenreich. So sprechen pubertierende Mädchen und Jungs über Unsicherheiten mit dem anderen Geschlecht, körperliche Entwicklungen, das erste Verliebt-Sein und übers ‚Rummachen’. Jugendliche schildern das ‚erste Mal’ und beschreiben diesbezüglich ihre Gefühle, Ängste und Erwartungen. Problematisiert werden auch Verhütung, ungewollte Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten. Das Verhältnis von Liebe und Sex wird kritisch hinterfragt. Unterschiedliche Vorstellungen von Liebesbeziehungen werden von Pärchen, aber auch in gleichgeschlechtlichen Gesprächsrunden diskutiert. Was ‚darf’ ich in einer Beziehung, was nicht? Welche Erwartungen habe ich an meinen Partner oder meine Partnerin? Authentisch werden der Alltag von Zweisamkeit, Höhen und Tiefen, Eifersucht, Kontrolle, Sehnsucht und Schlussmachen beschrieben. Im Kurzfilm Aus dem Nähkästchen. Zwei Generationen, ein Thema wird der Umgang mit Sexualität generationsspezifisch und sehr persönlich von Jana und ihrer Großmutter geschildert. Ähnlichkeiten und Unterschiede sind erkennbar.Pornografie, sexuelle Belästigung, Prostitution und Homosexualität werden in einigen Kurzfilmen behandelt. Auf der DVD Lust und Frust 3 kommen Jugendliche mit Migrationshintergund zu Wort. Sexualität wird aus dem Blickwinkel verschiedenster Kulturen betrachtet. Kulturelle Bräuche und Unterschiede, die Bedeutung von Religion und Ehre, Jungfräulichkeit sowie gesellschaftliche Frauen und Männerrollen sind Thema. Migrantinnen und Migranten schildern in den beiden Kurzfilmen Haram oder Hallal – Think different und Warum soll Liebe tabu sein? Zwei lesbische Migrantinnen erzählen ihre Erfahrungen mit Homosexualität.
Diese Sammlung von Kurzfilmen stellt persönliche und biografische Erzählungen von Jungen und Mädchen verschiedenen Alters und unterschiedlicher sozialer sowie kultureller Herkunft dar. Die Stärke von Lust und Frust 1-3 liegt in der Vielschichtigkeit, mit der das Thema Sex behandelt wird. Die Kurzfilme sind für thematisch unterschiedliche Aspekte und ebenso für verschiedenste Zielgruppen geeignet. Sexuelle Differenzen und Gemeinsamkeiten beider Geschlechter werden offensichtlich. Die DVDs tragen zur Aufklärung bei und geben zahlreiche Anstöße, über die ‚eigene’ und die ‚andere’ Sexualität nachzudenken. Die Jugendlichen erzählen sehr offen sowie selbstbewusst, was sie bewegt, aber es wird ebenso deutlich, wie verletzlich und sensibel sie dieses Thema machen kann. Durch die ehrliche Darstellung haben Zuschauende die Möglichkeit, sich mit Haltungen und Einstellungen zu identifizieren.
Die Filme wurden sehr abwechslungsreich produziert. Innerhalb der einzelnen realistischen Kurzfilme gibt es inszenierte Sequenzen, kurze Animationsfilme oder bei-spielsweise eine Traummannknete, die im Laufe des Films mehrere Gesichter erhält. Es wurde passende Filmmusik zur jeweiligen Thematik ausgewählt. Die DVD Lust und Frust 1 enthält unter anderem auch sehr amüsante Kurzfilme. In zwei Produktionen wird die herkömmliche, verklemmte Art und Weise der Aufklärung humorvoll reflektiert, vorgeführt und hinterfragt.Auch wenn einige Filme etwas konstruiert und sehr inszeniert wirken, ist diese Sammlung eine ansprechende Form der Aufklärung, eine, die ankommt.
Helene Hecke: Krieg in den Medien
„Krieg in den Medien“ – Ein multimediales Lernangebot (Hrsg.: Bundszentrale für politische Bildung, Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, u. a.) zu beziehen über die Bundeszentrale für politische Bildung für 6 Euro (unter: www.bpb.de)
Hubschrauber-Geknatter, Maschinengewehre, soldatische Heldenfiguren, Blut, Tod und Ehre … ob nun in Filmen, Computerspielen oder in den Nachrichten: Kriegsbilder bedienen fast immer die gleichen Klischees. Doch der öffentliche Umgang damit ist widersprüchlich. Einerseits werden sie als jugendgefährdend indiziert, auf der anderen Seite werden sie benötigt für die Berichterstattung. Wie aber soll man Jugendlichen erklären, warum bestimmte Kriegsspiele verboten sind, während ihnen in den TV-News eben-falls Granateinschläge oder amputierte Opfer vorgeführt werden? Gibt es ‚gute Gewalt’ wie in Aufklärungsfilmen und ‚schlechte Gewalt’ wie in Egoshootern? Realität lässt sich ja nicht verbieten.
Eine Arbeitsgruppe der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) hat sich drei Jahre lang mit diesem Thema beschäftigt. Herausgekommen ist Krieg in den Medien, ein umfangreiches Lernprogramm auf DVD. Aufgeteilt ist das Programm in drei Module. Im ersten Teil wird das Thema „Krieg“ historisch erklärt, im zweiten Teil die Inszenierung von Kriegsbildern untersucht und schließlich deren Einsatz für Propaganda-Zwecke vorgeführt. Bei alldem war es den Initiatoren wichtig, zwei Anliegen zu verknüpfen: die reine sachliche Wissensvermittlung und Methoden der Medienerziehung. Was ist eigentlich Krieg? Wie werden Kriege in der Öffentlichkeit verhandelt? Und was bedeutet Krieg für demokratische Gesellschaften? Politische Bildung wird hier endlich ‚medienkompetent’. Und interaktiv. Ein Novum gegenüber grauen Broschüren, die den Leserinnen und Lesern wenig eigene Gedankenkraft abfordern.
„Ausgangspunkt war für uns die Debatte um den Film Soldat James Ryan“, erklärt der Medienpädagoge Leopold Grün (FSF). Die Fernsehausstrahlung wurde kritisiert, weil es sich zwar um einen Antikriegsfilm handelt, jedoch um einen mit besonders brutalen Sequenzen. Gemäß dem FSK16-Siegel für jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer ungeeignet. Nun sind Kriege in unserem Land glücklicherweise weit weg oder lange her. Die Brutalität und Konsequenzen eines Krieges werden vielleicht nur durch solch drastische Bilder nachvollziehbar — wie es auch Aufgabe eines Antikriegsfilmes sein soll. Trotzdem können Filme mit aufklärerischem Gehalt genauso verstörend wirken wie ein simples Computerspiel.
Echte Medienkompetenz geht darüber hinaus, dass ein Teenager weiß, wo er verbotene Spiele herunterladen kann. Bei allem medialen Angebot sollte man in der Lage sein, die vorgesetzten Inhalte zu hinterfragen, ihre Machart zu durchschauen. Das Lernprogramm führt mit zahllosen Beispielen durch die ‚medialen Schützengräben’. Anhand der Filmszenen können Aufgaben gelöst werden. Es sind manche drastischen Bilder dabei, doch gerade die Analyse, der genaue Blick auf das Detail schafft Distanz und einen Schutz vor zu verstörender Wirkung.
So wird herausgearbeitet, mit welchen Methoden Filmemacher zusätzliche Spannung erzeugen. Wie werden schnelle Schnittfolgen, Nahaufnahmen, Musik zu bestimmten Zwecken eingesetzt? Und vor allem: Was kommt in der Dramaturgie einiger Genres überhaupt nicht vor? Besonders Computerspiele klammern die unerträglichen Seiten der Gewalt beinahe vollständig aus. Es geht weder um Opfer, noch um Schmerz, Leid, politische oder soziale Grundkonflikte. Jedes Medienprodukt kann also nur einen schmalen Blickwinkel auf die Realität wiedergeben. Wenige Schnitte verändern die komplette Bildaussage. Und gerade das, was ausgeblendet bleibt, wäre vielleicht der interessantere Teil der Botschaft gewesen.
Gleiches gilt für Nachrichtenformate. Kriegsreporterin Bettina Gaus erläutert, wie sogenanntes „Militainment“ funktioniert: „Wenn Blut geflossen ist, interessiert das jede Redaktion der Welt. Die Frage ist nur, ob man den Hintergrundbericht dazu auch noch losbekommt.“ — Warten auf Angriffe, Ekel und Angst sind meistens keine Meldung wert. Die eingebetteten Journalisten stehen ständig unter dem Druck, spektakuläre Bilder zu liefern ohne den Krieg zu verherrlichen. Denn auch Nachrichten sind eine Ware und müssen sich verkaufen. Und selbst Nachrichten machen sich gelegentlich zum Büttel der Propaganda, wie die Korrespondentin Antonia Rados im Interview eingesteht. Unter ganz bestimmten Prämissen hergestellt und nicht immer so wertfrei präsentiert, wie man sich das vorstellen mochte. Eine interessante Erkenntnis für Erwachsene wie Jugendliche zugleich, denen der Blick hinter die Kulissen fremd ist. Was aber ist Propaganda? Gefälschte Zeugenberichte im Kuwait-Krieg oder auch schon der erhobene Daumen eines Tom Cruise als Kampfpilot? Die Grenzen zwischen einer faustdicken Lüge und geschickt geschnittenen Bildern sind fließend: für den Profi nicht immer durchschaubar, für die Zuschauerinnen und Zuschauer nur, wenn er sich möglicher Manipulation bewusst ist. Die DVD Krieg in den Medien ist für den Schuleinsatz geeignet, entsprechend sind die Themenblöcke vom Umfang auf das Format einer Unterrichtsstunde angelegt. Arbeitsblätter lassen sich ausdrucken, Aufgabenteile können aber auch übersprungen werden, bzw. das reine Bild-Material für eigene Fragestellungen genutzt werden. Die Einführungstouren allein schaffen schon Ansatzpunkte für interessante Diskussionen. Gleichzeitig empfiehlt sich das Programm auch als interaktives Lernspiel außerhalb betreuter Curricula. Viele Eltern stehen hilflos vor der Frage, wie sie ihren Sprösslingen den Fernseh-Showdown erklären sollen. Beste Hilfe für die Jugendlichen: Informationen selbst filtern zu können, um sozusagen ihre eigenen Redakteurinnen bzw. Redakteure zu werden. In der Realität wie in Hollywood.
Kai Hanke: Genius - Im Zentrum der Macht
Genius – Im Zentrum der Macht. Cornelsen 2007. Windows 2000/XP SP2/Vista; Systemanforderungen: PIII 1,4GHz/512MB RAM; USK: Freigegeben ohne Altersbeschränkung; Bestellung über die Bundeszentrale für politische Bildung, 6 € Bereitstellungspauschale
Der Markt für Computer- und Konsolenspiele boomt. So viel steht fest. Besonders Jugendliche verbringen große Teile ihrer Freizeit am PC, zum Chatten, Arbeiten oder eben: zum Spielen. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass Cornelsen in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) diesen Umstand nun nutzt, um der politischen Bildung Einzug in die Welt von Gamerinnen und Gamern zu eröffnen. Die Hersteller folgen damit dem Trend, Lernstoffe in spielerischen Formaten aufzubereiten: Sogenannte ‚Serious Games’ haben den Anspruch, Wissensvermittlung mit handelndem spielerischem Lernen zu kombinieren. Genius Politik reiht sich in dieses ehrgeizige Vorhaben ein, und zwar durchaus mit Erfolg: 2007 wurde das Spiel mit der GIGA-Maus sowie dem Serious-Games-Award ausgezeichnet.
Genius Politik erinnert an Aufbausimulationen wie SimCity oder Anno 1602. In einer detailreichen 3D-Spielewelt steht die Spielerin oder der Spieler vor der Aufgabe, Politik in leitender Position verantwortungsvoll zu gestalten. Lebenspraktische Fragestellungen müssen mit den Spielregeln des Rechtsstaates und der politischen Grundordnung verknüpft werden und es gilt, Verkehrs-, Wirtschafts-, Bildungs- und Familienpolitik aktiv zu beeinflussen. Gelingt es dabei, die Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürger zu befriedigen, so werden Wahlen gewonnen, die politische Karriere setzt sich fort: In jedem Level wartet eine größere Herausforderung. So steigt man von einer kleinen Gemeinde im Allgäu über das Ministerpräsidentenamt in NRW schließlich sogar auf zur Bundeskanzlerin bzw. zum Bundeskanzler. Dazu braucht es nicht nur die Fähigkeit zur strategischen Planung und Gestaltung der Region, auch der geschickte Umgang mit der eigenen Partei oder dem politischen Gegner sind gefragt. Die Steuerung des grafisch aufwändigen Spiels ist schnell und bequem zu erlernen, das Gameplay durchaus mit dem von etablierten Aufbausimulationen vergleichbar (in Anbetracht des Preises durchaus keine Selbstverständlichkeit). Die aufwändigen Animationen und die durchgehende 3D-Grafik stellen andererseits aber auch hohe Anforderungen an die Systemleistung – ein Hindernis gerade für Zielgruppen mit technisch nicht ganz aktueller Medienausstattung. Diesem Hindernis versucht Cornelsen mit einem Patch zu begegnen, das die technischen Anforderungen reduziert und kostenfrei auf der Internetseite des Spiels zum Download bereit steht. Ein weiteres Manko ist der relativ unflexible Spielablauf. Einige politische Entscheidungen werden nahezu vorgegeben, den Spielenden bleibt also nicht vollkommen freie Hand bei politischen Entscheidungen. Insofern – und auch durch die wiederholten, etwas überdidaktisierten Lernspiele, die den Spielfluss unterbrechen – bleibt der pädagogische Zeigefinger nicht unsichtbar.
Alles in allem jedoch ist Genius – im Zentrum der Macht ein äußert gelungenes Serious Game, durchaus geeignet für Jugendliche, die sich spielerisch mit Politik beschäftigen wollen. Auch der Einsatz im Schulunterricht ist denkbar, wobei von Seiten der Entwickler offen bleibt, wie genau das Spiel in den Unterricht eingebunden werden soll. Im Hinblick auf die Zielgruppe ‚politikfernen Jugendliche’ bleibt zweifelhaft, ob Politikmuffel mit niedrigem Bildungsniveau, Leseunlust und einer Neigung zu actionorientierten Spielen von einem klassischen Strategiespiel wie Genius Politik angesprochen werden. So sind viele der Aufgaben oft nur mit leseintensiver Vorbereitung im spielinternen Pressearchiv zu lösen. So ist das mit politischer Bildung: Die zu vermittelnden Inhalte sind komplex, demokratische Partizipation ist Übungssache. Und trotzdem füllt das Spiel eine Lücke. Ein so differenziertes Spiel, das die komplizierte Welt der strategischen Politik interessant und kreativ zum Thema macht, war bislang nicht auf dem Markt. Und auch, wenn es wohl nicht zum Kassenschlager werden wird: Genius – Im Zentrum der Macht schafft es, Spaß und Unterhaltung in die politische Bildung zu bringen.
Michael Bloech: Bedrückende Kinderschicksale
Generation Kplus ist der Titel des etablierten Kinderfilmfestivals innerhalb der Berlinale – eine Bezeichnung, die seit drei Jahren Fortschritt und Dynamik suggerieren möchte. Doch in diesem Jahr zeigte schon der erste Blick in das Programmheft des Festivals, dass sich leider etwas ganz anderes abzuzeichnen droht. Nur noch zehn Kinderfilme, anstatt der bisher üblichen 14 Filme wurden für den Wettbewerb ausgewählt, davon lediglich drei empfohlen für Kinder unter acht Jahre. Ein Trend, der sich bereits in den letzten Jahren andeutete: Die Adressaten, an die sich die Filme richten, werden zunehmend älter, Filme für die Kleinen befinden sich scheinbar im Rückzug. Auch die Themen sind zunehmend bedrückend – locker, leichte Filme bildeten eher die Ausnahme. Kein Wunder also, dass der recht konventionelle, aber lustige französische Animationsfilm Auf in den Westen, Lucky Luke von der Internationalen Jury mit dem Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks mit der Begründung ausgezeichnet wurde: „Der Film zelebriert die Freude, die uns das Kino bereiten kann.“ Der gesamte osteuropäische Raum, klassischer Kinderfilmlieferant bis weit in die 90er Jahre, war dagegen überhaupt nicht mehr vertreten. Eine deutsche Produktion war gar nicht erst angetreten. Lediglich in einer Cross-Section wurde aus dem Berlinale Wettbewerb der mehr als umstrittene deutsch-österreichische Film Feuerherz gezeigt, der das Schicksal einer Kindersoldatin erzählt. Diesen Beitrag jedoch als Kinderfilm zu bezeichnen, kann durchaus als gewagt gelten. Vielleicht wäre es wesentlich geschickter gewesen, den Wettbewerbsbeitrag The Song of Sparrows – Avaze Gonjeshk-ha von Majid Majidi in die Cross-Section aufzunehmen. Majid Majidi ist mit seinen wunderschönen Kinderfilmen Kinder des Himmels und Die Farben des Paradieses einer der renommiertesten Kinderfilmproduzenten Irans. Und auch bei The Song of Sparrows – Avaze Gonjeshk-ha hat Majid Majidi wieder Familien als Publikum im Visier. Poetisch einfühlsam wird hier die Geschichte des dreifachen Familienvaters Karim erzählt, der vor den Toren der Stadt Teheran auf einer Straußenfarm arbeitet. Das Leben scheint für ihn und seine Familie unkompliziert, doch als ein ihm anvertrauter Strauß aus seinem Gehege flieht, wird ihm gekündigt. Nun beginnt für Karim eine wahre Odyssee, um das Auskommen der Familie zu sichern. Mit seinem klapprigen Motorrad versucht er in Teheran Boten- und Taxidienste zu erledigen, doch dann passiert ihm schließlich ein weiteres Missgeschick. Auf seinem Hof wird Karim unter einer zusammenbrechenden Mauer begraben und muss mit gebrochenem Bein für lange Zeit das Bett hüten. Die Stunde seiner Frau und seiner Kinder ist gekommen: Zusammen mit Freunden und viel Fantasie gelingt es ihnen, für das notwendige Familieneinkommen zu sorgen. Mit viel Humor und Herzblut wird diese kleine Geschichte erzählt und eröffnet uns einen Einblick in eine für uns fremde Welt. Viele kleine, unterhaltsame Episoden münden schließlich in die sehr sympathische, politische Aussage, dass die patriarchale Lebensweise mit Charme und Humor aufgebrochen und überwunden werden kann. Vor allem der unglaubliche Reza Najie in der Rolle des unermüdlichen Karims sorgt mit seiner lakonischen Spielweise dafür, dass der Film glaubwürdig, authentisch und warmherzig seine Geschichte entfalten kann. Kein Wunder also, das Reza Najie einen goldenen Bären für seine überragende schauspielerische Leistung erhielt. In gewisser Weise thematisch vergleichbar, versuchte sich bei Generation Kplus der brasilianisch, französische Film Mutum von Sandra Kogut dem Leben einer Bauernfamilie im brasilianischen Hinterland zu nähern. Doch im Gegensatz zu dem iranischen Film wurden hier alle Register einer ‚Überdramatisierung’, einer Spirale des Elends gezogen. Immer bedrückender wird hier ein kleiner Junge mit seinem furchtbaren, unausweichlichen Schicksal konfrontiert. Ständig passieren neue Katastrophen, die Familie ist arm, die Böden trocken, der Vater gewalttätig, der sympathische Onkel aus dem Haus getrieben, der Bruder stirbt und schließlich wird der Junge von seiner Mutter in die ferne große Stadt geschickt. Nichts lässt der Film aus, um die Zuschauerinnen und Zuschauer in einen Sog tiefer Depression zu ziehen, die wirklich sprachlos macht. Der Film erhebt dabei den Anspruch auf dokumentarische Wirklichkeitsnähe und so erhielt Mutum auch eine lobende Erwähnung der internationalen Jury für seinen ‚Realismus’. Aber dennoch erzeugte der pessimistisch stimmende Film bei vielen Kindern Ratlosigkeit, da der Film völlig auf Erklärungen verzichtet und zu keiner Zeit positive Perspektiven aufzeigt. Ebenfalls ein Film, der sich mit einem ernsten Thema beschäftigte, war die amerikanische Produktion Chop Shop, die ein düsteres Bild des amerikanischen „Way of Life“ vermittelt. Der zwölfjährige Alejandro, ein Waisenkind aus New York, lebt mit seiner älteren Schwester auf dem Gelände eines gigantischen Autofriedhofs. Wüssten die Zuschauenden nicht, dass es hier um das Armenviertel des Stadteil Queens geht, dann könnte das Ganze auch in den Slums von Südamerika spielen. Schon F. Scott Fitzgerald bezeichnete vor einem dreiviertel Jahrhundert diese Gegend in Der große Gatsby als ‚Tal der Asche’. In dem ganzen Dreck und Müll haben sich in heutiger Zeit kleine, illegale Werkstätten angesiedelt, die mit gebrauchten Autoteilen handeln und kleine Reparaturen erledigen. Alejandro arbeitet als Einweiser, der wild gestikulierend potenziellen Kunden den Weg zum Chef der Werkstatt weist. Der Junge ist unglaublich fleißig und spart jeden Dollar, um zusammen mit seiner Schwester einen alten Imbisswagen zu kaufen, der den Weg aus dem Elend sicherstellen soll. Doch der Kauf erweist sich als übler Betrug, das Geld ist verloren und der Junge befindet sich schließlich wieder am Anfang. Dennoch verliert Alejandro niemals den Mut und seine Würde. Trotz aller Tristesse, gelingt es zu zeigen, dass Würde und Stolz, Verantwortung und Selbstachtung keine Frage des sozialen Status’ sind. Im Gegensatz zu Mutum erweist sich Alejandro dem scheinbar ausweglosen Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Chop Shop zeigt vielmehr, wie wichtig es trotz Rückschlägen ist, seine Ziele und die Hoffnung nicht aufzugeben. Damit ist Chop Shop einer der Filme, dessen Bilder einem nicht so schnell aus dem Kopf gehen. Ob jedoch all diese beeindruckend bedrückenden und ernsten Filme von Generation Kplus für Kinder geeignet scheinen, mag trotz ihrer jungen sympathischen Protagonisten und der soziopolitischen Relevanz der Themen zumindest in Frage gestellt werden.
Sarah Kerenkewitz und Klaus Martin Schulte: Die rätselhaft-vertraute Welt der Hörspielserie Die drei ???
„und dann hört man seine alten Kassetten wieder und merkt: Man liebt sie eigentlich immer noch“Andreas Fröhlich, Sprecher von Bob Andrews von den drei ??? (Bastian 2003)
Die Abenteuer der drei ??? Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews aus Rocky Beach faszinieren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland seit den späten 70er Jahren. Mit über 27 Millionen verkauften Exemplaren sind Die drei ??? die erfolgreichste Kinderhörspielserie in Deutschland, wobei sich die Zielgruppe in den letzten Dekaden stark gewandelt hat: Richtete sich die Reihe ursprünglich an Neun- bis 14-Jährige, so sind es mittlerweile vor allem die 20- bis 35-Jährigen, die den größten Anteil der Hörerschaft bestreiten.
1 Dieser Umstand deutet darauf hin, dass es viele Hörerinnen und Hörer gibt, die ihre ‚kindliche Leidenschaft’ als junge Erwachsene weiter pflegen bzw. wiederentdecken, und es kommt die Frage auf, was denn die Faszination des Hörspiels gerade bei der Zielgruppe der jungen Erwachsenen ausmacht.Sarah Kerenkewitz ist dieser Frage in einer qualitativ-empirischen Studie nachgegangen, in der sie Probanden im Alter von Mitte 20 bis Anfang 30, die „Generation der Kassettenkinder“ (Bastian 2003), in Tiefeninterviews zu ihrem Erleben befragte (vgl. Schmid-Gönner 2006). Es ging dabei nicht um Einstellungen oder Meinungen, sondern vielmehr um die Frage: Was geht wirklich in der Hörerin oder dem Hörer vor? Welche dramatischen Entwicklungen kommen beim Hören in Gang? Denn die persönlichen Erlebensgeschichten sind nicht deckungsgleich mit den ‚objektiven’ Geschichten des Hörspiels. So wird bei den Erzählungen auch die eigene Kindheit zum Thema, inklusive zum Beispiel des alten Kassettenrekorders, den man damals besessen hat, und ebenfalls Tätigkeiten, die man beim Hören ausführt: Aufräumen, Spülen, oder aber ein gemütliches ‚Verkriechen’ vor der Außenwelt. Solche scheinbaren ‚Nebensächlichkeiten’ wurden bei der Untersuchung ebenso berücksichtigt wie spontane ‚Nacherzählungen’ der Hörspiele. Auch diese sind keineswegs deckungsgleich mit den ‚objektiven’ Geschichten – vielmehr werden bestimmte Höhepunkte herausgegriffen, spezielle Atmosphären beschrieben und ausgemalt et cetera.
Erfragt wurden daher die persönlichen Erlebensgeschichten in offen geführten Tiefeninterviews, ein Ansatz, der von Wilhelm Salber entwickelt wurde
2. Diese Geschichten folgen einer Dramatik, die dem Hörpublikum höchstens teilweise bewusst ist und die sich bei aller Individualität der Geschichten als roter Faden durch alle Interviews zieht. Es zeigte sich, dass beim Hören der drei ??? ein seelisches Grundproblem bearbeitet wird, das jeder Mensch aus dem eigenen Alltag kennt. Um die Ergebnisse der Studie darzustellen, werden zunächst zur Veranschaulichung die durchgängigen Züge der Erlebensgeschichten – unter Vernachlässigung der individuellen Ausprägungen – in einer vereinheitlichenden prototypischen Form geschildert.
3. Im Vordergrund des Erlebens steht ein Eintauchen in eine rätselhaft vertraute Welt, das sich in mehreren Schritten entfaltet. In den Interviews zum Erleben zeigt sich zunächst übergreifend die Beschreibung einer vertrauten, gemütlichen Welt: Ein ‚akustisches Kuscheln’, ein Gefühl des Schönen, Angenehmen, Vertrauten eröffnet den Weg in die ???-Welt. Da ist man also wieder, in Rocky Beach, hört wieder die altbekannten Stimmen der drei Detektive, die mit Sicherheit jeden Fall lösen werden. Das hat etwas Nostalgisches, geradezu Beruhigendes. Wenn man diese Beschreibungen hört, fällt es beinahe schwer sich vorzustellen, dass es hier um so ernste Dinge wie Verbrechen und deren Aufklärung gehen soll. Man ist unter Umständen „total gestresst [...] und genervt vom Alltag, dann leg ich mir halt so eine CD in die Anlage, und das lenkt mich einfach ab, das bringt mich auf andere Gedanken“, da kann man „mal so ein bisschen abschalten“, kann sich „dieses Gefühl zurückholen, irgendwie nichts machen zu müssen“. Die angestrebte seelische Verfassung wird beschrieben als „eine ganz bewusst fabrizierte Gemütlichkeit“. Entsprechend stellt man sich auch Rocky Beach und speziell die Zentrale der Detektive als gemütlichen Ort vor, wo man sich „vor der Welt versteckt“. Das Hören bringt „Kindheitserinnerungen“ zurück, es lässt sich eine seelische Qualität von „ach ja, schön“ ausmachen.
Diese ‚Wohlfühlatmosphäre’ wird durch feste Strukturen gestützt, die in ihrer scheinbar ewigen Wiederkehr ein Gefühl der Verlässlichkeit vermitteln. Vor dem ‚geistigen Auge’ baut sich immer wieder die gleiche vertraute Szenerie in Rocky Beach auf, wo offenbar immer „Sonnenschein und gute[s] Wetter“ herrschen: „immer Ferien, wir sind immer jung, das ist schon sehr beruhigend“. Die Protagonisten kommen einem dabei beinahe wie „alte Freunde“ vor, auf deren immer gleich bleibende Charakterzüge man sich felsenfest verlassen kann. So wisse man immer gleich: „»ha, in dieser Situation ist Peter gefragt«, oder »hier brauchen wir Bob!« oder »jetzt Justus, du bist an der Reihe«“. Dieses Trio bildet für die Hörerin bzw. den Hörer eine Einheit, in der jeder seine feste Rolle und Funktion hat; die Freundschaft der drei scheint durch „nichts“ zu „erschüttern“ zu sein: „Also, die drei halten zusammen wie Pech und Schwefel. Und das ist ja auch so etwas, was sich im Grunde genommen jeder Mensch wünscht. Einfach gute Freunde zu haben.“ Auch der Rest des Hörspiels ist vom Erleben her gekennzeichnet durch feste, verlässliche Formen wie zum Beispiel Rituale (Überreichen der Visitenkarte), Stereotype (typische Verbrecher) und altbekannte Stimmen. Zudem könne man sich stets eines guten Ausgangs der Geschichte gewiss sein.In dieser abgesicherten Atmosphäre kommen nun brisante Entwicklungen in Gang. Detektive und Hörerinnen und Hörer werden mit mysteriösen Vorkommnissen konfrontiert, die einen regelrechten Sog entwickeln. Rätselhaftes bricht aus dem Alltag hervor, öfters sogar durch einen Anruf von Hitchcock, den die Hörerin bzw. der Hörer per se mit Suspense verbindet. Nun geht es auf in andere, spannende, rätselhafte, gefährliche Welten, heraus aus der Atmosphäre des Gemütlichen und Abgesicherten:„Also in Rocky Beach, da wo sie wohnen, ist es heimelig und nett, wenn es jetzt meinetwegen, ach was weiß ich, zu dem Gespensterschloss hingeht oder irgendwo in eine Geisterstadt, oder all so was, das stell ich mir dann irgendwie total gruselig vor. Dann sehe ich echt so eine ausgestorbene Stadt, und alles klappert, und man weiß jetzt nicht: »Ist da wer, ist da keiner?« und auch immer gleich sehr abgeschottet, dass ich auch immer gleich denke: »Egal, wo die dann sind, da wird die keiner hören, und die sind auf eigene Faust da irgendwo, im Wald oder der Geisterstadt oder im Schloss.«
“Das wird als unheimlich empfunden, und man erinnert sich, dass man ‚damals’ als Kind sogar manche Passagen richtig gruselig fand. Doch auch ‚heute’ steigert sich das Erleben immer wieder zu schaurigen Momenten, wo auch die Detektive „panisch werden“, weil zum Beispiel plötzlich „so ein Knall, oder das Knarren einer Tür“ ertönt und schließlich noch „irgendwelche Geistermusik“ einsetzt: „[...] wenn die dann plötzlich die Tür aufmachen, dann wird die Musik ganz laut.“ Da verspüre man fast körperlich „diesen leisen Windhauch, dieses Orgelspiel“. Das sei ausgesprochen „dramatisch“.
4. Beim Erleben solcher Spannungsmomente kommt nun einerseits der verständliche Wunsch nach rationaler Auflösung des Mysteriösen zum Ausdruck, gleichzeitig aber auch der Wunsch nach Erhaltung des Rätselhaften, denn so ganz möchte man sich von dem Kind, das man selber einmal gewesen ist und das zumindest teilweise noch so herrlich naiv und unbeschwert an Spukgeschichten geglaubt hat, für das die ganze Welt noch aufregend war, gar nicht trennen. Der ‚geheimnisvolle Touch’ der Kindheit soll nicht vollkommen verloren gehen, selbst wenn man es eigentlich ‚besser’ weiß: „Wer weiß, vielleicht gibt es dieses Tiefseemonster ja dann doch! Sie haben da ja irgend so einen Schatten gesehen.“Aus dieser ambivalenten Haltung heraus kommt ein Mitraten in Gang, das zu einer Lösung der Rätsel Schritt für Schritt führen soll. Wichtig ist dabei, dass die Auflösung für die Hörerinnen und Hörer nachvollziehbar bleibt. Man will weder mehr noch weniger wissen als die drei Detektive, weder ‚alles vorgesetzt’ noch wichtige Hinweise und ‚Denkanstöße’ vorenthalten bekommen. Dabei scheint es nicht einmal störend zu wirken, dass die meisten ???-Hörerinnen bzw. -Hörer zumindest ihre Lieblingsfolgen nahezu auswendig kennen. Es ist das Mitraten in Form einer entlanghangelnden Mitbewegung selber, die Vergnügen bereitet. Nicht die rational-logische Aufklärung als Information wirkt anziehend, sondern die schrittweise Verwandlung von Rätselhaftem in Rationales als eine Entwicklung, die man immer wieder aufs Neue durchleben kann.Im Hintergrund des Erlebens ist dabei stets eine gegenläufige Kraft wirksam, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist. Neben dem im besten Sinne kindlich anmutenden Eintauchen in eine rätselhaft-vertraute Welt, das ein beinahe schon romantisch-verklärtes Licht auf das Erleben der Hörspielserie wirft, kommt immer wieder ein nüchterner, erwachsener Blick zum Vorschein, mit dessen Hilfe man sich von der Hörspielserie, aber auch von der eigenen Vorliebe für selbige zu distanzieren sucht.Schon der Umstand, als Erwachsener ein Kinderhörspiel zu hören, sorgt für ein Moment der peinlichen Berührtheit. Es ist einem unangenehm, mit dieser ‚Leidenschaft’ an die ‚Öffentlichkeit’ – und das kann schon der engere Freundeskreis sein – zu treten und genießt die Hörspiele daher lieber im Geheimen. Der ‚Hype’, der sich gerade in den letzten Jahren um die Serie gebildet hat, wirkt dabei geradezu als Entlastung, da man sieht, dass offenbar viele junge Erwachsene dieses eigentlich doch kindlich anmutende Hobby teilen. Trotzdem bleibt man vorsichtig und distanziert sich auch im Interview durchgehend von Details der Serie, die allzu kindlich erscheinen.
Diese Tendenz kann sich so zuspitzen, dass schon das Motto der Serie – ‚Kinder lösen Fälle für Erwachsene’ – streng rational beurteilt und so als völlig unrealistisch abqualifiziert wird. Es ist der bzw. die nüchterne, rational denkende Erwachsene in den Hörerinnen und Hörern, die oder der hier neben dem eigenen ‚inneren Kind’ steht – so wie man es vielleicht früher als Kind erlebt hat, dass die eigenen Vorlieben von den Eltern oder anderen Erwachsenen freundlich, aber nachsichtig belächelt wurden. Hörerinnen und Hörer der drei ??? sind nun – als junge Erwachsene – Erwachsene und Kind zugleich: Einerseits liebt man – als ‚großes Kind’ – diese kindliche Welt, in die man eintauchen und mitfiebern kann, wie drei jugendliche Detektive Kriminalfälle lösen, andererseits ist man erwachsen und fragt sich ernstlich, was man denn eigentlich noch daran findet und schämt sich gelegentlich sogar ein wenig für seine Vorliebe.Diese beiden hier beschriebenen Tendenzen des Erlebens stehen sich jedoch keineswegs so ‚unversöhnlich’ gegenüber, wie es vielleicht anmutet. Tritt der rationale, erwachsene Blick zunächst auch als Störung des Erlebens in Erscheinung, zeigt die nähere Betrachtung hingegen, dass sich gerade im Zusammenspiel beider Tendenzen überhaupt erst die Wirkung des Hörspiels entfaltet.Nur oberflächlich betrachtet geht es um ‚spannende Kriminalfälle’, die ja bekanntlich per se eine beliebte ‚Freizeitbeschäftigung’ darstellen. Oberflächlich betrachtet könnte man in der Tat sagen, hier gehe es um die Wirkung eines Krimis, wie man ihn auch im Fernsehen allenthalben sehen kann, aber eben ‚nur’ für Kinder. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass die eigene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen bzw. der erreichte Entwicklungsstand das oben erwähnte Grundproblem ist, das im Erleben des Hörspiels ‚behandelt’ wird. Dies tritt auch in den Tätigkeiten hervor, die das ‚Drumherum’ des Hörens bilden: ‚kindliches’ Vor-dem-Kassettenrekorder-Sitzen versus ‚erwachsenes’ Bewältigen des Alltags (Spülen, Aufräumen et cetera) – die erwachsenen Hörerinnen und Hörer tun mal das eine, mal das andere, was entsprechend zu unterschiedlichen Formen des Erlebens führt: Eintauchen oder ‚Nebenbei-Hören’. Vor allem aber greift der typische Aufbau, der den Folgen in der Regel zugrunde liegt, das Grundproblem auf: In dem Muster ‚Kinder lösen Fälle für Erwachsene’ lassen sich beide Tendenzen unterbringen und in der oben beschriebenen Entwicklung vom Rätselhaften zum Rationalen einer Lösung zuführen – hier wird nicht nur der jeweilige Kriminalfall aufgelöst, sondern auch der Konflikt zwischen beiden Tendenzen. Die eigene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen ist bekanntlich eine Entwicklung vom Erleben einer rätselhaften, spannenden, aber auch bedrohlichen Welt (alles ist zunächst unbekannt und alle anderen größer als man selbst) hin zu einer Welt, in der man einerseits zunehmend Überblick und Kontrolle gewinnt, in der aber auch viele Dinge zunehmend ihren geheimnisvollen Zauber verlieren. Im Mitraten bei den mysteriösen Fällen und dem schrittweisen Wandel von der anfänglichen Vertrautheit, dem Einbruch des Mysteriösen, der Steigerung zu unheimlichen Augenblicken, bis hin zu der stets sicheren Auflösung am Schluss kann man sozusagen noch einmal nachträglich ‚in Kurzform’ den Wandel in der eigenen Entwicklung durchleben. In dieser Verwandlung von Mysteriösem zu Vertrautem, von Rätselhaftem zu Rationalem, von Kindlichem zu Erwachsenem, das sich als Entwicklung über die ganze jeweilige Folge erstreckt, liegt offenbar das Anziehende des Hörspiels. Deswegen spielt es auch kaum eine Rolle, ob man die Auflösung schon kennt – wesentlich ist vielmehr die Gewissheit, dass es am Ende eine sichere, rationale Auflösung gibt.Die Hörspielserie bietet also einerseits ein Refugium, in dem man der erwachsenen Welt ein stückweit entfliehen und noch einmal ein bisschen ‚Kind’ sein kann, andererseits aber auch die Möglichkeit, in angenehmer Weise zu spüren, dass man die schwierige Entwicklung zum Erwachsenen ‚geschafft’ hat: Einerseits kann man mitfiebern, als ob man noch wirklich Angst hätte, andererseits kann man sich stets genüsslich sagen: ‚Ach ja, davor habe ich mich damals gegruselt.’
Es ist nur ein kurzer Rollenwechsel, der hier angestrebt wird, denn kaum ein Erwachsener will wohl ernstlich noch einmal ein Kind oder Jugendlicher mit allen Schwierigkeiten der Kindheit und Jugend sein, wie sicherlich auch kaum ein Kind ernstlich schon ein Erwachsener mit allen damit verbundenen Konsequenzen – insbesondere Pflichten – sein möchte. Beim Hören der Serie treten vielmehr der oder die Erwachsene und das Kind in den Hörerinnen und Hörern mit ihren gegensätzlichen Erlebens- und Sichtweisen in einen unterhaltsamen Dialog. So erlebt man einen ‚gemütlichen Schauer’, ein abgesichertes Risiko in einer rätselhaft-vertrauten Welt.
Anmerkungen
1 Quelle: www.natuerlichvoneuropa.de
2 zur morphologisch-psychologischen Wirkungsforschung siehe Salber 1995, 1989, zum Tiefeninterview siehe Herbert 1999
3 Doppelte Anführungszeichen kennzeichnen dabei Zitate aus den Interviews.
4 Die hier angeführten Beschreibungen beziehen sich inhaltlich auf die Folge Die drei ??? und das Gespensterschloss
Literatur
Bastian, Annette (2003). Das Erbe der Kassettenkinder. Brühl: EccomediaFitzek, Herbert (1999). Beschreibung und Interview. Entwicklungen von Selbstbeobachtung in der morphologischen Psychologie. Journal für Psychologie 7 (2), S. 19-26
Salber, Wilhelm (1989). Der Alltag ist nicht grau. Bonn: BouvierSalber, Wilhelm (1995). Wirkungsanalyse. Bonn: Bouvier
Schmidt-Gönner, Sarah (2006). Das Erleben der Hörspielserie „???“. Eine pädagogisch-psychologische qualitativ-empirische Untersuchung. Bonn: Unveröffentlichte Magisterarbeitwww.natuerlichvoneuropa.de [Zugriff: 10.12.2007]
Beitrag aus Heft »2008/02: Medienpädagogik 2.0?!«
Autor:
Sarah Kerenkewitz,
Klaus Martin Schulte
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Christina Oberst-Hundt: Ein 30-jähriges Netzwerk
Sie nennen sich Gleichstellungsbeauftragte, Frauenvertreterin oder Beauftragte für Chancengleichheit. In allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Funkhäusern wirken sie für das, was ihr Name besagt: Sie setzen sich dafür ein, dass die immer noch vorhandene Benachteiligung von Frauen in den Sendern irgendwann der Geschichte angehört, denn immer noch arbeiten in den unteren Gehaltsgruppen in der Regel mehrheitlich Frauen, während oben Männer deutlich dominieren.1 Zu ihren Aufgaben gehört es, Frauen zu beraten, Qualifizierungsmaßnahmen anzustoßen, sie zu motivieren, Positionen anzupeilen, die ihnen, wenn das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes ernst genommen wird, ebenso zustehen wie Männern. Bei Bewerbungsgesprächen sind sie zugegen, um entsprechend qualifizierte Frauen zu unterstützen. Darüber hinaus engagieren sie sich für Maßnahmen zur Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Verpflichtungen von Frauen und Männern, zum Beispiel durch Initiierung von Kindergärten und anderen Einrichtungen.Dass solche Beauftragten, die sich qua Funktion für Chancengleichheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen, heute institutionalisiert sind, ist keineswegs zufällig, sondern Ergebnis eines langen, von Mitarbeiterinnen der öffentlich-rechtlichen Anstalten initiierten und erkämpften Prozesses.
Vom „kollektiven Betroffensein“ zum „Ende der Bescheidenheit“
Bereits in den 70er Jahren hatten einige Frauen aus verschiedenen Sendern genug davon, trotz guter Qualifikation immer zusehen zu müssen, wie der Aufstieg in Gestalt ihrer männlichen Kollegen an ihnen vorbeizog und die zweite und dritte Reihe für sie zur Dauereinrichtung zu werden drohte. Kolleginnen aus WDR, NDR, SFB, HR und dem ZDF begannen, sich auszutauschen, zu kooperieren und ihr „kollektives Betroffensein“, so die ZDF-Frauen, öffentlich zu machen. 1978 fand in Frankfurt das erste Treffen der Frauen in den Medien ARD und ZDF, kurz Herbsttreffen der Medienfrauen, damals noch in einer Jugendherberge, statt. Die Rundfunkmitarbeiterinnen gehörten damit zur Avantgarde der neuen Frauenbewegung, die das Thema „Frauenförderung“2 in den Folgejahren zu einem ihrer politischen Schwerpunkte machte und das „Ende der Bescheidenheit“ proklamierte.Die 1978 veröffentlichte Studie über Die Situation der Mitarbeiterinnen im WDR belegte erstmals das Ausmaß der Frauenbenachteiligung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt anhand eindeutiger Daten und Fakten. In der Folge ging es, unterstützt von der Mediengewerkschaft RFFU3, in allen Sendern um die Durchsetzung von „Frauenförderplänen“. Die inzwischen institutionalisierten alljährlich stattfindenden Medienfrauentreffen waren in den 80er Jahren wichtige Foren zur Durchsetzung dieses Ziels. Titel der Treffen wie Gemeinsam bleiben wir lästig (1984 beim WDR in Köln) oder Ohne uns wird Euch Hören und Sehen vergehen (1986 beim SDR in Stuttgart) belegen die Hartnäckigkeit der Rundfunkfrauen, die schließlich, am 1. Dezember 1989, Erfolg hatte. An diesem Tag unterzeichnet WDR-Intendant Friedrich Novottny die erste „Dienstanweisung des Intendanten über den Frauenförderplan des Westdeutschen Rundfunks“ und beruft mit Rita Zimmermann die erste Gleichstellungsbeauftragte einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Der Sender hat sich nun „zum Ziel gesetzt, den grundgesetzlich verankerten Gleichberechtigungsgrundsatz und das Antidiskriminierungsverbot zu verwirklichen“ und darauf hinzuwirken, „dass gleich viele Frauen und Männer in allen beruflichen Bereichen, Vergütungsgruppen und in allen hierarchischen Ebenen vertreten sein sollen.“ Von nun an gibt es geschlechtsneutral formulierte Stellenausschreibungen. Bei Besetzungen sind Frauen zu bevorzugen, wenn sie über gleiche Qualifikationen wie ihre männlichen Mitbewerber verfügen. Babypause und andere familiäre Verpflichtungen dürfen Frauen nicht zum Nachteil gereichen. Die Gleichstellungsbeauftragte hat „die Umsetzung des Frauenförderplans zu gewährleisten“ und muss bei Stellenausschreibungen einbezogen werden. Ähnliche Regelungen, durch Landesgleichstellungsgesetze rechtlich gestützt, gibt es inzwischen in allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
„Welchen Rundfunk wollen wir?“
Die Gleichstellungsbeauftragten sind heute Teil des Netzwerkes der Medienfrauen ARD, ZDF und ORF (seit 1980). In der Regel sind sie maßgeblich an der Organisation der jährlichen Treffen beteiligt. Auch sind meist sie es, die dort über die Situation der Frauen in den Sendern berichten und ihre Erfahrungen einbringen. Die Herbsttreffen sind von Beginn an die wichtigsten Kommunikationsforen der Frauengruppen und Netzwerke der einzelnen Sender. Über die senderbezogene Problematik hinaus definiert hier Gleichstellungspolitik ein Themenfeld, das Rolle und Aufgaben von Medienfrauen (rundfunk)politisch, gesellschaftlich und international umfasst. „Welchen Rundfunk haben wir? Welchen Rundfunk wollen wir?“ wird 1980 gefragt. Ein Jahr später werden Resolutionen gegen die „Verharmlosung von Aufrüstung und Atomtod“ verabschiedet. In der Folge wird es kein Treffen mehr geben, das nicht zu aktuellen (außen)politischen Themen Stellung bezieht. „Frauen – M(m)acht – Karriere“ ist das Motto zum zehnten Treffen in Bremen. 1989 in Berlin erleben die Medienfrauen hautnah die Maueröffnung. Der Deutsche Fernsehfunk der DDR wird ‚abgewickelt’ und mit ihm seine 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kontakte zu Kolleginnen in Ost und West werden ausgebaut. „Chancen für Europa“ loten die Medienfrauen 1993 in München aus. Dass „Frauen im Netz“ sind, wird 1998 in Saarbrücken vertieft. Ein Jahr später taucht erstmals der Begriff Gender Mainstreaming auf. Auf den folgenden Treffen wird frau sich häufiger mit diesem Instrument zur Schaffung von Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen und Möglichkeiten ausloten, diese neue Denkweise auch in den Sendern zu verankern. Wie wirken sich Maßnahmen auf Frauen und Männer aus? Wird das soziale Geschlecht (gender) bei allen politischen Entscheidungen mitberücksichtigt, können üblicherweise nicht wahrgenommene unterschiedliche Problemlagen, Benachteiligungen aber auch Qualitäten in den Blick genommen, ungerechte Geschlechterverhältnisse und die sie produzierenden Strukturen erkannt und verändert werden (vgl. Stiegler 2000, Oberst 2003).
„Saure Gurken“ gegen frauenfeindliches Fernsehen
Der kritische Blick auf die Fernsehprogramme der Anstalten war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Rundfunkfrauen. Die Küchenhoff-Studie hatte bereits 1975 die Benachteiligung von Frauen im damals noch ausschließlich öffentlich-rechtlichen Fernsehen untersucht und ihre Befunde in dem prägnanten Satz „Männer handeln, Frauen kommen vor!“ zusammengefasst. 1980 wurde die Saure Gurke als Negativpreis für ein prägnantes Beispiel frauenfeindlichen Fernsehens im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kreiert, der seither alljährlich verliehen wird. Preisträger und manchmal auch Preisträgerinnen gibt es in allen Sparten und Sendeformaten. Die Auszeichnung trifft (fast) immer, ärgert die Getroffenen nicht selten und macht prägnant auf einen signifikanten programmlichen Missstand aufmerksam, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Presse den Negativpreis gern zum Anlass nimmt, ein paar Zeilen über die jährlichen Treffen, an denen inzwischen bis zu 300 Rundfunkfrauen teilnehmen, zu veröffentlichen.4Die Herbsttreffen bieten auch Fortbildung und empowerment kompakt. In meist zweitägigen Workshops werden aktuelle (rundfunk)politische Themen diskutiert, Internet-Fragen vertieft, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen trainiert, um frau fit zu machen für die scheinbar unvermeidlichen Auseinandersetzungen im Betrieb, sei es mit Chefs und Kollegen, aber auch Kolleginnen. Gerade Konkurrenz und Solidarität unter Frauen, sind Themen, die hier auch hinterfragt werden.
Mit Selbstbewusstsein gegen „Macht und Vorurteil“
Was wird die Zukunft bringen? Dass sich (nicht nur) Rundfunkfrauen weiterhin mit „Macht und Vorurteil“ auseinandersetzen müssen, thematisierte das Münchner Treffen 2007. Aber, so das Signal prominenter Festredner, es gibt auch Männer, die hier Flagge zeigen und Frauenbelange unterstützen.30 Jahre besteht jetzt dieses Frauennetzwerk. Die Herbsttreffen sind inzwischen etabliert. Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der Städte, in denen getagt wird, lassen es sich nicht nehmen, die Teilnehmerinnen zu begrüßen. Die Intendanz unterstützt die Treffen und lädt zum opulenten Buffet. Das Jubiläum wurde am Ursprungsort in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk begangen.5 Das Motto „Junge Talente oder aus Erfahrung gut“, ganz ohne Fragezeichen. Die Medienfrauen, ob alt oder jung, wissen, was sie geleistet haben und leisten können und zeigen Selbstbewusstsein. Und genau das werden sie auch in Zukunft brauchen.6 Anmerkungen1 „Im Bayerischen Rundfunk z. B. arbeiten die meisten festangestellten Frauen in den Gehaltsgruppen 6 und 7, die meisten Männer in der Gehaltsgruppe 14, Führungskräfte sind zu 75,8 Prozent männlich. In der Geschäftsleitung arbeitet nach wie vor keine Frau“. Vgl. Edith Fuchs-Leier, BR-Gleichstellungsbericht 2006 S.8 u.132 Der Begriff „Frauenförderung“ wird heute kaum mehr benutzt, da er Frauen als „defizitär“ ausweist.3 Rundfunk-Fernseh-Film-Union, später IG Medien, seit Juli 2001 in ver.di4 Weiteres unter www.saure-gurke.info5 Ausführlich zum Frankfurter und früheren Treffen s. www.medienfrauentreffen.de. Dort ist auch die Festrede von Ute Mies-Weber zum 30. Jubiläum abrufbar.6 zum Thema s. a. Oberst-Hundt 2005 LiteraturBundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (Hg.) (1995). Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Eine empirische Untersuchung der Universität Münster unter Leitung von Prof. Dr. Erich Küchenhoff. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer VerlagOberst, Karen (2003). Von der Geschlechterungleichheit zur Geschlechterdemokratie. Norderstedt: BoDOberst-Hundt, Christina (2005). Geschlechterdemokratie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Programmen: notwendig – machbar – zukunftsorientiert. In: Werneke, Frank (Hg.), Die bedrohte Instanz – Positionen für einen zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Berlin: ver.di, S. 220-240Stiegler, Barbara (2000). Wie gender in den Mainstream kommt: Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gener Mainstreaming. Bonn: FES
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
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Günther Anfang: Gehirnjogging mit Nintendo DS
Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging: Wie fit ist Ihr Gehirn. Videospiel für Nintendo DS, USK-Einstufung: Freigegeben ohne Altersbeschränkung. Preis für Spiel: 27,95 €; Preis für Konsole Nintendo DS Lite white: 139,95 €Eine interessante Entwicklung auf der Games Convention 2007 in Leipzig war, dass die Spieleindustrie die Zielgruppe der älteren Menschen und die der Familien entdeckte. Vor allem der Nintendo-Stand war umlagert von Spielerinnen und Spielern der älteren Generation, die ihr Gehirn mit Hilfe eines japanischen Programms trainieren wollten, das ein gewisser Dr. Kawashima, seines Zeichens Gehirnforscher, entwickelt hatte. In Japan verkaufte sich das Spiel bereits über 1,4 Millionen Mal. Nun versucht Nintendo den europäischen Markt damit zu erobern. Dabei ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm Wie fit ist Ihr Gehirn kein klassisches Videospiel, sondern die interaktive Ausgabe von Kawashimas Buchbestseller Train Your Brain. Gespielt wird es mit dem Nintendo DS, dem Nachfolgemodell des klassischen Gameboy. Der Nintendo DS ist eine tragbare Videospiel-Konsole, die über zwei LC Displays, ein eingebautes Mikrofon und eine Reihe weiterer technischer Neuerungen verfügt, die eine gegenüber früheren Konsolen vereinfachte Spielesteuerung ermöglicht. Durch das berührungsempfindliche Touchscreen sowie ein eingebautes Mikrofon können mobile Spiele erstmals durch Berührung oder Spracheingabe gesteuert werden. Außerdem können via WLAN mit Besitzern weiterer Nintendo DS-Konsolen kabellos Multiplayer-Spiele gespielt werden. Diese Möglichkeiten macht sich auch das Gehirnjogging-Programm von Dr. Kawashima zunutze. Mit einem mitgelieferten Stift kann das Spiel mit Hilfe des Touchscreens gestartet werden.
Zunächst wird mit ein paar kleineren Tests das geistige Alter festgestellt; eine für die meisten Spielerinnen und Spieler wohl recht deprimierende Angelegenheit, da die auf dem Display angezeigte Zahl in den meisten Fällen deutlich über dem tatsächlichen Alter der Testperson liegt. Dann geht es Tag für Tag daran, sich geistig zu verjüngen: Mit kleineren Rechenaufgaben oder einem Merkspiel, bei dem bestimmte Worte behalten werden müssen, kommt man dem Ziel näher, sein geistiges Alter der Zielmarke „20 Jahre“ anzunähern, denn nach Dr. Kawashima ist man mit 20 Jahren am fittesten. Die Aufgaben sind von ihrer Art her meist recht einfach strukturiert, trotzdem aber sehr abwechslungsreich gestaltet: Mal muss zum Beispiel gezählt werden, wie viele Bewohner sich in einem Haus befinden, was mit der Zeit schwierig wird, weil man nicht das Innere des Gebäudes sieht, sondern nur, wie viele Personen über die Zeit das Gebäude betreten oder verlassen. Oder aber es muss laut aufgesagt werden, welche Farbe die auf dem Screen dargestellten Buchstaben haben. Der Trick dabei ist, es erscheint zum Beispiel das Wort „Schwarz“ in blauen Buchstaben, so dass die richtige Antwort „Blau“ lautet. Da kann man sich leicht irritieren lassen, vor allem wenn es schnell gehen soll. Die Handschrift-Erkennung via Touchpad und die Spracherkennung via Mikrofon funktionieren erstaunlich gut.
Allerdings gibt es Probleme bei der Spracheingabe, wenn man zu laut spricht, dann wird man immer wieder aufgefordert, noch einmal zu sprechen und das kostet Zeit und Gehirnjogging-Punkte. Fraglich bleibt allerdings, ob man durch Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm wirklich schlauer wird. Nun ich denke, das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Entscheidend ist aber, dass das Spiel Spaß macht und zumindest bei den Rechen- und Merkaufgaben die Spieler anregt werden, ihr Gehirn anzustrengen. Der Wettbewerbscharakter sorgt zusätzlich dafür, sich ständig verbessern zu wollen, denn wer will schon auf einem geistigen Alter von 65 Jahren stehen bleiben. Somit ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm sicher ein netter Zeitvertreib, der den Spielenden das Gefühl vermittelt, sich geistig fit zu halten.
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor:
Günther Anfang
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Hannah Landeck: Zeitreise in einen Glaubenskrieg
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Hamburg: Friedrich Oetinger Verlag, 432 S.,17,90 €
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Gesprochen von Dieter Wien. Hamburg: Jumbo, 8 CDs, 34,95 €
Alles beginnt mit einer Klassenfahrt nach Granada. Auf dem Programm steht auch der Besuch der Alhambra, dem maurischen Palast. Boston, Hauptfigur im Roman, ist ein schüchterner Junge und im Gegensatz zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern fasziniert von diesem geschichtsträchtigen Ort. Da er jedoch Angst vor mangelnder Anerkennung hat, traut er sich nicht, sein Interesse zu bekunden. Später, auf einem Touristenmarkt, ist Boston auf der Suche nach einem Souvenir für seine Mutter. Er stöbert im Laden des gedankenverlorenen Händlers Manuel Corazón, entdeckt eine alte maurische Fliese mit antiken Schriftzeichen und plötzlich ist alles anders: Ein Zeittor hat sich durch die Fliese geöffnet, Bosten befindet sich im Jahr 1492. Das Jahr, in dem Kolumbus Amerika entdeckt und in Spanien ein Krieg der Religionen herrscht. Das letzte maurische Königreich Granada ist eingenommen. Unter der Regentschaft des katholischen Königspaares Isabella und Ferdinand bestimmt die Härte der Inquisition das Leben. Die Juden- und Maurenverfolgung hat begonnen und viele Menschen sind auf der Flucht. Boston erlebt bei seiner Zeitreise nicht nur Geschichte, er wird auch Teil derselben. Durch seine ‚komische’ Kleidung erweckt er Misstrauen und nachdem der Inhalt seines Rucksackes – ein Handy, ein Reiseführer und ein Geldbeutel – entdeckt wird, gilt Boston als Verbündeter des Teufels. Das gesamte Land sucht nach ihm, seine Reise wird lebensgefährlich. Der Held der Geschichte muss fliehen. Zum Glück hat er Freunde gefunden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Auch der Jude Salomon und der Moslem Tariq leben gefährlich im Jahr 1492. Es müssen spannende Abenteuer bewältigt und viele Fragen beantwortet werden. Wie kann Boston wieder zurück in die Gegenwart reisen? Die geheimnisvolle Fliese, die ihn hierher brachte, ist verschwunden.
Der Roman ist sehr komplex aufgebaut und die Erzählebenen Vergangenheit und Gegenwart werden den Leserinnen und Lesern im ständigen Wechsel präsentiert. Jedoch ist diese Komplexität beim Lesen nicht störend. Durch eine anschauliche, dichte Erzählweise wird trockener Geschichtsstoff lebendig. Die einzelnen Charaktere sind detailliert und facettenreich, so dass historisches Handeln nachvollziehbar wird. Ein Glossar am Ende des Buches trägt zudem zur Verständlichkeit bei. Neben historischen Geschehnissen erzählt Kirsten Boie jedoch auch eine Geschichte der Freundschaft, die sich zwischen Boston, Salomon und Tariq entwickelt. Aspekte wie Vertrauen, Hilfe und Unterstützung werden angesprochen. Durch diese Freundschaft wird ein Miteinander der Religionen dem vorherrschenden Glaubenskrieg entgegen gestellt. Immer wieder finden sich im Buch auch komische Situationen, die zum Schmunzeln verführen. Die fast philosophischen Gedankenspiele über den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft regen zum Nachdenken an.
Auch wenn die Zeitreise phasenweise etwas konstruiert wirkt, ist Alhambra äußerst lesenswert und in keiner Weise ein trockener Geschichtsroman. Das Buch besitzt viele Höhepunkte, die jugendliche Leserinnen und Leser mit Spannung verfolgen können, und Kirsten Boie schafft es, sehr eindringlich die Atmosphäre der damaligen Zeit zu schildern.
Zum Buch Alhambra ist auch eine Hörbuchfassung mit acht CDs erschienen. Dieter Wien, dem Sprecher, gelingt es, den jeweiligen Personen sprachtypische Besonderheiten zu verleihen. Der Großinquisitor Torquemada wird als eine grausame Person, die alle fürchten und „hinter dessen Augen kein Lächeln ist“, charakterisiert. Diese Darstellung der Person findet sich auch in seiner Sprechweise, einer scharfen, harten Sprache und nachdrücklichen Äußerungen, wieder. Die personentypische Sprache verdeutlicht Charakteristika der einzelnen Personen. Begleitet wird das Hörerlebnis mit ansprechender Musik von Ulrich Maske. Diese fungiert als Trennung oder Überleitung zwischen einzelnen Passagen oder Kapiteln. Beim Hören lassen sich viele Kleinigkeiten entdecken, die durch die dichte Erzählweise im Roman vielleicht überlesen wurden. Besonders wenn die Zuhörenden die genauen, bildhaften und atmosphärischen Umgebungsbeschreibungen vorgelesen bekommen, wird die Stimmung des Jahres 1492 erlebbar. Ein paar Hintergrundgeräusche würden das Hörbuch noch bereichern, aber es gelingt auch so, die Geschichte und die damalige Zeit für die Hörenden fesselnd und teilweise zum Greifen nahe zu transportieren.
Insgesamt ein spannendes Buch wie auch Hörbuch für Jugendliche. Alhambra wird ab zwölf Jahren empfohlen. Zwar werden die historischen Zusammenhänge verständlich beschrieben, doch aufgrund der Komplexität der Handlungen und des raschen Wechsels der Geschehnisse ist der Roman tendenziell für ältere Kinder oder sehr gute Leserinnen und Leser geeignet.
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor:
Hannah Landeck
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Jens Dehn: Nordische Filmtage Lübeck
Kein anderes Thema hat die Medien während des abgelaufenen Jahres so beschäftigt wie die von Thilo Sarrazins Buch ausgelöste Debatte um integrationsunwillige Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Seriöse Tageszeitungen und TV-Sendungen haben sich gleichermaßen wie Boulevardmagazine vor den Karren spannen lassen, um der Frage nachzugehen, wie gespalten das Land tatsächlich ist. „Die Medien neigen gerne zur Problematisierung“ konstatiert Elsa Kvamme, norwegische Dokumentarfilmregisseurin, und meint damit sowohl deutsche Medien als auch die in ihrer Heimat.
Mit ihrem Film Die Könige von Oslo war Kvamme im vergangenen November bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck zu Gast, einem der traditionsreichsten Filmfestivals in Deutschland. Fernab von plakativer Verallgemeinerung und Stereotypisierung wurden hier mehrere Filme gezeigt, die sich – obwohl in anderen Ländern und Kulturen entstanden – eingehend mit eben jener Integrationsthematik beschäftigen. Und obwohl es nicht einmal dem Kern dieser Filme entspricht, werden hier sehr präzise Gründe offenbart, warum es oftmals so schwierig ist, ausländische Menschen in einen bestehenden Kulturkreis zu assimilieren. Deutschland ist – das wurde in Lübeck deutlich – bei weitem nicht das einzige Land, dessen Integrationspolitik die eigene Regierung vor Herausforderungen stellt. Als die Schweden im September ein neues Parlament wählten, ging ein Aufschrei durch das einstige liberale Vorzeigeland. Erstmals zog die rechtspopulistische Partei „Schweden-Demokraten“ in den Reichstag ein. Deren oberstes Ziel im Wahlkampf: die massive Einschränkung bei Zuwanderungen. „Das sagt ja schon einiges aus“, meint Peter Kropénin, Produzent des Spielfilms Between two Fires. „Ich hoffe, dass unser Film helfen kann, Asylanten wie Marta zu verstehen und auch ihre Perspektive zu akzeptieren.“ Marta ist die Hauptfigur in Between two Fires, die mit ihrer zehnjährigen Tochter vor dem gewalttätigen Liebhaber aus Weißrussland flieht und in Schweden Asyl beantragt. Im Asylantenheim lernt sie den Algerier Ali kennen und lieben, doch um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu sichern müsste sie den Schweden Bengt heiraten, einen alten Mann.
Die in Polen geborene Regisseurin Agnieszka Lukasiak hat aus der Geschichte ein großartig inszeniertes Drama gemacht, das den Schwebezustand aus ständiger Hoffnung auf der einen Seite und der Angst, abgeschoben zu werden auf der anderen schildert. Einfühlsam, teils bedrückend, aber immer faszinierend erhalten die (sozial abgesicherten) Zuschauerinnen und Zuschauer so realistische Einblicke in die Parallelwelt der Asylbewerber, deren Lebensumstände, Hintergründe und Notwendigkeiten ihnen im realen Leben gänzlich verschlossen bleiben. Lukasiak wollte keine Systemkritik am schwedischen Sozialstaat üben, dennoch kommen die Vertreter des Staates denkbar schlecht weg. Für Mick Pantaleo, Assistenz-Regisseur bei Between two Fires, jedoch eher eine Frage der Perspektive, denn der Kritik: „Marta trifft Leute, die immer sagen, sie können helfen. Aber tatsächlich tun sie es nicht, weil das System zu verfahren ist. Daher ist es in meinen Augen eher eine Perspektive von Marta: In dem Auffanglager gibt es einfach keine Beziehung zwischen den Asylanten und den schwedischen Autoritäten.“ Tatsächlich nimmt der Film sehr strikt die Blickweise der Immigrantinnen und Immigranten ein. Das Rechtssystem erscheint dabei als gefühlskalt. Dass es sich hier um Schweden handelt, ist nebensächlich, die Geschichte selbst kann sich so beinahe überall abspielen. Man kommt in ein fremdes Land, ist in einem Camp untergebracht, hat keinen Kontakt zu Einheimischen. Nur zu Leuten, die die Sprache genauso wenig verstehen. Eine verfahrene und hoffnungslose Situation. „In Großbritannien ist es genauso“, ergänzt der Engländer Pantaleo. „Wenn Leute ins Land kommen, sehen sie sich damit konfrontiert, dass sie nicht sehr willkommen sind. Dieses Gefühl gibt man ihnen nicht. Erstmal werden sie entmutigt, um dann zu sehen, ob es ihnen wirklich ernst ist und ob sie tatsächlich Hilfe brauchen.“ Selten wurde dieses emotionale Wechselbad so aufwühlend dargestellt wie in Between two Fires.
Ein erschütterndes Beispiel, wie Integration keinesfalls funktionieren kann, zeigt auch der dänische Spielfilm Das Experiment. In den 1950er Jahren wurden 22 grönländische Kinder ihren Eltern entrissen und nach Dänemark zu Pflegefamilien gebracht. Nach dem Willen des dänischen Staates sollten sie sich den dänischen Gepflogenheiten anpassen und zu einer Art „Elite“ Grönlands herangebildet werden. Einige der Kinder wurden adoptiert, die restlichen kamen nach einem Jahr zurück in ihre Heimat. Allerdings nicht zu ihren Angehörigen, sondern in ein Pflegeheim. Das Experiment scheiterte: Die Kinder verlernten in der Fremde ihre grönländische Muttersprache, wurden weder in Dänemark noch in Grönland akzeptiert und litten teilweise ein Leben lang unter der Entwurzelung. Das Thema war sowohl in Dänemark als auch in Grönland lange Zeit tabu. Erst jetzt wird in der Öffentlichkeit verstärkt über dieses dunkle Kapitel der dänisch-grönländischen Geschichte gesprochen. Ein Verdienst der Regisseurin Louise Friedberg, die die Geschichte der Kinder einfühlsam aufarbeitet. „Als der Film heraus kam, gab es schon eine ziemliche Aufregung in den Medien, sowohl in Dänemark als auch in Grönland. Ich hoffe natürlich, dass daraus etwas Nützliches entsteht“, sagt Friedberg. „Es gab schon früher Diskussionen darüber, ob sich Dänemark entschuldigen sollte, das hat der Staat bislang nie getan. Der Premierminister hat es verneint, weil er meinte, man solle keine alten Wunden aufreißen. Die Debatte wurde damals schnell geschlossen, aber jetzt brandet sie wieder auf.“ Die Geschichte des gescheiterten Experiments zeigt, dass man Entwicklungen nicht erzwingen kann. Das galt in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht minder als heutzutage, wie Louise Friedberg unterstreicht: „Es ist im Film nicht mehr offensichtlich, aber wir haben während der Arbeit am Drehbuch viel über Parallelen zu unserem heutigen Verhalten gesprochen. Ich denke, in Dänemark ist es noch zehn Mal schlimmer als in Deutschland. Es wird dort heftig darüber diskutiert, dass es Ausländern nicht erlaubt sein sollte, ihre Muttersprache in der Schule zu lernen. Das ist ein Problem. Ich finde, wir tun ihnen damit dasselbe an, wie den Kindern damals. Man will den anderen anpassen, anstatt ihn zu akzeptieren. Für mich ist da eine Parallele zu heute.“
Doch es geht auch anders: Eine weitaus positiver verlaufende Form der Integration als in den beiden Spielfilmen weist Elsa Kvammes eingangs erwähnte Dokumentation Die Könige von Oslo auf. Zeigen, dass es trotz unterschiedlicher kultureller Hintergründe auch Schulklassen gibt, die zusammenhalten und füreinander einstehen, ist eines der Anliegen, das die Regisseurin mit ihrem Film verfolgt. Mit den titelgebenden Königen ist die siebte Klasse einer sogenannten „Barneskole“ in Oslo gemeint. Das Schulsystem in Norwegen ist ein anderes, erst ab der achten Klasse werden Noten vergeben. Bis dahin sind die Kinder nur nach ihren Altersstufen unterteilt. Die Folge: Länger als in Deutschland bleiben die Klassen gemischt. Hauptschulklassen mit über 90 Prozent Migrantenanteil findet man hier bei den Zwölf- bis 13-Jährigen noch nicht. Das alleine ist für Elsa Kvamme aber noch nicht ausschlaggebend für ein gelungenes Miteinander: „Ich glaube, es hat vor allem sehr viel mit der Energie der Lehrer zu tun. Dass sie alle Kinder ernst nehmen. Denn es gibt große Unterschiede in dieser Klasse. Einige haben ganz große Probleme, mitzukommen. Aber sie können sich alle an sozialen Diskussionen beteiligen, sie sind trainiert darin, zu diskutieren. Das ist sehr wichtig, dass alle ihre Meinung aussprechen können. Das hat mich an dieser Klasse wirklich fasziniert, und ich glaube, das ist fast wichtiger als das Fachliche: dass man den Kindern Selbstrespekt gibt und sie involviert sind.“ Ausgangspunkt ihres Films war der Wunsch Kvammes, ihre eigene Tochter Mina an der Schwelle zwischen Kind und Jugendlicher zu filmen, um sie so besser kennen zu lernen. Mina selbst ist äußerlich alles andere als typisch norwegisch, als Einjährige wurde sie in China adoptiert. Ihres anderen Aussehens ist sich die 13-Jährige bewusst, trotzdem fühlt sie sich zu 100 Prozent als Norwegerin. Genau wie ihr Klassenkamerad Haadi, der mit kindlicher Selbstverständlichkeit erklärt, er stamme ursprünglich aus der Küstenstadt Molde, nicht etwa aus Somalia. „Ich glaube, die Kinder haben eine grundsätzliche Positivität“, beschreibt Elsa Kvamme die Stimmung in dieser multikulturellen Klasse. „Wir haben an dem Film etwa sieben Monate geschnitten, wir haben also sehr viel mit den Kindern „gelebt“ im Schnittraum. Und alle, die daran beteiligt waren, haben es geliebt, mit den Kindern zusammen zu sein und in ihre Welt zu tauchen, wo es so viel positive Energie gibt. Das müssen Journalisten auch erkennen, nicht nur immer alles schwarz sehen.“
Ortwin Thal: Der diskrete Charme der Gewalt
Was die Liebe zum Kino so alles anrichtet: Quentin Tarantino gefällt sich in Planet Terror in einer Nebenrolle als gewalt- und sexgeiler Soldat, den lediglich der Umstand, dass sein Geschlechtsteil sich in Schleim und Eiter verwandelt, davon abhalten kann, eine Frau zu vergewaltigen. Kein Wunder, ist der Gute doch längst von einem Zombie-Virus befallen, das er nur befristet durch ein über die Atemmaske inhaliertes Gegenmittel in Schach halten kann. Da seine Geilheit jedoch stärker ist, verwandelt ihn das Virus innerhalb weniger Minuten in einen fauligen und sich auflösenden Untoten, dessen lustvolle Darstellung auf eine wichtige Frage des aktuellen Horrorfilm-Revivals hinweist: Lachen oder Kotzen?
Traditionen der Metaphorik: Was den Horrorfilm so umtreibt
Zunächst: was den Horrorfilm wirklich umtreibt, scheint auf den ersten Blick klar zu sein – die Zunahme expliziter Gewaltdarstellungen (z. B. in Saw und seinen Sequels), die Sorgen der jugendschutzorientierten Mahner, die etwas liberalere Deutungs- und Interpretationslust der Filmkritiker und die simple Tatsache, dass sich das Geschäft mit dem Horror rentiert, beispielsweise auch angesichts einiger 100 Millionen Dollar, die von der Saw-Serie eingespielt wurden. Wer nicht über die psycho-pathologische Relevanz dieser Erfolgsgeschichte nachdenken will oder kann, muss sich dennoch fragen, wie die unterschiedlichen Betrachtungsansätze unter einen Hut gebracht werden können1.In keinem Genre wird so viel gedeutet wie im Horrorfilm. Der Fundus ist breit angelegt: Psychoanalyse, Soziologie, Ästhetik, Anthropologie und Pädagogik. Auf der anderen Seite ist kaum ein Genre so nah dran am billigen Spektakel der Jahrmarktssensation, was bei Eltern, Pädagogen und Jugendschützern Ängste vor den Folgen auslöst. Und last but not least dürfte wohl auch in keinem anderen Genre der Abstand zwischen dem Bildungsstand der Kritiker und dem Motivationsgemenge des Massenpublikums so groß sein wie im Horrorfilm.
Horrorfilme sind zunächst ein Produkt. Neben dem ökonomischen Aspekt erfolgt das Durcharbeiten der Genrethemen und ihrer Erzählmuster (nicht nur im Horrorfilm) meiner Meinung nach aus zwei Gründen: Entweder hat der Filmemacher ein cinephiles, meistens sehr formales, vielleicht gar leicht obsessives Interesse an der Variierung und Steigerung/Exploitation eines Themas (Tarantino, Rodriguez) oder er nutzt die einem Genre zugrunde liegende metaphorische oder allegorische Qualität, um eine ‚Botschaft’ zu verbreiten. Letzteres wird am häufigsten vermutet, darauf scheint die Deutungspraxis der Kinotheorie und der Kritiker in den letzten Jahren hinzuweisen.
Dies führt zu einem ‚kleinen’ Problem: Parabeln, Metaphern oder Allegorien funktionieren nur, wenn Publikum bzw. Leserschaft im Bildungsfundus ‚erlernte’ Deutungscodes besitzen, die abgerufen werden können, um das Material zu interpretieren. Diese Codes sind kulturgeschichtlich tradiert oder werden im Kontext einer avantgardistischen Grenzüberschreitung neu erzeugt (Romeros Night of the Living Dead war 1968 eine derartige Grenzüberschreitung). Für die Codes (zum Beispiel des Horrorfilms) sind Kinotheoretiker und Filmkritiker verantwortlich. Auch wenn diese These nicht ganz ironiefrei ist, möchte sie doch auf ein Problem hinweisen: die schreibende Zunft lebt in einem hermetischen Kosmos und kann scheinbar nicht erkennen, dass einem Großteil des Publikums dieser Bildungsfundus gar nicht zur Verfügung steht. Man kann nur vermuten, dass sich ein Teil des Publikums deshalb wohl auch intuitiv vor komplexeren Deutungsangeboten ‚schützt’ und sich den völlig bedeutungsfreien und sadistischen Varianten des Genres zuwendet.2 Ein weiterer Aspekt bleibt daher meist im Verborgenen: Der Filmemacher antizipiert die Fähigkeit des Kritikers, Bedeutungen zu lesen, und präpariert seinen Film so, dass sie auch gefunden werden können.
Das ist natürlich etwas boshaft formuliert, aber kompliziert wird die ganze Angelegenheit im Falle des post-modernen Horrorfilms dadurch, dass der Trend erkennbar ist, durch außergewöhnliche Tabubrüche die von der Gesellschaft temporär akzeptierten ‚Grenzen des Zumutbaren’ zu überschreiten, ohne dass man auf den ersten Blick erkennen kann, ob sich dies einer avantgardistischen Erzähllust, ernst gemeinter Gesellschaftskritik oder/und einfach dem ökonomischem Kalkül verdankt.
Mancher vermutet eher letzteres. So schreibt Stefan Höltgen in seiner Arbeit The Dead Walk (2000) zu Recht, dass George A. Romeros The Night of the Living Dead nicht nur avantgardistisch war, sondern auch einen ökonomischen Mechanismus in Gang gesetzt hat, der zwangsweise die Brutalisierung des Genres nach sich zog: „… zukünftig musste sich jeder Streifen, der ökonomisch etwas gelten wollte, an der ‚Machart’ von Night of the living Dead messen lassen. Hinter diese Grenze zurück zu fallen, war gleichbedeutend damit, einen Flop zu riskieren. Das bedeutete also: ‚Härter’ (sprich: ekliger) sein als Night of the living Dead. Das ‚Prinzip des Fortschritts’ war damit als notwendiges Genreprinzip des Horrorfilms etabliert.“3
Doch immer wieder schob sich die Botschaft vor die Ökonomie. Bereits recht früh sprach Romero von der „sozialpolitischen Bedeutung seiner Filme“ und 2005 kommentierte er „Land of the Dead“: „… Es geht um das Ignorieren von Problemen. Es geht um Armut, Aids und Obdachlosigkeit. In meinem Verständnis sollten Filme immer die Zeit reflektieren, in der sie gedreht werden. Das gilt besonders für die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Aspekte. Und die Schere zwischen Arm und Reich wird nun mal immer größer in Amerika… Das ist ja das, worum es heutzutage geht in Bushs Amerika.“ Ob man nun wie Wim Wenders mit Land of Plenty nach Antworten suchen sollte oder einen Zombie-Film dreht, sei dahingestellt. Auf jeden Fall hat sich Romero damit an der Erzeugung von Deutungscodes beteiligt und damit ein Problem erzeugt, das schon die Altvorderen kannten: Abusus non tollit usum (Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf). Wobei schon ausgeführt wurde, wer die gültige Deutungshoheit besitzt und damit den ‚richtigen Gebrauch’ vor den Niederungen gemeiner Schaulust schützt.
„Ernste Menschen haben selten Ideen, Ideenreiche sind nie ernst.“ (Paul Valéry)
‚Richtiger Gebrauch’ ändert sich mit dem Zeitgeist: So wurde unlängst (Oktober 2007) auf ARTE George A. Romeros Day of the Dead zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt, zwar nur in der FSK 16-Fassung, aber selbst dies wäre noch vor Jahren vermutlich undenkbar gewesen. Aktuelle Varianten berühren unser Thema nur am Rande: zum Beispiel die Computerspielverfilmung Resident Evil (Paul W. S. Anderson, 2002), das nicht sonderlich überzeugende 28 Days Later (Danny Boyle, 2003) oder das zynisch kalkulierte Remake Dawn Of the Dead (Zack Snyder 2003), in dem (wie auch bei Boyle) die Zombies ziemlich fix auf den Beinen sind und nicht mehr Romero-like durch die Gegend wanken. Edgar Wrights versuchte es mit einer Persiflage: Shaun of the Dead (2004). Dass dies die Kritiker insgesamt milder stimmt, schien auch die FSK nachvollziehen zu können: die in einigen Versionen beschlagnahmten Dead-Klassiker Romeros wirken im Vergleich mit Shaun zwar nicht altbacken, haben aber Splatter-Fans mittlerweile kaum mehr zu ‚bieten’ als der mit FSK 16 versehene britische Zombie-Spaß. Shaun of the dead ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Genre-Ikonographie unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr als sonderlich bedrohlich aufgefasst wird.
Etwas näher am Thema war Land of the Dead (2005), der dritten Teil der Dead-Trilogie, in dem Romero einen philosophisch eher schwachbrüstigen Diskurs über lernfähige Zombies führte, die einer korrupten und vom Geld- und Warenfetischismus beherrschten Gesellschaft den Garaus bereiten. Immerhin: Romero hatte wenigstens etwas zu sagen, wenn auch nicht mehr so viel wie in Dawn Of The Dead (wo man das Allegorische als Kapitalismus-Kritik lesen kann, was einige Kritiker auch taten). Die neuesten Produkte auf dem Markt sind 28 Weeks Later (Juan Carlos Fresnadillo, 2007) und Planet Terror (Robert Rodriguez, 2007), die allerdings unterschiedlicher nicht sein können. An beiden Filmen fällt zunächst auf, dass sie Splatter in einer Weise präsentieren, die zumindest eins verdeutlicht: Das von Höltgen angekündigte ‚Prinzip des Fortschritts’ im Horrorfilm hat sich wohl durchgesetzt.
Die Grindhouse-Variante: Ekel-Zombies in Planet Terror
Planet Terror gehört ebenfalls zu den persiflierenden Filmen, aber dabei geht es nicht so sehr um das Zombiefilm-Genre, sondern um das Grindhouse-Projekt. Ältere Kinogängerinnen und Kinogänger erinnern sich vielleicht noch an die billigen Pulp-Filme der 70er Jahre, die in Bahnhofskinos als freche Mischung aus Dilettantismus und spekulativer Professionalität abgespult wurden. Tarantinos Death Proof und Planet Terror sollten als Double Feature samt Fake-Trailern und Kinowerbung das Publikum in diese Grindhouse-Kultur entführen. Das Ganze floppte und in Europa sind die Hauptfilme nun separat in längeren Schnittversionen zu sehen. Es ist nicht neu, dass Tarantino und Rodriguez (From Dusk Till Dawn) ihre cineastische Traditionsverpflichtung anders sortieren als der gemeine Filmemacher.
Als Handlungsrahmen dient in Planet Terror die Geschichte einer bereits infizierten US-Eliteeinheit, die den Zombie-Virus freisetzt, um die immun reagierenden Menschen für die Herstellung eines heilenden Serums zu missbrauchen. Erzählt wird jedoch eine Survival-Geschichte, in der (wie originell) eine Gruppe skurriler Typen ihre (welch ein Zufall) martialischen Qualitäten einsetzt, um ihr Leben und ein Barbecue-Saucen-Rezept zu retten. Heldin ist die Go-Go-Tänzerin Cherry (Rose McGowan), die auf dem Höhepunkt des Geschehens ihr von Zombies abgefressenes Bein mit einer äußerst effizienten Prothese ersetzt: einem Schnellfeuergewehr. Sie wird vermutlich zur neuen Ikone des Genres. Inszenatorisch bietet der Film eine Ekel- und Metzelparade, die Romero wie einen unbedarften Schuljungen dastehen lässt. Was Planet Terror bislang vor einer Indizierung gerettet hat, ist unklar. Aber vielleicht waren die Juroren angesichts der zerplatzenden Körper und der zu Match geschossenen Köpfe, der herausgerissenen Därme und der aufplatzenden Eiterbeulen der Meinung, dass auch hier die Persiflage im Gegensatz zu einem realistisch-allegorischen Film wie Dawn of the Dead keineswegs eine Gewaltverherrlichung ist, sondern ein greller Cineasten-Scherz. Das mag wohl sein, denn Rodriguez’ Film ist tatsächlich ungemein witzig, auch wenn man sich bei einigen Kritiken zuweilen an den hoffentlich noch nicht zombifizierten Kopf fassen muss: „Der Irakkrieg und die Folgen namens Guantanamo und Abu Ghraib, die man noch vor wenigen Jahren selbst nur für Fiktionen einer übertreibenden Fantasie und die Ausgeburt eines Horrorregisseurs gehalten hätte, bilden den seelischen Hintergrund des Films und der ganzen aktuellen neuen Horrorwelle im US-Kino … Man kann von Rodriguez und Tarantino halten, was man will – aber ihre Filme (auch Sin City, Kill Bill) sind politisch regierungskritisch gemeint“ (Rüdiger Suchsland in TELEPOLIS).
Na denn. Wie angesichts der offenkundig völlig selbst-referentiellen Trash-Orgie ein von mir geschätzter Filmkritiker dieser cineastischen Masturbation auf den Leim gehen konnte, dürfte sich unschwer aus der Deutungsdynamik des Genres ableiten lassen. Wer sich mit Jugendlichen und Kindern unterhält, die derartige Filme leicht aus dem Internet ‚saugen’ können, erfährt einiges über die Grenzen der Dekodierung. Diese ‚Zielgruppe’ kennt zum Glück nicht die Deutungsangebote der avancierten Filmkritik, denn sonst hätten Medienpädagogen und Lehrerinnen und Lehrer in ihrer täglichen Praxis einen noch schwereren Stand.
Romeros Traditionen: 28 Weeks Later
Eindeutig in der Tradition des allegorischen Horrorfilms steht indes 28 Weeks Later, bei dem Danny Boyle als Producer (28 Days Later) die Regie dem Novizen Juan Carlos Fresnadillo überließ. Anders als in Romeros düsteren Endzeit-Visionen zeigt das Sequel, was passieren kann, wenn man die Seuche scheinbar zu beherrschen gelernt hat: Monate nach Ausbruch des „Rage“-Virus sind die fleischfressenden Infizierten verhungert und die Überlebenden versuchen in einem von der Nato und der britischen Armee verwalteten Wohnkomplex den zivilisatorischen Neustart.
Als zwei Kinder aus dem abgeriegelten und sorgsam durch Videokameras kontrollierten Komplex ausbrechen, um ihre Mutter zu suchen, schleppen sie das Virus unbeabsichtigt wieder ein. Die infizierte Mutter ist zwar immun, steckt aber auf der Krankenstation ihren Mann Don (Robert Carlyle) an, der zum Zombie mutiert und die rasende Verbreitung der Seuche auslöst. Obwohl das Militär in einem minuziös dargestellten Blutbad Infizierte und Nicht-Infizierte ausrottet, gelingt nicht nur den Kindern die Flucht aus dem brennenden Edel-Ghetto, sondern auch Don. Dieser infiziert im Show-down seinen Sohn, doch auch das Kind ist immun. Zusammen mit seiner Schwester und einem Hubschrauberpiloten flieht es von der Insel und kann nun das Virus verbreiten. Das Schlussbild zeigt, dass wir mit einem weiteren Sequel zu rechnen haben.
Fresnadillos inszenatorisch gelungener Film stellt seinen Vorgänger deutlich in den Schatten. Das liegt nicht nur an seinen filmischen Qualitäten, sondern auch an seinen überbordenden Deutungsangeboten, die von der Kritik bereitwillig aufgenommen wurden: So spiegelt 28 Weeks Later vermeintlich den Irakkrieg und die Widersprüche militärischer Präsenz wider, man erkannte das traumatisierende Seuchenthema Aids, die Perfidie des Überwachungsstaates und die Zerstörung des Gemeinwesen, die folgerichtig der Ausgrenzung der Familie folgt. Es überraschte einige Kritiker, dass 28 Weeks Later trotz seiner intellektuellen Vorzüge nicht auf drastische Splattereffekte verzichten konnte. Sie haben offenbar die Dynamik des Genres nicht verstanden. Fresnadillos Film leistet einen weiteren Beitrag zum ‚Prinzip des Fortschritts’ (Höltgen), etwa indem ein Hubschrauber Dutzende von Zombies zerstückelt und die Kamera anschließend dokumentarisch über die Leichenteile schwenkt. Aus der insgesamt positiven Reaktion der Kritik kann man zwar eine gewisse Plausibilität herauslesen, indes lässt sich 28 Weeks Later auch mühelos als reaktionär-repressives Produkt deuten.
1. setzt er auf bekannte Genretopoi: Zum Beispiel die ewige Rückkehr des Bösen/des Monsters (Michael Myers-Prinzip), die in einem Sequel mit unweigerlicher Macht gewalttätiger, aggressiver und düsterer ausfallen muss. Der Film bedient sich zwar der leicht zu findenden Analogien zu aktuellen Realität, lässt aber bei der Bekämpfung des Bösen faschistoide Methoden als notwendig erscheinen,
2. legt das Ende des Film dem Zuschauer folgerichtig nahe, dass der militärische Überwachungsstaat nicht an seiner anti-liberalen Haltung gescheitert ist, sondern an seiner fehlenden Konsequenz4. Insgesamt zeigt sich, dass derartige Genrefilme mittlerweile völlig offen für Deutungen sind.
Die Metaphorik im Kino: eine Conclusio
Der Kultursoziologe Rainer Winter hat in seiner lesenswerten Arbeit „Zwischen Kreativität und Vergnügen. Der Gebrauch des postmodernen Horrorfilms“ zu Recht darauf hingewiesen, dass der post-moderne Horrorfilm unterschiedlich dekodierbar ist. Winter hat sich typologisch nicht nur mit den Fans, den „Buffs“ und „Freaks“ auseinandergesetzt, sondern auch mit dem „Kunstliebhaber“, den ich auch gerne als post-modernen Cineasten/Kritiker bezeichnen möchte: „Für sie ist charakteristisch, dass sie einerseits die Regisseure als „Auteurs“ im Sinne der Filmtheorie wahrnehmen. Sie identifizieren den Film mit seinem Regisseur und versuchen dessen stilistische Signatur zu entziffern. Auf der anderen Seite beziehen sie die gesehenen Filme jedoch nicht nur auf Filme, sondern stellen auch intertextuelle Bezüge zu anderen kulturellen Texten und Praktiken her. In den Zombiefilmen von Romero spüren sie die implizite Zivilisationskritik auf, in Carpenters Halloween (1978) entdecken sie eine subtile, nihilistische Abhandlung über das Böse und in Evil Dead (1983) die Bezüge zum Dekonstruktivismus im Sinne Derridas.“ Diese Charakterisierung lässt sich auch mühelos auf die Filmtheorie und -kritik übertragen. Alle Beteiligten beliefern sich gegenseitig mit Deutungsangeboten, die gleich mehrere Prädikate mitsamt ihren Widersprüchen verdienen:
1. Post-moderne Cineasten/Kritiker und ihre Deutungsangebote sind einerseits durchaus plausibel und begründet. Sie reflektieren ihren hohen (cineastischen) Bildungstand, der sensibel die Zusammenhänge zwischen sozialer Wirklichkeit und ihrer Verarbeitung im Kino registriert,
2. Sie sind andererseits aber auch konstruktivistisch, projizierend und bewegen sich in einem hermetischen Milieu, das sie systematisch von den profanen Lesarten des Massenpublikums abschirmt – und damit auch das Massenpublikum von den Lesarten der Kritiker.
Damit befinden wir uns in einem Dilemma: teilweise erzeugen die Kritiker erst die Phänomene, die sie vorgeben erkannt zu haben, institutionalisieren die dazu gehörende Begrifflichkeit und geben sie als Tradition an neue Generationen von Cineasten/Kritikern weiter, andererseits erkennen wir, dass das Meiste davon nicht völlig willkürlich ist. Denn: Nutzt man ihre Codes, so setzen sich die Filme auf sehr intelligente Weise in unseren Köpfen neu zusammen. Verfügt man aber nicht über diese Medienkompetenz, entstehen andere, möglicherweise gefährlichere Lesarten der Gewaltdarstellung im Kino. Das Problem bleibt: Abusus non tollit usum. Richtig oder falsch?
Insgesamt können wir ein buntes, schillerndes Spiel von Wechselbeziehungen und Querverbindungen beobachten. Es ist natürlich ein schöpferischer Prozess, der auch durch die Filmemacher befeuert und in Gang gehalten wird, Filmemacher, die sich bereits den Deutungskanon der Kinotheoretiker angeeignet haben.
Über allem scheint aber nach wie vor das Ökonomische zu schweben, das eigentlich darauf besteht, völlig frei von ideengeschichtlichen Substraten zu sein und sie doch benötigt, um die ‚Ware Film’ an den Mann zu bringen. Wir können beobachten, dass der Markt über- und unterirdisch seine eigenen Gesetze erzeugt und eine Kinotheorie5, die all dies unter einen Hut bekommen möchte, müsste sich vielleicht vom bevorzugten Blick auf die ästhetisch herausragenden Genreexemplare lösen und ganz tief in die Nischen des Schmuddelkinos und seiner Rezipienten eintauchen, um herauszufinden, ob der Horror nicht vielleicht doch ganz eindeutigen Verwertungsinteressen folgt und ob wir nur einer Illusion erliegen, wenn wir uns von ihnen durch unsere cineastische Metaphorik befreien wollen.
Anmerkungen
1 Dazu gehören sicher auch die Bewertungskriterien der FSK und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), die – gelinde gesagt – gelegentlich doch sehr ambivalent sind.
2 Dieser Logik folgte zumindest ein Kritiker angesichts des sehr ambivalenten Rachedramas The Brave One (Die Fremde in dir). Der Rezensent reagierte allergisch auf die Intellektualität des Plots und empfahl das Ballerspektakel Death Sentence mit Kevin Bacon, da dieser Rachefilm doch "einfacher und ehrlicher sei".
3 Wobei am Rande darauf hingewiesen werden muss, dass die Freizügigkeit der Gewaltdarstellung im Kino mit dem Fortfall der amerikanischen Zensurbestimmungen (Hays Code) im Jahre 1968 begann.
4 Ein Jugendlicher, der den Film als Interview-Download gesehen hatte, bemerkte in einem Gespräch mit mir: "Da darf keiner raus oder rein. Wer’s trotzdem tut, der muss erschossen werden. Die sind selbst schuld."
5 Wobei man nur bedingt auf das fast vergessene und knochentrockene Handbuch wider das Kino (1975) von Günter Peter Straschek zurückgreifen kann, das in seiner Orthodoxie heute etwas befremdlich wirkt.
Literatur
Faulstich, Werner: "Der Spielfilm als Traum. Interpretationsbeispiel: George A. Romeros ZOMBIE.
In: medien + erziehung, 29. Jg., H. 4, 195-209.
Höltgen, Stefan: The Dead Walk, Institut für Germanistik, 2000.
Suchsland, Rüdiger: Die meisten werden gleich gefressen. Zombies ziehen eine Schleimspur durch das Herz der USA: "Planet Terror". In: Telepolis, 11.10.2007.
Winter, Rainer: Zwischen Kreativität und Vergnügen. Der Gebrauch des postmodernen Horrorfilms, Bis-verlag 2005.
Daniel Ammann: Killevipps
Apselut Spunk! Die große Astrid-Lindgren-CD-ROM. CD-ROM, Win 98/NT4.0/2000/ME/XP/Vista; Mac OS 9.2/OS X. Nach den Büchern von Astrid Lindgren. Hamburg: Oetinger, 2007, 19,95 €Anlässlich des 100. Geburtstages von Astrid Lindgren am 14. November 2007 hat der Oetinger Verlag unter anderem eine bunte Sammlung mit digitalen Spielen rund um Figuren aus dem Geschichtenuniversum der vielseitigen schwedischen Autorin herausgebracht. Apselut Spunk! stellt eine eher ungewohnte Form des Medienverbunds dar. Im Gegensatz zu den üblichen Bildschirmspielen vereinigt diese große Astrid-Lindgren-CD-ROM nämlich gleich sechs beliebte Charaktere auf einer Scheibe und greift Handlungselemente aus unterschiedlichen Werken auf. Bevor es interaktiv losgeht, werden die Autorin und ihre Familie in einem kurzen Intro vorgestellt. Auf einer großen Übersichtskarte erscheinen dann nach und nach die Villa Kunterbunt, der Hof Katthult oder das Stockholmer Vasaviertel.
An diesen berühmten Schauplätzen laden Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Madita, Lotta aus der Krachmacherstraße, Nils Karlsson-Däumling und Karlsson vom Dach Kinder ab etwa fünf Jahren zum Spielen ein. Jedes der über zwanzig Denk- und Geschicklichkeitsspiele erscheint anschließend als animiertes Bildmotiv auf der Landkarte und kann fortan direkt angewählt werden. Wer möchte nicht auch mal mit Michel lustige Streiche aushecken, mit Madita in finsterer Nacht nach Münzen graben oder mit Pippi die Polizisten zum Narren halten und in der Schule die Frau Lehrerin mit verrückten Wortkreationen auf den Arm nehmen? Außer den vier Spielen bei Karlsson vom Dach, die von der gleichnamigen CD-ROM aus dem Jahre 2005 übernommen werden und hier keinesfalls fehlen dürfen, handelt es sich um neue und durchweg originelle Spielideen, die auch Kindern bis zehn Jahre und darüber noch Spaß bereiten. Einen besonderen Reiz bieten auch auf dieser CD-ROM die Multiplayer-Spiele.
Im Autorennen bei Nils Karlsson-Däumling oder beim Brennball mit Madita können jeweils zwei Kinder gleichzeitig teilnehmen und im Wettbewerb verschiedene Figuren oder Teams steuern. Trotz kleiner Erzähleinschübe und amüsanter Dialogszenen bilden die Geschichten aus den zahlreichen Lindgren-Büchern nur den Hintergrund. Das digitale Spielemagazin bietet vor allem Gelegenheit, sich im Medienverbund auch am Computer mit den lieb gewonnenen Figuren zu beschäftigen und durch einen magischen Mausklick in die fiktionale Welt seiner Medienfreundinnen und -freunde und Fantasiegefährten einzutauchen. Man braucht – wie Bertil – nur „Killevipps“ zu sagen ... und schon schrumpft man auf Bildschirmgröße und darf als virtueller Däumling mitspielen.
Games Convention 2007
Mit 185.000 Besuchern ging die diesjährige Games Convention in Leipzig erneut mit einem Rekord zu Ende. Dass die wichtigste Spielemesse Europas auch in ihrer inzwischen sechsten Auflage weiter wächst, könnte vor allem als Be-leg dafür dienen, dass eine bestimmte Strategie der Spieleindustrie aufgeht: Computer- und Konsolen-Spiele sollen seit einigen Jahren neue Zielgruppen ansprechen. Sie sollen an den Mann, an die Frau, an Familien, an Jung und Alt gebracht werden.Die sogenannten Casual Games (vgl. Stichwort S. 3), Gelegenheitsspiele für den Massenmarkt, waren daher ein großes Thema auf der GC 2007. Vor allem die neue Generation von Spielkonsolen setzt in ihrem Software-Line-up zu einem nicht unerheblichen Teil auf familienfreundliche Titel. Es handelt sich dabei um Spiele, die oft erst richtig Spaß machen, wenn man nicht nur alleine vor der Konsole agiert, sondern zum Beispiel im Freundeskreis oder der Familie gegeneinander antritt. Vor dem Bildschirm wird in Zukunft also noch mehr und noch öfter zusammen gesungen, getanzt, musiziert, balanciert, mit den Armen gewedelt und auf Buzzer gedrückt – zumindest wenn es nach den Konsolen-Herstellern geht.
Sony beispielsweise setzt in diesem Bereich auf die Weiterentwicklung von etablierten Titeln wie EyeToy oder SingStar. Das Karaoke-Spiel, das aufgrund seiner vielfältigen Spielmodi als beliebter Partyspaß die Wohnzimmer eroberte, wird auf der neuen PlayStation 3 zusätzlich noch mit Online-Möglichkeiten ausgestattet. Einzelne Songs kann man bald also im sogenannten SingStore herunterladen und seine Sangeskünste auch in einer dazugehörigen Community präsentieren. Nintendo geht mit seiner erfolgreichen neuen Konsole Wii ähnliche Wege und verspricht zusätzlich zum Party- und Familienspaß auch noch körperliche Fitness. Das Spiel Wii Fit, das 2008 erstmals über die europäischen Ladentische gehen soll, steuert der bewegungswillige Spieler nämlich mehr oder weniger mit dem ganzen Körper. Die dazugehörige Fernbedienung nennt sich Balance Board; sie liegt auf dem Boden, sieht aus wie eine Körperwaage und überträgt präzise jede Verlagerung des Körpergewichts in sämtliche Richtungen. Virtuelles Skispringen oder Torwarttraining bekommt auf diese Weise ein ganz neu-es Spielgefühl genauso wie die virtuellen Hula-Hoop-Reifen, die dank Nintendo um unsere Hüften kreisen.Eines jedoch war bei all den innovativen Spielideen und neuen Zielgruppen auf der Games Convention 2007 nicht zu übersehen:
Der durchschnittliche GC-Besucher scheint doch immer noch männlich und vom Typ Hardcore-Gamer zu sein. Vielleicht kann auch er sich für den Spielspaß der Casual Games erwärmen. Sein Gamer-Herz schlägt aber vermutlich eher für Strategie, Kampf und Action in komplexen und möglichst realistischen Spielewelten. Dementsprechend bildeten sich die längsten Schlangen auf der diesjährigen Messe auch nach wie vor bei den Präsentationen der neuesten Sci-Fi- und Ego-Shooter, bei Echtzeitstrategie- und Adventure-Titeln, Fantasy-Rollenspielen und Racing-Games. Wohin geht nun der Trend bei dieser Art von Spielen? In der Gestaltung geht es eindeutig hin zu immer aufwändigerer, realistischer Grafik und einer intensiven Sound-Kulisse. Inhaltlich dagegen kann man vielleicht von einem gewissen Retro-Trend sprechen. Die Storys ähneln sich untereinander und in Bezug auf frühere Versionen. Man hat es mit unzähligen Fortsetzungen oder Add-ons für erfolgreiche ältere Titel zu tun: Grand Theft Auto, Silent Hill, World of Warcraft oder Need for Speed sind einige der Namen, die schon seit Jahren die Games Convention fest im Griff haben. Und unter den Protagonisten der kommenden Spiele werden einem auch wieder wohlbekannte Helden wie Spiderman, Luke Skywalker, Lara Croft oder sogar Mario und Sonic begegnen.
Ein Teil der Games Convention, der in den letzten Jahren mit der Messe mitgewachsen ist und 2007 eine ganze Halle füllte, ist die GC family. In diesem Bereich stehen Kinder- und Familien-Spiele, Edutainment und Medienkompetenz im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Spielend lernen und Spielen lernen“ wandte sich die GC family dieses Jahr an alle Eltern und Kinder aber auch speziell an interessierte Lehrerinnen und Lehrer. Studierende der Universität Leipzig boten in diesem Rahmen auch kostenlose und individuelle Führungen über die Games Convention an. Die Themen reichten dabei von Spiele Genres und alternativen Spielkonzepten bis hin zu E-Sports. Der Andrang bei diesen sehr kompetent geführten Messetouren war in diesem Jahr leider noch nicht sehr groß. Sollten die GC Guides auch 2008 wieder ihre Dienste anbieten, empfiehlt es sich auf jeden Fall für all diejenigen, die vielleicht weniger zielstrebig durch die Hallen marschieren oder Gefahr laufen, bei der Fülle an Ausstellern den Überblick zu verlieren, einmal am Info-Stand der GC family vorbeizukommen.
Kai Hanke: Bärenbude Klassenzauber
Täglich um 19.30 Uhr startet auf WDR 5 die Bärenbude. Ihre bunten Bewohnerinnen und Bewohner bieten vor allem Kindern ab dem bzw. im Vorschulalter ein eigenes Radioprogramm. Nicht zu kurz und nicht zu lang für die kindlichen Hörgewohnheiten gibt es kleine Geschichten und Hörspiele, Lieder, Gedichte, klingende Bilderbücher, Wissenswertes und natürlich viel zum Lachen. Jede Sendung ist dabei einem bestimmten Tagesthema gewidmet. Die Stars der Bärenbude sind Johannes und Stachel. Sie melden sich dreimal in der Woche zu Wort. Die beiden Kuschelbären nehmen die Mädchen und Jungen mit, wenn sie auf Abenteuerreise gehen, kleine und größere Geheimnisse erforschen und die Welt entdecken.Seit geraumer Zeit ist die Bärenbude jedoch nicht nur kreatives Radioprogramm für das ganz junge Publikum. Im November 2006 startete der WDR in Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum Rheinland eine Medienkompetenz-Initiative, in deren Rahmen Bärenbude Klassenzauber als zentrales Projekt für Kinder bis zur zweiten Klasse etabliert wurde. Um die Grundschülerinnen und -schüler fürs Zuhören zu sensibilisieren und erste Radiokompetenzen zu fördern, besuchen die Lieblinge aus der Bärenbude Schulen und veranstalten mit den Kindern im Rahmen des klassenzauberhaften Programms Hör- und Geräuschspiele.
Bislang allerdings werden lediglich Schulen in NRW besucht. Geheimnisvolle Wundermusik zum Mitmachen, schöne Klanggeschichten und natürlich die Kuschelbären Johannes und Stachel sorgen bei den einstündigen Auftritten für Stimmung und Aktion. Lehrerinnen und Lehrer erhalten im Vorfeld eine Projektmappe mit Ideen für die Bearbeitung des Themas Radio im Unterricht bzw. im Kindergarten sowie eine CD mit den Liedern und Stücken aus der Bärenbude, so dass sie die Besuche der Bärenbude vorbereiten und nachbereiten können. Ein entsprechendes Spielheft für die Kinder soll einen kreativen Umgang mit dem Radio ermöglichen, eine Broschüre für die Eltern informiert über das Projekt und gibt Tipps für das gemeinsame Radiohören.Bärenbude Klassenzauber kann mit dieser Verbindung von etabliertem Radioprogramm und der aktiven pädagogischen Arbeit vor Ort, in den Schulen und Kindergärten, als gelungenes Modell für erste Ansätze von medienpädagogischen Projekten in der Schule angesehen werden. Dass der WDR davon imagetechnisch profitieren könnte, muss in Anbetracht der Qualität der Bärenbude kaum Empörung hervorrufen – im Gegenteil, vielleicht macht ja bald nicht nur der WDR im wahrsten Sinne des Wortes Schule.
Kai Hanke: Harry Potter crossmedial
Harry Potter und der Orden des Phönix. Electronic Arts/System: PC, Windows XP/Genre: Action-Adventure/deutsche Version/USK: 12/Vollversion 39,95 €Die mehrfache und crossmediale Vermarktung von Inhalten gehört schon seit geraumer Zeit zu den Standardstrategien der Spiel- und Filmindustrie. Besonders die Spielehersteller konnten von dieser Entwicklung profitieren. Mittlerweile sind sie mit ihren Umsätzen an der Filmindustrie vorbeigezogen. Medienereignisse wie die Buchveröffentlichung des letzten Harry Potter-Bandes veranschaulichen dabei, wie Medienkonvergenz den Markt für Unterhaltungsgüter prägt: Die einzelnen Produkte nehmen oftmals Bezug aufeinander und verweisen auf weiterführende Komponenten im crossmedialen Mix. Das PC-Spiel zum Buch beispielsweise liefert Hintergrundgeschichten der Protagonisten oder versteckte Dokumentationen zum Making-of des Films. Wenigstens bei Kindern und Jugendlichen gehört Harry Potter in diesem Sinne ohne Zweifel zu den beliebtesten konvergenten Inhalten. Entsprechend umfasst die Bandbreite von Angeboten alles, was das Herz begehrt oder begehren soll. Neben der Romanvorlage und den Kinofilmen ist eine Fülle von Merchandising-Artikeln, Musik, Postern und Software für PC, Spielkonsolen und Mobilfunk auf dem Markt. Öffentlichkeit und damit Werbung stellen die Produkte wechselseitig füreinander her – die Pottermania ist kein Zufall.Auch das PC-Spiel Harry Potter und der Orden des Phönix ist also nur eine Komponente im Ensemble dieser Angebote. Es entfaltet seine Magie erst im Zusammenspiel der Erfahrungen mit Buch, Film und anderen Harry Potter-Angeboten.
Das Spiel greift daher grundsätzlich die Story des Buches auf, wenn auch – wie im Film – Verkürzungen notwendig sind: Harry tritt sein fünftes Jahr in Hogwarts an, muss allerdings schnell feststellen, dass die meisten seiner Mitschülerinnen und -schüler sowie ein Großteil des magischen Kollegiums die Wahrheit über seine letzte Begegnung mit Lord Voldemort nicht hören möchten. Das neue Schuljahr wird zusätzlich durch die neue Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste erschwert. Da nämlich die so ungeheuer unsympathische neue Lehrerin Dolores Umbridge, die Dumbledore und seine Schützlinge im Auge behalten soll, den vom Ministerium anerkannten Lehrplan für defensive Zauberei strikt einhält, werden die jungen Magierinnen und Magier nicht auf die drohenden Gefahren durch die dunkle Magie des bösen Zauberers Voldemort vorbereitet. Doch mithilfe seiner Freunde Hermine und Ron baut Harry eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern zu Dumbledores Armee auf. Dort lernen sie, wie man sich gegen die dunklen Künste verteidigt. Und bevor alle Rätsel auf Hogwarts gelöst sind und es zum Showdown mit Voldemort und den Todessern im Ministerium für Zauberei kommt, gibt es noch viel zu üben für die jungen, aber dennoch umso mutigeren Zauberinnen und Zauberer.Das Spiel besticht vor allem durch seine Nähe zum Film.
Besonders die großartigen Animationen und die relativ detailgetreue Gestaltung der Personen beeindrucken. Dazu kommt eine ausgefeilte Sound- und Musikkulisse, die durchaus mit der Kinoerfahrung mithalten kann. Das Spiel bietet zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten mit allem und jedem auf Hogwarts und lässt der Spielerin oder dem Spieler durch das nichtlineare Gameplay genug Zeit für Erkundungsreisen. Auch das auf Gesten basierende Zaubersystem ermöglicht ein Spielerlebnis, das weit über ein passives Miterleben hinausgeht: Wer mit dem Zauberstab (der Maus) fuchtelnd durch die Gänge und Kammern des Zauberschlosses rennt, sollte sich zwar nicht von geistig gesunden Mitmenschen beobachten lassen, aber einen Riesenspaß macht das allemal. Spätestens hier empfiehlt sich das Spiel auch wärmstens für eine Erprobung auf der bewegungsintensiveren Wii-Konsole. Kleine Schwächen zeigen sich trotz allem. Für ein Action-Adventure bieten die Story und die einzelnen Aufgaben relativ wenig Aufregung und Nervenkitzel. Oftmals werden die Lösungen nur durch intensives Herumirren und mühsames Suchen erreicht. Erschwert wird der Spielspaß zudem durch eine eher schwierige Steuerung, die wenigstens gewöhnungsbedürftig, wenn nicht sogar hinderlich ist. Für Potter-Fans bietet das Spiel jedoch genug Spaß, um über diese Hürden nicht zu stolpern – zumal als Belohnung für die erfolgreichen Entdeckungstouren durch Hogwarts interessante Einblicke hinter die Kulissen der Spiel- und Filmproduktion geboten werden, bislang unveröffentlichte kleine Dokumentationen und Interviews mit den Stars und Machern.
Im Hinblick auf medienkonvergente Inhalte und crossmediales Marketing lässt sich allerdings auch beim fünften Harry Potter-Adventure eines festhalten: Mögliche Einsparungen beim Werbeaufwand auf Seiten von EA und Warner Bros. Interactive Entertainment scheinen sich noch nicht verbraucherfreundlich in den Produktpreisen niederzuschlagen. Rund 40 Euro sind eine Menge Geld und sollten nicht leichtfertig investiert werden. Vor dem Kauf empfiehlt sich daher ein erster Test der Demo-Version. Für eingefleischte Potter-Fans allerdings besteht hier weniger Risiko, für sie hält Harry Potter und der Orden des Phönix eine im wahrsten Sinne des Wortes sagenhafte Spielwiese bereit.
Kai Hanke: Ratatouille
Mit Ratatouille erscheint der mittlerweile achte Kinofilm aus dem Hause Pixar, von kleinen wie großen Fans lange und gespannt erwartet. Doch – vorweg gesagt – Ratatouille ist nicht Babel. Wer aufwühlendes, intellektuelles Kino sucht, kann getrost zu Hause bleiben. Allen aber, die in Zeiten des politisierten Kommerzes nicht auf sinnige Mainstream-Unterhaltung verzichten möchten, sei versichert: Ratatouille fetzt.Der Film erzählt die Geschichte von Remy, einer sympathischen Ratte, die eigentlich nur in zweiter Linie Ratte ist. In erster Linie ist Remy ein begnadeter Koch, hochsensibel in der Wahrnehmung von Geschmack und Gerüchen, virtuos und fantasievoll in der Kombination von Zutaten aller Art. Als Ratte jedoch hat er seine Leidenschaft nicht nur gegen die Ignoranz seiner Artgenossen zu verteidigen („Wenn man erst mal gelernt hat, den Brechreiz zu kontrollieren, kann man eigentlich alles essen!“). Vor allem eins steht ihm im Wege: die Tatsache, dass es sich bei Gourmetküchen, dem angemessenen Platz für einen genialen Künstler wie ihn, gemeinhin um eine eher nagetierfeindliche Umwelt handelt. Allein sein imaginärer Freund, der Geist des 5-Sterne-Kochs Auguste Gusteau, vermag Remys Talent zu würdigen und ihn zu ermutigen, seinem Traum näher zu kommen. Und tatsächlich verschlägt es Remy aufgrund eines unglücklichen Zufalls in die große Stadt Paris. Dort beobachtet er aus nächster Nähe den Betrieb in Gusteaus ehemaligem Restaurant, in dem nach dessen Tod der schräg-fiese Küchenchef Skinner die Leitung übernommen hat. Als Remy Zeuge wird, wie der gänzlich untalentierte Küchenjunge Linguini eine Suppe verschüttet und erfolglos nachkochen möchte, kann sich Remy nicht zurückhalten: Allen Gefahren zum Trotz ergreift er die Chance, die Suppe mit seinen eigenen Kochkünsten zu retten – und wird prompt von Linguini dabei ertappt – eine im wahrsten Sinne des Wortes köstliche Szene. Nachdem die Suppe, von der alle annehmen, Linguini hätte sie zubereitet, ein voller Erfolg wird, verdammt Chefkoch Skinner Linguini dazu, die Suppe erneut zu kochen. Zwischenzeitlich jedoch ist Remy entdeckt worden und soll als Ungeziefer im Fluss entsorgt werden.
Der gutherzige Linguini bringt es nicht übers Herz, den kleinen Nager zu ertränken. Dabei findet er heraus, dass Remy ihn nicht nur zu verstehen vermag, sondern ihm auch helfen muss, die Suppe noch einmal zuzubereiten. Die beiden bilden eine überaus komische künstlerische Symbiose, die es Remy ermöglicht, endlich seinen Traum vom Kochen zu realisieren. Und Linguini hat Hoffnung, seinen Job im Restaurant behalten zu können. Mit der Freundschaft der beiden beginnt eine Reihe von abenteuerlichen Entwicklungen, rund um Streit, Liebe und ein Chaos aberwitziger Ereignisse. Letztlich droht Remys und Linguinis Geheimnis aufzufliegen und dadurch das komplette Restaurant in den Untergang zu treiben.Hier wird kein Genre neu erfunden, es warten keine unkonventionelle Dramaturgie oder besonders ungewöhnliche Themen. Und trotzdem – irgendwie verzaubert der Film. Vielleicht ist eine Voraussetzung, dass man sich den Film zusammen mit Kindern ansehen sollte. Dass man deren Begeisterung erlebt, sich zu eigen macht und darüber hinaus noch den für Pixar so typischen, sich der kindlichen Rezeption oftmals verschließenden feinsinnigen, subtilen Humor und die so vielfältigen Anspielungen genießen kann. Vielleicht muss man der Typ dafür sein. Jedenfalls hält der Film ein ungeheures Unterhaltungspotenzial für das breite Publikum bereit. Mit vielfältigen und virtuosen Anleihen bei anderen Genres – sei es Musical, Slapstick-Comedy, Drama, Liebesfilm oder Coming-of-Age Film – gelingt es Regisseur Brad Bird und seinen liebenswerten Charakteren, doch eher abgedroschene emotionale Keulen-Themen wie Familie, Freundschaft und den Glauben an sich selbst sympathisch zu reinszenieren.
Bird, bekannt geworden durch seinen Vorgängerfilm The Incredibles – Die Unglaublichen will seinen Film als Adaption klassischer, physischer Comedy à la Buster Keaton verstanden wissen, die bekanntlich eine poetische Tiefe besitzt, die weit über Unterhaltung hinausgeht. Es ist der französierte, durch eine ironisch-romantisierende Pariskulisse untermalte American Dream: Jeder kann es schaffen, jeder kann seine Träume erfüllen. Und doch ist diese so ideologisch problematische, politisch besänftigende Message irgendwie reflektierend verpackt. Es geht Bird mehr um Selbstverwirklichung als um das große Heldentum. Es geht ihm nicht einfach um Ehrgeiz und Talent, sondern vor allem um Freundschaft, Vertrauen und Verantwortung, um die Voraussetzungen für gelebte Träume. Darüber hinaus ist der Film natürlich für das Animationsgenre pixar-typisch hoch innovativ. Die Animationen wurden erneut perfektioniert. Wasser, Fell, Bewegungen wirken so realistisch wie nie zuvor. Der Film strotzt vor originellen, trotzdem stets stimmigen Einstellungen und besonders die Actionszenen beeindrucken durch rasante Kamerafahrten und mitreißenden Schnitt. Ratatouille gelingt darüber hinaus eine wunderbare Mischung aus realistischer Animation der Charaktere (Textur, Motorik) und einer zugleich auf die Spitze getriebenen trickfilmtypischen Vermenschlichung der Tiere (Mimik, Gestik etc.) und Stilisierung der menschlichen Charaktere. Allein für die Figur von Remy wurden 160 individuelle Mimiken kreiert. Und was die urkomischen Charaktere angeht, so sind vor allem die beiden „Bösewichter“, der fiese Küchenchef Skinner sowie der sadistisch-deprimierte Restaurantkritiker Ego, zu erwähnen.
Der Film überrascht zudem durch eine Fülle feinsinnig-witziger Dialoge (besonders zwischen Remy und seinem Alter Ego Gusteau) und die ausgesprochen sinnliche Einbettung der Geschichte in die Magie der Kochkunst. Seien es die detailreichen Leckereien im Restaurant, die minutiösen Studien der Zubereitung von Gerichten oder die bisher ungesehenen Darstellungen von Remys synästhetischen Wahrnehmungen beim Kosten und Komponieren von diesem und jenem Geschmack. Für Freundinnen und Freunde des Kochens ein großer Genuss.Einmal davon abgesehen, dass alle, die Ratatouille gesehen und die pathetische Ansprache des griesgrämigen und doch weitsichtigen Ego gehört haben, verstehen werden, wenn der Film von Kritikerinnen und Kritikern nicht unbefangen besprochen werden kann – da ist schon ein schönes Stück Kino entstanden. Der zweite Pixar-Spielfilm von Regisseur Brad Bird beeindruckt filmtechnisch, hat mehr kulturelle Tiefe als Findet Nemo und ist um vieles poetischer als Die Unglaublichen. Und auch wenn die Zutaten zu diesem Familien-Menü mehr oder weniger klassisch sind, man hat doch irgendwie den Eindruck, Neues zu sehen. Alles in allem ist Ratatouille definitiver Oscar-Kandidat, was in diesem Falle viel über den Film aussagt. Die Euphorie sei an dieser Stelle verziehen. Es ist Zeit, erwachsen zu werden.
Lidia de Reese: Die drei ??? und das Geheimnis der Geisterinsel
Nach 43 Jahren klären Die drei ??? nun auch im Kino ungelöste Fälle auf. Als Auftakt der Ermittlungen von Justus, Peter und Bob auf der Leinwand wurde der Klassiker Die drei ??? und die Geisterinsel (im Original The Secret of Skeleton Island) adaptiert, allerdings mit erheblichen Unterschieden zur Romanvorlage. So ist beispielsweise die Drehortverlagerung nach Südafrika wirtschaftlichen und logistischen Entscheidungen geschuldet. Die allseits bekannte Mischung aus Krimi, Abenteuer und Mystery bleibt aber erhalten: Nachdem der letzte Auftrag unter Lebensgefahr erfolgreich ausgeführt wurde, lechzen die drei Detektive nach Erholung, die sogar Anführer Justus (Chancellor Miller) befürwortet. Gerade zum richtigen Zeitpunkt erfolgt daher die Einladung von Peters Vater zum Kap der Guten Hoffnung, wo der Architekt für die reiche Miss Wilbur (Fiona Ramsay) einen Vergnügungspark auf der Geisterinsel errichten soll. Als gleich nach ihrer Ankunft ein mysteriöses Tier einen Anschlag auf die Bauherrin verübt, wittern die drei Jungen einen neuen Fall. Hinweise liefert einzig der Eingeborene Gamba (Akino Omotoso), der in einer Warnung dazu auffordert, die Insel zu verlassen, und, des Angriffs auf Miss Wilbur beschuldigt, bei seiner Festnahme „Findet Gnade!“ ausruft. Mit dem Ziel, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen, sucht seine hübsche Tochter Chris (Naima Sebe) daraufhin Justus, Bob und Peter auf.
In den Trümmern von Chris’ zerstörter Hütte finden sie ein Gemälde, welches Gambas Hinweis einzuordnen hilft: Es zeigt die Prinzessin des Stammes der Xhosa, deren Name übersetzt „Gnade“ bedeutet. Der zugehörige zweite Teil des Gemäldes fehlt jedoch. Fündig werden die drei Detektive bei der Durchsuchung von Miss Wilburs Anwesen. Das passende Gegenstück zeigt deren Vorfahren Sir Horatio Wilbur als Geliebten der Prinzessin. Nun wird klar, warum jemand verhindern will, dass die Geisterinsel und die Grabstätte Sir Wilburs betreten werden. Der Legende nach liegt nämlich die Krone des Stammes der Xhosa im Grab des heimlichen Geliebten.Die actionreiche Inszenierung, zum Beispiel die Hangglider-Verfolgung durch Kapstadt, mag manchem erwachsenen Kinogänger bisweilen zu übertrieben vorkommen. Jedoch werden das spannende, durchaus witzige Endergebnis und die überzeugenden Jungdarstellerinnen und -darsteller sicher viele Kinder und Familien in ihren Bann ziehen.
Die historische Liebesgeschichte zwischen der Stammesprinzessin und dem weißen Sir Wilbur sowie die Zuneigung zwischen Chris und Justus bieten zudem Gelegenheit, ein friedliches und respektvolles Zusammenleben Menschen verschiedener Kultur zu postulieren, ein Ansatz der den Romanvorlagen von Robert Arthur entspringt. Die internationale Bekanntheit der Marke Die drei ??? und die vielfachen Möglichkeiten der Weitervermarktung reizte Studio Hamburg International zur Umsetzung des Projekts. Aus diesem Grund wurde der Film unter der Regie des deutschen Florian Baxmeyer von vornherein in englischer Sprache gedreht. Eine Fortsetzung ist bereits in Planung, sodass weitere Kino-Ermittlungen der Detektive nicht lange auf sich warten lassen werden.
Stefan Sailer: Persepolis
Basierend auf der gleichnamigen vierteiligen Comic-Reihe erzählt der Animationsfilm Persepolis die Lebensgeschichte der in Teheran geborenen Marjane Satrapi. Die Comicvorlage wurde von Marjane Satrapi selbst gezeichnet und steht in der Tradition von Art Spiegelmans Maus. Gemeinsam mit Vincent Paronnaud hat sie die Comicvorlage für den Film überarbeitet und umgesetzt. Der Film, der sich an ein erwachsenes Publikum richtet, ist überwiegend in schwarz-weiß und in 2D-Optik dargestellt.Ausgangspunkt der Geschichte ist der Flughafen Orly, an dem Marjane, geplagt von Heimweh, am Schalter steht, um ihre zweite Heimat Frankreich zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Unter Tränen besinnt sie sich, bleibt doch in Frankreich und blickt auf einer Bank sitzend auf ihren bisherigen Lebensweg zurück.Ihre Erinnerung setzt ein, wie sie, als achtjähriges Kind, den Übergang von der Regierung des Schahs zur Islamischen Republik miterlebt.
Ihre Familie, gebildet und engagiert im Kampf für die Verbesserung der Gesellschaft, setzt große Hoffnungen in die Islamische Revolution, wird jedoch enttäuscht und muss den Aufbau des Gottesstaates und damit verbundene Einschränkungen der Menschenrechte miterleben. Willkürliche Einweisungen Oppositioneller in Gefängnisse und die Vorschrift für Frauen, ein Kopftuch zu tragen, bestimmen fortan das Bild in Iran. Marjane widersetzt sich den rigiden Vorschriften und beginnt, sich für Bruce Lee, Iron Maiden und Punk zu interessieren. Jedoch bringt sie sich und ihre Familie dadurch immer wieder in Schwierigkeiten. Ihre spielerische und kindlich-naive Auflehnung sowie der beginnende Krieg zwischen Iran und Irak veranlassen die Familie, sie ins Ausland nach Wien zu schicken.
Dort findet sie Anschluss an die Punkszene, lebt unter anderen Außenseitern, macht erste Erfahrungen mit Jungs und wird mit ihrer iranischen Herkunft konfrontiert. Von Liebeskummer geplagt kehrt sie zurück zu ihrer Familie. Gestärkt durch ihr altes Umfeld beginnt sie ein Studium, heiratet und verlebt eine Zeit die trotz widriger Umstände von dem Willen zu Spaß und Lebensfreude geprägt ist. Doch inzwischen haben die Mullahs ihren rigiden Gottesstaat weiter gefestigt, worunter vor allem Frauen, die ständig von den Revolutionsgarden wegen ihres Fehlverhaltens und ihres unpassenden Kopfschmucks belästigt werden, zu leiden haben. Und so erkennt Marjane, diesmal aus freien Stücken, dass sie in ihrer geliebten Heimat keine Zukunft hat. Trotz der Tragik und Ernsthaftigkeit der Geschichte, verliert sich der Film nicht in endloser Tristesse oder gar Depression, sondern überzeugt ebenso durch Leichtigkeit, Witz und eine gehörige Portion Selbstironie. Persepolis zeigt dadurch, dass die Vermittlung komplexer und schwerer Inhalte auf humorvollem und unterhaltsamem Wege gelingen kann. Humor wird von Marjane Satrapi bewusst eingesetzt, um Widerstand auszudrücken, denn wie sie selbst sagt, ist „Gelächter immer noch die subversivste Waffe von allen.
“Unterlegt wird der Film mit einem perfekt auf die einzelnen Szenen abgestimmten Soundtrack, der die Stimmungen der Charaktere widerspiegelt und es so ermöglicht, sich leicht in die Gefühlslagen der Charaktere hinein zu versetzen. Dass Persepolis ein Film mit brisantem politischem Inhalt ist, zeigt sich darin, dass eine dem Iran nahestehende Produktionsfirma sich für ein Vorführverbot auf den Filmfestspielen in Cannes ausgesprochen hat, da er die Auswirkungen der islamischen Revolution nicht würdigt.Persepolis ist ein durchweg fesselnder Film, der einen Abriss der jüngeren Geschichte Persiens, eine Geschichte über Liebe und Identitätsfindung, über Leben im Exil, Würde und Selbstbewahrung bietet. Und so verwundert es nicht, dass Persepolis auf den Filmfestspielen in Cannes mit dem „Preis der Jury“ und vor allem dem längsten Applaus ausgezeichnet wurde.
Tilmann P. Gangloff: Große Straße? Sackgasse!
Pokern lag auch schon vor Casino Royale bei Jugendlichen voll im Trend, aber der letzte James-Bond-Film hat für einen regelrechten Boom gesorgt. Preiswerte Poker-Sets beim Discounter sind im Nu ausverkauft, Online-Adressen für Pokerspiele erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Auch im Fernsehen werden seit einiger Zeit regelmäßig internationale Poker-Wettbewerbe gezeigt. Sportsender DSF zum Beispiel (Marktanteil 2006: 1,9 Prozent bei den 14- bis 49-Jäh-rigen) stieß mit Hilfe des live aus Monte Carlo übertragenen Turniers Poker Invitational sogar in die Zweistelligkeit vor (12,3 Prozent). Eigentlich erstaunlich, dass angesichts der Aufregung des letzten Jahres um die Sportwettenanbieter der TV-Poker bislang unbeanstandet geblieben ist; Glücksspiel ist schließlich Glücksspiel. Irrtum, sagen die Anbieter, denn die sind der Meinung, Poker habe durchaus mit Intelligenz zu tun. Das sieht man bei den Landesmedienanstalten zwar anders, aber rechtlich waren den Ordnungshütern offenbar die Hände gebunden. Jetzt probieren sie’s auf einem anderen Weg: DSF und Das Vierte haben offizielle Beanstandungen erhalten. Darin geht es nicht um die Glücksspielfrage, sondern um mögliche Verstöße gegen Werberichtlinien. Tatsächlich betreiben die Poker-Sendungen so etwas wie Dauerwerbung. Beim DSF zum Beispiel war bis zuletzt in den morgens zwischen sechs und acht Uhr gezeigten Sendungen ein Hinweis auf den Internet-Poker-Anbieter Party-poker.net permanent präsent, weil das entsprechende Logo den Spieltisch schmückte.
Wann immer der Geber seine Karten aufdeckte, platzierte er sie sorgfältig unter dem Schriftzug. Der Sender könnte sich zwar damit rausreden, dass es sich um „vorgefundene Werbung“ handle, auf die man keinen Einfluss habe (vergleichbar mit der Bandenwerbung in Fußballstadien); trotzdem hält man bei der Gemeinsamen Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz (GSPWM), angesiedelt bei der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien (LfM), „die Anzahl der Placements für frappierend“. Neben dem Verdacht der Schleichwerbung kritisiert die GSPWM, dass die Sponsoren von Sendungen dieser Art regelmäßig auch innerhalb der Formate Reklame schalteten. Das ist zwar mittlerweile gang und gäbe, formell in Deutschland aber nach wie vor untersagt. Ohnehin, resümiert ein Mitglied der Gemeinsamen Stelle, existierten diese Sendungen offenbar überhaupt nur aus einem Grund: um Reklame für Internet-Pokerangebote wie Pokerstars oder Partypoker zu machen.
Die Medienaufsicht erledigt mit ihren Beanstandungen, die wegen des Präzedenzcharakters der Angelegenheit nicht mit Bußgeldern verbunden sind, zwei Fliegen mit einer Klappe. Man sieht in Reklame dieser Art nicht nur eine Suchtgefahr, sondern auch eine gewisse Jugendgefährdung. Das Gratisangebot Partypoker.net zum Beispiel bezeichnet sich zwar als Pokerschule, bei der nur Spielgeld eingesetzt wird, doch bei Partypoker. com, nach Angaben des Veranstalters der „weltgrößte Online-Pokerraum“, geht es um Cash. Dort ist die Teilnahme erst ab 18 erlaubt, die Bezahlung erfolgt via Kreditkarte. Bei Pokerstars (de/com) verhält es sich ganz ähnlich. Nach Ansicht der LfM sind die Gratis-Websites nur „ein Lockvogelangebot für die Bezahlplattform: Sobald man sich registriert hat, kommt kurz drauf auch die Einladung für die kostenpflichtige Website“.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Tilmann P. Gangloff: Sind Sie personensorgeberechtigt?
Du bist elf Jahre alt und Harry-Potter-Fan. Du kennst alle Bücher, du träumst davon, Lord Voldemort zu besiegen, und an Karneval warst du selbstverständlich als Zauberer verkleidet. Im Juli ist „Harry Potter und der Orden des Phönix“ in die Kinos gekommen, und nichts auf der Welt kann dich davon abhalten, ins Kino zu gehen. Schon allein aus Gründen des Prestiges. Und wenn der Film auch erst ab zwölf Jahren freigegeben ist, das ist zum Glück kein Problem mehr: Dein Vater ist auch Harry-Potter-Fan, der kommt garantiert mit, dann darfst du auch rein, denn klugerweise wurde vor einigen Jahren in Deutschland die „PG“-Regelung eingeführt. Zwar weiß selbst in den Kinos kaum jemand, wofür die Abkürzung steht („Parental Guidance“), aber wichtiger ist ja auch, was sie bedeutet: In Begleitung ihrer Eltern können Kinder ab sechs Jahren auch Filme anschauen, die eine Zwölfer-Freigabe haben. Da sich Juristen aber offenbar einen Spaß draus machen, Gesetzestexte so zu verfassen, dass sie außer ihnen keiner versteht, liest sich das im Jugendschutzgesetz so: „… darf die Anwesenheit bei öffentlichen Filmveranstaltungen mit Filmen, die für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren freigegeben sind, auch Kindern ab 6 Jahren gestattet werden, wenn sie von einer personensorgeberechtigen Person begleitet sind“.
Natürlich fragt man sich, was um Himmels Willen denn eine „personensorgeberechtigte Person“ sei und warum man nicht gleich „Eltern“ geschrieben habe. Die Einführung der „PG“-Kennzeichnung ist also ganz vernünftig, hat aber einen gravierenden Nachteil: Sie macht die Ausnahme zur Regel. „PG“ ist ohne Frage sinnvoll, wenn die Jugendschützer der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die für die Altersfreigaben zuständig sind, bei ihrer Entscheidung zwischen den Kennzeichnungen „ab 6“ oder „ab 12“ geschwankt haben. Das gilt zum Beispiel für Filmreihen wie „Harry Potter“ oder „Star Wars“. Andere Filme aber hätten bei veränderter Zusammensetzung des Prüfausschusses vielleicht eine Freigabe ab 16 Jahren bekommen; „Casino Royale“ zum Beispiel, der jüngste James-Bond-Film, ist völlig zu Recht erst ab zwölf freigegeben. In diesen Fällen erweist sich die Modifizierung der Freigaberegelung als kontraproduktiv.
Der Erziehungswissenschaftler Stefan Aufenanger (Universität Mainz) fordert daher, „dass nicht prinzipiell alle Filme für Kinder mit Elternbegleitung möglich sind“. Sinnvoller wäre eine Einschränkung der Regelung: „So bekommen Eltern deutlichere Hinweise, welche Filme für solche Fälle geeignet sind und welche nicht.“ Das scheint in der Tat auch nötig. Kinomitarbeiter wissen von Eltern zu berichten, die sich, verängstigte und blasse Kinder an der Hand, bitter beschwert hätten: Sie haben die Freigabe als Empfehlung begriffen, ein altes Missverständnis, das die FSK seit Jahrzehnten vergeblich aus der Welt zu räumen versucht. Grundsätzlich hat sich die „PG“-Regelung jedoch bewährt. Sie steht allerdings auf dem Prüfstand: Bis Ende nächsten Jahres muss der Gesetzgeber entscheiden, ob das bis dahin bloß vorläufig gültige Gesetz festgeschrieben wird. Um die Akzeptanz der Novellierung zu überprüfen, hat die FSK eine Umfrage bei Kinobetreibern durchgeführt. Die Mehrheit der Befragten begrüßte die „PG“-Regelung. Die Kinomitarbeiter gaben zudem an, es komme weitaus seltener zur Diskussionen mit Eltern als früher. Allerdings wurde eine Einschränkung der Regel gefordert: Bestimmte Filme mit Zwölferfreigabe sollten nur ohne den „PG“-Zusatz freigegeben werden.
Darüber hinaus sollten alle erwachsenen Begleitpersonen die „PG“-Regelung in Anspruch nehmen können. Angesichts von immer mehr „Patchwork“-Familien mit verschiedenen Nachnamen aber ist den Kartenverkäuferinnen und -verkäufern kaum zuzumuten, ganze Stammbäume zu durchforsten.Was nun noch fehlt, ist eine zentrale Instanz, an die sich Eltern wenden können, wenn sie nicht sicher sind, ob ein Film für ihre Kinder geeignet ist. Noch einfacher wäre es, einen Film wie in den USA gleich auch mit einer Empfehlung („consumer advice“) zu versehen. Das wäre doch, finden Jugendschützer und Kinobetreiber, ein Job für die FSK, schließlich sichte sie die Filme ohnehin. Davon aber will Folker Hönge, Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK, nichts wissen: „Wir prüfen, ob ein Film beeinträchtigend ist. Pädagogische Empfehlungen sind nicht unsere Aufgabe. Die Diskussionen in den Ausschüssen müssten dann ganz anders laufen und würden noch längern dauern“.
Auch Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Hönges Vorgänger bei der FSK, findet zwar, die FSK könne den Verbraucher-Tipp formulieren, weiß aber auch, wie diffizil dies wäre. Schließlich ist die FSK eine Einrichtung der Filmwirtschaft, „und von der kann man kaum erwarten, dass sie vom Besuch eines Films abrät“. Von Gottberg hat ohnehin eine ganz andere Vision vom Jugendschutz: Langfristig möchte er die regulierten Zugänge am liebsten abschaffen und den Empfehlungscharakter in den Vordergrund stellen. Seine Kritik: „Die derzeitigen Freigabekriterien scheren Millionen von Kindern über einen Kamm“. Dabei sei „entwicklungspsychologisch längst erwiesen, dass Bildungsorientierung, individuelle Entwicklung und das Geschlecht viel entscheidender für den Reifegrad eine Kindes sind als das Alter“. Der Medienwissenschaftler Lothar Mikos (HFF Potsdam) kritisiert zudem, die Spanne zwischen sechs und zwölf bei den Altersfreigaben sei viel zu groß: „Ich plädiere schon seit langem für die Alterstufen sechs, neun, zwölf und 16. 18 sollte ganz abgeschafft werden, weil Jugendliche heute eine ungleich besser Mediensozialisation aufweisen als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Wer mit 16 heiraten darf, sollte auch alle Filme seiner Wahl sehen dürfen“.
Im europäischen Ausland gibt es zum Teil liberalere Regelungen. So gilt in Dänemark die „PG“-Ausnahme grundsätzlich: In Begleitung ihrer Eltern dürfen Vorschulkinder in Filme ab sechs, Zehnjährige in Filme ab zwölf, 13-Jährige in Filme ab 16. Von Gottberg weiß, dass dabei auch Missbrauch getrieben wird, doch das gelte für den täglichen TV-Konsum genauso: „Kein Elfjähriger macht den Fernseher aus, nur weil es 20 Uhr ist“. Die FSF orientiert sich an den FSK-Kennzeichnungen: Kinofilme ab zwölf dürfen die Fernsehsender grundsätzlich erst nach 20 Uhr zeigen, Ausnahmen müssen bei der FSF beantragt werden. Eine Kennzeichnung mit „ab 12PG“ oder auch „ab 12BE“ („in Begleitung Erwachsener“) wäre für die Arbeit der FSF äußerst hilfreich, solche Filme könnten dann auch eher im Tagesprogramm eingesetzt werden. Hat die FSK das „BE“ nicht erteilt, dürfte ein Sender den Film auch erst nach 20 Uhr ausstrahlen.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Andrea Koch und Pertra Baumgartner: Parallelwelten auf dem Vormarsch
Die Sims 2. Vier Jahreszeiten. ErweiterungspackWindows 98/2000/ME/XP/Electronic Arts, Pentium III 1.3 GHz, 256 MB RAM Direct X 9,09 kompatible Grafikkarte mit mind. 32 MB. Festplattenbedarf 1,5 GB; USK: ohne Altersbeschränkung; 25 €
Seit mehreren Jahren begeistert die Simulation
Die Sims 2 Spielende fast jeden Alters. Sie bauen Häuser, ziehen mit der Familie dort ein, kaufen Möbel und kümmern sich mehr oder weniger liebevoll um jedes einzelne Familienmitglied. Aufgrund des Erfolges wurde die Welt der Sims durch mehrere Add-Ons ständig ausgebaut. Neuerdings gibt es das Erweiterungspaket Vier Jahreszeiten. Der neueste Zusatz bereichert die Sims-Welt um alle Facetten des Wetters. Egal ob Sommer oder Winter, die einzelnen Jahresabschnitte wirken sich auf die Gemütsverfassung der Sims aus und eröffnen zudem neue Aktionsmöglichkeiten. Die Spielenden erwarten den Jahreszeiten entsprechende Aktivitäten, wie Leuchtkäfer jagen, Schneeballschlachten, im Laub rumtoben und mehr. Neue Aufgaben wie das Stärken der Familienbande im Winter, das Genießen des Frühlings oder das Erleben des Sommer mit den Freunden gilt es zu meistern. Trotz der Vielfältigkeit des Erweiterungspakets bleibt der grundlegende Gedanke des Spieles unverändert. Im Mittelpunkt des Spielverlaufes stehen immer noch das Gestalten und Beeinflussen einer eigenen Familie, das Spiel mit anderen Rollen, Berufen und Charakteren sowie das Bauen und Ausstatten der Häuser. Die Sims 2 ist gerade deswegen eines der wenigen Spiele, das auch bei Mädchen und Frauen beliebt ist. Es geht nicht in erster Linie ums Gewinnen, sondern um die (Über-)Lebensstrategie.
Ebenso beliebt beim weiblichen Geschlecht ist die Realität und Lebensnähe, die durch die komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen der Sims-Bevölkerung gegeben ist. Wie im realen Leben haben soziale Anerkennung, sowie berufliche und finanzielle Erfolge einen hohen Stellenwert. Da es schon den Testerinnen schwer gefallen ist, die komplexen Beziehungsgeflechte zu durchschauen, dürfte dies jüngeren Kindern min-destens genauso viele Schwierigkeiten bereiten. Deswegen liegt unsere Einschätzung, ab welchem Alter das Spiel bewältigt werden kann, bei acht Jahren. Gerade auch wegen seiner Komplexität ist es fast nicht möglich, ohne ein zusätzliches Handbuch in das Spiel hineinzufinden, wohingegen das Zusatzpaket Vier Jahreszeiten in seiner Handhabung keine Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn die grundlegenden Spielzüge bekannt sind. Ebenso ansprechend wie gelungen ist die 3D-Grafik des Add-Ons, die den Wechsel der vier Jahreszeiten realitätsnah abbildet. Alles in allem werden die Spielenden in eine bunte und facettenreiche Welt mit vielen Überraschungen und spannenden Geschichten geführt. Nichtsdestotrotz bleibt das Erweiterungspaket ein zusätzliches Angebot, das je nach Interesse der Spielenden die virtuelle Welt erweitern vermag, aber für den Spielgenuss nicht unbedingt erforderlich ist.
Beitrag aus Heft »2007/04: Stimmungsregulation durch Medien«
Autor:
Andrea Koch,
Petra Baumgartner
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Günther Anfang: documenta 12
Noch bis zum 23. September findet in Kassel die documenta 12 statt. Als eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst zieht sie alle vier Jahre eine Menge kunstinteressierter Menschen in das verschlafene Kassel. Ihr künstlerischer Leiter ist dieses Jahr Roger-Martin Buergel, als Kuratorin fungiert Ruth Noack. Gemeinsam entschieden sie über die Konzeption der Ausstellung und die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. An sechs Ausstellungsorten werden über 500 Arbeiten von mehr als 100 Kunstschaffenden aus aller Welt gezeigt. Bereits während der Vorbereitung der documenta 12 wurde von den Ausstellungsmachern der hohe Stellenwert der Kunstvermittlung betont. Diese sei keine Zusatzdienstleistung, sondern „integraler Bestandteil der kuratorischen Komposition“. Die Macher betonten „Wie das Leben hat die Kunst keinen Sinn; Sinn muss ihr erst zu-gedacht werden“. Die Kunstvermittlung soll im Rahmen der „Bildungsinstitution“ documenta die „Kunstwerke sprechen [...] lassen“. Dies hat der gegenwärtigen documenta auch bereits den Ruf der Überdidaktisierung eingebracht, denn einige Maßnahmen, den Besucherinnen und Besuchern die documenta nahe zu bringen, schießen über das Ziel hinaus.
So gibt es einen Audio-Guide, der, von Martin Buergel selbst gesprochen, doch arg oberlehrerhaft daherkommt. Da wird man nicht neugierig auf die Kunstwerke gemacht, sondern aufgrund der monotonen Sprech- und Erklärungsweise eher eingeschläfert. Kunstvermittlung, wie sie nicht einmal mehr in der Schule erfolgt! Positiv ist jedoch, dass sich die documenta-Macher eine Menge für die jüngeren Besucherinnen und Besucher ausgedacht haben. So steht unter der Überschrift „aushecken“ für Kinder und Jugendliche ein eigener Ort innerhalb der 100 Tage Ausstellung zur Verfügung. Das Areal von „aushecken“ befindet sich in der Karlsaue in einem historischen Heckenkabinett der Orangerie. Betreten wird es durch eine große weiße Tür, hinter der sich Kinder und Jugendliche mit Zeichenmaterialien, digitalen Fotoapparaten und sogar einer Videokamera austoben können. Natürlich bietet die documenta aber auch für diejenigen, die nicht selbst aktiv werden wollen, eine Menge. Als Ausstellungsorte fungieren die bereits bewährten Gebäude Fridericianum, Neue Galerie und documenta-halle. Eigens gebaut wurde als temporäres Bauwerk der Aue-Pavillon. Außerdem bezieht die Ausstellung erstmals auch das Schloss Wilhelmshöhe im Bergpark Wilhelmshöhe sowie das Kulturzentrum Schlachthof ein.
Somit braucht man mindestens zwei Tage, um sich einigermaßen einen Überblick zu verschaffen. Von der ausgestopften Giraffe bis zum „Dream Boat“ sind eine Vielzahl von Kunstwerken zu bewundern, die eher unaufgeregt, aber oft auch sehr politisch, zu aktuellen gesellschaftlichen Situation Stellung beziehen. Mich hat am meisten eine Videoinstallation von Harun Farocki fasziniert. In „Deep Play“ werden an zwölf Monitoren verschiedene Perspektiven auf das Endspiel Italien gegen Frankreich der letzten Fußball WM gezeigt. Obwohl ich kein Fußballfan bin, hat mich diese Analyse und zeitgleiche Sicht auf ein und dasselbe Geschehen in den Bann gezogen. Ob das Kunst ist, weiß ich nicht, aber das ist, denke ich, nicht so wichtig. Vieles, was man auf der documenta sehen kann, hinterlässt einfach nur Eindrücke. Gehe jeder/jede selbst hin, um sie zu erfahren.
Interview: Der Weg ist das Ziel – Der Skandal um die Große Nierenspenden Show
Trotz Kritik im Vorfeld wurde am 1. Juni 2007 ‚De Grote Donor Show’ in den Niederlanden ausgestrahlt: Eine kranke Frau wählt einen Kandidaten aus, dem sie durch eine Nierenspende das Leben rettet. Die Show war nur ein Fake, Teil einer Kampagne, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf den prekären Mangel an Spendernieren zu lenken. Kai Hanke sprach für merz mit Laurens Drillich, Chairman beim verantwortlichen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender BNN, über das kontroverse TV-Event.
merz: „The Great Donor Show“ was a programm produced by Endemol N. V., however BNN was responsible for broadcasting the show. Who took the initiative for the show and what were the motives for broadcasting it?
Drillich: Endemol came up with the plan, one year prior to broadcasting. BNN is known for cutting edge programs and BNN wanted to honour founder Bart de Graff, who died in May 2002 of a kidney-related disease. Therefore the rough idea of Endemol was immediately considered seriously. The goal was to attract the maximum amount of publicity of the deplorable state of organ donorship in the Netherlands. Less people registering, less attention in the media, no political moves.
merz: It suggests itself that ethical issues related to the specifically unusual combination of format (casting show) and theme (organ donation) of the show must have been pre-estimated by its producers. Can you describe BNN’s process of considering arguments leading to the decision to finally broadcast the show? Did you have any experiences with previous shows that helped you in this process?
Drillich: We felt it was right from the beginning. It was an extreme measure, but it’s also an extreme situation. If some 200 people die unnecessaryly every year, ethics become a theoretical issue. How unethic is not doing anything? BNN has made controversial shows before that attracted a lot of attention prior to broadcasting. So far every time we have been right: after broadcasting usually the critics would be silent or we would even be applauded for our efforts and programs.
merz: After the show a good deal of those who criticized it beforehand considered „The Great Donor Show“ a very intelligent instrument to draw attention to the serious lack of organ donors. However, it seemed that there have been much more proponents in the Netherlands than in Germany. Why are the responses to the show so divers in different countries?
Drillich: I have no idea how Germany responded, but we noticed that the international media loved to jump this case when they still thought that they were reporting on a scandal coming from the Netherlands and after it was known that this was not the case, they moved on (to another scandal somewhere, or a Paris Hilton prisonterm) without reporting properly what had happened during and after our Donor Show, leaving people in many countries ill-informed. Also, we tried to change the situation in the Netherlands, we felt it was not our responsibility to do so in other countries, including Germany.
merz: In Germany some media critics blamed BNN, or Endemol respectively, for using some people’s distress in need for a kidney to force up BNN’s viewer level (see Funk Korrespondenz 23/2007). What is your opinion on this reproval?
Drillich That is a joke and an insult. BNN is a public broadcaster that is not depending on ra-tings or advertisement. Endemol did not make any money on this onetime show that had a total budget of under € 200.000. Journalists should do their homework properly and not resort to easy prejudices. These fine media critics should ask the opinion of people on the waiting list for organs in the Netherlands if BNN acted immoral. Who better to judge ?
merz: Retrospectively the Donor Show was interpreted as an inventive sort of Guerilla Marketing with much more potential for publicity campaigns than conventional instruments may display. Considering responses before and after the show, does BNN plan to realize media events comparable to „The Great Donor Show“ in the near future?
Drillich: We would be crazy to say that we will. So no, we won’t.
Jürgen Bofinger: Laptops im Unterricht - Unnützes Zeug?
In regelmäßigen Abständen wird in der Öffentlichkeit das Bild von der Wertlosigkeit eines computergestützten Unterrichts, speziell mit Schülerlaptops, heraufbeschworen. Das fing mit diversen nationalen Tests an, die fachliches Wissen abfragten und dadurch haarscharf am wichtigsten Nutzen von Laptops vorbei zielten, nämlich überfachliche Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, setzte sich fort mit Re-Analysen von PISA-Ergebnissen, die von einer Verdummung durch zu viel Computerumgang sprachen, ohne näher auf die Frage nach der Art des Umgangs mit Computern als Arbeits-, Lern- und Spielgerät einzugehen, und es endete (vorläufig) mit Meldungen aus den USA, nach denen Laptops an einigen Schulen wegen Erfolglosigkeit wieder abgeschafft wurden: „Seeing No Progress, Some Schools Drop Laptops“ lautete entsprechend die Schlagzeile der New York Times vom 4. Mai 2007. Abgesehen von der erstaunlichen Tatsache, dass bei der Würdigung dieses Ergebnisses die besonderen Verhältnisse an amerikanischen Schulen hierzulande keine große Rolle spielten, bedürfen diese Hiobsbotschaften zweier Klarstellungen:1. Schülerlaptops sind außerordentlich nützliche Lern- und Arbeitswerkzeuge in der Schule. Sie haben sich belegbar bewährt. Mehr jedenfalls als jede andere Medienkonfiguration, von den mobilen PC-Einheiten bis zum Computerraum.2. Wenn sich Einsatzprobleme ergeben, so keine laptopspezifischen. Hauptverantwortlich sind die vorherrschende Schul- und Unterrichtssituation (Zeit-, Arbeitsbelastung der Lehrkräfte), eine verbreitete Mehrwertskepsis, die durch solche Nachrichten neue Nahrung erhält, die geringe Verbindlichkeit des Medieneinsatzes und die desolate Finanzlage mancher Sachaufwandsträger.
Zu Punkt 1: Wie wird der Mehrwert von Schülerlaptops von Lehrkräften eingeschätzt? Eine repräsentative Lehrerbefragung aus dem Jahr 20061 gibt folgende Antwort (Grafik nur in Original-Version des Artikels im Heft):In der Grafik werden Laptop-Lehrkräfte mit jenen verglichen, die vorwiegend in anderen digitalen Medienumgebungen arbeiten. Das Ergebnis: In allen angesprochenen Mehrwertdimensionen mit Ausnahme der Lernmotivation (Gleichstand) sprechen Laptop-Lehrkräfte häufiger als ihre Kolleginnen und Kollegen von einem Mehrwert des Medieneinsatzes für ihre Schülerinnen und Schüler. Besonders deutlich heben sie sich in den Dimensionen Selbstbewusstsein ihrer Schülerinnen und Schüler („Stolz“), beim (fast selbstverständlichen) Erwerb technischer Kompetenz ab, interessanterweise aber auch beim Erwerb fachlicher Kompetenz und (auf insgesamt niedrigerem Niveau) bei der Ausdrucksfähigkeit der Mädchen und Jungen in Wort und Schrift – eine Folge der in Laptopklassen besten Möglichkeit, Heranwachsende selbsttätig recherchieren und Themen sachgerecht präsentieren zu lassen.
Zu Punkt 2: Unter welchen Bedingungen bringt der Einsatz digitaler Medien im Fachunterricht den größten Mehrwert? Die Studie zeigt, dass in einem offenen, schülerorientierten Unterricht, in dem Schülerlaptops dazu noch regelmäßig eingesetzt werden, nach Aussage der befragten Lehrkräfte der höchste unterrichtliche Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler erzielt wird, während ein eher lehrerzentrierter Unterricht, in dem gelegentlich eine mobile PC-Einheit (,Medienwagen‘) eingesetzt wird, den geringsten Mehrwert bringt (weil Medien hierbei eher der Zeitersparnis im Instruktionsunterricht einer Lehrkraft dienen). Um dieses Resultat auf die Füße zu stellen: Ein Unterricht, in dem die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Mädchen und Jungen im Vordergrund steht, profitiert in besonderer Weise von Schülerlaptops – aber eben in dieser Reihenfolge. Offensichtlich scheinen in amerikanischen Schulen solche schulischen und unterrichtlichen Voraussetzungen, zu denen auch eine gewisse Methodenkompetenz (an die viel zu wenig gedacht wird, weil dem Wollen (Schülerselbsttätigkeit) immer auch ein Können (eben die Methodenkompetenz) vorausgeht) und Lerndisziplin der Mädchen und Jungen gehört, für einen gewinnträchtigen Einsatz von Schülerlaptops zu fehlen trotz ihres technologischen Vorsprungs.Wie zunehmend wichtiger die schulischen und unterrichtlichen Rahmenbedingungen auch hierzulande für das Gelingen des schulischen Medieneinsatzes sind, belegen die Gründe, die Lehrkräfte trotz großer Bereitschaft (was sich bei ihrer wesentlich häufigeren Unterrichtsvorbereitung mit digitalen Medien zeigt) daran hindern, digitale Medien im Fachunterricht einzusetzen – hier in einem Zeitvergleich (vgl. Tabelle):
Während 2002 noch der Zweifel am Mehrwert digitaler Medien für einen Verzicht im Vordergrund stand, sind es 2006 besonders die schulischen und unterrichtlichen Rahmenbedingungen, die allgemeine Zeit- und Arbeitsbelastung, die Lehrkräfte am Einsatz digitaler Medien in ihrem Unterricht hindern. Insofern wächst auch bei uns die Gefahr, dass der Ausbau des Medieneinsatzes, speziell der Einsatz von Schülerlaptops, langfristig an den äußeren Bedingungen scheitern könnte. Aber so zu tun, als sei der Nutzen digitaler Medien, speziell von Laptops, erwiesenermaßen nicht gegeben, ist einfach unlauter. Die Folgerung aus den vorliegenden Erkenntnissen lautet anders: Eine moderne, schülerorientierte Schul- und Unterrichtsentwicklung ist zunächst das Hauptthema, mit allen organisatorischen, didaktischen und zeitschaffenden Konsequenzen bis hin zum Erwerb der nötigen Methodenkompetenz der Schülerinnen und Schüler für ein selbstständiges Lernen. Aber jede moderne Schul- und Unterrichtsentwicklung ist in einem zweiten Schritt ohne Einbezug digitaler Medien undenkbar, wobei speziell Schülerlaptops bei einer stärkeren Schülerorientierung ihre besondere Leistungsfähigkeit beweisen können (selbsttätiges Lernen, arbeitsteiliges Lernen, modernes Lernmanagement, Individualisierung und Differenzierung des Lernens, Vielfalt von Lernorten u. Ä.).
Es gibt ein weiteres schlagendes Argument für die Notwendigkeit einer intensiven Beschäftigung mit modernen Medien in der Schule, abgesehen von ihrem didaktischen Nutzen: Oft wiederholt und trotzdem richtig: Eine zeitgemäße Schule kann die Lebenswelt der Heranwachsenden und die Erfordernisse einer modernen Berufswelt nicht einfach ausblenden. Die Anknüpfung an die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen erfordert daher auch ein Anknüpfen an ihre Medienwelten. Und die auflebende Wertediskussion in der Schule bleibt ohne eine medienerzieherische Thematisierung auch unvollständig. Andernfalls wird die Schule weder den modernen Auffassungen vom Lernen noch ihrem allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrag gerecht. Worum geht es also letztlich? Es geht- nicht um noch mehr Produktion und Bereitstellung digitaler Materialien (wir erleben gegenwärtig eine Inflationierung einschlägiger ‚Portale’, die zu einer neuen Unübersichtlichkeit führt), sondern um die Entwicklung geeigneter Implementationsstrategien (wie gelangen die bestehenden Angebote am besten in die Unterrichtspraxis?),- um eine stärkere Anbindung medienpädagogischer Aktivitäten an die allgemeine Schul- und Unterrichtsentwicklung (weil ‚neue’ Medien noch nicht einen ‚neuen’ Unterricht bewirken, aber ein ‚neuer’ Unterricht durch ‚neue’ Medien erfolgreicher wird),- um eine koordinierte und zentrale Planung, Steuerung und Sicherung schulischer Medienumgebungen (weg von den üblichen Insellösungen und Leuchttürmen mit wenig Leuchtkraft),- um eine stärkere Verbindlichkeit der Medienbildung im Regelunterricht (Medien als Unterrichtsmittel, Medien als Unterrichtsthema), weil inzwischen alles andere als Medienarbeit ‚verpflichtender’ geworden ist – aber nicht als besondere Zusatzaufgabe, sondern als integraler Bestandteil des Unterrichts,- und nicht zuletzt um eine stärkere Förderung der Medienerziehung als besonders wichtiges Thema schulischer Werteerziehung (‚Ernst machen’ mit dem schulischem Erziehungs- und Bildungsauftrag).
Kai Hanke: Aufgewacht
Manche Veranstaltungen stehen in langer Tradition, was nicht bedeutet, dass sie deswegen auch rechtzeitig stattfinden. Aber immerhin: Am 13. und 14. Juni 2007 trafen sich Vetreterinnen und Vertreter aus Journalismus, Politik und Medienwissenschaft im Hambacher Schloss, um problematische Entwicklungen hinsichtlich der freien Berichterstattung und allgemeinen Pressefreiheit zu diskutieren. Historischer Hintergrund der vom Deutschen Journalisten Verband (DJV) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) organisierten Tagung „Pressefreiheit und Demokratie“ war das Hambacher Fest, Sinnbild für das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit. Die Tagung schloss mit einem Aufruf ab: Der Hambacher Appell fordert dazu auf, einer zunehmenden Aushöhlung der Pressefreiheit in Deutschland entgegen zu treten: „Es gehört zum Selbstverständnis der Journalistinnen und Journalisten, Verlegerinnen und Verleger in Deutschland, dass sie die Pressefreiheit mutig wahrnehmen. Wann immer es das öffentliche Informationsinteresse erfordert, sollten dabei alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.“
Das vom DJV und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) institutionell gestärkte Statement ließ in Anbetracht der Entwicklungen vor allem in den letzten drei Jahren beängstigend lange auf sich warten. Den Anfang einer Reihe von Einschränkungen der Pressefreiheit bildeten die verfassungswidrigen Durchsuchungen von Redaktionsräumen des Cicero-Magazins im September 2005 durch die Staatsanwaltschaft Potsdam. Das mediale Echo war zwar durchaus groß, jedoch schien sich kein längerfristiger gesellschaftlicher Disput über den Wert der Pressefreiheit entspannen zu wollen. Schnell waren alle wieder beim Tagesgeschäft. Lippenbekenntnisse zur Pressefreiheit en masse, keine weiteren Fragen.2007 nahmen staatliche Einschränkungen der Pressefreiheit neue Formen an. Im Vorfeld und während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm kam es zu einer Vielzahl von Durchsuchungen, die maßgeblich durch die Bundesanwaltschaft veranlasst und vom Bundeskriminalamt bzw. verschiedenen Landeskriminalämtern durchgeführt wurden. Dabei wurde auch vor Redaktionen und Verlagen nicht haltgemacht. Hinzu kam die Verletzung des Postgeheimnisses durch Hamburger Polizeibeamte im Mai. Kurz vor Beginn des Gipfels entzog das Bundespresseamt zudem 24 Journalistinnen und Journalisten ohne konkrete Begründung die bereits erteilte Akkreditierung für eine Berichterstattung innerhalb der Sicherheitszone. 40 Personen hatten gar nicht erst eine Akkreditierung erhalten.
Verwiesen wurde dabei lediglich auf „erhebliche Sicherheitsprobleme“ bei den betroffenen Journalistinnen und Journalisten. Über die Datengrundlage und -erhebung, die zu dieser Einschätzung führten, machte das Bundespresseamt keine Angaben. Damit jedoch nicht genug. Ohne Akkreditierung durften sie nicht nur aus der Sicherheitszone nicht mehr berichten, auch zwei Kilometer um die Sicherheitszone wurde ihnen zeitweilig der Zugang versagt. Zurückblickend weisen DJV und BDZV bei der Hambacher Tagung auf eine ganze Reihe weiterer Beeinträchtigungen der Pressefreiheit hin. Der DJV dokumentierte beispielsweise 180 Durchsuchungen von Redaktionen und Wohnungen von Journalistinnen und Journalisten sowie geplante Vorratsdatenspeicherungen sowie Verschlechterungen beim Informantenschutz. Beschäftigte von Regionalzeitungen beklagten bei der Tagung die sich neuerdings mehrenden Verstöße gegen die Auskunftspflicht durch lokale Verwaltungen und Behörden – vor allem wenn es um politisch wenig populäre Entscheidungen ging. Auch ließe sich eine Zunahme von Presserechtsprozessen gegen Redaktionen verzeichnen, mittels derer Wirtschaft, Politik und Showprominenz gegen unliebsame kritische Berichterstattungen vorgingen. In solchen, oftmals kostspieligen Prozessen, so die Kritik von Klaus Sedelmeier (Verfasser des Presserecht-Kommentars), neigten Gerichte zu schnell zu einstweiligen Verfügungen gegen Redaktionen und Pressevertreter. Obwohl im Presserecht explizit als Ausnahme vorgesehen, würden einstweilige Verfügungen heute meist umstandslos und ohne mündliche Verhandlung erlassen.
Dies führt laut Presseanwältin Dorothee Bölke in Redaktionen oftmals zu einem Klima der Einschüchterung und ängstlichen Vorsicht.Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der SZ, äußerte hingegen die Ansicht, Pressefreiheit und Medien schienen in Teilen der Bevölkerung nicht mehr den Stellenwert wie früher, beispielsweise während der Spiegel-Affäre 1962, zu genießen. Indes betonte Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, dass sich auch Journalistinnen und Journalisten aktiver für ihre Eigenständigkeit einsetzen müssten und auf eine beispielsweise von Politik und wirtschaftlicher Pressearbeit unabhängige Berichterstattung achten sollten. Möglicherweise ist also auch innerhalb der journalistischen Berufsgruppen das Bewusstsein für bedenkliche Entwicklungen der Rahmenbedingungen ihrer journalistischen Arbeit nicht mehr so ausgeprägt wie vor einigen Jahren. Als bezeichnend mag dahingehend die Reaktion einer Online-Journalistin (mit Akkreditierung für den G8-Gipfel) auf den Ausschluss ihrer Kolleginnen und Kollegen vom Gipfel gewertet werden: Solange sie selbst Zugang habe, gäbe es doch keinen Grund für besondere Aufregung. Gerade aus journalistischer Perspektive scheint es schwer nachvollziehbar, warum eine Erklärung wie der Hambacher Appell erst jetzt ihren Weg in die Öffentlichkeit findet. Zugegeben, es herrschen keine Zustände, unter denen eine freie journalistische, investigative Arbeit bundesweit nicht mehr möglich wäre.
Bedenklich aber ist die aktuelle Tendenz, vormals unangetastete demokratische Freiheiten unter Vorgabe sicherheitstechnischer Bedenken oder durch die Überbetonung privater Interessen einzuschränken. Und so trivial sich heute diese Feststellung lesen mag, scheinbar gewinnt ihre stetige Betonung doch wieder zunehmend an Notwendigkeit: Eine solche Tendenz kann nicht im Sinne einer demokratischen Allgemeinheit stehen. Es bleibt abzuwarten, welche Reaktionen der Hambacher Appell langfristig nach sich ziehen wird. Die Tradition scheint da nicht vielversprechend: 1832 folgte auf das Hambacher Fest eine Welle von Repressionen durch den Deutschen Bund, die Presse- und andere Freiheiten noch weiter einschränkten als vor der Veranstaltung. Was bleibt also? Aus der Geschichte lernen? Öffentlich sind sich ja ohnehin alle Beteiligten und Unbeteiligten über den Wert der Pressefreiheit einig. Nur in der Praxis, da hapert es eben noch an der einen oder anderen Stelle.weitere Informationen: www.djv.de
Kai Hanke: Ekel und Geschichte
Der Mensch erkennt sich selbst im Ekel. Laut einem gerne und oft zitierten Existenzialisten führt erst der Ekel vor der eigenen Existenz als etwas sinnlosem, die Abscheu vor der Absurdität seines Daseins den Menschen zur Möglichkeit der Freiheit. Doch dies nur am Rande. Zunächst ist die spanisch-britische Produktion „Salvador – Kampf um die Freiheit“ selbst schon ein Akt der Befreiung. Denn der Film greift das Schicksal des in Spanien wohlbekannten anarchistischen Widerständlers zur Zeit der Franco-Diktatur auf: Salvador Puig Antich. Lange schien auch in Spanien die ernsthafte, publikumstaugliche filmische Auseinandersetzung mit der eigenen politischen Vergangenheit verbannt ins stille, kleine, intellektuelle Kämmerlein. Zur Zeit der Transición, des „friedlichen“ Übergangs vom faschistischen Franco-Regime zur Demokratie, war das Thema ohnehin tabu. Auch noch lange danach war die Zahl der in das damalige Regime Verstrickten zu groß, und zu groß damit auch der gesellschaftliche Widerstand gegen eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte. Doch allmählich hat sich das geändert. Zunehmend kommt es zu Großproduktionen, die das Thema auch im publikumstauglichen, kommerziell erfolgreichen Kino verankern. Dementsprechend: Drei Oscars für Pan’s Labyrinth eine merz-Besprechung für Salvador Puig Antich.Der Film beginnt mit der Festnahme Salvadors (Daniel Brühl) im September 1973 in Madrid. Dabei wird nicht nur er selbst schwer verletzt, auch ein Beamter der Guardia Civil wird tödlich verwundet. Obwohl die Indizien gegen Salvador als Mörder sprechen, verurteilt ihn ein Militärgericht im Eilverfahren wegen Polizistenmordes zum Tode. Es ist für Salvador der Beginn einer leidvollen Zeit als politischer Gefangener, bestimmt durch den Kampf gegen das Urteil und die verzweifelte Hoffnung auf Begnadigung. Im Zuge der Gespräche mit seinem Anwalt (Tristán Ulloa) wird in Rückblenden Salvadors Geschichte bis zu seiner Festnahme erzählt. Gemeinsam mit seinen Freunden schließt er sich als Student der iberischen Befreiungsbewegung MIL (Movimiento Ibérico de Liberación) an. Alles scheint wie im Spiel. Die Gruppe von jungen Aktivisten überfällt Banken, um mit dem erbeuteten Geld ihre politische Arbeit und die Unterstützung von Gewerkschaften sowie politischen Gefangenen zu finanzieren. Das Leben im Untergrund, ausgelassene Feiern, Freund- und Liebschaften: eine aufregende, sorglose, eine genussvolle Zeit. Doch all das ändert sich, als die Gruppe zunehmend ins Visier der staatlichen Ermittler gerät. Es kommt zu Unfällen, Freundschaften und persönliche Beziehungen zerfallen. Die Gruppe löst sich auf.
Die Entwicklungen werden durch geschickte Montagen miteinander in Beziehung gesetzt. Mehr und mehr entsteht dadurch ein Bild von Salvador als einem politisch empörten Heißsporn, naiv, radikal, kompromisslos, trotzig. Voller Fürsorge und Liebe für seine Nächsten bringt er doch alles in Gefahr, was ihm etwas bedeutet.In geschicktem Kontrast dazu wird parallel Salvadors weitere Entwicklung im Gefängnis erzählt. In der gezwungenen Enge der Gefängnismauern setzt er sich mit seiner Vergangenheit auseinander und baut eine Beziehung zu seinem Wärter Jesús auf (Leonardo Sbaraglia). Seine Hoffnung auf Begnadigung, sein Lebenswille und nicht zuletzt seine persönlichen und politischen Überzeugungen beeindrucken den wenig gebildeten, politisch ignoranten Jesús. Die beiden Männer finden trotz aller Widersprüche zueinander und eröffnen sich gegenseitig ihre Sicht auf die Welt. Im Nebeneinander von Vergangenheit und Gegenwart, leise und Schritt für Schritt entfaltet sich diese Öffnung gegenüber dem anderen. Und während seine Familie und Freunde verzweifelt gegen seine Hinrichtung kämpfen, ohne dass er etwas dazu beitragen könnte, vollzieht sich – unbemerkt von der Außenwelt – erst in seiner verständnisvollen Beziehung zum regimetreuen Jesús die letzte Konsequenz von Salvadors Sehnsucht nach Freiheit.Der Film wartet bei alledem mit einer Fülle von Konfliktebenen auf, die trotz ihrer Vielzahl virtuos verwoben werden. Allerdings – ein Wermutstropfen – erscheinen gerade hierbei die weiblichen Rollen oftmals marginalisiert und geraten ins dramaturgische Abseits des männlich geprägten Films. Beeindruckend hingegen ist die Zusammenführung einzelner, kleiner Schicksale in Salvadors Geschichte. Sie gelingt vor allem aufgrund der geduldigen und letztlich schlüssigen Dramaturgie von Regisseur Manuel Huerga und der eigentümlichen, jedoch hoch wirkungsvollen Kameraarbeit von David Omedes. Das stete Spiel mit experimentellen Elementen, teils fast expressionistischer Ausleuchtung und dann wieder einer sehr geringen Distanz der Kamera zu den Protagonisten bildet eine seltsam vereinnahmende und doch distanzierende filmische Atmosphäre.
Eine Atmosphäre, zu der auch ein schauspielerisch sensibler, vielseitiger Daniel Brühl beiträgt, dessen beeindruckendem Spanisch man fasziniert lauschen mag – Originalfassung in Spanisch, Katalanisch und Französisch vorausgesetzt. Insgesamt kann „Salvador Puig Antich“ trotz eines etwas pathetischen Endes und der tendenziell patriarchalen Verengungen als geglücktes politisches Drama mit exzellenter Besetzung überzeugen. Das Publikum wird durch die spannende Verknüpfung von Erzählebenen und die formell anspruchsvolle Umsetzung in das persönliche Drama eines jungen Menschen entführt, der seine Hoffnung, seinen Stolz und damit seine Würde auch angesichts der drohenden Hinrichtung zu bewahren versucht. Laut Kommentar zu Beginn des Films soll die Geschichte eines politischen Menschen erzählt werden, der mit seinen Überzeugungen, aber ohne Angst lebte. Seine persönliche Freiheit jedoch findet Salvador erst spät. „Ekel“, denkt er kurz vor dem Ende „ich spüre nichts als Ekel.“ Er steht kurz vor seiner Hinrichtung.
Kathrin Sachs und Ulla Hannig: 25. Kinderfilmfest München
Auch in diesem Jahr bot das Münchner Kinderfilmfest eine Woche Unterhaltung für Jung und Alt. Alle großen und kleinen Filmbegeisterten waren vom 23. bis 30. Juni 2007 ins Kinderkino im Gasteig eingeladen, sich von spannenden Geschichten aus aller Welt auf der großen Leinwand bezaubern zu lassen. Aufgrund des 25-jährigen Jubiläums des Filmfests München und somit auch des Kinderfilmfestes wurde in Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum München (MZM) ein Trickfilmtrailer produziert. Die Kurzgeschichte sowie die visuelle Umsetzung wurden gemeinsam mit dem KinderHOUSE in Neuhausen erstellt. Der Trailer wurde vor jeder Vorstellung gezeigt und bot eine schöne Einleitung zu den Filmen. Der diesjährige Eröffnungsfilm war die deutsche Produktion Blöde Mütze (vgl. merz 2/07). Daneben waren noch acht weitere internationale Produktionen aus Schweden, Finnland, Israel, Belgien, Frankreich, Norwegen und Kroatien auf dem Kinderfilmfest zu sehen. Diese wurden alle in der Originalfassung gezeigt und im Kino live in deutscher Sprache eingesprochen.Die Filme waren sehr unterschiedlich besucht. In Sven und Ratte und das geheimnisvolle Ufo war das Kino bis auf den letzten Platz belegt, sogar auf den Treppen saßen noch Kinder. Das lag zum einen daran, dass viele Schulkassen sich die Neun-Uhr-Vorstellung als Ausflugsziel ausgesucht hatten und zum anderen daran, dass dies der zweite Teil des erfolgreichen Rattenfilms war.
Die kroatische Produktion Der Geist aus dem Sumpf von Branko Istvancic, der um elf Uhr gezeigt wurde, war leider nicht sehr gut besucht. Neben acht Erwachsenen saß nur ein etwa sechsjähriges Mädchen im Saal. Vermutlich war der Grund dafür die ungünstige Startzeit des Films. Der Geist aus dem Sumpf ist seit 20 Jahren der erste Kinderfilm, der in Kroatien gedreht wurde. Erzählt wird die Geschichte von Miron und Melita, die ihren Freund Liptus auf dem Land besuchen, um dort ein paar entspannende und schöne Winterferientage zu genießen. Doch Zeit für Entspannung und Ruhe bleibt nicht, denn ein Geist verwirrt und beunruhigt das Dorf. Als ihr Freund Liptus im Krankenhaus liegt und ständig das Wort „Geist“ stammelt, beschließen die Freunde, der mysteriösen Sache nachzugehen.Der Film ist spannend und unterhaltsam. Wie bei einem Krimi wartet man auch hier gespannt auf die Lösung des Rätsels und macht sich schon während des Films Gedanken über dessen Ausgang. Gerade durch die von dem Regisseur bewusst gewählten Motive (Dunkelheit, Nebel, düstere Musik) kann die Spannung zum größten Teil bis zum Ende gehalten werden. Die düstere und schaurige Stimmung wird hierdurch gut transportiert.
Der Film hat aber leider auch seine Durchhänger, da die Protagonisten teilweise sehr lange brauchen um ihrem Ziel immer wieder ein Stück näher zu kommen. Der Geist aus dem Sumpf greift Themen wie Freundschaft, Mut und Zusammenhalt auf. Themen, die Kinder interessieren und die sie spannend finden. Dennoch stellte das einzige Kind in dieser Kinovorstellung oftmals Fragen zur aktuellen Handlung und zu Details im Film an die Eltern. Die Tatsache, dass der Film in Originalsprache gezeigt wurde, ein englischer Untertitel ein-geblendet und der Text von einem Sprecher live in deutscher Sprache eingesprochen wurde, machte das Verständnis des Films für das Kind nicht einfacher. Kritisch zu betrachten ist auch der Waffeneinsatz im Film. Nicht unbedingt, weil Wilderer mit ihren Gewehren zu sehen sind, sondern eher die Art, wie die Waffen eingesetzt werden. Sie dienen vor allem dazu, das Geschehen – teilweise unnötig – zu dramatisieren. Trotz der ein oder anderen Kritik ist es ein schöner Kinderfilm. Die Akteure erleben während ihrer Suche nach dem geheimnisvollen Geist aus dem Sumpf viele Abenteuer, denen zu folgen für Jung und Alt ein unterhaltsames Vergnügen darstellt. Zudem gibt der Film einen kleinen Einblick in die kroatische Kultur und Lebensart. Wie nach jeder Vorstellung des Filmfests durften die Kinder den Film bewerten, indem sie ihre Kinokarte in eine von vier Boxen warfen. Eins bedeutet dabei „sehr gut“ und vier bedeutet „gar nicht gefallen“. Dadurch wurde der Publikumsliebling ermittelt, der zum Abschluss des Kinderfilmfests noch einmal kostenlos gezeigt wurde. Das Mädchen, das sich den Film Der Geist aus dem Sumpf anschaute, hat diesen mit der Note DREI bewertet. Der Film wurde ab acht Jahren empfohlen, was auch gerechtfertigt ist, denn wie man an den Reaktionen des Mädchens während des Films feststellen konnte, hatte die Sechsjährige Probleme, den Film zu verstehen.
Außerdem hatten Kinder und Jugendliche bis 20 Jahre auch die Gelegenheit, auf der Internetseite des Filmfests Kommentare zu den gesehenen Kinderfilmen abzugeben und nahmen dadurch automatisch an der Verlosung von drei Digitalkameras teil.Somit bot das Kinderfilmfest ein abwechslungsreiches Programm, das nicht nur Kinderherzen höher schlagen ließ, sondern auch die Erwachsenen in seinen Bann zog und zahlreiche Diskussionen auslöste. Bleibt zu hoffen, das die kommenden Kinderfilmfeste ein genauso breitgefächertes und verschiedenartiges Repertoire an Filmen präsentieren, die Jung und Alt begeistern und in die Kinos strömen lassen.
Beitrag aus Heft »2007/04: Stimmungsregulation durch Medien«
Autor:
Kathrin Sachs,
Ulla Hannig
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Petra Baumgartner: Gucha – Distant Trumpet
Seit vierzig Jahren treffen sich im kleinen serbischen Städtchen Gucha die besten Blechbläser des Balkans und tragen vor einer Viertelmillion Zuhörerinnen und Zuhörern den Wettstreit um die „Goldene Trompete“ aus. Vor diesem authentischen Hintergrund spielt der Film Gucha:Der serbische Regisseur Dušan Miliæ hat einen eigenen Weg gefunden, die Grundidee des bekannten Shakespeare-Dramas von Romeo und Julia zu erzählen – anders als bei den Montagues und Capulets endet die Liebesgeschichte hier nicht tödlich. Der 16-jährige Romeo (gespielt von Marko Marković) spielt in der Band seines Stiefvaters Trompete. Jährlicher musikalischer Höhepunkt des Gypsy-Orchesters ist die Teilnahme am Wettbewerb der Blaskapellen in Gucha. Der Favorit für den diesjährigen Titel ist Vladisho Trandafilovic, genannt Satchmo (Mladen Nelević). Als Romeo sich in Satchmos Tocher Juliana (Aleksandra Manasijević) verliebt, manifestieren sich Vorurteile und ethnische Konflikte zwischen der serbischen Familie von Juliana und den Roma, zu denen Romeo und seine Familie gehören. Nur zu einem Zugeständnis lässt sich Satchmo hinreißen: Wenn der Jugendliche ihn bei der Meisterschaft in Gucha übertrumpft, soll Romeo seine Juliana bekommen. Für den jungen Musiker hängt viel davon ab: seine musikalische Identität und auch sein persönliches Glück. Regisseur Dušan Milić hat seinen Film an Originalschauplätzen mit weitgehend unerfahrenen Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht, und so wirkt das Geschehen streckenweise wie ein Dokumentarfilm. Hier liegen auch die Stärken des Filmes: in der natürlichen Inszenierung, in der Unbefangenheit seiner Darstellerinnen bzw. Darsteller und in der überbordenden von Dejan Pejović komponierten Filmmusik.
Sie ist energetisch und schnell, so wie man sich Musik vom Balkan vorstellt. Über die Grenzen des Balkans hinaus würde jedoch kaum jemand diesen Musikstil kennen, hätte nicht der Filmregisseur Emir Kusturica zu seinem Film Underground mit den Gucha-Preisträgern vom Boban Marković Orkestar den passenden Soundtrack gewählt. Zum Orchester gehört auch Boban Markovićs Sohn Marko, er ist der männliche Hauptdarsteller von Gucha. Marković überzeugt als junger talentierter Trompeter und eher schüchterner, zurückhaltender Romeo voll und ganz. Es ist wohl die jahrelange Bühnenerfahrung als Musiker, die ihn so natürlich vor der Kamera agieren lässt. Die filmüberspannende Gypsy-Musik ist roter Faden und Stilisierung zugleich. Im Kern geht es um den Wettstreit rivalisierender Musikstile und unterschiedlicher Traditionen. Satchmos schnelle Fanfaren und serbische Folklore konkurrieren gegen die bluesige Musik der Gypsies. Der Film möchte Musik als Modell der Völkerverständigung zeigen, berührt wichtige Themen dabei aber nur am Rande – die lang tradierten und wahrscheinlich unüberbrückbaren Vorurteile zwischen Roma und Serben werden nur gestreift. Und so bleibt der Film unabhängig von der Vielfalt an Nebenschauplätzen, Figuren und kleinen Konflikten an der Oberfläche. Das Ergebnis ist ein heiteres serbisches Märchen, in dem sich am Ende Romeo und Juliana in die Arme schließen dürfen. Wägt man die Stärken und Schwächen ab, ist der Film sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene durchweg empfehlenswert. Es ist eine Musik-Love-Story im Stil des Bollywood-Kinos, made in Serbia: Farbenprächtig, folkloristisch, voller Romantik, ein Musical rund um das größte Brassmusik-Festival des Balkans in Gucha. Produziert wurde der Film unter anderen von dem Cannes- und Venedig-Gewinner Emir Kusturica, Schöpfer von Arthouse-Klassikern wie Schwarze Katze, Weißer Kater. Nicht zuletzt die überschäumende Lebensfreude, die auch die Kusturica-Filme auszeichnet, macht die Besonderheit des Filmes aus.
Beitrag aus Heft »2007/04: Stimmungsregulation durch Medien«
Autor:
Petra Baumgartner
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Petra Baumgartner: Homework – What’s that?
Vincent, Andreas (2006). Englisch mit Bibi Blocksberg. Verhexte Feste. Mit dem Hex-Tagebuch James, München: Hueber Verlag, 47 S., Hörspiel-Audio-CD € 14,95In ihrem Abenteuer „Verhexte Feste“ begibt sich Bibi Blocksberg auf eine Zeitreise. Sie liebt das Feiern – mehr als „homework“ – und erzählt dies ihrem Tagebuch James. Dieses schwelgt in Erinnerungen und schwärmt von rauschenden Festen, die seine frühere Besitzerin vor einem Jahr-hundert feierte. Prompt hext sich Bibi zusammen mit James auf die Partys der Hexe O´Doolia und macht dort die merkwürdigsten Bekanntschaften. Allerdings unterläuft ihr bei dieser Zeitreisen-Hexerei ein folgenschwerer Fehler ...Die unterhaltsame und spannende Geschichte macht Kinder ab acht Jahren spielerisch mit der fremden Sprache vertraut. Das Lern-Hörspiel-Paket besteht aus einer Audio-CD, auf der die Geschichte von den Originalsprechern wiedergegeben wird, und einem Bilderbuch. Das Buch stellt einfache Dialoge, englische Begriffe, Redewendungen und das englischsprachige Vokabular in der deutschen Übersetzung vor.
Ein informatives Vorwort bietet Eltern und Lehrerinnen bzw. Lehrern Hinweise für den richtigen Umgang mit dem Sprachlernkurs, dessen Niveau sich am Lehrplan der Grundschule orientiert. Alle Mitwirkenden am Hörspiel sprechen einen bunten Mischmasch aus Englisch und Deutsch. Der Sprecher übersetzt schwierige Passagen, außerdem werden ganze Sätze, einzelne Satzteile oder ganze Wörter auf Deutsch wiederholt. So ist die Audio-CD auch für Sprachanfängerinnen bzw. Sprachanfänger verständlich. Das Bilderbuch kann begleitend zur Audio-CD gelesen werden. Jüngeren Kindern dürfte das Mitlesen jedoch schwer fallen, da dass Klangbild der englischen Wörter oft nicht der Schreibweise entspricht. Englisch mit Bibi Blocksberg lässt sich sehr gut als Basis für den Schulunterricht nutzen. Eltern sollten gemeinsam mit ihren Kindern das Lern-Hörspiel-Paket erproben. Sie können den Kindern notwendige, bedeutungstragende Wortschatzelemente anhand der Bilder vorweg erklären. Fazit: Eine hervorragend inszenierte, spannende und lustige Geschichte für Bibi Blocksberg Fans.
Damit das spielerische Lernen durch entdeckendes Betrachten der Bilder und entspanntes Hören der Texte, Lieder und Reime auf der CD einen längerfristigen Effekt für die Aneignung von Sprache auf verschiedenen Ebenen (zum Beispiel Aussprache, Wortschatz, Redewendungen) hat, sollten Eltern ihre Kinder bei den Lernerfahrungen begleiten.
Beitrag aus Heft »2007/04: Stimmungsregulation durch Medien«
Autor:
Petra Baumgartner
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Alexander Buck: Gehorsam, Disziplin und körperliche Ertüchtigung: Das Erziehungscamp
„Wer kämpft, kann gewinnen – wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ – Nein, wir befinden uns nicht in einem (zumindest klassischen) Straflager oder bei paramilitärischen Ausbildungen, sondern im Erziehungscamp von Lothar Kannenberg, dem Gesamtleiter der Jugendhilfeeinrichtung Durchboxen im Leben e. V.Die Einrichtung dient seit Dezember 2006 als Kulisse für die RTL2-Doku-Soap Das Erziehungscamp und reiht sich in das Senderschema neben „Frauentausch“ und „Hüllenlos – Auch nackt gut aussehen“ scheinbar nahtlos ein. Wem „Big Brother“ (immerhin sind die dort Inhaftierten freiwillig eingezogen) und Konsorten noch nicht „dokumentarisch“ genug sind, der bekommt hier zudem den Thrill der Straße: Ghettokids, Gewalttäter, Drogenabhängige – das gesamte Spektrum soll hier abgebildet werden. In einem Umerziehungslager mit pädagogischem Anstrich. Sieht so Jugendhilfe aus? „Wir schaffen es!“Neu ist die Einmischung respektive Pervertierung in die und von der Sozialen Arbeit.
Was mit „Die Supernanny“ bereits mehr als fragwürdige Ausmaße erreicht hat, wird im „Erziehungscamp“ auf zwei Ebenen erweitert: Nach amerikanischem Vorbild werden Jugendliche in „Camps“ gesteckt und dort auf gesellschaftliche Eignung getrimmt. Zudem wird suggeriert, nur (noch) so könne man diesen jungen Menschen beikommen. Der Erfolg dieser pädagogischen Arbeit misst sich in der Unterordnung sowie unreflektierten Übernahme von Lebensweisheiten. Das Ganze wird gewohnt reißerisch aufbereitet und in sechs Teilen mit jeweils 60 Minuten dargereicht. Da wird auch gerne mal die „Gruppensitzung“ gefilmt, in der Jugendliche von Kannenberg („Du kapierst es einfach nicht ...“; „Ich hab’ keine Lust mehr, du kannst gehen!“) zum Weinen gebracht werden, der Rest der Gruppe sieht ängstlich zu. Jeder kann der Nächste sein.Den „inhaftierten“ Jugendlichen bleibt kaum ei-ne Wahl: Entweder sechs Monate Drill mit La-gerleiter Kannenberg („ ... unser Drillinstructor“ – Zitat RTL2) oder in geschlossene Einrichtungen bzw. ins Jugendgefängnis.Konzeptionelle Vermischung von Ebenen.
Es ist schwierig, bei der vorliegenden Vermischung von Realität und Unterhaltungsfernsehen, wie sie typisch für eine Doko-Soap ist (und meines Erachtens geplant und gewollt), eine differenzierte Kritik zu äußern. Vielleicht so: Ein fragwürdiges pädagogisches Konzept wird me-dial so aufbereitet, dass es einerseits den exhibitionistischen Gelüsten des Fernsehpublikums gerecht wird, andererseits (und dies ist ebenso fatal) als Blaupause für Korrekturen an gesellschaftlichen Problematiken angewendet werden kann. Erziehung und (sozial-)pädagogische Arbeit wird mit bedingungsloser Unterordnung, extremer körperlicher Betätigung sowie unre-flektierter Übernahme von funktionalen Techniken gleichgesetzt. Emanzipatorische Ansätze, Empowerment, Gender, das sind Fremdworte im von Regeln dominierten Konzept, welches von Horst Köhler mit einer Bundesverdienstmedaille versehen wurde.Aber vielleicht ist dies symptomatisch: Vorbei die Zeiten der Aufklärung, das Ideal des mündigen Bürgers – eine funktionalistische Gesellschaft will ein regelwerkhaftes, zuverlässiges Potenzial von Korrekturwerkstätten.
Kollektiver Zwang statt individuelle Einsicht, monotone Vorgaben statt Be-rücksichtigung von Neigungen und Fähigkeiten. Geschlechtsspezifisch? Aber sicher! Da nur männliche Jugendliche von männlichen „Respekttrainern“ (welche mittels Trillerpfeifen kommandieren!) trainiert werden, kann sich das Programm auch geschlechtsspezifisch schimpfen. Der Tagesplan ist auf die Jugendlichen ab-gestimmt (so wie es sich Kannenberg und seine „Respekttrainer“ vorstellen): Von 5.55 bis 22.30 Uhr (außer sonntags) ist der Tag minutiös durchgeplant. Frühsport, Überlebenstraining, 500 (!) Liegestütze, Zehn-Kilometer-Lauf, Respekttraining, Nachtlauf und bis zu dreimal täglich duschen. Ein weiterer, wesentlicher Bestandteil ist das Boxtraining – schließlich sollen sich die Jugendlichen ja „im Leben durchboxen“.Wichtig für die Jugendlichen sind auch klare Hierarchien. Die Jugendlichen durchlaufen drei Phasen, wer sich gut „durchboxen“ kann steigt in den nächst höheren Rang auf. Für das Publikum wird die Rangordnung durch die verschiedenen T-Shirts kenntlich gemacht.
Neben der körperlichen Ertüchtigung machen Rituale den Camp-Alltag aus: Hierzu zählen das Willkommens-, Überlebens-, Essens-, Grab-, Kreis-, Tages-, Baum- und Verabschiedungsritual.Wem allmählich Zweifel aufkommen mögen, der darf sich von Kannenberg beruhigen lassen, schließlich kommt er, wie seine Kombattanten, von „ganz unten“ und Boxen fördert die Disziplin. Jungs boxen eben gerne.Fachpersonal – FehlanzeigeSie gehen wegen fundierter Rechtsberatung noch zum Rechtsanwalt oder vertrauen bei gesundheitlichen Fragen einem Facharzt? Wie rückständig und überflüssig: Schließlich kann jeder, der schon einmal rechtliche oder gesundheitliche Probleme hatte, Sie beraten. Diese Analogie vermittelt Das Erziehungscamp.
Eine pädagogische Leitung ist zwar (noch) nötig, aber sonst können in diesem Betätigungsfeld ebenso gut ehemalige Boxer, Straffällige, NVA-Offiziere ihre Lebensweisheiten weitergeben.Nun lässt sich (mittlerweile) schwerlich RTL2 der Vorwurf machen, unreflektierte und fragwürdige Formate zu produzieren – zu viele gab es be-reits. Und dass Erwachsene zu Vielem bereit sind, solange sie ins Fernsehen kommen und der monetäre Aspekt stimmt, ist auch nicht neu.Neu ist die unerträgliche Form der Vermischung von Sozialer Arbeit im Allgemeinen sowie professioneller Jugendhilfe im Speziellen mit einer haarsträubenden Konzeption plus medialer Aufbereitung (selbst die einzige Sozialarbeiterin in Folge sechs ist so klischeehaft dargestellt, dass es schon an Diskreditierung einer Profession grenzt).
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Alexander Buck
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Andrea Krüger: Glowys und Goblins im zauberhaften Feenwald
Feyruna – Der Feenwald, Downloadversion, Win 95/98/ME/NT4/2000/XP/Vista, USK 6. Frankenthal: Jochen Kärcher Gamedesign, 19,95 €
„Ein gewaltfreies Spiel für die ganze Familie“, wirbt Jochen Kärcher für sein neues Spiel Feyruna – Der Feenwald und verspricht nicht zu viel. Als gute Fee müssen die Spielenden versuchen, den Feenwald vor ,Dunklen Mächten’ zu schützen, die Dunkelheit über diesen bringen wollen. Dabei tauchen immer mehr Feinde auf, die es zu verjagen gilt, um Feyruna zu retten. Da gibt es zum Beispiel Hexen, die mit den Dämpfen aus ihren Hexenkesseln die kleine Fee für kurze Zeit betäuben. Oder Goblins, die in verschiedenen Gestalten auftauchen und die Fee mal als Drachenflieger zu rammen versuchen oder sie als Schamanen mit Feuerbällen verletzen wollen. Geschieht dies, so wächst unter dem positiven goldenen Energiebalken am oberen Bildschirmrand ein bedrohlicher schwarzer Balken heran, der die Energie des Bösen darstellt. Ist der schwarze Balken schneller gefüllt als der goldene, so ist ein Teil von Feyruna an das Böse verloren und der Level muss nochmals gespielt werden.
Die kleine Fee muss sich durch 60 Level kämpfen und dabei ihren Feinden mit Hilfe verschiedenster Zauber Herr werden. Nach jeweils 15 Levels kommt es zum Duell mit einem der vier Schattenfürsten, den Anführern der dunklen Seite. Sie werden von Mal zu Mal stärker, genau wie ihre Gehilfen in jedem Level mehr und bedrohlicher werden. Trotzdem bleiben erschreckende Bilder oder gewalttätig wirkende Features außen vor. Die ‚atmosphärische’ Musik dudelt immer gleich harmonisch und selbst die Feinde sind so niedlich gestaltet, dass man sich beim ersten Anblick ein Schmunzeln kaum verkneifen kann. Überhaupt ist die schöne und detailreiche Grafik ein Highlight des Spiels.
Von Level zu Level lassen sich immer wieder neue raffinierte und wunderschöne Details erkennen.Feyruna ist auch schon für Kinder ab sechs Jahren gut geeignet, da keinerlei Gewalt oder Unheimlichkeiten vorhanden sind. Das Spiel kann durchgängig mit der Maus bedient werden. So können hier nicht nur Kinder, sondern auch Senioren, die oft von komplizierten Tastenkombinationen abgeschreckt werden, leicht mithalten. Durch die stetige Steigerung des Schwierigkeitesgrades im Laufe des Spiels kommen aber auch anspruchsvollere Spielerinnen und Spieler auf ihre Kosten. Manch einem Teenager oder Erwachsenen fehlt es vielleicht an Action fehlen, aber dann wäre das Spiel nicht mehr das, was es ist, nämlich „ein gewaltfreies Spiel für die ganze Familie“.
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Andrea Krüger
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Günther Anfang: TrackMania United
TrackMania United, Windows 2000/XP/x64/Vista, Pentium IV 1.6GHz, 256 MB RAM Direct X 9,09 kompatible Grafikkarte mit mind. 16 MB, Direct X 9.0c kompatibel Soundkarte. Festplattenbedarf 1,5 GB; USK: Ohne Altersbeschränkung; 35 €
Jungs lieben Autorennen, ob real oder virtuell. Aus diesem Grund sind Rennspiele für den Computer bei dieser Zielgruppe seit Jahren sehr erfolgreich. Klassiker des Genres sind Need for Speed oder Midtown Madness. Bei diesen Spielen geht es in erster Linie darum, Rennen in verschiedenen Städten wie London oder Washington D. C. zu fahren und dabei auch diverse Crashs mit anderen Fahrzeugen und Personen zu riskieren. Anders ist das bei TrackMania, das ebenfalls als Klassiker dieses Genres eingestuft werden kann. Hier geht es vor allem darum, Strecken zu bauen und darauf die eigenen Fahrkünste zu testen. Von der Vielzahl von Rennspielen hebt es sich durch einen integrierten Editor ab, mit welchem der Spieler auf einfache Weise eigene Strecken gestalten kann.
Damit ist TrackMania sozusagen ‚Die SIMS für Jungen’. Über 300 Streckenbauteile, von Geraden und Kurven über Schanzen, Loopings und Röhren bis hin zu Schlaglöchern, Tunnels und Dekorationselementen stehen zur Auswahl. Die erstellten Strecken lassen sich danach in 3D-Grafik sowohl im Einzelspieler- wie auch im Mehrspieler-Modus befahren. Auf Kollisionsmöglichkeiten der Fahrzeuge untereinander wurde zugunsten des Spielprinzips verzichtet.Ausgehend vom TrackMania Original, das bereits 1995 auf dem Markt gekommen ist, sind in der Zwischenzeit viele weitere Versionen erschienen unter anderen TrackMania Sunrise, TrackMania Nations und als neueste Variante TrackMania United.Der neueste Teil der mehrfach preisgekrönten TrackMania-Serie bietet zwar nicht umwerfend viel Neues, doch durch die Überarbeitung kamen einige nette Effekte hinzu.
So sind die Hin-tergründe besser gemalt und auch die Autos mit mehr Details ausgestattet. In drei verschiedenen Modi und auf rund 200 neuen Kursen kann man sein Können unter Beweis stellen. Das Spiel kann sowohl online mit Gleichgesinnten rund um die Welt als auch allein gespielt werden. Als Onlinespiel bietet TrackMania die Mö-glichkeit im Netzwerk gemeinsam an Strecken zu basteln und dafür auch sogenannte ,Coppers’ und Bewertungen zu erhalten. Wie bei allen Onlinespielen ist damit aber auch ein Zeitfresser eingebaut. So schön und kreativ das Spiel ist, so problematisch ist es in Bezug auf den Zeitfaktor. Alle Rennbegeisterten können sich hier mehrere Stunden in einer virtuellen Welt verlieren und vergessen darüber ihre Hausaufgaben.
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Günther Anfang
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Kai Hanke: Ein Traum von Widerstand
Nachdem Zentropa Productions mit Filmen wie Italienisch für Anfänger oder Dancer in the Dark tadellose Erfolge feiern konnte, hat auch der Kinder- und Jugendfilm Der Traum zahlreiche nationale und internationale Preise gewonnen (vgl. 2/2006). Seit Ende Mai ist er endlich auch in deutschen Kinos zu sehen. Ein Lichtblick für Eltern und Erziehende auf der Suche nach sinnvollem Kinoprogramm. Denn von Regisseur Niels Aarden Oplev ursprünglich als Film für Erwachsene über Kinder gedacht, hat der anspruchsvolle Film vor allem bei Jugendjurys und dem jungen Publikum große Begeisterung geweckt. Sommer 1968. Dänemark. Eine kleine, gemütliche Gemeinde im ländlichen Raum. Die Geschichte des 13-jährigen Frits (Janus Dissing Rathke) beginnt mit schicksalhaften Entwicklungen. Frits’ Vater wird in den Sommerferien unvermutet wegen einer psychischen Störung ins Krankenhaus eingeliefert. Während Frits um seinen Vater bangt, verbringt er Stunden vor dem neu angeschafften Fernseher und verfolgt fasziniert die politischen Entwicklungen in der Welt, die Friedensbewegung der sechziger Jahre und die Reden von Martin Luther King. Nach den Ferien beginnt für ihn jedoch eine noch schwerere Zeit an seiner neuen Schule. Dort waltet der nicht nur reaktionäre, sondern auch autoritäre und körperlich züchtigende Direktor der Schule Lindum Svendsen (Bent Mejding).
Seine kompromisslose Art fürchten in dem bra-ven Dorf Schüler wie Lehrpersonal. Nach einer unglücklichen Dummheit wird Frits von Svendsen brutal bestraft und schwerverletzt nach Hause gebracht. Mutig und getragen von den Freiheits- und Gerechtigkeitsidealen Martin Luther Kings nimmt Frits den Kampf gegen den bösartigen Direktor auf. Seine rebellische Haltung findet dabei nicht nur bei seinen Eltern, sondern auch dem progressiven Lehrer Freddi Svale (Anders W. Berthelsen ) Unterstützung. Gemeinsam – und gegen alle Widerstände des Direktors selbst, aber auch seitens der autoritätshörigen Belegschaft der Schule – versuchen sie Svendsen seines Amtes zu entheben. Anfangs sind es noch die wenigen Erwachsenen, die Frits’ Rebellion ermutigen. Am Ende des Films jedoch ist er der einzige, der für seine Rechte einzustehen vermag – und auch das Schicksal hat wieder seine Hand im Spiel.Regisseur Oplev, der auch das Drehbuch verfasst hat, ist mit Der Traum ein vielschichtiger, dichter Film gelungen, dessen Dimensionen sich dem Publikum je nach Alter wohl in unterschiedlichem Ausmaß erschließen. Die älteren mögen die durchaus abstrakten, politischen Hintergründe des Filmes, den Widerstreit zwischen Progression und Konservativismus in den 60er Jahren im Vordergrund sehen. Den jüngeren eröffnen sich diese Konflikte zwischen Autorität und Emanzipation hingegen sehr konkret.
Denn für Frits geht es vor allem darum, er selbst zu bleiben, seine Wünsche und Träume durchzusetzen, zu leben. All das sind Schwierigkeiten, mit denen sich Kinder und Jugendliche auch jenseits politischer Ideologien der Erwachsenenwelt identifizieren können. Der Film besticht dabei nicht nur durch eine für Kinderfilme ungewöhnlich anspruchsvolle Kamera (Lars Vestergaard) und ein detailverliebtes Szenen- und Kostümbild (Søren Skjaer/Manon Rasmussen). Er vermag auch eine gerade für die kindliche Rezeption wichtige Ausgewogenheit zwischen dramaturgischer Spannung und Entspannung aufrechtzuerhalten. Schließlich überzeugt der Film durch die beeindruckende Leistung vor allem der jungen Darstellerinnen und Darsteller – umso erstaunlicher als Janus Dissing Rathke als Frits hier sein Schauspiel-Debüt gab. Unabhängig von der insgesamt und besonders für Kinder empfehlenswerten Qualität des Films – manches hinterlässt beim kritikwilligen Publikum einen faden Beigeschmack: Zunächst ist der Film, sein Set, die Anlage der Rollen allzu klischeeverhaftet und vereinfachend (vor allem im Fall des Schuldirektors und des neuen Lehrers Svale). Einseitige, undifferenzierte Charaktere mögen einen Einstieg in den Film erleichtern, über die Dauer des Films verlieren sie jedoch ihre Glaubwürdigkeit.
Einen weiteren, ärgerlichen Punkt stellt der versteckte Patriotismus dar, der sich auch durch so manch andere dänische Produktion der letzten Jahre gezogen hat (bspw. Flickering Lights). Und dies durchaus nicht immer mit ironischer oder andersartiger Distanz. Spätestens, wenn Vater und Sohn im Glück der Vater-Sohn-Beziehung strahlend gemeinsam die dänische Flagge hissen, stellt sich die Frage, was das bitteschön mit dem Film zu tun hat! Eine Antwort gefährdet in gewisser Hinsicht die Lust am Weitersehen.Alles in allem: Der Traum ist ein intensives Filmerlebnis für alle Altersgruppen. Eine spannende Story, gespickt mit einer zarten Liebesgeschichte, originellen Einfällen und Nebenhandlungen, insgesamt konsequent, mitreißend und in wunderschönen Bildern erzählt. Obwohl der Film auf einer wahren Begebenheit beruht, verliert er sich allerdings oftmals im Klischee und verspielt seine inspirierende Kraft durch unnötige Vereinfachungen von Charakteren und Situationen (zugegeben – ein allzu erwachsener Kritikpunkt).
Wie auch immer, der Traum bleibt irgendwie ein Traum. Wägt man allerdings Stärken und Schwächen des Films ab, so ist der Film letztlich ein sehenswerter Familienfilm, der Jung und Alt zu erreichen und zu berühren vermag. Und wer weiß, vielleicht inspiriert er ja doch – auch oder gerade wegen seiner romantisierenden Art – die eine oder den anderen, ein wenig von Frits’ Freiheitswillen aus dem Kino in das eigene Leben zu holen. Drømmen | Der TraumDänemark, Großbritannien 2005, 105 minRegie: Niels Arden OplevDarsteller: Janus Dissing Rathke, Anders Berthelsen, Bent Mejding, Sarah Juel WernerZentropa ProductionsFSK 6
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Kai Hanke
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Michael Bloech: Der rote Elvis
Dean Reed war eine der geheimnisvollsten Ikonen der globalen Popkultur zu Zeiten des Kalten Krieges. In Leopold Grüns Dokumentarfilm Der rote Elvis wird aus einer distanzierten, aber zu-gleich auch ambitionierten Perspektive die berufliche, ideologische wie auch die private Seite der Biografie des US-Amerikaners, der aus politischen Gründen 1973 in die damalige DDR immigrierte, beleuchtet. Der Sänger und Schauspieler verstand sich als Sozialrevolutionär und reiste unermüdlich mit seiner Gitarre durch die Welt, protestierte gegen Militätrregimes und den Vietmamkrieg und warb für seine Utopie.
Bekannt und beliebt war er vor allem in den sozialistischen Staaten, in Osteuropa und Südamerika. Und politische Persönlichkeiten wie Salvador Allende, Daniel Ortega und Yassir Arafat zählten zu seinem Bekanntenkreis. Als er in die DDR zog, konnte er dort zunächst die Menschen durch seine charismatische Ausstrahlung begeistern. Dean Reed gelang es jedoch im Verlauf der Jahre nicht, seine hochfliegenden sozialistischen Ideale in die eigene, private Lebensweise zu integrieren. Ausgenutzt von der DDR-Propaganda, vereinnahmt vom politischen Kalkül der Machthabenden, unfähig auf den Wandel der Zeit zu reagieren, desillusioniert und zermürbt von Beziehungskrisen beging der Künstler schließlich 1986 Selbstmord.
Akribisch verfolgt der Film mit Berichten von prominenten Zeitzeugen wie dem Schauspieler Armin Mueller-Stahl, DEFA- Regisseur Günter Reisch oder der Schriftstellerin Isabel Allende mehrere Stationen aus dem sprunghaften Leben von Dean Reed und zeigt, wie wichtig und motivierend Utopien einer-seits sind, macht aber auf der anderen Seite auch deutlich, welche menschliche Tragik sich aus der Desillusion entwickeln kann. Bemerkenswert an dem Film ist, wie pointiert und spannend ein Personenportrait sein kann, wenn nicht auf oberflächliche Effekte zurückgegriffen wird und Widersprüche nicht geglättet werden. Der rote ElvisDeutschland 2006, 90 minRegie: Leopold GrünDarsteller: (Mitwirkende) Chucho Fernandez, Isabel Allende, Peter Boyles, Armin Mueller-Stahl, Celino Bleiweiß, Egon Krenz, Wiebke Reed, Günther Reisch, Maren Zeidler Neue Visionen Film Verleih GmbH
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Michael Bloech
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Petra Baumgartner: Herr Bello und das blaue Wunder
Regisseur Ben Verbong, Produzent Ulrich Limmer und Drehbuchautor Paul Maar sind ein erfolgreiches Trio. Schon mit den Filmen Das Sams und Sams in Gefahr versetzten sie große und kleine Zuschauer in Erstaunen. Jetzt haben sie sich an die Verfilmung des Kinderbuches Herr Bello und das blaue Wunder gewagt. Herausgekommen ist eine emotionale, gefühlvolle und fast seichte Komödie. Worum geht es? Der zwölfjährige Max (Manuel Steitz) lebt mit seinem Vater, dem Apotheker Sternheim (August Zirner) nach dem Tod der Mutter in einer idyllischen Kleinstadt. Der Vater kümmert sich liebevoll um den Knaben, aber es gelingt ihm nicht, die fehlende Mutter zu ersetzen. Und Max wiederum versucht alles Kindermögliche, dass keine neue Frau in das Leben des Vaters tritt. Denn er hat Angst, auch den geliebten Vater zu verlieren. Auf dem Bauernhof von Sternheims Freund Edgar (Jan-Gregor Kremp) läuft Max ein niedlicher Hundemischling über den Weg, der ihm fortan nicht mehr von der Seite weicht. Max tauft den Hund auf den Namen Bello.
Zur gleichen Zeit bekommt der Apotheker Sternheim eine Flasche mit einer seltsamen blauen Essenz überreicht. Bei Landwirt Edgar wird die wundersame Flüssigkeit gleich als mögliches „Düngemittel“ getestet. Was in der Flüssigkeit wirklich steckt, muss bald der Hund Bello erleben. Durch ein Missgeschick zerbricht die Flasche, Bello schlabbert von der verwunschenen Flüssigkeit und verwandelt sich in einen Menschen! Das heißt, Herr Bello (Arnold Rohde), sieht zwar aus wie ein Mensch der sprechen kann, benimmt sich aber weiterhin wie ein Hund. So sorgt er für jede Menge Aufregung. Nachts setzt sich Herr Bello aufs Dach und jault den Mond an, im Park schnüffelt er Hundedamen hinterher und be-sonders die Manieren am Tisch lassen arg zu wünschen übrig. Aber auch für Sternheim scheint eine neue Zeit anzubrechen, denn die attraktive Frau Lichtblau, die gerade ins Haus eingezogen ist, fördert ganz neue Gefühle in ihm zutage. Die Situation spitzt sich zu, als Bauer Edgar seine Nutztiere mit dem verzauberten Gras füttert. Hühner, Hasen, Schweine und Kühe laufen plötzlich auf zwei Beinen in der Stadt umher und sprechen mit einem seltsamen Akzent. Wie es sich für einen Familienfilm gehört, gibt es auch ein Happy End.
Im Kern handelt Herr Bello von einem Jungen, der lernen muss, von seiner toten Mutter Abschied zu nehmen und in der Familie den Platz für eine andere Frau frei zu geben. Dass aber in Wahrheit der Wunsch nach familiärer Harmonie bereits in dem Jungen steckt, zeigt ihm letztlich der Hund Bello. Die vordergründig komisch-absurde Ebene der vielen Verwandlungen über die man in jedem Alter lachen kann, täuschen darüber hinweg, dass die kompletten Zusammenhänge des Films erst einem Publikum ab zehn Jahren verständlich sein dürften. Denn die Liebesgeschichten inklusive Eifersucht und heimlichen Verehrern sind für ein ganz junges Publikum wohl noch zu kompliziert; diesem dürfte es schwer fallen, hier immer den roten Faden zu behalten. Alles in allem: Herr Bello ist gelungener Familienfilm. Armin Rohde liefert eine herrliche Vorstellung und hat sichtliches Vergnügen daran, all das zu tun, was für Menschen gemeinhin als unschicklich gilt. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch der ausgesprochen komische Auftritt des Badesalz-Duos. Kinder und Eltern werden den Plot des Filmes mögen und sich schon auf die Verfilmung Neues von Herrn Bello freuen. Herr BelloDeutschland 2007, 97 minRegie: Ben VerbongDarsteller: August Zirner, Armin Rohde, Sophie von Kessel, Manuel Steitz, Jan-Gregor Kremp Collina Filmproduktion/Constantin FilmFSK 6
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Petra Baumgartner
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Tilmann P. Gangloff: Lesen ist sexy
Fernsehen ist kinderleicht: hinsetzen, einschalten, gucken. Deshalb hält es auch niemand für nötig, Kindern das Fernsehen beizubringen: Sie lernen es, indem sie es tun. Lesen hingegen ist schwer, Lesen muss man lernen. Aber wenn man es kann, macht es Spaß. Für die meisten ist dies allerdings der einzige Zugang zur Lektüre: Sie dient der reinen Unterhaltung. Laut regelmäßiger Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie greifen immer weniger junge Menschen (14 bis 29 Jahre) zur Zeitung, wenn sie sich über ein bestimmtes Thema näher informieren möchten. Zur Jahrtausendwende galt das noch für etwa die Hälfte der Befragten, heute nur für gut 38 Prozent. Selbst das Fernsehen (60,9 Prozent) ist bei der Informationssuche nicht mehr Leitmedium: Längst hat es seine Füh-rungsposition dem Internet (69,7 Prozent) überlassen müssen. Trendvergleiche belegen zwar ei-ne Erosion der Zeitungslektüre in allen Altersgruppen, doch bei Menschen unter dreißig kann man von einem Erdrutsch sprechen: Um auf dem Laufenden zu bleiben, genügt es der Mehrzahl völlig, regelmäßig Medien wie Fernsehen, Radio und Internet zu konsumieren. 1992 waren in dieser Altersgruppe noch 58 Prozent der Meinung, man sollte regelmäßig eine Tageszeitung lesen; mittlerweile hat sich die Zahl halbiert.
In Amerika ist dieses Phänomen schon länger zu beobachten. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf bezogen die meisten jungen Wähler ihre Informationen über die Kandidaten aus TV-Talkshows. Für Rüdiger Schulz ist das eine alarmierende Entwicklung. Der langjährige Projektleiter am Allensbacher Demoskopie-Institut denkt nicht zuletzt an die Ergebnisse der PISA-Studie, wenn er fordert: „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, die Bedeutung der Zeitungslektüre wieder aufzuwerten. Das Leben gelingt mit regelmäßiger Zeitungslektüre besser!“ Schulz, der im Auftrag der Verlage das Leseverhalten schon seit Jahrzehnten beobachtet, betont, es gehe ihm nicht „um die Gewinnoptimierung von Medienhäusern“. Auch wenn er es nicht so direkt formuliert: Er betrachtet die Qualitätszeitungen als unverzichtbare Stützen der Demokratie. Eine reine Internetnutzung verkürze das Blickfeld: „Beim Abruf konkreter Informationen leistet das Medium nützliche Dienste, aber das Verständnis von Zusammenhängen sowie die Fähigkeit, Pro und Contra abzuwägen, gehen verloren“. Dass es soweit gekommen ist, hat den Sozialwissenschaftler allerdings nicht überrascht.
Er beobachtet diese Tendenz seit 1984. Ausgerechnet in jenem Jahr, das durch George Orwells Roman gleichen Titels als Synonym für eine pessimistische Utopie gilt, ist hierzulande das kommerzielle Fernsehen eingeführt worden. Seither vollzieht sich auch in Deutschland eine ähnliche Entwicklung der Banalisierung wie schon seit Jahrzehnten in Amerika. „Wir leben in einer un-geistigen Zeit“, stellt Schulz mit Bedauern fest. Da Politik immer komplexer werde, „steigen vie-le Menschen einfach aus“. Ähnlich wie beim Klimawandel sei es aber noch nicht zu spät, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Es gelte nun vor allem, den „Mehrwert der Zeitungslektüre“ herauszustellen. Der steht für ihn außer Frage, und zwar auch für junge Menschen. „Verschiedene Studien belegen: Ein anregendes Lesemilieu im Elternhaus wirkt sich außerordentlich positiv auf die berufliche Karriere aus“. Ausgerechnet dort, in den Familien, finden sich Zeitungen aber immer weniger. Es sei daher nötig, so Schulz, „in allen Bereichen, also bei Eltern, Schule, Politik und Wirtschaft, ein Problembewusstsein zu schaffen: Wohin führt diese Entwicklung?“ In die Verantwortung nimmt er vor allem die Schule, denn die Möglichkeiten der Tageszeitungen hält er für begrenzt. Freundlichere Leserführung, Layout-Optimierung und andere Reformen seien weitgehend ausgeschöpft. Schulz warnt eindringlich vor einer stärkeren Boulevardisierung: „Das ist kein Erfolgsrezept, wie die sinkende Auflage auch von Bild belegt“.
Es seien daher flankierende Maßnahmen der Medienpädagogik nötig: „PISA hat zwar alle erschüttert, aber konkrete Folgen gibt es nicht. Dabei zeigt sich deutlich: Das verstehende Lesen ist in Deutschland rückläufig. Es bedarf entsprechender Anstrengungen, die Zeitungslesekompetenz zu fördern“. Schulz verweist auf PISA-Spitzenreiter Finnland: „Dort gibt es Bestwerte bei der Lesekompetenz, weil auch bei jungen Leuten der Anteil der Zeitungsleser sehr hoch ist“. Das derzeitige Engagement der Verlage („Zeitung in der Schule“) hält Schulz nicht für ausreichend, um die Lesebarrieren der Jugendlichen zu überwinden: „Es genügt nicht, vier Wochen lang gratis eine Zeitung zu liefern“. Die Kooperation mit den Schulen müsse sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und dürfe sich auch nicht auf den Deutschunterricht beschränken: „Die Jugendlichen müssen dazu verführt werden, eine Tageszeitung in allen Teilen zu nutzen“. Das könne durchaus auch spielerische Züge haben, indem Schüler beispielsweise täglich nach der wichtigsten und der unwichtigsten Meldung suchen. Hilfreich seien auch medienpädagogische Projekte etwa in Form von Baukästen.
Für das Fernsehen gibt es solche Materialien be-reits; Kinder können auf diese Weise lernen, wie Werbung funktioniert. Schulz weist ausdrücklich daraufhin, dass er das Internet keineswegs verteufele. Er hält es im Gegenteil „für optimal, die Stärken beider Medien miteinander zu verknüpfen“. Im Gegensatz zum ,Web’ aber sei das Zeitunglesen auch ein sinnliches Vergnügen: „weil man durch Bilder und Überschriften dazu verführt wird, sich mit Themen zu beschäftigen, die man als Suchbegriff nie eingegeben hätte“. Tageszeitungen sind also doch, was ihnen Digitaleuphoriker gern absprechen: sexy. Nicht bloß Finnland liefert übrigens den Beweis, dass sich die beiden Medien keineswegs ausschließen: Hier wie dort sind in-tensive Internet-Nutzerinnen und -nutzer in der Regel auch überdurchschnittlich aktive Zeitungsleserinnen und -leser.
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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merz: Flimmo - Fernsehen mit Kinderaugen
merz Herr Gurt, was ist FLIMMO?
Gurt FLIMMO ist eine wissenschaftlich und pädagogisch fundierte Programmberatung für Eltern und Erziehende. FLIMMO bietet pädagogische Einschätzungen zu allen Sendungen, die Kinder zwischen drei und 13 Jahren gerne sehen oder mit denen sie als Mitsehende in Berührung kommen. Über die Programmbesprechungen hinaus liefert FLIMMO vertiefende medienpädagogische Informationen zum Thema Kinder und Fernsehen. Aktuelle Ereignisse und Diskussionen in und über Medien werden aufgegriffen und auf www.flimmo.tv und in der Broschüre thematisiert.
merz Was bietet FLIMMO?
Gurt FLIMMO hilft Eltern, den Fernsehkonsum ihrer Kinder kompetent zu begleiten. Voraussetzung dafür ist, dass Eltern verstehen, was das Fernsehen für Kinder bedeutet, was sie begreifen und was ihnen Probleme bereiten kann. Deshalb setzt FLIMMO an der Sichtweise der Kinder an und zeigt, wie sie Fernsehangebote erleben und wie Eltern den Umgang mit dem Fernsehen sinnvoll steuern können.
merz Was sind die Perspektiven für die Zukunft?
Gurt FLIMMO muss sich immer wieder neu justieren, um mit den Entwicklungen des Fernseh- und Medienmarktes und den Veränderungen der Lebenswelt von Kindern Schritt zu halten. Insofern liegt allen Beteiligten die Weiterentwicklung von FLIMMO auch in Zukunft am Herzen. 2007 wird es neben dem Jubiläum zu zehn Jahren FLIMMO einen neuen Bereich im Internet geben, der sich ausschließlich an professionelle Erzieherinnen und Erzieher richtet. Das Fachportal wird Informationen und Anregungen zum kindlichen Medienumgang und zur Medienarbeit mit Kindern enthalten, sowie Hinweise auf wichtige Institutionen, Arbeitsmaterialien, Weiterbildungsangebote usw.
Günther Anfang: 25-jähriges Jubiläum Medienzentrum München des JFF
Als vor 25 Jahren der Münchner Stadtrat beschloss, ein Medienzentrum einzurichten, war noch nicht abzusehen, welche Entwicklungen die Medienlandschaft in den nächsten Jahren nehmen würde. Die Büros waren noch mit Schreibmaschinen ausgestattet und Computer allenfalls in großen Rechenanlagen vorhanden. Die neuen Medien waren noch nicht in aller Munde und von Medienkompetenz sprach damals auch noch niemand. Trotzdem gab es vor 25 Jahren schon eine Menge medienpädagogischer Herausforderungen. Die Gewaltdiskussion – ein Dauerbrenner der Medienpädagogik – entzündete sich gerade an der Videogewalt und der Umgang mit den Medien, damals noch in erster Linie das Fernsehen, wollte gelernt sein. Vorbilder für das Medienzentrum gab es ebenfalls, die Medienoperative in Berlin, das MPZ in Hamburg und der Jugendfilmclub in Köln. Sie kamen ent-weder aus der alternativen Videobewegung oder aus der Spielstellenarbeit. In München ging man bei der Überlegung ein Medienzentrum ins Leben zu rufen, jedoch erst einmal einen viel pragmatischeren Weg. Die Stadt wollte eigentlich einen Medienpool einrichten. Dieser sollte gewährleisten, dass die Mediengeräte zentral verwaltet, gewartet und zum Einsatz vor Ort gebracht werden. Im Antragstext des damaligen Jugendwohlfahrtsausschusses wurde dazu festgestellt: „Die Situation in der Münchner Jugendarbeit im Hinblick auf den Umgang mit Medien ist unbefriedigend. Den Mitarbeitern der Jugendarbeit fehlt häufig das nötige medienpädagogische Wissen; es gibt keine Weiterbildungsmöglichkeiten und keinen Erfahrungsaustausch.
Dazu kommt: Geräte sind nicht überall vorhanden, Geräte werden nicht genügend genutzt, weil sie nur einer Einrichtung gehören, Geräte werden unsachgemäß behandelt, defekte Geräte kostspielig instand gesetzt.“ (Beschluss vom 03.12.1981) Der Medienpool sollte also nur gewährleisten, dass die Mediengeräte gewartet und funktionstüchtig verliehen werden können. Durch geschicktes Verhandeln gelang es dem JFF jedoch, aus dem Medienpool mehr zu machen, und zwar ein Medienzentrum, das den Namen auch verdient. Es sollte nicht nur Mediengeräte ausgeben, sondern Jugendmediengruppen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendarbeit beraten, wie sie mit den Medien sinnvolle Medienprojekte machen können. Auch die Aus- und Weiterbildung von Multiplikatorinnen bzw. Multiplikatoren der Kinder- und Jugendarbeit stand im Konzept. Und schließlich sollte der aktiven Medienarbeit ein Schwerpunkt eingeräumt werden, um Impulse für die Medienarbeit in der Stadt zu setzen. Mit diesem Konzept konnte das Medienzentrum München am 2. Mai 1982 dann schließlich an den Start gehen und sich in der medienpädagogischen Szene bundesweit schnell etablieren. Mittlerweile gehört das MZM zu den ältesten medienpädagogischen Einrichtungen in Deutschland und wurde selbst zum Vorbild für Medienzentren und Medienstellen in anderen Kommunen und Städten. Seit seiner Gründung hat das MZM zahlreiche medienpädagogische Aktivitäten initiiert und vielfältige Impulse für die Jugendmedienarbeit in München gesetzt.
Das Jugendfilmfest flimmern & rauschen oder das Engagement bei der Veranstaltungsreihe Inter@ktiv sind dafür beispielhaft. Aber auch das Jugendradio Störfunk und das Jugendfernsehmagazin maTz-TV auf Münchner Lokalsendern sind wichtige Beiträge einer aktiven Medienarbeit, die Kindern und Jugendlichen den selbständigen Umgang mit Medien nahe bringt. Im Vordergrund der Arbeit des Medienzentrums stand dabei immer, Kinder und Jugendliche zum kritischen Medienkonsum zu befähigen und sie bei der Entwicklung von Medienkompetenz zu fördern. In der Woche vom 23. bis 28. April feiert das Medienzentrum sein 25-jähriges Jubiläum. Im Rahmen des Jubiläums gibt es eine Rückschau auf 25 Jahre Jugendfilmkultur. Gezeigt werden Filme aus den letzten 25 Jahren, die die Entwicklung der Jugendfilmarbeit verdeutlichen. Hier kann man sehen, wie sich die Themen der Jugendlichen verändert haben. So dominierten in den 80er Jahren noch Filme, die sich mit gesamtgesellschaftlichen Problemen wie zum Beispiel den Gefahren der neuen Medien auseinander setzten oder das Thema Umwelt in den Mittelpunkt stellten, während in den späteren Jahren die Probleme Jugendlicher immer individueller wurden. Natürlich zeigt die Rückschau auch, dass ein Thema immer gleich geblieben ist: das Thema erste Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen. Den Abschluss der Reihe bildet eine Festveranstaltung am 27. April und ein Treffen der Medienzentren am 28. April.
Informationen zum Programm der Filmwoche und zur Festveranstaltung gibt es auf der Seite des Medienzentrums unter www.medienzen-trum-muc.de.Günther Anfang
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
Autor:
Günther Anfang
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Jürgen Bofinger: Medien in der Schule - Fehlanzeige?
Vor zwei Jahren wurden die Eindrücke von der didacta 2005 in Stuttgart mit den Worten zusammengefasst: „Eine Renaissance der Printmedien?“ (merz 2/2005). Schon damals war die Rede von einer „Rückbesinnung auf Tafel und Kreide“, von multimedialen „Zeitschluckern“ und von einem „Trend zum herkömmlichen Schulbuch“. Und das Fazit lautete: „Wie soll die weitere Implementation digitaler Medien in der Schule ge-lingen? Die Trends auf der didacta 2005, Bereich Schule/Hochschule, haben dafür erste (Warn-)Zeichen gesetzt.“Nun hat die didacta 2007 in Köln, die vom 28. Februar bis zum 3. März dauerte, ihre Pforten geschlossen. Die Veranstalter sprechen von einem exzellenten Ergebnis für die beteiligten 776 Anbieter aus 21 Ländern. Mehr als 95.800 Besucher wurden registriert. Das sind 42 Prozent mehr im Vergleich zur didacta 2006 in Hannover und übertrifft das Ergebnis der letzten Kölner didacta nochmals um rund zwei Prozent. Damit ist die Bildungsmesse 2007 in Köln die erfolgreichste Veranstaltung seit Bestehen der didacta.
Mit über 1.500 Veranstaltungen im Rahmenprogramm war die didacta 2007 gleichzeitig Europas größter Bildungskongress und pädagogische Fortbildungsveranstaltung.Nur: Die ‚neuen’ Medien spielten auch in diesem Jahr eine verdächtig geringe Rolle. Das Forum Multimedia wurde ersatzlos von einem Forum Unterrichtspraxis abgelöst. Und auch die neuen Zahlen des Dachverbandes aller Schulbuchverlage in Deutschland (VdS Bildungsmedien) über den Branchenumsatz geben zu denken: Konnte das klassische Schulbuch in den letzten fünf Jahren noch leichte Wachstumsraten erzielen, so war der Umsatz mit Lern- und Unterrichtssoftware von 15 Millionen Euro im Jahre 2002 auf circa acht Millionen Euro im Jahre 2006 deutlich rückläufig. Noch Mitte der 90er Jahre erwarteten die Verlage, dass sich der Anteil computergestützter Medien am Gesamtumsatz bis zum heutigen Tage auf 25 bis 30 Prozent entwickeln würde. Tatsächlich waren es gerade fünf Prozent. Ergänzt man diese Absatzzahlen mit Ergebnissen aus Studien über den tatsächlichen Einsatz digitaler Medien im alltäglichen Fachunterricht an unseren Schulen, dann wird die Kluft zwischen den Erwartungen und der Realität weiter sichtbar: In Bayern setzten 2006 rund 21 Prozent aller Lehrkräfte digitale Medien in ihrem Fachunterricht regelmäßig ein.
2002 waren es 17 Prozent – ein jährlicher Zuwachs um gerade einen Prozentpunkt. Und das angesichts enormer schulischer Ausstattungsinitiativen und der Entwicklung guter, unterrichtstauglicher Anwendungssoftware. Soweit die Bedeutung digitaler Medien als Unterrichtshilfen.Mit medienpädagogischen Aktivitäten sieht es an unseren Schulen noch schlechter aus – trotz vieler öffentlichkeitswirksamer Anlässe: 2002 hatten in einer bayerischen Studie rund sieben Prozent aller von Lehrkräften genannten Medienaktivitäten einen medienpädagogischen Hintergrund (Medien als Unterrichtsthema); 2006 berichteten acht Prozent aller befragten Lehrkräfte, dass sie medienpädagogische Themen mit ihren Schülerinnen und Schülern „regelmäßig“ behandelten.Quo vadis? Die Lage der Medien, als Unterrichtshilfen und als Unterrichtsthemen, ist so ungewiss wie nie zuvor. Darüber können auch die vielen erfolgreichen Einzelbeispiele und „Leuchtturmschulen“ nicht hinwegtäuschen, die bisher keine große Ausstrahlung haben.chen Distanz der meisten Lehrkräfte gegenüber Medien kann keine Rede mehr sein. Für die eigene Unterrichtsvorbereitung werden digitale Medien gerne angenommen. Es ist die Finanzsituation der Sachaufwandsträger, es sind die schul- und unterrichtsstrukturellen Bedingungen, die zunehmende Zeit- und Arbeitsbelastung in Zeiten von PISA, Vergleichsarbeiten, Evaluations- und Qualitätsanforderungen, die Lehrkräfte auf den Einsatz von Medien und auf eine intensivere Beschäftigung mit medienpädagogischen Themen verzichten lassen. Denn die Beschäftigung mit Medien hat immer noch den geringsten Verpflichtungsgrad in unseren Schulen.
Jürgen Bofinger
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
Autor:
Jürgen Bofinger
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Kai Hanke: Eine eigene Welt
Für Außenstehende liest sich das Programmangebot von GIGA TV wie ein Fachmagazin für Informatik: GIGA Games Maxx, WC3L Qualifikation bei GIGA eSports oder YAVIDO. Die Moderationen, Themen und Schlagwörter in den Sendungen muten oft ebenso fremd an – kaum zu verstehen für viele Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen, die sich nur selten mit Computer- oder Konsolenspielen befassen. Doch darauf kommt es dem Sender auch gar nicht an. Denn bei GIGA TV handelt es sich um einen Special-Interest-Sender, der sich mit einem entsprechenden Programmangebot auf eine spezielle Zielgruppe konzentriert. Für GIGA besteht sie vor allem aus denjenigen, die sich für Video-, PC- oder Konsolenspiele begeistern oder einfach nur interessieren.
Das Angebot reicht von ausgiebigen Informationen zu Spielen und ihren Spielerinnen und Spielern bis hin zu Musiksendungen und Datingshows. Beiträge über Hard- und Software werden ergänzt durch News zu Spam-Mails, Internet-Videos oder Berichte über Online-Games. Für Letztere haben sich regelrechte Spielgemeinschaften und eSport-Ligen gebildet, in denen Einzelspieler oder Teams um den obersten Tabellenplatz streiten. GIGA eSports berichtet darüber, auch wenn mittlerweile Sender wie DSF vergleichbare Formate im Programm haben. MedienkonvergenzAls Sender schafft GIGA dem Konvergenzgedanken in Bezug auf Medien einen speziellen Raum. Dies zeigt sich sowohl programm- als auch marketingtechnisch. Programmtechnisch fällt die Fülle der thematisierten Medien auf. Aufgrund des Senderschwerpunkts stehen dabei Software und Hardware als Basis für On- und Offline-Spiele im Mittelpunkt der Berichterstattung. Jedoch wird immer wieder auch auf andere Medien wie MP3-Player, Mobilfunktechnik, Zeitschriften oder Neuerungen im Bereich der Internet-Kommuniaktion eingegangen. Zudem scheint GIGA TV davon auszugehen, dass das Publikum auch eine Vielfalt von Medien nutzt und sie gegebenenfalls auch zum Empfang von GIGA TV einsetzt. Darüber hinaus werden im Programm von GIGA TV immer wieder Marketingprinzipien reproduziert, die auf eine multimediale Vermarktung von Produkten setzen: In den Kino-News wird der dritte Teil einer großen Filmproduktion besprochen, in der darauffolgenden Sendung dreht sich alles um das dazugehörige Computerspiel und tags darauf schließ-lich läuft dann noch der Titelsong des Films als Musikvideo in einer Musiksendung.
Empfang
GIGA TV ist in den meisten Regionen Deutschlands als normales Fernsehprogramm über Kabel und Satellit zu empfangen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, das Programm übers Internet anzusehen. Seit Juni 2006 ist mit GIGA 2 sogar ein weiteres, jedoch kostenpflichtiges Pay-TV-Programm von GIGA auf den Markt gekommen, das als Internetfernsehen funktioniert, jedoch inhaltlich dieselben programmlichen Schwerpunkte setzt wie GIGA TV. Abgesehen von den inhaltlichen Schwerpunkten zeichnen sich die Programme von GIGA durch einen regen Einsatz des Internets aus. Das Fernsehprogramm wird durch ein Internetangebot ergänzt, bei dem die Zuschauerinnen und Zuschauer oftmals ganze Sendungen interaktiv begleiten und mitbestimmen können. Zusätzlich bieten die Internetseiten des Kanals den Nutzerinnen und Nutzern durch ein Forum und einen Communitybereich die Möglichkeit, sich gezielt über Themen und Spiele auszutauschen und neue Online-Bekanntschaften zu knüpfen.Einschätzung aus medienpädagogischer PerspektiveIn der Förderung von interaktiven Teilhabemöglichkeiten sowie der programmlichen Spezialisierung liegt auch einer der Gründe, weshalb Kinder und Jugendliche sich (möglicherweise) dem Programm von GIGA TV zuwenden.
Denn all diejenigen, die Computer- oder andere Spiele lieben und sie auch regelmäßig spielen, finden bei GIGA Anregungen und Tipps dafür und erfahren Wissenswertes über die Entwicklung ihrer Lieblingsspiele. Außerdem können sie sich durch die spezielle Programmausrichtung und die zahlreichen Teilhabemöglichkeiten für Zuschauerinnen und Zuschauer über das Internet als Teil einer Gemeinschaft fühlen, die ähnliche Interessen hat wie sie selbst. Durch die Vorstellung von Spielen und neuen Techniken macht GIGA TV allerdings immer auch Werbung für kommerziell zu erwerbende Produkte. Gerade für jüngere Kinder ist diese versteckte, crossmediale Werbung nicht leicht zu durchschauen. Ein zusätzliches Problem kann die Auswahl der besprochenen und live im Fernsehen gespielten Spiele darstellen. Einige von ihnen, zum Beispiel der Ego-Shooter Counterstrike, sind von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) nicht für alle Altersgruppen freigegeben. Auch wenn GIGA TV versichert, entsprechende Spiele erst ab 22.00 Uhr ins Programm zu nehmen, sind sie dort für Kinder und Jugendliche leicht zu verfolgen. Aus medienpädagogischer Perspektive ist es in jedem Fall sinnvoll, sich einen vorurteilsfreien Eindruck vom GIGA-Programm zu verschaffen, der einerseits die Nutzungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt und darauf aufbauend mögliche Risiken bei der Rezeption verschiedener Programminhalte und -formate offen legt.
Kai Hanke
Michael Bloech: Die Berlinale - Filme im Überfluss
Einen Überblick über das Angebot der 57. Berlinale zu bekommen, ist ob der immensen Vielfalt des Angebots ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist. Für die medienpädagogische Arbeit ist die Berlinale jedoch ein qualitativer Gradmesser, denn hier finden sich neben Blockbustern auch viele kleine Filmproduktionen, die engagiert und innovativ eigene Wege suchen. So war es im vorigen Jahr spannend zu beobachten, wie vielfältig und kreativ die deutsche Filmlandschaft sich entwickelt hatte, um dann in diesem Jahr ernüchternd festzustellen, dass dieser Trend offensichtlich nicht von langer Dauer war. Das Kinderfilmfest hat Geburtstag – es lebe Generation!Das Kinderfilmfest ist inzwischen einer der renommiertesten Bereiche der Berliner Filmfestspiele. In diesem Jahr firmierte diese Sektion zu ihrem 30. Geburtstag unter dem etwas unglücklichen Titel Generation. Darunter bezeichnen Kplus und 14plus ab sofort die beiden Unterprogramme für Kinder beziehungsweise Jugendliche. Thomas Hailer, der Leiter von Generation, möchte mit dem neuen Titel darauf aufmerksam machen, dass es bei der altersübergreifenden Sektion nicht primär um Kinderfilme, sondern auch um Filme für Jugendliche geht. Eine weitere Neuerung bildet das geplante Kooperationsprojekt zwischen der Berlinale und den beiden Vertriebspartnern absolut Medien und Matthias Film.
Einige der Preisträgerfilme werden in diesem Rahmen voraussichtlich ab Herbst 2007 auf DVD herausgebracht. Oft war ja ein Manko, dass viele interessante Kinder- oder Jugendfilme zwar in Berlin einen Preis erhielten, aber dennoch den Weg ins deutsche Kino oder Wohnzimmer nicht schafften.Außer dieser Umbenennung und dem interessanten DVD-Angebot ist es zu keiner nennenswerten Umstrukturierung gekommen. Allerdings erfreute sich vor allem der Bereich 14plus steigender Beliebtheit, aber auch das Programm für Kinder wurde wie schon in den vorangegangenen Jahren gut angenommen. Bot vor allem die Qualität der Filme im Wettbewerbsprogramm der Berlinale Anlass zu heftigen Diskussionen, so wurde im Gegensatz dazu, das Angebot bei Generation mehr als wohlwollend aufgenommen. Zu Recht, denn die 13 Jugend- und 15 Kinderfilme boten neben vielen netten Kurzfilmen, neben Qualität und Anspruch, auch viel Unterhaltung und Abwechslung. Kplus – hauptsächlich Kinderfilme für Ältere In der Sektion Kplus fiel vor allem auf, dass es einen Trend hin zu mutigen, dramaturgischen Wagnissen gab. Normalerweise war der Kinderfilm bislang dominiert von klassischer Sachlichkeit, einer geradlinigen Erzählweise, die vor allem Kinderfilme aus skandinavischen Ländern kennzeichnet.
Ein Vertreter dieser eher konventionell erzählten Filme ist Trigger, eine norwegisch schwedisch dänische Koproduktion von Gunnar Vikene. In unaufgeregten Bildern wird hier die Geschichte der kleinen Alise erzählt, die ihren Großvater auf seinem Weg ins Altenheim begleitet. Ihre große Liebe gilt den Pferden und als plötzlich der völlig verstörte, geflohene Hengst Trigger auftaucht, kann zunächst nur noch ihr Großvater helfen, das Pferd zu bändigen. Als dieser jedoch schwer erkrankt, ist das kleine Mädchen ganz auf sich und ihre beste Freundin gestellt. Der sehr sensibel gemachte Film richtet sich vor allem an jüngere Kinder, während der überwiegende Teil von Kplus Filmen diesmal vor allem auf ältere Kinder abzielt. Auch die einzige deutsche Produktion im Kplus-Wettbewerb Blöde Mütze von Johannes Schmid schielt eher auf ein etwas älteres Publikum. Erzählt wird hier die Geschichte des zwölfjährigen Martin, der in die Provinz zieht und sich seinen Platz in der neuen Umgebung erst noch erkämpfen muss. Seine Champion Baseballkappe, die blöde Mütze, ist mehr ein Schutz, ein virtueller Panzer, denn der schüchterne Martin gehört nicht gerade zu den ,Champions‘. Insgesamt ist Blöde Mütze eine sympathische Mischung von New Kid in Town und First Love, ein sensibles Portrait eines stillen Jungen, auf dem steinigen Weg des Älterwerdens. Erfrischenderweise sind bei Kplus zu diesen eher ruhigen Filmen ganz wagemutige, spektakuläre, freche Filme hinzugekommen, die von Kindern einiges an Konzentration aber auch an Wissen voraussetzen. Stellvertretend dafür sei hier Razzle Dazzle des Australiers Darren Ashton genannt.
In Form einer Fernseh-Dokusoap erzählt der sehr vergnügte und schrille Spielfilm die Geschichte einer Kindertanzschule. Im Zentrum der Story steht der einfühlsame und originelle Tanzlehrer Mr. Jonathan, der an ,seine‘ Kinder glaubt und sie nicht nur in den Bereichen des Tanzens fördert und fordert, sondern auch einen politischen Anspruch hat und diesen mit in seine Choreografie einbaut. Die junge Tanzgruppe fiebert einem Tanz-Wettkampf entgegen und hat es dabei mit einer anderen Kindergruppe zu tun, die von der überengagierten, konservativen, strengen Tanzlehrerin Miss Elisabeth geleitet wird. So stoßen permanent zwei Welten aufeinander, die eine geleitet von Jonathans Kreativität und politischem Engagement und die andere von Miss Elisabeths Drill und Traditionsbewusstsein. Kleine Kinder werden Probleme haben, beim Zuschauen das Fiktive der Handlung zu erkennen und herauszulösen. Zu wenige Hilfestellungen erteilt der Film, als dass jüngere Kinder das raffinierte Spiel mit filmischen Formen durchschauen können. Ganz in der Tradition eines Dokumentarfilms erläutert Mr. Jonathan in der Exposition des Films mit dem geraden Blick in die Kamera sein Verständnis von Tanz und lockt mit diesem Stilmittel trickreich die Zusehenden zunächst bewusst auf eine falsche Fährte. Ältere Kinder oder Jugendliche haben allerdings umso mehr Spaß an diesem Spiel, als dass die Machart des Films ihre Medienkompetenz herausfordert. Auch der stellenweise subtile Humor des Films setzt einiges an Seherfahrung voraus. Damit aber Razzle Dazzle nicht zu intellektuell anmutet, ist das Ganze immer wieder von derberen witzigen Szenen durchsetzt und mit fantastischen Musik- und Tanzeinlagen garniert.
Macht dieser australische Film den Zusehenden die Künstlichkeit des Mediums transparent, so setzt der Preisträgerfilm Das Internat des Thailänders Songyos Sugmakanan ganz auf die Klaviatur des klassischen Horror-Thrillers und lässt sein Publikum damit völlig distanzlos in die innere Welt seines Protagonisten zitternd eintauchen. Der Film ist wirklich nichts für zarte Gemüter und daher hat das Festival sich entschlossen, ihn erst ab zwölf Jahren zu empfehlen. Eine richtige Entscheidung, denn die vielen überraschenden und wirklich schockierenden Momente sowie der kaum zu ertragende Suspense beanspruchen die Nerven bis aufs Äußerste. Vor allem die klaustrophobisch wirkenden, düsteren Kamerabilder und die genial eingesetzte Spannungsmusik bewirken eine Tour-de-force für das Publikum. Im Gegensatz allerdings zu Hollywoodproduktionen à la Sixth Sense oder Splattermovies haben die gezeigten Bildwelten einen inhaltlich außerordentlich ernsthaften Hintergrund. Im Kern geht es in der Geschichte um den Jungen Ton, der von seinem Vater ins Internat geschickt wird. Hier muss Ton gegen seine eigenen Gespenster, seine Angst und Einsamkeit kämpfen. Tons Mitschüler erzählen sich gegenseitig nachts im Schein der Taschenlampen unter der Bettdecke düstere Gespenstergeschichten, die Tons Fantasie beflügeln. Das Internat vermittelt Gänsehautstimmung pur und knüpft dabei raffiniert an realen Ängsten von Kindern an. Die interessante Botschaft des Films lautet dabei, lass dich auf deine Wahrnehmungen, deine Fantasie und Ängste ein, und vertrau deiner eigenen Kraft und inneren Stärke.
Der Film erhielt von der Kinderjury mit einem gläsernen Bären zu Recht den Hauptpreis und vom Kinderhilfswerk eine lobende Erwähnung. Bei all der Euphorie, um die hohe Qualität des Kinderprogramms, darf allerdings kritisch angemerkt werden, dass zukünftig die jüngeren Kinder nicht aus dem Blickfeld verschwinden sollten.14plus – der steinige Weg des Erwachsenwerdens An die Probleme älterer Kinder, die im Fokus von Kplus standen, knüpfte das Jugendprogramm von 14plus nahtlos an. Hier ging es hauptsächlich um die beschwerlichen Prozesse des Erwachsenwerdens. So auch für den 14-jährigen Armin, der im gleichnamigen Film von Ognjen Svilicic mit seinem Vater Ibro von Bosnien nach Kroatien reist, um an einem Casting für einen Film teilzunehmen. Für den Jungen ist es aber die größte Herausforderung, sich von den Ansprüchen seines Vaters zu lösen ohne da-bei den Respekt, das Ansehen und die Liebe seines Vaters zu verlieren. In vielen kleinen Gesten werden die Versagensängste, das gegenseitige Nichtverstehen sowie der enorme Erwartungsdruck deutlich. Als schließlich Armin, trotz permanentem Kampf des Vaters, keine Chance bekommt, bei dem Film mitzumachen, spitzt sich der Konflikt zwischen den beiden zu. Das ungleiche Paar erhält jedoch überraschenderweise vom Filmteam die Chance, an einem anderen Filmprojekt mitzuwirken, eine Dokumentation über die Situation im Nachkriegsbosnien. Diese Chance hat aber einen zu hohen Preis: Vater und Sohn wollen zwar ihrem Elend in Bosnien entfliehen, doch ihre eigene Situation wollen sie nicht dem globalen Voyeurismus preisgeben. Diese kleine Vater-Sohn-Geschichte über Würde wird in ruhigen Bildern erzählt, die lakonischen Dialoge beweisen trotz grober Flüche des Vaters feinen Sinn für Humor und von dem stillen Duell der beiden Hauptdarsteller wird man unaufhaltsam in den Bann gezogen.
Der Film wendet sich in seiner Kritik aber auch an Pädagoginnen und Pädagogen bzw. Eltern die, vor lauter gutem Willen, Jugendliche in der schwierigen Phase des Erwachsenwerdens oft mit ihren Ansprüchen und Zielen überfordern. Hier vermittelt der Film zwischen den Generationen, denn Armin stellt am Ende stolz fest, dass sein Vater ihn liebt und akzeptiert. Und Ibro ist stolz auf seinen Sohn, auch wenn er sein offensichtliches Ziel nicht erreicht hat.Das Zerbrechen von UtopienÄhnlich wie Armin, steht der gleichaltrige Dvir in Sweet Mud von Dror Shaul vor einer unlösbaren Aufgabe. Zusammen mit seiner Mutter gefangen in einem isrealischen Kibuzz, sehnt er sich nach Freiheit und nach einem Vater, den er verloren hat. Das Kibuzz ein Ort, in Gleichheit und Gemeinschaft, regelt streng den Alltag. Was jedoch als sozialistische Utopie begann, ist längst einem korrupten Unterdrückungsapparat gewichen. Ohne familiäre Bindungen und ohne individuelle Freiheit ist das Leben für Dvir und seine Mutter zur Qual geworden. Die Mutter schöpft kurzfristig Hoffnung als ihr Freund Stephan, ein älterer schweizer Grandseigneur, sie besucht, doch dann gerät ihre Welt vollständig aus den Fugen. Stephan widersetzt sich den strengen Strukturen des Kibuzz, lehnt sich auf und muss schließlich das Kollektiv verlassen. Für Dvir ist Stephan, der lebenslustige Mann mit dem feinen Gespür für Situationen und Emotionen, in kurzer Zeit zu einer Vaterfigur geworden. Seine plötzliche, erzwungene Abreise lässt Dvirs Mutter noch tiefer in ihre Depression versinken, die im tiefen Alkoholdunst mündet. Dvir versucht der Mutter Brücken zu bauen, um sie aus ihrem emotionalen, selbstzerstörerischen Strudel zu reißen, aber schließlich muss er schmerzvoll erkennen, dass er nur alleine bestehen kann. In drastischen, nachdenklich stimmenden Bildern mit einer perfekt eingesetzten Musik zerstört der melancholische Film die Illusion des harmonischen Wechselspiels von Individualität und Gemeinschaft, von Freiheit und Gleichheit. Sweet Mud erhielt bereits viele nationale und internationale Preise und den gläsernen Bären der Jugendjury.
Michael Bloech
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
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Michael Bloech
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Sabine Bonewitz: Happy Birthday FLIMMO!
Ich glaube nicht an Zufälle. Viele Dinge passieren genau dann, wenn die Zeit dafür reif ist. Für FLIMMO, den medienpädagogischen TV-Ratgeber, trifft das gleich in mehrfacher Hinsicht zu! Vor zehn Jahren ist 1997 die erste FLIMMO Ausgabe erschienen. In dieser Zeit schossen neue Sender und Programme, die Kinder als neue Zielgruppe ausmachten, wie Pilze aus dem Boden, zum Beispiel SuperRTL, der Kinderkanal oder Nickelodeon. Da waren meine Kinder gerade vier und fünf Jahre alt und fingen an, selbständig das Kinder TV-Programm zu entdecken. Das tägliche Fernsehangebot schien zu einem undurchdringlichen Dschungel anzuwachsen. Doch Hilfe war in Sicht: In unserer Kita lag ein Exemplar des FLIMMOs aus! Obwohl ich Dank meiner beruflichen Vorbildung in Sachen Sozial- und Medienpädagogik gegenüber vielen anderen Eltern einiges an Vorwissen aufweisen konnte, hat der ‚Fernsehguide’ auch mir seit dieser Zeit regelmäßig geholfen, den Überblick zu bewahren – und das ganz ohne pädagogischen Zeigefinger! ‚Auswahl’ heißt das Zauberwort!Wie zu erwarten, hat sich das mit der Medienflut bis heute nicht geändert und mit Aussicht auf die Digitalisierung des Fernsehens ist das Ende noch lange nicht in Sicht. Damit Eltern im unübersichtlichen ‚Mediendickicht’ nicht völlig planlos umherirren, heißt das Zauberwort nach wie vor: Auswahl! Doch um die richtige Wahl treffen zu können, müssen Eltern und Kinder die breite Angebotspalette erst einmal beurteilen können. Welches Fernsehprogramm ist für mein Kind geeignet, welches Computerspiel entspricht seinen Bedürfnissen, was macht einen guten Kinderfilm aus? Da die wenigsten Eltern in punkto Medien Experten sind, brauchen sie Orientierungshilfen, um entsprechende Entscheidungen zu treffen
. Genau das ist das Ansinnen von FLIMMO.Wirtschaftsunternehmen, die vor ähnlichen Problemen im Umgang mit neuen und alten Medien stehen, beschäftigen Kommunikationsexperten, die den Firmen Inhalte für und von alten und neuen Medien aufbereiten, analysieren und dosieren. Im privaten Alltag muss das jede Familie für sich alleine umsetzen, sie muss ihr eigener Kommunikationsexperte werden. In Bezug auf das Fernsehen hilft ihnen dabei FLIMMO, vom Verein Programmberatung für Eltern e. V. herausgegeben und vertrieben und vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis redaktionell und konzeptionell aufbereitet.Die AnfängeBereits Anfang der 80er Jahre, als die Medienpädagogik sich als eigenständiger wissenschaftlicher Zweig der Pädagogik etablierte, gab es Angebote, die in diese Richtung gingen. Bei der Stiftung Lesen erschien kurz danach der Flyer Lesen-Fernsehen-Spielen – ein TV-Ratgeber für Kinder, der anhand ausgewählter Fernsehprogramme, Freizeit- und Buchtipps für Kinder von sechs bis zehn Jahren enthielt. Damals beschränkte sich die Fernsehauswahl allerdings auf die öffentlich-rechtlichen Kinderprogramme, Privatsender waren noch nicht auf dem Markt. Später dann gab es Die besten Medien für Ihr Kind, eine Broschüre, die der Berufsverband Audiovisuelle Medien in Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen 2001 zum ersten Mal veröffentlichte. In diesem Service-Angebot stand nicht das Fernsehprogramm im Mittelpunkt, es bot ein breites Spektrum mit Tipps zur Mediennutzung für alle Medien, die den modernen Alltag prägten.Zehn Jahre, so lange wie FLIMMO, hat sich allerdings keines der anfänglichen Medien-Begleitangebote gehalten. Bis heute erscheint der Ratgeber alle vier Monate als Broschüre und vierzehntägig als FLIMMO-online-Ausgabe im Internet. Neben einem umfassenden Überblick zum aktuellen TV-Programm, werden jede Menge alltagstaugliche Tipps zum Medienumgang geboten.Und die Unterzeile „Fernsehen mit Kinderaugen“, ist gleichzeitig Programm, denn FLIMMO nimmt das aktuelle Fernsehangebot aus der Sicht der Kinder unter die Lupe – auch ein Qualitätsmerkmal, das den Fernsehratgeber von anderen Publikationen unterscheidet. Die Grundlagen dafür liefern Forschungsergebnisse und regelmäßige Befragungen, bei denen aktuelle Trends berücksichtige werden können, zum Beispiel Befragungen zu Castingshows.
Die Programmpalette
Von Anfang an stand in FLIMMO nicht nur das klassische Kinderfernsehen im Fokus, sondern auch das, was Kinder sonst noch schauen: Daily Soaps, Nachmittags-Talkshows, Comedy-Programme, Serien, Spiel- und Unterhaltungsshows und vieles mehr. Da hat sich die Fernsehlandschaft gerade in den letzten zehn Jahren stark verändert: Mit Reality-Angeboten wie Big Brother oder Dschungelcamp sind immer mehr Formate aufgekommen, die es Kindern schwer machen, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Das erklärt FLIMMO verständlich und liefert Eltern und anderen Medienerziehenden das entsprechende Know-how.Ein wichtiges Sendungsauswahlkriterium der Redaktion sind dabei zum einen die Sehzeiten von Kindern – in FLIMMO werden Formate besprochen, die Kinder von drei bis 13 Jahren tatsächlich schauen: Montag bis Donnerstag von 13.00 bis 21.00 Uhr, freitags bis 22.00 Uhr und am Wochenende von 8.00 bis 22.00 Uhr. Zum anderen legt FLIMMO besonders viel Wert darauf, Programme einzubeziehen, die sich explizit an Kinder richten. Somit ist es selbstverständlich, dass neben den Programmen von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, ProSieben, RTL 2 und Kabel 1 seit dem Jahr 1998 das Angebot von KI.KA und von SuperRTL mit ausgewertet werden. FLIMMO am Puls der ZeitEbenso wie sich die Senderauswahl am jeweils aktuellen Stand orientiert, wandeln sich beständig auch die Inhalte und die Aufbereitung von FLIMMO: 1999, zwei Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe, sind die „Titelthemen“ entstanden, die dem Wunsch vieler Leserinnen und Leser nach umfassenderen Informationen Rechnung tragen.
Seit 2004 gibt es, passend zum ausgeweiteten Kinderfernsehprogamm in der Weihnachtszeit, eine FLIMMO-Sonderausgabe, mit pädagogischen Einschätzungen zu allen Spielfilmen, die zwischen Heiligabend und Neujahr gezeigt werden. Wie generell bei FLIMMO sind das keine TV-Kritiken im journalistischen Sinn, sondern Programmbeurteilungen aus der Perspektive der Kinder. Mittlerweile sind meine Kinder 14 und 15 Jahre alt und dem Kinderfernsehen entwachsen. Sie entscheiden selbst, was sie schauen und was nicht. Dass sie dazu in der Lage sind, hat sicher auch etwas mit FLIMMO zu tun. Denn für alle Medien, ob Fernsehen, Computer oder Internet gilt: Eine aktive Auseinandersetzung mit den Medien ist der beste Weg für einen ‚gesunden’ Umgang mit ihnen. Wer die Möglichkeiten der einzelnen Angebote kennt und gelernt hat, sie anhand von Qualitätskriterien zu messen, kann sie mit Spaß und Freude nutzen. In diesem Sinne hoffe und wünsche ich, dass die FLIMMO-Redaktion noch lange weitermacht und künftige Elterngenerationen und andere Erziehende von ihren Ratschlägen und Tipps profitieren.
Sabine Bonewitz
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
Autor:
Sabine Bonewitz
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Birgit Siehl: Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
Dani Levy zeigt im Abspann seines neuen Films „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ (seit 11. Januar 2007 in den deutschen Kinos), wie Menschen auf der Straße zu der Person Adolf Hitler befragt wurden. Ältere Menschen wollen nicht darüber sprechen, während jüngere Menschen nicht darüber sprechen können, da sie keine Ahnung haben. Der Regisseur will mit diesem Film versuchen, ein Stück Einblick in die Geschichte zu geben, über die viele lieber schweigen und über die die jüngeren Generationen auf Grund dieses Schweigens nichts erfahren. Doch wie nähert man sich einem solchen Thema? Dani Levy versucht es auf ironische Art und Weise, indem er die Geschehnisse aus der damaligen Zeit gezielt ins Lächerliche zieht. Das Publikum lacht über die Feigheit und Dummheit des Führers und fragt sich gleichzeitig, wie es möglich sein konnte, dass eine solche Witzfigur vom Volk gefeiert werden konnte. Dass Adolf Hitler nicht der starke Führer war, für den er in den 30er Jahren gehalten wurde, wissen wir heute. Der Film zeigt Adolf Hitler im Trainingsanzug und im Nachthemd. Doch nicht nur seine Bekleidung lässt ihn auf der Leinwand lächerlich erscheinen. Im Dezember 1944 scheint der totale Krieg bereits verloren zu sein, doch Goebbels will sich nicht geschlagen geben. Mittels eines Propagandafilms will er die Massen wieder zum Aufblühen bringen. Es gibt nur ein Problem, er benötigt den Führer. Um sein Volk für den Endkampf zu mobilisieren, soll er am Neujahrstag 1944 eine kämpferische Rede halten. Hitler leidet jedoch unter Depressionen und wagt sich nicht mehr vor die Haustür. Einzig der jüdische Schauspiellehrer Adolf Grünwald kann ihm aus diesem Tief helfen. Mit dem Plan, den Führer zu ermorden, geht dieser auf diesen Deal ein. Goebbels lässt ihn samt seiner Familie aus dem KZ Sachsenhausen in die Reichskanzlei holen. Als Grünwald jedoch erfährt, mit welchen Problemen Adolf Hitler zu kämpfen hat, entwickelt er Mitleid. Der Führer, der als Kind von seinem Vater geschlagen wurde, hat nicht nur Depressionen, sondern auch noch Drogen- und Potenzprobleme. Der Regisseur lässt nichts aus, um den ehemaligen Diktator bloßzustellen und trotzdem sieht das Publikum, wie ihm das Volk zujubelt. Im Film ist der „große Führer“ lediglich eine Marionette, die von machtbesessenen Personen benutzt wurde. Und stellt man sich während des Films doch oftmals die Frage, wieso jemand über diese schlimmen Ereignisse eine Komödie drehen muss, wird diese Skepsis auch am Ende beantwortet: „Um etwas zu verstehen, was man niemals verstehen wird.
“Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler
Deutschland 2006, 89 Minuten
Regie: Dani Levy
Darsteller: Helge Schneider, Ulrich Mühe
Verleih: Constantin Film
Christina Oberst-Hundt: Brüssel - rundfunkpolitisch gesehen
Wer sich aufmacht, die EU-Metropole rundfunkpolitisch zu erforschen, kommt nicht umhin, diese vielseitige, pulsierende, weltoffene und zuweilen verquere Stadt hautnah zu erleben, denn mit Rundfunkpolitik befassen sich in Brüssel viele Institutionen. Weite Wege erfordert es, vom Zentrum aus dorthin zu kommen. Kurze Wege allerdings, gemessen an jenen, welche die politischen Protagonisten zurücklegen mussten, um sich zur Ausgestaltung jener EU-Richtlinie, die einst „Fernsehen ohne Grenzen“ hieß, in einem langwierigen Prozess zusammenzufinden. So jedenfalls konnten es die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer von ver.di und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Journalistenreise empfinden, die sich Ende des letztjährigen sonnigen Novembers per U-Bahn und zu Fuß aufgemacht hatten, etwas über europäische Medienpoltik „aus erster Hand“, wie es im Besuchsprogramm hieß, zu erfahren. Dass es hierbei nur um Momentaufnahmen eines fließenden, sich fortwährend regenerierenden Prozesses gehen kann, zeigen die für die Ausgestaltung einer europäischen Rundfunkpolitik so wichtigen Ereignisse, wie die am 13. Dezember erfolgte erste Lesung des EU-Parlaments (EP) zur Fernsehrichtlinie, die jetzt ‚Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste’ heißt (vgl. dazu unten), und die Einigung der deutschen Bundesländer mit der EU-Kommission im Streit um das sogenannte Beihilfeverfahren gegen die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksysteme ARD und ZDF vom 15. Dezember (vgl. Übersicht unten). Bereits jetzt, Anfang des neuen Jahres 2007, werden die Umsetzungen problematisiert, so beispielsweise die weitgehende Zulassung von product placement, die Frontlinien erneuert, etwa wenn der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) die Einigung im Beihilfestreit zwar begrüßt, aber zugleich den Gang zum Europäischen Gerichtshof für „unumgänglich“ erklärt, „falls sich der Maßnahmenkatalog in wichtigen Kernpunkten als bloße Worthülse entpuppen sollte“.
Ende November war noch nichts klar, ein Ende des Streits zwischen EU-Kommission und den Ländern noch nicht absehbar und die Entscheidung des Europäischen Parlaments stand noch aus, wenn es auch hieß, die Erneuerung der Fernsehrichtlinie sei „auf gutem Weg“. Wenn dann schließlich Vereinbarungen und Beschlüsse zustande kommen, ist dies das Werk eines umfassenden, vielseitigen und aktiven ‚Netzwerks’ aus Institutionen, Organisationen, Parlamentsmitgliedern und Interessenvertretungen, die in die konkrete EU-Politik eingebunden sind, aktive, vielfältige Lobby-Arbeit betreiben und/oder kritische Auseinandersetzung suchen.
Offene Zusammenarbeit oder Umsetzung des politischen Willens?Rheinland-Pfalz zum Beispiel, das derzeit den Vorsitz der Rundfunkkommission der deutschen Bundesländer inne hat, obliegt über seine Vertretung in Brüssel auch bei der EU die Verhandlungsführerschaft in Sachen Rundfunkpolitik.
Der Jurist Tim Schönborn ist medienpolitischer Referent der Vertretung und betreibt aktive Lobbyarbeit, trifft sich mit Abgeordneten und hat sich intensiv an der inhaltlichen Arbeit bei der Revision der Fernsehrichtlinie beteiligt. Diese sieht er als „positives Beispiel für die Zusammenarbeit“ in Brüssel. Die lobt auch der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, Bernhard Rapkay. Allerdings vollziehe sich die inhaltliche Willensbildung dort „weniger über die Fraktionen sondern eher länderübergreifend“. Es werde eine „sehr viel offenere Zusammenarbeit als in den nationalen Parlamenten praktiziert“, meint er. Harald Trettenbrein, in der von EU-Kommissarin Viviane Reding geleiteten Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien zuständig für Audiovisuelle Politik, Mitautor des Revisionsentwurfs zur Fernsehrichtlinie, hält bei der Entscheidung im Parlament Änderungen im Bereich ‚Werbung’, für möglich. Die Zulassung von product placement hatte ein Teilnehmer zuvor als „nachträgliche Legitimierung eines unerlaubten Zustands, nämlich die Vermittlung von Leitbildern unter Mitwirkung von Marken-Unternehmen“ kritisiert. Laut Trettenbrein geht es um eine „Mindestharmonisierung im Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Kernbereich und europäischem Binnenmarkt“. Ziel sei eine „hinreichend inhaltliche Konkretisierung, ohne die Mitgliedsstaaten völlig einzuschränken“. Weniger differenziert scheint dagegen der Kabinettschef von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, Rudolf Strohmeier, seine Aufgabe zu sehen, die er als „Umsetzung des politischen Willens der Kommissarin“ definiert. Er wirke hier als „Transmissionsriemen“ und „Puffer“. Der kritischen Position Deutschlands zu product placement begegnet er mit dem Hinweis, „dann hätten dort die Bond-Filme jede Menge Verfahren auslösen müssen“.
Lobbyarbeit für den öffentlich-rechtlichen RundfunkPascal Albrechtskirchinger vom ZDF-Europabüro, vertritt in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der ARD die Interessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Brüssel. „Die Lobbys“, betont er, „werden oft und transparent in die Entscheidungsprozesse der EU-Kommission einbezogen“. Es gibt online-Befragungen und Anhörungen. Er definiert seine Tätigkeit als „Unternehmens- und ordnungspolitische Lobbyarbeit“. Hierbei sei auch die Abstimmung mit den public service-Anstalten der anderen EU-Länder wichtig, die angesichts oft erheblicher Unterschiede, nicht einfach sei. Auch mit der privaten Konkurrenz gibt es Absprachen zwecks Durchsetzung gemeinsamer Interessen. „Wir sind irgendwie ‘ne große family“, meint er. In Sachen ‚Fernsehrichtlinie’ sei „ziemlich viel erreicht“ worden. Insgesamt werde „ein europäisches audiovisuelles Regulierungssystem auf den Weg gebracht, das die Position der Öffentlich-Rechtlichen berücksichtigt“. Beim product placement habe sich die ablehnende Position der deutschen Länder nicht durchsetzen können. Der zu erwartende Kompromiss: Product placement darf die redaktionelle Unabhängigkeit nicht berühren, nur in bestimmten Sendungen (Fiktion, Sport) auftreten und muss durch ein Logo (alle 20 Minuten) kenntlich gemacht werden. Der Kommission gehe es um Wettbewerbsgleichheit mit den USA. Die Werbeindustrie brauche neue Wege, mit denen die Zuschauerinnen und Zuschauer auch tatsächlich erreicht werden. Werbebotschaften können nun nicht mehr weggeblendet werden, weil sie bereits ins Drehbuch integriert sind. Außerdem, so die Rechtfertigung der Kommission, finde product placement ohnehin statt, mit dem Logo sei es jetzt aber identifizierbar. ARD und ZDF haben erklärt, dass sie in ihren Eigen- und Auftragsproduktionen diese Werbeform nicht anwenden werden.
Zur Stellung des öffentlichen Rundfunks in der Union betont Albrechtskirchinger, dass das Vorhandensein eines dualen Rundfunksystems Bedingung für die Aufnahme ist. Die Sender in vielen neuen Ländern seien aber „völlig unterfinanziert“, so dass die Kommission hier inzwischen „sehr streng vorgeht und den Beitrittsländern blaue Briefe schickt, wenn dort der öffentliche Rundfunk nicht lebensfähig ist“.
Auf das Beihilfe-Verfahren angesprochen, kritisiert er den VPRT, der „über die EU die deutsche Medienpolitik ändern möchte. Die Kommission weiß aber, wie weit sie gehen kann“, meint er. „Sie kann nicht über das Wettbewerbsrecht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland normieren, weil das dem Amsterdamer Vertrag (1) widersprechen würde“.
Verbraucherschutz gegen Kinder-Fettleibigkeit
Das Treffen mit zwei Vetreterinnen des Europäischen Verbraucherverbandes (beuc), Cornelia Kutterer und Ursula Pachel, zeigte wieder andere Facetten europäischer Medienpolitik. Als Mitarbeiterinnen eines Verbandes, dem 40 Mitgliedsstaaten angehören, setzen sie sich dafür ein, dass bei der Neufassung der Fernsehrichtlinie Werbung für Junk Food verboten wird, weil sie vor allem die Jüngsten und Schwächsten ihrer Klientel schädigen kann: die Kinder. Junk Food, Kinderkost mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt, macht sie dick. Und Werbung, inklusive product placement sorgt dafür, dass sie immer wieder zu Pommes Frites & Co. verführt werden. 2006 wurde die Zahl übergewichtiger Kinder in der EU auf 22 Mio. geschätzt, Tendenz steigend. Nachdem in Großbritannien die Regulierungsbehörde Ofcom Werbung für Junk Food ab 2007 verboten hat, hoffen die Verbraucherschützerinnnen auf Zustimmung des Europäischen Parlaments für ihre Initiative.
Neue Herausforderungen für den Jugendschutz
Einen anderen, angesichts der zunehmenden elektronischen Nutzungsmöglichkeiten per Internet und Handy immer wichtiger werdenden Aspekt des Kinder- und Jugendschutzes thematisierte das 7. Brüsseler Mediengespräch, zu dem die Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz auch die Journalisten und Journalistinnen eingeladen hatte. Mit der Überarbeitung der Fernsehrichtlinie zu einer Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (2), die also neben herkömmlichen Fernsehprogrammen auch alle individuell abrufbaren Dienste erfasst, soll der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Inhalten, vor Gewalt und Pornografie mit Kindern gestärkt und ausgeweitet werden. Professor Johannes Kreile, Justitiar des Bundesverbandes Deutscher Fernsehproduzenten, betont, dass im Internet noch bis Ende der 90er Jahre Pornografie und andere jugendgefährdende Inhalte von einer „geschlossenen Benutzergruppe über 18-Jähriger“ abgerufen wurden. Heute sind Pornos und extreme Gewalt per Handy bereits auf Schulhöfen präsent. Das Sendestaatsprinzip, das bei rechtlichen Streitfällen an das Herkunftsland verweist, habe, so kritisiert Kreile, in der neuen Richtlinie „exemplarisch Vorrang vor inländischem Jugendschutz“. Während hier Jugendliche lediglich vor „ernsthafter Beeinträchtigung“ zu schützen seien, habe das Bundesverfassungsgericht den Schutz vor „erheblichen Schädigungen“ festgeschrieben, allerdings zugleich auch den „Schutz des Lernens von Kritikfähigkeit“.„Wir müssen uns beeilen, damit noch medienrechtlich gelöst wird, was sonst von der technologischen Dynamik überrollt wird“, meint Ruth Hieronymi, Berichterstatterin beim Europäischen Parlament für die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste. „Für den nichtlinearen Bereich“, so Hieronymi, sei „eine neue Form der Kontrolle durch Co- und Selbstregulierung nötig. Jetzt haben sich alle Staaten darauf geeinigt, geeignete Instrumente hierfür zu finden. Gemeinsame Moralvorstellungen“ könne es nicht geben, „wohl aber gemeinsame Standards“. Allerdings: Nicht-Mediendienste, wie beispielsweise Computerspiele, seien mit der neuen Richtlinie nicht erfasst. Mit ihr, so Hieronymi, sei also „erst ein Teil der Aufgabe erledigt.“ Dass es zusätzlich präventiven Jugendschutzes durch mehr Medienpädagogik und Stärkung der Medienkompetenz bedarf, darin waren sich alle im Saal einig.Die neue Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste als Wegweiser für Europas digitale Zukunft ist inzwischen vom Europäischen Parlament auf den Weg gebracht worden. Ministerrat und Kommission müssen noch zustimmen und die zweite Lesung steht noch aus. Die deutsche Bundesregierung ist vom Bundestag aufgefordert worden, die Richtlinie zu einem Schwerpunktthema ihrer Ratspräsidentschaft zu machen. Die endgültige Fassung wird vielleicht erst Ende 2007 vorliegen. Ob es dann mehr Schranken oder mehr Lockerungen für die grenzenlose audiovisuelle Freiheit gibt? In Brüssel und anderswo wird das „Spannungsverhältnis“ gegensätzlicher Interessen andauern. Die „Mindestharmonisierung“ hat noch etwas Zeit.
Anmerkungen
1 Das Amsterdamer Protokoll (1997) zum EG-Vertrag betont unter anderem die Bedeutung des öffentlich rechtlichen Rundfunks für kulturelle Vielfalt und Medienpluralismus
2 Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste unterscheidet zwischen linearen (herkömmliches Fernsehen) und nicht-linearen Diensten (Programme ‚auf Abruf’).
Die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie der EU Wichtige Ergebnisse der 1. Lesung des EP am 13.12.2006:product placement: in Kino- und Fernsehfilmen, Serien, sowie Sportsendungen erlaubt, in Nachrichten, aktuellen Sendungen zum Zeitgeschehen, Kinderprogrammen, Dokumentarfilmen und Ratgebersendungen verboten.
Sendungen mit product placement: müssen zu Beginn, Ende und mindestens alle 20 Minuten durch ein darauf hinweisendes Logo gekennzeichnet werden.
Themenplacement: grundsätzlich verboten
Junk Food-Werbung: lediglich Beschluss zur Einführung eines Code of Conducts (Selbstverpflichtung), kein Verbot
Recht auf Kurzberichterstattung beschlossen: Sender können europaweit über Ereignisse von großem öffentlichen Interesse auch dann berichten, wenn sie keine Übertragungsrechte haben.Herkunftslandprinzip beibehalten: Medienunternehmen mit grenzüberschreitenden Programmen unterliegen dem an ihrem Standort geltenden Recht. Beihilfeverfahren gegen ARD/ZDFWettbewerbskommissarin Neelie Kroes und die Ministerpräsidenten Beck und Stoiber haben sich am 15.12.2006 im Beihilfeverfahren gegen ARD und ZDF (Rundfunkgebühren als unzulässige staatliche Beihilfe) dahingehend verständigt, dass der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkreter gefasst und die Finanzkontrolle transparenter werden soll. Bei Sendevorhaben ab einer bestimmten Größe sind Genehmigungsverfahren durch die Aufsichtsgremien vorgesehen, bei denen auch Stellungnahmen Dritter, zum Beispiel der privatkommerziellen Sender, einzuholen sind. Danach erfolgt eine formale Prüfung durch die Länder als Rechtsaufsicht. Mit dem Genehmigungsverfahren entfällt die bisherige Begrenzung der öffentlich-rechtlichen Online-Aufwendungen von 0,75 Prozent der Gebühreneinnahmen. Die Vereinbarungen werden staatsvertraglich festgeschrieben. Wettbewerbskommissarin Kroes wird der Kommission die Einstellung des Beihilfeverfahrens empfehlen.
Daniel Amman: Reise durch den Körper
Der kleine Medicus. CD-ROM, Win 98SE/ME/2000/XP; Mac OS 9.0/OS 10.1. Berlin: Cornelsen, 2006, 24,95 €
In einer Mischung aus Science-Fiction-Abenteuer und Krimi erzählt der Arzt Dietrich Grönemeyer in seinem Sachbuchroman Der kleine Medicus (Rowohlt 2005) die Geschichte des zwölfjährigen Nanolino, der als winziger Korponaut eine Reise durch den Körper erlebt. Die gleichnamige Multimedia-CD-ROM für Kinder ab neun Jahren adaptiert die Handlung einmal nicht als Spielgeschichte, sondern präsentiert sich als rasantes Wissensquiz mit einem umfangreichen interaktiven Nachschlageteil. Wie in einer richtigen Fernsehshow müssen im Spielmodus Fragen rund um den menschlichen Körper und aus der ganzheitlichen Medizin in Echtzeit beantwortet werden. Micro Minitec, die Assistentin von Professor X aus dem Roman, führt quasselnd durchs Programm, erklärt das Vorgehen und prüft das Wissen der Spielenden mit unterschiedlichen Fragetypen. Beim Belastungs-EKG beispielsweise müssen in 60 Sekunden so viele Fragen wie möglich beantwortet werden, beim Sehtest gilt es ein unscharfes Bild zu erkennen, oder man spielt auf Risiko und darf den Spieleinsatz selbst bestimmen. Im interaktiven Lexikon werden auf 184 Bildschirmseiten Krankheiten und Behandlungsmethoden, menschliche Anatomie und medizinische Technik verständlich erklärt und teilweise mit animierten 3D-Grafiken illustriert. Die Rubrik Wissenswertes informiert über Ernährung, Bewegung oder das richtige Verhalten bei einem Notfall und in Großmutters Rezepten findet man Tipps für die Zubereitung von Tees oder zur Anwendung von Heil- und Duftölen. In zahlreichen Videoeinspielungen meldet sich Prof. Grönemeyer zudem selbst zu Wort und äußert sich zu Themen wie Akupunktur, Bauchweh, Fieber, Hypnose, Rauchen, seelisches Ungleichgewicht oder Kernspin- und Computertomografie. Dank alphabetischem Index, der Möglichkeit zu blättern und einer Suchfunktion eignet sich die Wissensebene hervorragend zum Stöbern und bereitet alle Neugierigen aufs Quiz vor. Hier kann man sogar zu zweit gegeneinander antreten, sei es am gleichen Computer oder über vernetzte Geräte. Wer schneller ist, reserviert sich zuerst die Frage und hat dann zehn Sekunden Zeit für die richtige Antwort. Liegt man allerdings falsch, werden wertvolle Punkte abgezogen und die Frage geht automatisch an den Gegner. Wie es sich für ein interaktives Quiz gehört, gibt es natürlich auch Joker. So lässt der Minus-1-Joker zum Beispiel eine der falschen Antworten verschwinden und der Recherche-Joker räumt einem eine Minute Zeit ein, um in der Wissensebene nach der Lösung zu suchen. Da stets auf Zeit gespielt wird, muss blitzschnell reagiert und durch Eingabe der entsprechenden Zahl die zutreffende Antwort gewählt werden. Eine Spielübersicht zeigt anschließend mit grafischen Balken an, wie erfolgreich man in den verschiedenen Themengebieten war. Hat man sich in allen Wissensbereichen bewährt, winkt am Ende ein Diplom zum Ausdrucken.
Elisabeth Jäcklein, Birgit Siehl, Andrea Krüger: Englisch lernen leicht gemacht
Lernerfolg Grundschule. Englisch Klasse 1 – 4. CD-ROM, Windows 98/2000/ME/XP, Pentium 233. Berlin: Tivola in Zusammenarbeit mit The Web Production, 2006. 19,99 €
Englisch – keine Hexerei. Speicherkarte, Windows 98/200/XP: ab Pentium III 400 Mhz. Langenscheidt in Zusammenarbeit mit Extrememory, 2006; 19,90 €
Tell me more Kids 3.0, Englisch 5 – 7 Jahre. CD-ROM, Windows ME/XP, Pentium 200. Auralog. Hamburg: HMH Hamburger Medien Haus, 2006; 29,89 €
Englisch lernen per Computerspiel? Das verspricht Spaß an der Sprache und ganz nebenbei noch einen Lerneffekt, zumindest wenn man den Herstellern und Werbern Glauben schenken möchte. Doch es besteht auch die Gefahr, Kindern auch noch das Freizeitmedium PC zu verleiden, wenn der Erfolg ausbleibt. Tivola hat sich auf diese Gratwanderung begeben und die Lern-CD-ROM Lernerfolg Grundschule produziert. Der kleine grüne Vampir Freddy heißt hier die Lernenden mit fröhlicher Marge-Simpson-Stimme in seinem Heim, Burg Schädelrauch, willkommen und lädt sie ein, die einzelnen Räume zu besuchen. In jedem Raum gibt es ein Themengebiet zu entdecken, von At School über Animals bis Body and Clothes ist alles dabei, was das Lernanfängerherz begehrt. Zu jedem Thema bietet Freddy Aufgaben und Tests an, die er immer fröhlich und ausführlich erläutert. Ist ein Test bestanden, darf das Kind zur Belohnung ein gänzlich Englisch-freies Spiel wie etwa Pingpong spielen. Freddys bester Freund, die Fledermaus Bodo, sitzt dabei immer im Bildschirmeck, grinst schelmisch in die Runde und bietet in seinen Flügeln Hilfe an. Schade ist, dass der Spaß am Spiel schon bei der extrem aufwendigen Installation und einem ersten Blick auf die nicht besonders schönen, dafür aber umso überladeneren Bilder des Schlosses getrübt wird.
Wenn sich dann noch der Sinn der Themengebiete überhaupt nicht erschließt, man etwa beim Fenster It’s party time in eine Schatzkammer gelangt und eine Art Memory zum Thema Valentinstag spielen soll, ist die Verwirrung komplett. Leider ist auch die Abfolge der Spiele stark vorgegeben, das Kind hat kaum Wahlmöglichkeiten und muss vor jeder Übung und jedem Test erst langatmige Erklärungen des grünen Vampirs über sich ergehen lassen. Diese Erklärungen wären im Hilfemenü oder einem beigelegten Heft für die Eltern besser untergebracht und weniger störend. Für jüngere Kinder kann es überdies ein Problem darstellen, dass fast bei jeder Übung schon Englischkenntnisse und Lesefähigkeiten vorausgesetzt werden – dieses Programm ist, wie sein Name schon vermuten lässt, wirklich nur als Ergänzung zum Schulunterricht zu empfehlen.
Einfach die Memory-Card in den mitgelieferten USB Card-Reader einlegen, im Menü auf Start klicken und schon führt auch Langenscheidt Kinder in die Welt des Übernatürlichen. Mit der Hexe Huckla und ihrer englischen Freundin Witchy erleben die Kinder einen normalen Tag einer englischen Hexe Witchy zeigt Huckla ihre Heimat und benennt die verschiedenen Dinge und Begriffe, die ihnen dabei begegnen, auf Englisch. Huckla liefert die deutsche Übersetzung dazu und wiederholt brav alles, was Witchy ihr vorspricht. So lernen die Kinder zunächst nur die Bedeutung der einzelnen Begriffe und werden nicht gleich mit ganzen Sätzen überfordert. Das Ganze erscheint in einer ansprechend bebilderten Umgebung. Nach jeder Episode, jedem Bild, fliegen die Hexen weiter und eröffnen ein neues Thema, welches man aber auch nach Belieben überspringen kann, ohne den Anschluss zu verlieren. Vom Warzen-Zauber bis zum Parkbesuch mit kleinen Hexereien wird in den 21 kleinen Episoden alles erzählt, was die Hexenwelt zu bieten hat. Leider hält sich die Software mit Effekten und Steuerungselementen sehr zurück. Man kann die Erzählungen zwar stoppen, will man sich eine Stelle jedoch nochmals anhören, so muss man die Episode wieder von vorne starten. Es gibt auch auf jedem neuen Bild zwei bis drei Animationen zu entdecken, diese sind jedoch extrem minimalistisch gehalten und können nicht überzeugen. Im Großen und Ganzen erinnert alles eher an ein Hörspiel mit interaktivem Bilderbuch als an eine Software, mit der das Kind aktiv an seinem Lernerfolg mitarbeiten kann. Außer einem kleinen Spiel, das auch erst nach einigem Suchen zu finden ist, steht man der Geschichte als stille Zuhörerin bzw. stiller Zuhörer gegenüber. Hier hält der Begrüßungstext auf der Verpackung das, was er verspricht: Ein Hörspiel, mit dem Kinder mehr als 400 wichtige englische Wörter sprechen und verstehen lernen können. Aber auch nicht mehr.Etwas weniger spukig geht’s beim Konkurrenzprodukt aus dem Hause Auralog zu: Hier übernehmen der grauhaarige Professor Julius und sein quirliger Papagei Calico die Fremdenführer-Rolle. Das Konzept ist verblüffend ähnlich wie bei der Lernsoftware von Tivola: Ein Haus mit Garten und Garage und vor allem zahlreichen Fenstern. Hinter jedem Fenster verbirgt sich auch hier ein Themengebiet, das es – auf Englisch, versteht sich – zu entdecken und schließlich auch zu lernen gilt. Ähnliche Symbole in den Zimmern führen zu ähnlichen Spielen, beispiels-weise liegt in jedem Raum ein Stapel Karten, der einlädt, Memory zu spielen. Die Spiele selbst sind dann aber auf die Themen der Zimmer ausgerichtet: In der Garage spielt man also Memory mit Car und Bucket, im Badezimmer dagegen eher mit Toothbrush und Towel. Pluspunkt hier ist, dass die Installation sehr einfach und schlüssig funktioniert, man kann wählen, ob das Kind lieber in britischem oder amerikanischem Englisch mit Julius und Calico kommunizieren soll, auch die Grafik im 3D-Stil und mit vielen fröhlichen Farben ist ansprechend und einladend. Außerdem können die Eltern im Kids-Manager diverse Voreinstellungen ändern und die Erfolge ihres Sprösslings abrufen. Inhaltlich ist die Palette der angebotenen Spiele wesentlich umfangreicher als in Freddys Portefeuille: Es gibt einfache Memorys, Ausmalbilder und Finde-den-Fehler-Aufgaben für die Kleinen ohne Vorkenntnisse, Zahlen- und Buchstabenrätsel für die etwas Größeren. Abgesehen davon liegt der Reiz des Spiels darin, immer höhere Schwierigkeitsstufen zu meistern und schließlich das Kids Achievement Certificate von Julius entgegen zu nehmen. Ein zusätzliches Schmankerl der 3-CD-ROM Box ist ein mitgelieferter immerwährender Jahreskalender. Mittels dieses Kalenders kann der Englisch-Lernende sich Schritt für Schritt jeden Tag ein neues Wort einprägen. Außerdem gibt es ein zusätzliches Übungsheft, das sich die Kinder selbst zu Hause ausdrucken können.
Das Non-Plus-Ultra ist aber auch die Professor-Julius-Variante nicht: Die Navigation und die Spiele sind zwar sinnvoll, erschließen sich aber nicht immer auf den ersten Blick und während Freddys Stimme auf Schloss Schädelrauch noch nervte, wünscht man sich hier manchmal die eine oder andere Erklärung. So aber muss das Kind alleine per Trial-and-Error einen Weg durchs Englisch-Haus finden, was mühsam und zäh sein kann. Auch auf das Hilfemenü kann es dabei nicht zurückgreifen, da dieses nicht die eigentlich versprochene Hilfe bietet. Es gibt we-der ein Wörterbuch, noch Übersetzungen. Um den eigenen Zwischenstand zu sehen, muss man das Haus erst wieder verlassen. In den Spielen selbst steigert sich zwar die Schwierigkeitsstufe, allerdings sehr langsam und bis das Certificate einmal erreicht ist, haben wohl die meisten Kinder den Ehrgeiz verloren, sich durch endlose und zermürbende Spielrunden zu klicken. Etwas seltsam mutet auch an, dass das Kind zu Beginn des Spiels aufgefordert wird, sich eine eigene Spielfigur zu kreieren, diese Figur übernimmt dann aber lediglich die Funktion des Mauszeigers, könnte also genauso gut voreingestellt sein.
Was aber allen Spielen gemein ist: Es sind und bleiben Lernspiele und keines macht einen großen Hehl aus seinem pädagogischen Zweck. Schade, denn so wird sich das Kind auch beim PC-spielen nach getaner (Schul-)Arbeit immer noch wie auf der Schulbank fühlen, wobei Professor Julius noch eher eine spielerische Reise durch seine Welt anbietet, während Freddy der quietschende Vampir sehr deutlich Übungen und Tests für das Kind bereit hält und lediglich zur Belohnung kurze Vergnügungsspiele anbietet. Bleibt die Verantwortung also bei den Eltern, ihren Kindern das Spiel wenigstens als Freizeitbeschäftigung nahe zu bringen, satt sie per CD-ROM zum lernen zwingen zu wollen.
Beitrag aus Heft »2007/01: BabyTV«
Autor:
Elisabeth Jäcklein-Kreis,
Andrea Krüger,
Birgit Siehl
Beitrag als PDF
Katrin Demmler: Prinzessin Lillifee
Tanzen mit Lillifee und Schmücken und Schminken mit Lillifee. CD-ROM, Windows 2000/98/Me/XP, MacOS X OS: 10.1.2 und höher, Power Macintosh G3 Classic: ab Mac OS 9.1, Power PC G3. Berlin: Tivola, 2006. Je 12,95 €
Tivola bringt mit diesem Paket zwei Spiele der bekannten Prinzessin Lillifee auf den Markt. Unter dem Motto „Tanzen mit Lillifee“ dürfen die Kinder am Computer die Bühne schmücken, Musik auflegen und für das richtige Licht sorgen. Wenn alles vorbereitet ist, steuern die Kinder den Tanz der Prinzessin und helfen ihr somit bei ihrem großen Auftritt im Theaterzelt. Die zweite CD-ROM heißt „Schmücken und Schminken mit Lillifee“. Hier betreten die Kinder das Schloss der Prinzessin, wo sie jede Menge Kleider, Kronen und Schminkzeug finden.
Die Kinder können die Prinzessin verkleiden und sie für den großen Auftritt stylen. Neben diesen beiden Hauptinhalten finden sich auf beiden CD-ROMs liebevoll umgesetzte traditionelle Spielelemente, wie ein Puzzle, ein Fangspiel und jede Menge Dinge aus Lillifees Umgebung zum Anklicken und Beobachten. Das Spiel ist sehr sorgfältig umgesetzt und lässt den Kindern alle Freiheiten bei der Navigation durch die Welt von Prinzessin Lillifee. Wie auch die literarische Vorlage werden schon durch die Verpackung eindeutig Mädchen angesprochen. Auch die Spiele selbst bedienen Rollenklischees, allerdings auf eine sympathische und nette Art!
Michael Grisko: Ratlos in Deutschland: „Help TV – Der Sender, der die Antworten kennt“
„Da werden Sie geholfen!“ galt das Versprechen der Werbeikone Verona Feldbusch vor einigen Jahren nur für eine Telefonhotline, ist zum 3. November 2006 die moderne Variante unseres televisuellen Zeitalters hinzugekommen: „Help TV – Der Sender, der die Antworten kennt.“ Und das gleich im Plural. Gegründet in einer Zeit, in einer komplexen Lebenswelt, die Antworten zusehends schwieriger macht. Und das Bedürfnis nach Hilfe und Rat wird in unserer Gesellschaft größer werden. Bislang nur im digitalen Netz einiger Kabelhaushalte von 15.00 Uhr bis Mitternacht ist dies die zielgruppenspezifische und spartenkanalisierte Fokussierung von Werbung und Ratgebersendung. Dass Fernsehen sowohl in der fiktionalisierten als auch in der dokumentarisch-berichtetenden Form immer auch ein Stück Lebenshilfe war, ist nichts Neues: Mode, Recht, Finanzen, Kochen, Reisen: Information und Ratgeberfunktion gehen Hand in Hand und wurden seit der Einführung der privaten Sender auch zunehmend mit Unterhaltung und (Schleich-) Werbung verbunden. Die Grenzen zwischen journalistischem, unterhaltendem und werbendem Format waren also schon erodiert. Das neue Geschäftsmodell bündelt die schon seit den Hochzeiten des Öffentlich-Rechtlichen-Fernsehens gängigen Ratgeberformate, die in der näheren Vergangenheit mit Blick auf die Zuschauerbindung seit Jahren ausgebaut und durch die call-in-basierten Esoterikformate der privaten Sender zu nachtschlafender Zeit ergänzt wurden. Bislang sind es elf Millionen potenzielle Kunden und die Zahl wird wachsen. Es ist nicht zuletzt die Bühne für Fernsehpfarrer Flieges telemediale Auferstehung. Neben ihm sollen weitere Expertinnen und Experten für „individuelle, unabhängige und seriöse Informationen“ (Peter Pohl, Vorstand) stehen und die Leute zum Anrufen in der Sendung bewegen. Denn diese Studiohotline ist die Geldquelle des Unternehmens. 49 Cent pro Anruf sollen die Kosten des Unternehmens refinanzieren. Im Aufbau ist der Beratungsbereich für komplexere Antworten: Mit 1,99 Euro/Minute wird dann die Telefonrechnung belastet, und so ist schon nach ein paar Minuten zumindest die Frage beantwortet, ob es sich lohnt, zum Arzt oder Rechtsanwalt zu gehen oder ein Buch zu kaufen.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird sicherlich auch dann nicht beantwortet sein: Wer ist dafür eigentlich Experte? Vielleicht dann doch auch eher der Gang ins Internet: Denn natürlich bietet der Sender auf seiner Homepage auch schon die Produktion zielgruppengerechter Werbung an. Hier liegt neben den Gebühren für das Call-In und die On-Air-Werbung vermutlich auch das zweite ökonomische Standbein des Senders. Die Lockerung der Richtlinien bei Ärzten und Anwälten werden die Kassen auch hier zum Klingeln bringen – vorausgesetzt eine regional gebundene Zielgruppenprogrammierung wird möglich. Ob die Beratung dann noch ‚unabhängig’ ist, scheint fraglich – kann doch für diese Unabhängigkeit schon jetzt keine Garantie übernommen werden. Denn schon auf der Homepage heißt es: „Help TV ist deshalb nicht nur ein ideales Medium für alle, die Fragen haben. Auch Spezialisten aus allen möglichen Berufsfeldern, die sich und ihr Können einem größerem Publikum präsentieren wollen, finden bei Help TV die passende Sendung.“ Dass dieser Zugang von Help TV selbstlos gewährt wird, ist nicht zu vermuten. Aber es ist auch nicht jeder Anrufende zum Studiogast berufen. Denn natürlich kann nicht jedem Anrufer und jeder Anruferin eine telemediale Privataudienz bei Herrn Fliege oder seinen Kolleginnen und Kollegen gewährt werden. Der Wunsch live von Pfarrer Fliege gehört und beraten zu werden, wird nach dem Zufallsprinzip vergeben – bezahlt wird trotzdem.
Es ist ein billiges Format, verzichtet wird auf Einspielfilme und teuren Einstellungs- und Technikschnickschnack. Und in dem Studio in der Nähe von Dortmund – wer kennt schon die Seelenschmiede „Hörde“ – sind freie Kapazitäten erfolgreich genutzt, um „sensationell günstiges“, mehr wollte Stephan Mattukat (Vorstand Help-TV und ehemaliger 9Live-Programmdirektor) nicht verraten, Programm zu produzieren, für ein Publikum „quer durch alle Altersgruppen, beiderlei Geschlechts“. Im Stundenrhythmus wechseln die Themen, verspricht der Sender, das stimmt jedoch nicht ganz. Der Sendeplan wird dominiert von den weichen Themen mit Human-Touch und Sinnsuche- und Selbsterfüllungspotenzial wie Psychologie, Gesundheit, Wellness, Ernährung, Astrologie und Esoterik. Und natürlich Flieges Welt (jeden Tag zur Mittagszeit). Erst dann die Themen Medizin, Recht und Geld. Selbstverständlich darf auch die Dating-Ecke zu nachtschlafender Zeit nicht fehlen. Noch ersetzt der Anruf nicht den Gang zum Arzt. Die Experten sind gecastet, sollen aber eher sich selbst vertreten und kein Unterhaltungsbedürfnis. Eine verständliche Antwort ist das Minimum. So wird aus dem ehemaligen Rundfunk ein „Radio im Fernsehen“, so Stephan Mattukat. Der Vorstand des neuen Spartensenders sieht das Bild als Hilfsinstrument bei der Vermarktung, in dem Produktionsmodell und den entstehenden Kosten eine Möglichkeit, um neue Ideen zu realisieren und ein „individuelleres“ Erlebnis und einen individuelleren Zuschnitt von Fernsehen zu ermöglichen.
Es bleibt letztlich die Frage, ob ein derartiger Sender, wie in der Pressemitteilung versprochen, „das stetig wachsende Informationsbedürfnis in einer immer komplexer werdenden Welt“ stillen und „seriöse und unabhängige Beratung“ bieten kann oder ob es sich nicht doch nur um einen weiteren Versuch handelt, aus der Hilflosigkeit vieler, vor allem älterer Menschen, maximalen Profit zu schlagen. Wahrscheinlich eher letzteres.
Tatjana Hampe: Milli-Metha
Milli-Metha: Meine Zähne. CD-ROM (WIN), Pentium 300MHz (Mindestanforderung), 64 MB RAM, CD-ROM-Laufwerk (achtfache Geschwindigkeit), DirectX kompatible Grafik- und Soundkarte, Win 98/ME/2000/XP. Berlin: Tivola, 2006. 19,99 €
Kinder drücken sich gern mal vor dem Zähneputzen – über den möglichen Schaden wissen sie jedoch nicht Bescheid. Doch Milli-Metha weiß Rat und vermittelt Kindern ab fünf Jahren alles Wissenswerte über Zähne, Zahnpflege und Zahnarztbesuch. Zu Beginn erstellt man sich seine eigene Karteikarte, danach darf man in die Praxis von Dr. Weiß. In seiner Praxis kann man zwischen verschiedenen Spielstationen wählen:Gute oder schlechte Nahrung: Hier soll erkannt werden, welche Nahrungsmittel gut und welche schlecht für die Zähne sind. Die gute Nahrung soll in einem Einkaufswagen aufgefangen werden.Zarkanoid: Mit Hilfe einer Zahnbürste, die einen Zahnpastaball nach oben schießt, müssen
Tatjana Hampe: Ramadan
FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (2006). Islamische Feste in Deutschland: Ramadan. (Bestell-Nr. 46 10538) 25,- € (Einzellizenz), 60,- € (Schullizenz)
Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Kalenders, in dem die Offenbarung des Korans an Mohammed begann. In diesem Monat wird der gesamte Koran gelesen und das Gebot des Fastens soll erfüllt werden. Auch in Deutschland wird der Festmonat jährlich von zahlreichen Muslimen gefeiert.
Der Film liefert Kindern einen guten Einstieg in den Islam und weist darauf hin, wie das Fest in Deutschland gefeiert wird, indem er neben Koranauszügen und Gebeten in der Moschee auch die Feierlichkeiten in der Familie und im Ramadan-Zelt aufzeigt und die Fragen „Was heißt Ramadan?“, „Wann wird Ramadan gefeiert?“ und „Warum wird im Ramadan gefastet?“ beantwortet. Zusätzlich setzt sich der Film auch mit interkulturellen Aspekten auseinander und thematisiert Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen der Bibel und dem Koran. Innerhalb von 18 Minuten liefert der Film einen gut zusammengefassten und in einfacher Sprache erklärten Beitrag über den muslimischen Festmonat und lässt sich, unterstützt durch Begleitmaterial, sehr gut im Unterricht (empfohlen für Allgemeinbildende Schulen, dritte bis siebte Klasse) einsetzen. Dabei werden nicht-muslimische Kinder wohl viel Neues über eine andere Religion erfahren, aber auch für muslimische Kinder sind neue Kenntnisse und neue interkulturelle Ansätze mit ihren Bräuchen und Traditionen möglich.
Tilmann P. Gangloff: KI.KA wird zehn Jahre alt und rüstet sich fürs Fernsehen von morgen
Als der altbackene Slogan aus den Anfangstagen, „Gewaltfrei, werbefrei, frei ab drei“, endlich zu den Akten gelegt wurde, war der Weg in der Tat frei: Endlich konnte der „Kinderkanal“ von ARD und ZDF, der bald darauf den deutlich griffigeren Namen „KI.KA“ bekam, auch ein Programm mit Ecken und Kanten zeigen. Die Verlängerung der Sendezeit bis 21.00 Uhr schuf die Möglichkeit, auch eine Zielgruppe jenseits des Vorschulalters anzusprechen. Das heißt zwar nicht, dass ab 20.15 Uhr Mord und Totschlag regieren; aber ein Format wie KI.KA-KRIMI.DE ermöglicht zumindest mal einen kleinen Tatort, und die Abenteuer von Bernd, dem ewig miesepetrigen Kastenbrot, erfreuen selbst Erwachsene. Aber selbst wenn Wissen macht Ah! das mit Abstand schrägste Wissensmagazin im deutschen Fernsehen ist: Anarchie ist im KI.KA-Programm die Ausnahme, eine Feststellung, die allerdings auch für alle anderen Kindersender gilt; es regiert die brave Bürgerlichkeit. Ein Image-Bringer wie die Dauerserie Schloss Einstein mit ihren moderaten Weltverbesserungsansätzen ist genau das, was Eltern ihren Kindern wünschen. Auch dafür gab es mal einen KI.KA-Slogan: „Wenn. Dann. Den“.
Will sagen: Wenn schon Kinderfernsehen, dann aber bitte mit Mehrwert; „viel Milch, wenig Kakao“ eben. Vermutlich hätte Programmgeschäftsführer Frank Beckmann gegen mehr Kakao gar nichts einzuwenden. Allein, es fehlt das Geld. Allerdings ist die Archivware nicht nur preiswerter als neue Produktionen, sondern offenbar auch beliebter. Gewiss wäre es gemein, wenn man behaupten würde, der Erfolg des öffentlich-rechtlichen Kinderkanals, der sein Programm seit dem 1. Januar 1987 ausstrahlt, basiere in erster Linie auf dem Besten von gestern.
Aber falsch ist es nicht: Wenn Eltern von Fernsehanfängern nach Sendungen suchen, die sie ihre Kinder bedenkenlos anschauen lassen können, fällt ihr Blick selbstredend als erstes auf Titel, die sie bereits kennen; und das sind neben der Sendung mit der Maus vor allem Zeichentrickklassiker wie Wickie und die starken Männer, Heidi und die Biene Maja. Prompt bescheren diese Serien dem KI.KA regelmäßig bärenstarke Quoten. Und das nicht bloß in der Zielgruppe der Drei- bis 13-Jährigen: Beim Gesamtpublikum schneidet der Kindersender nicht selten besser ab als kleine Sender wie Kabel 1 oder VOX, weil viele Eltern gemeinsam mit dem Nachwuchs vor dem Fernseher sitzen. Mit dem Sonntagsmärchen lässt man zuweilen gar die Müttersender hinter sich. Es könnte also alles bleiben, wie es ist; doch das tut es nicht. Gerade das Internet entwickelt sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenzmedium: Es genügt längst nicht mehr, bloß im Fernsehen ein toller Hecht zu sein; ohne erfolgreichen Internet-Auftritt kann man gleich einpacken. Diese „radikalste Umwälzung seit der Einführung des kommerziellen Fernsehens“ macht Beckmann zu schaffen: „Fernsehinhalte werden auf neuen Wegen zur Verfügung gestellt. Mit neuen Verbreitungswegen drängen auch neue Ideen auf den Markt“. Internetfernsehen, Handy-TV, digitale Verschlüsselung: Für den KI.KA-Chef ist die derzeitige Ruhe auf dem Markt trügerisch. Er rechnet nicht nur „mit neuen finanzkräftigen Konkurrenten“, sondern mahnt auch, der KI.KA dürfe „keinesfalls von den technologischen Entwicklungen abgekoppelt werden“. Die KI.KA-In-halte gehörten auf alle Plattformen, „mit denen wir Kinder erreichen können. Kinderfernsehen war schon immer mehr als das Programm auf der Mattscheibe“. Irgendwann nützt es eben nichts mehr, wenn das KI.KA-Programm nicht mal ’n Appel, sondern tatsächlich bloß ein Ei (18 Cent) im Monat kostet: Soll es seine Zielgruppe weiter erreichen, muss es dort präsent sein, wo sich die Kinder tummeln.
Hans-Dieter Kübler: Die alltägliche Widerständigkeit des Abbildes
„Faktizitätsmaschine“Seit die Bilder technisch reproduziert werden können, also mit dem Aufkommen, vor allem mit der raschen Verbreitung und gesellschaftlichen Diffusion der Fotografie seit Mitte des 19. Jahrhunderts, vollends seit die Bilder gegen Ende jenes Jahrhunderts dynamisiert wurden, mithin ‚das Laufen lernten’ und damit eine Produktionsindustrie und Präsentationsmaschinerie für visuelle Kultur (als Film und Kino) ohnegleichen hervorbrachten, räsonieren Kulturkritik und Medienphilosophie über die Vorstellungen und Begrifflichkeiten von Realität, zugespitzt in der überkommenen, aber bis heute prekären Dualität von Bild und Abbild. Denn seit jeher schuf Kunst das imaginierte und gestaltete Bild von Wirklichkeit, gebunden an die verfügbaren Materialien und kontextuiert von jeweils geltenden Normen und Stilen. Mit der Fotografie stand erstmals eine mechanisch-chemische Technologie zur unmittelbaren, weitgehend authentischen Abbildung vorfindlicher Realität zur Verfügung, auf die sich bereits viele Zeitgenossen kaprizierten: Als „Faktizitätsmaschine“ bezeichnete sie etwa William Fox Talbot, einer der Fotopioniere, der 1835 eine erste Salzpapierkopie erstellte; aber auch noch über 80 Jahre spä-ter konnte der Soziologe und Filmkritiker Siegfried Kracauer in ihr nicht mehr als eine „kahle Selbstanzeige der Raum- und Zeitbestände“ erkennen.
Und in der Tat: Weit präziser und direkter als jede naturalistische Malerei und auch als die Techniken der früheren Druckreproduktion wie Kupferstich, Holzdruck und Lithografie in der Presse wurde die Fotografie nun als faszinierende Technik zur Entdeckung und Reproduktion vielfältiger, bis dahin kaum erfasster Wirklichkeiten eingesetzt, erst recht als sie seit Ende des Jahrhunderts mit der Autotypie unmittelbar auf Papier gedruckt und damit publizistisch verbreitet werden konnte. Sie befreite zunächst die Malerei von ihrer vielfach nachgefragten Abbildfunktion, insbesondere hinsichtlich persönlicher Porträts, und befriedigte sodann die wachsende naturwissenschaftliche Neugier sowie die sich verbreitenden positivistischen Registrierbestrebungen, wiewohl sie selbst niemals nur pures Abbild, sondern – wie auch immer – subjektiv wie technisch gestaltete Nachbildung ist: Neben der bald boomenden Porträtfotografie ist es vor allem die Reise-, aber auch die medizinische und polizeiliche Fotografie, die auf je spezielle Weise in alle Poren der Wirklichkeit eindrang, sie vor allem dokumentierte und damit kollektive Vorstellungen von bis dato unbekannten Welten popularisierte. Nicht zu vergessen die florierende Aktfotografie, die namentlich dem so genannten kleinen Mann den nackten weiblichen Körper zumal auch in anzüglichen Posen offenbarte und ihn zur sexuellen Stimulation anbot. Das eigene Ich bis hin zur Anatomie, auch das fremde ebenso faszinierende wie unheimliche Ich und entfernte Wirklichkeiten waren nun plastisch anzuschauen und bis in ihre letzten Geheimnisse auszukundschaften – kein Wunder, dass man die Bilder buchstäblich für bare Münze hielt. Neues SehenWohl nur in der philosophischen, kulturkritischen Theorie wurden für die Fotografie (und später auch für den Film) zudem neue Dimensionen von Sinnlichkeit, Sinnerweiterung und Weltwahrnehmung postuliert, wie es etwa Walter Benjamin in seiner „Kleinen Geschichte der Photographie“ (1931) und später Roland Barthes in „Die Fotografie als Botschaft“ (1961) und in anderen Essays taten. Zwar kommt aus der Sicht Benjamins dem fotografischen Abbild, da es massenhaft reproduzierbar, also nicht mehr einmalig und flüchtig ist, nicht mehr die Aura des (gemalten) Bildes – jenes „sonderbare Gespinst von Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ – zu, aber zugleich erzeugt wie repräsentiert sie – zumal in Form der gezielt gestalteten Montage – eine neue Form des Sehens, adäquat für das widersprüchliche Industrie- und Massenzeitalter; sie ist gewissermaßen die mediale Option für eine sich potenziell de-mokratisierende Wahrnehmung, um die noch nicht politisch bewussten Betrachter mit „Chocks“ auf die Antagonismen der sich brachial entwickelnden, kapitalistischen Gesellschaft hinzuweisen.Doch solch politische, wenn nicht utopische Funktionszuweisungen gehen in der weiteren Debatte zusehends verloren, wofür etliche Faktoren nicht nur die massenhafte Verbreitung und Veralltäglichung der Fotografie, vielmehr gewiss auch politische Demontagen und das Versiegen gesellschaftlicher Utopien verantwortlich sind. Wie bei allen anderen visuellen, und erst recht inzwischen bei den digitalen Medien obsiegt nun zunehmend die (zirkuläre) Situierung der reproduzierten Bilder in abstrakten, realitätsentkeimten Referenzsystemen. So spricht der Semiotiker Barthes der Fotografie in den 1960er Jahren jedwede originäre Semantik ab und kennzeichnet sie als platt und banal, weshalb sie nur durch Sprache Bedeutung erlange; sie sei ein Instrument, das „sich über die Realität im Imaginären“ vergewissert, ge- wissermaßen „das lebendige Bild von etwas Totem“. Allein das Subjekt verleihe ihr mit seiner Sprachmächtigkeit Sinn, und zwar – erwartungsgemäß – dann einen jeweils individuell unterschiedlichen.Welt als ScheinLängst haben solch pauschale Negationen Konjunktur, ob als radikal-konstruktivistische oder als poststrukturalistische: Da Realität von der menschlichen Wahrnehmung prinzipiell nicht erkennbar sei, sondern jeweils nur als Konstrukt subjektiver Wahrnehmung, postulieren Konstruktivisten jeglicher Couleur, erübrige es sich, noch länger über die Beschaffenheit und Erkennbarkeit von Realität zu spekulieren.
Ohne-dies böten Medien eine Fülle und Vielzahl von (re-)konstruierten oder auch fungierten Wirklichkeiten, die es wert seien, aber es auch herausfordern, sich mit ihnen auseinander zu setzen, ohne nach ihrer vermeintlichen Realitätsreferenz zu fragen. Doch solch erklärte Ignoranz gegenüber der Realität klärt letztlich nicht einmal das agnostische Problem, wie selbst Konstruktivisten einräumen müssen: Wenn nämlich Realität unerkennbar ist, wie soll dann erkennbar sein, dass sie nicht zu erkennen ist?Diverse Simulacren, so genannte „wirklichkeitsmächtige Kulturmuster, mit denen die soziale Welt semantisch beschrieben und vorgestellt wird“ – erkennt der französische Philosoph Jean Baudrillard in verschiedenen Stadien der Kultur- und Mediengeschichte – nämlich das der Ordnung, der Imitation und der Simulation: Die heutige Medienwelt gilt ihm als bloße Simulation, in der die allmächtigen (medialen) Zeichen ein eigenständiges, tendenziell universales Sondersystem bilden, das auf keine Realität, sondern nur noch auf sich selbst verweist. Die objektive Realität, die realen Ereignisse und Dinge lösen sich gewissermaßen aus ihren materialen Gegebenheiten, denn in die Dinge schlüpfen die konfektionierten Bilder, so dass sie sich nicht mehr voneinander trennen lassen: Abbild und Objekt wird quasi eins und obendrein Bild, weil sich die medialen Reproduktionsmechanismen nicht mehr durchschauen lassen, zumindest nicht vom Laien – wie prototypisch CNN im Golfkrieg 1991, immer noch das symptomatische Beispiel für die tendenzielle Totalität der Medienwelt, vorexerziert hat.Wahrheit der BilderDoch woran hält sich dann der sprichwörtliche Laie bei seiner alltäglichen Welterkundung, Information und Orientierung – wenn selbst Theorien für Nachrichten die kopernikanische Wende ihrer Bewertung fordern, wonach auch die Nachrichten primär ihrer Eigenlogik und Autoreferenzialität gehorchen und die Realität allenfalls gefiltert, gestaltet oder gänzlich verzerrt durchlassen? „Lügen Bilder [nach wie vor] nicht“, wie er sich noch gern einredet, oder repräsentieren sie längst eigene, eben technische oder intendierte ‚Wahrheiten’? Selten klaffen alltägliche Annahmen und Erfahrungen gegenüber theoretischen Visionen so weit auseinander. Denn wenn wir auch um die Gemachtheit, womöglich sogar um die Tendenz von Bildern wissen (oder uns sie umstandslos bewusst machen können), wenn wir selbst sogar Lust und Kompetenz haben, sie entsprechend zu gestalten oder gar zu manipulieren, wie es inzwischen die digitale Fotografie und Bildbearbeitungsprogramme ermöglichen – im einzelnen Bild erkennen wir noch immer das Abbild, seine mindestens partielle Referenz zur Realität. Anders hätten Fotografien für eine Biografie, die Familie und Verwandtschaft, für Feiern und wichtige Anlässe, anders hätten ambitionierte Aufnahmen wie spontane Schnappschüsse vom Urlaub und von Reisen, wo immer noch die meisten Fotos geschossen werden, keinen wirklichen, nämlich realitätsbewahrenden Sinn.
Wir wollen festhalten, wie wir, unsere Umgebungen etc. früher gewesen sind, wie es anderswo aussieht, wo wir waren. Natürlich spielen auch Stimmungen, Emotionen, besondere Blickwinkel mit hinein, und wenn die meist laienhafte Fotografie davon etwas bewahrt und übermittelt, ist es ein glücklicher Umstand. Meist tut sie es für Außenstehende nicht, weshalb es für diese bekanntlich wenig Langweiligeres gibt, als einen Dia- oder Videoabend über die letzte Ferienreise goutieren zu müssen.
Womöglich trägt sogar die inzwischen weit verbreitete digitale Fotografie entgegen ihren technischen Potenzialen erneut zur Stärkung des Abbild-Denkens bei. Denn das Display zeigt ja unmittelbar den Realitätsausschnitt, der dokumentiert werden soll, gewissermaßen so, wie er sich auch dem Auge darbietet, in einer Eins-zu-Eins-Relation. Und da die fotografischen Aufnahme-, genauer Produktionsmechanismen wie Belichtung, Kamerawinkel, Perspektive von der Kamera weithin automatisch erledigt werden, könnte sich solche Abbildsuggestion noch erhärten, nicht zuletzt weil man die vorfindliche Realität in unendlich vielen Fotos festhält. Allein die Auswahl danach, am häuslichen Computer, suggeriert, Herr und Macher über die Abbilder zu sein, vollends dann, wenn sie nachbearbeitet werden und nun sukzessive zu persönlichen Bildern werden. Aber wer tut dies und zudem bewusst?
Öffentliche Bilderflut
Auch die professionelle Bildproduktion fasziniert und verführt lieber mit brillanten Abbildversprechen, als dass sie ihre Gemachtheit oder gar Selbstreferenz betont (wie sie die besagten Theorien unterstellen). Ohnedies überschlagen sich die mächtigen, allgegenwärtigen Bilderfluten in den Medien, so dass das Subjekt sich nur noch mit Mühe und Irritation durchfindet und wohl nur noch die wahrnimmt, zu denen es einen persönlichen Bezug entwickeln und in denen es Referenzen zu seiner Realität entdecken kann. Diese ist natürlich nicht nur materieller, sondern auch gedanklicher, psychischer und emotionaler Natur, weshalb auch Spielfilme und fiktionale Wirklichkeiten und deren jeweiligen visuellen Präsentationen unterschiedlich ‚gelesen’ und auf solche Realitätsverweise hin abgetastet werden. Dies geschieht auch, wenn Filme etwa im Genre der Animation gar keine reale Referenz mehr haben, sondern ausschließlich als bits und bytes im Rechner, als Pixel am Bildschirm generiert werden – wie es Star Wars-Erfinder George Lucas seit den siebziger Jahren in seinen Studios erprobt und mit ihm inzwischen auch Steven Spielberg, James Cameron oder jüngst Robert Zemecki mit Der Polarexpress.
Foto als justiabler Beweis
Doch auch – oder gerade – als polizeiliches oder justiables Indiz lebt das fotografische Abbild fort, und mit den immensen Aufnahme- und Speicherpotenzialen zudem in ständig steigendem Umfang: Ob Videoüberwachung im Kaufhaus oder an öffentlichen, vorgeblich gefährdeten Plätzen, Fotografien bei Pass- und Sicherheitskontrollen, Aufnahmen bei Un- und Schadensfällen und endlich bei Verkehrsüberwachungen – etwa in Form der berüchtigten Starenkästen bei Geschwindigkeitsbegrenzungen: Überall werden Fotos und Videobilder angefertigt, die hernach als untrügliche Beweise für die Präsenz, eine Handlung oder ein Vergehen firmieren. Doch theoretisch-technisch lassen sich all solche Bilder heute problemlos im Computer generieren, sofern die benötigten Daten vorhanden sind, was bei der expandierenden amtlichen Überwachung und Speicherung der Behörden im Zuge vorgeblicher Sicherheitsprävention immer weniger auszuschließen ist. Welche Beweiskraft hat dann noch das berüchtigte, ohnedies meist schlechte, kaum konturierte Foto mit dem Fahrerporträt, mit aufnotierten Zeitangaben und Geschwindigkeitsdaten, das wohl die meisten Autofahrer schon einmal in der Hand hielten? Denkt man die These von der visuellen Autonomie und Selbstbezüglichkeit der reproduzierten Bilder, im systemtheoretischen Jargon Niklas Luhmanns als „Autopoiesis“ bezeichnet, zu Ende, beinhalten sie keine stichhaltigen Referenzen und dürften erst recht keine darauf rekurrierenden Sanktionen rechtfertigen. Denn mit Fotos lässt sich nun einmal kein Realitätsbeweis mehr antreten. Mindestens Polizei und Justiz müssten daher fast sämtliche Entscheidungs- und Strafroutinen einstellen oder zumindest anders legitimieren.
Differenziertere TheorienAn solchen noch vielfach zu multiplizierenden alltäglichen Selbstverständlichkeiten wird offenkundig, dass die totalitären Behauptungen moderner Medientheorie sich übernommen haben, mindestens nicht hinreichend alltägliche Realität berücksichtigen. Sie haben sicherlich zentrale Tendenzen eines potenziell universellen Abkoppelns und Selbstreferierens des Mediensystems ins Visier genommen, seine Eigenlogik und Dynamik aufgezeigt, seine Risiken und Verzerrungen markiert; doch in der Faszination, wo-möglich Selbstsuggestion über den – zugegeben – ungeheuren Sinnesapparat der Medien haben sie das Subjekt weitgehend eskamotiert, selbst wenn es sich partiell selbst täuscht. Aber noch in diesem Tun vermag es – wenn auch partiell – diverse Bedeutungs- und Sinnschichten in der visuellen Bilderflut zu erkennen und sie – we-nigstens rudimentär – mit seiner erfahrbaren und mental verarbeiteten Realität abzugleichen. Die Welt ist ihm nicht nur Simulation, sondern nach wie vor und stets auch buchstäblich begreifbare Realität, die es immer wieder neu wahrzunehmen, zu erforschen, zu dokumentieren, aber auch zu gestalten und zu imaginieren gilt. Da-raufhin die theoretischen Modelle und pauschalen Thesen zu differenzieren ist Aufgabe künftiger theoretischer Arbeit – ohne allerdings in einen platten (Abbild-)Realismus oder gar vermeintlichen Objektivismus zurückzufallen. Wenn „ein Bild immer noch mehr sagt als (1000) Wörter“, so sind in diesem Sprichwort diverse Bedeutungsschichten bereits avisiert: jene abstrakten, die sich in symbolischer Sprache sedimentieren und aus ihr rekonstruiert werden müssen, aber auch jene, die sich unmittelbar, gewissermaßen authentisch dem Betrachter ergeben, die aber er gleichwohl mit seinen Sensorien erschließen und deuten muss.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Hans-Dieter Kübler
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Michael Grisko: Am Anfang war der Dosenöffner
Waren das noch Zeiten, als man monatlich ei-nen leicht verschmerzbaren GEZ-Beitrag für ein terrestristisch empfangendes und mit der einstelligen Fernbedienung zu kontrollierendes Programm zahlte. Eine Postkarte reichte, um am Gewinnspiel „Tor des Monats“ oder „Galopper des Jahres“ teilzunehmen, ein Anruf mit der Post kostete 20 Pfennige und die Bestellung im Versandhaus war ein zwar gängiger aber noch nicht üblicher Weg des Shoppens – damals noch „Einkauf“. Das waren auch die Zeiten als „Einer wird gewinnen“, „Am laufenden Band“ und „Das heitere Beruferaten“ die maximale Beteiligungsform des Otto-Normalbürgers am Fernsehen darstellte, das noch nicht rund um die Uhr sendete und mit der Nationalhymne oder Bahnfahrten durch deutsche Lande sein Programm beendete. Doch genug des medienarchäologischen, vulgo nostalgischen, Lamentos. Denn es ist viel Zeit vergangen und es hat sich alles geändert. Vergangen sind auch die goldenen Zeiten des werbefinanzierten Privatfernsehens, das als „gesellschaftsverändernde Kraft“ (Bernd Gäbler) angetreten war und dem mitt-lerweile gesamtdeutschen Haushalt eine in Eu-ropa unerreichte Zahl freiempfangbarer Programme bescherte.Dies war die Zeit, die von der europäischen Liberalisierung des Rundfunks begleitet wurde. Aus dem Kulturgut Fernsehen wurde ein Wirtschaftsgut, in dem nunmehr Werbezeiten und -formen reguliert werden mussten – gelegentlich auch noch der Jugendschutz.
Es herrschte Goldgräberstimmung im Dualen Rundfunksystem. Nur wenige Skeptiker warnten vor einer Konvergenz der Programme und vor einer endlichen Steigerung der Werbeeinnahmen. Schließ-lich markierte der Zusammenbruch des Medienmoguls Kirch das Ende dieser Zeit, seit der nun rund um die Uhr gesendet wurde, in der aus drei öffentlich-rechtlichen Sendern fast acht wurden (hinzu kamen die nun auch via Satellit empfangbaren Dritten), in der man sich aussuchen musste, ob man sein Programm durch das Kabel, die Antenne oder denSatellit empfangen wollte und in der CNN, NBC und weitere ausländische Sender zum festen Programmbestandteil wurden. Mit dem Einstieg von Premiere begann zu-dem eine neue Ära. Erstmals wurde es decoderverschlüsselt und bankabbuchungsgesteuert möglich, gezielten Zugriff auf Programmplattformen zu gestatten. Damit wurde ein noch nicht abgeschlossener Prozess in Gang gesetzt: Die zunehmende Digitalisierung der Fernsehvertriebswege wird die Frage des individuellen beziehungsweise regionalen Zugangs via Bezahlung verschärfen. Auf Seiten der Rechteinhaber von Programminhalten wird die technisch mögliche Differenzierung natürlich finanziell begrüßt. Und das betrifft nicht nur die Spielfilmindustrie. Die gerade abgeschlossene Diskussion um die Vertriebswege der Fußball-Bundesliga, sorry, T-Com-Bundesliga, durch das Breitbandinternet, den Bezahlsender Arena und die übliche Nachverwertung in Sportschau und Sportstudio der Öffentlich-Rechtlichen ist da erst der Anfang. Auch das gerade zur WM angelaufene Handy-TV, dem von den Wirtschaftsanalysten astronomische Zuwachsraten vorausgesagt werden, bildet eine weitere willkommene Einnahmequelle.
Die Kosten können nur durch entsprechende Gebühren oder Werbung refinanziert werden. Doch zurück in die nahe zurückliegende Vergangenheit.Die knapp 20 Jahre seit Anfang der 80er Jahre bewirkten einen nachhaltigen Lerneffekt. Der Zuschauer wurde auf die schöne neue Fernsehwelt vorbereitet, die mit der einstmaligen Programmorientierung wenig zu tun hatte: Seit 1979 hatte er gelernt, was ein TED (unidirektionales Kommunikationsverfahren mit dem Telefon als Rückkanal, kurz: Tele-Dialog) ist und konnte so an ersten Abstimmungen teilnehmen (auch wenn das bei „Wetten dass?“ immer etwas seltsam anmutete), er hatte die erste Bekanntschaft mit Dauerwerbesendungen à la „Der Preis ist heiß“, „Glücksrad“ und „Geh auf’s Ganze“ gemacht, er war vielleicht auch schon den Versuchungen erlegen eine jener geifernden 0190er-Nummern anzurufen, die von halbbekleideten Damen angepriesen wurden und viel-leicht hatte man auch schon mal einen sündhaft teuren Faxabruf gestartet oder dieses Haushaltsgeräteset gekauft, das auf einem der schlecht synchronisierten amerikanischen Homeshopping-Sender angeboten wurde. Der Konsument war vorbereitet, die Entwicklung dieser zunehmenden Kommerzialisierung des Rundfunks, nämlich die Verschiebung vom Fernsehen als Lagerfeuer der Gesellschaft zum Fernsehen als point of sale kam nicht über Nacht. Aus dem Fenster zur Welt, wurde so das Warenschaufenster der Welt.Heute begegnet uns die anhaltende neo-liberale Kommerzialisierung der Gesellschaft auch im Fernsehen mit einer alle Distributionswege, Sender, Programmformen und -inhalte durchdringenden Kraft. Fernsehproduzenten und die Werbewirtschaft ziehen an einem Strang und können sich immer weniger der alles verändernden Macht des ökonomischen Denkens entziehen.
Der Zuschauer wird in dieser Logik zum Konsumenten, was zählt ist Massenpublikum, die Quote. Und auch die PR-Industrie hat ihre Hausaufgaben gemacht, ihre Methoden verfeinert. Was einstmals mit Werbefernsehen zuguns-ten kultureller Projekte im Bayerischen Rundfunk seinen Anfang nahm, versteckt sich heute in Rat-gebersendungen à la „Volle Kanne“ (ZDF), einst-mals auch als Schleichwerbung im „Marienhof“ oder „Tatort“ (ARD), vor kurzem auch als gekaufter Musikjingle bei der „Sportschau“ (ARD). Und auch bei der dauerhaften Präsenz der AVD-Experten in allen Sendungen von SAT.1 nicht an Schleichwerbung zu denken fällt schwer. Gleichzeitig wurden bei allen Sendern die sogenannten Sonderwerbeformen entdeckt und professionell zur veritablen Cash-Cow ausgebildet. Sponsorenhinweise vor einzelnen Programmteilen oder Sendereihen, Splitscreens im Abspann und während der Sendung sind nur die deutlichsten Ver-änderungen. Die privaten Sender haben konsequent ihre von den Senderhomepages abgeleiteten Onlineshops ausgebaut, setzen konsequent auf Merchandising und Crosspromotion. Sicherlich auch ein Grund, warum die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen so aggressiv bekämpft werden. Hinzu kommt die inflationär gestiegene Anzahl der Gewinnspiele. Ein doppelt bezahltes Programm. Denn es ist nicht nur billig produzierte Werbezeit für die jeweiligen Sponsoren der Preise, sondern wird vom Zuschauer durch die Teilnahme refinanziert. Ob per SMS oder Telefon, die neue Technik macht es möglich, dass der Sender mitverdient.
Denn von den 49 Cent des Anrufs/der SMS bleibt ein großer Teil direkt beim Veranstalter hängen. Die Postadresse hat ausgedient, wird nur noch verschämt am Schluss eingeblendet. Sendezeit wird so zur Werbezeit für den eigenen Verdienst. Am konsequentesten hat diese Idee der Sender „9Live“ zum schwarze Zahlen produzierenden und an die ProsiebenSat1-Gruppe verkauften Programm gemacht. Nach dem Versuch als Frauen- bzw. UEFA-Cup-Sender zu reüssieren, war es Christiane zu Salm, die den Sender kon-sequent umbaute. „Transaktionsfernsehen“ nennen sie nun diese „grenzdebilen Telefon-Ratespiele“ (Christian Imminger). Man könnte es auch Schrei-TV nennen: „Erkenne den Fehler im rechten Bild!“, „Welches Wort, welches Schlangenwort, welches Wort mit dem Anfang ‚Sport-’ suchen wir?“ Günstig produziert, brüllen die Moderatoren ins Fernsehen: „Rufen Sie an“, „Hotbutton-Runde“, „Eine Millionen Gewinne im Monat garantiert“ und dabei kommt es nur da-rauf an, das Spiel solange hinzuziehen, bis die nicht durchgestellten anrufenden Zuschauer – getröstet durch eine elektronische Stimme – die Sendeminuten refinanziert haben. Ein Konzept, das sich neben den immer noch gern gesendeten Erotikauskunftsnummern und Singledatings per SMS auch in den Abendstunden anderer Sender durchgesetzt hat – hier wie bei 9Live dann auch mal gerne in der Tutti-Frutti-Variante mit halbnackten Moderatorinnen, die sich nach und nach ausziehen. Von den 49 Cent pro Anruf verbleiben nach Branchenkreisen circa 30 Cent im Sender, der seit 2002 schwarze Zahlen schreibt und für 2005 einen Gewinn von 8,8 Millionen (25,8 Millionen Umsatz) eingefahren hat. Wichtig ist für den Sender die Kundenbindung, die über ein neues Clubsystem garantiert werden soll. Dass aus diesen Clubmitgliedern wieder Anrufer und Kunden anderer Produkte gemacht werden sollen, liegt auf der Hand. Parallel zu dieser ökonomischen Erfolgsgeschichte musste der Sender jedoch einige Prozesse ob der Fragwürdigkeit seiner Gewinnspielpraktiken führen.
Scheinbar löst dieses Verfahren auf spielerischem Wege die alte Forderung einer demokratischen und barrierefreien Partizipation an einem populären Medium. Aber tatsächlich sind auch die SMS-Grüße auf MTV keine Form der Partizipation. Es gibt keinen Einfluss, die Regeln machen die Sender zugunsten ihrer Aktionäre und ihrer Bilanz, der Zuschauer ist nur Mittel zum Zweck. MTV ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Mittlerweile wird das Programm von aggressiver Klingeltonwerbung unterbrochen. Diese sind eine radikal modernisierte und im Gedanken des Medienwechsels vom Clip zum Klingelton als Werbeträger – wobei sich mitt-lerweile die Frage stellt, ob die Musik nicht Wer-bung für die Klingeltöne ist – Fortschreibung des Musikwerbesenders alter Zeiten.Ebenfalls als fester Programmbestandteil hat sich das Homeshopping etabliert. Ob als Spartenvariante (Sonnenklar TV) oder Vollwarenhaus mehr als 5,4 Millionen kaufen schon regelmäßig im Fernsehen ein. Es sind vorwiegend Frauen über 40, die 2005 für etwa eine Milliarde Euro einkauften. Mikrofaser-Bettwäsche und Handtücher, Diamonique-Schmuck, Slinky-Blusen und Hosen in allen gängigen Altersfarben wandern via Bildschirm zum Verkäufer. Die Branchenriesen sind QVC (Düsseldorf), Home-Shopping-Europe 24 (HSE 24, Ismaning, gegründet 1995 unter dem Namen „Hot“) und der RTL-Shop. So sendet HSE 24 Stunden Programm, zwei Drittel davon live, in einer Stunde werden knapp zehn Produkte vorgestellt, teilweise Eigenmarken. Am Tag werden circa 22.000 Anrufe entgegengenommen und 21.000 Päckchen verschickt. Das ideale Produkt kostet zwischen 20 und 100 Euro, soll eine gewisse Exklusivität mitbringen und muss natürlich im Fernsehen vorgeführt werden können.
Auch hier ist der Live-Charakter wichtig. Nicht nur, dass immer wieder Kundinnen, die sich meist als langjährige Einkäuferinnen outen („Ich habe alle Handtücher in jeder Farbe“), zur Identifikation und Kundenbindung in die Sendung durchgestellt werden, auch der Verkauf kann so gezielt gesteuert werden. Läuft das Produkt im Call-Center gut, bleibt es etwas länger auf Sendung, läuft es schlechter, kommt es zu einem späteren Zeitpunkt wieder, denn die mit Abstand absatzstärksten Zeiten sind die Prä-sentationszeiten On-Air. Eine neue Form, das Homeshopping als Auktion präsentiert der Sender „1-2-3.tv“. Bei einem Produktionspreis von 7,50 Euro in der Minute und einer vollständig outgesourcten Dienstleistungskette verkauft der Münchner Sender Restposten, Konkursware, als „Chronografen“ getarnte Uhren (bei denen ich versteckte Werbung für die jeweilige ‚Marke’ vermute) und sonstige limitierte ‚Schnäppchen’ innerhalb eines bestimmten Zeitraums per Telefoneingabe (und verdient vermutlich schon an dem überteuerten Anruf von 24 Cent) und dem Internet. Es gibt jeweils nur eine begrenzte An-zahl und nach dem Ende des Zeitraums bezahlen alle den Preis des niedrigsten Gebots. Bei der anderen Variant sinkt der Preis stetig, der letzte einsteigende Telefonbieter bestimmt den Preis.Dass das Programm am Anfang nur Feigenblatt für die Werbung war (Soap-Operas) ist mithin ein Gemeinplatz in der Rundfunkgeschichte, dass eine im Radio verkaufte Ladung Dosenöffner als Bezahlung für Werbezeiten in Amerika der Beginn des heutigen Homeshoppings war, lässt uns wenig erstaunen. Die digitale Technik und der ökonomische Druck sind der Motor eines laufenden Umbaus einer nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland ge-borenen Rundfunkidee: Fernsehen als demokratisches Medium der Aufklärung, der verbindenden Unterhaltung.
Gleichzeitig zu den gestiegenen Zugangskosten, die aus dem vermeintlichen Free-TV auch ein – wenn auch besseres – Pay-TV machen, findet eine zunehmende auch durch Geld vorangetriebene Ausdifferenzierung der Angebote und zunehmende Segmentierung in Premium- und Basisangebote statt, wobei die Tendenz Programme nur als Transportmedium für eine weitere Ökonomisierung zu verwenden dadurch nur in Teilbereichen aufgehalten wird, vielleicht nur subtiler wird. Die Veränderungen vollziehen sich schleichend, in allen Bereichen und greifen ineinander. Und die Diskussion da-rüber, welches Fernsehen die Gesellschaft in der Gegenwart und Zukunft will, wird zunehmend von den PR-Agenturen und vom Marketing und den Controllern der Sender geführt. Das tut dem Medium und letztlich auch unserer Gesellschaft nicht gut.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Michael Grisko
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Franz Szekeres: Der Filmklub mit dem magischen Namen – nur für Kinder
Man kann sich die Zauberlaterne, den Filmklub für Kinder im Alter von sechs bis zwölf fast überall vorstellen, im Multiplexkino mit 400 Plätzen oder im wieder belebten Landkino mit 60 Plätzen. Das Konzept ist skalierbar, aber ein richtiges Kino – ein Originalschauplatz gewissermaßen – muss es schon sein. Das hat seit 1992 für 68 Klubs in drei der vier Sprachregionen der Schweiz mit rund 25 000 Mitgliedern geführt. Und die Erfolgsgeschichte schreibt sich fort. Filmsprache ist schließlich Weltsprache und so sind nach und nach Klubs in Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, Rumänien, England, Marokko und dem Senegal entstanden. Dabei ist hier kein globalisierungsgeiler Großkonzern an der Arbeit sondern gerade mal zwei Handvoll Mitdenkerinnen und Mitdenker, die mit den Filmenthusiasten Francine Pickel und Vincent Adatte, die den Filmklub gegründet haben, im Büro des Dachvereins in Neuchâtel (Neuenburg) in der französischsprachigen Schweiz sitzen. Auch Frédéric Maire, seit kurzem Direktor des Filmfestivals Locarno, ist strategisch noch an Bord und der Zeichner Yves Nussbaum („Noyau“) sorgt für das unverkennbare Erscheinungsbild. Dieses drückt die Absicht der Zauberlaternen-Macherinnen und -macher aus, sich auch an anspruchsvolle Kost heranzuwagen und trotzdem durch Vielschichtigkeit und Lustbetontheit fast jeden zu erreichen.
Den Klubausweis für neun Vorstellungen einschließlich der zu jedem Film erscheinenden Klubzeitung gibt’s (in der Schweiz) für familienfreundliche 20 Euro. Natürlich bedeutet das für die veranstaltenden Klubs zuweilen eine Herausforderung bei der Mittelbeschaffung. Ohne Zuwendungen von Seiten der Kommunen und Kantone, Stiftungen und Sponsoren aus der Privatwirtschaft und ohne viel ehrenamtliches Engagement geht das nicht. Schließlich wird ja auch was geboten bei den Vorstellungen: Ein zweiköpfiges Moderatorengespann und ein Schauspieler gestalten die 20 Minuten vor dem Filmstart, verkürzen die Wartezeit und vermitteln den Klubmitgliedern spielerisch unaufdringlich aber nachhaltig das ABC des Films.
Trotz viel ehrenamtlicher Arbeit ist die Zauberlaterne ein leichtfüßiges, aber aufwändiges Konzept. Jeder Klub finanziert sich zwar weitgehend selbst, ist aber auch Mitglied der Association La Lanterne Magique, dem erwähnten Dachverein, der die Solidarität zwischen gut situierten und mausarmen Klubs gewährleistet. Der Dachverein sorgt auch dafür, dass die Klubs Inhalte von hoher Qualität bekommen. Das beginnt bei der Filmauswahl: Ein Kanon von gegen hundert Filmen wurde in den Jahren seit der Gründung der Association 1992 erarbeitet. Bevor ein Film ins Programm aufgenommen werden kann, müssen Filmrechte abgeklärt, muss die Verfügbarkeit spielbarer 35 mm-Kopien in der entsprechenden Sprachversion sichergestellt werden.
Bei der Auswahl wird neben der Altersgerechtheit darauf geachtet, dass sowohl die filmgeschichtlichen Epochen wie auch die verschiedenen Filmgenres und -techniken angemessen vertreten sind. Und natürlich dürfen und sollen die Filme aus den verschiedensten Ländern stammen. Konkret sieht das Programm einer Spielzeit drei mal drei Filme vor, die blockweise als Filme zum Lachen, zum Weinen, zum Träumen und (ein bisschen) auch zum Fürchten angekündigt werden und in chronologischer Reihenfolge gezeigt werden. Jeder Block beginnt daher in der Regel mit einem Stummfilm, der nach Bedarf von einem Pianisten live vertont und von einem Filmerzähler eingesprochen wird. Nachdem ein Film für gut befunden ist, geht’s an die Erarbeitung des pädagogischen Rahmenprogramms: Die achtseitige Klubzeitung wird mit großer Sorgfalt redigiert, in derzeit bis zu fünf Sprachen übersetzt und von Noyau illustriert. Ein Szenario für das kleine Theaterstückchen unmittelbar vor jedem Film muss so gestaltet sein, dass es sich problemlos in verschiedenen Kinos adaptieren lässt. Besondere Requisiten, aber auch Schauspieler-, Filmerzähler- und Musikeradressen hält der Dachverein ebenfalls für die Klubs bereit. Es wird nichts dem Zufall überlassen und dennoch lässt die Umsetzung und Ausgestaltung der pfannenfertigen Materialien den Teams vor Ort immer noch genug Raum für Spontaneität. Von den umfangreichen Anregungen für den Dialog mit den Kindern ganz zu Beginn einer jeden Vorstellung können selbst erfahrene Filmfreaks unter den Moderatorinnen und Moderatoren immer mal wieder selbst etwas lernen. Dabei will die Zauberlaterne trotz des hohen Anspruchs das Kinoerlebnis nicht „verschulen“. Der Filmklub mit dem magischen Namen ist eindeutig in der Freizeit angesiedelt, Erwachsene haben keinen Zutritt. Trotzdem ist in der Schweiz der Kontakt zu den Schulhäusern, zu Bildungsdepartementen und Elterninitiativen vorzüglich, die Zauberlaterne wird der Qualität der Inhalte und ihrer Vermittlung, aber auch der strikten Nichtkommerzialität wegen sehr geschätzt. Spezielle Schulvorstellungen und nicht zuletzt die regelmäßige Zusammenarbeit mit verschiedenen (nicht nur Film-)Festivals haben den Filmklub im kulturellen Angebot für Kinder gut verankert. Dabei legt man gerade auf den Kontakt zu anderen Kunstformen viel Wert. Das Unterhaltungsmedium Kino ist mit seinen großen und kleinen Gesamtkunstwerken zum Portal zur Multimediakultur ja prädestiniert. In den Statuten der Zauberlaterne ist der Zweck mit „Fördern der Freude an Film und Kino“ umschrieben. Der Zugang erfolgt kindgerecht und spielerisch über die Emotionen. Auf dem Weg zum mündigen Medienkonsumenten wird dabei schon früh auch der Blick hinter den schönen Schein gewagt und gezeigt, dass Bilder etwa auch lügen können. Die Kinder üben sich in aktiver, kritischer Rezeption, ohne den Spaß am Geschehen preiszugeben. In groß aufgezogenen Wettbewerben (Drehbuch, Kinoplakat, Trailer) werden sie eingeladen, sich produktiv zu beteiligen. Auch die kontinuierlich weiterentwickelte Website www.zauber-laterne.org bietet in einer animierten Enzyklopädie des Kinos Gelegenheit zur weiteren Vertiefung. Hier findet jedes Klubmitglied seinen Klub und seine Filme in seiner Sprache.
Dachverein Die Zauberlaterne
Association La lanterne magique
Rue des Terreaux 7 / Pf 16762001 Neuchâtel
Tel: 0041 32 723 77 00
Die Zauberlaterne in Deutschland
Seit 2003 lädt die Zauberlaterne Ludwigsburg ihre Mitglieder an neun Samstagen ins Kino Caligari ein.
Kontakt:
Die Zauberlaterne LudwigsburgMarkus Klarec/o Kinokult e.V.
Königsallee 43
71638 Ludwigsburg
Tel. 07141-905284
E-mail: zauberlaterne@kinokult.de
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Franz Szekeres
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Tatjana Hampe: Das Parfum
Von Patrick Süskinds Roman „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“, der in gewisser Weise auch zum Bildungskann gehört und immer wieder auf der Literaturliste der Oberstufe steht, wurden weltweit bisher etwa 15 Millionen Exemplare verkauft. 2001 sicherte sich Bernd Eichinger die Filmrechte, nachdem Süskind sich 15 Jahre geweigert hatte diese zu verkaufen. Zusammen mit Andrew Birkin und Tom Tykwer, der später auch die Regie übernahm, schrieb er das Drehbuch zu dem Weltbestseller und füllt mit seinem Film inzwischen auch die Kinosäle. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge Parfumeur-Geselle Jean Baptiste Grenouille, der sich in einer für einen Adoleszenten eigentlich nicht untypischen Situation befindet. Er ist auf der Suche nach sich selbst. Was bei ihm anders ist als bei anderen jungen Menschen: Grenouille identifiziert Menschen und damit auch sich selbst über den Geruch ...Die Geschichte beginnt 1760: In der südfranzösischen Stadt Grasse warten Tausende auf die Hinrichtung von Grenouille (Ben Wishaw), der 22 Jahre zuvor unter unwürdigen Bedingungen auf dem Pariser Fischmarkt das Licht der Welt erblickte. Grenouille verbringt seine Kindheit in einem Waisenhaus und wird mit 13 Jahren an den Gerber Grimal (Sam Douglas) verkauft wo er unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen heranwächst. Bei seinem ersten Besuch in Paris verliebt er sich in das schöne Mirabellen-Mädchens (Karoline Herfurth), das er, gefangen von ihrem Duft, ungewollt erstickt. Das anfängliche Glücksgefühl, ihren Duft zu riechen, weicht der bitteren Erkenntnis, dass er diesen nicht festzuhalten vermag. Den Parfumeur Baldini (Dustin Hoffman) kann Grenouille von seiner „außergewöhnlichen Nase“ überzeugen und beginnt bei ihm eine Lehre. Dabei lernt er, den Duft von Blumen zu konservieren – nur den Duft von Lebewesen kann er immer noch nicht festhalten. Seine einzige Möglichkeit sieht er in der Kunst der „Enfleurage“, die er in der Parfummetropole Grasse erlernen möchte. Auf dem Weg dorthin bemerkt er, dass er selbst keinen Körpergeruch besitzt. Dieses Er-lebnis erschüttert ihn zutiefst und er beschließt, für sich selbst einen Duft zu erschaffen, der un-widerstehlich ist. Besessen von der Idee, menschliches Aroma zu konservieren, ermordet Grenouille dreizehn junge Frauen, deren Geruch ihn betört. Als er für seine Taten hingerichtet werden soll, gelingt es Grenouille, sich einige Tropfen seines Parfums auf die Handgelenke zu träufeln, womit das Geschehen eine ungeahnte Wendung nimmt.Der Film wurde vor allem in München und Spanien gedreht und nur wenige Szenen entstanden in Frankreich. Mit viel Aufwand schafft er es, ein sehr genaues Bild des „dreckigen Paris“ des 18. Jahrhunderts zu liefern. Hierfür wurde fast kleinlich auf jedes Detail geachtet: die dreckigen Kleider, schlechte Zähne und der Dreck und Müll auf den Straßen.„Das Parfum“ ist ein moderner Film, der sich vor allem zu Beginn und am Ende sehr dicht am Original hält – Änderungen, die vorhanden sind, scheinen nicht weiter relevant – nur die Rolle des Grenouille weicht wesentlich von der Beschreibung Süskinds ab. Während dieser Grenouille als abscheuliche Gestalt, Scheusal, als „Zeck“ – das heißt hässlich, grau und klein, unan-sehnlich, zäh – beschreibt („So ein Zeck war das Kind Grenouille. Es lebte in sich verkapselt und wartete auf bessere Zeiten. An die Welt gab es nichts ab als seinen Kot.“), wollten die Filmemacher dies ihrem Publikum wohl nicht zumuten, denn Ben Wishaw kann man diese Attribute nur schwer zuordnen. Dennoch überzeugt er, wie auch die anderen Akteurinnen und Akteure, mit seiner schauspielerischen Leistung.
Eine wesentliche Rolle in dieser Geschichte spielt der Duft – im Buch, so Tykwer in einem Interview, mit „sinnlichen Übertragungen“ erarbeitet, soll der Geruch im Film mit Hilfe von Musik, Tönen, Geräuschen und auch Bildern, nicht aber mit Special Effects, sichtbar gemacht werden. Nur naturgetreue Aufnahmen soll der Film bieten und das gelingt Tykwer auch – nur manchmal so genau und realistisch, fast schon übertrieben, dass man froh ist, dass sich das „Riechkino“ bisher noch nicht durchgesetzt hat.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Tatjana Hampe
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Michael Bittner: Fußball weltweit
Die Fußballweltmeisterschaft hat vier Wochen lang die Welt in ihren Bann gezogen. Millionen von Menschen weltweit verfolgten ein riesiges Sport- und Medienereignis. Der Leistungssport Fußball, seine hoch verdienenden Akteure und die gigantische Werbe- und Marketingmaschine füllte die Tageszeitungen und sorgte täglich für neue Schlagzeilen. Dass Fußball aber mehr ist als Volks- und Leistungsport, mehr als Jubel, Tore und ein Großereignis führt die DVD/CD-ROM „Die Welt ist rund. Fußballträume – Fußballrealitäten“ vor Augen.
Der Fußball hat es in den vergangenen Wochen der Weltmeisterschaft geschafft, Menschen aus aller Welt für ein Ereignis zu begeistern und friedlich zu vereinen. Und genau dies ist der Anknüpfungspunkt des vorliegenden Werkes: Kinder auf der ganzen Welt spielen täglich Fußball nach exakt den gleichen Regeln, unabhängig von Sprache, Kultur oder sozialer Herkunft. Fußball wirkt dort als Motor der Integration. Über kulturelle Barrieren hinweg finden sich Nationalmannschaften und fußballspielende Kinder zusammen. Fußball ist aber auch wirtschaftlich verflochten. So werden Talente aus Afrika früh nach Europa geschickt, was Fragen der Globalisierung und des Menschenhandels aufwirft.Sport und Fußball für die Schule und Bildungsarbeit zugänglich zu machen und anhand des Themas Fragen rund um Frieden, Kultur, Verständigung und Entwicklung aufzuarbeiten ist Ziel der CD-ROM.
In fünf Kurzfilmen sollen Kinder und Jugendliche Einblicke in fremde Lebenswelten bekommen. Sie sollen zum einen „Fußball als Spiegel der Gesellschaft wahrnehmen“, zum anderen „Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen als mögliches Mittel zu einer positiven Identifikation und zur Völkerverständigung (…) erkennen“. So beschreibt der erste fünfminütige Film „The Ball“, wie sich Kinder aus einem Dorf in Mosambik aus einem Kondom ihren Fußball basteln und behandelt somit nicht nur das Thema Armut sondern auch AIDS. In dem 27-minütigen Film „Sold out – von der Straße ins Stadion“ wird der Transfer minderjähriger Fußballtalente aus Afrika nach Europa thematisiert. Eindrücklich werden hier die Hoffnungen der Kinder dargestellt und die Folgen, wenn sie den großen Sprung nicht schaffen.
Die Kinderarbeit in Pakistan bei der Herstellung von Fußbällen wird in einem der Filme ebenso thematisiert wie die Integrationskraft von Fußball anhand von Mädchenfußball in Honduras. Zu jedem der fünf Filme stehen eine Arbeitshilfe und Arbeitsblätter zur Verfügung. Die ausführlichen Arbeitshilfen bieten Hintergrundinformationen zu den einzelnen Filmen, definieren die damit verbundenen Lernziele und geben Impulse zur Aufarbeitung des jeweiligen Films im Unterricht. Der Hinweis auf weiterführende Materialien und Links erlaubt den Lehrkräften eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Arbeitsblätter bieten gute Anregungen zur konkreten Umsetzung im Unterricht und das Arbeitsblatt Fotosprache enthält zu jedem der fünf Filme je sechs Fotos aus dem Film mit einem konkreten Arbeitsauftrag, anhand dessen der Film besprochen werden kann. Die Benutzung und Bedienung der CD-ROM/DVD ist sehr einfach und die übersichtliche Gestaltung sowohl des DVD- als auch des CD-ROM-Teils und der Arbeitsblätter erlaubt eine leichte Einarbeitung. Die professionellen Filme sind geeignet, vielfältige Themen rund um Globalisierung, Frieden, Kultur und Entwicklungsarbeit zu besprechen. Die Altersempfehlung liegt bei zehn Jahren. Die Filme müssen in dieser Altersklasse allerdings besonders ausführlich vor- und nachbesprochen werden, um die Schülerinnen und Schüler auf die Thematik vorzubereiten und sie bei der Verarbeitung zu unterstützen. Wie auf der DVD empfohlen, scheinen viele Filme erst ab 14 Jahren sinnvoll. Die große Themenvielfalt der Filme erzwingt eine Fokussierung auf eines oder zwei Themen, so dass die Schüler nicht überfordert werden. Die hervorragende Gestaltung der fünf Dokumentarfilme, die gut ausgearbeiteten Arbeitshinweise für Lehrkräfte und die Vielfalt der angesprochenen Themen, machen die DVD/CD-ROM gerade nach der Fußballweltmeisterschaft für den Einsatz im Unterricht reizvoll.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Michaela Bittner
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Alexander Kuhn: Games Convention 2006
Vom 24. bis 27. August 2006 fand die diesjährige Games Convention (GC), die größte Computerspielmesse in Deutschland, auf dem Leipziger Messegelände statt. In ihrem fünften Jahr ist die GC wieder um einige Neuerungen reicher, dies gilt sowohl für den Bereich der Hardware als auch was neue Spiele angeht. Bei manchen Angeboten lohnt es sich, sie genauer unter die Lupe zu nehmen. Im Folgenden wird eine Auswahl dessen vorgestellt, was vielleicht sogar das Zeug dazu hat, sich in der nächsten Zeit zu einem Trendsetter zu entwickeln.
Shootpad
Für die PS2 ist wieder eine Neuerung im Bereich ‚Interagiere mit deinem Computer’ auf dem Markt. Für Fußballspiele wie FIFA, oder Pro Evo-lution Soccer steht den Fans von Fußballsimulationen ein interessantes Gamepad zur Verfügung. Man steht auf einem grünen, mit den klassischen Fußballbegrenzungsfeldern versehenen Minispielfeld, die Krönung des Ganzen stellt ein auf dem Spielfeld fixierter Fußball dar. Diesen muss man treten, bei einem kräftigen Tritt vollzieht die virtuelle Figur einen weiten Schuss, bei ei-nem schwachen Tritt ist der Schuss kurz. Welches Bein der Spieler oder die Spielerin benutzt wird durch davor liegende Felder für das Standbein kontrolliert. Die Richtung, in die die Figur läuft, wird klassisch über den PS2 Joystick gesteuert, aber die Schüsse, das Dribbeln im Spiel et cetera übernimmt nun der Spieler, wobei er während der ganzen Partie auf seinem Gamepad steht, ständig in Bewegung ist und nicht bewegungslos im Wohnzimmersessel sitzt wie sonst üblich. (www.bigben-interactive.de)
Gamesload
Gamesload stellt eine digitale Vertriebsplattform für Spiele im Internet dar. Damit erübrigt sich der Weg in ein Kaufhaus. Da-rüber hinaus kann mittels einer speziellen Technik der WebSite fast jedes Produkt vor dem Kauf eine gewisse Zeit probegespielt werden. Das Angebot ist unter drei Oberbegriffe gegliedert: „PC Games“, „Easy Games“, „Online Games“. Im Bereich PC Games findet man aktuelle Titel und beliebte Klassiker des Computerspielgenres zum kostenpflichtigen Download oder zum direkten Spielen mit der Games Flatrate, die ähnlich wie eine Internet Flatrate monatliche Kosten beinhaltet. Easy Games sind kurzweilige, leicht zugängliche Downloadspiele für Gelegenheitsspieler. Unter Online Games kann sofort, alleine oder gegeneinander im Internet gespielt werden, es fallen nur die Kosten für die Internetverbindung an. Mit einem Angebot von 300 Spielen, die zum Downloaden bereit stehen, und über 100 Spielen in der Games Flatrate ist innerhalb eines Jahres nun schon ein recht breitgefächertes Angebot im Internet entstanden. Zielgruppe dieses Angebots sind Nutzer aller Altersgruppen mit Breitbandanschluss. Bezahlt werden kann über die Telefonrechnung von T-Com oder über Click & Buy-Angebote wie Firstgate, sowie Kreditkarten oder Lastschriftzahlungen. (www.gamesload.de)
Pong.Mythos
Unter diesem Oberbegriff findet sich eine Reihe von Exponaten, die zum Thema Pong, einem einfachen digitalen Tennisspiel, das in den 70er Jahren entwickelt wurde, eine ganz eigene Aussage und Spielart bieten. Die Wanderausstellung wurde vom Computerspielemuseum Berlin zusammengestellt. Gezeigt wird zum Beispiel das Spiel Pong, das mittels Radfahren, also über Pe-daltrittgeschwindigkeit funktionierte, oder Pong, das man auf einem großen Feld mittels Videotechnik und seiner eigenen Bewegung auf diesem Feld steuern konnte. Auch ein Pong der ganz anderen Art findet sich: der Schmerz-Pong. Dieses Gerät lud Erwachsene dazu ein, gegenein-ander zu spielen, während sie ihre Hand auf eine Kontaktfläche legten. Wer verlor, wurde „bestraft“, zum Beispiel mit einem Stromstoß. Man erinnert sich vielleicht an den James Bond-Film Goldfinger, in dem Mr. Bond mit dem Erz-schurken auch ein Spiel spielen sollte, wobei der Schmerzlevel immer höher wurde, um so einen der Kontrahenten zum Aufhören zu bewegen. Dieser Ansatz war es in etwa, der auch mit diesem Gerät verfolgt wurde. (www.pong-mythos.net)
Machinima
Machinima ist ein Kunstwort, das sich aus den Begriffen „machine“, „cinema“ und „animation“ zusammensetzt, und bezeichnet Filme, die mit Hilfe von Game-Engines erstellt werden. An mehreren Bildschirmen kann man sich einen Eindruck davon verschaffen, was bisher mit dieser Form der kreativen Auseinandersetzung an Filmen erschaffen wurde: Musikvideos, Serien, Actionfilme, Komödien oder einfach eine Sammlung von kleinen Sketchen. Machinimas werden nicht nur von enthusiastischen Spielern entwickelt, sondern eben auch von solchen, die sich mit dem Medium Computer aber dennoch kreativ auseinandersetzen wollen und die bereits vorhandene Technologien nutzen wollen, zum Beispiel Grafikengines, um Eigenes zu schaffen. Interessierten Besuchern wurden auf der GC Kurse angeboten, in denen ihnen ein kleiner Einblick in das Produzieren von Machinimas geboten wurde. (www.machinima.com)
GP2XPS2, PS3, PSP, NDS, Wii, Xbox360 – Konsolen, die alle kennen und die fast jeder haben will. Nachteil dieser Geräte: Die entsprechenden Spiele sind recht teuer, da sie meist exklusiv für die jeweilige Konsole lizenziert wurden. Einen Zwischenweg geht GameParks Holding mit dem GP2X. Dieser Personal Entertainment Player läuft unter Linux. Was den Vorteil hat, dass die Spiele dafür Open Source-Ware sind, also nichts kosten. Mehr als 200 gibt es bereits und täglich werden es mehr. Die Games können im Internet runtergeladen und mittels USB-Kabel auf die SD-Specherkarte des GP2X übertragen werden. 185 Euro kostet das Gerät, das nur im Internet bestellt werden kann. (www.gp2x.de)
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Alexander Kuhn
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Michaela Bittner: Die Schlaumäuse-Party
Auf der Didacta 2006 stellte die Bildungsinitiative von Microsoft und Partnern „Schlaumäuse – Kinder entdecken Sprache“, die neue Version der Schlaumäuse-Lernsoftware vor. Schlaumäuse soll die Sprachentwicklung der Vier- bis Sechsjährigen fördern, an die sich folglich auch die neue Lernsoftware richtet. Spielerisch will die CD-ROM den Kindern den Umgang mit Wort und Schrift näher bringen.
Die aus der Vorgänger-Version bekannten Schlaumäuse und die Kobolde Lolli und Pop laden die Kinder auf den Schlaumäuse-Spielplatz ein und führen durch die Lernsoftware. Wie auch die erste Version soll die Lernsoftware die Kinder beim Erkennen von Lauten bis hin zum ersten Schreiben und Lesen unterstützen. An mehreren Spielstationen können die Mädchen und Jungen anhand verschiedener Spiele vieles rund um Laute, Wörter und Sätze ausprobieren und so einüben, zusätzlich sammeln die Spielerinnen und Spieler pro erfolgreichem Lernspiel bis zu zwei Stücke für eine Käsetorte, mit der am Ende eine große Party stattfindet. So können die Kinder an der Wippe die Mäuse zum Schaukeln bringen, indem sie einzelne Silben auf der rechten Seite der Wippe in die richtige Reihenfolge bringen und so Wörter bilden. Nach zwei Fehlversuchen wird das Wort genannt und bildlich veranschaulicht. In der Zauberbude müssen bestimmte Wörter in andere Wörter verzaubert werden. Das phonologische Bewusstsein der Kinder wird hier durch den Austausch eines Lautes gefördert. Im Theater wiederum können sie das alltägliche Verstehen insbesondere von Präpositionen üben, indem sie bei der Dekoration der Bühne behilflich sind und verschiedenen Handlungsanweisungen zu deren Aufbau folgen. Darüber hinaus können die Kinder an fünf weiteren Spielstationen Käsestücke sammeln und so spielerisch ihre Sprachkompetenz verbessern.
Sobald die Kinder acht Käsestücke gesammelt haben, beginnt zur Belohnung die Party im Partyzelt. Das Partyzelt ist lediglich zum Vergnügen da. Die Mädchen und Jungen können das Zelt mit bunten Luftballons verschönern, eine Maus verkleiden und auf Schatzsuche gehen. Für manche Aktivitäten im Zelt muss man mit einem Käsestück bezahlen, so dass die Kinder sich auf dem Spielplatz wieder neue Käsestücke verdienen müssen, was ihnen einen Ansporn zum fleißigen Üben bietet. Zusätzlich können sich die jungen Spielerinnen und Spieler auch in der Schreibwerkstatt austoben. Hier können zum Beispiel Buchstaben nach Belieben eingetippt werden, die man sich dann vorlesen lassen kann. Mithilfe der Flüstertüte lernen die Kinder so Buchstaben Lauten zuzuordnen.
Die Sammelmappe bietet den Kindern außerdem einen Überblick über alle besuchten Spielorte und eine Sammlung der erarbeiteten Wörter zum Ausdrucken.Die Spiele sind dem Alter der Zielgruppe angepasst, die Schwierigkeitsniveaus sind individuell einstellbar. Die ausführlichen Erklärungen lassen keine Frage offen, so dass die Kinder gleich mit Spielen und Lernen loslegen können. Das System merkt sich außerdem den Lernstand der Kinder und passt die Ansagen und Erklärungen an die einzelnen Spielerinnen und Spieler an. Zusätzliche Besonderheiten wie beispielsweise das Anzeigen des grammatikalischen Geschlechts in verschiedenen Farben bereichern die CD-ROM und unterstützen die Spielenden beziehungsweise Lernenden. Wiederkehrende Tools, das so genannte Forscher-Werkzeug, erleichtern zusätzlich die Navigation. So signalisiert der Lautsprecher, dass Wörter und Sätze vorgelesen werden, das Stethoskop macht jeden einzelnen Laut eines Buchstabens hörbar, der Handschuh dient als Navigationswerkzeug und mit einem Klick auf den Fragezeichenknopf bekommen die Kinder Hilfe oder das Spiel nochmals erklärt.Neu an der CD-ROM ist der Teil, den die kleinen Lernerinnen und Lerner nicht betreten können, nämlich das Betreuungstool. In diesem passwortgeschützten Bereich der Software erhalten Erziehende beziehungsweise Eltern einen schnellen Überblick über sämtliche Inhalte der CD-ROM und können in einem Protokoll den Bearbeitungsstand des jeweiligen Kindes einsehen. Der Sprachstandtest erlaubt es den Betreuerinnen und Betreuern, beispielsweise durch einfache Zuordnungspiele die sprachlichen und phonologischen Fertigkeiten eines Kindes zu testen.
Die Ergebnisse des Tests zeigen den Eltern auf, was das Kind noch üben sollte und gibt ihnen einen Hinweis, mit welchem Spiel der CD-ROM dies am besten gelingt. Die übersichtlich und bunt gestaltete CD-ROM bringt den Kindern nicht nur die Sprache näher, sondern macht sicherlich auch einfach Spaß und ist sowohl in der Kita oder Grundschule als auch individuell zuhause einsetzbar.Mit der Schlaumäuse-Software wird das Ziel verfolgt, „die natürliche Lust der Kinder am Lernen zu fördern und sie spielerisch an Sprache und Schrift heranzuführen“. Zumindest aus Erwachsenensicht könnte dies gelingen.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Michaela Bittner
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Daniel Ammann: Experimente im virtuellen Labor
Im Labor des Professors warten auf geduldige Tüftlerinnen und Tüftler rund hundert physikalisch-technische Experimente in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Anfangs müssen nur ein paar Bälle mittels geschickt platzierter Bretter ins Ziel befördert werden. Aber bald schon kommen weitere Elemente wie Dominosteine, Federn, Katapulte, kleine Roboter oder Magnete, Springfrösche, Dampfmaschinen und Zeppeline ins Spiel. Jedesmal gilt es, die zur Verfügung stehenden Objekte aus der Elementleiste am rechten Bildrand an der passenden Stelle in die Versuchsanordnung einzufügen und mittels Kontextmenü allenfalls noch in die richtige Position zu drehen. Das fordert schon einiges an Vorstellungsvermögen, aber über die Schalttafel kann das Experiment jederzeit versuchsweise in Gang gesetzt werden und so Hinweise liefern, warum es noch nicht klappt. Vielleicht dreht sich noch ein Zahnrad in die falsche Richtung oder ein Gewicht reicht nicht aus, um den Hebel einer Falltür oder eines Ventils zu betätigen. Ist die Aufgabe schließlich gelöst, folgt sogleich die nächste He-rausforderung. Jedesmal gibt der Professor eine kurze Erklärung ab, die auch in einem Textfeld nachgelesen werden kann, und bittet die Spieler um ihre Hilfe. Und will es einmal gar nicht klap-pen, befindet sich auf der CD-ROM eine PDF-Datei mit Komplettlösung. Falls die Crazy Machines wie angepriesen die ganze Familie unterhalten sollen, muss hier auch im Team gearbeitet werden. Einige Aufgaben sind für Sechsjährige eher zu komplex und bestimmte Funktionen der Navigation und Bedienung erschließen sich teilweise erst durch Versuch und Irrtum. Leider ist es nicht möglich, mehrere Spielstände individuell abzuspeichern. Klickt man auf ein „neues Spiel“, muss man die Ausbildung zum Professor wieder ganz von vorne beginnen. Neben diesen Nachteilen überzeugt das kostengünstige Spiel dafür durch witzige Aufgabenstellungen, realistische Bewegungssimulation und vor allem durch ein weiteres Labor, in dem man eigene Experimente erstellen, als Aufgaben samt Begleittext und Punktezahl konfigurieren und für andere Spieler exportieren kann. Wenn man die vier Prüfungen des Professors bestanden und seine Diplome gemacht hat, kann der Tüftelspaß hier also endlos weitergehen.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Daniel Ammann
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Danilo Dietsch: Digitale Aufnahmegeräte für die medienpädagogische Praxis
Wenn ein Interview ansteht oder eine Straßenumfrage fürs Radio durchgeführt werden soll, müssen eigentlich nur ein Mikrofon, Kabel und Aufnahmegerät vorhanden sein. Doch bei immer mehr Aufnahmegeräten auf dem Markt stellt sich hier mehr denn je die Qual der Wahl.
Um O-Töne vor Ort einfangen zu können, brauchen Jugendradios, Nachwuchsreporter und medienpädagogische Projekte handliche und zuverlässige Aufnahmegeräte. Diese zeichnen sich durch praxisgerechte Audioanschlüsse aus, sollten also symmetrische XLR oder große Klinkenbuchsen besitzen. Empfehlenswert ist eine zuschaltbare Phantomspeisung, um hochwertige Kondensatormikrofone für anspruchsvolle Aufnahmesituationen benutzen zu können. Eine Aussteuerungsanzeige sollte einen möglichst genauen Eindruck vom Verlauf der Aufnahme vermitteln, hierbei ist die gute Lesbarkeit besonders wichtig. Die Aussteuerung sollte nicht menügesteuert, sondern schnell und manuell einstellbar sein. Als Maßstab gilt bei Sprachaufnahmen, dass die Aussteuerungsanzeige des Pegels sich zwischen -5 db und 0 db bewegen sollte.
Gerade beim Einsatz von digitalen Aufnahmegeräten im medienpädagogischen Bereich, sollte ein schaltbarer Limiter zur Aussteuerungsbegrenzung vorhanden sein. Dieser verhindert übersteuerte (verzerrte) Aufnahmen und ermöglicht ein frustfreies, sendefähiges Ergebnis. Die Kinder und Jugendlichen können sich auf das Interview konzentrieren und Gehör und Pegelanzeige etwas „vernachlässigen“.
Analoge professionelle Reportagegeräte (zum Beispiel Sony TC-D5) haben sich langsam aus den Redaktionen der Radiosender verabschiedet. Auch in der medienpädagogischen Radioarbeit sind sie nur noch begrenzt zu empfehlen. Es gibt derzeit keinen Hersteller, der Neugeräte produziert, allerdings sind Geräte regelmäßig über Internetauktionen ab circa 150 Euro erhältlich. Sie liefern in der Regel ordentliche akustische Aufnahmen, bieten gute Aussteuerungsmöglichkeiten und besitzen professionelle XLR- oder große Klinke-Mikrofoneingänge. Ein weiterer Vorteil für die medienpädagogische Arbeit ist die Robustheit und die Einsatzmöglichkeit des Limiters. Verschiedene Erfahrungsberichte zeigen aber, dass die Reparaturanfälligkeit steigt und es immer schwieriger wird, Geräte für einen angemessenen Preis zu reparieren.
Nicht empfehlenswert sind Mini-Disk-Geräte. Diese sind leider nicht besonders robust und in der Regel ist die Bedienung menügesteuert. Das bedeutet, dass mittels kleinen Tasten in diversen Untermenüs Einstellungen programmiert werden müssen. Die Aufnahmen sind oft unbefriedigend, bedingt durch den fehlenden Limiter und dadurch, dass viele Geräte über eine schlechte manuelle Aussteuerung des Aufnahmesignals verfügen. Ein weiterer Mangel ist, dass Mikrofone an Mini-Disk-Geräte nur über eine kleine Klinke und somit über wackelige und kurzlebige Anschlüsse verbunden werden können, wohl aufgrund der schwindenden Nachfrage gibt es außerdem nur noch wenig Neugeräte (Sony, Tascam) auf dem Markt.
Ein großer Vorteil von digitalen Rekordern ist, dass das Gerät nach der Aufnahme einfach an den USB-Port eines PCs angeschlossen werden kann; das Gerät wird als USB-Massenspeicher erkannt und die einzelnen Aufnahmedateien werden angezeigt. Ein einfaches Ziehen der Dateien über Drag&Drop auf die Festplatte und schon steht das Audiomaterial für den digitalen Audioschnitt bereit. Gerade bei langen Interviews besteht darin eine große Zeitersparnis im Vergleich zum Digitalisieren von Aufnahmen mittels Kassettengerät. Dank eines preiswerten Speichers, nahtloser Computerintegration und guter Aufnahmequalität, einfacher Bedienung sowie preiswerter Einstiegsgeräte, liegt es nahe, digitale Aufnahmegeräte in der medienpädagogischen Radioarbeit einzusetzen. MicroTrack 24/96, Edirol R-1 sowie R-09 sind als mobile Aufnahmegeräte für Reportagen, Interviews und Umfragen konzipiert und preiswerte Alternativen zu professionellen Handheld Digital Audio Rekordern.
Micro Track 24/96Der Micro Track 24/96 ist ein robuster, mobiler 2-Kanal-Digital-Recorder für die Aufnahme von WAV- und MP3-Dateien. Als Aufnahmemedium dient eine CompactFlash-Karte. Für die Aufnahme verfügt das Gerät über symmetrische Line-Eingänge (große Klinke) oder ein Stereo-Aufsteckmikrofon. Die 6,3 mm Klinkenbuchsen liegen allerdings für massive Stecker etwas zu nah beieinander. Das Gerät besitzt eine schaltbare Phantomspeisung für professionelle Kondensatormikrofone, sowie einen Vorverstärker. Zusätzlich ist je nach Mikrofoneinsatz und Ort der Tonquelle die Aufnahmeleistung mittels Empfindlichkeitsumschalter in drei Stufen regelbar. Das Gerät ist sehr gut für ängstliche Kinder ge-eignet, die dem Interviewgast das Mikrofon nicht richtig hinhalten. Die Aufnahmen sind erfreulich rauscharm und gut verständlich. Der Sound kann entweder über Stereokopfhörer (Miniklinke) oder die Lineausgänge (Cinch) abgehört werden. Das Gerät besticht durch viele Einstell- und Anschlussmöglichkeiten, sowie ei-ne einfache Handhabung. So kann der Micro Track 24/96 über eine Wipptaste mit Klickfunktion schnell durch das logisch aufgebaute deutsche Menü navigiert werden. Alle wichtigen Funktionen sind über extra Bedienelemente sehr gut steuerbar. Zum Aufnehmen benötigt man nur eine Taste, die Pausentaste fehlt. Die manuelle Aussteuerung funktioniert direkt und schnell, so kann der Pegel – die Lautstärke der Aufnahme – sogar kanalgetrennt leicht korrigiert werden. Ein Nachteil ist der fehlende Limiter, allerdings werden Übersteuerungen mittels zwei Leuchtdioden angezeigt. Auch die Pegelanzeige während der Aufnahme und die Akkuanzeige sind deutlich lesbar. Die Akkulaufzeit beträgt nach Händlerangabe über sieben Stunden und circa drei Stunden bei aktiver Phantomspeisung. Aufgeladen wird der MicroTrack einfach über den USB-Port des PCs oder durch das optional erhältliche Netzteil. Da der Lithium-Ionen-Akku fest im Ge-rät eingebaut ist, können im Bedarfsfall keine Ersatzakkus oder Batterien die weitere Stromversorgung übernehmen. Dieser gravierende Nachteil birgt in der medienpädagogischen Arbeit Risiken. Im Handel ist das Gerät ab circa 410 Euro erhältlich. EdirolVon Edirol gibt es mit dem R-09 und dem R-1 zwei Geräte die sich für den mobilen Einsatz in der medienpädagogischen Arbeit eignen. Der R-1 ist durch sein etwas kantiges Plastikgehäuse und einen Karteneinschub mit schlecht zu öffnender Klappe leider nicht besonders robust. Das R-09 ist nicht nur kleiner und handlicher, sondern auch robuster.
Das Gerät R-1 lässt sich intuitiv mit einem Datenrad und einigen Tasten bedienen. Ein großer Vorteil ist der vorhandene Limiter und zusätzlich bietet der R-1 einige Effekte wie zum Beispiel Rauschunterdrückung, Verfremdungseffekt, Equa-lizer und Reverb an. Diese sind wahlweise in den Aufnahme- oder Wiedergabeweg schaltbar. Beim R-1 ist der Limiter extra schaltbar. Ein recht blickwinkelabhängiges LED liefert nur eine grobe Aussteuerungsanzeige und damit eine schlechte Einsicht auf die Aufnahmeleistung. Auch in punkto Anzeige schneidet der R-09 besser ab, Übersteuerungen werden sogar mittels Leuchtdiode angezeigt. Der Sound kann auch hier über Stereokopfhörer (Miniklinke) kontrolliert werden. Mit beiden Geräten erhält man eine ordentliche, sendefähige Aufnahmequalität. Auch das interne Mikrofon ist erstaunlich gut und für die Audioarbeit ausreichend. Ein großer Nachteil bei beiden Geräten sind die Audioanschlüsse. Es wird keine Phantomspeisung bereitgehalten, somit können als externe Mikrofone nur dynamische Mikrofone, aber keine hochwertigen Studio- oder Kondensatormikrofone über eine kleine Klinkenbuchse angeschlossen werden. Das ist nicht besonders praxisgerecht, da anzunehmen ist, dass wie bei Mini-Disk-Rekordern die kleine Buchse kein langes Leben haben wird. Ein Vorteil gegenüber dem Micro Track besteht darin, dass die Edirolgeräte mit zwei wechselbaren AA-Batterien oder Akkus arbeiten.
Der R-1 kostet derzeit im Handel circa 390 Euro, das Nachfolgemodell (R-09) circa 420 Euro.
Fazit
Im Hinblick auf mobile Aufnahmen sind Micro Track 24/96, Edirol R-1 und R-09 auch für An-fänger unkompliziert zu bedienen. Die Edirolgeräte überzeugen mit einem Limiter, der das Auf-nahmeniveau hebt und den Einsatz in der Medienpädagogik erleichtert. Mit guten Aufnahmeergebnissen, geringer Größe und vielfältigen, professionellen Anschlüssen überzeugt der Micro Track. Eine gute Alternative, die alle Vorteile und Ansprüche vereint, ist das Gerät PMD 670 der Firma Marantz. Es liefert gute Audioaufnahmen, besitzt professionelle XLR Mikrofonanschlüsse und einen schaltbaren Limiter. Allerdings hat das Gerät für den medienpädagogischen Bereich mit 845 Euro auch einen stolzen Preis.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Danilo Dietsch
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e-teaching.org
Das Portal www.e-teaching.org ist ein Informations- und Qualifizierungsangebot, das sich explizit an Hochschullehrende wendet. Seit August 2003 wird dort das Thema E-Learning und E-Teaching in all seinen Facetten beleuchtet. Um den Austausch zwischen engagierten Lehrenden, aber auch Beraterinnen und Beratern aus dem Hochschulbereich zu unterstützen startet das Portal nun mit dem Angebot umfangreicher Community-Funktionen, die allen Interessentinnen und Interessenten offen stehen.
Die redaktionelle Betreuung und Weiterentwicklung ist am Institut für Wissensmedien in Tübingen angesiedelt, finanziert wird das Portal vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).www.iwm-kmcr.de
Alexander Buck: "Hostel" und andere tödliche Unterkünfte
„Wieviel Schmerz hältst du aus?“ – diese Frage stellt das offizielle deutsche Filmplakat von „Hostel“ und meint wohl mehrere Ebenen: szenarisch die der Protagonisten, jedoch sublim auch (und vielleicht zuvorderst) die der Rezipienten.Bereits vor gut einem Jahr wäre diese Frage schon bei „Saw“ zu stellen gewesen, dem Film, der derart erfolgreich war, dass im Februar diesen Jahres „Saw II“ in den Kinos lief und „Saw III“ (wie auch „Hostel II“) bereits produziert werden. Alle genannten Filme wurden von Lions Gate Film produziert, nach eigenen Angaben die größte ‚Independent Film’-Produktionsfirma, welche unter anderem „The Descent“ und „L.A. Crash“ herausbrachte. Nun ist es begrüßenswert und entspricht wohl auch der Nachfrage, dass Filme nach jahrzehntelangem Quasi-Monopolismus der Branchengiganten auf breiterer Basis unabhängig und zu einem Bruchteil der klassischen Produktionskosten realisiert werden (können). Selbst die diesjährige Oscar-Verleihung ließ den Trend nicht unberücksichtigt, wie beispielsweise „L.A. Crash“ sowie „Tsotsi“ belegen. Jedoch lässt sich innerhalb dieser Entwicklung eine verstörende Tendenz zu einer neuen Qualität von Horrorfilmen ausmachen, welche medienpädagogisch zu analysieren und aufzuarbeiten sind.
Eine Chronologie des Horrors
Grundstein für die hier zu entwickelnde Chronologie soll der Film „Saw“ liefern, welcher 2004 produziert und auf dem „Sundance Film Festival“ im gleichen Jahr erstmals vorgeführt wurde. Er erzählt die Geschichte von „Jigsaw“, einem vermeintlichen Serienkiller, welcher jedoch selbst keine Personen tötet – er inszeniert ‚Spiele’, in denen sich die Protagonisten gegenseitig umbringen sollen/müssen. Seine Intention ist Menschen, welche sich unmoralisch verhalten und das eigene Leben nicht wertschätzen (zum Beispiel Drogenabhängige), mit drastischsten Mitteln davon zu überzeugen, wie sehr sie an ihrem eigenen Leben hängen und wie lebenswert es sei.Die Einstiegssequenz spielt in einer Art verfallenem, überdimensionalen Badezimmer, indem sich Adam (Leigh Whannell, welcher auch das Drehbuch schrieb) und Dr. Gordon (Cary Elwes) angekettet in den gegenüberliegenden Ecken wiederfinden, ohne zu wissen, wie sie in diese missliche Lage gekommen sind. In der Mitte des Raumes liegt eine blutüberströmte Leiche, mit einer Pistole sowie einem Diktiergerät in den Händen. Als Adam und Dr. Gordon ihre Taschen durchsuchen, stellen sie fest, dass sie beide Microcassetten für das Diktiergerät besitzen.
Auf den Cassetten befinden sich die ‚Spielanweisungen’ von „Jigsaw“: Dr. Gordon hat acht Stunden Zeit, Adam zu töten, ansonsten werden Gordons Frau und Tochter getötet. Eine Art Puzzlespiel entwickelt sich – weitere Hinweise geben den Protagonisten computerspielähnlich weitere Gegenstände an die Hand, unter anderem auch zwei Knochensägen ...
In Rückblenden wird die Geschichte von „Jigsaw“ durch Detective David Tapp (Danny Glover) aufgerollt, welcher dem Wahnsinnigen bereits auf der Spur ist. So beispielsweise im Fall der Drogensüchtigen Amanda (Shawnee Smith), die sich mit einer mönströsen Apparatur, ähnlich einer Bärenfalle, auf dem Kopf in einem Raum wiederfindet. Um das ‚Spiel’ zu gewinnen und um zu vermeiden, dass ihr Schädel nach Ablauf der Zeit durch die Apparatur zerfetzt wird, muss Amanda an den Schlüssel kommen. Im Raum befindet sich ein Freund, paralysiert durch Drogen auf dem Boden liegend, jedoch bei vollem Bewusstsein. Der Schlüssel befindet sich in seinem Magen ...Amanda gelingt es, sich zu befreien und erklärt bei ihrer Vernehmung, „Jigsaw“ hätte ihr geholfen, den Wert des Lebens wieder zu finden – sie sei ihm dafür dankbar.
In der Zwischenzeit haben Dr. Gordon und Adam herausgefunden, warum auch sie Teil des ‚Spiels’ wurden: Dr. Gordon betrachtet seine Patienten im Krankenhaus lediglich als Nummern und vergnügt sich neben seiner Ehe mit einer asiatischen Krankenschwester; Adam ist eine Art ‚Privatschnüffler’, welcher Foto-Überwachungsaufträge übernimmt. Die Spur von „Jigsaw“ führt zu Zep Hindle (Michael Emerson), welcher als Krankenpfleger arbeitet und tatsächlich Dr. Gordons Frau und Tochter gefangen hält ...
„Die meisten Menschen sind so undankbar dafür, dass sie noch leben, aber Sie nicht. Jetzt nicht mehr! Das Spiel ist aus!“ – so das Zitat von „Jigsaw“ gegen Ende des Films, der die Spannung durchaus bis zum Schluss hält und ein zwar eingeführtes, jedoch überraschendes und unerwartetes Ende preis gibt.
„Saw“ spielte bei einen Budget von 1,2 Millionen US-Dollar weltweit über 102 Millionen Dollar ein und spaltete Publikum wie Kritiker. Es ist das Erstlingswerk von zwei australischen Filmstudenten (James Wan und Leigh Whannell, beide 1977 geboren), welche sich geschickt und schonungslos der Genres bedienen und einen Thriller konzipierten, welcher „Sieben“ an Spannung durchaus ebenbürtig ist. Jedoch sind es die Figuren und deren filmische Einführung, welche, dies sei an dieser Stelle bereits benannt, eine Verstörung beim Zuschauer hinterlassen. Letztlich, diese These ist allen Filmen gemeinsam, wird eine Empathie oder gar ein Mitleid mit den Opfern tendenziell erschwert, bzw. verunmöglicht. So auch bei „Saw II“, welcher nahtlos an den ersten Teil anknüpft (der Cliffhanger am Ende von „Saw“ macht es möglich), jedoch noch eine härtere Gangart einschlägt. Die Opfer sind, vielleicht mit Ausnahme des jungen Sohns eines ermittelnden Polizisten, allesamt sehr oberflächlich charakterisiert und lassen eine Empathie des Zuschauers kaum zu. Erschwerend kommt hinzu, dass die Protagonisten sich nicht gerade kooperativ oder sozial einander gegenüber verhalten, was natürlich von „Jigsaw“ auch durch die gestellten Aufgaben verhindert wird.
Beiden Teilen ist die stark ethisch motivierte ‚Täterstruktur’ von „Jigsaw“ gemein, welcher, überspitzt formuliert, die richtige Philosophie besitzt, jedoch diese mit fürchterlichen, fatalen Mitteln an die Menschheit bringen will. Da er selbst schwerkrank ist, versteht er (durchaus zurecht) nicht, warum andere Menschen ihr Leben vergeuden oder achtlos wegwerfen. Seine ‚Versuchsaufbauten’ jedoch sind menschenverachtend, perfide und bisweilen sadistisch sowie pervers. Er tötet nicht – er lässt töten und führt seine eigene Überzeugung damit ad absurdum.Wer sich in die falsche Behausung begibt ...Wurden bei „Saw I“ und „Saw II“ die Opfer gegen ihren Willen in auswegslose, tödliche Situationen geworfen, so ist dies bei „The Descent“ sowie „Hostel“ gar nicht mehr nötig – die potenziellen Opfer begeben sich freiwillig und aus purer Freude in solche.
In „The Descent“ begibt sich eine Gruppe befreundeter junger Frauen bei einem ihrer ‚Abenteuerurlaube’ in eine Höhle ohne Wiederkehr. Das wohl jährlich stattfindende Event soll dieses Mal eine Tour durch eine bekannte und unter Höhlenkletterern Kultstatus besitzende Höhle führen. Doch leider hat die planende Protagonistin absichtlich nicht diese Tour gewählt, sondern führt ihre Freundinnen in eine bis dato noch nicht erforschte Unterwelt ...Doch bis es dazu kommt, wird dem Zuschauer durch ein nicht enden wollendes Gegacker und Gekichere die Sympathie mit den Damen förmlich ausgetrieben. Hinzu kommt eine abwertende, ausführlich dargestellte Naivität, welche ein Übriges dazu beiträgt. Das Bild von autonomen, emanzipierten Frauen wird hier dekonstruiert, ohne einen adäquaten Gegenentwurf anzubieten. Stattdessen, und eben dies scheint bei allen besprochenen Filmen Methode, wird hier der Zugang zu den Opferrollen verunmöglicht – man ist förmlich erleichtert, wenn eine Protagonistin nach der anderen ablebt und somit das Gekreische und Gegackere langsam nachlassen. Denn in dieser noch nicht erforschten Höhle leben Wesen, welche optisch wie die Zombie-Ausgabe von „Gollum“ in „Herr der Ringe“ daherkommen – jedoch einige Klassen böser, aggressiver und destruktiver. In höchster Freude und Erregung über die willkommene sowie unerwartete Extra-Nahrung fallen sie nach und nach über die Kletterinnen her. Teilweise müssen diese Wesen nicht einmal großartig selbst zur Tat schreiten – teilweise nehmen ihnen die Protagonistinnen die Arbeit ab ...
Ohne Zweifel ist „The Descent“ ein hervorragend gemachter Horror-Thriller, welcher die Spannung exzellent aufbaut und ein sehr perfides Ende parat hält. Doch auch hier – kein Mitleid möglich.Von der Höhle ins HostelAbschließend nun zur aktuellsten Produktion dieses Zirkels; der Film „Hostel“. Die Geschichte ist schnell erzählt: Zwei amerikanische Männer und ein Isländer (jung, und zumindest die beiden Amerikaner Studenten) wollen in Europa was erleben. Hierfür scheint Amsterdam genau das richtige Pflaster zu sein – Drogen, Alkohol und viele junge Frauen. Doch der ‚richtige Kick’ stellt sich nicht ein – bis der junge Slowakier Alex (Lubomir Bukovy) ihnen von einem Hostel in Bratislava erzählt, wo alle ihre Wünsche in Erfüllung (vor allem in sexueller Hinsicht) gehen sollen ...
Die drei Protagonisten machen sich unverzüglich auf den Weg, sie wollen schließlich noch etwas erleben. Bestärkt von einem holländischen Geschäftsmann (Jan Vlasák), welcher ihnen das Abenteuer schmackhaft macht und dem sie später noch in ganz anderer Funktion begegnen sollen, fahren sie in den ‚wilden Osten’. Und tatsächlich scheinen all´ ihre Wünsche zunächst in Erfüllung zu gehen – doch schon am nächsten Morgen fehlt Oli (Eythor Gudjonsson), ihr isländischer Reisefreund; angeblich ist er abgereist (der aufmerksame Zuschauer findet ihn jedoch – zumindest seinen Kopf – im Foltermuseum von Bratislava wieder, welches die beiden Amerikaner besuchen).Als am nächsten Tag auch noch Josh (Derek Richardson) verschwindet, wird Paxton (Jay Hernandez) stutzig. Er will wissen, wo sein Freund ist, da dieser unmöglich ohne ihn abreisen würde. Svetlana (Jana Kaderabkova), eine der höchst willigen Frauen, welche den beiden Freunden so fürsorglich begegnet sind, führt ihn in das Zentrum des Grauens.
Es ist ein ehemaliger Fabrikkomplex, in welchem solvente europäische Männer ihre perversen Fantasien ausleben können: Für bis zu 10.000 € bekommen sie von der Agentur „Elite Hunting“ junge Asiaten, Europäer und (am teurersten!) Amerikaner geliefert, welche sie quälen, foltern und zu Tode massakrieren können. Auch die an einen gehobenen Baumarkt erinnernde Ausstattung ist inklusive – ebenso die fachgerechte Entsorgung der ‚Überbleibsel’.
Minutiös und detailliert werden die folgenden Folterszenen in Szene gesetzt (unter anderem taucht auch der ‚nette’ holländische Geschäftsmann in einer Folterzelle auf, welcher Josh zu Tode bringt), ohne jedoch die Möglichkeit zu bieten, Mitleid zu empfinden. Es ist eine mechanisierte, anonyme Schlachterei – so grauenvoll und detailliert, dass selbst Quentin Tarrantino (Coproduzent) vor dem Film warnte und von Ohnmachtsanfällen sowie Erbrechen des Preview-Publikums berichtete. Wie durch ein Wunder überlebt Paxton die Torturen seines Foltermeisters und entkommt. Doch eben jener Geschäftsmann, welcher seinen Freund getötet hat, reist mit ihm im Zug – die Zeit der Rache ist gekommen ...
Neue Ebenen und ein neuer Moralismus
Der Regisseur Eli Roth, welcher im Produktionsstab von David Lynch seine cineastischen Erfahrungen sammelte, liefert hier sicherlich den verstörendsten und brutalsten Film ab. Neben der erwähnten Neutralität der ‚Opfer’ gegenüber kommen hier weitere Ebenen sowie ein Moralismus zur Geltung, welche neu für das Genre sind. So wird beispielsweise Osteuropa als Müllplatz der Welt gezeigt, wo jeder Mensch korrupt und selbst Kinder stumpf und brutal sind. Für Geld ist hier alles möglich, jeder verdient daran, der Rest sieht weg. Die Polizei ist mit von der Partie, schließlich sind ja zahlungswillige Europäer (!) in Hülle und Fülle vorhanden.Mache als Amerikaner einen falschen Schritt, schon landest du in einem Albtraum. Osteuropa – der noch nicht gesäuberte Hinterhof hegemonialer amerikanischer Allmachtsphantasien – Westeuropa, degeneriert, drogensüchtig und ebenfalls käuflich. Geradezu xenophob mag einem dieses Schauspiel anmuten.Einzig und allein die Folterexzesse von Abu Ghraib scheinen hier eine ermöglichende Rolle gespielt zu haben – kann man doch nun Folter offen und legitim zeigen. Weder treffen in dieser Form die in der letzten merz von Sandra Pitum sowie von Ronald Gaugler hervorragend besprochenen Klassifizierungen zu (vgl. Gaugler 2006, Pitum 2006), noch ist dieses Phänomen eine bloße Weiterentwicklung des Horror-Genres. Zu deutlich mischen sich hier andere Werte- und Normenvorstellungen bei, verbunden mit einer geradezu naiven Bedienung von Klischees. Doch bleibt auch jegliche Gewaltverherrlichung sowie eine Sympathie mit den Tätern aus. So gelingt hier eine Gratwanderung, welche zwar „keine Jugendfreigabe“ (FSK) bedingt, dennoch essenzielle Sinnfragen aufwirft. Dies sei nun kein Plädoyer für eine strengere oder gar restriktive Verfahrensweise mit diesen (und folgenden) Filmen – doch scheint dieses Phänomen es wert, weiterhin genau betrachtet und analysiert zu werden.
„Hostel“ – USA 2005 – 93 min. Regie: Eli Roth
„Saw“ – USA 2004 – 99 min. Regie: James Wan
„Saw II“ – USA 2005 – 93 min. Regie: Darren Lynn Bousman
„The Descent“ – GB 2005 – 96 min. Regie: Neil Marshall
Wolfgang Reißmann: Die Rennaissance des Piratenfilms
Der exzentrische und sympathisch-konfuse Pirat Jack Sparrow (Johnny Depp) ist zurück und legt auch im zweiten Teil von „Fluch der Karibik“ („Pirates of the Caribbean“) Wert auf den Titel „Captain“.
Mit der Fortsetzung entführt er die Zuschauer abermals in die Südsee, die Mythenwelt der Piraten und natürlich in actionreiche Abenteuer. Um an sein geliebtes Schiff, die „Black Pearl“, zu gelangen, hat er sich auf einen faustischen Deal eingelassen. Er muss sich nun aus der Blutschuld des Urvaters aller Piraten, Davy Jones (Bill Nighy), befreien. Als Herrscher der Tiefe des Meeres und Kapitän des legendären „Flying Dutchman“ steht dieser dem Teufel in Sachen Bösartigkeit in nichts nach. Jacks Ausweg hat, der Untertitel deutet es an, zu tun mit der „Truhe des Todes“ („Dead Man’s Chest“), besser: mit ihrem lebenden Inhalt. Allerdings ist Jack nicht alleine hinter der Truhe und ihrem Geheimnis her. Die Gouverneurstochter Elizabeth Swann (Keira Knightley) und Will Turner (Orlando Bloom) stehen zu Beginn des Films kurz vor ihrer Hochzeit, als sie unter einem Vorwand verhaftet werden und in den Sog der Geschichte geraten. Damit bleibt den Fans das Dreigestirn der HauptdarstellerInnen aus dem ersten Teil erhalten.
Im Frühsommer 2007 wird bereits der dritte Teil von „Fluch der Karibik“ auf den Leinwänden zu sehen sein. Der Cliffhanger am Ende und ein altbekanntes Gesicht machen es möglich. Mit dieser Trilogie erlebt das fast vergessen geglaubte Genre der Piratenfilme eine bis dato äußerst erfolgreiche Renaissance. Der am 27. Juli in den deutschen Kinos angelaufene zweite Teil konnte zumindest die amerikanischen KinogängerInnen bereits überzeugen. Sie rannten den Kinos am ersten Wochenende sprichwörtlich die Türen ein. Zumindest Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer kann sich also zurücklehnen: Der Film spielte an den ersten drei Tagen in den USA circa 132 Millionen Dollar ein und führt diese Bestenliste nunmehr an. Auch in Europa und Deutschland ist zu erwarten, dass „Fluch der Karibik 2“ einer der Kino-Sommerhits wird. Und in der Tat ist es den Filmemachenden um Regisseur Gore Verbinski („Ring“) gelungen, unterhaltsames und zumeist kurzweiliges Popcorn-Kino auf Celluloid zu bannen, wobei die Geschichte auch in weniger als zweieinhalb Stunden Spielzeit hätte erzählt werden können. Insgesamt gehört der Film aber zu den anspruchsvolleren Hollywood-Produktionen, kann also auch für diejenigen etwas sein, die mit „Blockbuster“-Kino sonst wenig anfangen können.
Dazu trägt neben dem Genuss der atemberaubend schönen Schauplätze wie schon im Original vor allem die ausgefeilte Charakterfigur des Jack Sparrow bei, der seinen Humor, Sprachwitz und rumbenebelten Gang auch in der Fortsetzung nicht verloren hat. Wer allerdings „Fluch der Karibik“ in seinem Filmgedächtnis als Komödie gespeichert hat, sollte sich darauf gefasst machen, dass der zweite Teil streckenweise deutlich düsterer und gruseliger daher kommt als das Original.
Die Einstufung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ist mit dem Prädikat „ab zwölf Jahre“ nicht zu hoch gewählt. Die ausgeprägte Actionorientierung beinhaltet auch eine Menge Gewaltszenen und spannungsgeladenene Momente, die nicht zuletzt durch die intensive musikalische und akustische Untermalung wirken. Wer partout keine Fortsetzungen mag, ‚weil sie immer schlechter sind als der erste Teil’, wird auch in diesem ‚Teil II’ seine Überzeugungen bestätigen können. Vieles ist bekannt, vieles wiederholt sich. Die eingefleischten Fans werden hingegen ihren Spaß gerade daran haben, bekannte Gesichter in komischen Situationen wieder zu sehen. Wolfgang Reißmann
Fluch der Karibik 2 – Die Truhe des Todes
USA 2006, 150 Minuten
Regie: Gore Verbinski
Darsteller: Orlando Bloom, Johnny Depp, Keira Knightley
Verleih: Buena Vista International
Wolfgang Reißmann: Brockhaus multimedial 2006 premium
Der Brockhaus multimedial 2006 premium. DVD-ROM, Win 98/ME/NT/2000/XP, Mac OS/X und Linux, Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus, 2006, 99,95 €
Den „Brockhaus multimedial 2006 premium“ (im Weiteren: Bmp 2006) begleitet das Image eines ‚Wissens-Allrounders’ für die ganze Familie. Im vergangenen Jahr erhielt er zum wiederholten Mal den begehrten Softwarepreis „Gigamaus“. Geadelt wurde das Produkt als Gesamtsieger in der Kategorie „Familie – Nachschlagen“. Nachfolgend soll die Software in ihren zentralen Bestandteilen vorgestellt werden. Dabei wird Wert darauf gelegt, Potenziale und Grenzen des Programms als ‚Familien-Wissens-Allrounder’ abzustecken. Zunächst einige allgemeine Bemerkungen zur Software.
Positiv hervorzuheben ist ihr Umfang, der tatsächlich für alle Familienmitglieder ab dem späten Kindesalter/frühen Jugendalter (schätzungsweise ab etwa elf/zwölf Jahre) entsprechende Angebote bietet. Im Mittelpunkt steht selbstverständlich das Nachschlagen. Insgesamt kann mit dem Bmp 2006 auf etwa 255.000 Artikel und 330.000 Stichwörter zugegriffen werden, wobei die 120.000 Wörter-bucheinträge des integrierten „Duden-Oxford“ bereits eingerechnet sind.
Zum Vergleich: Eine 15-bändige Druckausgabe des Brockhaus’ kommt auf ungefähr 140.000 Stichwörter. Den jüngeren Anwendern steht ein Kinder- und Jugendlexikon zur Verfügung. Ein genereller Vorteil gegenüber den Druckausgaben besteht in der komfortablen Verlinkung der Artikel und den zahlreichen Schnittstellen zum Internet, etwa in Form von weiterführenden Web-Links. Die Suchfunktionen und -optionen sind ausgereift und führen schnell zum Rechercheerfolg. Besonders die so genannten „Wissensnetze“ (computergenerierte Kontexte) sind hilfreiche Gefährten, die zum Weiterschauen und Weiterdenken animieren. Vorgegebene Themensammlungen im Kinder- und Jugendlexikon wie auch im ‚Erwachsenenlexikon’ laden ebenfalls zum Lesen und Anschauen ein.
Multimedialität erreicht das Produkt zudem über seine circa 20.000 Fotos und Illustrationen, einen zusätzlichen Online-Zugang zu zwei Millionen Bilder der dpa sowie zwanzig Stunden Tonmaterial. In Relation dazu und verglichen mit der Masse an Stichworten erscheinen die 330 enthaltenen Videos und Animationen sowie die 73 interaktiven Anwendungen etwas wenig (wohlgemerkt in der Premiumversion). Neben dieser ‚lexikalischen Grundversorgung’ bietet der Bmp 2006 eine Reihe interessanter Features, die wohl für alle Familienmitglieder gleichermaßen Spannendes bergen. So zum Beispiel die „Zeitleiste“, die in beide Lexika integriert ist und von der Altsteinzeit bis zur Bundespräsidentenwahl in Österreich im Jahr 2010 (!) einen Überblick zur Geschichte sowie den Errungenschaften in Kunst, Gesellschaft, Politik, Technik/Naturwissenschaft etc. gibt.
Alle Einträge führen als Links zu den entsprechenden Einträgen im Lexikon. Ebenso anschaulich und leicht handhabbar ist der Atlas mit etwa zwei Millionen geografischen Einträgen. Informativ und spannend ist es nicht nur für jüngere Nutzerinnen und Nutzer, im „Höhenlabor“ den Meeresspiegel zu heben und zu sehen, wie sich die Welt und unser Lebensraum damit verändert. Darüber hinaus kann man auch Mond und Mars einen Besuch abstatten und diese detailliert betrachten.
Ein weiteres Highlight ist „Anima: der gläserne Mensch“. In einer 3D-Animation des menschlichen Körpers kann die Lage sämtlicher Venen, Organe, Knochen etc. angezeigt werden. Im Bereich „Lernen“ stehen speziell den Heranwachsenden verschiedene Angebote zur Verfügung. Zentral ist die Rubrik „Schule und Lernen“, die den Kindern und Jugendlichen in insgesamt zehn Fächern die Möglichkeit gibt, ihr Wissen auszubauen. Die Artikel sind verständlich geschrieben und durch viele Illustrationen veranschaulicht. Begrüßenswert ist die Tatsache, dass dieses Angebot im Internet unter www.schuelerlexikon.de auch kostenlos zu erreichen ist. Im Lernbereich finden sich zudem Hinweise zur Gestaltung von schriftlichen Arbeiten und Referaten sowie ein Wissensquiz. Generell können mit der Software auch eigene Artikel verfasst und Mappen als Materialsammlungen angelegt werden. Diese Möglichkeiten sind für die Bearbeitung der Hausaufgaben, bei der Vorbereitung von Referaten und beim Verfassen von Texten sicherlich hilfreich.
In der Stärke des Bmp 2006 liegt zugleich eine Schwäche begründet. Es wurde ein Paket ge-schnürt, das Jung und Alt gleichermaßen ansprechen soll. Die Erfahrung lehrt, dass diese Rechnung meist nicht aufgeht und die einzelnen Zielgruppen nicht adäquat angesprochen werden. Dieses mediendidaktische Problem zeigt sich auch bei dieser Software. Zwar ist in den teilweise nach Alter differenzierenden Angeboten das Bemühen zu erkennen, eine jeweils adäquate Ansprache und Gestaltung zu finden, dennoch stellt der Bmp 2006 eine Plattform dar, die in den Grundzügen ihres Layouts – sicherlich erwünscht – einem einheitlichen Erscheinungsbild verpflichtet ist. So wechseln zwar Hintergrund, Schriftzug und Farbgebung im Kinder- und Jugendlexikon, dennoch bleibt in der oberen Toolleiste und den links befindlichen Such- und Medienfenstern der nüchterne, bisweilen technisch anmutende Eindruck aus dem ‚Erwachsenenlexikon’ erhalten. Es ist fraglich, ob sich die jüngeren Anwender hier wieder finden. Darüber hinaus sollten sich Eltern genau überlegen, mit welchen Erwartungen sie den Bmp 2006 als ‚Familiensoftware’ anschaffen würden.
Wenn damit der Wunsch verbunden ist, einen Mehrwert für die Bildung der Kinder zu erzielen, sollte prinzipiell abgewogen werden, inwieweit ein multimediales Lexikon der geeignete Weg für das jeweilige Kind ist. Sicherlich bietet gerade der Bmp 2006 viele interessante und animierende Features, dennoch steht der Natur des Produktes nach die Darstellung von Wissen im Vordergrund. Im Vergleich zu anderer Lernsoftware arbeiten multimediale Lexika nicht oder nur in geringem Maße mit Spiel, Kontrolle, Feedback und Belohnung. Sie erfordern viel Eigeninitiative und bereits vorhandenes Interesse. Wenn das besteht, werden Kinder wie Eltern Spaß am multimedialen Recherchieren und Informieren haben. Kritikwürdig ist der hohe Preis der Software, zumal, wenn der Reiz des multimedialen Lexikons auch darin liegen soll, mit Updates im Besitz der jeweils aktuellsten Artikel zu sein. Diese monatlich angebotenen Updates gibt es für jede Version immer nur für das laufende Jahr, das heißt für den Bmp 2006 noch bis zum 31. Dezember.
Die Premium-Version kostet 99,95 Euro. Die Standardversion gibt es zwar für 49,95 Euro, allerdings auch mit spürbaren Einschnitten: kürzere Artikel; weniger Fotos/Aktivfotos, Tonmaterial, Videos/Animationen; ohne „Anima“; kaum interaktive Anwendungen. Wer nicht auf das Geld achten muss und es sich leisten kann, mit einer solchen Software die ‚innerfamiliäre Bildung’ zu flankieren, ist mit dem Bmp 2006 sicherlich gut beraten. Alle anderen sollten bei Kaufwunsch zumindest die in Kürze zu erwartende nächste ‚Ausbaustufe’ für das Jahr 2007 abwarten.
Daniel Ammann: Auf zum Leuchtturm
Max fährt Bus, Bahn und Schiff. CD-ROM, Win 98/ME/2000/XP, Mac OS 9.2 bis OS X. Deutsch und Englisch. Berlin: Tivola, 2006, 19,99 €
„Endlich der neue Max“, steht auf der Hülle der CD-ROM. Das Warten hat sich durchaus gelohnt. Die siebte Spielgeschichte in Barbara Landbecks Reihe mit dem kleinen „Schweinehund“ Max präsentiert sich als frische und abwechslungsreiche Fortsetzung. Während Max und sein erfinderischer Onkel Pong gemütlich zu Hause sitzen, erreicht sie ein Hilferuf des kranken Leuchtturmwärters. Vor Einbruch der Dunkelheit muss unbedingt die kaputte Glühbirne des Leuchtturms ersetzt werden.
Mit Hilfe der Spielerinnen und Spieler macht sich Max gleich auf den Weg. Auf seiner Einkaufsliste stehen nebst Glühbirne auch eine Zeitung, etwas Obst und ein Blumenstrauß für den kranken Freund. Außerdem gilt es, an den verschiedenen Schauplätzen sechs Spielfiguren zu finden, die für das von Pong entwickelte Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel benötigt werden. Max fährt mit dem Bus in die Stadt, besucht das Lampengeschäft, nimmt am Bahnhof nach weiteren Einkäufen den Zug zum Hafen und gelangt – sofern er seine Liste abgearbeitet hat – in einem heiklen Lenkspiel per Boot zum Leuchtturm. Das im Wesentlichen als Suchspiel angelegte Alltagsabenteuer mutet Kindern ab vier Jahren bereits etwas Orientierungssinn und Selbständigkeit zu. So muss man an der richtigen Haltestelle aussteigen und sein Geld für die nötigen Einkäufe und zum Lösen von Fahrkarten einteilen. Mit Musikdarbietungen auf dem zusammenklappbaren E-Piano können zwischendurch allerdings auch wieder ein paar Hundetaler dazuverdient werden. Eine kindgerechte Navigation, ansprechende Illustrationen nach handgemalten Vorlagen, kleine Lieder zum Mitsingen und witzige Effekte machen die Klick-Geschichte zu einem kurzweiligen Lernspiel. Vereinzelte Texttafeln sowie die Möglichkeit, Erzählung und Dialoge jederzeit auf Englisch umzustellen, vermitteln beiläufige Leseanreize und ermöglichen eine spielerische Begegnung mit der Fremdsprache.
Christina Oberst-Hundt: Blockade vor der Schlossallee
Das war diesmal nichts mit der Schlossallee! Dank KEK und Kartellamt war sie nun doch nicht zustande gekommen, die Megafusion aus „BILD, BamS und Glotze“. Im „großen Monopoly“ auf dem „Medienmarkt Deutschland“ mussten die beiden Player, Springer und ProSiebenSat.1, nach langem Tauziehen um die absolute Medienmacht in Deutschland schließlich doch ihr Vorhaben aufgeben. Angesichts der klaren Beweisführung des Bundeskartellamts und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration (KEK) gegen die sich abzeichnende marktbeherrschende Meinungsmacht hatten der Großverlag und der von US-Investor Saban sanierte frühere Kirch-Konzern keine Chance, den geplanten Zusammenschluss ohne Aufgabe marktrelevanter Unternehmensteile, etwa den Verkauf des TV-Senders ProSieben, zu realisieren. Auch der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt (BLM) Prof. Ring konnte sich mit der Forderung, die Fusion wegen des vermuteten Wettbewerbsvorteils im globalisierten Markt zu genehmigen, nicht durchsetzen. Und die von Unions-Standortapologeten aus Bayern und Hessen propagierte Ministererlaubnis durch den CSU-Wirtschaftsminister Glos war den Fusionären schließlich selbst nicht mehr genehm, hätte dies doch die politische Stoßrichtung des gesamten Unternehmens allzu deutlich hervortreten lassen.
Ein Vierteljahrhundert Medientage in der Evangelischen Akademie TutzingAm Abend des 20. März, gewissermaßen als übergreifender medienpolitischer Einschub zum aktuellen Thema, wurde das Jubiläum begangen, prominent gewürdigt vom ARD-Vorsitzenden, BR-Intendant Gruber, und – als „Gegenpol“ - BLM-Präsident Ring. Die Evangelische Akademie Tutzing, so Gruber, biete alljährlich im Frühjahr „die Chance zum intensiven Dialog, zur kritischen Erörterung und eingehenden Analyse von Entwicklungen auf dem Medienmarkt“. Und der BLM-Präsident lobte das „Gespür für das Brandaktuelle und zugleich Zukunftsträchtige“ und, mit Bezug auf die Fusionsdebatte wünschte er, „die richtige Balance“ zu finden „zwischen einer Begrenzung von Meinungsmacht und der Wettbewerbsfähigkeit und den berechtigten ökonomischen Interessen der Unternehmen.“ Was aber ist die ‚richtige Balance’? Dazu gab es in Tutzing verschiedene Antworten.„Medienfusion – Gefahr für die Meinungsvielfalt?“Dieser ursprünglich für die Tagung vorgesehene Titel fand sich wieder im Einführungsreferat Prof. Siegfried Weischenbergs (Universität Hamburg). Er hatte darauf eine klare Antwort und ließ Fakten sprechen. Fünf Konzerne, allen voran Springer mit seiner BILD-Zeitung, dominieren den Print-Markt. In über 60% der Städte und Kreise gibt es nur noch eine Zeitung. Das privat-kommerzielle Fernsehen besteht weitgehend aus dem Duopol RTL-Group und ProSiebenSat.1. Der noch vorhandene Rest an Medienpluralismus wird derzeit durch „diagonale Konzentration zwischen Print- und Funkmedien in bisher nicht gekanntem Ausmaß bedroht.“ Die Übernahme von ProSieben.Sat1 durch Springer „hätte hier die Dämme brechen lassen. Deshalb war das Verbot geboten.“Inzwischen haben sich neue Medien zu einem zusätzlichen und vor allem finanzstarken Markt entwickelt. Internet-Portale wie Google oder Kabelbetreiber wie Unity-Media, deren Tochter Arena die Pay-TV-Rechte für die Fußball-Bundesliga gekauft hat, treten nun in Konkurrenz zu den ‚alten’ Playern. Frankreich macht vor, welche Entwicklungen auf dem Medienmarkt noch möglich sind. Dort gibt der Rüstungskonzern Lagardere Zeitschriften wie zum Beispiel ‚Paris Match’ heraus, betreibt Radiostationen und ist an Pay-TV beteiligt. „Medien und Waffen“, so Weischenberg, das „worst case szenario für die Finanzierung von Pressefreiheit“. Hierzulande wird derweil vor allem im Zeitungsbereich das Modell ‚Outsourcing’ praktiziert. Ganze Redaktionen werden in neue Gesellschaften ohne Tarifbindung überführt. Monopoly im neuen Format zulasten eines unabhängigen Journalismus und derjenigen, die ihn produzieren (sollten).Weblogs, diese mehr oder weniger professionellen Inseln im worldwideweb, so fürchtet Weischenberg, könnten „angesichts der Megafusionen auf den Medienmärkten zum letzten Hort der Meinungsvielfalt werden.“„Heuschrecken“ grasen in beide RichtungenDie weiland von Müntefering, als er noch SPD-Vorsitzender war, ins Leben gerufene „Heuschrecken“-Debatte erlebte in Tutzing eine Renaissance. Ausgelöst hatte sie vor allem die Übernahme des Berliner Verlags durch den britischen Investor Montgomery. „Heuschrecken“ bei uns zu attackieren, während deutsche Unternehmen wie Bertelsmann, Springer, Burda oder die WAZ-Gruppe „seit Jahren jenseits der Grenzen dicke Gewinne einfahren“ (Weischenberg), diese Sichtweise verkenne, dass „Heuschrecken auf den Wegstrecken der Globalisierung in beiden Richtungen unterwegs sind“. Prof. Miriam Meckel (Universität St. Gallen), widmete weite Teile ihres Referats diesem Thema, allerdings ohne die Bedingungen für die Beschäftigten solch globaler Unternehmen, etwa Murdoch in Großbritannien, Irland Italien, Bulgarien und den USA oder auch deutscher Verlage, die nach dem Fall der Mauer das Terrain in Mittel- und Osteuropa sondierten, zu hinterfragen und wie es dort um die Pressefreiheit steht.
Die deutschen Regulationsinstanzen: ungeeignet für den globalen Wettbewerb?Von „Regulierungswut“, die vor allem der KEK angelastet wurde, war in Tutzing viel die Rede. Mitunter lag der Verdacht nahe, dass vor einer „übertriebenen“ Regulierung auch deshalb gewarnt wurde, um künftig Untersagungen, wie der gerade verfügten, wirksamer entgegentreten zu können. CSU-Generalsekretär Markus Söder nahm kein Blatt vor den Mund: „Die KEK blockiert den Medienstandort Deutschland. Brauchen wir die überhaupt noch?“
Meckel ging ausführlich auf das „chaotische Zusammenspiel der Regulationsinstanzen“ ein, das bewirkt habe, dass „die geplante Übernahme in einer Verfahrenssackgasse stecken bleiben musste“. Das deutsche Regulationsmodell könne im „internationalen Wettbewerbsgeschehen nicht mehr mithalten“. Die nach Tutzing geladenen Vertreter der Kontrollorgane, der Vizepräsident des Bundeskartellamtes, Peter Klocker, und der Leiter der KEK-Geschäftsstelle, Bernd Malzanini, sahen das anders. Mit der Untersagung des geplanten Machtzuwachses von Springer haben, so Malzanini, die Prüfkommissionen „nur das getan, wofür sie eingesetzt sind, nämlich Missbrauch von Meinungsmacht entgegenzuwirken.“„Vorherrschender Meinungsmacht vorbeugend entgegenwirken!“
Das ist der staatsvertraglich gesicherte Auftrag der KEK. Um ihm im Fall Springer/ProSiebenSat.1 gerecht zu werden, hatte die sechsköpfige Kommission eine Reihe umfangreicher Berechnungen durchzuführen, da es hier eine crossmediale Verbindung von medienrelevanten verwandten Märkten zu untersuchen galt, die mit dem für den Rundfunkbereich festgelegten Zuschaueranteilsmodell, bei dem ab 25% „vorherrschende Meinungsmacht vermutet“ werden kann, allein nicht zu ermitteln gewesen sei. Kein „Hexeneinmaleins“, wie von der Kritik behauptet, sondern, so Malzanini, „gerichtlich überprüfbar“.
Auch der – in Tutzing vor allem von Meckel – heftig kritisierte Vorschlag, einen ‚Fernsehbeirat’ zur Binnenkontrolle des fusionierten Unternehmens zu installieren, war keineswegs von der KEK, sondern von Springer selbst gekommen. Die KEK, so Malzanini, habe deshalb einen Entwurf vorlegen müssen, wohl wissend, dass er „nie akzeptiert würde“. Ob allerdings ein ‚Beirat’ sogleich als späte Realisierung der 68er-Forderung ‚Enteignet Springer!’, laut Meckel „schon aktienrechtlich unmöglich“, abgetan werden sollte?Die Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Springer hätte, wie Klocker ausführte, nach dem Kartellrecht eindeutig „zu einer nicht genehmigungsfähigen Marktmacht geführt“ und zwar auf dem Fernsehwerbemarkt, auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen und auf dem bundesweiten Anzeigenmarkt. Das derzeitige im Fernsehbereich marktbeherrschende Duopol von Bertelsmanns RTL-Group und der ProSiebenSat1.Media wäre mit dem Hinzutreten Springers durch Angleichung der markt- und unternehmensbezogenen Strukturmerkmale noch stärker geworden mit der Folge „wettbewerbsbeschränkenden Parallelverhaltens“. Was wäre gewesen, wenn ….… die Untersagung nicht zustande gekommen wäre? Eine von Jens Hagen im Auftrag des NDR erstellte Untersuchung über die Medienberichterstattung in verschiedenen Tageszeitungen ließ ahnen, welche Art von Berichterstattung sich dann auch im Fernsehen hätte etablieren können. Just bis vor Bekanntgabe des Scheiterns der Fusion wird, folgt man BILD-Schlagzeilen, dem „Saustall ARD“ die Schleichwerbeaffäre vorgehalten (während der gleiche Vorgang in Sat.1 – allerdings mit Wissen der Unternehmensleitung – kaum ein Thema war), ihr unterstellt, „über Gebühr gierig“ zu sein und deshalb gefordert: „Jetzt müssen die Gebühren runter“. Erschwerend kommt dann noch hinzu: „Und die Bosse machen Urlaub!“ Kampagnen-Journalismus wie gehabt, wenn BILD bestimmte Sichtweisen seinen zwölf Millionen Leserinnen und Lesern nahe legen will. Dasselbe in den Sat.1- oder ProSieben-Nachrichten?„Aufklärender Journalismus“, so Martin Dieckmann von ver.di in der Abschlussdiskussion, ist „ohne innere Medienfreiheit, ohne Kontrolle ökonomischer Macht“ nicht gewährleistet. Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Helmut Heinen, war da ganz anderer Meinung: „Das wäre die Abkoppelung von der wirtschaftlichen Verantwortung des Journalisten. Für uns ist der Markt das Wichtigste!“Mit der ,richtigen Balance’ zwischen Begrenzung von Meinungsmacht und ökonomischen Interessen ist es also noch nicht so weit her. Aber die Schlossallee im Medien-Monopoly ist erst einmal wirksam gesperrt. Zum Glück!
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
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Tilmann P. Gangloff: Die Früchte der Arbeit
Der Münchner Prix Jeunesse ist das älteste Festival seiner Art, in vielerlei Hinsicht einzigartig – und trotzdem beinahe Geschichte geworden: Vor zwei Jahren teilte der Bayerische Rundfunk mit, er könne sich die Veranstaltung nicht mehr leisten. Als dann auch das ZDF und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien ihre Zahlungen einstellen wollten, schien die 21. Ausgabe des alle zwei Jahre stattfindenden Festivals auch die letzte zu sein. Allen Unkenrufen zum Trotz ist gerade der 22. Prix Jeunesse zu Ende gegangen, und zwei der fünf von allen Teilnehmern vergebenen Preise blieben sogar im Lande.Auch das Festival verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Offenbar ist kaum einem Besucher aufgefallen, dass die Veranstalter mit einem drastisch niedrigeren Etat auskommen mussten. Hinter den Kulissen hat sich allerdings einiges ganz entscheidend verändert. Das Selbstverständnis des Prix Jeunesse beschränkt sich traditionell nicht allein auf das Festival. Die Organisation hat stets auch „Entwicklungshilfe“ betrieben. Der so genannte Prix-Jeunesse-Koffer bringt preisgekürte Sendungen und innovative Fernsehformen auch zu all jenen Redaktionen, die sich eine Reise nach München nicht leisten können. Das Netzwerk der lateinamerikanischen Redakteure beispielsweise ist überhaupt erst durch die Vermittlung des Prix Jeunesse geknüpft worden. Zum Workshop-Angebot der Veranstaltung zählen daher auch Seminare, bei denen die Redaktionen berichten, wie sie den Prix-Jeunesse-Koffer einsetzen. Aber die Teilnehmer fahren nicht nur mit Anregungen nach Hause. Unschätzbar gerade für ärmere Sender ist der von der Union Europäischer Rundfunkveranstalter (EBU) initiierte „Items Exchange“: Jeder teilnehmende Sender bringt fünf Magazinbeiträge ein und darf dafür kostenlos aus den Vollen schöpfen. Ganz ähnlich funktioniert das UNICEF-Projekt „OneMinutesJr“, für das bereits mehrere hundert Minifilme entstanden sind. Der Koffer muss, mit verstärkter Unterstützung des Goethe-Instituts, in Zukunft alleine reisen; allerdings nicht allein aus finanziellen Gründen. Die neue Leiterin Maya Götz führt in Personalunion auch das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI, ebenfalls BR). Das hat den Vorteil, dass die beiden Institutionen viel stärker als früher voneinander profitieren und miteinander kooperieren können. Deshalb gab es als Herzstück des Festivals einen Ableger der alljährlichen vorweihnachtlichen IZI-Tagung: Unter dem Titel „What’s so funny?“ informierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt, was Kinder im Fernsehen lustig finden. Auch die Sender waren bei ihren Einreichungen gehalten, auf humoristische Aspekte zu achten.
Trotzdem fehlte den Diskussionen etwas die Würze. Die nach Alterszielgruppen und in die Bereiche „Fiction“ und „Non-Fiction“ unterteilten Sendungen zeichneten sich zwar durch eine eindrucksvolle Durchschnittsqualität aus, doch gleichzeitig mangelte es deutlich an Ausreißern nach oben wie nach unten. In früheren Jahren sorgte amerikanische Empörung über europäische Freizügigkeit auch schon mal für kleine Eklats. In diesem Jahr erschöpfte sich die Aufregung in Gesprächen über einen kurzen Film aus Holland, der unterschiedlichste Menschen beim Tanzen zeigt; einige von ihnen nackt. Groß gestört hat sich keiner dran. Auch ein Beitrag über Verdauung stieß einigen Teilnehmern unangenehm auf. Ohnehin scheint die Welt, wenn Sendungen und Abgesandte einigermaßen repräsentativ waren, wieder ein bisschen zusammengerückt; jedenfalls beim Kinderfernsehen. Natürlich gibt es nach wie vor unübersehbare kulturelle Unterschiede; unüberbrückbar aber scheinen sie nicht, im Gegenteil. So herrschte zum Beispiel weitgehend ablehnende Einigkeit in der Frage, ob Filme für Kinder explizit unglücklich enden sollten. Gerade in der Altersgruppe Grundschulkinder waren ungewöhnlich viele Produktionen mit Themen wie der Verarbeitung familiärer Traumata, Emigration, Problemen mit der eigenen Rolle oder gar dem Kampf ums nackte Überleben auffallend ernsthaft und wirklichkeitsnah. Trotzdem verzichteten die meisten Filme weitgehend auf allzu pädagogische Botschaften, die die Kinder erfahrungsgemäß verschrecken; diese Erkenntnis hat sich offenbar auch in Afrika und Asien durchgesetzt, wo man bis zuletzt unverdrossen mit erhobenen Zeigefingern gefuchtelt hat. Dass sich hingegen auch die handwerkliche Qualität signifikant verbessert hat, mag sich in Teilen mit gesunkenen Preisen für technische Ausrüstung erklären lassen; vor allem aber zeigen sich nun die Früchte eines jahrzehntelangen Engagements für das Kinderfernsehen in aller Welt. PreisträgerBei der 22. Ausgabe des Kinderfernsehfestivals Prix Jeunesse International (5. bis 10. Mai) haben WDR und ZDF zwei der fünf wichtigsten Preise gewonnen. In der Kategorie „Fiction“ für Vorschulkinder zeichneten die rund 370 Teilnehmer durch ihre Stimmenabgabe den kurzen Zeichentrickfilm „Pantoffelhelden“ von Susanne Seidel aus. Die Produktion der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ lief im Rahmen der „Sendung mit der Maus“ (WDR) und hat vor zwei Jahren bereits den Erich Kästner Preis erhalten. In der gemischten Kategorie „12 bis 15 Jahre“ siegte das ZDF mit dem Porträt „Kevin – lasst mich reden“ aus der Reihe „Stark!“. Ohne jeden Kommentar begleitet Autor Georg Bussek einen Jungen, der sich nur stotternd verständigen kann, die Behinderung aber im Verlauf eines Seminars mehr und mehr unter Kontrolle bekommt. In der Kategorie „Non-Fiction, 7 bis 11 Jahre“ wurden zwei weitere deutsche Produktionen nur knapp geschlagen: Eine Sonderausgabe der „Sendung mit der Maus“ über Japan kam auf Platz zwei, die Fußballshow „Toggo United“ (Super RTL) auf Platz vier. Weitere Preisträger sind die schwedische Produktion „Eva’s Winterplaster“ (Non-Fiction für Vorschulkinder), „The Scepter“ (Polen; Fiction, 7 bis 11 Jahre) sowie „Amigo“ (Dänemark; Non-Fiction, 7 bis 11 Jahre). Dieser Film erhielt auch den „Themenpreis“ des Festivals, das den Schwerpunkt „Humor im Kinderfernsehen“ hatte. „The Scepter“ wurde ebenso wie die BBC-Produktion „Serious Arctic“ von der Kinderjury ausgezeichnet. Neben diesen Preisen gibt es weitere, die im Namen von UNICEF und UNESCO vergeben werden. Der UNICEF-Preis zeichnet eine Sendung aus, die in vorbildlicher Weise schildert, wie Kinder ein gesundes, erfülltes und glückliches Leben führen können; er geht an „The Domaseller and the Badamwalla“ aus Bhutan, einen Film über Kinderarbeit, der mit dem Appell endet, wie wichtig es für Kinder ist, zur Schule zu gehen, damit ihnen das Schicksal der Hauptfiguren erspart bleibt. Der UNESCO-Preis belohnt Produktionen, die das interkulturelle Verständnis fördern. Preisträger ist „Little Peace of Mine“, ein israelischer Dokumentarfilm über einen zwölfjährigen Jungen, der einen Protest von Kindern gegen den über fünfzig Jahren währenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern organisiert hat. Der „BMW Spezialpreis“ gilt Sendungen, die mit denkbar niedrigem Budget zustande gekommen sind. Der Preis geht an den ägyptischen Film „Fatma“, das Porträt eines zehnjährigen Mädchens, das gegen den Willen seines Vaters eine Schule besucht.
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Chris Schüpp: OneMinutesJr
Als der Workshop vorbei ist, bricht Christin (14 Jahre) aus Bochum in Tränen aus. Fünf Tage lang hat sie mit 16 anderen Jugendlichen verbracht und fast pausenlos an den OneMinutes gearbeitet. Sie war Regisseurin, Darstellerin, hat die kleine Handycam bedient und den Trainern beim Schnitt über die Schulter geschaut und Anweisungen gegeben. Jetzt sind die 17 Filme fertig – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben alle ihr eigenes OneMinute-Video produziert – und gleich geht es ab nach Hause.
Für mich als Projektleiter ist es kein ungewohntes Bild, dass am Ende eines Workshops Tränen vergossen werden. Das Arbeiten mit rund 20 Kindern/Jugendlichen in so komprimierter Form – fünf Tage, rund um die Uhr – schafft eine Gruppendynamik, die es schwer macht, nachher wieder ins „normale Leben“ zurückzukehren. Ich erinnere mich an einen Workshop in Rumänien vor zwei Jahren, wo wir mit 20 Roma-Kindern OneMinutes produziert haben. Am Ende haben fast alle geweint, inklusive der Video-Trainer. Aber es ist noch mehr als die entstandene Gruppendynamik, was das Ende eines OneMinutesJr-Workshops so emotional macht. Es ist eine Mischung aus Freude, Trauer, Stolz und Erschöpfung: Freude darüber, dass man fünf Tage mit 20 anderen Jugendlichen verbracht hat und viel Spaß gehabt hat. Trauer darüber, dass jetzt alles vorbei ist. Stolz, weil man eine Menge geschafft hat: 20 Jugendliche haben innerhalb kürzester Zeit 20 Ideen entwickelt und in Kurzfilmen umgesetzt. Und schließlich Erschöpfung, weil viel gearbeitet und geredet wird bei so einem Workshop, so dass der Schlaf meistens entschieden zu kurz kommt…
Im Jahr 2002 kam die Europäische Kulturstiftung (ECF) mit Sitz in den Niederlanden auf das UNICEF-Regionalbüro für Südosteuropa und die GUS-Staaten mit der Idee zu, ein Medienprojekt für Kinder und Jugendliche zu starten. Dieses Medienprojekt sollte eine Weiterentwicklung einer „Kunstdisziplin“ sein, die das Sandberg Institut, eine Kunsthochschule in Amsterdam und Projektpartner der ECF, Ende der 90er Jahre eingeführt hatte. Die Sandberg-Studenten hatten sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, kleine Geschichten oder Ideen filmisch umzusetzen und dabei den zeitlichen Rahmen von exakt 60 Sekunden weder zu unter-, noch zu überbieten. Die „OneMinutes“ waren geboren. UNICEF fand die Idee interessant, vor allem vor dem Hintergrund des Young People’s Media Network (YPMN), einer vom UN-Kinderhilfswerk ebenfalls im Jahr 2002 gegründeten Initiative, die Kindern und Jugendlichen in Europa mehr Raum in den Medien schaffen soll. Kurzum, die OneMinutes bekamen Nachwuchs: Die OneMinutesJr – für Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 20 Jahren. OneMinutesJr – Was Jugendliche beschäftigtDer erste Workshop fand im Jahr 2003 im Europäischen Jugendzentrum des Europarates in Budapest statt. Knapp 30 Jugendliche aus mehr als zehn Ländern in Osteuropa und vom Balkan waren die ersten Teilnehmer und produzierten OneMinutesJr-Filme, die bei den Projektpartnern kollektives Erstaunen auslösten: Die Direktheit, mit der die Jugendlichen ihre Ideen, Wünsche, Träume und Probleme in den Filmen umgesetzt hatten, übertraf alle Erwartungen. Auch die künstlerischen Aspekte verblüfften und so waren alle zufrieden: Die Europäische Kulturstiftung, weil Kunst und Kultur gefördert wurden. UNICEF, weil Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bekommen hatten, sich selbst über die Medien aktiv in der Gesellschaft einzubringen und ihren Ideen neue Wege geben konnten, eine große Zahl von Menschen zu erreichen. Und die Kinder und Jugendlichen natürlich, die eine fantastische Woche in Budapest verbracht hatten, Filme produziert und eine Menge neuer Freunde gewonnen hatten. Übrigens: Das „traditionelle Tränenvergießen“ fing bereits in Budapest an. Damals waren es die jüngsten Teilnehmerinnen, zwei 13 und 14 Jahre alte Mädchen aus der Ukraine, die nicht wirklich schon wieder nach Hause wollten …
Drei Jahre später sind die OneMinutesJr-Filme ein fester Bestandteil der Jahresplanung von ECF und UNICEF geworden. Außerdem haben europäische Fernsehsender das Potenzial der Filme erkannt. Von Schweden bis Portugal laufen die OneMinutes erfolgreich auf verschiedenen Sendern und in verschiedenen Formaten. SVT in Schweden hat eine eigene OneMinutesJr- Internetseite auf schwedisch entwickelt und ruft dort und im OneMinutesJr-Programm im Fernsehen einheimische Kinder und Jugendliche dazu auf, selbst Filme zu drehen und diese einzusenden. Mit Erfolg! Beim „OneMinutesJr Award“, dem alljährlichen Festival der OneMinutes in Amsterdam, kamen im Jahr 2005 fast die Hälfte der nominierten OneMinutesJr-Filme aus Schweden. Zur Zeit senden neben SVT auch die BBC, YLE (Finnland), RTE (Irland), RTP (Portugal), TV3 Catalunya (Spanien) und RAI 3 (Italien) die OneMinutesJr regelmäßig in ihrem Programm. Andere Kooperationspartner sollen im Mai 2006 beim Prix Jeunesse in München, „angeworben“ werden. Da die OneMinutesJr ein „non-profit“-Projekt sind, bekommen die Fernsehsender die Filme kostenlos zur Verfügung gestellt. Für die Projektpartner ist der wichtigste Aspekt, dass die Kurzfilme so vielen Zuschauern wie möglich zugängig gemacht werden. Je mehr Menschen sich mit den Gedanken der jungen Filmemacher auseinandersetzen, desto besser. Denn selbst für die geübten OneMinutesJr-Trainer, die Projektleiter von ECF und UNICEF sowie die Studenten des Sandberg Instituts, bringt fast jeder Film und jeder Workshop wieder eine neue Erkenntnis.In den vergangenen drei Jahren hat das OneMinutesJr-Team fast ganz Europa bereist. Workshops fanden unter anderem in Island, England, Nordirland, Deutschland, den Niederlanden, Ungarn, Moldawien, Mazedonien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Georgien und in der Türkei statt. Außerdem entwickelt UNICEF das Projekt in Lateinamerika weiter, wo die „Un Minutos“ demnächst sogar bei MTV laufen werden. Doch was genau macht die OneMinutes so erfolgreich? Zum einen trifft sicherlich das gute alte Sprichwort zu: „In der Kürze liegt die Würze!“ Eine Minute ist lang genug, um eine Menge zu sagen – aber gleichzeitig auch kurz genug, um für jeden x-beliebigen Medienkonsumenten zugänglich zu sein. In unserem heutigen Medienzeitalter muss Wichtiges auf ein „konsumierbares Maß“ runtergekocht werden. Genau darin liegen für die jungen Medienmacherinnen und -macher auch der Reiz und die Herausforderung. Einen komplizierten Gedankengang, eine fixe Idee, das gesamte Gefühlsleben eines Teenagers – und das in einer Minute …Zudem sind die OneMinutes das perfekte Format für einen Workshop. Wenn 20 Kinder oder Jugendliche, die sich vorher nicht kannten, fünf Tage lang auf engstem Raum zusammenarbeiten, dann müssen die Filme „kurz und knackig“ sein. Dann müssen Story-writing, Dreh und Schnitt machbar sein. In 20-facher Dosis natürlich. Lange Dokumentarfilme sind in so einem Rahmen ausgeschlossen und wenn alle an einem einzigen Film arbeiten würden, gäbe es sicherlich auch 20 verschiedene Ansichten, wie das Drehbuch zu gestalten wäre. Daher der „Einfachheit“ halber: Jede und jeder schreibt und produziert ihren/seinen eigenen Film. Und der muss eben genau 60 Sekunden lang sein. Vom Einzelgespräch zur FilmpremiereEinen OneMinutes-Workshop darf man sich natürlich nicht als ein Treffen von Alleinunterhaltern vorstellen. Die zwei oder drei Video-Trainer, die den Workshop leiten, zeigen nach einer lockeren Einleitung am Vormittag des ersten Tages bereits produzierte OneMinutes, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Gefühl für die Filme bekommen und sehen, was andere Jugendliche bereits gemacht haben. Danach werden die Filmgedanken einzeln aufgeschrieben, bevor es an die „Einzelgespräche“ geht. Diese sind wahrscheinlich der wichtigste Teil eines jeden Workshops, da hier aus den Ideen Bilder werden. Da die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch keinerlei Filmerfahrung haben, fällt es machen Jugendlichen schwer, die Texte zu „bebildern“. Einen Anfang machen da Skizzen, die so genannten „Storyboards“, bei denen die einzelnen zu filmenden Szenen gezeichnet werden, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, was nachher gedreht werden muss. Die Gespräche der Trainer mit den einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dauern zumeist den Rest des ersten Tages an, während die anderen Workshop-Teilnehmer sich gleichzeitig in Spielen oder Gesprächen besser kennen lernen. Für den zweiten und den dritten Tag entwerfen die OneMinutes-Trainer dann einen Drehplan, der davon abhängt, zu welcher Tageszeit die einzelnen Filme gedreht werden sollen (Wie muss das Licht sein, welche Stimmung soll erzeugt werden?), wo gedreht werden soll und wer in welchem Film als Darsteller benötigt wird. Die Teamwork fängt an und in diesem Miteinander, wo jeder mal RegisseurIn, DarstellerIn oder Kamerafrau/Kameramann ist, entwickeln sich neben einer intensiven Gruppendynamik auch exzellente Filme. Außerdem lernen alle von allen: Der eine kann schon mit den vom OneMinutes-Team mitgebrachten DigiCams umgehen, die andere nicht. Dafür ist der eine ein besserer Regisseur, die andere eine bessere Darstellerin. Jeder findet seine Rolle – vor oder hinter der Kamera. Am vierten Tag werden die Filme dann an den ebenfalls mitgebrachten Laptops geschnitten. Hier übernehmen die Trainer das Kommando, allerdings nur, was das „Knöpfedrücken“ anbelangt. Die professionellen Schnittprogramme können in der Kürze der Zeit nicht vermittelt werden, allerdings ist der jeweilige Regisseur immer nah dran und gibt Anweisungen, welche Szene folgen soll, ob Spezialeffekte angewendet werden sollen und wo das Material auf den Mini-DV-Bändern zu finden sein könnte. Die letzte Nacht ist zumeist sehr lang, noch länger als die anderen Nächte. Beim ersten Workshop in Budapest im Jahr 2003 sollte die „Final Presentation“, die Premiere aller produzierten Filme, gegen 20 Uhr stattfinden. Zuerst wurde sie großzügig auf Mitternacht verschoben, dann hieß es „gegen Mitternacht“, und als um kurz vor 6 Uhr in der Früh die Sonne über dem ungarischen Parlament auf der anderen Donauseite aufging, wurde der Raum im Europäischen Jugendzentrum für die von den Teilnehmenden euphorisch gefeierte Filmvorführung wieder abgedunkelt.Seitdem sind in Europa und Zentralasien, dem eigentlichen „Verbreitungsgebiet“ des Projektes, rund 700 OneMinutesJr-Filme produziert worden. In Workshops, in Zusammenarbeit mit Fernsehsendern, aber auch in Eigenregie, einfach, weil es Spaß macht, einen kurzen Film zu drehen, der genauso lang ist wie die anderen, die unter www.theoneminutesjr.org im Internet zu sehen sind. Filme, die zum Nachdenken anregenFür UNICEF und die Europäische Kulturstiftung sind die Erkenntnisse wichtig, die das Projekt gebracht hat und immer wieder bringt. Die Probleme, die in den Filmen aufgeworfen werden, regen zum Nachdenken an. Manchmal werden die Workshops thematisch „gesteuert“, wie in Bochum im April 2006, wo UNICEF Deutschland die zum größten Teil selbst davon betroffenen Jugendlichen aufforderte, Filme zum Thema „Kinderarmut in Deutschland“ zu produzieren. Aber selbst dann verblüfft die Vielschichtigkeit der Ideen, die Klarheit der Aussagen und die Unverblümtheit, mit der die Dinge des täglichen Lebens angegangen werden. Die Authentizität der OneMinutes ist das Wertvollste am ganzen Projekt. Echte Filme, produziert von echten jungen Menschen mit echten Gefühlen und keine kühl produzierten Werbe- oder Imagefilme für eine bessere Welt.
Carola Schöppel: Ein Wiegenlied für Hamza
Die Vielfalt in der gesellschaftlichen Zusammensetzung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Reisejournalist Mark Gielen wollte herausfinden, wie europäische Kindertageseinrichtungen dieser Vielfalt begegnen. Auf seiner Reise durch das multikulturelle Europa besuchte er vier Städte: Gent (Belgien), Auby (Frankreich), Berlin (Deutschland) und Birmingham (Großbritannien). Seine Eindrücke hat er auf einer DVD dokumentiert. Er stellt jede Stadt kurz vor und charakterisiert die jeweiligen Besonderheiten und Bedürfnisse vor Ort, die die Gestaltung und Entwicklung der Arbeit in den Tagesstätten bestimmen. Es gibt aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Alle vier Einrichtungen betonen die Vielfalt des Umfelds, der Familien und des Personals und machen diese zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit. In diesen Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sind die Eltern in die tägliche Arbeit einbezogen. Die Erziehung der Kinder findet nicht isoliert in der Einrichtung statt, sondern ist in den Kontext der Gemeinde eingebunden.„’t Sleepken“, so der Name der Kindertagesstätte in Gent, setzte sich vor einigen Jahren zum Ziel, herauszufinden, welche Einrichtung den Bedürfnissen und Interessen der Familien im Umfeld am meisten gerecht würde. Dabei ging es auch darum, die Familien zu erreichen, die gesellschaftliche Ausgrenzung erleben. Heute ist „’t Sleepken“ eine Einrichtung für Kinder zwischen null und drei Jahren, die die Bedürfnisse im Umfeld aufgreift.
Die Kindertagesstätte „L’lle aux Enfants“ in Auby wurde ursprünglich von Eltern als eine eigene Einrichtung zur Betreuung ihrer Kinder gegründet. Später wurde „L’lle aux Enfants“ von den zentralen Sozialen Diensten in Auby übernommen; die Tradition, dass die Eltern, auch jene mit Migrationshintergrund, die Konzeption und die alltägliche Arbeit mitprägen und bestimmen, blieb jedoch erhalten.
Sowohl Krippen- und Kindergarten- als auch Hortbetreuung werden im „Kinder- und Elternzentrum Dresdener Straße“ in Berlin angeboten, d. h. Kinder zwischen null und zwölf Jahren leben hier zusammen. Das Team entschloss sich bereits vor einigen Jahren, sich bewusst mit kultureller Vielfalt auseinander zu setzen. Eine Besonderheit dieser Einrichtung stellen die Eltern-Gesprächskreise in türkischer Sprache dar. Diese Foren helfen türkischsprachigen Eltern und Erzieherinnen, sich die eigenen Erziehungsvorstellungen bewusst zu machen und interkulturelle Unterschiede in der Erziehung zu thematisieren.
Die Einrichtung „St Thomas Excellence Centre“ in Birmingham betreut ebenfalls Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren und setzt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den respektvollen Umgang mit unterschiedlichen Formen von Vielfalt: Kulturelle Vielfalt, Vielfalt der Familiensprachen, Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder männliche Erzieher im Team. Die Dokumentation betont immer wieder die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, die durch ihre tägliche Arbeit Ungleichbehandlung und Diskriminierung entgegenwirken. Hier wird beispielhaft gezeigt, wie Kinderbetreuungseinrichtungen zur Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft beitragen können.
Ein Wiegenlied für Hamza
England/Deutschland/Frankreich/Niederlande 2004, 50 Min.
Produktion: Jan Peeters
Reporter: Mark Gielen
Herausgegeben vom Europäischen Netzwerk für frühkindliche Bildung
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Carola Schöppel
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Daniel Ammann: In alter Frische
Neues vom berüchtigten Mann mit den sieben Messern und der Pfefferpistole gibt es gleich in verschiedenen Medien. Eine aktuelle Verfilmung mit prominenter Besetzung packt die Geschichte der beiden ersten Bücher mit einigen Veränderungen in einen kurzweiligen Kinofilm und der Cornelsen Verlag setzt mit „Neues vom Räuber Hotzenplotz“ seine gelungene und buchnahe Spieladaption der Kasperlegeschichte fort. Mit einer List befreit sich der dreiste Räuber in der zweiten Folge aus dem Spritzenhaus und entführt die Großmutter auf dem Fahrrad des Oberwachtmeisters. Wiederum haben Kasperl und Seppel schnell einen Plan ausgeheckt und nehmen die Verfolgung auf. Eine Flaschenpost mit Schatzkarte soll den Schurken zurück ins Gefängnis locken.
Das interaktive Abenteuer präsentiert sich erneut als virtuelles Kasperletheater mit turbulenten Szenen und kleinen Spielaufgaben. Die farblich frische Umsetzung des zweiten Hotzenplotz-Bandes kommt originell daher und wird dem beliebten Klassiker von Otfried Preußler durchaus gerecht. Wenn die Figuren zur Überleitung vor den Vorhang treten oder sich Hilfe suchend an die Kinder wenden, sind gedämpfte Stimmen aus dem unsichtbaren Zuschauerraum zu vernehmen. Sogar Zwischenrufe des Publikums werden ins Spiel einbezogen und lassen beinahe richtige Theateratmosphäre aufkommen. Die lustigen, wenn auch nicht herausragenden Denk- und Geschicklichkeitsspiele sorgen nebst den präsentativen Episoden wieder für viel Spaß und garantieren ein paar Stunden Unterhaltung. Hat man alle Herausforderungen gemeistert und den Räuber schließlich hinter Schloss und Riegel gebracht, kann man über dreizehn Bildmotive nach Belieben einzelne Szenen wiederholen und sich nochmals an den Spielaufgaben messen. Ein ausführliches Booklet erklärt die Bedienelemente und gibt Einblick in die verschiedenen Kapitel.Ob als Buch, Hörkassette, Computerspiel oder in der jüngsten Kinofassung mit Armin Rohde als Räuber und Piet Klocke als Dimpfelmoser – die archetypische Räubergeschichte sollte den Kindern auf keinen Fall vorenthalten werden.
Neues vom Räuber Hotzenplotz. CD-ROM, Win 98/ ME/ 2000/ XP, Mac ab OS 8.1/ OS X. Nach Motiven des Buches von Otfried Preußler mit Illustrationen von F. J. Tripp. Berlin: Cornelsen, 2005. 24,95 €
Michaela Bittner: Suchmaschine für die Schule
„Der neue Internet Guide für Schüler 3.0.“ will Schülerinnen und Schülern die zeitintensive Onlinerecherche erleichtern und per Mausklick Hilfe bei Hausaufgaben, Referaten und Prüfungsvorbereitungen bieten. Effektiver als eine Suchmaschine will der Internet Guide nützliche Links zur Verfügung stellen.
Empfohlen für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen zwei bis 13 bietet die CD-Rom nach Fächer geordnete Links zu verschiedenen Themen. Es finden sich Links zu Referats-Servern, Foren und Hausaufgaben-Beratungsdiensten. Der Guide ist im Stil eines Lexikon sehr simpel aufgebaut und weist eine hohe Informationsdichte auf. Die Links sind ausführlich kommentiert und per Mausklick zu erreichen. Volltextsuche und eine Lesezeichenfunktion erleichtern die Arbeit mit der CD-Rom. Zur Einführung erhalten die Nutzerinnen und Nutzer darüber hinaus einen kurzen Einblick in die Geschichte des Internets, der als reiner Text zum Scrollen Interessierten angeboten wird. Das Programm ist als Steuerungselement aufgebaut und verschwindet per Mausklick an den rechten Monitorrand. Zwar ist die Navigation sehr einfach, wird aber durch die listenartige Aufzählung der Fächer und Unterthemen in einer Leistennavigation durch langes Scrollen erschwert. Da sich das Tool außerdem nicht über den ganzen Bildschirm öffnet, lässt sich die kleine Schrift schwer lesen und die aufgereihten Links und Kommentare wirken etwas unübersichtlich. Die einzelnen Kommentare sind darüber hinaus nicht ausreichend miteinander verlinkt.Als Internet Guide für Schülerinnen und Schüler von der zweiten bis zur 13. Klasse ist die Software leider nicht geeignet. Einer derart großen und in den Lern- und Verhaltensmustern differenzierten Zielgruppe kann die CD-Rom nicht gerecht werden. So finden sich Kinder der zweiten Klasse mit dem Programm wohl kaum zurecht. Die Navigation und der Aufbau der CD-Rom ist den Anforderungen dieser Altersstufe in keiner Weise angepasst, auch die dargebotenen Inhalte überschreiten den Kenntnisstand dieser Altersstufe erheblich. Für Schülerinnen und Schüler der Oberstufen andererseits dürfte der Guide überflüssig sein.
Es bleibt die Frage nach dem Nutzen eines solchen Internet Guides – ohne die Qualität der Links beurteilen zu wollen. Auch wenn der Guide als Anregung und Impuls verstanden werden kann, scheint es ohne Zweifel sinnvoller, die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu fördern, anstatt ihnen ausgewählte Links an die Hand zu geben. Ein Internet Guide sollte dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche mit der Informationsflut des Internets umzugehen lernen, Informationen einschätzen und relevante Aspekte filtern lernen, anstatt auf Referatsdatenbanken zu verweisen. Mit Hilfe eines Internet Guides sollten Schülerinnen und Schüler dazu angeleitet werden, Informationen und wichtige Links aktiv und selbstständig zu suchen, um so mit Hilfe des World Wide Web ihr Wissen zu erweitern.
Der neue Internet Guide für Schüler 3.0. CD-Rom, Windows 98, Windows Me, Windows 2000, Windows XP, München: United Soft Media Verlag GmbH, JUNIOR, 2006, 16,90 Euro
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Michaela Bittner
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Michaela Bittner: Das Kinderzimmer wird zum Hörsaal
Wissenschaftssendungen erfreuen sich vor allem bei einem jungen Publikum großer Beliebtheit. Diesem Trend schließt sich auch die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz mit der Kinderuni-DVD „Die Welt ist bunt“ an. Junges Publikum wird zudem an den Hochschulen seit langem zu Kindervorlesungen begrüßt, um so das Interesse an der Wissenschaft frühzeitig zu wecken. Doch gelingt dies auch auf einer DVD?
Die DVD bietet für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren sechs ‚Vorlesungen’, in denen verschiedensten Fragen aus unterschiedlichen Fachrichtungen nachgegangen wird. Mit Phänomenen aus dem Alltag der Kinder soll deren Neugier geweckt werden und so beispielsweise in Chemie ergründet werden, warum Farben farbig sind, in Geowissenschaften woran die Dinos starben oder in Rechtswissenschaften was erlaubt und was verboten ist. Durch den Stundenplan, den sich jedes Kind individuell zusammenstellen kann, begleiten Namia und Daniel in die Welt der Wissenschaft. Die einzelnen ‚Vorlesungen’ werden als Reportagen dargeboten. Mit Spielfilmszenen oder Comic-Elemten werden die Themen kindgerecht aufbereitet, ein Sprecher führt durch die Vorlesungen. Szenen aus dem Alltag der Kinder schaffen einen Bezug zu deren Erlebniswelt und ermöglichen so ein leichteres Verständnis der Phänomene. Die Dozentinnen und Dozenten klären schließlich knifflige Fragen, zusätzlich besuchen Kinder auch Expertinnen und Experten aus der Praxis und befragen zum Beispiel einen Polizisten oder eine Ohrenärztin. Simon Schlaumeier fragt in jeder Vorlesung außerdem genauer nach. So werden in kurzen Sequenzen zusätzlich Begriffe oder Begebenheiten erklärt wie beispielsweise die Bedeutung der einzelnen Verkehrsschilder.
Neben den Vorlesungen bietet die DVD zu jedem Thema einen Extrateil. In diesem kann man die Fragen von Simon Schlaumeier nochmals ansehen oder ein einfaches Rätsel bzw. eine Übung zu dem jeweiligen Gebiet versuchen, um so sein Wissen zu testen bzw. anzuwenden. Dieses Zusatzangebot besteht aus einfachen Zuordnungsübungen, Rätseln oder Mitmach-Spielen. Weiterforschen können Neugieriggewordene auf der Kinder-Suchmaschine helles-köpfchen.de (www.helles-köpfchen.de). Die einfache Navigation der DVD und ihr übersichtlicher und konsequenter Aufbau erlaubt den Kindern einen intuitiven Umgang. Leider kann durch die CD-Rom die Atmosphäre und die Faszination der Universität und Wissenschaft nicht so vermittelt werden, wie es live im Hörsaal während Kindervorlesungen geschieht, da die Vorlesungen auf der DVD als Reportagen à la „Willi wills wissen“ (ARD) konzipiert sind. Dies tut der Tatsache, dass die DVD einen interessanten Einblick in die Welt der Wissenschaft gibt, keinen Abbruch. Für alle kleinen neugierigen Nachwuchsforscherinnen und -forscher ist diese daher sicherlich sehr empfehlenswert und am Ende kann sich schließlich jeder seinen ersten Hochschulabschluss, das Schlaumeierdiplom, abholen.KinderUni-DVD. Die Welt ist bunt. Video-DVD/Vollbild 4:3/Stereo 2.0/Länge: 100 Minuten und 20 Minuten Extras. Johannes Gutenberg Universität Mainz (Hg.). Remscheid: Gardez Verlag, 2005, 14,95 Euro
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Michaela Bittner
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Michaela Bittner: Lilipuz macht Schule
Lilipuz, das tägliche Radioprogramm für Kinder auf WDR5, macht immer mittwochs Schule und sendet live aus einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Lilipuz bietet seinen Hörerinnen und Hörern täglich ein buntes Radioprogramm und richtet sich vorrangig an Kinder im Grundschulalter.
Täglich beginnt Lilipuz mit den Kindernachrichten „Klicker“, in denen dem jungen Publikum in fünf Minuten alle wichtigen Ereignisse des Tages altersgerecht erklärt werden sollen. Je nach Thema folgen dann Reportagen über für Kinder interessante Dinge, den Zeitkreisel, in dem historische Ereignisse thematisiert werden, oder Peters Leibesübungen, mit denen Sportreporter Peter neue Sportarten testet. Hörspiele werden ebenso gesendet wie Themen rund um Wissenschaft oder ein Serviceteil für Kinder mit einer Aufklärungsreihe und Kochtipps. Jeden Mittwoch gestalten nun die Hörerinnen und Hörer selbst die Sendung.
Nach einer erfolgreichen Pilotphase kann sich jede vierte Klasse einer Grundschule in Nordrhrein-Westfalen bewerben. Umfangreiches Begleit- und Unterrichtsmaterial ergänzen den Lilipuztag und ermöglichen eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Medium Radio im Unterricht.Während des Medienprojekts sollen Schülerinnen und Schüler im Unterricht die Besonderheiten des Mediums Radios anhand von Lilipuz kennen lernen. Das Thema Nachrichten bildet einen weiteren Schwerpunkt des Projektes. Mit dem Ziel, eine eigene Klicker-Ausgabe zu produzieren, sollen die Kinder ergründen, wie Nachrichten ausgewählt, und geschrieben werden, woher die Informationen dafür kommen und was das besondere an Kindernachrichten ist. Der Höhepunkt des Projekts ist nach einer circa zwei-wöchigen Vorbereitungsphase der Tag der Live-Sendung, an dem das Lilipuz-Team mit einem Übertragungswagen an die jeweilige Schule kommt. In zwei Gruppen bereiten die Schülerinnen und Schüler an diesem Tag die Sendung vor. Während die eine Gruppe die Kindernachrichten „Klicker“ erstellt, die Themen hierfür auswählt und die Mitteilungen schreibt, bereitet eine andere Gruppe die Lilipuz-Sendung vor. Aus den zahlreichen Formaten, die Lilipuz bietet, wird abwechselnd ein geeignetes ausgewählt, so stehen manchmal Peters Leibesübungen an oder die Hexenküche wird aufgebaut oder es ist Erzähltag und die gesamtes Schule diskutiert zu einem bestimmten Thema, das die teilnehmende Klasse vorher festlegt hat. Egal wie die Lilipuz-Sendung aussieht, alle erleben und gestalten Radio aktiv mit. Im Unterricht soll die Sendung schließlich ausführlich nachbereitet werden. Zur Vor- und Nachbereitung steht ein grundlegendes Materialpaket für die Lehrkräfte zur Verfügung. Unterrichtsvorschläge können in die Stunden integriert werden. So kann zum Einstieg anhand einer Lilipuz-Sendung über Radio diskutiert und die Lilipuz-Internetseite ergründet werden. Altersgerechte Arbeitsblätter regen die Schülerinnen und Schüler hierbei zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema an. Dokumentationen, Zeitpläne und Checklisten erleichtern den Lehrkräften die Organisation. Mit Lilipuz macht Schule soll Schülerinnen und Schülern ein kreativer Zugang zum Medium Radio, aber vor allem auch zum Hören und Zuhören vermittelt werden. Das Konzept Kinder machen Radio für Kinder wird durch eine fundierte und umfangreiche Unterstützung des Lilipuz-Teams begleitet. Das Projekt kann als Beispiel für eine umfangreiche, abgestimmte und integrierte Medienarbeit in der Grundschule gelten und es bleibt die Hoffnung, dass Lilipuz nicht nur ein einmaliges Projekt ist, sondern Schulen einen Impuls gibt, einen fächerübergreifenden und aktiven Umgang mit Medien zu fördern und in den Unterrichtsalltag zu integrieren. Trotz allen medienpädagogischen Überlegungen will „Lilipuz macht Schule“ aber vor allem eines: Den Kindern Spaß machen.
Informationen unter www.lilipuz.de
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Michaela Bittner
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Carola Schöppel: Klassische Musik für die Kleinsten
Bach, Mozart, Vivaldi & Co. schon im Kinderzimmer? Das klingt im ersten Moment nach Bildungsehrgeiz und Überforderung. Diese CDs jedoch sollen keine Initialzündung für eine spätere Komponistenkarriere à la Mozart oder Mendelssohn sein. Sie wollen vielmehr Babys, Kleinkinder und natürlich auch ihre Eltern zum entspannten, förderlichen und kreativen Umgang mit klassischer Musik einladen.Der Gehörsinn gehört zu den ersten Sinnesorganen, die sich während der Monate im Mutterleib entwickeln, und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass bereits allererste Erfahrungen wie das Hören der Mutterstimme prägend sein können.
NAXOS hat mit den beiden CDs „Hören, Lernen, Wachsen“ und „Hören, Lernen, Wachsen – Musik zur Guten Nacht“ eine Auswahl an beruhigender, klassischer Musik zusammengestellt, die den gemeinsamen Hörgenuss von Eltern und Kind fördern sollen.Die Vielfalt der ausgewählten Lieder, teilweise nur von einem Klavier, teilweise aber auch von einem ganzen Orchester gespielt, reicht von Brahms’ berühmtem „Wiegenlied“ über Bachs „Air“ bis hin zu Mozarts „Kleiner Nachtmusik“.Die CDs ermöglichen einen leichten Einstieg zur klassischen Musik und werden somit zum Hörerlebnis für Groß und Klein!Hören, Lernen, Wachsen (2004)/Hören, Lernen, Wachsen – Musik zur Guten Nacht (2005). Münster: Naxos. www.naxos.de, jeweils 6,99 €
Beitrag aus Heft »2006/03: Manga, Bollywood und Martial Arts«
Autor:
Carola Schöppel
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Markus Achatz/Michael Bloech: Annäherung an die Wirklichkeit
Die diesjährige Berlinale hatte ein stark von deutschen Filmen geprägtes Profil. Immerhin waren gleich vier deutsche Produktionen im Wettbewerbsprogramm vertreten, darunter die vom Fachpublikum erstaunlich wohlwollend aufgenommene filmische Adaption des Michel Houllebecq Romans „Elementarteilchen“ von Oskar Roehler. Das mit überraschend viel Fördermitteln ausgestattete Werk verliert sich, trotz exquisitem Staraufgebot, in effekthascherischer Oberflächlich- und Belanglosigkeit. Ebenfalls hohe Beachtung fand „Der freie Wille“ von Matthias Glaser, der sich mit der bedrückenden Biografie eines Sexualstraftäters befasst. Hier beeindruckt und erschreckt vor allem das intensive Spiel von Jürgen Vogel in der Rolle des monströsen Gewaltverbrechers Theo, der die Zuschauenden ständig auf dem schmalen Grat zwischen Identifikation, Mitleid und Verachtung wandeln lässt.
Daneben gab es aber auch wesentlich „leisere“ Filme, die dafür aber einen intensiveren Blick in den aktuellen, bundesrepublikanischen Alltag gewährten, so zum Beispiel der Film „Sehnsucht“ von Valeska Grisebach. Nahezu dokumentarisch erzählt der Film eine bekannte und dennoch interessante, melodramatische Liebesgeschichte aus der Provinz. Unaufgeregt und in ruhigen, streng durchkomponierten Bildern erzählt der Film die Geschichte einer ganz normalen, durchschnittlichen Handwerkerfamilie in dem kleinen 200-Seelendorf Zühlen in Brandenburg. Von den Nachbarn beneidet und ebenso misstrauisch beäugt, entspricht das junge Paar äußerlich dem Idealbild einer liebevollen Beziehung, ihr privates Glück scheint unerschütterlich. Ella arbeitet tagsüber als Haushaltshilfe und singt abends im Gemeindechor, Markus betreibt einen kleinen Schlossereibetrieb und engagiert sich in seiner Freizeit im Dorf bei der freiwilligen Feuerwehr. In kleinen, unwillkürlich anmutenden Gesten spürt man die ungeheuere Nähe zwischen Markus und Ella. Hier wird nichts zerredet, die Kommunikation zwischen den beiden erschließt sich aus ihren Blicken oder sanften Berührungen. Als Markus jedoch mit seinen Freunden zu einer Weiterbildung der freiwilligen Feuerwehr in den nächsten größeren Ort fährt, nimmt die Tragödie ihren Lauf. Der junge Mann geht in einer, durch Alkohol geprägten Nacht, eine Affäre mit der Kellnerin Rose ein und bewegt sich danach zwischen beiden Frauen. Getrieben von Schuldgefühlen und in grenzloser Verzweiflung und Einsamkeit richtet Markus schließlich seine Schrotflinte auf seine Brust. Die mit Laiendarstellern besetzte Geschichte bezieht dabei ihre Stärke und emotionale Tiefe aus den glaubwürdigen Figuren und der spröden, dörflichen Umgebung, die eben nicht einer verkrampften Künstlichkeit oder einem hochglanzpolierten Setting entspringt. Valeska Grisebach scheint die Story direkt aus der Wirklichkeit Brandenburgs gerissen zu haben.
Mit einem ähnlich ästhetischen Anspruch zeigt der 37-jährige Regisseur Henner Winckler in „Lucy“ das Leben der 18-jährigen Berlinerin Maggy. Sie hat die Schule geschmissen und sich von dem Vater ihrer 8 Monate alten Tochter Lucy getrennt. In einer Disco lernt Maggy Gordon kennen, dem sie zunächst verschweigt, dass sie eine Tochter hat. Nach einem Streit mit ihrer Mutter, zieht Maggy samt Lucy zu Gordon, doch der kommt mit der kleinen „Familie“ nicht zurecht. Der Film ist langsam und in tristen Bildern erzählt. Wie auch im Leben von Maggy bleibt vieles fahl und selbst wenn die Sonne scheint, gibt es kaum Farben im Alltag. Mit dokumentarischem Auge führt Winckler einen unspektakulären aber authentischen Ausschnitt im Leben der 18-jährigen Mutter vor. Mittendrin steigen wir in das Portrait ein und ebenso abrupt endet der Film auch wieder. Doch wir wissen, da draußen geht alles genauso weiter. Ebenfalls durch Berlin, jedoch mit mehr Kinoeffekten, schickt uns Detlev Buck in „Knallhart“. Den 15-jährigen Michael und seine Mutter verschlägt es von Zehlendorf nach Neukölln, wo er die Härte des Lebens erfahren muss. Er wird von seinem Mitschüler Erol und dessen Gang abgezockt und schikaniert, bis ihn Drogenboss Hamal als Kurier anheuert und unter seinen Schutz stellt. „Opfer“ ist das schlimmste Schimpfwort der Gegend, doch das trifft im Laufe der Geschichte auch Erol selbst. Wie hoch das Risiko war, sich unter die Fittiche von Hamal zu begeben, wird Michael erst später klar. Detlev Buck hat den Film bestens recherchiert und zeigt eine Inszenierung, die sich nahe an seine Charaktere heranwagt. Trotzdem wird fleißig mit Klischees gespielt und einem ganzen Stadtteil der Ghetto-Stempel aufgedrückt. „Knallhart“ bleibt am Ende für das Publikum unbequem – und das ist vielleicht seine größte Leistung. Sei es dadurch, dass sich Bucks Hang zu Gags und der Anspruch „knallharte“ Kleinkriminellen-Reality darzubieten aneinander reiben oder sei es, weil nicht klar wird, warum er Jenny Elvers-Elbertzhagen als gar nicht mal schlecht gespielte Problemmutter besetzt hat. Der Blick des Intellektuellen auf die unbarmherzige Seite der Gesellschaft oder das Spiel mit der Lust am permanenten „Unterschätzt-Sein-Wollen“ derjenigen, die unterschätzt werden?
Elementarteilchen
Deutschland, 2005, 105 min
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Moritz Bleibtreu (Bruno), Christian Ulmen (Michael), Martina Gedeck (Christiane), Franka Potente (Anabelle), Nina Hoss (Jane), Uwe Ochsenknecht (Brunos Vater), Corinna Harfouch (Dr. Schäfer), Jasmin Tabatabai (Yogini)
Freier Wille
Deutschland, 2006, 163 min
Regie: Matthias Glasner
Darsteller: Jürgen Vogel (Theo), Sabine Timoteo (Nettie), André Hennicke (Sascha)
Sehnsucht
Deutschland, 2005, 90 min
Regie: Valeska Grisebach
Darsteller: Ilka Welz (Ella) , Annett Dornbusch (Rose), Andreas Müller (Markus)
Lucy
Deutschland 2006, 82 min
Regie: Henner Winckler
Darsteller: Kim Schnitzer (Maggy), Gordon Schmidt (Gordon), Feo Aladag (Maggys Mutter)
Knallhart
Deuschland 2005, 98 min
Regie: Detlef Buck
Darsteller: David Kross (Michael Polischka), Jenny Elvers-Elbertzhagen (Miriam Polischka), Erhan Emre (Hamal), Oktay Özdemir (Erol)
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Markus Achatz,
Michael Bloech
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Markus Achatz: Fragen nach dem wahren Sein
Das 29. Kinderfilmfest der Berliner Filmfestspiele 2006 fand zurecht große Beachtung bei Publikum, Fachpresse und Filmschaffenden. Zwölf Spielfilme und 21 Kurzfilme aus 26 Ländern bildeten ein internationales, qualitativ zum Teil sehr hochwertiges Programm. Thomas Hailer, Leiter des Kinderfilmfests, bewies bei der Auswahl der Filme in diesem Jahr wiederum Mut zu nachdenklichen Stoffen. Der polnische Beitrag „Jestem“ („Ich bin“) von Dorota Kędzierzawska ist ruhiges und trauriges, jedoch großartiges Kinder- und Jugendkino. Die Filmemacherin und ihr brillanter Kameramann Arthur Reinhart begeisterten bereits 1995 auf der Berlinale mit dem Film „Wrony“ („Krähen“). Die anrührende Geschichte eines Mädchens, das ein jüngeres Mädchen entführt und mit diesem umherzieht, war in fantastischen Farben und Bildern erzählt und erhielt unzählige Preise. Mit „Jestem“ kommt ein neues Meisterwerk. Artur Reinhart hat den Film auch produziert. Der 11-jährige Kundel ist aus dem Kinderheim abgehauen. „Bist wieder zurück?“ wird er wie nebenbei in seinem Heimatort gefragt. „Ja, bin ich“, antwortet der Junge und doch interessiert sich niemand wirklich dafür. Am wenigsten seine Mutter, die stößt ihn umso weiter weg, je näher er ihr kommt. Irgendwo am Flussufer kommt Kundel auf einem alten Schiff unter – zwar zurück in seiner Heimatumgebung, aber nicht dort, wo er Liebe findet oder sich zu Hause fühlen kann. Allmählich freundet er sich mit der gleichaltrigen Tochter einer reichen Familie an, die nahe des alten Kahns wohnt. Das Mädchen kann sich selbst und das Leben nicht gut leiden, aber beide verbindet die Suche nach Zuneigung, Glück und einem festen Platz im Leben. Allmählich entwickelt sich eine behutsame Beziehung zwischen den Kindern. Es gelingt nur sehr selten, dass kindlichen Protagonisten in Filmen so viel Empathie entgegen gebracht wird wie in den Werken von Dorota Kędzierzawska. In „Wrony“ und in „Jestem“ handeln die Kinder ganz aus sich heraus. Sie äußern sich manchmal unkonventionell und treffen Entscheidungen, die sich aus kindlicher Denkweise ergeben. Nur in der völligen Absenz der Erwachsenenwelt finden sich Momente voller Harmonie und Frieden. Von den Erwachsenen gehen Bedrohungen und Enttäuschungen aus. Die diskriminierende Frage eines Polizisten, warum Kundel überhaupt leben würde, rahmt den Film ein. Im Zentrum von allem steht die Antwort des Jungen: „Weil ICH BIN!“
Auf den Internetseiten www.jungejournalisten.berlinale.de hatten junge Zuschauer die Möglichkeit, tagesaktuell über die Berlinale zu berichten. Die 13-jährige Sophie Merrison schrieb dort über „Jestem“: „Einer der besten Filme, die ich jemals gesehen habe. Er basiert auch auf einer wahren Geschichte, was ihn noch echter wirken lässt. Ein Film zum Weinen und zum Nachdenken, der einem tief ins Herz geht.“Die dänisch-britische Co-Produktion „Drømmen“ („Der Traum“) gewann den Gläsernen Bären der 11-köpfigen Kinderjury des Kinderfilmfests. Der Film führt uns an die Küste Dänemarks im Sommer 1969. Der Bauernsohn Frits ist wie alle seine Mitschüler der Tyrannei des diktatorischen Schulleiters ausgesetzt. Als Frits vom Direktor beinahe ein Ohr abgerissen wird, verändert sich für den Jungen vieles. Mit Hilfe seiner Eltern versucht er gegen den Despoten anzugehen. Auch vom neuen und so andersartigen Lehrer Freddie, der das aufgeknöpfte Hemd lässig über der Hose trägt, bekommt Frits Unterstützung. Martin Luther Kings berühmte Rede, in der er seinen großen Traum erzählt, ist der Motor für seine Energie, denn auch der Junge hat Träume, in denen die Welt gerechter werden soll. Doch der Direktor hat viel Macht und Personen, die ihm den Rücken stärken. Auch Freddie merkt, dass es nicht leicht ist, gegen Autorität und alte Strukturen anzukommen. „Drømmen“ ist ein Film über das bewusste Empfinden von Unrecht und die Kraft, sich dagegen aufzulehnen, auch wenn es aussichtslos erscheint. Die Botschaft des Films geht dabei weit über eine Romantisierung der Hippiezeit hinaus. Die sehr persönliche Geschichte von Frits, der sich große Sorgen um seinen kranken Vater macht, der nicht ertragen kann, wenn am Hof die Schweine zum Schlachten abgeholt werden oder den seine Gefühle für Iben verwirren, wird auch zu einer Geschichte über das Aufbrechen verhärteter gesellschaftlicher Strukturen und damit über Politik und Zivilcourage. Bei allem Idealismus müssen die Hauptfiguren in „Drømmen“ manche Träume aber auch aufgegeben und erleben die Grenzen des Machbaren. Regisseur Niels Arden Oplev versteht sich hervorragend auf das Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Dankbar beteiligten sich die jungen Zuschauer mit ihren Emotionen und honorierten die Geschehnisse mit Szenenapplaus.
Jestem (Ich bin)
Polen 2005, 97 min
Regie: Dorota Kędzierzawska
Darsteller: Piotr Jagielski (Kundel), Agnieszka Nagorzycka (Marble), Edyta Jungowska (Kundels Mutter), Basia Szkaluba (Marbles Schwester). Empfohlen ab 12 Jahren#
Drømmen (Der Traum)
Dänemark, Großbritannien 2005, 105 min
Regie: Niels Arden Oplev
Darsteller: Janus Dissing Rathke (Frits), Anders W. Berthelsen (Freddie)Bent Mejding (Direktor Lindum-Svendsen), Sarah Juel Werner (Iben). Empfohlen ab 10 Jahren
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Markus Achatz
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Michael Bloech: Starke Jugendliche bei 14plus
Bereits zum dritten Mal widmet sich mit „14plus“ eine Sektion der Berlinale ausdrücklich dem Jugendfilm. Dass dies von der Zielgruppe der Jugendlichen positiv angenommen wird, haben die gut besuchten Veranstaltungen nachdrücklich bewiesen. Mag die Qualität der Produktionen, bei denen Jugendliche im Mittelpunkt der Handlung stehen, zum Teil auch recht unterschiedlich sein, so gab doch es viele sehenswerte Produktionen. Einer der wirklich herausragenden Filme war „Kamataki“ von Claude Gagnon, der zwar leider keinen Gläsernen Bären erringen konnte, aber immerhin mit einer Lobenden Erwähnung ausgezeichnet wurde. Regisseur Claude Gagnon kann dies sicher verschmerzen, denn er hat im Jahr 2005 gleich fünf Hauptpreise beim renommierten Filmfestival in Montreal für „Kamataki“ eingeheimst und das zu Recht. Gagnon erzählt in atemberaubend schönen Bildern die Geschichte von Ken, einem 22-jährigen nordamerikanischen Medizinstudenten, der nach dem Tod seines Vaters in tiefe Depression stürzt. Nach einem misslungenen Selbstmordversuch wird er von seiner Mutter zu seinem eigenwilligen Onkel Takuma nach Japan geschickt. Takuma ist ein ebenso gefeierter wie eigenwilliger Töpfermeister, der die alte japanische Kunst des Kamataki beherrscht. Diese traditionelle Methode des Kunsthandwerks verlangt Ruhe, Konzentration und Kraft. Der alte Mann zieht all dies aus seiner unkonventionellen Lebensweise, die dennoch ganz im Zeichen des Zen steht, er liebt das Leben in seiner komplexen Fülle, er lebt den Augenblick und versteht zu genießen. Dann, nach seiner exzessiven Erholungsphase beginnt die konzentrierte und mühevolle Arbeit. Das Geschirr muss getöpfert und der riesige Ofen, ein Anagama Kiln, vorbereitet und akribisch die zu brennenden Töpfereien im Inneren des riesigen Ofens gruppiert werden. Erst danach beginnt der Prozess des Anschürens mit speziellem Holz. Mindestens acht Tage und Nächte muss der Anagama auf Temperatur gehalten werden. Nur wenige Meister brennen nach dieser alten Methode, die eine einzigartige Glasur auf das Geschirr zaubert. Ken hilft seinem Onkel – zunächst willenlos, dann mit kritischer Distanz und schließlich fasziniert. Takuma, der alte Mann, hat damit augenzwinkernd sein Ziel erreicht, das Geschirr ist perfekt, ein Kunstwerk ist gelungen und Ken hat endlich den Lebensmut wiedergefunden, der ihm auf tragische Weise entrissen wurde.
„Kamataki“ ist einer der wenigen Filme, die auf positive Weise Mut machen sich auf Fremdes einzulassen und etwas zu entdecken, was in unserer schnelllebigen Zeit oft verloren gegangen zu sein scheint: die Ruhe.
Ähnlich wie der Amerikaner Ken steckt auch Sandra im schwedischen Film „Fyra Veckor i Juni“ (Vier Wochen im Juni) in einer tiefen Lebenskrise. Nachdem Sandra ihren Freund mit einem anderen Mädchen erwischt hat, attackiert sie ihn mit einer Schere und verletzt ihn schwer. Wie auch Ken gibt sie ihren bisherigen Lebensmittelpunkt auf, um wieder ganz von vorne zu beginnen. Sie zieht in eine Bauruine, um fern von ihrer Heimat ihre Jugendstrafe in einem Altkleidersammlungsbetrieb anzutreten. Sandra nimmt kaum die Welt um sich herum wahr, bemerkt zunächst nicht Lilly, die alte Frau, die neben ihr wohnt. Und auch von Marek, dem sympathischen, polnischen Schwarzarbeiter, der auf dem Baugerüst vor ihrem Fenster arbeitet, nimmt sie kaum Notiz. Ihr Herz scheint aus Stein, doch dann öffnet sie sich allmählich, lernt Lilly näher kennen und bemerkt Parallelen zu ihrer eigenen Biografie. Wie auch Sandra ist die alte Dame in ihrer Jugendzeit von einem Mann schwer enttäuscht worden. Bald werden die beiden Freundinnen, sie sehen sich nahezu täglich und ihre Beziehung zueinander wird immer enger. Lilly vertraut Sandra schließlich ihre dramatische Lebensgeschichte an. In ihrer Jugend liebte Lilly einen Mann, dessen antisemitische Familie sie als Jüdin nicht akzeptierte. Als sie schwanger wurde, heiratete sie jedoch einen anderen Mann, der nie erfahren sollte, dass Rebecca nicht sein eigenes Kind ist. Und nach all den vielen Jahren hat Lilly immer noch nicht den Mut aufgebracht, Rebecca die Wahrheit über ihren leiblichen Vater zu erzählen. Parallel dazu versucht Marek beharrlich den Kontakt zu Sandra herzustellen. Regisseur Henry Meyer wurde für diese berührende Geschichte zwischen den Generationen und den Enttäuschungen einer großen Liebe von der Jugendjury mit einem Gläsernen Bären ausgezeichnet. Vor allem die beiden souverän agierenden Hauptdarstellerinnen Tuva Novotny (Sandra) und Ghita Nørby (Lilly) transportieren die Geschichte mit hoher Glaubwürdigkeit. Präzise Dialoge, eine schnörkellose Erzählweise und eine gehörige Portion feinen Humors sorgen dafür, dass die vielleicht in der Auflösung ein wenig zu glatt geratene Story letztendlich überzeugt. Wesentlich bedrückender präsentiert sich die russische Produktion „Lovitor“ (Fänger) des tadschikischen Regisseurs Farkhot Abdullaev, obwohl auch dieser Film letztlich positiven Lebenswillen vermittelt. Der Begriff Lovitor entspringt der russischen Zirkuswelt, er bezeichnet denjenigen Artisten, der bei einer Menschenpyramide alle anderen trägt. Der deutsche Titel Fänger ist daher nicht ganz zutreffend, denn ein Lovitor ist einer, auf den sich alle anderen verlassen müssen, einer der die gesamte Verantwortung trägt. Konkret wird hier mit Mitteln des Dokumentarfilms die Geschichte von Kolyan, einem Jugendlichen, erzählt, der nach einer Gasexplosion auf der Stra?e lebt und sich zunächst einer Gruppe von Straßenkindern anschließt. Sie alle leben am Rande eines Flughafens in einer ausrangierten Passagiermaschine und fühlen sich bei Alick wohl, einem Ex-Piloten, der im Krieg beide Beine verloren hat. Zusammen mit seiner Freundin Mara sorgt er für die Kinder und gibt ihnen Halt. Tagsüber schickt er sie zum nahegelegenen Bahnhof und einem Markt zum Arbeiten. Die Kinder bieten Reisenden Hilfe beim Koffertragen an, verkaufen Blumen oder singen Lieder und versuchen so, ein bisschen Geld zu erbetteln. Doch die vermeintliche Idylle trügt, denn als der drogenabhängige Alick an einer Überdosis stirbt, bricht das fragile System zusammen. Das wenige Geld, das die Kinder verdient haben, und das eigentlich für den Umzug in ein Haus gedacht war, ist längst im Drogenkonsum versickert. Mara kann zunächst alleine die Gruppe nicht stabilisieren, doch mit Hilfe von Kolyan gelingt es für kurze Zeit, die Situation zu meistern. Trotzdem ergeben sich bald Probleme mit der Polizei und die Lage eskaliert. Bei aller Trostlosigkeit, bei allem Elend, der Korruption und Gewalt strahlt der Film dennoch eine ungeheure Kraft und einen unglaublichen Optimismus aus. Kolyan trifft auf einen Liliputanerzirkus und die Artisten wollen dem kleinwüchsigen, kräftigen Jungen eine Chance in ihrem Zirkus als Lovitor geben. Und Mara muss neue Kraft finden, um sich aus dem Teufelskreis von Erpressung und Gewalt zu befreien. Denn im Kern geht es bei Lovitor, wie bei einer Menschenpyramide darum, gegenseitig Halt zu finden, einander zu vertrauen und die Probleme gemeinsam zu meistern.
Kamataki
Kanada/Japan 2005, 110 min
Regie: Claude Gagnon
Darsteller: Matt Smiley (Ken), Tatsuya Fuji (Takuma), Kazuko Yoshiyuki (Kariya Sensei)
Fyra Veckor i Juni / Vier Wochen im Juni
Schweden 2005, 116 min
Regie: Henry MeyerDarsteller: Tuva Novotny (Sandra), Ghita Nørby (Lilly), Lukasz Garlicki (Marek)Lovitor / Fänger
Russland 2005, 115 min
Regie: Farkhot Abdullaev
Darsteller: Oleg Koulaev (Kolyan), Alexander Naumot (Alick), Yevgeniya Dobrovolskaya (Mara)
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Michael Bloech
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Alexander Buck: Mediale Realität und Diffusion im "Tal der Wölfe"
Vorspann
Freudige Aufregung und Bestätigung im dunklen Kinosaal: „Siehst du, genau so ist es ...“. Das Publikum, überwiegend MigrantInnen aller Altersstufen, vor allem jedoch Jugendliche verfolgen hochinteressiert die Kinoverfilmung eines Rekordbrechers des türkischen Fernsehens.
Aufregung und Protest von Seiten der Politik und den Medien: Dieser Film gehöre verboten, er sei antisemitisch, antiamerikanisch, fundamentalistisch – ein „türkischer Rambo”. Seit dem 9. Februar 2006 läuft erstmals ein türkischer Blockbuster in den deutschen Kinos: Tal der Wölfe – Irak (Kurtlar Vadisi Irak).
Realität, Diffusion und ‚Lynndiesierung’Zunächst ist “Tal der Wölfe” eine 97-teilige türkische Fernsehserie gewesen, welche im Zeitraum von 2003 bis 2005 auf den Sendern „Show-TV” (1.-3. Staffel), danach auf “Kanal D” (4. Staffel) liefen. Jene Serie bildet quasi den Hintergrund des vorliegenden Films: Der Spezial-Agent des MIT (der türkische Inlandsnachrichtendienst) Ali Candan, welcher im Kosovo arbeitet, wird nach Istanbul zurück beordert. Er soll eine neue Identität bekommen und in die türkische Mafia eingeschleust werden – nach einer Gesichtsoperation wird aus ihm Polat Alemdar.
Eben jener Polat Alemdar (Necati Şaşmaz) ist der Protagonist des Kinofilms, dessen bester Freund Oberleutnant Süleyman Aslan Opfer der so genannten (tatsächlich stattgefundenen) „Sackaffäre” wurde. Am 4. Juli 2003 wurde eine Gruppe türkischer Soldaten im Nordirak von den US-amerikanischen Truppen festgesetzt, mit Säcken über den Köpfen abgeführt und nach 60 Stunden Gefangenschaft in die Türkei überstellt.
Ab diesem Zeitpunkt beginnt in dem Film die fiktive narrative Weiterverarbeitung: Süleyman Aslan schreibt einen Abschiedsbrief an Polat Alemdar und begeht aufgrund der Erniedrigung durch die amerikanischen Soldaten, deren Oberbefehlshaber Sam William Marshall (Billy Zane) ist, Selbstmord. Alemdar begibt sich daraufhin mit seinen besten Männern in den Irak, um seinen Freund zu rächen.
Die eigentliche Diffusion und immanente Problematik liegt in der Vermischung der Ebenen, denn auch im weiteren Verlauf werden reale Begebenheiten, wie beispielsweise der Überfall auf Mukaradeeb, ein Dorf im Irak mit fiktiven Handlungssträngen gemixt. Dieses Dorf wurde am 19. Mai 2004 von US-Hubschraubern angegriffen, da angeblich die aus Tradition abgefeuerten Gewehrschüsse als Angriff auf die US-Truppen interpretiert wurden. Es starben 42 Personen, darunter elf Frauen und 14 Kinder. Im Film warten die US-Soldaten jedoch in ihren Fahrzeugen freudig auf die ersten Schüsse, um die Hochzeitsgäste als “Terroristen” gefangen zu nehmen. Dies misslingt durch das Ungeschick eines US-Soldaten, welcher versehentlich einen kleinen Jungen erschießt, worauf die Situation eskaliert und viele Hochzeitsgäste, darunter auch der Bräutigam, den Tod finden. Die Braut Leyla (Bergüzar Korel) schwört daraufhin Rache an Sam William Marshall. Währenddessen versucht auch Top-Agent Polat Alemdar, Marshall habhaft zu werden und ihn auf die gleiche Weise zu erniedrigen (mit einem Sack über den Kopf!), wie dieser es mit Oberleutnant Süleyman Aslan tat. Doch wird dieser Plan durch die Geschicklichkeit und Hintertriebenheit Marshalls vereitelt, der auch nicht vor Kindesgeiselnahme zurückschreckt. Scheinbar ist Marshall auch für das Gefängnis Abu Ghraib zuständig, wo ein Arzt (Gary Busey) sein Unwesen treibt. Er entnimmt irakischen Gefangenen Organe, um sie seinen Patienten in New York und Tel Aviv zu schicken. In einem Dialog stellt sich Marshall als gottesgläubiger Patriot (und Kriegsgewinnler), der Doktor als korrupter, skrupelloser, nur auf das Wohl ‚seiner’ Patienten bedachter amerikanischer Jude heraus. Allerdings ist diese Szene dialogisch sehr kryptisch und daher darf bezweifelt werden, dass ein Großteil des Publikums die geschmacklose und perfide Diskreditierung des Judentums überhaupt erkennt und versteht.Währenddessen wütet Lynndie England in Abu Ghraib und baut ihre berüchtigte Menschenpyramide – eine weitere Einstreuung medialer Realität. Die Braut Leyla bittet währenddessen ihren Ziehvater Scheich Abdurrahman Halis Kerkuki (Ghassan Massoud), einen direkten Nachfahren Mohammeds, um Rat, da sie die Schande mit einem Selbstmordattentat rächen will. Hier erfährt der Film eine interessante, bisher in der Presse nicht berücksichtigte Wendung – abgesehen von der FSK-Begründung (15.02.2006). Der Scheich sieht dieses Ansinnen als Sünde an, welche kein gläubiger Muslim begehen dürfe, zumal sie selbst und unschuldige Menschen getötet würden. Leyla lässt von dem Vorhaben ab und bleibt in der Obhut des Scheichs.
Doch Polat Alemdar und seine Getreuen sind unbeirrt: Marshall muss büßen, die Ehre wieder hergestellt werden ...Irritationen“Tal der Wölfe” bietet eine stark polarisierende Geschichte, welche zudem hemmungslos zwischen Realität und Fiktion springt. Hierin spiegelt sich die zentrale Problematik des Films. Weniger ist es die teils maßlos übertriebene Darstellung der amerikanischen Soldaten, noch die generelle amerikanische Globalisierungspolitik. Es ist ein Kampf Davids gegen Goliath, die Freude des Kleinen, es einmal dem (den) Großen gezeigt zu haben. Wenn am Ende Marshall sein ‚gerechtes’ Schicksal ereilt, atmet das Publikum auf. Es ändert sich hierdurch nichts an der Situation im Irak – daher ist es auch kein ‚türkischer Rambo’, dieser hätte gleich noch den gesamten Irak befreit.Nachspann„Tal der Wölfe” hat teilweise exzessiv gewalttätige Sequenzen und ist desinformierend. Dies macht ihm zum Objekt der Medienpädagogik – es wäre wünschenswert, den Film für die rezeptive Medienarbeit mit Jugendlichen einzusetzen, um Problematiken hegemonialer amerikanischer Politik herauszuarbeiten und gerade somit auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund verstehbar zu machen. Hier bieten sich noch zwei Dokumentarfilme an, welche deutlich die Problematik der amerikanischen Invasion und Informationsmanipulation aufzeigen: „Falluja“ (2005) von Toshikuni Doi sowie „Weapons of Mass Deception (2004) von Danny Schechter.
Besondere Aufregung verdient er nicht – er ist ein mittelmäßiger Actionfilm mit (wie viele Filme dieses Genres) platten Attitüden, simplifizierendem Feindbild und heraufstilisierten Gewaltszenen (à la Chuck Norris). Allein der nicht dem ‚klassischen Genre’ entsprechenden Story einen Aufschrei der Empörung entgegen zu bringen ist oberflächlich und in letzter Instanz Kulturchauvinismus. Die westliche Welt hat der arabisch-islamischen Kultur per se den Krieg erklärt – ist es nun verwunderlich, wenn diese sich den Medien der Zeit bedient, um zu antworten?
Tal der Wölfe
Türkei 2006, 122 min.
Regie: Serdar Akar
Darsteller: Necati Şaşmaz (Polat Alemdar), Billy Zane (Sam William Marshall), Ghassan Massoud (Scheich Abdurrahman Halis Kerkuki), Bergüzar Korel (Braut Leyla), Gary Busey (Doktor).
Verleih: MaXXimum Film und Kunst GmbH
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Alexander Buck
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Daniel Ammann: Reise zu den Galapagos-Inseln
Der kleine Eisbär 2 – Die geheimnisvolle Insel. CD-ROM Win 98 / 2000 / ME / XP; Mac ab OS 9.2 / OS X. Nach der Buchvorlage von Hans de Beer. Hamburg: Oetinger, 2005. 24,90 €
In der Medienpalette um das jüngste Filmabenteuer mit dem kleinen Eisbären Lars darf natürlich das Computerspiel nicht fehlen. Neben Audio-CDs mit Liedern von der geheimnisvollen Insel oder dem Original-Hörspiel zum Kinozeichentrickfilm vom letzten Herbst können Kinder auch interaktiv am grossen Reiseabenteuer teilnehmen und bei der mutigen Rettungsaktion auf den Galapagos-Inseln mithelfen.
Die Handlung der Spielgeschichte folgt zwar nicht dem Filmplot, aber die „offizielle CD-ROM zum Kinofilm“ möchte wohl weniger eine Geschichte erzählen, als den Kindern Gelegenheit bieten, ein paar Stunden mit einer ihrer Lieblingsfiguren zu spielen. Vielleicht regen die spannenden Bildschirmaktivitäten wieder zu neuen Spielszenen mit dem Plüschtier an. Nach einem kurzen Intro und der Begrüssung der Spieler/innen durch Lars, Greta, Robby und den heimwehkranken Pinguin Caruso wird die heile Welt am Nordpol schon bald durch eine beunruhigende Nachricht gestört. Die Forscher auf der Polarstation bereiten sich für eine weitere Expedition nach Galapagos vor, um dort mit einem neu entwickelten Fischsuchradar den Riesenfisch aufzustöbern. Lars hat schnell einen Plan, wie er und seine Freunde dieses Unterfangen verhindern können. Um sich für die gefährliche Mission vorzubereiten, müssen sie aber vorerst in teilweise anspruchsvollen Spielen ihre Fähigkeiten trainieren. Greta übt fleissig das Anschleichen, Lars verbessert im Schneeballspiel seine Treffsicherheit und lernt beim Tauchen, die Luft länger anzuhalten. Nachdem die kleinen Freunde das Radargerät erfolgreich in ihren Besitz gebracht haben, fliegen sie als blinde Passagiere auf die Galapagos-Inseln. Auch am äquatorialen Schauplatz finden sich die Spieler/innen dank einer neuen Übersichtskarte schnell zurecht und können die Spielorte direkt ansteuern. Werden in den drei Geschicklichkeitsspielen gute Resultate erzielt, helfen einem die Königskneiferkrabben, Wasserschildkröten und Seehunde anschliessend, den grossen Fisch vor dem Abtransport zu befreien. Gelingt dies nicht auf Anhieb, muss man sich am Krabben- und Schildkrötenstrand sowie beim lustigen Wasserballspiel erneut bewähren, um genug Helfer zur Seite zu haben. Das Bildschirmabenteuer für Kinder ab vier Jahren ist in Anlehnung an den Zeichentrickfilm ansprechend gestaltet und sorgt mit abwechslungsreichen Herausforderungen für gute Unterhaltung. Leider lässt sich jeweils nur ein Spielstand speichern, aber die kniffligen Aufgaben mit bis zu acht Schwierigkeitsstufen eignen sich dafür ganz gut für das abwechselnde Spielen im Team.
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Daniel Ammann
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Thomas Jacob: Zivilisiertes Spielen
Civilization IV ist der neueste Teil einer der langlebigsten Spielereihen überhaupt. Der erste Teil erschien bereits 1991 und war damals eine kleine Sensation in der Computerspielewelt. Ein dermaßen komplexes, fesselndes und dabei einsteigerfreundliches Strategiespiel hatte es vorher nicht gegeben. Civilization begründete ein neues Genre, die „Globalstrategie“, und der Erfinder Sid Meier stieg zu einem der wenigen Superstars unter den Spieledesignern auf. Sein Name gilt unter Spielern bis heute als Qualitätssiegel, der offizielle Titel des vierten Teiles lautet denn auch Sid Meier’s Civilization IV.
Die grundlegenden Spielmechanismen haben sich seit dem ersten Teil kaum verändert: Civilization bedeutet eine bunte Mischung aus Aufbau, Wirtschaft, Forschung, Diplomatie und Kampf. Der Spieler übernimmt die Führung eines kleinen Volkes in der Steinzeit. Die Aufgabe lautet, dieses Volk durch die Geschichte bis in die Gegenwart zu führen. Dafür muss der Spieler mit seinen Einheiten die Weltkarte erforschen, Städte gründen, neue Technologien erfinden und mit anderen Völkern in Kontakt treten. Das Spiel läuft rundenweise ab, so dass jede Entscheidung reiflich überlegt werden kann. Und Entscheidungen gibt es viele zu treffen: Lieber in die Wissenschaft oder die Rüstung investieren? Was soll als nächstes erforscht werden? Und wie verhält man sich gegenüber den anderen Völkern, die ebenfalls die Welt besiedeln wollen? Soll man sich mit ihnen verbünden, um Güter und Technologien auszutauschen, oder sie lieber militärisch in die Schranken weisen?Die Interaktion mit den anderen Völkern ist einer der wichtigsten Faktoren im Spiel. Die künstliche Intelligenz der computergesteuerten Völker hat sich im Vergleich zu älteren Civilization-Teilen stark verbessert. Jeder Herrscher verfolgt eine ganz eigene Philosophie: Gandhi beispielsweise ist friedliebend und ein recht verlässlicher Partner. Wer dagegen Montezuma mit seinen Azteken oder die Mongolen unter Dschingis Khan zum Nachbarn hat, sollte stets mit einem Angriff rechnen. Noch unberechenbarer sind menschliche Gegner, gegen die man über ein Netzwerk oder das Internet antreten kann.Was die Civilization-Spiele seit dem ersten Teil legendär macht, ist die enorme Langzeitmotivation. Es gibt immer etwas zu erforschen, zu bauen, zu erobern. Dazu kommt, dass jedes Spiel anders verläuft, denn die Weltkarte und die Startpositionen können bei jeder Partie zufällig erstellt werden. Auch Civilization IV löst wieder das „Nur-noch-eine-Runde-Syndrom“ aus, das für durchwachte Nächte vor dem Bildschirm sorgt.
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Thomas Jacob
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Daniela Metz: Unten am Fluss...
CD-ROM, Win98/ME/2000/XP, MacOs 9.x/10.x United Soft Media Verlag GmbH 2005, JUNIOR 16,90 €
Emil und Pauline schippern mit dem „Flumo“ den Fluss entlang und treffen dort auf ihre Freunde, die ihre Unterstützung benötigen.Ob in der Höhle von Familie Bär, beim Wäsche sortieren mit dem erschöpften Waschbär oder auf der großen Froschhochzeit, Emil und Pauline führen die Erstklässler spielerisch in den Umgang mit Buchstaben und Zahlen ein:
In den insgesamt neun verschiedenen Spielen lernen die Kleinen neben Addieren und Subtrahieren im Zahlenraum bis 20 auch den Umgang mit Groß- und Kleinbuchstaben. Gehörtes und Gelesenes muss verglichen werden und geometrische Figuren sollen erkannt werden. Außerdem zielen die Übungen auf das sinnerfassende Lesen und das Zuordnen von Wörtern zu entsprechenden Bildern ab.Emil und Pauline erklären in jeder Situation sehr ausführlich, was zu tun ist. Alle Spiele können in drei Schwierigkeitsgraden gespielt werden und berücksichtigen damit den individuellen Lernfortschritt.Bei erfolgreich gelösten Aufgaben hält Emil in einer Schatzkiste eine kleine Überraschung für jedes Kind bereit. Die Spieler haben auch die Möglichkeit, sich von Emil die Ergebnisse in einem Brief über den Drucker nach Hause ‚schicken’ zu lassen.Hilfestellungen finden die Spieler/innen in der Menüleiste, die durch einen Klick auf den Koffer geöffnet werden kann. Angenehme Hintergrundgeräusche untermalen die farbenfrohe Atmosphäre der CD-ROM, mit welcher der USM-Verlag eine anspruchsvolle, abwechslungsreiche und altersangemessene Software bietet. Angesprochen sind alle, die, gefesselt von der bunt animierten Tierwelt, auf witzige Art und Weise in die Welt der Zahlen und Buchstaben eintauchen wollen – weit entfernt von starren und einseitigen Lernmethoden. Spaß und Freude am Lernen für jeden Erstklässler sind hier sicher.
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Daniela Metz
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Günther Anfang: "Genius - Task Force Biologie" und "Genius - Unternehmen Physik"
Windows 98/2000/XP, Pentium II 700, 128 MB RAM, DirectX 8.1 kompatible Grafikkarte mit 32 MB Speicher (GeForce 1 oder höher, ATI Radeon 8500 oder höher), DirectX 8.1 kompatible 16 Bit Soundkarte, Festplattenbedarf: ca. 1,3 GB. Cornelsen 2004 und 2005, je 19,95 €
Mit dem beiden 3D-Aufbausimulationsspielen „Genius – Unternehmen Physik“ und „Genius – Task Force Biologie“ hat der Cornelsen Verlag zwei Spiele auf den Markt gebracht, die Jugendliche und Erwachsene mit Interesse für Naturwissenschaften sicher ansprechen. Während „Unternehmen Physik“ bereits im letzten Jahr herauskam, ist das Spiel „Task Force Biologie“ neu auf dem Markt. Beide Spiele haben einige Preise gewonnen und zählen zu den anspruchsvollen Wissens- und Lernspielen, die ihr Publikum eher bei Gymnasiasten und Tüftler, als bei reinen Spielefreaks treffen. Ging es bei „Unternehmen Physik“ darum, auf dem Weg zu einem Großunternehmen wichtige wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, technische Problem zu lösen und Erfindungen zu machen, so steht im Mittelpunkt von „Task Force Biologie“, als Leiter eines Spezialteams von Medizinern und Biologen zerstörte Landstriche im Auftrag der Vereinten Nationen wieder in ihr natürliches Gleichgewicht zu bringen. Aufgabe des Spielers ist es, ökologisch heruntergewirtschaftete Landstriche von der afrikanischen Savanne bis zur kanadischen Tundra wieder zu bepflanzen und fruchtbar zu machen. Da dazu umfangreiche finanzielle und technische Ressourcen nötig sind, kommt der Spieler nicht umhin, ein komplettes Unternehmen mit Gärtnereien, Forschungseinrichtungen und Wohnanlagen zu errichten. Wie im klassischen Simulationsspiel Sim City werden dabei zuerst Straßen angelegt sowie Energie- und Wasserversorgung sichergestellt. Je nach Kassenlage kommen dann diverse landwirtschaftliche Produktionsstätten und unverzichtbare Einrichtungen wie beispielsweise Feuerwehren hinzu. Mit dem bloßen Aufstellen der unterschiedlichen Einrichtungen ist es jedoch nicht getan, denn auch die Zahlen des Unternehmens müssen stimmen. Um dies sicherzustellen, lassen sich die Bilanzen jedes Einzelbetriebs einsehen und eventuell die Löhne anpassen. Gelangt jedoch zu wenig Geld in die Lohntüten, kann unter den Arbeitern schnell ein Streik ausbrechen. Von Zeit zu Zeit müssen zudem wissenschaftliche Experimente ausgeführt oder Aufgaben gelöst werden, die sich aus den Bereichen Flora und Fauna, Medizin, Mikrobiologie, Genetik sowie Ökologie und Landwirtschaft rekrutieren. Dazu ist einiges an Fachwissen nötig, dies kann man sich im Lernteil aneignen. Solchermaßen mit Know-how versorgt, erreicht man schließlich auch das Ziel des Spiels: Die Renaturierung der verseuchten Landstriche. Ganz nebenbei hat man dabei jede Menge über Biologie gelernt. Beide Spiele sind grafisch anspruchsvoll umgesetzt und mit viel Liebe zum Detail entwickelt. Allerdings ist Übung erforderlich, damit man die gestellten Aufgaben lösen kann. Für Spieler, die wenig Geduld haben, sich in die Materie hineinzuversetzen, dürften beide Spiele jedoch wenig geeignet sein.
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor:
Günther Anfang
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Christian Weißenburger: Blogs für die Leseförderung
Das Lesetagebuch ist eine anerkannte Methode der Leseförderung, die vor allem im Zuge des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts (vgl. Waldmann 1984/Haas, Menzel, Spinner 1994) an Bedeutung gewonnen hat. Eine Vielzahl von Publikationen belegt die Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht und beschreibt die Erfolge dieser Arbeitsweise (z. B. Bertschi-Kaufmann 2003/Schwarz 2000). Und doch stellt sich angesichts der Lesemise-re, wie sie PISA und andere Untersuchungen vor allem für die Jungen konstatieren, die Frage, ob die neuen Medien für Leseförderung nicht noch gewinnbringender genutzt werden können.Die technische Entwicklung des Internets spielt den Didaktikern nun ein neues Instrument zu, das die erprobten Lesetagebücher mit den motivationalen Vorteilen der neuen Medien kombi-nierbar macht: So genannte „Blogs“.Lesetagebücher und die ProblemeLesetagebücher werden zum Erarbeiten von Texten in offenen Unterrichtsformen gern und häufig von LehrerInnen eingesetzt. Sei es nun als „Mittel zur Dokumentation gelesener Bü-cher“ (Hintz 2002) oder zur Reflexion des Gelesenen – stets erfüllen die Lesetagebücher eine lesebegleitende Funktion, die eine Verbindung von Lesen und Schreiben impliziert. Dabei wird allerdings das Medium zu wenig in Bezug auf die Adressaten reflektiert.Lesetagebücher bilden per definitionem eine Form des Tagebuchs, einer literarischen Text-form, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt. Dabei war und ist, nicht zuletzt durch die Momente der Selbstreflexion und ausgedrückter Emotion, das Tagebuchschreiben eine eher weiblich konnotierte Beschäftigung.Diese Tatsache birgt für eine Umsetzung im Unterricht Schwierigkeiten. Gerade die bei PISA als Problemgruppe diagnostizierten Jungen der Hauptschule in der Altersklasse um 14 Jahre befinden sich in einer Lebensphase, in der Abgrenzungen zu den als weiblich eingestuften Tätigkeiten und Eigenschaften als unumgänglich empfunden werden.
Die Interessen der Jun-gen liegen darüber hinaus weniger beim Lesen und Schreiben, sondern vielmehr bei den Neu-en Medien (vgl. JIM-Studie 2002/Marci-Boehncke 2005).Nun stellt sich die Frage: Inwiefern können die Erfolge von Lesetagebüchern mit den Interes-sen der Jungen verbunden werden, ohne die Vorlieben der Mädchen dabei aus den Augen zu verlieren? Gibt es Möglichkeiten die Vorteile beider Medien, die Chancen für Leseförderung durch Lesetagebücher sowie den hohen Aufforderungscharakter des Internet, miteinander zu kombinieren?Blogs – ein neues MedienphänomenDas Wort „Blogs“ ist eine Kurzform von „Weblogs“. Es handelt sich dabei um eine Wortneu-schöpfung aus den Wörtern „Web“ und „Logbuch“, was schon die Verbindung der beiden Medien Internet und Buch, bzw. Tagebuch impliziert. Es handelt sich bei den Blogs um öf-fentlich im Netz publizierte Tage- oder Notizbücher, die in Form von Webseiten so organi-siert sind, dass die jeweils neueste Nachricht stets oben angefügt wird. Optisch und funktional unterscheiden sich diese Seiten nicht von gewöhnlichen Webseiten, allerdings bieten sie eine Reihe von Vorteilen, die sie zu einem Massenphänomen werden lassen. Elementar ist die einfache Einrichtung und Bedienung der Blogs. Um sein eigenes Online-Tagebuch einzurichten und zu führen braucht der Nutzer lediglich einen Computer mit Inter-netzugang sowie einen Anbieter (Provider). Es sind keinerlei Programmierkenntnisse vonnö-ten. Die Artikel (Postings) werden in einem Editor wie in Word eingegeben und sind ebenso einfach über Schaltflächen formatierbar. Dabei wird jeder Arbeitsschritt vom Providerpro-gramm ausführlich erklärt. Für das spätere grafische Design des Blogs werden unterschiedli-che, ansprechende Vorlagen angeboten, die, per Mausklick anwählbar, den Text in eine tren-dige Form bringen. So ist der Einstieg geradezu kinderleicht und auch für in den neuen Me-dien eher Unbewanderte problemlos.Folglich wächst sich das Bloggen zu einem neuen Online-Trend aus. Etwa 60 Millionen Men-schen nutzen Blogs inzwischen, in Deutschland bloggen bislang etwa 200.000 Bürger, Ten-denz steigend. Neben der einfachen Bedienung der Blogs qualifizieren sie sich aber vor allem durch eine bislang nicht gekannte Funktionalität auch für den Einsatz in der Schule.Wie bereits beschrieben, kann der Nutzer auf der Seite Texte veröffentlichen. Neben Texten lassen sich aber auch Bilder einstellen oder Links zu anderen Seiten setzen. Die entscheidende Neuerung liegt allerdings in der Interaktivität von Blogs.
Jeder Besucher der Seite kann zu den eingestellten Texten mit Hilfe einer Antwortfunktion Kommentare ver-fassen. Es entsteht ein Diskussionsforum! Dabei kann jeder Teilnehmer jederzeit von jedem Rechner mit Internetanschluss an der Diskussion teilnehmen und auch die Einträge der ande-ren Diskutanten betrachten und darauf reagieren. Diese Funktionen werden zwar teilweise auch von den bereits bekannten Chat-Rooms bedient, die Nachrichten in Blogs sind allerdings darüber hinaus nicht auf zeitnahe Kommunikation angewiesen, sondern halten die Notizen dauerhaft vor. Darüber hinaus halten Blogs noch weitere Möglichkeiten bereit, wie die „Trackback-Technik“, die ein Verlinken mit anderen Sites problemlos ermöglicht, sowie die RSS-Technik, die eine Form von Abo-Service darstellt und die neuesten Infos eines Blogs stets aktuell auf den heimischen Rechner zustellt. Blogs als LesetagebücherDie Ausführungen zeigen: Blogs sind geradezu prädestiniert, als Lesetagebuch eingesetzt zu werden. Dabei findet in vielerlei Hinsicht eine Erweiterung der Möglichkeiten der bisherigen Form statt. Der Einsatz neuer Medien stellt eine motivationale Aufwertung des Lesetagebuchs dar. Vor allem Jungen werden über das Medium Internet, zu dem sie eine hohe Affinität aufweisen, den Zugang zu Lesetagebüchern leichter finden. Zudem werden über den spielerischen Umgang mit dem Computer und dem Internet einer-seits Kompetenzen vermittelt, wie sie von den Bildungsplänen im Bereich „Neue Medien“ gefordert werden. Andererseits können daran soziale Lernziele wie die Stärkung des Selbst-bewusstseins sowie eine hohe Identifikation mit dem in der Gruppe Erarbeiteten angeknüpft werden. Darüber hinaus bieten Blogs mit ihrer interaktiven Struktur als Diskussionsforum eine Mög-lichkeit, sich über das Gelesene sowie die eigene Meinung und die anderer auszutauschen, und das ohne zeitliche und räumliche Einschränkung. So ist neben dem Austausch mit Klas-senkameraden selbst eine Diskussion über Ländergrenzen und Kontinente, beispielsweise mit Schülern einer Partnerschule, problemlos und ohne Mehraufwand durchführbar.Aufbauende Synergieeffekte für das Sprachenlernen oder interkulturelle Projekte seien hier nur angedeu-tet.
Die Trackback-Technik macht es zudem möglich, die Blogs als eine Art Portfolio zu einzel-nen Teilthemen zu installieren, die dann jeweils miteinander verlinkt ein Netzwerk zu einer Lektüre bilden und somit verschiedene Teilaspekte unabhängig beleuchten können. So kann Gruppenarbeit an verschiedenen Stellen der Lektüre zeitgleich erfolgen.Ganz „nebenbei“ arbeiten die Jugendlichen dabei mit dem Arbeitsmittel „Lesetagebuch“ – mit allen positiven didaktischen Konsequenzen, die diese Methode beinhaltet. So findet ein spie-lerischer Umgang mit Literatur statt, der zwar das Lesen von Literatur ins Zentrum stellt, dar-über hinaus aber den Produktionsaspekt betont und die Schülerinnen und Schüler ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen, Meinungen und Wünsche zum Buch auszudrücken und der Diskus-sion im Plenum zu stellen. AusblickEs wird deutlich, dass Blogs eine Vielzahl von Features bereithalten, wodurch sie für den künftigen Einsatz in der Schule bedeutend werden. Im Rahmen einer Dissertation an der Pä-dagogischen Hochschule Ludwigsburg zur Leseförderung bei Jungen wird momentan diese neuartige Technik als Lesetagebuch eingesetzt und evaluiert.
Literatur:
Bertschi-Kaufmann, Andrea (2003). Das Lesetagebuch. Anregungen für alle Schulstufen. In: Die Grundschulzeitschrift 17/165-166, S. 22-23
Haas, Gerhard/Menzel, Wolfgang/Spinner, Kaspar H. (1994). Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch 123, S. 17-25
Hintz, Ingrid (2002). Das Lesetagebuch: Intensiv lesen, produktiv schrieben, frei arbeiten. Bestandsaufnahme und Neubestimmung einer Methode zur Auseinandersetzung mit Büchern im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. (=Deutschdidaktik aktuell; Bd. 12)http://www.stern.de/computer-technik/internet/:Internet-Trend-Der-Weg-Blog/545969.html [Zugriff: 14.09.2005].
www.stern.de/computer-technik/internet/545997.html [Zugriff: 14.09.2005]http://www.stern.de/computer-technik/internet/546011.html?nv=ct_mt [Zugriff: 14.09.2005]http://www.stern.de/computer-technik/internet/546012.html?nv=ct_mt [Zugriff: 14.09.2005].
JIM-Studie (2002). www.mpfs.de/studien/jim/jim02.html [Zugriff: 14.09.2005]Marci-Boehncke, Gudrun (2005). Unter der Lupe. Das Buch und seine Fans im Medien-dschungel. In: Didaktik Deutsch 18. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. S. 31-46
Schwarz, Johanna (2000). Das Lesetagebuch als Dokument von Leseerfahrungen. In: Informationen zur Deutschdidaktik 24/2, S. 115-129
Waldmann, Günther (1984). Grundzüge von Theorie und Praxis eines produktionsorientierten Literaturunterrichts. In: Hopster, Norbert (Hg.): Handbuch „Deutsch“. Paderborn: Schöningh. S. 98-141
Beitrag aus Heft »2006/01: Frühkindliche Medienaneignung«
Autor:
Christian Weißenburger
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Kathrin Demmler: Podcast - Radio mobil
Podcast – Radio mobilIm Gegensatz zu bewegten Bildern aus Film und Fernsehen haben Töne aus Radio und Musikindustrie schon früh das Internet erobert. Dank MP3 konnten Audiodateien gut komprimiert und relativ schnell heruntergeladen werden. Ein großer Enthusiasmus wollte dabei aber nie aufkommen. Das Downloaden war und ist zwar bei Jugendlichen sehr beliebt, allerdings geht es hier um Songs und Klingeltöne. Radiosender nutzten das Internet bisher allenfalls als Archiv. Mit dem Hype um den Ipod und dem damit einhergehenden generellen Boom an MP3-Playern – 2005 besaßen 66 % aller Jugendlichen einen MP3-Player – entstand aber ein neuer Bedarf an Content.
Die großen Festplatten wollten gefüllt werden und neben Musik stieg auch das Interesse an Hörbüchern, Radiobeiträgen und Co. Zum Ipod kam der Podcast. In Podcasts werden alle bisherigen Technologien zusammengefasst. Die Beiträge stehen als MP3 zum Herunterladen zur Verfügung, werden online gestreamt und können nun zusätzlich mit einem kleinen Software-Tool, dem Podcast-Empfänger, in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Dazu müssen die NutzerInnen lediglich die Podcast-Adressen (RSS-Feed) ihrer Lieblingssender eintragen, regelmäßig online gehen und ihren MP3-Player an den Computer anschließen. Automatisch werden dann neue Podcasts heruntergeladen und in einem selbst gewählten Verzeichnis, auch direkt auf dem MP3-Player gespeichert. Podcasts boomen heute, wie im letzten Jahr die MP3-Player geboomt haben. Alle großen Radiosender stellen ganze Sendungen oder Airchecks ihrer Sendungen in einem Podcast zur Verfügung. Um nur einige Beispiele zu nennen: Dasding vom SWR bietet Podcasts in sechs verschiedenen Kategorien an, der bayerische Rundfunk stellt Podcasts aus jedem Sender, vom Wochenhoroskop bis zu Land und Leute, zur Verfügung.
Neben den Radiosendern bieten Privatleute regelmäßig themenzentrierte Podcasts an , Bands nutzen Podcasts zur Vorankündigung von neuen Platten . Das in Brechts Radiotheorie formulierte Postulat, den Empfänger zum Sender zu machen, wäre damit so leicht umsetzbar wie noch nie. Man muss sich nicht mehr in die Studios eines Offenen Kanals oder Aus- und Fortbildungskanals wagen, um seine Meinung der Öffentlichkeit kund zu tun, sondern kann dies mit einem Computer und Mikrofon bequem von zu Hause aus machen. Aktuell ist der Enthusiasmus groß, dabei sind aber noch viele Fragen offen. Wie sieht es mit der Finanzierung von Radiosendern aus, wenn die Sendungen in Einzelclips zerlegt via Podcast ausgestrahlt werden? Wie verändert sich das Radioprogramm, wenn mehr Leute das Angebot via Podcast hören als über das Radio? Wie kommen Menschen an aktuelle Informationen, wenn sie sich ihr Radioprogramm für den Tag am Morgen auf ihren MP3-Player laden? Medienpädagogisch lassen sich diese Fragen nicht beantworten, aber es ist eine Chance und Herausforderung, sich mit der Entwicklung auseinander zu setzen, denn während die Einschaltquoten sinken, steigen die Downloadquoten und das Interesse am Veröffentlichen von eigenen Beiträgen wächst. Radiosender versuchen über das Internet neue Zielgruppen zu erreichen, andere versuchen überhaupt eine Zielgruppe zu finden und manche versuchen sich einen modernen Touch zu geben. Das erzbischöfliche Ordinariat Regensburg stellte 2005 einen Adventskalender als Podcast zur Verfügung ... Somit bleibt viel auszuprobieren und es wäre interessant zu wissen, ob Brecht wohl seine neuesten Werke über Podcast vertrieben hätte?
Quellen: JIM-Studie 2005, www.dasding.de/info/wissen/podcasting/podcast.html www.br-online.de/br-intern/thema/download/all-feeds.xml wissenschaft.wanhoff.de/podcast.phpbestof.tocotronic.de/podcast/bestoftocotronic.rss
Carola Schöppel: Kindermärchenbuch zum Download
„Schokobär und Marzihäschen – ein Wintermärchen“ von Axel Dahm ist das erste Kinderbuch, das komplett im Internet gelesen, herunter geladen, gehört und auch gekauft werden kann. Trotz seiner Webpräsenz ist das Wintermärchen auch im Buchhandel erhältlich.
Die Geschichte erzählt vom kleinen und etwas schüchternen Marzihäschen sowie von seinem besten Freund, dem großen und mutigen Schokobär, die beide vom alten Zuckerbäcker Leopold mit liebevoller Handarbeit gefertigt wurden. Leopold hat seine Zuckersachen grundsätzlich immer nur ganz besonders braven Kindern gegeben, seine beiden Prachtexemplare – Schokobär und Marzihäschen – wollte er ohnehin nicht verkaufen. Als aber eines Tages Karamelitus Kranenberg, ein reicher Mann aus der Ferne, sich die zwei Zuckertierchen durch eine Lüge aneignet, um mit ihrer Schönheit angeben zu können, startet ein großes Abenteuer für die zwei Helden des Märchens. Denn schließlich waren sie ja dafür bestimmt, braven Kindern eine Freude zu machen und nicht dafür, dass sie von reichen Menschen zur Schau gestellt werden. Und noch dazu ist Karamelitus’ Tochter ganz und gar nicht artig, sondern spielt sowohl den Menschen als auch den Tieren böse Streiche!Wird es den beiden gelingen, den Weg zum alten Leopold zurück zu finden und den Betrug aufzuklären?
Die Internet-Seite ist benutzerfreundlich aufgebaut. Schnell erschließen sich die entsprechenden Buttons, mit denen man das Märchen lesen, herunter laden, anhören oder kaufen kann. Das Layout der Seite entspricht dem Märchenbuchcharakter der Geschichte und stellt somit die Verbindung zum gebundenen Buch her.
Dass das Buch trotz der Webpräsenz gekauft werden wird, davon ist der Autor überzeugt: „Der Inhalt eines Buches, zumal eines Kinderbuches wirkt erst, wenn man es immer wieder zur Hand nehmen, anschauen und lesen kann. Der Wert eines Buches wird immer bleiben und kann durch das Internet nicht ersetzt werden.“ Die Veröffentlichung im Internet diene laut seiner Aussage lediglich dazu, dass Eltern bei der sehr großen Auswahl an Kinderbüchern nicht „die Katze im Sack“ kaufen müssen, da sie das Buch vorher im Internet in Ruhe durchblättern und bewerten können. Das Internet erleichtert also lediglich die Entscheidung für ein Buch.„Schokobär und Marzihäschen – ein Wintermärchen“ ist Axel Dahms erstes Kinderbuch und ist für Kinder ab drei Jahren gedacht. Es liest sich wie ein schönes Märchen von früher, als die Helden noch richtige Abenteuer bestehen mussten. Sitte Klijn-Hudson hat das Buch aufwändig illustriert und als Märchenbuch inszeniert.
www.schokobaer-und-marzihaeschen.de
Michael Grisko: Telenovelas
Sie heißen Lisa, Sophie oder Tessa, sind „Verliebt in Berlin“, „Braut wider Willen“, führen ein „Leben für die Liebe“ oder sind wie „Lotta in Love“ (so der Titel des täglichen Fernsehmärchens, im Frühjahr auf ProSieben anlaufen soll ).Nach dem Erfolg des sonst wenig experimentierfreudigen ZDF mit „Bianca – Wege zum Glück“ im Jahr 2005 und dem Deutschen Fernsehpreis im gleichen Jahr für „Verliebt in Berlin“ (SAT.1) gehört das Wort „Telenovela“ – in vielen medienwissenschaftlichen Lexika noch verschämt versteckt in den historischen Urgründen der „Serie“ – längst zum Wortschatz jedes durchschnittlichen deutschen Fernsehzuschauers und zum eloquent beschworenen Gegenstand feuilletonistischer Medienkritik. So diagnostizierte Andrea Kaiser im letzten Jahr die „fiktionale Karamelkernschmelze Telenovela“ und die erste Herzschmerz-Bianca wurde kurzerhand zum „blonden Seniorinnen-Engel des ZDF.“ (Kaiser 2005) Mittlerweile sendet das ZDF die Telenovelas im nachmittäglichen Doppelpack.Und so haben auch die Programmplaner der großen deutschen Sender längst jenes brückenschlagende Format zwischen bezahlbarem fiktionalen „Gefühlsfernsehen“ und hochindustriell gefertigtem Massenprodukt als Einstieg in die so wichtige Access-time des deutschen Vorabendprogramms entdeckt und wollen gar nicht mehr von ihm lassen.
Als Folge boomen die Produktionsfirmen (vgl. Siebenhaar 2005), neue Produzenten entstehen , es werden eigene Scriptschulen (vgl. Kals 2005) gegründet und kurzfristig kursierten sogar Pläne, ganze Sender mit dem segensbringenden Format der Telenovela zu bestücken. So plante das 1996 gegründete israelische Unternehmen Dori Media Group, das sich auf die Produktion und den Vertrieb von Telenovelas spezialisiert hat, ein eigenes Telenovela-Angebot. Als möglicher Starttermin (bei unklarem Finanzierungsmodell) wurde April 2006 genannt. Und nach dem Niedergang des deutschen Kinos sind es die deutschen Fernsehanstalten, die dafür sorgen, dass weniger der Mythos als vielmehr die Bilanz der Medienunternehmer in Babelsberg wieder leuchtet (Pauli 2005).Im Programmfluss sorgen die Telenovelas – im südamerikanischen Fernsehen attraktives Rahmenprogramm für hochpreisige Werbung – für eine erneute Veränderung des nachmittäglichen Fernsehprogramms. Langsam werden die Gerichtsshows von ihren Sendeplätzen verdrängt, die ihrerseits den Drang der Trash-Talkshows zur zunehmenden Fiktionalisierung längst habitualisiert hatten. Das kurzzeitig gehypte Reality-TV scheint auf dem Rückzug. Langsam schließt sich so vielleicht jene Lücke, die bislang noch zwischen den ebenfalls schon im industriell gefertigten Fließbandverfahren hergestellten Ermittlershows à la „Lenssen und Partner“ (SAT.1) und K11 (SAT.1) den Daily Soaps und den Gerichtsshows existiert. Die Telenovela verschärft den bereits seit einiger Zeit beobachtbaren und nun konvergierenden Trend zur Vereinfachung, Serialisierung und zunehmenden Vorhersehbarkeit im Bereich des fiktionalen Fernsehens. „Gefühlsfernsehen“ oder „Wohlfühlfernsehen“ nennen wohlwollende Programmplaner dieses im Trend der weichspülenden und schicksalsverstehenden „Kernerisierung“ und „Pilcherisierung“ des Programms mitschwimmende und mittlerweile Maßstäbe setzende Genre. Entscheidend ist wohl auch die Tatsache, dass im Gegensatz zu den erfolgreichen Daily Soaps, wie etwa „Marienhof“ (ARD), „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (RTL) und „Unter uns“ (RTL) und wöchentlichen Serien („Lindenstraße“, ARD) noch klarere Erwartungshaltungen und Gewissheiten beim Publikum bedient werden: Es sind nicht mehr mehrere Handlungsstränge, die miteinander verknüpft werden müssen. Im Mittelpunkt der Telenovelas stehen die Erlebnisse einer weiblichen Protagonistin (blond, langhaarig, ‚Seelchenblick’), die in neuer Umgebung die Liebe ihres Lebens – natürlich nach allerlei Umwegen – findet. Oder wie es Andrea Kaiser formuliert: „Auch künstlich verzögert, bleibt das Ende absehbar.“ (Kaiser 2005)
Es sind die bekannten und immer wieder gern bemühten Versatzstücke der Groschenheftdramatik, die – vor allem bei ZDF und ARD – gemischt werden: Standesunterschiede, Intrigen, Lügen, Missverständnisse, Verzicht. Es fällt nicht schwer, dem Spiegelkritiker zuzustimmen, der schrieb: „Die ZDF-Julias und ARD-Lauras sind absolut humor- und realitätsfreie Courths-Maler-Zone“. Die ARD variiert dieses Schema mit Soap-Sternchen Yvonne Catterfeld historisch. Und bei SAT.1, wo das in entsprechenden Stoffen mündende Interesse an den 19- bis 49-jährigen Zuschauern deutlich höher ist und auch schon mal der richtige Weihnachtsmann auftreten darf, ist die Protagonistin Lisa Plentzke schon etwas eigenständiger und -williger – es bleibt aber in der Grundlage die Wandlung vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan. Und damit ein modern gewandeltes Märchen und Glücksversprechen.Mittlerweile unverzichtbar sind die medienbegleitenden Aktionen im Internet (Chat, Fanclub, Lifestyle) und im Print-Bereich (Zeitschriften, Bianca-Romane). Und selbst gestandene Stern-Redakteurinnen dürfen fernab einer gesellschaftlichen Bewertung und übergreifenden kritischen Einordnung ihre Telenovela-Sehnsucht beschreiben (Holst 2005). Auch insofern nur eine Fortsetzung bekannter Verhältnisse und nichts Neues.Und die Gründe für den Erfolg? „Bianca“ erreichte einen Marktanteil von 24,6 % (12,3 % bei den 14- bis 49-Jährigen); „Verliebt in Berlin“ (startete bei 16,6 % bei den 14- bis 49-Jährigen, zwischenzeitlich bei ca. 25%) und „Sturm der Liebe“ (5 % bei den 14- bis 49-Jährigen). Die zwischenzeitlich gestartete ZDF-Telenovela „Julia“ brachte es nicht auf die Traumquoten der Vorgängerin „Bianca“. Vielleicht hat Claus Beling, Leiter der Hauptredaktion Unterhaltung Wort beim ZDF und Vater des Novela-Booms recht, wenn er in einem Interview betont: „Das Menschliche wird in einer Zeit, die in der Realität zunehmend als kalt empfunden wird, von vielen Menschen gesucht im Erzählen interessanter, sympathischer Figuren. [...] Je kälter die Außenwelt, desto interessierter ist man an einer warmen Menschlichkeit aus dem Fernsehen.“ Diese Menschlichkeit umfasst auch narrative und gesellschaftliche Vorhersehbarkeit, Überschaubarkeit und Gewissheit in einer zunehmend komplexeren Welt. Und so vermutet die Zeitung „Die Welt“ einen Trend: „Der Zuschauer ist offenbar des Kämpfens (Big Brother), Wählens (Deutschland sucht den Superstar) und Abstrafens (Dschungelcamp) müde.“ Das Publikum suche, „von Rezession und Hartz IV derart verunsichert“, so die Analyse weiter, „sein Heil nun in überschaubaren Strukturen und Abläufen – kurz in der Regression“. Unter dem Stichwort der Trivialisierung, unterfüttert mit Elementen der kritischen Theorie, hat man in den 1970er Jahren schon einmal auf die Gefahren der fiktionalisierten Darstellung standardisiert-menschlicher Verhaltensweise hingewiesen.
Wieder einmal mehr ist die Medienpädagogik gefragt, um Seh- und Rezeptionsgewohnheiten ausdifferenzierend zu hinterfragen.Viel stärker scheint der Schaden in einem anderen wichtigen Segment zu sein. Während sich die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsender konsequent einer Debatte über den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entziehen und die Programmkonvergenz schleichend voranschreitet, verliert sich das Kulturgut Fernsehen immer mehr zu einem reinen Wirtschaftsgut. Dies konstatiert auch der Medienpublizist Dietrich Leder in seiner Kritik an der ARD: „Die ARD handelt genau dort rein wirtschaftlich, wo sie einst kulturell bedeutsam war – auf dem Feld des Fernsehfilms, des Dokumentarfilms, der anspruchsvollen seriellen Erzählung. Sie verhält sich im Sinne eines kulturellen Protektionismus dort, wo sie wirtschaftlich agieren müsste. Oder anders gesagt: Unter dem Kunstvorbehalt steht in der ARD nur noch der Kitsch. Man kann sich auf elegantere Weise umbringen.“ (Leder 2005) Und auch der Spiegel muss feststellen: „Aber so konsequent und hemmungslos wie die Öffentlich-Rechtlichen wagt bislang kein Privatsender, die Kitschfenster sperrangelweit aufzureißen.“ Tatsache ist, dass der finanzielle Druck auf die privaten und öffentlich-rechtlichen Sender immer größer wird. Dies ist ein weiterer Grund für den Erfolg der Telenovelas, denn es sind vor allem neue und konsequent industrialisierte Produktionsweisen der Jahresserien, die nicht nur den kurzfristigen Erfolg garantieren, sondern langfristig das gesamte Produktionssystem umkrempeln.Denn auch im industriellen Bereich setzen die Produzenten neue Maßstäbe. Für das ZDF produziert Grundy UFA 47 Sendeminuten, d. h. eine komplett geschnitten und postproduzierte Sendung am Tag – bei geschätzten Kosten von ca. 110.000 Euro. Zwei Drehteams und mehrere Autoren und Storyliner arbeiten parallel an der Fertigstellung jeweils einer Folge. Krankheiten der Hauptdarsteller in dem jeweiligen Drehjahr: unerwünscht, Reaktionen auf neue Trends: jederzeit möglich.
Die Bavaria, Produzentin der ARD-Romanze „Braut wider Willen“, setzt auf die vollständig digitale Produktion und die direkte Übertragung der Drehergebnisse auf Festplatte und Server: Umkopieren und neu einspielen unnötig. Dieser sogenannte tapeless workflow spart Zeit und Kosten.Die Kosten diktieren also das Drehtempo und bestimmen am Schluss das gesamte Programm, deren Erzähltechniken und Ästhetiken. Es sind also weniger Fernsehexperimente im Gewand der Telenovela oder der „romantischen Serie“ als vielmehr die konsequente Fortsetzung bereits industrialisierter Programmmarken und -formate in einem von Seiten der Fiktionalisierung und Industrialisierung radikal zu Ende gedachten und auf den aktuellen deutschen Fernsehmarkt zugeschnittenen Setting, das – solange es Quoten bringt – auf den Sendeplätzen zu finden sein wird.
Literatur
Gangloff, Tilmann P. (2005). Sehnsucht nach der schönen heilen Welt. In: Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2005
Holst, Evelyn (2005). Bye-bye, Bianca! In: Stern, 06.10.2005
Kals, Ursula (2005). Aschenputtels Erben. Drehbuchschreiben für die Telenovelas. Solides Handwerk und viel Süßstoff. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2005
#Kaiser, Andrea (2005). Kreativmaschinerie. Telenovelas und ihre billige Produzierbarkeit. In: epd-Medien, 23.11.2005Pauli, Harald (2005). Babelsberg leuchtet wieder. In: Focus, 19.12.2005
Siebenhaar, Hans Peter (2005). Telenovelas bescheren UFA Rekorderlös. Deutschlands größter Fernsehproduzent hängt den von Krisen gebeutelten Konkurrenten Bavaria ab. In: Handelsblatt, 19.10.2005
Petra Buck: "Happy Birthday Amadeus"
Das Jahr 2006 steht ganz im Zeichen eines der begabtesten Komponisten und Musiker aller Zeiten: Wolfgang Amadeus Mozart. Am 27. Januar 2005 jährte sich sein Geburtstag zum 250. Mal. Anlässlich des feierlichen Jubiläums entwickelten Vertreter aus dem Medien- und Musikbereich ein umfassendes Konzept, um das Interesse der heranwachsenden Generation für das musikalische Genre der klassischen Musik (wieder) zu erwecken, das im Zeitalter von Casting-Shows und Boygroup-Hysterie immer mehr in Vergessenheit geraten ist. Vertrautes Genre als Brücke
Doch welche zeit- und altersgemäßen Möglichkeiten gibt es, Kindern in der heutigen Zeit den Zugang zu diesem „antiquierten“ musikalischen Terrain attraktiv zu machen? Der Kinderkanal (KI.KA) von ARD und ZDF, sowie die dritten Programmen SWR, HR und NDR haben sich gemeinsam mit den Produktionsgesellschaften GATEWAY4M und „Penta TV“ (die unter anderem bereits für Beiträge der deutschen Sesamstraße verantwortlich zeichnet), dieser Herausforderung gestellt und ein entsprechendes TV-Format für die Zielgruppe der Sechs- bis Zehnjährigen entwickelt. Hauptcharakter der zunächst 26-teiligen Zeichentrickserie „Little Amadeus“ ist niemand Geringeres als das musikalische Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart. Wer wäre schließlich besser als Botschafter klassischer Musik und Identifikationsfigur für Kinder geeignet, als der kleine Amadeus, der bereits im zarten Alter von vier Jahren sein erstes Klavierkonzert komponierte? Die Wahl des Genre „Zeichentrick“ verspricht durch Anknüpfung an die kindlichen Rezeptionsgewohnheiten und -vorlieben ebenfalls Neugier und Gefallen des jungen Publikums zu wecken und ihnen eine spielerische Annährung an das Thema zu ermöglichen.
Wie beim Inhalt wurde auch bei der graphischen Gestaltung der jeweils 24-minütigen Episoden großer Wert auf die Verknüpfung historischer Fakten und unterhaltungsfördernder Stilmittel gelegt. Während die agierenden Figuren dabei einer stark comicartigen Stilisierung unterzogen wurden, orientierte man sich bei der aufwendigen Hintergrundgestaltung im Besonderen an historisch überlieferten Abbildungen. Auch inhaltlich bewegen sich Charaktere und Handlung zwischen Fiktion und belegten Tatsachen. So lassen sich zahlreiche faktische Begebenheiten, wie die Konzertreisen der Familie Mozart in die verschiedenen europäischen Metropolen, bekannte Weggefährten und historische Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts in der Serie wiederfinden. Anderes wurde dagegen neu erdacht. Die Figur des intriganten Hofdieners Devilius zum Beispiel, der zusammen mit seiner Ratte Monty unermüdlich Pläne schmiedet, um Amadeus das Leben schwer zu machen. Er steht stellvertretend für die zahlreichen Neider der Familie Mozart. Natürlich dreht sich aber auch im Leben des 8-Jährigen Mozarts nicht alles ausschließlich um Musik. Wie seine Altergenossen heckt sein freches Zeichentrick-Pendant den ein oder anderen Streich aus und erlebt mit seinen Freunden und Hund Pumperl verschiedene Abenteuer. Dies ist ein weiterer Aspekt, der den potentiellen Unterhaltungswert der Serie für eine junge Zielgruppe ausmacht. Der hohe Stellenwert der musikalischen Gestaltung der Produktion versteht sich indes von selbst. Weitgehend originalbelassene Themen Mozarts werden hier durch moderne Variationen seiner bekannten Werke, eingespielt von namenhaften Solokünstlern und Combos, wie dem portugiesischem Nationalorchester, angereichert. In jeder Episode bildet zudem eine spezielle Komposition des Titelhelden den thematischen Schwerpunkt.„Little Amadeus – Die Abenteuer des Jungen Mozart“ eröffnet Kindern auf diese Weise die Option einer primär unbewussten Annährung und erlebnisorientierten Anneigung klassischer Musik. Mozart im internationalen VermarktungsdschungelDabei ist die zeitgleiche Erstausstrahlung der Serie im deutschen Kinderkanal, dem österreichischen ORF und schweizerischen SFDRS ab Mitte Januar erst die Spitze des internationalen Eroberungsfeldzuges. Weitere europäische, asiatische und afrikanische Länder haben bereits die Lizenzrechte der Sendung erworben. So lässt sich wohl auch die anfänglich befremdlich wirkende Wahl eines englischen Serientitels, für einen Gegenstand der traditionell mit dem deutsprachigen Raum verwurzelt ist, erklären. Flankiert wird der weltweite Export des edukativen Zeichentrickspektakels außerdem durch eine umfangreiche Merchandisingmaschinerie, die in Begleitangeboten wie einem mehrsprachigem Internetauftritt und anderen konvergenten Medienangeboten, von der CD über das Buch bis hin zum in Planung stehenden Kinofilm, mündet. Vom Rezipienten zum AkteurÜber den bloßen Akt der Rezeption hinaus bot der erste „Little Amadeus & Friends Aktionstag“, unter der Schirmherrschaft der deutschen Mozart-Gesellschaft, am 27. Januar Schülerinnen und Schülern sprichwörtlich „Klassik zum anfassen“. Unter dem Motto „Happy Birthday Amadeus“ wurden Musiker verschiedenster Institutionen aufgerufen, ihre Instrumente, ihr musikalisches Wissen und ihre Begeisterung für klassische Musik in deutsche Grundschulen zu tragen. Begleitend standen den Pädagogen Lehr- und Informationsmaterialien zur weiteren Vertiefung der Thematik mit ihren Schülern in unterschiedlichen Unterrichtsfächern zur Verfügung.
Carola Schöppel: Ein Jugendlicher gerät auf die schiefe Bahn
Der Roman „Rolltreppe abwärts“ des kürzlich verstorbenen Hans-Georg Noack wurde schon über drei Millionen Mal verkauft. Nun ist er zum ersten Mal verfilmt worden – von und mit Jugendlichen! Regisseur Dustin Loose (18) und Produzent Christopher Zwickler (20) gründeten für das außergewöhnliche und einzigartige Filmprojekt gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern vom Bonner Hardtberg-Gymnasium die Filmproduktionsfirma SceneMissing und sicherten sich Unterstützung von Profis und Unternehmen aus dem Filmbereich zu.
Zum Inhalt: Der 13-jährige Jochen hat keine Freunde. Mit seinem zukünftigen Stiefvater gibt es nur Streit und seine Mutter arbeitet sehr viel, um ihre Familie durchzubringen, weshalb Jochen oft alleine ist. Er sehnt sich nach Freundschaft, Aufmerksamkeit und Geborgenheit. Aus Hunger beginnt er mit kleinen Kaufhausdiebstählen, die sich jedoch ausweiten. Dabei lernt er den älteren Alex kennen, der Jochen alles zu bieten scheint, was er sucht. Als Jochen aber eines Tages bei einem seiner Diebstähle erwischt wird, distanziert sich Alex von ihm; aus Wut und Enttäuschung über dessen Verhalten schlägt Jochen Alex zusammen. Seine Mutter weiß sich nicht mehr anders zu helfen und übergibt Jochen einem Fürsorgeheim, wo ihn der harte Drill und die tägliche Kontrolle von Herrn Hamel erwarten.
Für Jochen erscheint sowohl sein Verbleib als auch seine Rückkehr nach Hause ausgeschlossen. Er beschließt, aus dem Heim auszubrechen. Auf einem zerstörerischen Streifzug durch die Stadt eskaliert die Situation...
Der junge Hauptdarsteller Timo Rüggeberg, der in einem offenen Casting entdeckt wurde, kann in der Rolle des frustrierten, einsamen und verzweifelten Jugendlichen überzeugen. Durch die teilweise überzogene Darstellung der Personen gewinnt der Film neben seiner Handlung nochmals an Dramaturgie.
Der Roman von Hans-Georg Noack spielt im Jahr 1971 – der Film hingegen im Jahr 2005, was der Zuschauer u. a. daran erkennt, dass Jochen im Film nicht ein Transistorgerät, sondern einen MP3-Player klaut.„Rolltreppe abwärts“ – Ein wirklich gut gelungener Film von Schülern für Schüler. Ein Film, der zum Nachdenken anregt.
Rolltreppe abwärts
Deutschland 2005, 79 Min.
Regie: Dustin Loose
Darsteller: Timo Rüggeberg, Jürgen Haug, Giselheid Hönsch
Verleih: Zorro Film GmbH
Carola Schöppel: Der größte Herzensbrecher aller Zeiten
„Casanova“ ist eine romantische Komödie über den legendären Autoren, Philosophen und Herzensbrecher Giacomo Casanova. Regisseur Lasse Hallström hat sich auf erfrischend moderne und humorvolle Weise dem unsterblichen Mythos Casanovas genähert und vor der nostalgischen Kulisse des Venedig des 18. Jahrhunderts einen Film mit vielen Verwechslungen und Intrigen geschaffen.
Nach zahlreichen Liebschaften lernt Giacomo Casanova die selbstbewusste Schriftstellerin Francesca Bruni kennen, die, wie es scheint, die einzige Frau ist, die seinem Charme widerstehen kann. So muss Casanova plötzlich den Unterschied zwischen dem Reiz der Eroberung und der Macht der wahren Liebe erkennen und erstmals um die Gunst einer Frau werben. Dies wird ihm aber zusätzlich erschwert, da Francesca bereits einem reichen Unbekanntem versprochen wurde...
„Casanova“ ist ein witzig gestalteter Film, der sein Publikum zum Lachen bringt. Allerdings sollte sich der Zuschauer keine hintergründigen Informationen zum Leben und Wirken des Giacomo Casanova erwarten, da es sich hier lediglich um eine unterhaltsame und romantische Liebeskomödie handelt.
Casanova
USA 2005, ca. 100 Min.
Regie: Lasse Hallström
Darsteller: Heath Ledger, Sienna Miller, Jeremy Irons
Verleih: Buena Vista International
Kati Struckmeyer: Eine behutsame Erkundung des Wesens der Liebe und ihrer Grenzen
Was passiert, wenn sich eine junge Frau, die geistig behindert ist und ihr Zivi ineinander verlieben? Die Frage, die Regisseur Leo Hiemer in seinem Film „Komm, wir träumen!“ stellt, ist umso spannender, als die Auseinandersetzung damit fast keine Öffentlichkeit hat.Nach einem autobiografischen Roman von Volker Jehle erzählt Hiemer von Ulrike, die sich nicht in die „normale“ Welt einzuordnen vermag und den Alltag durch ihre unbändige Emotionalität „stört“, was in wilden Anfällen zum Ausdruck kommt.
Eckart, der die Werkstattgruppe, zu deren Beschäftigten auch Ulrike gehört, als Zivildienstleistender übernimmt, wird von genau dieser inneren Absolutheit fasziniert. Dabei kommt er Ulrike so nah, dass die Grenzen zwischen professioneller Zuwendung, Freundschaft und Liebe langsam verschwimmen. Während Eckart unablässig mit sich und seinen Emotionen kämpft, konzentriert Ulrike ihre Gefühle mit der ihr eigenen Leidenschaft ganz auf ihn. Doch bevor sich aus der gegenseitigen Faszination tiefere Gefühle entwickeln, kündigt sich mit dem Einfluss der gesellschaftlichen Konventionen und Eckarts eigenem Zweifeln bereits das Ende dieser entstehenden Liebe an. Ein Ausgang, der den Erwartungen unserer Gesellschaft entspricht.
Aus Nähe wird wieder Distanz, und was übrig bleibt, ist der Zweifel, sich selbst und den ei-genen Gefühlen im Weg zu stehen.Leider vermag „Komm, wir träumen!“ auf der filmästhetischen Seite weniger zu überzeugen. Die episodenhafte Erzählstruktur bremst die Liebesgeschichte zuweilen eher, anstatt sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Zu gewollt poetisch sind einige Dialoge, die dadurch an Authentizität verlieren. Dennoch, unvergesslich bleiben einzelne Szenen der wortlosen, behutsam erkundenden Zärt-lichkeit zwischen dem mit sich und seinen Grenzen kämpfenden Paar. Augenblicke, deren Hitze und Intensität man auch als Zuschauer spürt. Das Potential des Films liegt in diesen Momenten, in denen jeder Zuschauer seine eigenen Grenzen in der Auseinandersetzung zwischen Normalität und Konvention wiederfindet.
Komm, wir träumen!
D 2004, 93 Min.
Regie: Leo HiemerBuch: Volker Jehle
Darsteller: Anna Brüggemann, Julian Hackenberg, Jockel Thiersch, Beata Lehmann
Verleih: Leo Hiemer
Thomas Jacob: Zug um Zug
Rundenbasierte Strategiespiele zählen zu den intellektuell anspruchsvollsten Computerspielen. Wie bei ihrem Urahn, dem Schachspiel, kommt es hier nicht auf flinke Finger und gute Reflexe an, sondern nur logisches Denken und planvolles Handeln führen zum Sieg. Der Urahn: Schach
Prinzipiell ist jedes Rundenstrategiespiel am Computer ein Urenkel des altehrwürdigen Schachs. Um nur einige Gemeinsamkeiten aufzuzählen: Die Mitspieler sind abwechselnd an der Reihe. Jeder hat eine Anzahl verschiedener Spielfiguren mit unterschiedlichen Fähigkeiten zur Verfügung. Wer an der Reihe ist, kann in aller Ruhe seine Züge planen. Das Spiel folgt einem komplexen Regelwerk. Ziel ist es, sich durch geschicktes Taktieren und Ausnutzen der Spielregeln Vorteile zu verschaffen, und den Gegner schließlich zu besiegen. Diese Merkmale haben alle Rundenstrategiespiele gemeinsam, so unterschiedlich sie auch in Aussehen und Thematik sein mögen. Und da gibt es eine riesige Bandbreite, denn in fast dreißig Jahren Computerspielegeschichte gibt es kein Szenario mehr, das nicht bereits als Hintergrund für ein Strategiespiel herhalten musste. Von Panzerschlachten über Kreuzzüge bis zu bunten Fantasywelten ist für jeden Geschmack etwas dabei. Im Mittelpunkt steht dabei naturgemäß immer die kriegerische Auseinandersetzung: Auch Schach ist ja im Grunde nichts anderes als die abstrakte Umsetzung einer Schlacht zwischen zwei Heeren.
Die Väter: Tabletops
Noch näher als mit Schach sind Computer-Rundenstrategiespiele aber mit den so genannten Tabletop-Spielen verwandt. Hierbei werden riesige Schlachtszenarien mit Hunderten von kleinen Plastik- oder Zinnfiguren auf großen Landkarten nachgestellt, die auf dem Tisch (daher der Name) oder dem Fußboden aufgebaut werden. Die Fans solcher Spiele basteln in aufwendiger Kleinarbeit realitätsgetreue Kulissen und bemalen die kleinen Figuren liebevoll. Tabletops sind allerdings ein recht teures und aufwändiges Hobby. Ohne viel Zeit, Geld und Platz zum Aufbauen des Spiels kommt kaum Freude auf. Aus diesem Grund sind Tabletops immer Nischenprodukte für eine relativ kleine Zielgruppe von Fans geblieben.Genau an diesem Punkt knüpft der Computer an. Er übernimmt praktisch all die mühselige Arbeit eines Tabletop-Spiels: Das Erstellen eines Szenarios, das Aufbauen der Figuren, das komplexe Berechnen der Kampfergebnisse. Zudem ist der Rechner ein allzeit bereiter Gegner für ein Spiel. Viele Rundenstrategiespiele der ersten Generation waren dementsprechend entweder direkte Umsetzungen von Tabletops oder zumindest stark daran angelehnt. Die Designer konnten auf erprobte und beliebte Szenarien und Regelwerke zurückgreifen, die Spieler konnten sich ganz auf das Spiel selbst konzentrieren. Das war auch bitter nötig, denn viele Programme waren wahrhaft ultrakomplex. Der Spieler musste unzählige Einheiten befehligen, die meist als kryptische Symbole dargestellt wurden. Dazu kamen die erwähnten vielschichtigen Regelwerke – ohne das Studium der dicken Handbücher ging nichts.Höhenflug und NiedergangDoch schon bald versuchten Designer, Spiele zu entwerfen, die auf die Möglichkeiten des Computers zugeschnitten waren. Das Ergebnis dieser Experimente waren Spiele, die nicht mehr viel mit Tabletops gemein hatten, und die in dieser Form nur auf dem Computer möglich waren. Seinen Höhepunkt erreichte das Rundenstrategiegenre Mitte der neunziger Jahre mit erfolgreichen Spielereihen wie Civilization, X-Com und Jagged Alliance. Diese Spiele funktionieren auf mehreren Ebenen: In X-Com beispielsweise muss der Spieler Stützpunkte rund um den Globus aufbauen, neue Technologien erforschen, Soldaten und Wissenschaftler rekrutieren, Alienraumschiffe abfangen und im Anschluss deren Besatzung bekämpfen. Erforderlich sind also sowohl langfristige strategische Planung auf globaler Ebene als auch geschicktes Taktieren in den spannenden Rundenkämpfen gegen die Aliens. Rundenstrategie gehört damit zu den anspruchsvollsten Computerspielegenres. Dementsprechend ist die Zielgruppe solcher Spiele auch deutlich älter als bei actionbetonten Genres.Rundenstrategie gehörte lange Zeit zu den beliebtesten Genres. Der sperrige Name „rundenbasierte Strategiespiele“ war bis Anfang der neunziger Jahre überflüssig, denn bis dahin waren einfach alle Strategiespiele rundenbasiert. Die langsame Rechengeschwindigkeit der Computer sowie die umständliche Tastatursteuerung der Spiele ließen gar nichts anderes zu. Erst mit verbesserten Grafiken und Mausunterstützung kamen auch Strategiespiele auf den Markt, die in Echtzeit abliefen. Spiele wie Command & Conquer, Warcraft oder Age of Empires eroberten die Charts im Sturm. Viele Spieler empfanden den hektischen Echtzeitablauf als realistischer und spannender als das gemütliche Rundenspiel. Heute gibt es nur noch wenige erfolgreiche Strategiespiele, die rundenbasiert ablaufen. Das Genre ist zur Nische geworden. Nur wenige Ausnahmen, allen voran die immer noch erfolgreiche Civilization-Reihe, bestätigen diese Regel.
(Rezension Civilization IV im nächsten Heft)
Michael Gurt: Aus dem Leben eines Kinomoguls
DVD-Rom, Win 98/Me/2000/XP, Activision 2005, freigegeben ab 12 Jahren gemäß § 14 JuschG, ca. 49,95 Euro
Spieleentwickler Peter Molyneux gilt als eine Art Guru der Computerspiele-Szene: Sein Name steht für Innovation und Kreativität, seine Spiele „Populous“ (1989), „Black & White“ (2001) und „Fable“ (2004) sind Meilensteine, was neue Ideen, ungewöhnliche Spielmechanik und unverbrauchte Szenarien angeht. Auch wenn manche seiner ehrgeizigen Projekte nicht ganz so fortschrittlich und wegweisend ausgefallen sind, wie es sich die Spielerszene jeweils erhofft hatte, sind Neuerscheinungen aus dem Hause Molyneux immer mit großen Erwartungen verknüpft.So auch bei „The Movies“, das zwei Spiele in sich vereint: Zum einen ein Aufbau-Strategiespiel im Stil von „Railroad-Tycoon“, in dem der Spielende ein Filmimperium à la Hollywood erschafft. Dabei gibt es jede Menge Management-Aufgaben zu erledigen: Das Studiogelände muss ausgebaut und gestaltet werden, Stars verpflichtet und bei Laune gehalten werden, Filme gedreht und vermarktet werden usw. Die große Herausforderung liegt in der komplexen Verknüpfung der zahlreichen Variablen des Spiels, die sich auf vielfältige Weise gegenseitig beeinflussen: So hängt die Qualität der gerade gedrehten Szenen von der „Tagesform“ der Stars ab, die wiederum von der Erfüllung ihrer sozialen und körperlichen Bedürfnisse usw. beeinflusst wird.
Ziel des Spiels ist es, im Zeitraum zwischen 1920 und 2005 in den Rang einer „Filmlegende“ aufzusteigen, indem man durch herausragende Leistungen (Kassenschlager, die größten Stars, hohe Qualität der produzierten Filme usw.) die virtuelle Konkurrenz anderer Studios aus dem Feld schlägt.Das zweite Spiel im Spiel ist eine Art Baukasten, mit dem eigene Filme gestaltet werden können, die für Gewinne an der Kinokasse sorgen sollen. Die Streifen werden aus vorgegebenen Bestandteilen zusammengebastelt, wobei die Kombination der zahlreichen Versatzstücke ein großes Spektrum an Möglichkeiten eröffnet. Dennoch ist die filmische Gestaltungsfreiheit in den einzelnen Szenen sehr eingeschränkt: Kameraeinstellungen, Lichtgestaltung, Nachvertonung usw. können nur in sehr engen Grenzen selbst festgelegt werden. Trotzdem ermöglicht es der Baukasten, Geduld und Experimentierfreude vorausgesetzt, überraschend originelle Kurzfilme zu gestalten und ganz nebenbei etwas über den Aufbau von Spannungsbögen und die filmische Auflösung von Szenen zu lernen. Ein großes Manko des Spiels besteht allerdings darin, dass die beiden Teile unverbunden nebeneinander stehen: Ob man die Filme des eigenen Studios selbst zusammenbastelt oder computergenerierte Zufallsprodukte auf den Markt wirft, hat keinen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg im Aufbaustrategieteil.Das eigentlich Interessante an „The Movies“ spielt sich sowieso außerhalb des Spiels ab: Die selbst erstellten Filme können auf die Webseite movies.lionhead.com hochgeladen und dort einem größeren Publikum präsentiert werden. Mit den von anderen Nutzern verliehenen Sternen für die Qualität des eigenen Machwerks können wiederum neue Spielelemente „gekauft“, heruntergeladen und im Spiel verwendet werden. Dieses raffinierte Belohnungssystem gewährleistet einen hohen Motivationswert. So erfreut sich „The Movies“ einer äußerst aktiven Fangemeinde, die intensiv und kontrovers über inhaltliche und formale Aspekte der selbstproduzierten Werke diskutiert.
Bisweilen werden sogar aktuelle politische Ereignisse aufgegriffen. Der Film „The French Democracy“ von Alex Chan thematisiert die Unruhen in den Pariser Vorstädten im letzten Jahr. Die Washington Post und MTV widmeten dem Kurzfilm jeweils einen Beitrag. Man darf gespannt sein, ob die Nutzerinnen und Nutzer von „The Movies“ auch in Zukunft als unabhängige Filmemacher von sich reden machen.
Thomas Hermann: Heißa - Hopsa, jetzt wird's lustig!
Karlsson vom Dach und die Kuckelimuckmedizin (2005). Nach Büchern von Astrid Lindgren. CD-ROM, Win 98/NT 4.0/2000/ME/XP, Mac ab 9.2/OS X. Hamburg: Oetinger, 24,90 €
Nach Pippi und Ronja hat der fliegende Karlsson als dritter Held aus Astrid Lindgrens kinderliterarischem Universum den Sprung von den traditionellen Erzählmedien ins Bildschirmspiel geschafft. Zwanzig Spiele verspricht der Umschlag der CD-ROM und beim Aufstarten begrüßt uns Karlsson zum «besten Spiel der Welt». Zwar sind wir es von den Büchern her gewohnt, Karlssons vollmundige Sprüche mit Vorsicht zu genießen, doch wollen wir dem «schönen, grundgescheiten und gerade richtig dicken Mann» mit Hang zur Unordentlichkeit, Hypochondrie und zu gemeinen Streichen für einmal Recht geben. Die liebevoll gestalteten Spiele erfordern vor allem Geschicklichkeit, Reaktions- und Merkvermögen sowie strategisches Denken. Sie belegen, dass die Entwicklung auch im literaturnahen Bereich der Spielgeschichten laufend Fortschritte macht. Was hier Kindern ab sechs Jahren geboten wird, ist ein witziges Feuerwerk voller Überraschungen, die gut eingebettet sind in die Rahmenhandlung.Lillebror hat in drei Tagen Geburtstag. Da seine Eltern bis dahin weg sind, schaut das mürrische Fräulein Bock nach dem Rechten. Zum Glück kommt da Karlsson und unterhält Lillebror in dessen Zimmer, bei sich in der Rumpelkammer auf dem Dach und nimmt den Jungen mit auf Flüge durchs Stockholmer Wasaquartier.So tauchen wir schnell in Karlssons Welt ein, machen seine Bude sauber, spielen Murmeln im Sandkasten und Karten mit Gunilla und Krister oder versuchen, Karlssons Blitzreaktionsapparat in den Griff zu bekommen. Flößen wir Karlsson die richtige Medizin ein, können wir den vielseitigen Kumpel in abenteuerlichen Rollen erleben. Da das Anspruchsniveau mit zunehmender Fertigkeit automatisch steigt, merkt man kaum, wie die Zeit vergeht. Und Lillebror vergisst fast, dass er einen Hund zum Geburtstag möchte – aber selbst dieser Wunsch geht hier in Erfüllung!
Susanne Friedemann: Kleiner Computer für kleine Kinder
Leapfrog: Leapster Multimedia-Lernsystem (Handheld-Konsole), www.leapfrog.de, 99,99 € Leapfrog: Software für Leapster Multimedia-Lernsystem Spider-Man, 34,99 €
Leapfrog: Software für Leapster Multimedia-Lernsystem Geschichten mit Leap, 34,99 €
Der „Leapster“ ist ein kleiner tragbarer Kindercomputer (so genanntes „Handheld“), der Kindern von vier bis acht Jahren spielerisch den Einstieg ins Lernen erleichtern soll, wobei mit Hilfe des kleinen Touch-Displays besonders auf die Schulung der Motorik der jungen Nutzerinnen und Nutzer Acht gegeben wird. Gesteuert wird die Konsole mit einem „Stift“ sowie diversen, gut erreichbaren Navigationsknöpfen. Doch leider scheinen nicht alle Bauteile so optimal durchdacht zu sein. Defizite der Konsole liegen zum einen in dem Diplay-schützenden Gummideckel, den kleine Kinderhände kaum alleine öffnen können, zum anderen in der schwachen Display-Grafik. Zwar können Kontraste geregelt werden, dennoch wirkt das ohnehin recht kleine Farbdisplay blass und streifig.
Der Spaß- und Lernfaktor der Konsole ist abhängig vom jeweils verwendeten Softwaremodul, das wie etwa bei einem Gameboy ausgetauscht werden kann. Die Geschichten mit Leap-Software beispielsweise umfasst mehrere kleine Denkspiele wie Memory oder einfache Aufgaben rund ums Zählen, Buchstaben-Lesen und Geometrische-Formen-Erkennen. Die Spider-Man-Software hingegen eignet sich für größere Kinder, die das Lesen bereits etwas beherrschen. Eingebettet in Spider-Man-Comic-Abenteuer soll hier vor allem die Lesefähigkeit trainiert werden. Allerdings könnte den kleinen Nutzern die Abenteuerlust beim wiederholten Starten des endlos erscheinenden Erzähl-Vorspanns bald vergehen. Wenn das eigentliche Spiel dann jedoch einmal begonnen hat, warten verschiedene Denkaufgaben auf die Hobby-Detektive, denn der fiese Fehlerteufel verstreut überall Rechtschreibfehler, die entdeckt und fotografisch festgehalten werden müssen. Das dürfte den Kindern wirklich Spaß bereiten und kitzelt den Ehrgeiz. Weiterhin können sie sich unter anderem alle Wörter vorlesen lassen und sich damit beim Lesen überprüfen und ihren Wortschatz erweitern. Fraglich bleibt jedoch, ob der kleine Leapster für derartige Übungen das richtige Medium ist und ein kindgerechtes Notebook mit größerem Bildschirm und vielleicht auch einer Buchstabentastatur nicht einfach bessere Möglichkeiten bieten würde.
Carola Schöppel: jung:de - Internationale Tourneeausstellung des Goethe-Instituts
Wie leben Jugendliche in Deutschland?
Was ist ihnen wichtig und wofür engagieren sie sich?
Wie sieht ihr Alltag aus und wie gestalten sie ihre Freizeit?
Um diese Fragen dreht es sich in der vom Goethe-Institut realisierten Wanderausstellung jung:de, die für ein internationales junges Publikum und den Unterricht von „Deutsch als Fremdsprache“ konzipiert wurde.
Die Ausstellung besteht aus 16 überdimensionalen CD-Scheiben mit Themen wie Schule und Ausbildung, Familie, Jugendsprache, Computer, Probleme, Freizeit etc. Ein weiterer Schwerpunkt ist den interkulturellen Erfahrungen Jugendlicher gewidmet. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland und gleichzeitig in ihren Kulturen und Sprachen zurechtfinden.
Der Titel der Ausstellung sowie die gewählten Themenschwerpunkte wurden vom Goethe-Institut mit Hilfe eines Jugendbeirats gewählt, der aus Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren bestand.
Zu Beginn der Ausstellung erwartet den Besucher ein impressionistischer Einleitungsfilm, in dem deutsche Jugendliche in der Schule, in ihrer Freizeit, in der Stadt und auf dem Land gezeigt werden. Im zweiten Teil sind die CD-Scheiben mit den verschiedenen Schwerpunkten aufgereiht. Die Vorderseite der einzelnen Scheiben informiert mit Statistiken, Diagrammen und kurzen Texten über die Welt der Jugendlichen, die Rückseite hingegen zeigt die Perspektive der Jugendlichen durch verschiedene Fotos, die sie selbst gestaltet haben sowie durch Sprüche und Statements zum jeweiligen Thema.70 Prozent der Jugendlichen gaben Beim Thema „Familie“ z.B. an, dass sie ihre eigenen Kinder genau so erziehen würden, wie sie selbst von ihren Eltern erzogen wurden.
Beim Thema „Ausbildung“ berichteten 75 Prozent der befragten Jugendlichen, die Arbeit würde ihnen großen Spaß machen, allerdings belastet sie teilweise ein zu hoher Leistungsdruck.Die Themenschwerpunkte „Probleme“ und „Migration“ wurden in das Konzept aufgenommen, um Besucherinnen und Besuchern im Ausland zu zeigen, dass deutsche Jugendliche nicht nur auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Die Zahl der alkoholabhängigen Heranwachsenden in Deutschland steigt, ebenso die Zahl derer, die an Depressionen oder Ess-Störungen leiden. 4 Prozent haben bereits Erfahrungen mit Ecstasy & Co. gemacht, „Kiffen“ gilt bei vielen Jugendlichen als cool.Insgesamt sind die CD-Scheiben nicht sehr textlastig, da die Ausstellung weltweit gezeigt wird, die Texte aber nicht übersetzt werden und somit für Deutsch-Lernende gedacht sind.Im dritten Teil der Ausstellung befindet sich die Musikstation; hier werden 20 Songs von deutschen Interpreten aus den Bereichen Hip Hop, Rock und Pop gespielt, wodurch die ganze Bandbreite des jugendlichen Musikgeschmacks gut getroffen wurde.
Im Vorfeld der Ausstellung wurden Jugendliche aufgerufen, ihre derzeitigen „Lieblingsgegenstände“ zu fotografieren und eine kurze Begründung mitzuschicken, warum ihnen genau dieser Gegenstand so wichtig ist. Mit teilweise rührenden Kurztexten kann der Besucher 46 dieser „Lieblingsgegenstände“ an der Videostation begutachten, die gleichzeitig den Abschluss der Ausstellung bildet.
Die Wanderausstellung jung:de wird in den nächsten Jahren weltweit in Goethe-Instituten, Schulen und Bibliotheken zu sehen sein. Jugendliche aus anderen Ländern sollen über die deutsche Jugendkultur informiert werden und somit Vergleiche mit ihrer eigenen Jugendkultur ziehen können. Haben z.B. türkische oder schwedische Jugendliche die gleichen Probleme wie die Jugend in Deutschland? Inwiefern unterscheiden sich die Interessen? Das Besondere der dialogisch interkulturellen Ausstellung ist, dass jedes Land und jede Institution, in der die Ausstellung jung:de zu sehen ist, mit seinen Besuchern eine eigene CD-Scheibe über seine Jugendkultur gestalten darf, die am Ende der Wanderausstellung, sprich in drei bis vier Jahren, zurück an das Goethe-Institut in München geschickt wird. Die komplette Ausstellung wird dann nochmals in München zu sehen sein. www.goethe.de
Kathrin Demmler: Die Blogosphäre
Die BlogosphäreWeblogs sind der neue Trend im Internet. Dank einfach einzurichtender und einfach zu bedienender Technik kann nahezu jede und jeder Texte im eigenen Weblog und damit im Internet veröffentlichen. Der Begriff Weblog ist ein Kunstwort aus „Web“ und „Logbuch“ und wird üblicherweise einfach mit „Blog“ abgekürzt. Es gibt Fach-Blogs, in denen Artikel zu einem bestimmten Thema veröffentlicht werden. Andere BloggerInnen teilen in ihrem Blog Einzelheiten aus ihrem privaten Leben mit. Typischerweise verlinken BloggerInnen auf andere Webseiten und kommentieren aktuelle Ereignisse. Weblogs sind untereinander stark vernetzt. Die Möglichkeit sehr einfach und schnell Informationen veröffentlichen zu können, führte zu einer rasanten Verbreitung der Blogs. Auch politische Themen werden in Blogs diskutiert und kommentiert. Blogs könnten das Medium der Gegenöffentlichkeit des 21. Jahrhunderts werden. Rund um die Bundestagswahl 2005 gab es diverse Blogs, die sich der Wahl widmeten.
Ein Beispiel ist das Wahltagebuch (www.wahltagebuch.de) der Heinrich-Böll-Stiftung mit zahlreichen Essays, beispielsweise von Juli Zeh oder Konrad Weiß. Auch die Parteien nutzten Blogs im Wahlkampf aktiv. Parallel zur Übertragung der Fernsehduelle wurde das Gesagte aus dem gegnerischen Lager eifrig in Blogs entkräftet. Auch die Jugendarbeit hat Blogs für sich entdeckt. Das Blog-Angebot Spinnix (http://jugendserver.spinnenwerk.de/spinnix) des Berliner Jugendservers Spinnenwerk ist eine offene Plattform, auf der Jugendliche sich schnell und ohne technische Vorkenntnisse einen eigenen Blog einrichten können. Immerhin 696 registrierte NutzerInnen betreiben 294 Blogs. Jede/r BloggerIn kann ihren/seinen Blog mit Tags versehen, d.h. verschlagworten.
Die Tags bieten somit einen Einblick in die Inhalte der Blogs. Auf einem der größten deutschsprachigen Blog-Angebote (www.blog.de) reichen die Tags von Alltag über Freizeit und Freunde bis hin zu Politik, Sex und Zukunft. Die Gesamtheit aller Weblogs bildet die „Blogosphäre“. Dort kann man für lange Zeiten abtauchen. Zu jedem erdenklichen Thema existiert ein Blog und ein Blog führt zum nächsten. Die Links enthalten allerdings nicht immer das, was sie versprechen. Beim Surfen von Blog zu Blog kann man unerwartet auf problematische – pornografische oder gewalthaltige – Inhalte stoßen. Wenn jeder veröffentlichen kann, ist dies gesellschaftlich, medientechnisch und politisch interessant und medienpädagogisch relevant. Für manch eine/n BloggerIn ersetzen die Blogs das – früher geheime und sehr persönliche – Tagebuch. In zahlreichen Blogs sind diese persönlichen Dinge nun einer potenziell großen Öffentlichkeit zugänglich. Themen wie „Der Sinn des Lebens“, „Meine Ma stresst mich!“, „Auf Reisen mit einer Traumfrau“ sind häufig vertreten.
Blogs sind in einer Subkultur des Internets entstanden und auf dem Weg zu einer viele andere Veröffentlichungsmöglichkeiten verdrängenden Technik. In einer der nächsten merz-Ausgaben wird das Thema Blogs unter (medien-) pädagogischen Gesichtspunkten ausführlicher betrachtet.Kathrin Demmler
Kathrin Demmler: Wissen im Netz
Für Wissbegierige gibt es im Internet eine neue Adresse. Das Internetportal der Max-Planck-Gesellschaft „max-wissen.de“ bietet Informationen, Bilder und Videoclips zu naturwissenschaftlichen Themen. Unter anderem kann man sich über Stammzellen, Klimawandel, Brennstoffzellen oder die Marsmission informieren. Das Angebot wendet sich besonders an Lehrkräfte und SchülerInnen der Oberstufe. Mit max-wissen.de erhalten sie aktuellen Einblick in die Wissenschaft auf hohem Niveau. Die Informationen werden meist in umfangreichen Texten angeboten, bewegte Bilder und Animationen dienen der Erläuterung der komplexen Zusammenhänge.
Neben den Bereichen „Max Fachwissen“ und „Max Multimedia“ gibt es eine „Max Zeitmaschine“. Mit ihr können SchülerInnen eine Reise in die Vergangenheit unternehmen und erhalten Einblick in die historische Entwicklung naturwissenschaftlicher Denkweisen. Die Zeitmaschine ist zwar noch im Aufbau, doch die spielerische Darstellung überzeugt bereits jetzt, spannender wird es aber bestimmt, wenn alle Zeitabschnitte mit Informationen gefüllt sind. Attraktiv sind auch die thematischen Quiz’ unter „Max Fachwissen“. Auf unterhaltsame Weise kann man hier sein Wissen testen und bekommt Erläuterungen zu allen Fragestellungen. Zu jedem Bereich gibt es darüber hinaus auch einen Didaktikteil. Max-wissen.de ist eine ergiebige Quelle für SchülerInnen und LehrerInnen. Die langen, teilweise sehr fachwissenschaftlich geschriebenen Texte erfordern eine Portion an Vorwissen und Durchhaltevermögen. Für alle, die sich aber intensiver mit den angebotenen Themen befassen wollen, ist max-wissen.de eine echte Fundgrube. Dies nicht zuletzt dank des umfangreichen Lexikons.
Schade ist, dass auf Links zu den jeweiligen Themenbereichen und dort enthaltenen Animations- oder Quizelementen verzichtet wurde.
Daniela Metz: Sprachen lernen mit Lingo
„Lingoland.net“ zählt zu den erfolgreichsten Kinderseiten zum Fremdsprachenerwerb im Internet. Das Ziel der europäischen Kinderplattform ist es, Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren erste Fremdsprachenkenntnisse spielerisch zu vermitteln und sie zur Kommunikation mit Gleichaltrigen aus europäischen Nachbar ändern anzuregenDas kleine Männchen Lingo führt die Kinder mit hilfreichen Anweisungen durch die einzelnen Lernspiele. Im Hauptmenü verstecken sich unterschiedliche interaktive Spiele: Die im „Sprachenquiz“ erfolgreich gelösten Aufgaben werden mit einer Urkunde belohnt. Mithilfe des „Homepage-Baukasten“ können die Sprösslinge eine eigene Homepage basteln. Im „Multimedia-Lexikon“ kann man die Bedeutung nahezu jeden Wortes in einer anderen Fremdsprache nachschlagen.
Derzeit können insgesamt fünf europäische Sprachen erprobt werden: Französisch, Spanisch, Niederländisch, Deutsch und Tschechisch. Der Grundwortschatz liegt bei 200 Wörtern.Wollen die Heranwachsenden mehr über ihre europäischen Nachbarn erfahren, so hilft ihnen der „Europa-Atlas“. Hier finden sich zahlreiche und vielseitige Informationen und Hintergründe über das jeweilige gewünschte Land. Außerdem bietet „Lingoland“ eine große Auswahl an Links zu Webseiten für Kinder.
Im log-in-geschützten Bereich „Sprachkurs“ können sich Lehrkräfte der Grundschule mit ihren SchülerInnen für länderübergreifende Schulprojekte gemeinsam mit einer Schulklasse aus den europäischen Partnerländern anmelden und interaktive und didaktische Sprachlernaufgaben im Unterricht erproben.
Tilmann P. Gangloff: Der Kampf der Trick-Titanen
„Jedem Kind seinen eigenen Sender“, spottete RTL-Guru Helmut Thoma vor Jahren, als die Zahl der Kinderprogramme überhand zu nehmen drohte. Das ist lange her. Seit geraumer Zeit ist Kinderfernsehen die unangefochtene Domäne des KI.KA (ARD/ZDF) und von SuperRTL (RTL Group/Walt Disney Company). Auch wenn RTL II mit seinen nachmittäglichen Japan-Importen von „Pokémon“ bis „Digimon“ die Platzhirsche eine Weile lang ärgern konnte: Die Claims waren ab-gesteckt. SuperRTL (Marktanteile bei Kindern 2004: 28,9 Prozent), im Frühjahr zehn Jahre alt geworden, ist seit sieben Jahren unumstrittener Marktführer, der KI.KA (15,2 Prozent) reklamiert dafür die Meinungsführerschaft. Nennenswerte Konkurrenz gibt es allein im digitalen Fernsehen. Auf der Plattform von Premiere beispielsweise tummeln sich mit Disney Channel, Jetix (früher Fox Kids) und Junior drei weitere Kindersender. Im frei empfangbaren Fernsehen aber hat sich jahrelang nichts getan, weil klar war: Der Werbekuchen ist zu klein für weitere Wettbewerber. Jetzt aber haben die Amerikaner das deutsche Kinderfernsehen entdeckt. Anfang September öffnete Cartoon Network ein immerhin sechsstündiges Fenster bei Kabel 1 (5.30 Uhr bis 11.30 Uhr). Das ausschließlich aus Zeichentrick bestehende Programm gehört zur Senderfamilie des weltweit größten Medienkonzerns Time Warner und bietet eine Mischung aus klassischen Cartoons („Bugs Bunny“), Zeichentrickserien im Manga-Stil sowie diverse Superhelden-Abenteuer. Experten gehen davon aus, dass das Fenster ein Versuchsballon ist. Sollte das Experiment funktionieren, dürfte Cartoon Network die Lizenz für einen eigenen Sender beantragen.Überraschender aber ist der Comeback-Versuch von Nickelodeon eine Woche später.
1998 war das Programm wegen mangelnder Zuschauerzahlen liquidiert worden. Schon damals hatten Beobachter diesen Schritt nicht verstanden, denn der Ableger des US-Konzerns Viacom (MTV), die Nummer drei in der Welt, war eigentlich auf einem guten Weg. Allerdings hatte Nickelodeon im Jahr zuvor seinen Platz in den Kabelnetzen absprachegemäß für den KI.KA räumen müssen. Der KI.KA profitierte natürlich kräftig von dem etablierten Programmplatz, während die Marktanteile von Nick erst mal in den Keller sackten. Seit dem 12. September 2005 ersetzt Nick das Musikprogramm MTV2 Pop, das allerdings tagsüber in den Kabelnetzen kaum vertreten ist und in den meisten Haushalten mit Satellitenempfang unter „ferner liefen“ platziert sein dürfte. Nick-Programmchef Markus Andorfer wäre vermutlich dankbar, wenn er mit jenen neun Prozent der Marktanteile einsteigen dürfte, die Nickelodeon 1998 hatte. Kein Wunder, dass die etablierte Konkurrenz Gelassenheit demonstriert. Dabei sind der KI.KA und SuperRTL auch direkt betroffen, denn sie beziehen Programm von Nickelodeon; so ist unter anderem der Superstar von SuperRTL, der liebenswerte Chaot „SpongeBob Schwammkopf“, ein Nick-Geschöpf. Dennoch lässt sich SuperRTL-Geschäftsführer Claude Schmit nicht Bange machen: Die „SpongeBob“-Lizenzen verbleiben weiterhin beim Kölner Kindersender, zum Teil sogar exklusiv. Die neue Konkurrenz nimmt er zwar ernst, verweist aber auch auf die Herausforderungen, die Nick zu meistern habe: „Der Sender muss zunächst mit einer Reichweite von circa 68 Prozent auskommen. Das ist nicht wirklich prickelnd, weil die werbetreibende Industrie alles unter 60 Prozent als irrelevant betrachtet“. Außerdem habe sich der Sender „das kurzfristige Ziel von fünf Prozent in der Zielgruppe gesetzt. Das will man nach und nach auf zehn Prozent ausbauen.
Unsere Marktanteile betragen das Dreifache – Kampfansagen klingen anders“. Nach Ansicht von Andorfer, jüngerer Bruder des früheren RTL II-Geschäftsführers Josef, ist die technische Verbreitung von Nick jedoch „weit besser, als von anderen Quellen dargestellt“. Er spricht von 83 Prozent. Fallstudien zeigten zudem, „dass gerade die jüngsten Zuschauer ganz genau wissen, wo sie „ihre“ Sender auf der Fernbedienung finden“, die Programmnummer spiele also eine eher unbedeutende Rolle. Abgesehen davon ist Andorfer überzeugt, dass der deutsche Kinderfernsehmarkt noch genug Raum für einen weiteren Anbieter lasse. In der Tat wird Nick wohl davon profitieren, dass Serien wie „SpongeBob“, „Blues Clues“ oder „Jimmy Neutron“ bereits eingeführt sind. Dies wird offenbar auch von den Werbekunden bestätigt, die das Programm von Nick laut Andorfer bereits „mit viel Wohlwollen“ aufgenommen hätten. Das Scheitern von Nickelodeon Ende der 90er-Jahre führt er darauf zurück, dass „der Werbezeitenverkauf damals nicht im Markt verankert war“. Diesmal sei Nick ins Netzwerk von MTV Networks eingebettet und werde von einem erfahrenen Verkaufsteam vertreten. Auch das aber kann Schmit nicht schrecken: „Mit unseren Cross-Media-Möglichkeiten können wir ein Angebot bieten, bei dem Nick nicht mithalten kann“. Allein die Website toggo.de verzeichne regelmäßig weit über 100 Millionen Zugriffe. Mit zehn Prozent Marktanteil positioniere sich Nick ohnehin von vornherein als Ergänzungsmedium. Hinzu kommt: Bislang profitierte Nickelodeon nicht nur von den Lizenzgebühren, die SuperRTL etwa für „SpongeBob“ zahlen musste, sondern auch von den Merchandising-Erlösen, die der deutsche Kindersender erwirtschaftet hat. Diesen Rahm wollen die Amerikaner nun selbst abschöpfen. Bleibt noch der Dritte im Bunde.
Um den Werbekuchen braucht sich Frank Beckmann, Programmgeschäftsführer des werbefreien KI.KA, zwar keine Gedanken machen, doch völlig ignorieren kann auch ein öffentlich-rechtlicher Kindersender die Entwicklung bei den Marktanteilen nicht. Quote allein hält Beckmann jedoch für ein irreführendes Kriterium: „Wir sind nicht werbefinanziert. Wir müssen nicht möglichst viele Kinder vor möglichst vielen Werbespots versammeln“. Inhaltlich geht er ohnehin in die Offensive: „Nick verspricht mehr Vielfalt im deutschen Kinderfernsehen und startet mit dem üblichen Trick-Einheitsbrei. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit denkbar weit auseinander“.Doch selbst wenn Beckmann einen „Kampf der Tricksender“ prognostiziert, weiß er auch, dass es nicht leicht wird, „mit amerikanischen Netzwerken und ihren weltweiten Ressourcen zu konkurrieren“. Andererseits hat der KI.KA laut Umfragen das beste Image aller Kindersender. Kein Wunder: Gerade im Informationsbereich ist das Programm mit Wissensmagazinen wie „Wissen macht ah!“ oder „Willi wills wissen“ unschlagbar, von den täglichen Kindernachrichten „logo!“ ganz zu schweigen. Beckmanns Zuversicht ist also nicht ganz unbegründet: „Mit dieser Positionierung sind wir vielleicht sogar der lachende Dritte.“
Bernd Schorb: Löwenzahn ist 25 Jahre alt und Peter Lustig hört auf
merz „Löwenzahn“ ist 25 Jahre alt. Was steckt da für eine Konzeption dahinter, die 25 Jahre hält?Lenssen Die Konzeption, womit man Kinder für so einen langen Zeitraum faszinieren kann, ist eine andere Art der Wissensvermittlung, nämlich dass wir bei „Löwenzahn“ Geschichten erzählen. In den Geschichten ist unmerklich das verpackt, was Kinder interessiert, was sie gerne wissen wollen, worauf sie immer schon neugierig sind. Der Protagonist Peter Lustig hat es immer geschafft, sich in die Perspektive von Kindern zu begeben, weil er selber neugierig ist. Er ist unkonventionelle Wege gegangen, die Kindern Spaß machen.merz Wissensmagazine gibt es inzwischen eine ganze Menge, es ist ja ein richtiger Boom. Was ist das Besondere an „Löwenzahn“?
Lenssen Es geht darum, wie man sich Wissen aneignet. Und das Wissen-Aneignen, das machen wir natürlich immer anhand einer Thematik. Aber das „Wie krieg ich selbst was raus?“ also nicht nur „Wie pauk ich mir was in den Kopf rein?“, sondern „Wie kann ich selber dahinter kommen, wenn mich etwas interessiert?“, das ist eigentlich der wichtigste Teil an „Löwenzahn“. Wir nehmen Themen auf, die aus Natur, Umwelt und Technik kommen, weil wir denken, dass das Gebiete sind, die Kinder sehr interessieren. Und wir unterstützen den Spaß etwas zu lernen, etwas rauszukriegen, neugierig zu sein, sich mal was zu konstruieren oder zu tüfteln, um etwas rauszukriegen.
merz Also Spaß am Lernen und Selbermachen stehen im Mittelpunkt?
Lenssen Es ist nicht das Nachmachen, sondern zu zeigen, wie man etwas rausfinden kann, wie man sich selbst etwas aneignen kann. Und natürlich ist bei dieser Thematik, Natur und Umwelt, schon etwas drin, das bedeutet, dass man mit den Dingen sorgsam umgeht. Der Ansatz, von Tieren, Insekten in der Sendung zu berichten, ist ja so einer, dass ich erst mal etwas verstehen kann, um es dann sozusagen lieben zu lernen, so dass ich das auch schützen möchte. Wir haben Sendungen gemacht über Mistkäfer, Kellerasseln, all das Viehzeug, was auf den ersten Blick nicht sympathisch ist und trotzdem bekommt man im Laufe der Sendung eine Sympathie für diese Tiere, weil man weiß, welche Rolle sie in der Natur spielen. Und genau das findet man während der Geschichte heraus. Verantwortung für die Umwelt und wenn wir Technikthemen haben, verantwortungsvoll mit der Technik umzugehen, das sind Anliegen von „Löwenzahn“.
merz Man redet ja immer davon, die Kindheit ändere sich heute so schnell, Kinder seien ganz anders als noch vor zehn Jahren. Dennoch bleibt das „Löwenzahn“-Konzept erhalten und ist erfolgreich, wie auch die Quoten zeigen. Woran liegt das?
Lenssen Ich glaube, das hat was mit dieser Leichtigkeit zu tun. Es steckt natürlich eine Didaktik und Pädagogik mit drin, aber es ist nicht so, dass die Kinder, die das sehen, sich zu was gedrängt fühlen. Sie gehen mit der Neugier des Protagonisten Peter Lustig mit. Das bleibt auch bei den Erwachsenen, damit ist ja inzwischen eine ganze Generation groß geworden. Die sagen: „Lieber Peter Lustig, ich habe von dir ganz viel gelernt und du hast mir so den Spaß dran vermittelt, dass ich mich selbst in die Wiese gelegt und Heuschrecken beobachtet habe“. Die ersten „Löwenzahn-Seher“ sind ja inzwischen selbst Eltern und haben Spaß, die Sendung mit ihren Kindern zu schauen. „Löwenzahn“ ist ein echtes Familienprogramm.
merz Diese Sendung ist sehr stark an Peter Lustig gebunden, ein älterer Herr, der ja jetzt geht. Ist der Erfolg dieser Sendung ohne diesen Protagonisten, den die Kinder ins Herz geschlossen haben, überhaupt erklärbar? Lenssen Es ist beides. Natürlich ist es die Per-son. Das weiß man ja von allen Sendungen, dass die Kinder sich an Figuren halten und an sie schreiben. Es ist ja schön, wenn du das, was dir gefällt, auch an jemanden adressieren kannst. „Löwenzahn“ ist momentan, so wie wir es kennen, geprägt von Peter Lustig, das ist ganz klar, und von seiner Art, Dinge zu vermitteln. Aber wir denken, dass man die Konzeption auch mit jemand anderem, der andere Eigenschaften hat, weiterführen kann. merz Wie lässt sich das denn mit einem Nachfolger, einer Nachfolgerin fortsetzen und was hat sich die Redaktion überlegt, wie sie das fortsetzen möchte?
Lenssen Wir möchten das Format erhalten, weil diese Konzeption eine erfolgreiche ist. Wir suchen eine Persönlichkeit, die auf andere Art gleich überzeugend ist – und sind schon mitten im Casting. Kindergenerationen, die auch eine neue Person ins Herz schließen werden, wachsen im-mer wieder nach, aber das, was an Formatkonzeption dahinter steckt, das wird sie immer noch genauso interessieren. Ich glaube, es ist eine Übergangszeit, weil es viele Zuschauer gibt, die „Löwenzahn“ so traditionell gewohnt sind, wie es war, aber wir werden auch dem Neuen eine Chance geben, mit einer großen Staffel rauszukommen. Peter Lustig war am Anfang so um die 40, noch kein Großvater, aber am Ende war er der Großvater, der sich auch Zeit genommen hat, seine „Enkel“ mitzunehmen. Das wird jetzt wieder eher ein jüngerer Mann sein, der sicher eine andere Art und Weise hat, aber auch Kinder mitnimmt, um die Welt zu entdecken. merz Warum ein Mann und keine Petra Lustig?Lenssen Wir haben uns lange überlegt, wie viele Veränderungen das Format verträgt und doch noch als „Löwenzahn“ erkennbar bleibt. Die Entscheidung für einen männlichen Protagonisten hing damit zusammen. Nichtsdestotrotz ist „Löwenzahn“ eine Sendung, in der zu vielen Fachgebieten der Rat von ExpertInnen gefragt ist. Und da uns die weibliche Besetzung ein An-liegen ist, lassen wir das eigentlich auch seit Jahren mit einfließen!
merz Wird der neue Moderator sich um die gleichen Themen kümmern? Umwelt ist ja heutzutage nicht mehr unbedingt das Thema, das uns angesichts der ökonomischen Krise besonders interessiert.Lenssen „Löwenzahn“ war in den 80er-Jahren eine der ersten Kindersendungen, die sich mit dem Thema Umwelt beschäftigt hat, und da kam ja die Umweltthematik erst auf. Natürlich hat sich heute der Umgang mit ökologischen Themen verändert, nichtsdestotrotz denken wir, dass Kinder sich immer noch dafür interessieren, und wir werden diese Themen sicher genauso beibehalten, weil es in unsere Konzeption passt, dass Kinder in ihrer Umgebung aufmerksam sind. Wir haben gerade die alten Sachen durchgeschaut für den Rückblick, da sitzt Peter Lustig z.B. als Baumbesetzer auf einer Linde. So werden wir die Themen sicher nicht mehr angehen, weil die Zeit der Baumbesetzung um ist. Aber das Ökologiesystem von einem Baum begreifbar für Kinder zu machen, ist sicherlich immer wieder Thema.merz Wird es denn heutzutage in der Fernsehlandschaft überhaupt noch geschätzt, 25 Jahre lang das gleiche zu machen? Auch Ihrem Sender geht es ja um Quoten und dafür fallen dann gerne mal Kindersendungen aus. Bekommen Sie die Anerkennung dafür, dass Sie so was wie ein Standbein des ZDF sind?
Lenssen Wir haben ja einen Bildungsauftrag als öffentlich-rechtlicher Sender. Das wird sehr geschätzt, weil man weiß, dass „Löwenzahn“ eine Marke ist, und dass es, gerade in Zeiten wie die-sen, wo es so viel Konkurrenz gibt und so viel nach Quoten geschaut wird, ein großer Schatz ist, wenn man eine Marke hat, die man so lange erhalten konnte und die so lange auch ihre Qualität halten konnte. Das wird schon als wert-voll angesehen, dass man etwas hat, was eine Art Kontinuität und Sicherheit in der Fernsehlandschaft gibt, die sich so schnell verändert. Von „Löwenzahn“ gibt es ja auch Produkte, die in Zusammenarbeit mit der Redaktion entwickelt worden sind, und diejenigen, die diese Produkte erwerben, tun das auch, weil „Löwenzahn“ darauf steht und sie genau wissen, da habe ich die Qualität, die ich für meine Kinder möchte.
merz Alles Gute für die nächsten 25 Jahre!
LöwenzahnZDF tivi, Redaktion Löwenzahn: Martina Arnold und Margrit Lenssen
Sendedaten
ZDF: Samstag und Sonntag, KI.KA: SamstagHighlights zum Jubiläumn fünf Wochen lang insgesamt 25 Folgen immer Montag bis Freitag um 16:25 Uhrn 15.10.05: Die lange „Löwenzahn“-Nacht mit dem Besten aus 25 Jahren „Löwenzahn“n 16.10.05: Der erste „Löwenzahn“-Spielfilm „Die Reise ins Abenteuer“n 17.10.05: Aktionen rund um „Löwenzahn“
Michael Bloech: Jenseits von Eliten und PISA
Berlin im morgendlichen, grauen Spätsommerlicht: Nach den langen Sommerferien beginnt wieder der Schulunterricht. So auch für Marvin, der die Grundschulklasse 5d der Berliner Fläming Schule im Stadtteil Friedenau besucht.Friedenau ist kein klassisches Problemviertel, aber eben auch kein Villenvorort. Und genau der Alltag in dieser Berliner Grundschulklasse steht im Zentrum des Dokumentarfilms „Klassenleben“ von Hubertus Siegert. In der Fläming Schule geht es nämlich darum, sowohl hochbegabte als auch schwerstbehinderte Kinder in einer gemeinsamen Klasse zusammenzuführen. Ein radikal integratives Konzept also, weit entfernt vom klassischen Sonderschulunterricht oder dem Modell von Eliteschulen mit leistungshomogenen Klassen. Im Zeitalter von PISA und Diskussionen um Eliteausbildung präsentiert der Film damit einen mutigen und konsequenten Gegenentwurf. So gesehen ist „Klassenleben“ in seinem Kern radikal, lehnt er doch das Prinzip der Selektion und individualisierter Leistungserbringung ab.
Der Film „Klassenleben“ ist vielmehr ein engagiertes Plädoyer für eine Schule, die das Experiment „Integration“ wagt. Dabei ist „Klassenleben“ bei weitem keine effekt-heischende, schnell abgedrehte Kurzdoku, sondern genau das Gegenteil. Wie schon beim preisgekrönten französischen Dokumentarfilm „Sein und Haben“ von Nicolas Philibert begleitete auch Hubertus Siegert „seine“ Klasse über ein gesamtes Schuljahr. Die Kamera ist dabei konsequent in Augenhöhe der Kinder, auf belehrende Kommentare und langweilige Statements der Lehrkräfte wird verzichtet. Schnell wird deutlich: Hier kommen die Kinder, wie die Schülerin Luca, selbst zu Wort: „Ich wünsche mir, dass ich morgens aufwache, und ich bin Lehrerin ... und Frau Haase (ihre Lehrerin, A. d. A.) wacht in ihrem Bett auf und ist eine Schülerin“. Immer wieder erzählen die Kinder von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und geben so einen lebendigen Einblick in ihren Schulalltag und auch in ihr Leben. Ganz allmählich entsteht so ein sensibles und sehr spannendes Portrait von fünf Kindern, wie z.B. vom lernbehinderten Marvin, der später einmal Feuerwehrmann werden möchte, um Menschleben zu retten oder von Christian, dem Klassenprimus, der bald feststellen muss, dass mit Überheblichkeit vieles einfach nicht zu lösen ist.Doch der Film zeigt auch, dass dieses Projekt harte Arbeit bedeutet. Meist ist neben der Lehrerin zumindest noch eine weitere Pädagogin in der Klasse anwesend, um die SchülerInnen zusätzlich zu betreuen, um auf sie einzugehen und ihnen Sicherheit zu geben. Allerdings ist nicht alles im Film frei von Konflikten, hier wird keine heile Welt vorgegaukelt. Es werden jedoch Wege aufgezeigt, mit Problemen fertig zu werden.
Am Beispiel von Christian, dem Neuen in der Klasse, der sich in die Rolle des Außenseiters drängen lässt, wird deutlich, wie wichtig es für Lehrkräfte ist, nicht vorbeizuschauen, wenn Kinder in der Klasse Probleme haben. Es wird deutlich, dass es sich lohnt, pädagogisch einzugreifen und mit den Kindern gemeinsam an einem Konflikt zu arbeiten. Alle Kinder erleben Höhen und Tiefen des Schulalltags, sie müssen erfahren, was es bedeutet in der Gruppe zu arbeiten und andere leistungsschwächere Kinder zu motivieren und zu unterstützen. Sie erfahren die Mühen des Lernens jedoch nicht als isolierte individuelle Leistung, sondern als kollektive Begegnung. Doch mit welchen Mitteln vermag der Film das Publikum zu fesseln? Was zunächst im Film sehr angenehm auffällt, ist der Mut, die Kamera nicht abzuschalten und die Kinder zu begleiten. Ohne jeglichen Voyeurismus bleibt die Kamera dicht am Geschehen: wenn Konflikte aufbrechen, wenn geschrien, geweint oder wenn ein Arm zärtlich berührt wird.
All dies sind emotionale Augenblicke, die deutlich machen, wie eng der Film mit dem Alltag der Kinder verwoben ist, wie sehr er das Thema Kinder und Schule ernst nimmt.Dann ist da die Perspektive der Kamera, die gleichsam mit den Augen der Kinder das Geschehen verfolgt. Insgesamt wirkt damit der Stil des Dokumentarfilms schlicht und fast ein wenig kühl, auch die Musik ist angenehm unaufgeregt. Einzig eine Szene setzt sich von dieser unaufdringlichen Ästhetik ab: Am Ende gibt es eine kleine Geburtstagsszene, bei der Jacqueline der im Rollstuhl sitzenden, schwerstbehinderten Mitschülerin Lena eine Musik-CD der Popgruppe ABBA schenkt. Der unbeschwerte, ein wenig naiv wirkende Song „Dancing Queen“ scheint so wenig zu dem sonst asketisch anmutenden Musik- und Toneinsatz zu passen, dennoch vermittelt diese spontan entstandene heitere Szene ein weiteres Mal, wie nah der Film den Kindern ge-kommen ist.
Offenbar völlig ohne die Kamera wahrzunehmen feiern die Kinder und schieben Lena im Takt des Songs durch den Raum. Die Kamera verweilt dabei sehr lang auf Lenas Gesicht: ein wirklich bewegender Moment augenblicklichen Glücks. Vielleicht macht diese Intimität, die Kameraperspektive und auch die Ehrlichkeit den Film für ein junges Publikum interessant und spannend, erfahren sie doch hautnah von der Utopie einer Lehrerin, die auch mal ihre Notengebung überdenkt, von der Utopie einer Klassengemeinschaft, bei der nicht jeder für sich, sondern alle zusammen lernen und von einer Utopie, bei der alle von der Klassengemeinschaft letztlich profitieren. So gesehen ist der Untertitel des Films exakt gewählt: Wir können auch anders!
Klassenleben – Wir können auch anders!
Deutschland 2005, 87 Min.
Regie: Hubertus Siegert
Produktion: S.U.M.O Film
Verleih: 35mm Piffl Medien
Daniela Metz: Darf ich bitten?
„Mad Hot Ballroom“ ist ein bezaubernder und ergreifender Dokumentarfilm, der Einblicke in das Leben von New Yorker SchülerInnen gewährt und sie bei einem ganz besonderen Projekt begleitet: „Dancing Classroom“ ist ein gemeinnütziges Projekt, das derzeit an vielen öffentlichen Schulen New Yorks angeboten wird. Gerade mal zwischen acht und elf Jahren sind die Sprösslinge, kommen aus unterschiedlichen New Yorker Vierteln und leben in den unterschiedlichsten familiären und sozialen Verhältnissen. In einem zehnwöchigen Intensivkurs lernen die Kinder die Grundlagen der großen Tänze: Rumba, Merengue, Tango, Foxtrott und Swing.
Obwohl sie nie zuvor ein Tanzparkett betreten haben, stellen sie sich der anspruchsvollen Herausforderung, im Finale den „Goldenen Pokal“ zu gewinnen.Der Film erzählt von Großstadtkindern, die erstaunliches tänzerisches Talent beweisen und darüber hinaus eine Menge lernen. Der Film zeigt die Mädchen und Jungen auch in ihrer Freizeit, wo sie einfach sie selbst sind. Jedes einzelne Kind strahlt individuellen Charme und Persönlichkeit aus. Gelassen aber auch nachdenklich reden sie über ihre Emotionen und Gefühle, die sie auf dem Weg hin zum großen Finale erleben. Trotz des sozialen Hintergrundes ist die Handlung äußerst humorvoll und witzig gestaltet. Die Art, wie die Heranwachsenden tanzen, sowie die gesamte Atmosphäre des Filmes geht unter die Haut.
Der Independent-Hit aus New York hat bereits zahlreiche Publikumspreise gewonnen und gehört zu den zehn erfolgreichsten Dokumentarfilmen der US-Kinogeschichte.
Mad Hot Ballroom
USA 2005, ca. 100 Min.
Regie: Marilyn Agrelo
Produktion: Marilyn Agrelo, Amy SewellVerleih: Xverleih
Daniela Metz: Nichts als Ärger
„Shouf Shouf Habibi“ ist eine turbulente Komödie über marokkanische Immigranten in Europa . Der niederländische Regisseur Albert ter Heerdt erzählt auf humorvolle Art von Einwanderern der zweiten Generation im Zwiespalt zwischen Tradition, kulturellem Wandel und der westlichen Welt.Protagonist der Geschichte ist Abdullah, genannt Ab. Der 20-jährige Marokkaner hat große Träume, jedoch ohne jede Perspektive. Sämtliche Versuche, sich in die westliche Arbeitswelt zu integrieren, als Büroangestellter oder Metzger, als Schauspieler oder Bankräuber scheitern kläglich. Als letzten Ausweg besinnt sich Ab auf die marokkanischen Traditionen und sucht eine marokkanische Braut – ganz nach den Vorstellungen seines Vaters.
Auch Abs Familie fällt es nicht leicht, sich zu integrieren und ihren Platz zu finden. Die Eltern leben in ihrer eigenen traditionellen Welt. Allein schon die große Sprachbarriere verwehrt ihnen einen Zugang zu ihrer neuen Heimat. Während Abs Brüder offensichtlich einen Platz in der Schnittmenge beider Kulturen gefunden haben, rebelliert seine Schwester Leila zunehmend offen gegen die marokkanische Lebensweise.„Shouf Shouf Habibi“ ist eine witzig gestaltete Komödie, die ihr Publikum zum Lachen bringt. Die Figuren wirken meist selbstironisch und stellen sich selbst als Witzfiguren dar. Deshalb erscheinen einzelne Episoden übertrieben lustig, wodurch die hintergründige Ernsthaftigkeit des Filmes ein wenig verloren geht.
Shouf Shouf Habibi – Schau ins Leben!
Niederlande 2004, 89 Min.
Regie: Alber ter Heerdt Darsteller: Mimoun Osaïssa, Touriay Haoud
Verleih: Die Telepaten Filmverleih GmbH
Alexander Kuhn: Die bunte Welt der Games Convention
„Die Messe ist eine Marktlücke, die wir mit unserem Konzept, eine Fach- sowie Besuchermesse zu vereinen, eine Messe für Computerspieler und Hersteller entdeckt haben“, so Wolfgang Kruse, Projektreferent der Games Convention (GC), Europas größter Computerspielemesse.Der Mann scheint Recht zu haben: Seit dem Start 2002 nimmt die Zahl der BesucherInnen um durchschnittlich 25 Prozent zu. Dieses Jahr wurden 134.000 gezählt, im letzten Jahr „nur“ 105.000. Darüber hinaus waren dieses Jahr 280 Aussteller vor Ort sowie 2000 Journalisten. 189 Welt-, Europa-, oder Deutschlandpremieren gab es zu sehen, offensichtlich wird das Konzept von Publikum und Spieleindustrie gleichermaßen angenommen.Die GC ist in vier Hallen des neuen Leipziger Messegeländes aufgeteilt, wobei zwei davon für die großen Spielehersteller reserviert sind, um ihre neuesten Produkte vorzustellen. Eine Halle versammelte unter dem Motto „GC Family“ ne-ben Herstellern von Edutainment- und Kindersoftware und Ausstellern aus verschiedensten Fachbereichen der Computerindustrie auch medienpädagogische Angebote unter ihrem Dach: die Universität Leipzig, das JFF – Institut für Medienpädagogik, die Games Academy1 etc. In der vierten Halle war die Fernseh-/Internetplattform „GIGA“ vertreten. Der restliche Hallenbereich befand sich fest in der Hand des so genannten „E-Sports“. Hier wurden vor Publikum „Matches“ (z.B. „Warcraft“) ausgetragen, auf große Leinwände projiziert und live kommentiert.Daneben gab es allerhand Extras: Ein „Modding-Wettbewerb“, in dem es darum ging, Computer in ausgefallene Gehäuse zu verpacken, wie z.B. in Form einer Kaffeemaschine, eines Schulranzens oder einer leuchtenden pyramidenförmigen Konstruktion.
Neues von den SpielekonsolenIm Bereich der Spielekonsolen gab es an Spielinhalten kaum Neues zu sehen. Vor allem so genannte „Jump and Run“- oder Geschicklichkeitsspiele wie etwa Rennspiele liegen bei Playstation und Co. immer noch im Trend. Lediglich in der Größe bzw. Miniaturisierung und Vielseitigkeit der tragbaren Varianten hat sich einiges getan. Mit der Playstation Portable z.B. kann man nicht nur spielen, sondern auch MP3s anhören oder Filme ansehen. Außerdem bietet dieses Gerät die Möglichkeit, sich mit anderen Playstation Portables kabellos zu vernetzen und im Multiplayer-Spiel gegeneinander anzutreten. Ein ebenso innovativer wie positiver Trend auf dem Konsolenmarkt sind Spiele, bei denen man mit echter körperlicher Aktivität als Spielsteuerung in das Geschehen auf dem Bildschirm eingreifen kann. Es gab auf der Messe einige Beispiele dieser Art zu bestaunen, die von Spielerinnen und Spielern aller Altersklassen mit Begeisterung ausprobiert wurden. Bei „Dancing Stage“ etwa muss man bestimmte Schrittkombinationen auf einer aus druckempfindlichen Feldern bestehenden Matte nachtanzen. Außerdem gab es Spiele, bei denen man nach virtuellen Ballons schlagen muss oder einen virtuellen Baumstamm so schnell wie möglich zu zerteilen hat usw. An Musikbegeisterte wendet sich Sonys „Singstar“, bei dem man aktuelle Hits mit passender musikalischer Begleitung selbst zum Besten geben kann. Die Ideenflut kennt kaum Grenzen. Durch die Integration neuer technischer Möglichkeiten wächst ein neuer Sektor von Spielen heran, die das körperlich aktive Eingreifen von Spielerinnen und Spielern erfordert.Diese Chance auf Bewegung und körperlichen Ausgleich haben viele BesucherInnen der Messe gerne ergriffen.
Selbst zu singen und zu tanzen oder sich zu bewegen, hat jüngeren und älteren Spiele-Fans offensichtlich viel Spaß gemacht. Zu hoffen bleibt, dass diese Entwicklung weiter vorangetrieben wird, um Kindern und Jugendlichen jenseits von konventionellen Spieleangeboten auch körperlich anregende Spielerlebnisse zu ermöglichen. PC-Spiele Der größte Absatzmarkt für elektronische Spiele in Deutschland ist der Sektor der PC-Spiele. Entsprechend wurde hier der größte Präsentationsaufwand betrieben. Marktführer Electronic Arts (EA) ließ seine Neuheiten in einem multimedialen 360°-Kino für etwa eine Million Euro bestaunen.Im Vergleich zum betriebenen Marketingaufwand hinken Innovationen und frische Spielideen allerdings hinterher. Statt neuer Ideen werden erfolgreiche Spielkonzepte und -inhalte wieder und wieder aufgewärmt und als x-fache Fortsetzung auf den Markt geworfen (vgl. „Age von Empires 3“, „Need for Speed“-Reihe, „Tomb Raider 1 bis 6“ usw.)Lediglich die optische und akustische Form der Präsentation entwickelt sich bei vielen der Fortsetzungen und Imitationen weiter. Immer realistischere Grafik- und Soundeffekte verschleiern die Tatsache, dass sich die Spielevielfalt nicht vergrößert hat. Dabei können Spiele mit neuen Ideen und frischen, unverbrauchten Szenarien zum ganz großen Knaller werden.
Vor allem die Erfolgsgeschichte des PC-Spiels „Die Sims“ sollte den Herstellern ein leuchtendes Vorbild sein. Das Spiel bietet ein ungewöhnliches Konzept voller origineller Zutaten: Lebenssimulation, Häuserbau- und Innenarchitekturprogramm, Soap Opera und vieles mehr. Mittlerweile bricht das Spiel (Teil 1 und Teil 2 sowie zahlreiche Add-Ons) alle Verkaufsrekorde, gerade auch bei weiblichen Spiele-Fans sind „Die Sims“ enorm populär. Die Frage bleibt, warum die Entwickler nicht konsequenter solche Marktlücken aufspüren, warum beispielsweise nicht auch weibliche Spielerinnen ins Visier genommen werden?Ein Grund könnte die derzeitige, ungebremste Erfolgsstory der Branche sein. Wegen der enormen Zuwachsraten des Marktes – gerade auch in Deutschland – sehen die Hersteller und Publisher offensichtlich keinen Grund auf Innovationen zu setzen. Solange die überwiegend männlichen Käufer der Spieleindustrie derartige Zuwachsraten bescheren, werden Inhalte und Präsentationsformen, die weiblichen Wünschen und Wahrnehmungsmustern entsprechen, offenbar nicht als notwendig erachtet. Entsprechend entwickeln die großteils mit Männern bestückten Teams bei EA und anderen Firmen weiterhin Ego-Shooter, Strategiespiele, Militärsimulationen, Renn- und Sportspiele hauptsächlich für ihre Geschlechtsgenossen.
So wird die Chance verschenkt, die Unterhaltungselektronik um die weibliche Perspektive und Zugangsweise zu erweitern und damit spielerisches Neuland zu betreten.Anmerkungen1 Die Games Academy bietet u.a. den Studiengang „Spieleentwicklung“ an.
Sandra Fleischer: GC Family in Leipzig
Vielen Eltern, aber auch Kindern und Jugendlichen muss der Bereich der „GC Family“ auf der Games Convention in Leipzig fast wie ein Oase der Ruhe und Entspannung vorgekommen sein. Nicht so laut, etwas kühler und nicht abgeschottet gegen das Tageslicht lud „GC Family“ die Besucher zum Reden, Diskutieren und gemeinsamen Spielen ein. Vom Kindergartenkind bis hin zu engagierten Großeltern wurde das Konzept auch dieses Jahr gut angenommen.Der Ansatz von „GC Family“ ist ein (medien-) pädagogischer. An den Computerspielplätzen können Eltern mit ihren Kindern und Lehrkräfte mit ihren SchülerInnen gemeinsam ausprobieren, spielen und über die gegenseitigen Meinungen und Interessen ins Gespräch kommen.
Medienpädagogisch begleitet wurden sie dabei von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Studierenden der Universität Leipzig des Lehrstuhls für Medienpädagogik und Weiterbildung sowie der Wirtschaftsinformatik.Täglich traten ExpertInnen auf, präsentierten wissenschaftliche Ergebnisse zum Medienumgang Heranwachsender, diskutierten über die Bedeutung und zukünftige Entwicklung von digitalen Spiel- und Lernmedien und stellten sich den Fragen von den interessierten BesucherInnen.Neben den betreuten Computerspielplätzen und dem Bühnenprogramm standen medienpädagogische ExpertInnen der Universität Leipzig und des JFF München fünf Tage für Fragen der BesucherInnen zur Verfügung, verteilten Informationsmaterial zu Forschungsergebnissen, Weiterbildungsangeboten und Kontaktstellen. Eltern und LehrerInnen tauschten sich mit ihnen über ihre Erfahrungen mit den Kindern zu Hause bzw. in der Schule aus. Auch Verärgerung und Ohnmachtsgefühle wurden laut.
Besonders in Bezug auf den Jugendschutz im Internet fühlen sich Eltern verunsichert und sprechen den gesetzlichen Maß-nahmen oftmals wenig Wirkungskraft zu.Es zeigte sich einmal mehr, dass die Bereitschaft und Fähigkeit in den Familien zu kritischer Medienerziehung sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Insgesamt war ein starkes Beratungsbedürfnis festzustellen, das mitunter skurrile Blüten treibt: Eine Mutter hatte aus Angst um ihren Sohn einen Hellseher (!) angerufen und ihn gebeten, das Computerspielverhalten ihres Sohnes einzuschätzen. Was dieser für sie überzeugend – über eine kostenpflichtige Telefonleitung – auch tat und ihr zugleich auch noch die nahe Zukunft des Sohnes beschrieb.
Doch es fand nicht nur Austausch zwischen Erwachsenen statt, im gemeinsamen Spiel oder gemeinsamen Beantworten von Quizfragen stellten sich vor allem auf Seiten der Eltern so einige Ahaerlebnisse ein. Sätze wie „Was, so was spielst du wohl?“ oder „Das kennst du alles?“ waren häufig aus dem Munde von Eltern zu hören. Ebenso holten Kinder aber ihre Eltern herbei, um ihnen etwas zu zeigen oder auch, um sie um Hilfe zu bitten. „Mein Vati, der kann das!“, jubelte bspw. ein zehnjähriger Junge. Gemeinsam spielte die ganze Familie begeistert eine Stunde „Harry Potter“ (Spiel ist ab sechs Jahren freigegeben).Der „GC Family“-Bereich ist nicht als pädagogisches Alibi oder Gegenstück zu den natürlichen kommerziellen Interessen einer Messe gedacht.
Der Bereich hat eigene Zielgruppen, bietet Zugänge zum Themenbereich „Spielen und Lernen mit dem Rechner“, informiert und klärt über die Faszination von Computerspielen auf sowie über Problembereiche, die mit bestimmten Medienangeboten verbunden sein können. Der „GC Family“-Bereich hat sich als kompetenter Part der Games Convention etabliert und sollte künftig noch deutlicher auf den Service der medienpädagogischen Beratung ausgerichtet sein.
Susanne Friedemann: Wanderung in ferne Galaxien
“Wir schreiben das Jahr 2005 ...” gehört jetzt der Vergangenheit an. Mit „Redshift“ nämlich kann man mühelos ins All vergangener Jahrtausende und bis weit in die Zukunft reisen – und das sogar realitätsnah. Denn die Software kann Konstellationen von Himmelskörpern im ganzen Universum von ca. 4000 v. Chr. bis 9999 n. Chr. berechnen. Der Blick ins Universum ist von der Erde und allen denkbaren Positionen aus möglich. Das Besondere daran: Die Vorgänge im Weltall können nicht nur beobachtet, sondern auch „gesteuert“ werden. Raumsonden können auf ihrem Flug begleitet und sogar Kometeneinschläge verfolgt werden. Dabei verwendet das Programm Daten zu über 20 Millionen Sternen, der Milchstraße, etwa 70.000 Deepsky-Objekten wie Nebeln, Sternhaufen und Galaxien, Quasaren, Meteorschauern, Planeten, Monden, Asteroiden, Kleinplaneten und Kometen.
Die Tatsache, dass man mit dieser unsagbaren Menge leicht überfordert ist, macht für den Gebrauch der Software Vorwissen in Astronomie oder eine erklärende Hilfsperson unabdingbar. Da „Redshift“ zudem ziemlich komplex aufgebaut ist und eine Vielzahl an Einstellmöglichkeiten bietet, die längst nicht alle ohne Weiteres verstanden werden, ist es erst für ältere Jugendliche geeignet und wird vor allem auch erwachsenen Hobbyastronomen lange Zeit eine Freude bereiten. Denn nicht nur Nachschlagewerke, Fotografien und zahlreiche animierte Erläuterungen werden geboten.
Eigene Standortangaben können direkt eingegeben werden, um sich künftige Himmelsereignisse ankündigen zu lassen. Die exakten Berechnungen und Simulationen ermöglichen es, Phänomene bereits im Vorfeld auf dem PC zu animieren, per integriertem Filmrecorder sogar aufzunehmen, und später dann in Echt zu verfolgen. Daher sind für echte Sternengucker Teleskop und tragbares Notebook als Zusatzausrüstung für Beobachtungen im Freien ein Muss.Ebenfalls hilfreich ist, dass im Programm mehrere Ansichtsfenster gleichzeitig zur Verfügung stehen, um etwa eine Mondfinsternis von der Erde, Sonne oder Planeten und deren Monden aus betrachten zu können. Himmelskörper, Sternbilder und Nachtansicht etc. können zur Orientierung beliebig ein- und ausgeblendet werden.
Besonders alle, die schon immer Probleme mit der eigenen Vorstellungskraft hatten, können mit Redshift astronomische Naturschauspiele plastischer wahrnehmen. Für zusätzliche Faszination sorgt die enge Bindung zur Realität, die erforscht werden kann. Für diejenigen, die ohnehin interessiert sind, wird das komplexe Programm zum wertvollen Begleiter, das seine NutzerInnen mit aufschlussreichen Bildern und Berechnungen belohnt. Update-Material steht im Internet in Katalogen mit Objektdaten zur Verfügung.
Redshift 5.1 – Das virtuelle Planetarium. 2 CD-ROMs, Win 98 / ME / 2000 / XP / SP2, United Soft Media GmbH Navigo 2005, www.redshift.de, 79,90 €
Daniel Ammann: Der Natur auf der Spur
Neben der Adaption der bezaubernden Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry als stimmungsvolle Spielgeschichte mit dokumentarischem Hintergrundmaterial (Tivola 1998) gibt es vom Oetinger Verlag jetzt bereits zwei einfach gestrickte Lernabenteuer, in denen der Kleine Prinz zur Erforschung des Weltraums und der Erde einlädt. In der vorliegenden Geschichte spielen die Elemente verrückt, weil der König die vier magischen Symbolsteine für Wasser, Feuer, Wind und Erde aus dem Brunnen entfernt hat. Bei seinem Freund, dem Fuchs, und auf Besuchen beim Geografen und beim Laternenanzünder bekommt der Kleine Prinz Hilfe. In vier nicht sonderlich aufregenden Spielen können ihm die Kinder helfen, wieder Ordnung zu schaffen und die launische Rose zu retten.
Wahlweise kann die ganze Geschichte auch als Zeichentrickfilm betrachtet werden. Die Stärke der Spiel- und Sachgeschichte liegt weniger in der erzählerisch eingebetteten Mission des charmanten Helden, der mit der philosophischen Figur der Vorlage nicht mehr so viel gemein hat. Die Produktion zeichnet sich vielmehr durch eine Fülle wissenschaftlich fundierter Animationen aus. In rund dreißig Beiträgen werden komplexe Sachverhalte verständlich dargestellt und Themen wie die Entstehung der Erde, das Aussterben der Dinosaurier oder die Klimaerwärmung anschaulich erläutert. Anregungen für den schulischen Einsatz liefert zudem eine kleine Handreichung, die von der Website des Verlags heruntergeladen werden kann.
Der Kleine Prinz erforscht die Erde. CD-ROM, Win 98 / 2000 / ME / XP, Mac ab 8.6 / OS X. Hamburg: Oetinger 2005. 24,90 €
Daniela Metz: Job unter Wasser
Wo findet man Hilfe bei der Suche nach dem richtigen Ausbildungsberuf oder dem passenden Studienfach? „Joblab“ möchte mit dem interaktiven Lernangebot besonders junge Mädchen auf ihrem Weg zur Berufsfindung unterstützen und sie begleiten. Auch für den Unterricht und die Berufsberatung ist die CD-ROM geeignet. „Joblab“ ist ein virtuelles geheimes Mulitmedia-Unterwasser-Labor, in dem man diverse Berufe anlegen und mit diesen experimentieren kann. Mit verschiedenen Identitäten können die Spielerinnen unterschiedliche Berufs- und Lebensentwürfe ausprobieren und einander gegenüberstellen. Die Simulation erlaubt es, mehrere Alternativen durchzuspielen und deren Vor- und Nachteile abzuwägen. Sechs Module verfügen über hilfreiche Tipps rund um die Berufswahl: In Modul 1 sollen die Nutzerinnen zunächst ihren Beruf nach eigenen Vorstellungen und Wünschen kreieren. Weiter geht es mit Modul 2, wo durch verschiedene Tests die eigenen Fähigkeiten und Interessen ermittelt werden.
Das dritte Modul vergleicht die angelegten Berufe – auch die selbst geschaffenen und zeigt Übereinstimmungen an. Je nach Ähnlichkeiten werden im vierten Modul Berufe und Ausbildungen vernetzt dargestellt. In Modul 5 „Ich und mein Beruf“ kann man erkennen, welche Ausbildungen und Berufe mit den eigenen Fähigkeiten und Interessen übereinstimmen. Das sechste und letzte Modul informiert die Userinnen schließlich über die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. In der Steuerungskonsole des Unterwasser-Labors kann man zudem verschiedene Funktionen aktivieren: Man erhält dort Informationen über themenrelevante Websites oder eine Videothek, die kleine Filme über unterschiedliche Berufsinformationen zur Verfügung stellt.
Das interaktive Labor ermöglicht den Nutzerinnen, sich ausgiebig mit ihren Berufswünschen auseinander zu setzen.Fazit: „Joblab“ leistet eine unterstützende Hilfestellung bei der Vorbereitung auf Beruf und Ausbildung. Die Idee, auf spielerische Weise mit Berufen in einem Unterwasser-Labor zu experimentieren, ist originell und ansprechend.Der erste Anblick der schillernd bunten Unterwasserwelt kann jedoch zunächst vom wesentlichen Ziel, Berufe zu kreieren und damit zu experimentieren, ablenken. Mit den vielen Animationen wirkt das Programm zum Teil etwas überladen.
JOBLAB – Ein geheimes Multimedialabor zur Berufsfindung. CD-ROM, Win 98 / ME/ NT / 2000, MacOs X (10.1 oder höher), kostenlos zu beziehen unter www.joblab.de
Daniela Metz: Ritterliche Reise
Willi Weitzel, der rasende Reporter will es wieder ganz genau wissen: Was macht einen Ritter aus und wie lebte man im Mittelalter? Mit „Willi wills wissen: Auf der Ritterburg“ erscheint die dritte Folge der beliebten Fernsehreihe als Lernspiel auf CD-ROM.Die SpielerInnen werden in das mittelalterliche Leben eines Ritters zurückversetzt. In interaktiven Lernspielen bekommen sie wissenswerte historische Informationen. Im Hauptmenü stehen mehrere interaktive Spieleoptionen zur Verfügung: Ein Klick auf den „Spiele“-Knopf eröffnet eine Auswahl an unterschiedlichen kleinen Games. Dort lassen sich durch das Beantworten von kniffligen Fragen die verborgenen Türen im dunklen Kellerlabyrinth öffnen. Zur Auswahl steht außerdem ein spannender Wettbewerb mit Pfeil und Bogen, Aufträge im Namen des Königs und andere lustige Spiele.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, kleine Trailer anzuschauen, wie z.B. die Original-Fernsehfolge „Wie kam der Ritter in seine Rüstung?“ Um mehr zu erfahren, wirft man einfach einen Blick in den Bereich „Willis Wissen“. Hier können sämtliche „ritterlichen“ Informationen bezogen werden.Insgesamt ist die CD-ROM originell und ansprechend gestaltet. Die Spiele bieten den Kindern auf eine witzige und knifflige Weise großen Unterhaltungswert. Für genügend Abwechslung sorgt die Vielfalt der Aufgabenstellungen in den Lernspielen und wird so den unterschiedlichsten Ansprüchen und Vorstellungen gerecht.Die Handhabung von „Willi wills wissen“ ist unkompliziert und kindgerecht – kurzum eine gelungene Lernsoftware für Kinder ab sechs, die mit Kniff und Witz spielerisch zum Lernen angeregt werden.Willi wills wissen.
Auf der Ritterburg. CD-ROM, Win 98 / ME / 2000 / XP, United Soft Media GmbH, 19,90 €
Thomas Hermann: Das Geheimnis der Hühner
Dass Cornelia Funke vom amerikanischen Magazin „Time“ als eine der hundert einflussreichsten Menschen des Jahres 2005 aufgeführt wird (im Vorjahr nahm J. K. Rowling einen Platz in der Bestenliste ein), verdankt sie wohl ihren auch im angelsächsischen Raum erfolgreichen Romanen wie „Drachenreiter“ und „Herr der Diebe“. Richten sich diese an Mädchen und Jungen, ist ihre Erfolgsserie „Die Wilden Hühner“ beliebtes Lesefutter für Mädchen. Die Welt dieser fünf unterschiedlichen Freundinnen kann nun auch am Bildschirm spielend erkundet werden. Als „halbes Huhn“ wird man probehalber in die Bande aufgenommen. Um die Urkunde zur Vollmitgliedschaft zu erlangen, muss man etliche Bewährungsproben bestehen. Es gilt, das Bandenbuch, das alle „Hühnergeheimnisse“ enthält, von der Jungenbande der „Pygmäen“ zurückzuerobern.
Das erfordert List, Fantasie und Geschicklichkeit. Will man etwa die Intimfeinde einladen, muss man sich erst bei Oma Slättberg mit deren fabelhaften Keksen eindecken und sich ihre Kaffeebüchse borgen, ohne die schlafende Großmutter zu wecken. Zuvor will aber Omas Möhrenfeld gejätet sein, wobei man ganz schön ins Schwitzen kommt. Denn neben Glück braucht es Übung und Kombinationsgeschick, damit man nicht Möhren statt Unkraut beseitigt. Neben 15 Spielen, die einen in der Handlung vorwärts bringen, bietet das Spielabenteuer auch einige Extras, die den Reiz dieser CD-ROM steigern, etwa die Möglichkeit, Geheimschriften zu generieren oder Briefpapier zu gestalten und auszudrucken.
Die Wilden Hühner – Gestohlene Geheimnisse. CD-ROM, Win 98 / NT 4.0 / 2000 / ME / XP, Mac OS X ab 8.6, nach der Buchvorlage von Cornelia Funke. Hamburg: Oetinger, 2004. 29,90 €
Michael Grisko: Fernsehmuseum Berlin
Mit einer Ausstellung zu Fernsehen und Fußball soll das Fernsehmuseum Berlin im Frühjahr / Som-mer 2006 eröffnet werden. Realisiert wird das Fernsehmuseum von der Stiftung Deutsche Kinemathek, unterstützt vom Senat für Kultur und Wissenschaft des Landes Berlin, gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Europäische Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) stellen knapp vier Millionen Euro für den Aufbau des bundesweit einmaligen Museums zur Verfügung. Auf einer Fläche von insgesamt 1.200 Quadratmetern ist im Filmhaus am Potsdamer Platz eine Dauerausstellung zur deutschen Fernsehgeschichte, eine Programmgalerie, in der Sendungen aus 50 Jahren Fernsehen wiederentdeckt werden können, ein Medien- und Technologielabor sowie Sonderausstellungen und Veranstaltungen zum Medium Fernsehen geplant.
merz: Warum ausgerechnet ein Fernsehmuseum? Kann man Fernsehen überhaupt musealisieren?
Kubitz: Nach einem halben Jahrhundert ist das Fernsehen reif fürs Museum.Es hat seine ganz eigene Geschichte ausgeprägt, seine eigenen Formen des Erzählens, die ganz anders funktionieren als die des Kinos. Fernsehen findet praktisch in jeder Wohnung statt. Die Bilder, die es dem Zuschauer täglich entgegenbringt, sind höchst unterschiedlich: Solche von hohem künstlerischen Niveau stehen neben platter Alltagsware, die für den schnellen Konsum produziert wird. Die Werbung neben den Nachrichten. Der Krimi neben dem Kleinen Fernsehspiel. Der Sport neben dem Wahlspot. Die Volksmusik neben dem Video-Clip und dem großen politischen Life-Ereignis, das Menschen - wie beim Fall der Mauer, am 11. September 2001 oder bei der Beerdigung des Papstes - über alle nationalen und kulturellen Grenzen hinweg vor dem Bildschirm „vereint“. Diese Vielfalt im Besonderen und im Alltäglichen ist Gegenstand unseres Fernsehmuseums, des ersten seiner Art in Deutschland. Und das nicht zuletzt deshalb, weil sich viele diese Bilder im individuellen und kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben. Sie sind Teil unserer Biografien geworden und gleichzeitig berichten sie in einem breiten Spektrum von den ökonomischen, den geistigen und den politischen und sozialen Veränderungen und Konstanten in unserer Gesellschaft.
merz: Was ist die besondere Herausforderung? Und wie dynamisch muss ein solches Museum angesichts der immer kurzfristigeren Programmtrends sein?
Kubitz: Wir sind vier Kuratoren, die sich durch die Bilderwelt der Fernsehgeschichte, nicht nur aber vor allem der nationalen, der aus Ost- wie aus Westdeutschland, arbeiten, immer auf der Suche nach dem besonderen Stück, das nicht vergessen werden darf, weil in ihm mehr angelegt ist als ein modischer Aspekt, mehr als der Zeitgeist sozusagen. Auf der Suche nach jenem Stück, das in der Programmgalerie unseres Museums seinen besonderen Platz erhält und dort von den Besuchern in ganzer Länge und kommentiert mit Materialien aus unserer Datenbank (Produktionsangaben, Kritiken, Interviews mit den Beteiligten zum Beispiel) wiedergesehen, neu gesehen und bedacht werden kann. Unabhängig davon, ob und wann unsere Partner, die Sender (privat-kommerzielle wie öffentlich-rechtliche), es noch einmal zeigen werden. Die Sendung, der Beitrag, die Show, der Film, die es bei uns geschafft haben, in die Programmgalerie aufgenommen zu werden, gehören damit gewissermaßen zum Fernseh-Olymp. Das gilt nicht nur für einzelne Produktionen, das gilt natürlich auch für Personen, für die Stars, die für ein ambitioniertes, couragiertes, ungewöhnliches Programm stehen. Das Genre spielt dabei keine Rolle, es kommt auf die Qualität an. Es geht da bei uns ein bisschen so zu wie beim Grimme-Preis, beim Deutschen oder beim Bayerischen Fernsehpreis.Anderseits wenden wir uns nicht in einer elitären Geste von dem seriellen Tagesprogramm ab, nach dem Motto „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Denn dieses Programm ist ja signifikant für das Medium. Deshalb und weil sich das Fernsehen auf diesem Sektor täglich selbst auffrisst, zerstört und ständig neu erfindet, gehört als zweites Bein, als Spielbein zum Museum der Bereich der Sonderausstellungen, der Konferenzen und der Diskussionsforen. Dort widmen wir uns auch dem schnellen Geschäft, der Bildertrommel. Aber immer auch im Zugriff, mit Blick auf die so schnell aus dem Auge verlorene Vergangenheit. Die erste Sonderausstellung wird sich zur Eröffnung im kommenden Frühjahr mit der Sparte Sport, genauer mit der Geschichte des Fußballs im Fernsehen befassen - naheliegend anlässlich der WM 2006 in Deutschland. Unser Partner hier wird neben anderen die DFB-Kulturstiftung sein, die diese Ausstellung in ihr Hauptstadtkulturprogramm aufgenommen hat und sehr großzügig finanziell fördert.
merz: Wie sieht ein imaginierter Besuch im Fernsehmuseum aus?
Kubitz: Das Schöne ist ja: Jeder unserer Besucher ist, vom Kind bis zum alten Menschen, in gewisser Weise mit einer sehr eigenen Fernsehkompetenz ausgestattet. Deshalb kann sich jeder auch mit hoffentlich großem Gewinn im Museum aufhalten, wie und solange er will und dort verweilen, wo ihn unser Angebot besonders reizt oder anspricht. So gibt es zum Beispiel einen durchweg ver-spiegelten Raum, entworfen wie das ganze Museum von dem renommierten Architekten Hans-Dieter Schaal. In diesem Spiegelsaal wird die serielle Bilderwelt und Bildergeschichte des Fernsehprogramms noch einmal ins Unendliche fortgesetzt, eine spektakuläre Raumskulptur, in der sich, chronologisch geordnet, die Bilder des Programms auf so sonst nie zu sehende Weise noch einmal vor einem auftun, aufblättern. Diese Revue, diese Show wird 10 bis 15 Minuten dauern. So animiert kann der Besucher in einem zweiten Raum mehr informativ an die Sache herangehen und sich in einem Zeit-Tunnel die Geschichte des Mediums hinter den Programmbildern erzählen lassen. Nicht nur die Technikgeschichte, sondern auch die aufregenden politischen Zusammenhänge, in denen das Fernsehen von Anbeginn eine Rolle spielte. Von den ersten Testbildern Ende der Zwanziger Jahre, den Fernsehversuchen auch in anderen Ländern, über die Nazizeit (in der allerdings das Radio als das große Propaganda-Instrument die wesentlich bedeutendere Rolle spielte), über den Aufbau des Fernsehens in den alliierten Sektoren ab 1945 bis hin zu den unterschiedlichen Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten, die sich, parallel zum Ende des Kalten Krieges, erst 1989/90 miteinander verbanden.Über die Programmgalerie und den Bereich der Sonderausstellungen haben wir ja bereits gesprochen
merz: Wie sehen und nutzen Sie die Verbindung zum Filmmuseum im eigenen Hause? Müsste man angesichts der derzeitigen Entwicklungen nicht eher ein „Museum des Bildes“ eröffnen?
Kubitz: Ein „Museum des bewegten Bildes“ meinen Sie. Genauso ist es, genauso wird es sein. Wir verstehen das Filmhaus am Potsdamer Platz als einen Ort, an dem alle, die dort arbeiten, sich mit Leidenschaft der gleichen Sache, der Geschichte des bewegten Bildes, verschrieben haben und diese der Öffentlichkeit zur Unterhaltung und zu geistvoller Auseinandersetzung präsentieren wollen. Das gilt für die Freunde der Deutschen Kinemathek, mit den beiden Programmkinos Arsenal 1 und 2, ebenso wie für die Lehrer und Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, deren Arbeiten hoffentlich eines Tages auch einmal zum festen Programm unseres Museums, unserer Museen gehören werden. Und selbstverständlich gilt das auch für unsere ausgezeichneten Beziehungen zu dem großen Filmhaus-Nachbarn am Potsdamer Platz, der Berlinale.Es gibt - nimmt man noch die ganzen Kino- und Museums-Komplexe und die Philharmonie am Kulturforum hinzu - mithin keinen besseren Standort für das Film- und das Fernsehmuseum in dieser Republik als den Potsdamer Platz als Teil der neuen Mitte in der Hauptstadt.merz Was kann der geplante medienpädagogische Teil der Ausstellung leisten? Wie sieht er konkret aus?Kubitz Kurz und klar: Es fehlt - für das Kino wie für das Fernsehen - an unseren Schulen noch immer eine sinnvolle, systematische Einführung in die Regeln und Gesetze der Sprache des bewegten Bildes. Da sind wir in Deutschland, verglichen mit anderen europäischen Nachbarn, Frankreich zum Beispiel, wahre Analphabeten.
Unterstützt von den Landesmedienanstalten, unterstützt zudem von unserem Großsponsor „Veolia“, arbeiten wir im Fernsehmuseum auch an einem Medienlabor, in dem wir, in Kooperation mit drei ganz unterschiedlichen Schulen in Berlin, ausprobieren werden, was auf diesem Gebiet möglich ist.Vorschau unter www.filmmuseum-berlin.de
Tilmann P. Gangloff: Fernsehen macht dick?
Eigentlich ist Abnehmen ja ganz einfach. Nicht weniger essen, sondern das Richtige, und dazu mehr Bewegung: schon purzeln die Pfunde. Trotzdem werden viele Kinder immer dicker. Schuld daran, sagen Erziehungswissenschaftler und Medienpädagogen wie etwa Stefan Aufenanger von der Uni Mainz, sei nicht zuletzt das Fernsehen: „Kinder werden durch den Bewegungsmangel dick, und die Werbung für Süßigkeiten und andere zuckerhaltige Produkte sowie für Fastfood führt zu Übergewicht.“Es gibt Indizien, die diese Behauptung belegen: In der Datenbank des Internationalen Zentral-instituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI, München) finden sich 50 Studien zu dem Thema. Laut IZI-Leiterin Maya Götz zählt Süßigkeiten- und Cerealienwerbung wie zum Beispiel Cornflakes zur häufigsten Reklame im kinderrelevanten Fernsehumfeld. Die Wirkung dieser Werbe-Spots, so Götz, sei nachgewiesen. Interessanterweise funktioniere die Nahrungswerbung aber nur für zuckerhaltige Produkte „richtig gut“.
Je öfter Kinder die entsprechenden Spots sähen, „desto häufiger bitten sie ihre Eltern, diese Produkte zu kaufen“. Spannend findet Götz dabei: „Während bei allen anderen Produkten wie Kleidung oder Spielsachen diese Art Werbe-Kaufbitten-Effekt stark mit dem Alter der Befragten variiert, bleibt sie bei Süßigkeiten-, Cerealien- und Fastfood-Werbung gleich“. Nicht zuletzt vermutlich aufgrund des Bewegungsmangels haben so genannte Vielseher (vier Stunden Fernsehen und mehr pro Tag) eine auffällig höhere Neigung zu Übergewicht als andere. Götz vermutet, dass diese Kinder zudem aber auch mehr essen. Laut einer Langzeitstudie steigt der „Body Mass Index“, die internationale Gewichtswährung, mit jeder Stunde, die Menschen pro Tag bewegungslos und untätig vor Bildschirmen verharren, um vier Prozent. Die IZI-Leiterin räumt jedoch ein, dass „ein zwingender Zusammenhang von Stunden des Fern-sehkonsums und Fettleibigkeit“ bislang nicht nachgewiesen sei. Wie immer in der Wirkungsforschung gibt es also auch in dieser Frage zu vie-le unberechen-bare Größen. Eine wichtige Rolle spielt beispiels-weise die Haltung der Eltern zur Ernährung der Kinder. Prompt wehrt sich der Medien-pädagoge Norbert Neuß (Uni Hamburg) gegen die eilige Schuldzuweisung: Schließ-lich seien die Kinder eben „auch das Resultat mangelnder Grenzen in einer von Über-fluss geprägten Konsumgesellschaft“.
Die Idee des Wachstums, die die Wirtschaft beherrsche, werde hier versinnbildlicht, denn natürlich betreffe gerade das Problem des Übergewichts die gesamte Bevölkerung. Laut Maya Götz zeigen die Ergebnisse der Wirkungsforschung, dass eine positive Änderung des Verhaltens deutlich schwerer sei, als bestimmte Produktnamen oder Images zu vermitteln: „Leckeres lernt sich einfach leichter“. Nun aber ist einer angetreten, der beweisen will, dass das Gegenteil möglich ist. Er heißt Magnús Scheving, kommt aus Island und ist dort ein Superstar; es kennt ihn buchstäblich jedes Kind. Oder richtiger gesagt: Jedes Kind kennt Sportacus. So heißt die Hauptfigur einer 35-teiligen Serie, die in Deutschland Kindersender Super RTL seit dem 8. August täglich um 17.00 Uhr zeigt. Sportacus ist ein Superheld ohne Superkräfte; seine beeindruckende Fitness hat er in erster Linie dem Obst zu verdanken. Er lebt in LazyTown, einem Ort, in dem die Menschen grundsätzlich zu Bequemlichkeit neigen. Schuld daran ist vor allem ein Fiesling namens Robbie Rotten, der zwar alle Aktivität sabotiert, von Sportacus aber immer wieder übertölpelt wird. Zehn Jahre lang hat Scheving das Konzept in Island getestet, bevor er damit in Serie ging. Zunächst war es bloß ein Kinderbuch, dann ein Musical, das monatelang vor ausverkauftem Haus aufgeführt wurde.
Endgültig bestärkt wurde Scheving durch eine Kampagne, die er gemeinsam mit den Behörden durchführte: Alle isländischen Familien bekamen ein Kochbuch geschenkt; mit Hilfe von Aufklebern und Tabellen konnten die Kinder miteinander wetteifern, wie gesund sie sich ernähren. Die Folge: In der Zielgruppe stieg der Verzehr von Obst um knapp 15 Prozent, Limonaden hingegen verloren in etwa gleicher Größenordnung. Dafür wurde Scheving mit dem Skandinavischen Gesundheitspreis ausgezeichnet. „LazyTown“ wurde nach der Premiere beim amerikanischen Nickelodeon-Ableger für Vorschulkinder, Nick Jr., prompt zum Knüller. Kein Wunder, denn Magnús Scheving trifft einen Nerv: Für diese Zielgruppe gibt’s sonst bloß rührselige Geschichten, die stets ohne Bösewicht auskommen müssen. „LazyTown“ aber hat einen echten Schurken und einen vortrefflichen Helden zu bieten. Der wiederum beeindruckt weniger durch begnadetes Schauspiel, sondern vor allem durch atemberaubende Beweglichkeit. Scheving liegt das im Blut: Vor zehn Jahren war er zwei Mal Europameister in Aerobic und um ein Haar auch Weltmeister. In seinem 5.000 Quadratmeter großen Studio verschmelzen hochmoderne Rechner Sportacus’ Waghalsigkeiten noch während des Drehs mit HDTV-Bildern aus dem Computer. Das hat seinen Preis: Die Kosten bewegen sich pro Episode bei 700.000 Dollar; das ist etwa das Doppelte des üblichen Budgets.
Die 1995 gegründete Firma LazyTown Entertainment ist mitt-lerweile 100 Millionen Dollar wert. Wenn produziert wird, arbeiten hier 130 Menschen; die Serie ist bereits in 78 Länder verkauft. In Island wurde Scheving unlängst zum Unternehmer des Jahres gekürt. Trotzdem lässt er es sich nach dem Gespräch nicht nehmen, eigenhändig den Tisch abzuräumen. Der Mann ist einfach ein Phänomen.
Michael Grisko: Weder Populärkunst noch Akademikerkanon: DVD-Reihe der SZ
Erfolgreichster Vorreiter der multimedialen „Tschi-boisierung“ des Zeitungsmarktes war und ist die Süddeutsche Zeitung. Nach einer Reihe mit günstigen Romanen und CDs im Bereich klassischer Musik, erscheint nun jede Woche – auflagenstark und prominent im eigenen Feuilleton beworben – eine DVD der „SZ-Cinemathek“ im Buchhandel. Sebastian Berger, Pressesprecher der SZ, sieht diese Aktion „als logische Fortsetzung der bisherigen Projekte“, denen weitere (geplant ist eine Pop-Musik-Edition als CD- und Buch-Package) folgen werden. Während die im letzten Jahr verkaufte DVD-Edition des „Stern“ kaum zur Kenntnis genommen wurde – und das trotz oskarprämierter Highlights – liegen die Verkäufe, nach Angaben des Verlags, „innerhalb der Erwartungen“. Profitiert wird dabei von einem insgesamt boomenden DVD-Geschäft.Dabei erhebt die Auswahl der 50 Silberlinge nicht den Anspruch eines – wie auch immer definierten – filmgeschichtlichen Kanons oder beschränkt sich auf deutschsprachige Filme. Das ist strategisch sehr klug. Denn gerade an diesem seit seiner Erfindung stark internationalisierten Medium Film müsste eine Kanonkonzentration auf 50 Beispiele zwangsläufig scheitern.So erfolgte die Auswahl der Regisseure nach „subjektiven Kriterien der Feuilletonredaktion“ und ist somit weder ein Kanon nach „Geschmackskriterien noch nach Popularität“ – verzichtet wurde jedoch auf Stummfilme, so dass etwa ein Film Sergej Eisensteins, Fritz Langs oder David W. Griffith fehlt.
Dafür sind aber Billy Wilder („Küss’ mich Dummkopf“) und Ernst Lubitsch („Ninotschka“) mit Ihren frühen Tonfilmen vertreten. Auffälligerweise fehlen ebenfalls Werke von Fassbinder, der sicherlich in eine Reihe mit Alfred Hitchcock („Der unsichtbare Drit-te“), und Orson Welles („Im Zeichen des Bösen“) gehört. Allein angesichts dieser beiden Leerstellen könnte die Reihe nicht mehr den Anspruch eines filmgeschichtlichen Überblicks beanspruchen. Stummfilmklassiker fielen sicher den pessimistischen Umsatzerwartungen zum Opfer, was auch die Absenz eines DEFA-Films, etwa von Wolfgang Staudte oder Frank Beyer erklären könnte. Bei den Fassbinder-Filmen lassen sich eher Lizenzprobleme vermuten. Auch wenn von Seiten des Verlages betont wird, man habe nahezu alle gewünschten Lizenzen bekommen. Innerhalb dieses Rahmens, der neben dem Redaktionsgeschmack indirekt auch die Vorlieben der Leserschaft und des darüber hinaus erwarteten Publikums bedient, ist die Auswahl überraschend - und das in jeder Hinsicht. Sowohl im Bereich der Genres als auch im Bereich der ästhetischen Stilbildung sind zahlreiche Klassiker und Wiederentdeckungen berücksichtigt.
So finden sich Beispiele des Italienischen Neorealismus, der Nouvelle Vague („Fahrenheit 451“, „Die Verachtung“), des Film Noir ebenso wie Vertreter der dänischen Dogma-Filmbewegung („Das Fest“) und des Hollywood-Mainstreamkinos („Terminator 2“, „Out of Sight“, „Magnolia“). Hinzu kommen Publikumslieblinge (wie „Harold and Maude“) und Klassiker („Uhrwerk Orange“, „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, „Haie der Großstadt“), aber auch richtige Raritäten (et-wa Josef von Sternbergs „Marokko“). Festzuhalten gilt: Es ist zunächst eine Auswahl für Cineasten. Gleichwohl bieten einzelne Filme der Reihe mit der entsprechenden kino- und stilgeschichtlichen Kontextualisierung auch die Möglichkeit, internationale Filmgeschichte zu schreiben. Die Zusatzfeatures sind knapp gehalten: Neben der Mög-lichkeit, zwischen Original- und Synchronfassung (gelegentlich auch Untertitel) zu wäh-len, verzichten die Herausgeber – sicherlich auch aus Kostengründen – auf weitere Bonusmaterialien, ledig-lich im Booklet findet man einige Hinweise zum Making-of und zur Biografie des Regisseurs.
Susanne Friedemann: Fußball erklärt die Welt
Fußball ist die Sportart, die alle Welt verbindet – denn überall haben Menschen Freude am Spiel, überall gelten die gleichen Regeln. Fußball ist Sport. Fußball ist Leidenschaft. Fußball ist Leben. Doch dass das nicht allerorts so aussieht wie in Deutschland, zeigen eindrucksvoll die Beiträge der Lehr-DVD „Die Welt ist rund. Fußballträume – Fußballrealitäten“. Besonders vor dem Hintergrund der anstehenden WM 2006 „im eigenen Land“ bieten die fünf Kurzfilme und Dokumentationen einen Ansatz, sich mit weltpolitischen Problemen zu beschäftigen. Sie machen begreiflich, dass Fußball längst nicht nur begehrenswerter Profi- oder begeisternder Freizeitsport ist, sondern beispielweise auch wichtige und zugleich gehasste „Nahrungsquelle“.
Die Themen der Beiträge sind vielfältig: Sie zeigen Fußballspiel und Erfindergeist, Verschuldung und Kinderarbeit, religiöse Restriktionen und Fußballträume, Spielgemeinschaften und Klassenunterschiede, verheißungsvollen Spielertransfer und enttäuschende illegale Machenschaften. Verschiedenste Schicksale junger Menschen aus aller Welt, deren Leben durch Fußball geprägt sind, geben Anstoß, Euphorie zu hinterfragen und soziale Hintergründe in eigene Überlegungen aufzunehmen. Doch es werden keineswegs nur schwermütige Gesichter gezeigt – richtige Lausbuben und -mädchen sind es mitunter, die ihre Lebenswelt vorstellen und für reichlich Identifikationspotential sorgen. Lustige Nebeneffekte erzielen zum Beispiel wohlbekannte Moralpredigten Erwachsener gegenüber den fußballverrückten Kindern, die all ihre Kreativität nutzen, um gemeinsam möglichst viel Spaß zu haben.
Wenn dann die Fußbälle noch aus mit Stoff und Faden umwickelten Kondomen (!) be-stehen, die eigentlich der AIDS-Verhütung in Ent-wicklungsländern dienen sollen, ist eine Brücke zur globalen Betrachtungsweise geschlagen, die als Diskussionsgrundlage taugt und auch ordentlich im Gedächtnis haften bleibt.Die neben den Filmen auf der DVD enthaltenen Begleitmaterialien (im PDF-Format) fordern eine gezielte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen und weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen. Geboten werden Unterrichtsvorschläge, Arbeitsblätter und Fotomaterial für den Unterricht der Klassen 4 bis 12.
Thomas Jacob: GTA San Andreas
San Andreas ist der neueste Teil der GTA-Reihe, eine Serie von Computerspielen, die Maßstäbe setzt in Detailreichtum und Spielwitz – aber auch in der Gewaltdarstellung.Schauplatz des Spiels ist der fiktive US-Staat San Andreas in den frühen neunziger Jahren. Der Spieler übernimmt die Rolle von Carl, der in seine Heimatstadt zurückkehrt. Dort schickt er sich an, zum Anführer der mächtigsten Gang in San Andreas zu werden.Wie alle GTA-Spiele ist auch San Andreas eine Mischung aus Autorennen und Actionspiel.
Der Spieler kann sich in der riesigen Stadt völlig frei bewegen – entweder zu Fuß oder im Auto. Auf den Straßen herrscht ständig dichter Verkehr, und CJ kann jedes Auto anhalten, den Fahrer gewaltsam aus dem Wagen zerren und davonfahren. Wie man an diesem Fakt schon merkt, geht es in San Andreas nicht zimperlich zu. Derzeit ist San Andreas in den USA erneut ins Kreuzfeuer geraten. Grund ist aber nicht etwa die dargestellte Gewalt, sondern eine kleine, von Fans programmierte Modifikation. Damit können einige verborgene Sexszenen im Spiel freigeschaltet werden. Was hierzulande eher für Belustigung sorgt, ist in den USA ein Skandal.
Wahrscheinlich müssen die Entwickler nun zum ersten Mal ein Spiel der GTA-Reihe vom Markt nehmen - für eine sexfreie Version.
Daniel Ammann: Hotzenplotz!
Der Räuber Hotzenplotz. CD-ROM, Win 98 / ME / 2000 / XP, Mac ab 8.1 / OS X. Nach Motiven des Buches von Otfried Preussler. Mit Illustrationen von F. J. Tripp. Berlin: Cornelsen 2004, 24,95 n
Zwischen Buchdeckeln, im Hörspiel oder Film (mit Gert Fröbe) treibt der berüchtigte Räuber Hotzenplotz nach wie vor sein Unwesen. Der „Mann mit den sieben Messern“ zählt zu den beliebtesten Unholden der Kinderliteratur und macht neuerdings die Computerbildschirme unsicher. Auf der CD-ROM dürfen Kinder ab etwa sechs Jahren dem mutigen Kasperl und seinem Freund Seppel zur Seite stehen, wenn es gilt, Großmutters melodiöse Kaffeemühle wiederzubeschaffen und den Übeltäter hinter Schloss und Riegel zu bringen. Im Verlaufe dieses abenteuerlichen Unterfangens wird natürlich auch die Fee Amaryllis gerettet und der böse Zauberer Zwackelmann findet sein verdientes Ende.
Die erste multimediale Umsetzung verhilft dem Kinderbuchklassiker von Otfried Preussler aus dem Jahr 1962 zu neuer Frische und präsentiert die turbulente Geschichte als gelungenes Kasperletheater mit originalgetreuen Zeichentrickszenen. Um die Handlung zu raffen, treten immer wieder Figuren als Erzähler vor den Vorhang und leiten zur nächsten Episode über. An insgesamt acht Schauplätzen müssen Klickpunkte gefunden und verschiedene Spielaufgaben in zwei Schwierigkeitsstufen bewältigt werden. Die sieben Denk- und Geschicklichkeitsspiele verlangen genaues Zuhören, Beobachtungsgabe, Sachwissen sowie Geduld und schnelles Reaktionsvermögen. Die musikalische Einbettung der Erzählung sowie professionelle Sprecherstimmen lassen die Spielgeschichte auch zum Hörvergnügen werden. Neues vom Räuber Hotzenplotz für den Computer ist ab September zu erwarten.
Susan Gürber: Safari mit Oscar
Oscar der Ballonfahrer entdeckt Afrika: Die Savanne. CD-ROM, Win 98 / ME / 2000 / XP, Deutsch und Englisch. Berlin: Tivola 2004, 24,95 n
Oscar, der kleine Junge mit grossem Entdeckergeist, hat auf früheren CD-ROMs die Tierwelt der Berge, der Wiese und des Waldes erkundet. Seine jüngste Entdeckungsreise, zu der er Kinder ab vier Jahren einlädt, führt in die Savanne Afrikas.Wir landen dort, die mit detailreichem Screendesign und authentisch anmutenden Tierlauten und Naturgeräuschen überzeugend vorgeführt wird. Nun können wir wählen, welches der sieben Tier-Habitate wir mit Oscar zuerst besuchen. Die Schauplatzabfolge bestimmen wir selber, und dank der auf dem Bildschirm stets verfügbaren Hilfestellung gelingt die Navigation durch die Szenerie problemlos.
Um die Tiere und ihre Lebensweise zu dokumentieren, können wir Oscar mit der stets griffbereiten Kamera Fotos schießen lassen und diese im Reisetagebuch einordnen, kommentieren und ausdrucken. An jedem Schauplatz testen verschiedene Spiele Geschicklichkeit und Merkfähigkeit, und am Schluss gelangt Oscar nur zu seinem Ballon, wenn er mit unserer Hilfe Fragen zur Lebensweise der Tiere richtig beantwortet.Diese interaktive Wissenssafari lässt sich auf Deutsch oder Englisch spielen, wobei sich die beiden Sprachversionen vom sprachlichen Niveau her je an muttersprachliche Kinder richten.
Susanne Friedemann: Neuer Anstrich für Piano
Piano wird rot. Eine Instrumentenfabel von Sven-Michael Bluhm. SMB-Verlag Hamburg 2004, www.smb-verlag.de, 12,50 € (CD) / 8,50 € (MC)
Eine „Instrumentenfabel“, so der Untertitel zum nunmehr vierten Kinder-Hörspiel dieser Reihe von Sven-Michael Bluhm. Nicht Menschen oder Tiere spielen die Heldenrollen. Nein, Instrumente sind es, die heimlich ein eigenes Dasein unter uns führen und ebenfalls mit den Höhen und Tiefen des Lebens zu kämpfen haben.Die Hauptakteure dieser Fabel sind ein liebevoll-brummiges Cello, ein schüchternes Piano, eine aufgeweckte Viola und ein gemütlicher Kontrabass, die miteinander auf dem Dachboden einer alten Schule leben. Große Veränderungen stehen bevor: Piano und Cello sollen restauriert werden! Das sorgt natürlich für einige Aufregung, soll doch Piano rot gestrichen werden. Das macht schon mal so viel Angst, „dass einem die Saiten im Bauch“ weh tun.
Ein Glück nur, es gibt Freunde, denen egal ist, wie man aussieht.In der ruhig und dennoch spannend erzählten Fabel, die an Großvaters Märchenstunden erinnert, geht es um Mut, Neues zu wagen und Freunden beizustehen. Die Sprecher hauchen den Instrumenten liebenswerte Gesten ein; die untermalenden Klangeinlagen vom behäbigen Knorksen bis zum freudigen Klimpern harmonieren perfekt mit den Charakterzügen und Bewegungen der einzelnen Figuren. Geschickt eingebaute wörtliche und musikalische Verweise auf Berühmtheiten wie Prokofjew mit „Peter und der Wolf“, Schumann, Wagner oder auch Shakespeare, lassen kleine und große (Mit-)Hörer die Schönheit klassischer Werke erfahren.
Dass dabei die dichterischen Neu-Schöpfungen des britischen Instrumentenfreunds „Englisch Horn“ nicht zu kurz kommen, die sich durch das ganze Abenteuer ziehen, belebt die Erzählung zusätzlich.Kurzum, eine liebevoll gestaltete Geschichte, die sich der wunderbar originalen Wirkung alt anmutender Musikinstrumente annimmt und diese zum Leben erweckt.
Manuela Grimm: Lieder machen Lust
Detlev Jöckers bunte Liederwelt. Das weiß Professor Superschlau! Menschenkinder Verlag und Vertrieb GmbH, Münster 2005. www.menschenkinder.de, 13,80 nKinder sind von Natur aus neugierig und können den Erwachsenen geradezu Löcher in den Bauch fragen. Detlev Jöcker nutzt die gesunde Neugier und den Spaß, den Kinder an Musik haben. Er gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Wissenshorizont mit Liedern spielerisch zu erweitern.Insgesamt enthält die Audio-CD 14 Lieder, die sich jeweils einem bestimmten Thema widmen.
Lied Nummer 14 mit dem Titel „Am Himmel sieht man viele Wolken“, wendet sich bespielsweise der Wetterthematik zu. Im Booklet finden sich neben dem Liedtext unter „Das weiß Professor Superschlau“ dann noch nähere Wissensinfos zu den einzenlnen Liedthemen. In diesem Fall, welche Faktoren am Wetter beteiligt sind und wie Meteorologen versuchen das Wetter vorherzusagen.Eine sinnvolle Ergänzung für kleine und große Wissensdurstige ist das gleichnamige Begleitbuch. Es enthält zu jedem Lied themenbezogene Geschichten und interessante Hintergrundinformationen und Spielanregungen.
Bespielsweise können die Kinder zum Thema Indianer selbst kreativ werden, indem sie ein Tipi basteln oder die Geschichte „Kleine Feder“ durchlesen. Der Tonträger ist für Kinder ab ca. fünf Jahren geeignet.
Tilmann P. Gangloff: Englisch mit Andy, Mathe mit Angela Anaconda
Die Rechnung soll ganz einfach sein. Auf einer CD-ROM mit Lerninhalten sind vier bis acht Spiele; die CD kostet 20, vielleicht sogar 30 M. Wenn es nun aber ein Internet-Angebot ähnlichen Zuschnitts gibt, das mindestens fünfmal so viele Spiele enthält: Würden Eltern dann die Jahresgebühr von 59 bezahlen? Immerhin hätte das spielende Lernen im Netz den Vorteil, dass die CDs weder verschwinden noch verkratzen können. Andererseits ist natürlich nicht nur der Rechner blockiert; wer keinen ISDN-Anschluss besitzt, muss warten, bis die Kinderzeit abgelaufen ist. Trotzdem hielt sich das Risiko für Super RTL in Grenzen, als der Marktführer im deutschen Kinderfernsehen die Grundzüge für den Toggo-CleverClub entwarf; schließlich hat sich beim Vorschulangebot Toggolino Club (www.toggo.de) gezeigt, dass es auf jeden Fall eine Nachfrage gibt. Und weil aus kleinen Kindern irgendwann große werden, war ein entsprechender Service für Grundschulkinder nur eine Frage der Zeit. Seit Ostern können sie sich also im Toggo-CleverClub (www.toggo-cleverclub.de) tummeln und dort mit ihren Lieblingsfiguren aus Super-RTL-Serien wie Typisch Andy oder Angela Anaconda pädagogisch wertvoll die Zeit vertreiben. Eine kurze Stippvisite wird skeptische Eltern überzeugen, dass sie ihren Nachwuchs unbesorgt in diesem Kinderparadies abgeben können: Die Kleinen vertiefen ihre Kenntnisse in Rechnen, Schreiben und Englisch; quasi nebenbei werden auch noch die Fertigkeiten im Umgang mit der Maus geschult. Das Konzept ist simpel und baut darauf, dass Kinder ja gar nichts dagegen haben, dazuzulernen; es darf nur nicht in Arbeit ausarten, sondern soll in erster Linie Spaß machen. Und das tut es, denn in sämtlichen Vergnügungen dominiert das spielerische Element. Man muss zwar hellwach sein und auch mal kopfrechnen, doch jeder Treffer wird belohnt. Natürlich hat man irgendwann alle dreißig Spiele durch, doch die persönliche Hit-Liste ist Ansporn genug, beim nächsten Mal noch schneller zu sein. Und dann gibt’s ja noch die „Highscore“-Übersicht mit den Namen der anderen Teilnehmer, die man vielleicht ebenfalls übertreffen will.Ganz abgesehen von diesem Wettbewerbsfaktor haben Kinder im Grundschulalter ohnehin kein Problem damit, Spiele regelmäßig zu wiederholen; Hauptsache, der Spaßfaktor ist groß genug. Für den sorgt im Toggo-CleverClub nicht zuletzt die Tonspur, die richtige und falsche Entscheidungen prompt lautstark kommentiert.
Spaß plus DidaktikSieben Spielewelten gibt es insgesamt. Die Themen sind ausnahmslos schulrelevant. In der Gebrauchsanweisung für die Eltern werden die Lernziele erklärt. In der Welt des ewig zu Streichen aufgelegten Andy zum Beispiel geht es darum, die Konzentration zu fördern. Die Spiele selbst werden den Eltern allerdings zunächst womöglich suspekt erscheinen, zumal sich der tiefere Sinn und Zweck nicht immer auf Anhieb erschließt. Mitunter hält sich der Effekt tatsächlich im Rahmen. Beim „Wasserbomben-Alarm“ muss man ähnlich wie beim Steckspiel „Mastermind“ durch Tüfteln erraten, welcher von Andys Freunden hinter welcher Klotür sitzt. Hat man das schließlich richtig rausgefunden, platschen ihnen Wasserbomben auf den Kopf. Das „Pudding-Rennen“ erinnert unübersehbar an das fragwürdige Fernsehvergnügen aus der Hugo-Show, bei dem Anrufer ein Fantasie-Vieh per Telefontasten an Hindernissen vorbeisteuern mussten. „Pudding-Rennen“ funktioniert ganz ähnlich: Andy hat zwei Eimer mit Matsch vollgeschaufelt und radelt nun damit nach Hause. Auf dem Weg liegt lauter Müll rum, an dem man ihn mit Hilfe der Cursor-Tasten vorbeidirigieren muss. Holpert das Rad über ein Hindernis, verliert Andy jedes Mal etwas Matsch. Bonus-Punkte gibt es, wenn man zwischendurch Fragen richtig beantwortet; und wenn man die vereinzelt auf dem Weg liegenden Äpfel „aufsammelt“, geht die Fahrt gleich zügiger voran. Doch Andys Welt ist bloß der Einstieg, ganz abgesehen davon, dass gerade kleineren Kindern die Herausforderung ungleich mehr Spaß macht als dem tastaturgeschulten Erwachsenen. Bei „Angela Anaconda“ geht’s schon deutlich didaktischer zu. Hier muss man zum Beispiel in einem Text fehlende Buchstaben ergänzen, was sich für manche Kinder als verflixt schwer entpuppen könnte, denn man muss jeweils zwischen „k“ und „ck“ oder „ss“ und „ß“ entscheiden; ein echter „Hausaufgabenhorror“, wie die Aufgabe daher auch treffend heißt. In einem zweiten Spiel ist Kopfrechnen gefordert: Angela stellt eine Aufgabe, anschließend hasten die Figuren aus der Legetrick-Serie durch den Schulflur.
Auf jeder von ihnen steht ein mögliches Ergebnis, das richtige muss angeklickt werden. Hier werden also gleich zwei Dinge geübt: das Rechnen sowie das Manövrieren mit der Maus. Mit „Sherm!“ schließlich lernen die Kinder englisch. Weil Sherm mal wieder pleite ist, hilft er in einer Burger-Bude aus. Wer ihm beistehen will, muss die Brötchen belegen. Sherm nennt die englischen Bezeichnungen für die Zutaten („Take the onion, take the fish“), die Kinder müssen sie blitzschnell mit der Maus auf die Brötchenhälfte ziehen, die derweil durchs Bild fliegt. Haben sie sich vertan, landet der Hamburger mit lautem Getöse in der Mülltonne; liegen sie richtig, kommt ein großmäuliges Geschöpf und vertilgt das Brötchen mit wonnigem Schmatzen. Wer dreimal falsch belegt, hat verloren. Auch bei „Cool Numbers“ steht die Maus im Mittelpunkt: Die „irren Mikroben“ aus der Serie werfen mit giftigen Kugeln um sich. Doch nicht alle Kugeln, die auf den Spieler zufliegen, sind gefährlich. Sherm sagt die Zahlen auf englisch, der Spieler muss die entsprechenden Geschosse per Mausklick abschießen – ein schlichtes Ballerspiel, in dessen Verlauf einem die englischen Zahlen in Fleisch und Blut übergehen. Ganz schön knifflig wird’s für Grundschüler dann im zweiten Level, wenn die Zahlen zweistellig werden. Viel Physik ist angesagt, wenn die Moderatoren Nina Moghaddam und Marcus Werner durch „WOW – die Entdeckerzone“ führen. Der Versuch im „Spiegelspiel“ ist nur die Einführung: Hier müssen Spiegel so eingestellt werden, dass mit Hilfe des einfallenden Sonnenlichts Maiskörner erhitzt werden können.
Interessanter sind die Optionen: Klickt man auf die Glühbirne, wird der Versuch erklärt („Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“); klickt man auf den Werkzeugkasten, erscheint eine Bastelanleitung für ein Periskop. Diese Optionen gibt’s bei jedem „WOW“-Spiel. Sehen einige Aufgaben auch eher nach Vorschule aus (sechs Teile zu einem Puzzle zusammenlegen), so haben sie es doch alle in sich. Das Puzzle zum Beispiel ist das Vorspiel für eine Lektion in optischer Täuschung, denn im gleichnamigen Kapitel werden Stereogramme, Kippbilder und andere Spielereien mit Perspektive vorgestellt und erläutert. Chancen am MarktGemessen an dem Spaß, den Kinder mit dem Toggo-CleverClub haben können, erscheint die Jahresgebühr von 59 Euro tatsächlich nicht zu hoch. Bei einer Spieldauer von ein bis zwei Stunden pro Tag braucht man allein mindestens eine Woche, bis man sämtliche Spiele gespielt, Optionen angeklickt und Informationen gelesen hat; und dann geht der Spaß wieder von vorne los. Wer erstmal nur reinschnuppern will: Ein vierwöchiges Test-Abo kostet bloß einen Euro. Die Zuversicht von Matthias Büchs, bei Super RTL „Director Operations“, der CleverClub werde seine Mitglieder schon finden, ist nicht unbegründet. Als der Sender im Herbst 2002 die Tore zum Toggolino-Club öffnete, prognostizierten Experten dem Sender allenfalls einige wenige tausend Abonnenten; mittlerweile sind es 60.000. Mit dem zweiten Club geht Super RTL trotzdem erneut ein Wagnis ein; schließlich ist es durchaus ein Kunststück, Kinder zu freiwilligem Multiplizieren zu bringen.
Gerade darin aber dürfte aus Elternsicht der entscheidende Mehrwert gegenüber „Toggolino“ bestehen, denn dort geht es doch weitgehend um Unterhaltung. Sieht man mal vom didaktischen Anteil ab, überzeugt der CleverClub vor allem durch seine Liebe zum Detail. So sind zum Beispiel die Sprecher der Figuren die selben wie in den Serien. Sämtliche Spiele wurden unter der Beratung von Fachleuten exklusiv für diese Plattform entwickelt. Und das derzeitige Angebot ist ja nur die Ausgangssituation. Der Toggolino Club hat nach Aussage von Büchs bereits „um die hundert Applikationen“; auch beim CleverClub sollen jeden Monat neue Spiele hinzukommen. So werden die Abonnenten zum Beispiel schon bald online Schach spielen können. Für 2006 wird mit „Adventurers“ eine neue Welt eingeführt, in der sich alles um Geschichte dreht. Ein Wermutstropfen bleibt dabei allerdings: Selbst auf einem guten Rechner dauert es mehrere Minuten, bis die Spiele hochgeladen sind.Der Toggolino Club wurde für seine „herausragende didaktische Konzeption und ihre kreative Umsetzung“ im vergangenen Jahr mit dem „edut@ain-award“ ausgezeichnet, einem Preis, der unter der Schirmherrschaft der Bundesbildungsministerin steht. Außerdem wurde er mit dem Gütesiegel „Erfurter Netcode“ versehen; es wird ausschließlich an Internet-Anbieter vergeben, die sich einem hohen Qualitätsstandard verpflichten. Die erste Auszeichnung für den Toggo-CleverClub dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
Tilmann P. Gangloff
Christina Oberst-Hundt: Alte sind anders
Am Anfang stand, wie bei Veranstaltungen über ‚Ältere Menschen’ heute üblich, die demographische Entwicklung. Prof. Schmid von der Universität Bamberg verzichtete auf die Attitüde des Bedrohlichen, die das Thema in der Regel herauf beschwört, und würdigte ein langes Leben durchaus als soziale Errungenschaft. Innovationen im Gesundheitswesen und gesellschaftliche Entwicklungen, vor allem das Streben der weiblichen Bevölkerung nach gleichberechtigter Teilhabe an Bildung und Erwerbsarbeit, seien wesentliche Ursachen. Mehrheitlich geht es um Frauen, wenn das Thema ‚Alter’ verhandelt wird. Sie haben heute eine Lebenserwartung von 81 Jahren, während das männliche – laut Schmid – „schwächere Geschlecht“ mit 76 Jahren durchschnittlich rechnen kann. „Die vergreiste Republik“ wird laut Süddeutscher Zeitung „2011, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestrand drängen“ konkreter werden und 2040, wenn ein Drittel der Gesellschaft über 60 Jahre alt ist, „vollendet sein“
1.Mediennutzung 50 plus: anders, länger, vielfältig
Medien werden diese Entwicklung berücksichtigen und den unterschiedlichen Bedürfnissen alter Menschen entsprechen müssen. Wie Maria Gerhards von der SWR-Medienforschung betonte, nutzen die älter werdenden Generationen das vorhandene Medienangebot anders als jüngere und auf jeden Fall länger. Allerdings ist ihr Mediennutzungsverhalten keineswegs homogen und verändert sich mit zunehmendem Alter. Viele jüngere Alte zwischen 50 und 59 Jahren haben mehr mit 40-Jährigen als mit den älteren Jahrgängen gemein. Sie wollen vor insbesondere durch das Fernsehen Information, Entspannung, Unterhaltung, Denkanstöße bekommen und mitreden können. Erst in höherem Alter verändert sich der Fernsehkonsum deutlich. Über-70-Jährige sehen täglich im Durchschnitt mehr als viereinhalb Stunden fern, etwa eine Stunde länger als jüngere Alte. Während im vergangenen Jahr die meistgesehene Sendung der Ab-50-Jährigen Wetten, dass… war, favorisierten die Ab-70-Jährigen Mainz bleibt Mainz und den Musikantenstadl. Allerdings modifizieren sich diese Vorlieben deutlich, je höher der Bildungsstand ist. Mit steigendem Alter wächst zudem das Bedürfnis nach mehr Information, während die Fiktion-Angebote immer weniger interessieren.
Im Medienvergleich ist mit zunehmendem Alter die Hörfunknutzung gegenüber dem Fernsehen rückläufig. Aber die Tageszeitung wird täglich etwa eine halbe Stunde gelesen, während in Zeitschriften lediglich zehn Minuten geblättert wird. Das Interesse an Büchern schlägt sich in einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von täglich 70 Minuten nieder und Tonträger sind 36 Minuten eingeschaltet. Das Internet nutzen erst relativ wenige, nämlich unter 20 Prozent der Älteren, aber auch sie akzeptieren es zunehmend als eigenständiges Medium. Vor allem home-banking erfreut sich bei den Ab-50-Jährigen steigender Beliebtheit2. Bei den Fernsehsendern präferieren Ab-50-Jährige eindeutig die öffentlich-rechtlichen Angebote gegenüber privat-kommerziellen.
Ausgegrenzt oder gesund und fit?
Wie reagieren die Sender auf das größer werdende ältere Publikum? Richten sie sich nach deren Vorlieben, Bedürfnissen, reflektieren sie deren gesellschaftliche Situation, deren Probleme? Helmut Lukesch bezweifelt dies. In seiner Untersuchung über das Weltbild des Fernsehens, auf die der Medienkritiker Tilmann P. Gangloff in Tutzing einging, resümiert er, dass Menschen über 65 im Fernsehen deutlich unterrepräsentiert, ausgegrenzt seien und die negativen Seiten des Alters kaum gezeigt würden. Das Fernsehen vermittle insgesamt ein überwiegend positives Bild des Alt-Seins. Diesem Befund, von Lukesch kritisch beurteilt, hat Gangloff „die eigene gefühlte Statistik“ entgegengesetzt, die in mancher Hinsicht realitätsnäher wirkte als des Wissenschaftlers Analyse. So habe z.B. der inzwischen 75-jährige „Prof. Brinkmann“ in einem Schwarzwaldklinik-Special seinen 12,5 Millionen keineswegs nur älteren Zuschauern so positive Werte wie „Routine, Gelassenheit und Erfahrung“ vermittelt. Tatorte und andere Krimis, in denen alte Frauen um ihr Erspartes gebracht werden, eine von ihnen über Monate unentdeckt tot im Sessel sitzt, kriminelle Machenschaften in Altenheimen aufgedeckt werden, zeigten nicht gerade Beispiele problemlosen Alterns, ebenso wenig wie Fernsehfilme über schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, boshafte Schwiegermütter und Omas oder das erschütternde Porträt eines Alzheimer-Kranken.
3 Anzumerken wäre noch, dass Lukeschs Befund, „der Großteil der Senioren im Fernsehen“ werde „als körperlich gesund und geistig fit dargestellt“, dem ‚richtigen Leben’ durchaus entspricht. Die heutigen Alten sind nämlich viel weniger durch Krankheit, Gebrechlichkeit und Siechtum beeinträchtigt als alle Vorgängergenerationen.
Apropos Kommissarinnen und Co.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum in Tutzing die vielen fit aussehenden älteren Frauen aus der TV-Fiktion nur nebenbei erwähnt wurden. Gerade Figuren wie „Bella Block“ oder „Die Kommissarin“ waren es aber, die ab Mitte der 90er Jahre einen geradezu revolutionären Wandel im Fernsehen eingeleitet haben, indem sie dem bis dahin herrschenden Frauenleitbild: Jung, schön, mit Liebesdingen zwecks späterer Heirat befasst und dem Manne untertan4, die selbstbewusste, sich über ihren Beruf definierende, ältere Frau entgegenstellten. Zahlreiche Frauen, nicht nur Kommissarinnen, sondern auch Juristinnen wie Christiane Hörbigers ungewöhnliche „Julia“, „Tippsen“ wie Evelyn Hamanns „Adelheid“ oder Ruth Drexels resolute Mutter des „Bullen von Tölz“ belegen deren Publikumsakzeptanz mit höchsten Einschaltquoten. Und machen diese TV-Frauen nicht auch medial sichtbar, was der Bevölkerungsexperte eingangs ausgeführt hatte, dass nämlich Frauen ihren Anteil am gesellschaftlichen Leben einfordern auf Kosten von Kind und Küche?
Ab 50: nicht werberelevant?
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Tagungszeit in Tutzing widmete sich der Frage, “warum die Zielgruppe 14 bis 49 wirklich wichtig ist“, bzw. warum auch ältere Zielgruppen werblich nicht uninteressant sind. Von „Kontaktherstellung zwischen Produkthersteller und Konsument“, „Markenerinnerung“, „Aussteuerung des Mediaplans“ und „Umsatzgenerierung der Zielgruppen“ war da die Rede. Während die kommerziellen Sender darauf bestehen, dass sie mit den 14- bis 49-Jährigen auch die Älteren erreichen, wollen die Öffentlich-Rechtlichen „die verschmähte Generation“ der Alten gezielt ansprechen, weil diese immer mehr werden, Alterstypen sich immer weiter ausdifferenzieren, viele Alte „wirklich reich sind“, häufiger als Junge einkaufen und ihre Markentreue sich in Grenzen hält, wenn neue Produkte ihren Vorstellungen entsprechen.
Zwischen Konkurrenz und Quote?
In der Abschlussdiskussion keimte ein bisschen aktuelle Rundfunkpolitik auf. Die Gebührendiskussion habe ein Konkurrenzgefühl auch zwischen ARD und ZDF aufgebaut, einen Keil zwischen beide Systeme getrieben, in der Hoffnung, „dass vielleicht eines schlapp macht“, meinte Bettina Reitz vom Bayerischen Fernsehen. Und Regisseur Uli Stein befällt ein „steigendes Gefühl der Mutlosigkeit angesichts des Quoten- und Zielgruppendenkens“. Auch bei den Tatort-Filmen spüre er „Tendenzen, weniger politisch zu sein“. Susanne Kaiser vom ZDF beklagte die Politikverdrossenheit gegenüber Sendungen wie Berlin Mitte und Max Schautzer sieht bei Christiansen nur noch Leute, die dort wegen ihrer Funktion auftreten, nicht weil sie etwas zu sagen hätten. Was hat das mit den Alten zu tun? Sehr viel, denn sie sind es, die mehr vom Fernsehen erwarten, nicht nur weil sie länger sehen und immer mehr werden, sondern weil sie angesprochen sein wollen, nicht als Quotenbringer und Zielgruppen für Kaufprodukte, sondern über Inhalte, die ihren unterschiedlichen und vielfältigen Bedürfnissen entsprechen.5
Anmerkungen
1Süddeutsche Zeitung vom 10.1.2005
2 Wie alte Menschen mit online-Medien umgehen, war Titelthema in merz Nr.4, August 2004
3 Tillmann P. Gangloffs Tutzinger Referat in erweiterter Form in epd medien Nr.18 v. 9.3.2005, S.5ff.
4 Vergl. Monika Weiderer (1993). Das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen, S. Roderer Verlag, Regensburg
5 Vergl. Anne Rose Katz (1996). Wie man aus einem Grauen Panther ein Goldenes Kalb macht… in merz Nr.5, Oktober 1996. Titelthema: Die 50plus-Generation: Ohne Präsenz in den Medien?
Michael Bloech: Realität als pädagogische Herausforderung
Auf einer ärmlichen holländischen Schweinefarm in der Nähe von Utrecht verfolgt eine Kleinbauernfamilie gebannt am neuen Schwarzweiß-Fernsehgerät das aktuelle Geschehen: die erste bemannte Mondmission von Apollo 11. Die neunjährige Tochter Karo ist von diesem Vorhaben einerseits fasziniert, aber andererseits glaubt das streng katholisch erzogene und gottesfürchtige Mädchen, dass Gott eine Mondlandung nicht erlauben würde. Auch ihr Vater Mees ist von alldem und überhaupt von der gesamten neuen Technik wenig begeistert. Der alkoholkranke Mann hält das Fernsehen für Betrug und hat den Bezug zur Realität vollkommen verloren. Zwar versucht Mees verzweifelt, seine starke Alkoholabhängigkeit zu besiegen, aber immer wieder verliert er den Kampf gegen seine Dämonen. Die ganze Familie leidet unter seinen zahllosen, alkoholbedingten Abstürzen. Nur die Liebe zu ihren fünf Kindern hält Karos hochschwangere Mutter in dieser bedrückenden Situation vor einer Flucht zu ihrer in der Großstadt lebenden Schwester zurück.Alles scheint sich dennoch, dank Karos Entschlossenheit, zu einem glücklichen Ende zu fügen: Die wasserscheue Karo verspricht ihrem Vater, Schwimmen zu lernen, wenn Mees im Gegenzug mit dem Trinken aufhört. Doch ein dummer Zwischenfall während Karos Kommunionsfeier und der plötzliche Tod der Schweineherde stürzen den Vater in tiefste Depression, die im Alkoholrausch bis zur Besinnungslosigkeit endet, was wiederum bei Karo grenzenlose Wut und Verachtung hervorruft. Erst als durch die finanzielle Hilfe der reichen Tante eine neue Schweineherde gekauft werden kann, kommt der Vater zur Besinnung und will „noch einmal ganz von vorne anfangen“.
Doch das familiäre Glück währt nicht lange...„Weiter als der Mond“ ist damit zunächst vor allem ein wirklich bedrückendes, emotionales Drama. Regisseur Stijn Coninx hat einen traurig stimmenden Film realisiert, der in Punkto Wahrhaftigkeit in der Tradition der Dogmafilme steht. Allerdings dürfte gerade dies wohl Kontroversen auslösen: Kann das im Film Gezeigte Kindern überhaupt zugemutet werden, ist das alles nicht zu belastend? Doch das Schicksal, das die neunjährige Karo mit ihrer Familie durchleiden muss, mag vielleicht in der verkürzten Darstellung klischeehaft, konstruiert oder melodramatisch anmuten, dennoch ist das Gezeigte durchaus realitätsnah. Und dies erzeugt umso mehr eine nachdenklich stimmende Wirkung, als die geschilderten Problemlagen, die im Film in die 70er Jahre verlagert wurden, ohne weiteres auf die heutige Zeit übertragbar sind. Alkoholabhängigkeit, technischer Wandel, Armut und Intoleranz als negative Rahmenbedingungen familiärer Strukturen sind aktueller denn je. Das Wechselspiel widriger Bedingungen erzeugt gestern wie heute in Familien Hilflosigkeit und genau das ist der pädagogisch schwierige Kern an dieser Geschichte. Huub Stapel, der in der Rolle von Karos Vater alle Register schauspielerischer Professionalität zieht, macht nahezu körperlich spürbar, dass Alkoholabhängigkeit eine gefährliche Krankheit ist, die eine ganze Familie ins Chaos stürzen kann. Das als Craving in der Medizin bekannte Phänomen des ständigen körperlichen Verlangens nach Alkohol, das alle anderen Gedanken vollständig überlagert, wird überaus deutlich und wirklichkeitsnah filmisch in Szene gesetzt. Für Kinder ist dies beim Zuschauen natürlich eine extreme psychische Belastung. Zusammen mit der emphatischen Kamera, die stets distanzlos mitten im Geschehen ist, wird eine psychisch entlastende Distanzierung beim Zuschauen beinahe unmöglich.
Schon in der Anfangssequenz wird mit der Geburt eines Ferkels auf dieses Stilmittel eingestimmt. Nahezu dokumentarisch wird dieser Augenblick, in dem Karos Mutter mit ihren Händen den mühevollen Geburtsweg des Ferkels unterstützt, in drastischer Deutlichkeit eingefangen und verweist auf das, was nun folgt: auf die Wirklichkeit. In der Konsequenz bedeutet dies jedoch nicht, dass Kinder im Sinne einer behütenden Bewahrpädagogik vor diesem Film geschützt werden sollten. Vielmehr ist das Gegenteil richtig, ältere Kinder sollten diesen Film natürlich anschauen und diskutieren, allerdings müssen dabei die Rahmenbedingungen stimmen. Was MedienpädagogInnen schon seit langem nachdrücklich fordern, nämlich dass Kinder belastende Filme nicht alleine anschauen sollen, wird hier zur Verpflichtung. Denn nach Filmende dürften sich bei den Kindern nicht nur Fragen, sondern vor allem viele Anlässe für Diskussionen ergeben.
Weiter als der Mond
Niederlande, Belgien, Dänemark, Deutschland, 2003, 99 min
Regie: Stijn Coninx
Darsteller: Huub Stapel, Johanna Ter Steege, Neeltje de Vree u.a.
Verleih: Movienet
Tilmann P. Gangloff: Kinder im Kino
Wenn über die Wirkung bewegter Bilder diskutiert wird, geht es meist um das Fernsehen. Kein Wunder: Das Leitmedium unserer Gesellschaft spielt auch bei Kindern mehrere Stunden am Tag eine wichtige Rolle. Doch das Fernsehen ist ein flüchtiges Medium: Man kann umschalten, man kann aus dem Zimmer gehen, man kann es ignorieren. Im Kino ist die Rezeptionssituation eine ganz andere: Die Leinwand ist riesig, der Ton spielt dank ausgeklügelter Sound-Designs eine noch stärkere Rolle als früher und ist zudem aufgrund der modernen Surround-Anlagen in den Kinos körperlich spürbar. Das Filmerlebnis schließlich ist nicht wie im Fernsehen in leicht konsumierbare Häppchen aufgeteilt; es dauert in der Regel mindestens neunzig Minuten. Trotzdem ist die Wirkung von Kinofilmen gerade auf kleine Kinder bislang noch kaum untersucht worden. Um so größer ist die Bedeutung des Projekts Medienkompetenz und Jugendschutz einzuschätzen, zu dem sich gleich drei Kooperationspartner zusammengeschlossen haben.
Einige Aspekte, denen die Studie nachgeht: Wie reagieren Kinder auf filmische Darstellungen? Wie verarbeiten sie Animationsfilme? Was erfassen sie von der Filmhandlung? Mit welchen Figuren identifizieren sie sich? Was löst Ängste aus? Wie gehen sie mit dargestellten Problemen um, etwa der Gefährdung von Freundschaften oder der Bedrohung von Familien? Stellen sie Bezüge zu ihrer eigenen Lebenswelt her? An welchen Filmfiguren orientieren sie sich, mit wem fiebern sie dem Happy End entgegen? Bekannt war schon vorher, dass Drei- bis Sechsjährige komplexe Handlungen stets in einzelne überschaubare Episoden zerlegen; übertragen auf die Filmsyntax würde dies einer Szene entsprechen, die ja durch die Einheit von Zeit und Raum gekennzeichnet ist. Ein Erzählrahmen, der sich über neunzig Minuten erstreckt, ist für kleine Kinder also viel zu lang, weshalb man ihnen mit einem Kinobesuch in der Regel ohnehin keinen Gefallen tut. Klar ist andererseits auch, dass gerade bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren (früher lassen sich kaum seriöse Ergebnisse erzielen) die individuelle Medienbiografie zu enormen Unterschieden im Verhalten führen kann: Manche gehen mit ihren Eltern bereits im Kindergartenalter regelmäßig ins Kino, andere bis zur Grundschule nie.
Für alle aber gilt, wie es in der Broschüre heißt: Kinder in diesem Alter nehmen einen Film „grundsätzlich erlebnisorientiert und emotional wahr“.Filmkompetenz im VorschulalterDie Studie der Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest ergänzt das eher rudimentäre Wissen um differenzierte Erkenntnisse und weist auf eine bedeutsame Entwicklung der letzten Jahre hin: Selbst Vorschulkinder haben dank ihrer Mediensozialisation durch das Fernsehen keine nennenswerte Probleme, Realfilme von Zeichentrickproduktionen zu unterscheiden. Gerade hinsichtlich der Wirkung ist das nicht unwichtig. Sie wissen, dass Animationsfilme nicht die Wirklichkeit sind, weshalb Cartoon-Figuren selbst das größte Ungemach letztlich unbeschadet überstehen können. Schwierigkeiten bereiten den Kindern aber Computerfilme wie die von Pixar produzierten Kassenknüller Toy Story, Findet Nemo oder zuletzt Die Unglaublichen. Und auch für Shrek gilt: Die Grenzen zwischen Realfilm und Computeranimation verschwimmen. Allerdings setzen gerade die Filme von Pixar auf klassische Cartoon-Elemente; Slapstick und Humor dominieren. Bei den Figuren handelt es sich um Spielsachen (Toy Story), Insekten (Das große Krabbeln), Meeresbewohner (Findet Nemo) oder Monster aus einer Parallelwelt (Monster AG). Sind es aber doch Menschen wie die Superhelden aus Die Unglaublichen, werden sie karikiert und bleiben deshalb Kunstfiguren. Ganz anders in Robert Zemeckis’ Polar Express: Mit Hilfe der „Motion Capture“-Technik wurde der Schaffner des Zuges dem Schauspieler Tom Hanks mehr als nur nachempfunden; kleinen Kindern müssen die Erlebnisse der achtjährigen Hauptfigur (ebenfalls Hanks, im Rechner verjüngt) wie echt vorkommen.Entscheidender aber für die Wirkung ist die Dramaturgie der Geschichten. War Zeichentrick früher zumindest hierzulande grundsätzlich ein Kindergenre, zielen neuere Filme wie Findet Nemo stets auf die ganze Familie; der Handlungsaufbau ist daher weitaus anspruchsvoller und nicht mehr bloß episodisch, was kleinere Kinder nicht selten überfordert. Bei einer Empfehlung für Kinder muss also darauf geachtet werden, dass gerade die dramatischen Szenen keine anhaltenden Ängste aufbauen.
Eminent wichtig: Die Kinder dürfen nicht in ihrer festen Erwartung enttäuscht werden, dass schließlich alles gut wird und den Helden nichts geschieht. Nur dann können sie in den filmischen Abenteuern die „Angstlust“ unbeschwert genießen: „Am Ende sind ja eh alle wieder happy“, zitiert die Studie einen der jungen Teilnehmer. Die Äußerungen der Kinder zeigen aber auch, wie tief ihre emotionale Bindung zu den Hauptfiguren ist: Sie redeten teilweise über die Filmhelden, „als wären es gute Freunde“. Die Identifikation ist naheliegenderweise um so stärker, je größer der Bezug zur eigenen Lebenswelt ist, zumal Freundschaft und Familie für Filmkinder (ob nun menschlich oder tierisch) fast immer Motor der Geschichten sind; der gern exotische Handlungsort ist dabei völlig zweitrangig. Kinder im KinoInitiiert wurde die Studie Medienkompetenz und Jugendschutz von der Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS). Ihr gehören die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), das rheinland-pfälzische Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend sowie die Landeszentrale für private Rundfunkveranstalter Rheinland-Pfalz (LPR) an. Die Ergebnisse wurden in einer sechzigseitigen Broschüre zusammengefasst. Sie kann kostenlos bei Inge Kempenich bestellt werden. Die Ergebnisse der Befragungen sind auch im Internet verfügbar. Eine nützliche Ergänzung ist das Faltblatt „Kinder im Kino“, herausgegeben von der Aktion Jugendschutz Bayern. Es fasst zusammen, wie Kinder in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen mit filmischen Erlebnissen umgehen, informiert über die Kriterien der Altersfreigaben, gibt Tipps, wie Eltern ihren Kindern in Momenten der Angst helfen können, und bietet außerdem eine Liste mit
Internet-Adressen, unter denen man sich über neue Filme informieren kann.
kempenich@spio-fsk.de
Thomas Jacob: Sechs Minuten für ein Spiel
Ballack dribbelt geschickt an seinem Gegenspieler vorbei, flankt genau auf Makaay, der nur wenige Meter vor dem Tor steht. Der Holländer zieht volley ab – Tor! Was wie die Liveübertragung eines Bundesliga-Spieles klingt, ist eine typische Szene aus dem neuen PC-Spiel FIFA 2005.FIFA 2005 ist die jüngste Ausgabe der äußerst erfolgreichen Fußballspielreihe von Electronic Arts. Das erste FIFA-Spiel erschien bereits 1994. Seitdem kommt Jahr für Jahr eine neue Version heraus, nicht nur für den PC, sondern auch für Spielekonsolen. Zu den Fußball-Großereignissen wie WM und EM kommen noch spezielle Ausgaben auf den Markt, so dass mittlerweile rund 15 Spiele der FIFA-Serie erschienen sind. GrafikprachtDie aktuelle Ausgabe unterscheidet sich dabei nur in Details von ihren unmittelbaren Vorgängern. Die Grafik wurde weiter verbessert und ist mittlerweile so realitätsgetreu, dass man bekannte Spieler problemlos an ihren Gesichtern erkennt. Auch die Bewegungen der Spieler sind geschmeidig und sehen verblüffend echt aus. Schon seit Jahren setzt die FIFA-Serie dabei auf eine Technik namens „Motion Capturing“. Dabei wird ein echter Fußballer mit Sensoren am ganzen Körper versehen, die seine Bewegungsdaten an einen Computer senden. Diese Daten übertragen die Programmierer dann auf die virtuellen 3D-Spieler, die sich somit genauso bewegen wie ihr lebendes Modell. So richtig genießen kann ein FIFA-Spieler die Details der Grafik aber nur in den Wiederholungen, die mit Nahaufnahmen und verschiedenen Kamerawinkeln protzen. Während eines Matches wird das Spielfeld in der Regel von relativ weit oben gezeigt. Zwar ist auch eine Vielzahl anderer Perspektiven wählbar, aber nur aus der Vogelperspektive behält man die nötige Übersicht.
Wählbar ist im Übrigen auch die Spiellänge, von einem kurzen Match über sechs Minuten bis hin zu den vollen 90 Minuten ist alles möglich.Steuertricks Zur Steuerung des Spiels kann entweder das Keyboard oder ein Gamepad verwendet werden. Mit den Jahren ist die Steuerung der FIFA-Serie immer komplexer geworden. Genügten beim allerersten Spiel noch zwei Aktionstasten – Passen und Schießen – so sind mittlerweile rund acht Knöpfe belegt. Damit können geübte Spieler wahre Kunststücke vollführen, vom Übersteiger über Fallrückzieher bis zur brutalen Blutgrätsche. Im Gegenzug ist ein ganzes Stück mehr Einarbeitungszeit nötig, bis man alle Nuancen der Steuerung beherrscht. Der Spieler übernimmt immer den Fußballer, der gerade dem Ball am nächsten ist. Den Rest der Mannschaft steuert der Computer. Die künstliche Intelligenz lässt die Mitspieler meist intelligent in Position laufen - immer abhängig von der Taktik, die vor dem Spiel eingestellt wurde.Kommentiert wird das Geschehen „live“ von den Fernsehmoderatoren Florian König und Rolf Bartels. Das ist am Anfang sehr amüsant und fördert die Atmosphäre – allerdings passen die Sprüche nicht immer zum Spiel und wiederholen sich recht schnell. Der Kommentator lässt sich aber zum Glück auch abschalten. TaktikFast selbstverständlich ist mittlerweile, dass neben den Nationalmannschaften auch die großen europäischen Fußballligen wie Italien, Spanien, England und Deutschland mit allen Vereinen und den Originalspielern vertreten sind. Dabei unterscheiden sich die Spieler in ihren Fähigkeiten wie Schnelligkeit und Schusskraft. Ein Ronaldo trifft auch in FIFA 2005 besser als ein Zweitligastürmer, und Olli Kahn hält fast jeden Ball. Mit einer starken Mannschaft ist es darum leichter, zu gewinnen.Im so genannten Karrieremodus übernimmt der Spieler zusätzlich noch die Rolle des Trainers.
Durch geschicktes Training und Spielertransfers gilt es nun, eine schlagkräftige Mannschaft zu formen und über fünfzehn Jahre möglichst viele Titel einzufahren. Wem die taktischen Möglichkeiten nicht reichen, der kann FIFA 2005 sogar mit dem PC-Spiel Fußballmanager 2005, ebenfalls von Electronic Arts, kombinieren. In einem Managerspiel übernimmt der Spieler die Rolle des Clubmanagers. Er kauft und verkauft Spieler, kümmert sich um Werbeverträge und Stadionausbau und legt Trainingsplan sowie Aufstellung und Taktik fest. Die Partien selbst werden dann vom Computer berechnet. Wer aber sowohl FIFA 2005 als auch den Fußballmanager 2005 installiert hat, kann die gemanagte Mannschaft dann im Match selbst steuern.Multiplayer Was für fast alle Computerspiele gilt, trifft auch auf FIFA 2005 zu: Am meisten Spaß macht eine Partie gegen einen menschlichen Gegenspieler, ob zu zweit an einem PC oder über das Netz. Im Internet gibt es richtige FIFA-Ligen mit Punktspielen, Tabellen und Meisterschaften. Auf anderen Fanseiten kann man sich Erweiterungen wie authentische Fangesänge, aktualisierte Trikots oder sogar einen Sportschau-Patch herunterladen, mit dem die Menüs des Spiels im Sportschau-Design erstrahlen. So kann sich jeder Spieler sein ganz persönliches FIFA 2005 zusammenbasteln, bis er sich – so zumindest die Rechnung von Electronic Arts – im nächsten Jahr FIFA 2006 kauft.
Susanne Friedemann: Rettet die Erde!
Mission BluePlanet. Das Klima-Quiz, Windows 2000 / XP, co2online 2005, www.mission-blue-planet.de, kostenlosDas Bundesumweltministerium bietet im Rahmen seiner Klimaschutz-Kampagne „Klima sucht Schutz“ ein kostenloses CD-ROM-Quiz für Schüler zu Themen rund um den blauen Planeten an. Darin werden in optisch ansprechender Oberfläche über 500 Fragen zu verschiedensten Aspekten der Umwelt aus den Fachbereichen Sachkunde, Erdkunde, Chemie, Biologie und Physik gestellt. Die Spieler können sich einzeln anmelden und zwischen den sieben Wissensgebieten Blauer Planet, Wind & Wetter, Über den Wolken, Unter Strom, Auf Achse, Risiko und Energiefuchs sowie drei verschiedenen Schwierigkeitsgraden wählen. Dabei sind deutliche Unterschiede im Fragespektrum und dem nötigen Hintergrundwissen erkennbar, so dass inhaltlich nahezu alle Klassenstufen (ca. 2. bis 10. Klasse) mit dem Quiz angesprochen werden. Im einfachsten Modus für die jüngsten Nutzer werden Fragen und Erläuterungen optional auch vorgelesen.Das Quiz selbst bietet weitaus mehr als bloße Fragen mit Antworten.
Die Aufgabentypen reichen vom lockeren Bilderraten über Auswahlfragen bis hin zum Wortpuzzle, zu vielen Fragen gibt es eine Einführung ins jeweilige Thema sowie nach Beantwortung der Frage zusätzliche Erläuterungen in Form von Infotext, Bild und Video. Damit werden den Schülern grundlegende Begriffe, Zusammenhänge zwischen Klima, menschlichem Handeln und Folgen für die Umwelt wie auch einige Energiespartipps vermittelt. Zur Erheiterung beim Spielen tragen kleine animierte Figuren bei, die sich über richtige Antworten freuen und auch schon mal dem bösen CO2 eins auswischen.Besonderer Bonus: Die kostenlos erhältliche Quizmaster-Version zur CD-ROM Mission BluePlanet bietet die Möglichkeit, selbst ein Quiz mit eigenen Fragen und Antworten – ganz ohne Programmierkenntnisse – zu erstellen. Somit können Lehrer mit etwas Engagement auf den Unterricht zugeschnittene Denkspiele gestalten oder es sinnvollerweise sogar ihren Schülern zur Aufgabe machen, neue Fragen und die zugehörigen multimedialen Antworten für den Unterricht zu entwerfen. Als zusätzliches Lehrmittel können auch Fragebögen mit den Quizfragen gedruckt werden.
Weiterhin werden nach Angabe des Herstellers im Internet unter www.mission-blue-planet.de regelmäßig neue Fragen für das Quiz zum Download angeboten. Dort kann man auch die persönlichen Spieldaten zu einem Wettbewerb versenden und sich mit anderen Umwelt-Interessierten messen.So bildet die vielseitige Mission BluePlanet eine geeignete Informationsquelle für den ergänzenden Einsatz in der Schule und sogar über den Unterricht hinaus.
Daniel Ammann: Chaos in der Sams-Welt
Das Sams: Abenteuer mit der Wunschmaschine. Win 98 / ME / XP; Mac ab OS 8.2 / OS X. Oetinger, 2004. 29,90 € Ein halbes Dutzend Sams-Bücher, dazu diverse Tonträger, Theater- und Musicalfassungen, zwei Kinofilme sowie eine beschauliche erste CD-ROM mit einfachen Spielaufgaben haben Paul Maars rüsselnasiges, rotschopfiges und rund um die Uhr reimendes Wesen seit 1973 bereits zum Medienstar gemacht. Höchste Zeit also für ein neues interaktives Sams-Abenteuer. Hierzu haben sich die Macher einiges einfallen lassen. Eine spaßige Geschichte sowie 19 ausgefallene und mit der Handlung eng verknüpfte Denk- und Geschicklichkeitsspiele sorgen für turbulente Unterhaltung.
Für Unordnung und Verstörung sorgt diesmal nicht das Sams, sondern die verschwundene Wunschmaschine. Sie ist in falsche Hände geraten und richtet mit allerhand Nebenwirkungen in der ganzen Stadt ein Chaos an. Das Wetter spielt verrückt und lässt das Freibad zufrieren, Kühe schweben an Ballons durch die Luft, aus Hydranten quillt klebriger Himbeersaft, Autos verwandeln sich in fahrende Betten und im Stadtpark wächst das Gestrüpp so schnell, dass die Besucher nicht mehr raus können. Dank tatkräftiger Mithilfe der Spielerinnen und Spieler gelingt es dem Sams natürlich, alles wieder ins Lot zu bringen. Die abwechslungsreichen und originell gestalteten Herausforderungen für Kinder ab sechs Jahren verlangen einiges an Geschick und Konzentration, garantieren aber auch länger anhaltendes Vergnügen.
Die meisten Spiele können beliebig oft wiederholt werden. Bei den sieben Punktespielen kann zudem der Schwierigkeitsgrad gewählt werden und über einen direkten Link lässt sich der Spielstand zum Vergleich sogar auf eine Highscoreliste im Internet übertragen.
Manuela Grimm: Spielend Deutsch lernen
Leporello 4. Lern-Spiel-Werkstatt Deutsch. Windows 95 / 98 / 2000 / ME / NT / XP. Westermann Schulbuch Verlag GmbH 2003. Vertrieb über www.toptem.de, 34 €
“Spielend Lernen” ist bei Leporello 4-Lern-Spiel-Werkstatt Deutsch tatsächlich Programm. Beginnend im Spielzimmer gelangen die Kinder der 4. Jahrgangstufe durch Klicken auf die am Boden stehenden Werkzeug- bzw. Spielekisten in die beiden Hauptbereiche „Werkstatt“ und „Lernspiele“.Die Lernspiele in Leporello zeichnen sich durch einen motivierenden Spielcharakter aus, wobei sie aber so aufgebaut sind, dass das Spielen und Üben untrennbar miteinander verbunden sind. Dabei decken die einzelnen Spiele verschiedene Ebenen des Übens ab, wie beispielsweise der „Teppichpilot“ dabei helfen kann, sprachliche Phänomene aufzuzeigen. In der Werkstatt, die bewusst offen und schlicht gehalten wurde, können die Kinder frei gestalten und schreiben. Verschiedene angebotene Schreibanlässe, die Möglichkeit, über die Email-Funktion mit Freunden zu kommunizieren oder Einladungskarten am PC zu gestalten hilft, das Gelernte umzusetzen. Zudem erscheint im rechten unteren Bildschirmrand neben den Namen des Kindes auch seine Punkte. Mit jedem erfolgreich beendeten Spiel steigen die Punkte an.
Dabei ist richtiges Schreiben in den Spielen bewusst viele Punkte wert. Dieses didaktische Belohnungssystem soll zusätzlich motivieren, denn schließlich können für die erspielten Punkte neben Grafiken auch weitere Funktionen in der Werkstatt freigeschaltet werden.Sowohl der klar strukturierte Aufbau als auch die Verbindung von Lernen und Spielen wurde hier mit viel Liebe und Phantasie umgesetzt. Egal ob es sich im „Kaktusgarten“ um das Entwickeln von Sätzen vom Verb aus handelt oder beispielsweise um das Verstehen des Bauprinzips von Wörtern mit Vor- und Nachsilben beim „Zauberfluss“, haben die Kinder sicherlich ihren Spaß. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, zu zweit die Hürden der deutschen Sprache zu nehmen. Schließlich sollte der Editor noch besonders hervorgehoben werden. Er ermöglicht Lehrkräften und Eltern, eigene Übungswörter oder ganze Übungen individuell zusammenzustellen.Die Lernsoftware ist inhaltlich abgestimmt auf das Lehrwerk Leporello 4 (allgemeine Ausgabe), kann aber auch mit jedem anderen Deutschlehrwerk der vierten Klasse eingesetzt werden. Ihr vielfältiger Einsatz erstreckt sich von der Schule bis zum Üben zu Hause.
Obwohl die Lernsoftware den Kindern problemlose und selbstständige Orientierung bietet, sollten vor allem Eltern eine stützende Funktion einnehmen und den persönlichen Fortschritt ihres Nachwuchses beispielsweise im interaktiven Wörterbuch überprüfen.
Manuela Grimm: Klappe und Action!
Nickelodeon. Mein Cartoon Studio - Trickfilme produzieren mit SpongeBob und seinen Freunden. Windows 98 / Me / 2000 / XP; MacOS 9.x-10.x. Junior in der United Soft Media Verlag GmbH 2004. 24,90 €
Trickfilme sind seit jeher ein beliebtes Fernsehformat der Kinder und werden gerne von ihnen angeschaut. Warum sollte man sie dann nicht auch versuchen lassen, einen eigenen Trickfilm zu produzieren? Dass dies viel Spaß machen kann, zeigt Mein Cartoon Studio. Begleitet von dem Sprecher der Figur des Planktons aus der Serie SpongeBob – Schwammkopf wird das Kind durch die Studiowelt geleitet. Vom Aussuchen der einzelnen Schauplätze über die Auswahl der Trickfilmcharaktere wie SpongeBob, Jimmy Neutron oder Tommy Pickles bis zu den Requisiten ist an alles gedacht. Szene für Szene gibt man den „Schauspielern“ ihre Bewegungsabläufe, Gefühle und Texte.
Selbst Kamerafahrten und lustige Geräusche lassen sich einbauen. Als letzten Schritt werden dann die richtigen Übergänge (z.B. Überblenden) zwischen den Szenen und der passenden Musik hinzugefügt. Sämtliche Elemente, angefangen über den Hintergrund, über Bewegungen der Figuren bis hin zu der Hintergrundmusik entnehmen die kleinen Regisseure einer Auswahl von vorgegebenen Möglichkeiten, die sie dann aber nach ihren eigenen Vorstellungen einbinden können. Ihrer Fantasie überlassen sind sie auch bei dem Gestalten der einzelnen Dialoge.Ganz leicht lässt sich das Meisterwerk dann auch per Email an Freunde oder Bekannte schicken. Und dann heißt es nur noch, Licht aus, hingesetzt, Popkorn geschnappt und Film an! Geeignet ist Mein Cartoon Studio für Kinder ab acht Jahren.
Manuela Grimm: Weltraum-Trip mit Lerncharakter
Flipps Galaktische Abenteuer. Windows XP / 2000 / 98. BrainGame Publishing GmbH 2004. 24,99 €
Für Flipp, der später einmal Raumfahrer werden will, ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Er darf eine Woche im berühmten Hotel Luna Plaza auf dem Mond verbringen. Endlich gelandet, lernt Flipp die hübsche Sunny kennen, die ein großes Geheimnis mit sich trägt, das an dieser Stelle natürlich noch nicht gelüftet wird. Die zwei werden Freunde und überlisten im Spielverlauf jede Menge intelligenter Wachroboter, Kontrollkameras und Laserschranken. Sogar Ausflüge mit den Raumschiff durch das Sonnensystem und Asteroidenfelder erwarten die beiden. Unerwartet trifft Flipp dann auf eine außerirdische Lebensform... Flipp wird während des Abenteuers mit Hilfe der Tastatur und Maus gesteuert, was zu Anfang größere Schwierigkeiten bereiten kann. Seine Aufgaben bestehen aus einzelnen Missionen, die sich jeweils im Mondhotel und Raumschiff abspielen sowie einen Ausflug beinhalten.
Durch das Sammeln von Mondsteinen lassen sich in der Bonusgalerie Bilder zum Spiel freischalten. Einen besonderen Anreiz bietet die Möglichkeit, seinen eigenen Punktestände über die Website www.flipps-abenteuer.de mit anderen Spielern zu vergleichen.Neben einem Inventar, Kommunikator und dem GPS (Global Positioning System) kann Flipp auf das so genannte Brainpad zugreifen. Während des Spiels nutzt Flipp sein Brainpad, um Wissen abzurufen, das er für die Lösung von Aufgaben benötigt. Es enthält alphabetisch geordnet alles Wissenswerte zum Thema Astronomie. Die Spieler lernen dadurch nebenbei interessantes zu Phänomenen des Universums, vom Urknall bis zu den Wurmlöchern. Die zahlreichen Videos, Animationen und Grafiken des Brainpads lassen sich übrigens auch einsehen, ohne ein Spiel zu starten.
Flipps Galaktische Abenteuer (offizielles Begleitprodukt zur „Langen Nacht der Sterne“) ist ein gewaltfreies Action-Adventure-Spiel, das durch das Brainpad einen edukativen Anteil enhält. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 14 Jahren.
Hans Peter Kistner: Mehr Schiller auf die Ohren!
Schiller für Kinder. der hörverlag 2005, www.hoer verlag.de, 9,95 €
Es ist das Schillerjahr, entsprechend hoch ist der Ausstoß an Schiller-Material, für jeden Kanal, für jede Zielgruppe. So auch für die Kinder ab 6 Jahren, hier mit einer CD des Hörverlags. Ausgewählte Gedichte des Klassikers, gelesen von Peter Härtling, dem bekannten Schriftsteller und Kinderliteraten. Härtling versieht sie jeweils mit einer kurzen Einführung und einem erzählenden Rahmen. Um die Klassiker, die „Glocke“, die „Bürgschaft“, den „Taucher“ und den „Ring des Polykrates“, setzt er auch Unbekanntes wie ein Gedicht des zehnjährigen Schiller oder das „Untertänigste pro memoria an die Konsistorialrat Körnerische weibliche Waschdeputation in Loschwitz eingereicht von einem niedergeschlagenen Trauerspieldichter“.
Dass Hörmedien eine solche Renaissance erfahren, liegt sicher an der besonders suggestiven Kraft des Gehörten. Das gilt auch hier. Die Kinder werden mit Sicherheit nicht alles erfassen, was Schiller in seine Verse legte, die CD lohnt sich trotzdem. Die Kraft der gebundenen Sprache bleibt hängen im Kindergehirn, zwischen all den Handy-Klingeltönen, Hiphop-Versen und dem hundertsten „Töröööö“ Benjamin Blümchens und wird später als Erinnerung wieder belebt, wenn es mal drauf ankommt. Trotz der angenehm ruhigen Großvater-Stimme Härtlings: Manchmal kommt der Wunsch auf, dass eine jüngere Stimme mit mehr Ecken und Kanten die Gedichte liest. Es muss ja nicht immer Rufus Beck sein. Und eine gewisse Dramatik schadet auch den Kindern nichts. Trotzdem eine insgesamt gelungene CD, der eine größere Verbreitung zu wünschen ist.
Manuela Grimm: Tiere sprechen über sich
Deutscher Landwirtschaftsverlag GmbH (2004). Erlebnis Bauernhof. Tierstimmen und Geräusche des Landlebens. Erhältlich beim DLV, Leserservice, Postfach 1440, 30014 Hannover, Fon 0511.67806-0, vertrieb.hannover @dlv.de; 10 € zzgl. Versand
Auf einem Bauernhof gibt es für Groß und Klein immer viel zu sehen, bestaunen und vor allem viel zu hören. Die typischen landwirtschaftlichen Klänge und originalgetreuen Laute der Bauernhoftiere versetzen den Zuhörer für rund 72 Minuten auf einen aktiv betriebenen Bauernhof. Neben den authentischen Tierlauten und Geräuschen gibt es ein 24-seitiges Begleitheft. Hier bekommt man kurze zusätzliche Informationen zu den Tierlauten und den Nutzen des Tieres für den Menschen. So erfährt man beispielsweise, dass die Wachtel der kleinste Hühnervogel ist und sein dreisilbiger „Pick-wer-wick“ Gesang auch Wachtelschlag genannt wird. Quizfragen, das Spiel des „Grünen Männchens“ oder ein Memory geben die Möglichkeit zu testen, wie gut man nun die Geräusche erkennen kann.
Richtig eingesetzt, zum Beispiel als Vorbereitung für den Besuch auf einem Bauernhof oder zum „Geräusche-Raten“, bietet die Audio-CD nicht nur für die Kleinen ab ca. fünf Jahren ein wunderbar vergnügliches und anspruchsvolles Hörerlebnis.
Jürgen Ertelt: Einchecken und einsteigen: netzcheckers.de
Das Jugendportal netzcheckers.de tritt an, um bevorzugt Jugendliche, die bisher nicht online waren, ans Netz zu bringen. Information, Online-Lernen, Online-Beratung, aktive Kommunikation, Unterhaltung und Emotionalität sind die tragenden Säulen dieses Jugendportals der Bundesinitiative Jugend ans Netz. Das Konzept des Portals beinhaltet das Ineinandergreifen von Information, Kommunikation und Aktion, welches eine Anbindung und ein wiederkehrendes Interesse der Jugendlichen an dem Jugendportal zum Ziel hat. Communitytreffs und real-virtuelle Aktionen realisieren die Annahme und Vermittlung von Informationen und befähigen über mediale Mitmach-Aktivitäten von Chat bis Online-Radio zum kompetenteren Umgang mit Multimedia und Internet. netzcheckers.de berücksichtigt hierbei die rezeptiven Mediengewohnheiten der bisher noch offline stehenden Jugendlichen und lädt mit einem frischen gängigen Design und aktuellen Inhalten zum Mitmachen ein.Partizipation ist auf dem Jugendportal Prinzip: Zur Stärkung kommunikativer und sozialer Kompetenzen werden die jugendlichen NutzerInnen durch konsequentes Anbieten und Auffordern zu eigenen Beiträgen ermutigt. Sie sollen sich in jeglicher medialer Form und in vollem Umfang beteiligen können. Ein selbstproduzierter Radiobeitrag, ein geschriebener Kurz-Kommentar zu einem Artikel oder ein geknipstes Bild zum „Thema der Woche“ sind Beispiele für das Mitwirken im Portal. Die Themenbereiche von netzcheckers.de verzweigen in verschiedene Inhalte, zu denen einzelne redaktionelle Beiträge angelegt werden.
Den einzelnen Artikeln sind Aktionsmodule zugeordnet, wie z.B. Weblog1, Chat, Tauschbörse, Forum etc. Das Themenfeld Liebe verzweigt so z.B. zum inhaltlichen Bereich Sexualität und dieser wiederum zum Thema Verhütung. An dem Beitrag Verhütung lassen sich die Angebote von Beratungschats bis Fotostory „andocken“. Über diese thematischen Verzweigungen finden auch Angebote der Jugendhilfe ihre Darstellung auf dem Jugendportal. Ein Feedback der jugendlichen User ist hier jederzeit und überall möglich. Alle redaktionellen Anbieter erhalten damit die Möglichkeit, ihre Beiträge von der jugendlichen Zielgruppe kommentieren und weiterentwickeln zu lassen.Eine Vielzahl an aktiven Modulen von Fotoalbum, Diskussionsforum, Weblog bis hin zum Wikiwiki2 stehen dazu als kombinierbare Werkzeuge zur Verfügung. Den jugendlichen NutzerInnen wird u.a. über Weblogs ein eigener persönlicher Gestaltungsraum angeboten, der leicht eingerichtet und genutzt werden kann. netzcheckers.de bietet zur Gestaltung der Tagebücher vorbereitete Layouts an. Die UserInnen können dort eigene Texte und Bilder ohne HTML-Kenntnisse einstellen. Über die angebotenen vielfältigen Möglichkeiten erschließen sich die jugendlichen NutzerInnen auch im virtuellen Raum ihre Lebenswelt, indem sie aufgefordert sind, aktiv und verantwortlich eigene Standpunkte einzubringen. Sie sind gleichberechtigte Partner in der Ausgestaltung des Jugendportals und in ihren Interessen und Meinungen ernstgenommene Einwohner – nicht nur des Webangebotes.Damit eine Community-Bildung greifen kann, leistet das Portal folgenden Mehrwert:- Navigation für “Einsteiger”- Contentsharing und Infopool. Import und Export von Datenbank-gestützten Inhalten anderer kooperierender Internetangebote werden optional angeboten (RSS-Feeds und Verfügbarmachen einer SOAP-Schnittstelle). So erhalten die Partner die Möglichkeit, unkompliziert und automatisiert Inhalte ins Portal einzubringen.- Niederschwelliges Redaktionssystem. Zur niederschwelligen Nutzung des Redaktionssystems wird ein step by step geführter Ablauf zur Eingabe von Titel, Text, Bild etc. angeboten. Das Redaktionssystem / Contentmangementsystem mit einem fein verzweigten Rechtesystem unterscheidet nicht mehr zwischen Frontend und Backend. Redaktionelle Eingaben werden sofort in die dargestellte Webseite editiert.- Forschung. Unter Zustimmung der jugendlichen Besucher werden die Nutzungsqualitäten befragt und evaluiert. Die Ergebnisse werden zur Optimierung des Portalangebotes im Interesse der Zielgruppe berücksichtigt.- Barrierefreiheit.
Der barrierefreie Zugang wird ständig optimiert.Die Bereiche Information, Online-Lernen, Online-Beratung und Community stellen strukturell auf netzcheckers.de keine voneinander abgetrennten Bereiche dar. Die gesamte Struktur auf dem Portal ist themenorientiert, d.h. zu verschiedenen inhaltlichen Themen (z.B. Musik) werden verschiedene Aktivitäten (z.B. Voting „Popsong der Woche“), Beteiligungsformen (z.B. Anlegen eines Weblogs zur Popsängerin Pink) und Weiterverzweigungen / Links (z.B. zu dem Onlinelernangebot „Digitale Songproduktion“) zugeordnet. Die Gliederung der Themenbereiche wurde unter der Berücksichtigung eines Thesaurus der Jugendinformation vorgenommen. Erfolgreiche Webangebote haben eine Entsprechung im physischen Leben: Kommunikation und Freundschaften im Web entstehen über angebotene Erlebnisräume, die Brücken von „real life“ zu „digital life“ sind. Events und niederschwellige Aktionen schaffen daher Anlässe zum Besuch des Jugendportals. Medien sollen selber (mit-)gestaltet werden. So wird z.B. nicht nur über das Machen einer Zeitung informiert, Schülerzeitungen nicht nur vorgestellt, sondern konkrete Projekte zum Mitmachen empfohlen und angeboten. Die netzcheckers.de-Redaktion begleitet zu diesem Zweck Events vor Ort und schafft die dafür nötigen Voraussetzungen. Die Ideen zu diesen netzcheckers.de-Aktionen sollen gleichwohl Anregung und Beispiel für Einrichtungen und Träger der Jugend- und Kulturarbeit für eigene Angebote sein. Eine Nachahmung ist erwünscht.Lebensbejahende Freude und Spaß, Glaubwürdigkeit, Echtheit und Personenbezüge sind Zutaten, die das Jugendportal zur erfolgreichen Jugend-Startpage machen kann. Die kooperativen Partner-Aktivitäten stärken hierbei die Vernetzung der Jugendhilfe und der Bundesinitiative Jugend ans Netz.
Anmerkungen
1 Weblogs sind Homepages, die wie Tagebücher geführt werden, die privat bleiben, aber auch öffentlich gemacht werden können.
2 Wikiwiki ist eine Form des online Webseiten-Schreibens: Jeder darf den Beitrag des anderen direkt überschreiben / ergänzen. Nach diesem Prinzip funktioniert u.a. auch www.wikipedia.org .
Monika Herrmann-Schiel: Auch Fernsehen kann man lernen!
Wenn im Kindergarten mal wieder Chaos herrscht und alles drunter und drüber geht, dann ist meistens Montagmorgen. Viele Erzieherinnen klagen darüber, dass die Kinder nach dem Wochenende unruhig, unkonzentriert und voller Bewegungsdrang sind. Manche haben dafür nur eine Erklärung: Das Fernsehen ist schuld! Die Flimmerkiste hat den Kleinen den Kopf verdreht. „Zum Glück ist die Tagesstätte fernsehfreie Zone“, stellen diese Kindergärtnerin erleichtert fest.Für sie muss es gerade zu provokant wirken, wenn die vom KI.KA, dem ZDF, dem NDR, der Vertretung der Katholischen Kirche beim ZDF und dem Rundfunkbeauftragten der Evangelischen Kirche gestartete Medieninitiative dazu aufruft, die „Glotze“ mitten hinein in die Kindergärten zu holen und ins Zentrum medienpädagogischer Projekte zu stellen. Statt das Medium zu verteufeln, sollen die PädagogInnen Kindern und Eltern zeigen, wie man das Angebot sinnvoll nutzt. Schließlich ist Fernsehen nach dem Spielen im Haus die wichtigste Aktivität der Vorschulkinder, wie die von der ARD/ZDF Medienkommission und dem KI.KA in Auftrag gegebene Studie Kinder und Medien 2003 ermittelte. Der Untersuchung zufolge sehen 64 Prozent der Vorschulkinder täglich oder fast täglich fern1. Umso wichtiger ist es, sie in der richtigen Nutzung des Mediums zu schulen. Dabei reicht es nicht aus, über Fernsehen zu reden, denn nur die Übung macht den Meister. Folgerichtig muss das TV-Gerät Einzug in die Kita halten. Deshalb gibt es in dem von Claudia Egenolf und Sabine Müller erstellten Handbuch des KIKA Medienpakets nicht nur jede Menge Tipps für Eltern- und Gruppenarbeit, sondern auch Infos, wie man günstig ein Fernsehgerät und einen Videorekorder bekommt.
Beides benötigt man, um die zum Medienpaket gehörenden Videos mit Episoden aus der Sesamstraße, den Teletubbies und Siebenstein zu nutzen. Die Autorinnen haben mit fünf Kindergärten Projekte zu fünf Themenkreisen erarbeitet, bei denen diese Fernsehfilme gezielt eingesetzt werden. „Wir freuen uns, dass wir dafür keine Lizenzgebühren bezahlen mussten“, berichtet Sebastian Debertin von KIKA. Für 20 Euro, die gerade die Selbstkosten decken, verkauft die „Matthias“-Film GmbH (www.matthias-film.de) in Stuttgart die Videokassetten. Doch die Nachfrage ist gering. Weniger als 200 Kassetten wurden im letzten Jahr verkauft. In Zeiten knappen Geldes sind eben auch 20 Euro ein Posten, der ins Gewicht fällt. Außerdem wirkt die Vorstellung, mit den Kindern in der Tagesstätte fernzusehen, wohl doch etwas abschreckend auf die PädagogInnen. Im Gegensatz dazu steht die Nutzung des kostenfrei im Internet angebotenen 138 Seiten umfassenden Handbuchs (www.medienpaket.kika.de). Rund 1000 Interessierte besuchen die Seite jeden Monat und jeder zweite holt sich das Angebot auf den eigenen Rechner. Offensichtlich besteht großer Informationsbedarf. „Wir haben festgestellt, dass es so gut wie kein Material für die praktische Fernseharbeit in Kindergarten und Grundschule gibt. Die Leute brauchen Hilfestellung“, erläutert Sebastian Debertin. Und die bietet das Medienpaket. Die einzelnen Projekte sind praxisnah ausgearbeitet und geben auch konkrete Anleitungen zur Gestaltung von Elternabenden. Die sind wichtig, denn manche Eltern hören es gar nicht gern, dass ihr Kind jetzt im Kindergarten fernsieht.Dass Medienkompetenz bereits im Vorschulalter erworben werden sollte, propagiert man auch beim KI.KA-Konkurrenten Super RTL. Der Privatsender erstellt zurzeit ein eigenes medienpädagogisches Angebot für Kindergärten und Grundschulen. Die Medienpädagogin und Erzieherin Nora Fleckenstein arbeitet an einem Paket, das jedoch ohne echtes Fernsehgerät auskommt.
Die Kindergarten Box, so der Arbeitstitel, beschränkt sich auf klassisches, vertrautes Material. Sie enthält einen Papp-Fernseher, Anleitungen zum Bau eines Daumenkinos und einer Camera obscura, einen kleinen Toggolino-Stier in Form einer Handspielpuppe und viele Bastelanleitungen, die Figuren aus den Vorschulprogrammen von Super RTL zeigen wie zum Beispiel Bob den Baumeister, die Koala Brüder oder Barney. Die Materialien wurden in Zusammenarbeit mit Kindergärten erprobt und weiter entwickelt. Das Frankfurter Filmmuseum steuerte medienpädagogisches Begleitmaterial in Form von Bastelvorlagen für die „Camera Obscura“ und die „Wundertrommel“ bei. All das soll den Kindern helfen, die Medienwelt besser zu verstehen. „Auch mit einfachen Mitteln kann man Kindern Medienwissen vermitteln“, erklärt Nora Fleckenstein. Bei ihrer Arbeit in den Kindergärten muss sie mit Vorurteilen kämpfen, denn der Sender hat bei ihren Kollegen ein schlechtes Image. Das Medienpaket aus Köln, das in diesem Jahr fertig gestellt werden soll, will daran natürlich einiges ändern und den Erziehern und Erzieherinnen einen Einblick in die Vorschulangebote von Super RTL bieten.Stolz ist man in Köln auch auf die Zusammenarbeit mit dem „Prix Jeunesse“.
Mit einem „Koffer“, der ausgezeichnete Produktionen enthält, wirbt der renommierte, alle zwei Jahre in München vergebene internationale Kinderfernsehpreis seit Jahren für bessere Programme bei Redakteuren und Produzenten in der ganzen Welt. Jetzt hat man in der Münchner Zentrale einen Koffer für Kids zusammengestellt. Super RTL zeigte seinen Inhalt am 10. Dezember 2004 erstmals in Deutschland. Acht Kölner Schulkassen sahen die 36 von der Münchner Kinderjury synchronisierten Beiträge. Anschließend wählten die Viertklässler ihren Favoriten. Der Medienkoffer, der auch die Völkerverständigung fördert, kann von interessierten Schulen und Verbänden beim „Prix Jeunesse“ angefordert werden.Regisseur Dominik Graf beklagte vor kurzem, dass die Bundesrepublik zu einer „Gesellschaft von visuell-intellektuellen Analphabeten“ geworden sei. Medienschulung ist wichtiger denn je. Deshalb ist es erfreulich, dass die Kindersender in Deutschland sich um die Medienkompetenz ihrer kleinen Zuschauer bemühen.
So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, die Grunderkenntnis ist immer die gleiche: Auch Fernsehen kann man lernen!
Anmerkung
1 Kinder und Medien 2003. Studie im Auftrag der ARD/ZDF Medienkommission und des KI.KA, durchgeführt von iconkids & youth / IFAK-Institut, Präsentation im März 2004, S.35
Isabel Rodde: Herausforderung auf der Berlinale
Im letzten Jahr startete Kinderfilmfest-Leiter Thomas Hailer den Jugendfilmwettbewerb 14+, um die Lücke zwischen Kinderfilmfest und den „erwachsenen“ Berlinale-Sektionen zu schließen. Die diesjährigen 14+-Filme überzeugten durchweg mit anspruchsvollen Geschichten – hart und des öfteren ohne Happy End, dafür aber vielschichtig und realistisch. Das Themenspektrum reichte von Jugendfreundschaft und erster Liebe bis hin zu persönlicher Gewalterfahrung und Kriegserleben. Gewohnt stark waren wieder die skandinavischen FilmemacherInnen vertreten. Die PreisträgerEine Gruppe kleiner Jungen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, wird von bewaffneten Soldaten durch den Schlamm getrieben. In Rückblenden erfahren wir, dass sie erschossen werden sollen – die Strafe dafür, dass sie versucht haben, ihrer Zwangsrekrutierung zu entkommen. Der mexikanische Spielfilm Voces Innocentes erzählt vom Bürgerkrieg in El Salvador in den 80er Jahren. Für den Schauspieler Oscar Torres, auf dessen Kindheitsgeschichte der Film beruht, war das Schreiben des Drehbuchs eine Art Therapie: „Ich erinnerte mich, wie wir als Kinder mitten in diesem Alptraum versuchten, Spiele zu erfinden“, erzählt der 33-Jährige, der mit zwölf Jahren in die USA floh. Regisseur Luis Mandoki, bisher vor allem durch Hollywood-Romanzen und Action-Thriller bekannt (Message in a Bottle, Trapped), schildert die Ereignisse aus der Warte des 11-jährigen Chava, der mit Mutter und Geschwistern in einem kleinen Dorf lebt, das genau zwischen den Fronten des staatlichen Militärs und der Guerrilla-Truppen der FMLN liegt. Jeden Abend durchlöchern Maschinengewehrsalven die Wellblechhütten. Für Chava und seine Freunde ist das Dorf gleichzeitig mörderisches Schlachtfeld und geliebter Spielplatz. Ihre größte Furcht: Nicht mehr elf zu sein – denn mit zwölf Jahren holt einen die Armee.Voces Innocentes schildert die brutalen Kriegserlebnisse konsequent und überzeugend aus Kindersicht. Er erzählt aber auch von der einfallsreichen Gegenwehr der Kinder und ihren ganz „normalen“ Sehnsüchten und Problemen: Von der ersten Verliebtheit zwischen Chava und seiner Klassenkameradin Cristina Maria etwa, von seinem ersten Job bei einem Busfahrer, von Streitigkeiten mit Freunden und Geschwistern. Gerade der Kontrast zwischen beklemmenden Kriegsszenen und witzigen Alltagsanekdoten macht die Stärke der packenden Inszenierung aus. Die Jugend-Jury zeichnete Voces Innocentes mit dem Gläsernen Bären für den besten Film der 14+-Reihe aus. „Wir saßen da mit zugeschnürten Kehlen und wollten am liebsten nur nach Hause“, schrieben die fünf JurorInnen in ihrer Urteilsbegründung. „Der Film zeigte ein Thema, das uns sprachlos macht, über das man aber reden muss.“ Er kommt voraussichtlich im Juni in die Kinos.Auch die iranisch-irakische Koproduktion Lakposhta hâm parvaz mikonand („Auch Schildkröten können fliegen“) schildert Kriegsereignisse aus der Perspektive von Kindern.
Der neue Spielfilm von Bhaman Ghobadi (Zeit der trunkenen Pferde) spielt in einem kurdischen Flüchtlingslager im Grenzgebiet zwischen Iran, Irak und der Türkei kurz vor dem Beginn des (letzten) Irak-Krieges. Ghobadi erzählt von Minenopfern und Kriegswaisen, von Verzweiflung und Überlebenswillen. Der 13-jährige Satellite beispielsweise ist ein echtes Organisationstalent: Er besorgt Satellitenschüsseln und Nachrichten über den bevorstehenden US-Angriff und überwacht das Sammeln von Landminen, mit deren Verkauf an die UN die Kinder ihr Überleben sichern. Doch dann verliebt er sich in die 14-jährige Agrin, die (von irakischen Soldaten vergewaltigt) einen ihr verhassten kleinen Sohn mit sich herumschleppt – und riskiert sein Leben. Anders als Voces Innocentes, der alle dramaturgischen Elemente des Hollywood-Kinos nutzt, beeindruckt Ghobadis Film durch seine poetischen Bilder und eine gleichzeitig fast dokumentarische Erzählweise. Alle Darsteller sind Laien, die der Regisseur während seiner Recherchen im Irak gefunden hat und die im Film ihre eigene Realität spielen.„Selten hat uns ein Film so deutlich gezeigt, wie wertvoll ein Aufwachsen in Schutz und Geborgenheit ist“, begründete die Jugendjury ihre Verleihung einer lobenden Erwähnung. „Wegen der Verbindung von Mystik und harter Realität sowie der packenden Umsetzung haben wir uns für diesen Film entschieden.“ Voraussichtlich ab Mai wird er bei uns zu sehen sein.Weitere FilmePopular Music von Reza Bagher, eine Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Mikael Niemi, erzählt von einer Jungenfreundschaft in einem nordschwedischen Kaff Ende der 60er Jahre. Matti und Niila gründen eine Rock´n Roll-Band und versuchen so, den dumpfen Dorf-Besäufnissen und familiären Gewaltorgien zu entfliehen. Während Matti seinen plötzlichen Ruhm vor allem für Mädchenkontakte nutzt, will Niila nur eins: Raus in die Welt, am liebsten auf den Himalaya. Eine ebenso witzige wie bitterböse Abrechnung mit der engen, lustfeindlichen Welt harter Trinker und christlich-fundamentalistischer Sekten, in der die Beatles als Retter einer anderen Welt erschienen.Auch Fourteen Sucks schildert die Sehnsüchte und Schwierigkeiten junger Teenager in Schweden. Im Mittelpunkt des von vier jungen FilmemacherInnen kollektiv produzierten Debütfilms steht Emma, die sich auf einer Party sinnlos betrinkt und von einem Freund ihres Bruders vergewaltigt wird. Lange wagt sie es nicht, sich irgendjemand anzuvertrauen.
Erst als sie den Skater Aron und dessen bedingungslose Zuneigung kennen lernt, gelingt es ihr, sich zu öffnen und Unterstützung zu holen. Ein rasantes, ausschließlich mit Handkamera gedrehtes Jugenddrama, das authentisch und ohne jeden pädagogischen Zeigefinger von der ersten Liebe und ihren Kehrseiten erzählt.Auch in der schwedisch-norwegischen Koproduktion Falling Beauty von Lena Hanno Clyne steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt. Die 16-jährige Ninni hat sich eigentlich geschworen, sich nicht zu verlieben und selbständig zu bleiben. Aber dann lernt sie Ramón kennen, der in Schweden Asyl sucht. Der charmante Kolumbianer bringt nicht nur ihre Gefühle, sondern auch die ihrer ganzen Familie durcheinander: Nicht nur, dass auch die flippige Mutter auf den attraktiven neuen Nachbarn steht, mit seiner Hilfe wollen die Eltern auch noch eine Bank ausrauben, um ihre Geldprobleme auf einen Schlag zu lösen. Ein spannendes und einfühlsames Portrait eines Mädchens, das sich mehr um ihre Eltern kümmern muss, als ihr lieb ist – dem es aber dennoch gelingt, ihren eigenen Weg zu finden.The Mighty Celt von Pearse Elliott aus Irland überzeugte durch seine realistische Darstellung eines Teenager-Alltags vor dem Hintergrund des noch immer aktuellen Nordirland-Konfliktes. Donal wächst bei seiner Mutter in Belfast auf und verbringt die Freizeit beim Hundezüchter Joe und dessen Windhunden. Obwohl er Joe wie einen Ersatzvater verehrt, ist Donal doch entsetzt über die Skrupellosigkeit, mit der der Züchter erfolglose Rennhunde tötet. Der Junge liebt die Tiere und vereinbart einen Deal: Wenn es ihm gelingt, mit seinem Lieblingshund „Mighty Celt“ drei Rennen zu gewinnen, darf er ihn behalten. Nach zwei erfolgreichen Rennen muss Donal jedoch feststellen, dass auf Joe kein Verlass ist. Unterstützung erfährt er von O, einem früheren IRA-Kämpfer und engen Freund der Mutter, der lange verschwunden war und sich unvermutet als Donals „echter“ Vater entpuppt.Auch in der italienischen Produktion Saimir von Francesco Munzi stand eine Vater-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt. Der in Italien lebende junge Albaner Saimir hilft seinem Vater dabei, albanische Landsleute über die Grenze zu schmuggeln.
Als das Geschäft immer schlechter läuft, macht der Vater gemeinsame Sache mit einer Zuhälterbande, die Mädchen aus Osteuropa in die Bordelle der Umgebung zwingt. Saimir, der sich zum ersten Mal in ein italienisches Mädchen verliebt hat, dessen behütetes Elternhaus jedoch meilenweit von seinem eigenen Alltag als illegaler Einwanderer entfernt ist, gerät in immer stärkere Gewissenskonflikte. Wie viele andere 14+-Filme beeindruckte Saimir durch seine authentische Milieuschilderung und brillante Laiendarsteller. Großartige Hauptdarstellerinnen boten auch der japanische Beitrag Hana & Alice (Shunji Iwai) und die britische Produktion My Summer of Love (Pawel Pawlikowski), die von Freundschaften zwischen ganz unterschiedlichen Mädchen erzählten. In My Summer of Love verliebt sich die bodenständige Mona in die charmante, aber überaus verwöhnte Tamsin. Mona wohnt mit ihrem Bruder zusammen, der im Knast zu Gott gefunden hat und nun alle Dorfbewohner missionieren will. Tamsin dagegen lebt mit ihren Eltern auf einem riesigen Luxus-Anwesen. Einen Sommer lang verbringen die beiden Mädchen jeden Tag miteinander, aus Schwärmerei entwickelt sich erste Liebe. Die beiden schwören sich ewige Treue und wollen gemeinsam fortgehen. Aber dann macht Tamsin einen Rückzieher und der „Sommer der Liebe“ findet ein jähes Ende. „Ältere Kinder und Jugendliche wollen ernst genommen werden“, ist Thomas Hailer überzeugt. „Sie genießen es, im Kinosessel mit sperrigen Geschichten herausgefordert zu werden.“ Ausverkaufte Vorstellungen, begeisterter Applaus und nicht zuletzt die Auszeichnungen der beeindruckenden aber auch beklemmenden Anti-Kriegsfilme gaben ihm Recht.Weitere Informationenwww.berlinale.de www.kinderfilmfest.net Voces Innocentes | Innocent VoicesMexiko, 2004, 110 min Regie: Luis MandokiDarsteller: Carlos Padilla, Leonor Varela, Daniel Giménez CachoLakposhta hâm parvaz mikonand | Auch Schildkröten können fliegenIran, Irak, 2004, 98 min Regie: Bahman GhobadiDarsteller: Avaz Latif, Soran Ebrahim; Hiresh Feysal Rahman
Karin Ehler: Was macht Bildungssoftware gut?
Anfang März wurde auf der Bildungsmesse Didakta der digita verliehen, der Deutsche Bildungssoftware-Preis. So wurde in der Kategorie Privates Lernen unter 10 Jahren etwa der Lernspaß für Kinder: The Story of Santa Claus vom Max Hueber Verlag, Ismaning ausgezeichnet, eine Geschichte von Santa Claus, die über verschiedene Medien (Bilderbuch, Audio-CD, DVD) in englischer Sprache präsentiert wird. In acht Kategorien (Allgemeinbildende Schule, Privates Lernen, Berufliche Bildung, Nachschlagewerke, Didaktische Werkzeuge sowie in drei Förderpreiskategorien) wird alljährlich von der Jury das jeweils beste Produkt aus den zuvor von den Herstellern eingereichten Einsendungen ausgewählt. Die Entscheidung beruht auf Gutachten, die zuvor von einem Gutachterausschuss angefertigt wurden. Die Zahl der Einsendungen startete 1995 mit 61 Produkten und liegt seit einigen Jahren bei ungefähr 100. Für den digita 2005 waren 95 Produkte in der Auswertung. Karin Ehler sprach für merz mit Prof. Dr. Wilfried Hendricks, dem wissenschaftlichen Direktor des Deutschen Bildungssoftware-Preises digita.Herr Hendricks, welches Ziel verfolgen Sie mit der Verleihung des digita-Bildungssoftware Preises?Der Preis wurde von 10 Jahren etabliert. Hintergrund war die Feststellung, dass auf dem Bildungssoftwaremarkt auf Seiten der Hersteller wie der Käufer große Desorientierung herrschte, man fand damals nicht so richtig zusammen. Und auf der anderen Seite konnte und kann man auch heute noch nicht richtig einschätzen, welche Produkte den Kauf lohnen. Man kann nicht wie bei einem Buch durchblättern und sich vor dem Kauf ein Bild davon machen.
Damit es am Markt markante Zeichen gibt, die auf Qualität hinweisen, etablierten wir einen Preis. Mit diesen Auszeichnungen sollen Zeichen gesetzt werden, die auch auf die anderen Hersteller zurückwirken. Wir wollen nicht die Richtung vorgeben, in der Software entwickelt werden soll, aber wir wollen ermuntern und zeigen, dass man mit guter Qualität am Markt erfolgreich sein kann. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass man richtige Markterfolge über den Verkaufspreis erzielt, dass also preisgünstige Produkte sich eher rechnen als die hochpreisigen, qualitativ wertvollen. Diese Problemlage wird nicht so leicht zu lösen sein. Ob wir das Ziel erreicht haben, ist eine andere Sache. Auf dem Markt wird registriert, welche Produkte einen Preis bekommen, nur heißt das nicht, dass die anderen nicht gut wären, weil ja nur die Produkte am Wettbewerb teilnehmen, die von den Herstellern eingereicht wurden. Die Jury der digita besteht nur aus Erwachsenen, kann die bei einer Beurteilung von Software für Kinder und Jugendliche überhaupt das letzte Wort haben?In der Jury und unter den Gutachtern haben wir keine Kinder, sondern erwachsene Fachleute. Aber dort, wo es um Kinderprodukte geht, beziehen die Gutachter in der Regel Kinder ein und sichern ihr Urteil durch Kinder ab. Manchmal kommt es auch vor, dass das Kindervotum ein eher verhaltenes Urteil noch verbessert hat. Wenn ein Gutachter etwas toll findet, aber hinterher feststellt, dass sich die Kinder langweilen, dann wird er auch sein Urteil anpassen.Wie sehen Sie Deutschland im Bezug auf Bildungssoftware im internationalen Vergleich?Die deutschen Hersteller halten sich mindestens ganz oben auf – von der Spitze zu reden wäre vermessen, weil man dazu den Markt weltweit überblicken müsste – und könnten mehr Entschlossenheit zeigen, um mit ihren Produkten auch im Ausland tätig zu werden. Können Sie den inländischen Markt charakterisieren?Grundsätzlich ist der Markt dreigeteilt: Wir haben den schulbezogenen Markt, den Markt für privates Lernen und den der berufsbezogenen Weiterbildung. Wir beobachten, dass sich dieser Weiterbildungsmarkt zunehmend dem Lernen mit neuen Medien öffnet. Der Nachmittagsmarkt scheint gerade eine Durststrecke zu erleben.
Im Moment gehen die Erwartungen der Hersteller dahin, dass der Schulmarkt sich stärker öffnen könnte und dass andererseits Lernsoftware, die mit einem bestimmten Lehrwerk verbunden ist, sich besser verkaufen lässt. Aber man kann mit einem Produkt, das für den Nachmittagsmarkt entwickelt wurde, auch sehr gut im Unterricht arbeiten. Insofern sind die Grenzen fließend.In Deutschland wird derzeit Lernsoftware kaum in der Schule eingesetzt. Sollte man das Ihrer Meinung nach versuchen zu ändern?In den 20 Jahren, seit denen ich die Entwicklung verfolge, sind wir schon relativ weit gekommen. Ich denke, dass das Lernen mit neuen Medien völlig neue Impulse für die jungen Menschen – wie auch für die alten – setzen kann. Wir haben mehrere Probleme zu lösen: Wir haben ein Medium, das die Mehrheit der Lehrer und Lehrerinnen in ihrer Kindheit so nicht erlebt hat, so dass sie auch nicht unbedingt an die positiven Effekte davon glauben. Der nächste Punkt ist die Ausstattung an Schulen. In Deutschland wurden extra Computerräume eingerichtet, was dazu führt, dass die Lehrer immer mitplanen müssen, wann der Computerraum gerade frei und damit verfügbar ist. Einer spontanen Nutzung dieses Mediums ist damit der Weg verbaut. Der Vorteil der Software ist gerade das Lernen nach Bedarf, aber das ist nicht möglich. In der Grundschule hat man Medienecken in den Klassenzimmern, dort aber nur wenige Rechner, so dass die Kinder womöglich davor Schlange stehen.
Früher war das nicht so schlimm, da war die Beschäftigung mit Computern die Aufgabe weniger Lehrer, aber inzwischen wurde viel Lehrerfortbildung betrieben, so dass das Gros der Lehrer in technischer Sicht mit diesen Geräten umgehen können müsste. Der Engpass ist im didaktischen Bereich zu sehen. Die Lehrkräfte müssen jetzt eigentlich den Lehr- und Lernprozess anders sehen und eine neue Rolle für sich finden, aber das ist nicht einfach, weil sie in einer bestimmten Weise sozialisiert sind. Hier jetzt den richtigen Weg zu finden, wie man die Software in ein etabliertes Konzept einfügt oder das etablierte Konzept ändert, das ist das eigentliche Problem. Das könnte gelöst werden, indem man in Lehrerfortbildungen vermittelt, wie auf der fachdidaktischen Ebene Unterricht unter Einbeziehung von Lernsoftware gestaltet werden und zu ganz anderen Ergebnissen führen kann. Das heißt nicht, dass man in jeder Stunde von dem Rechner sitzen muss, sondern der Lehrer muss abwägen, welches Medium unter welcher Zielsetzung gerade adäquat ist. Hier braucht die Bildungspolitik mehr Mut.Das ganze Lernen verändert sich. Wenn man in die berufliche Ausbildungssphäre hineinschaut, dann sieht man, dass selbstständiges Agieren, Team- und Kommuniukationsfähigkeit gefragt sind. Das sind Dinge, die man mit Unterstützung von Software sehr viel besser entfalten kann als ohne. Welches Alter sehen Sie als geeignet an, um mit Lernsoftware zu beginnen?
Die Kinder wachsen heute mehr oder weniger natürlich in die Computerthematik rein. Sie sehen, wie die Eltern oder größeren Geschwister zu Hause am Computer irgendetwas tun, und das wollen sie auch machen, genau wie sie alles andere durch Nachahmen lernen. Es gibt ein Angebot von ausgesprochen guten und kindgerechten Produkten, die auch schon im frühen Alter von 3 Jahren sinnvoll einsetzbar sind. Das heißt nicht, dass die Kinder damit alleine zurecht kommen, sondern sie brauchen Eltern oder ältere Geschwister, die sich die Zeit nehmen müssen, dem Kind dabei zu helfen. Denn wie auch beim Fernsehen sollten kleinere Kinder bei einer solchen Beschäftigung begleitet werden. Wenn ein Kind also feststellt, dass es durch Eingaben am Computer Aktionen auslöst, die es versteht, wenn es akustische oder optische Signale des Computers umsetzen kann, dann kann man dem Kind ein schönes und adäquates Produkt aussuchen. Was sind Ihre Maßstäbe für gute Bildungssoftware?Gute Bildungssoftware zeichnet sich durch gut ausgewählten Inhalt aus, der in einer Art und Weise lernbar gemacht wird, die sehr stark an den potenziellen Interessen der Nutzer orientiert ist. Die Nutzer müssen das Gefühl haben, dass sie sich ihren eigenen Vorstellungen entsprechend in der Software gut bewegen können. Sie müssen ihre Fragen in einer Art beantwortet bekommen, die zu konstruktivem Handeln oder Denken führt. Die grafische Gestaltung darf die Inhalte nicht überlagern, sondern muss eine eher dienende Funktion haben. Die Navigation soll es ermöglichen, dass der Nutzer jeden Moment weiß, wo er sich befindet. Die Interaktivität muss reales Interagieren simulieren.
Sehen Sie auch problematische Aspekte an Lernsoftware? Ich denke an Prof. Pfeiffer, der als Kriminologe eine enge Verbindung zwischen Computerspielen und „dümmeren Kindern“ herstellt.Da bin ich vorsichtig. Als ich Kind war, wurde immer vor der Schundliteratur gewarnt, dann kam das Fernsehen auf und galt als gefährlich und noch später die Comics. Natürlich gibt es eine problematische Weise der Nutzung, aber die Problematik fängt im Elternhaus an, lange bevor die Schule eine Chance hat einzugreifen. Man muss die Entwicklung von Medienkompetenz im Elternhaus schon im Kindesalter anbahnen. Kinder müssen, wie auch in allen anderen Bereichen, lernen, mit den Dingen vernünftig umzugehen. Wenn man ausschließlich Computerspiele spielt, die Gewalt verherrlichen und in denen Unterdrückungsmechanismen vorgemacht werden, ist das eine Konditionierung, die ungünstig ist. Dasselbe gilt für gewaltverherrlichende Filme. Aber auch wer den ganzen Tag nur liest, hat zu wenig Bewegung. Generell ist es wichtig, Maß zu halten. Da muss man als Eltern aufpassen und für ausgewogene Beschäftigungen sorgen.
Daniel Ammann: Schach matt!
Fritz & Fertig – Folge 2: Schach im schwarzen Schloss. CD-ROM Win (98/ME/XP) bzw. CD-ROM Mac (ab 9.2/OS X). München: Terzio, 2004. 39 €
Nachdem Folge 1 der preisgekrönten Lernsoftware Anfängerinnen und Anfänger ab 8 Jahren mit den Grundlagen des Schachs vertraut gemacht hat, wendet sich der gelungene Nachfolgetitel weiteren Finessen des anspruchsvollen Königsspiels zu. Schach im schwarzen Schloss stellt unter anderem verschiedene Eröffnungsarten vor, trainiert die Taktik des Mittelspiels und führt in die heißen Phasen des Endspiels ein. Auch diesmal sorgt eine Rahmenhandlung für Abwechslung. Die originelle Geschichte ist gespickt mit witzigen Dialogen und ironischen Anspielungen.
Aus dem Fernsehen erfahren Prinz Fritz und Cousine Bianca, dass ihr persönlicher Schachcoach, Kanalratte Fred Fertig, spurlos verschwunden ist und deshalb der unliebsame König Schwarz als bester Schachspieler des Landes gehandelt wird. Selbstverständlich wurde Fred von seinem Widersacher entführt und muss aus dessen Fängen befreit werden. Auf der Kutschfahrt zum Schloss werden die wichtigsten Regeln und Spielzüge nochmals repetiert und können anhand von Biancas Tagebuch stets nachgeschlagen werden. Prompt landen die beiden Freunde dann ebenfalls im Kohlekeller des Schurken und müssen sich Stockwerk für Stockwerk hocharbeiten. Haben sie an den unzähligen Automaten mit 21 Übungen und Prüfungsaufgaben genug Gripsenergie gesammelt und die Zahlenkombination auf den Papierschnipseln geknackt, ist Fred wieder frei und man kann mit virtuellen Gegnern weiterüben oder im Zwei-Spieler-Modus sogar gegen einen Freund antreten.
Nancy Droese: Geniale Physiker
Genius Unternehmen Physik. Windows 98/2000/XP, Cornelsen Software, 2003, Genius: Unternehmen Physik, 39,95 €
Kombinierte Lern- und Spielsoftware für Jugendliche hat häufig einen schweren Stand. Vorrangig von wohlmeinenden Eltern nach Hause getragen, landet sie dort oft als Staubleiche im Regal. Scheinbar ist es besonders schwierig, für diese Zielgruppe Software zu entwickeln, bei der weder der Wissens- noch der Unterhaltungswert zu kurz kommt. Dem 3D Lernspiel Genius gelingt diese Gratwanderung überraschend gut. Hier werden wissenschaftliche Aufgaben der Physik mit dem unter Jugendlichen beliebten Genre des strategischen Simulationsspiels verbunden. In der Rolle eines Erfinderunternehmers hat der Spieler die Aufgabe, sich aus einer einfachen Fahrradfabrik ein Großunternehmen zu schaffen. Dazu braucht er neben bestimmten Rohstoffen, Gebäuden und Löhnen für die Arbeiter vor allem physikalisches Fachwissen für die zahlreichen Sonderaufgaben, in denen er sein Unternehmen beraten muss. Die kniffligen Fragen bringen neben zusätzlicher Abwechslung und Spannung vor allem Produktionssteigerungen und so in der Folge extra Geld. Notwendige Informationen zur Lösung erhält der Spieler aus abonnierten Fachzeitschriften oder persönlicher Korrespondenz mit Physikern wie Thomas Edison oder Carl Zeiss, auf die er während der Aufgabenlösung zurückgegreifen kann, so dass das Wissen nachhaltig am Beispiel erlernt wird. Ein kleiner Wermutstropfen ist die fehlende Anzeige eines Lösungswegs, wenn einmal eine Aufgabe misslingt. Dennoch: Wer das Spiel einmal angefangen hat den packt der Ergeiz, es auch zu beenden.
Martina Baier: Ein neuer Freund für Teddy
Mini Robos – Gute Freunde. WIN 98, ME, XP, läuft nicht auf WIN NT, WIN 2000 und auf Mac, Tivola Verlag GmbH, 2003, 24,95 €Zusammen mit den Mini-Robos spielen: das wünschen sich sicher viele kleine Fans der Fernsehserie. Das Abenteuer beginnt damit, dass Roboter Ringel seinem Teddy einen neuen Freund bauen will. Ein Würfelspiel quer über den Schrottplatz beginnt, bei dem der Spieler gegen einen Freund oder den Computer antreten kann. Ziel ist es, möglichst viele Schrottteile zu sammeln, denn der Spieler mit den meisten Teilen darf am Ende beim Bau eines neuen Freundes für Teddy mithelfen. Wie bei einem Brettspiel rückt die Figur nach dem Würfeln die entsprechenden Felder vor, wo sie dann Schrottteile, kurze Filmausschnitte der TV-Serie oder interaktive Spiele erhält. In den anspruchsvollen Spielen ist neben Schnelligkeit und Fingerfertigkeit auch Kombinationsgabe und visuelle Vorstellungskraft gefragt. Die Bedienung erfolgt über Pfeiltasten und wird zu Beginn jedes Spieles erklärt. Es können drei Schwierigkeitsstufen gewählt werden, die aber lediglich die Schnelligkeit des Computer-Gegners verändern, die Anforderungen hinsichtlich der Aufgabe bleiben gleich. Leider erfährt der Spieler während des Spiels nicht, wie viele Punkte bereits gewonnen wurden. Lediglich an schwer erkennbaren Balken am Bildrand ist der Spielstand ablesbar. Auch Spiele und Videos können weder einzeln angewählt, gespeichert oder übersprungen werden. Somit ist Durchhaltevermögen gefragt, um das Spiel „in einem Rutsch“ durchzuspielen. Zwar fördert die unterhaltsam und aufwändig gestaltete CD-ROM das logische Denken, Kombinations- und Reaktionsvermögen, die Zielgruppe der Vorschulkinder ab drei Jahren dürfte jedoch mit Bedienung und Länge des Spieles überfordert sein.
Nancy Droese: Englisch hören und lernen
Die Maus Sing mit! Englisch macht Spaß! Europa mini, BMG Records GmbH, 2005. 6,99 €Englisch – Abenteuer mit Nic. Axel Juncker Verlag. 4,99 € je ExemplarKinderQuiz – Was wißt ihr? Englisch. Moving by HörCompany, 2004. 12,90 € Englische Verben – Verb Raps. mentor Audio Lernhilfe in Zusammenarbeit mit Langenscheidt, 2004. 9,95 €
Das Erlernen einer fremden Sprache ist heute wichtiger denn je, wobei die einfache Regel gilt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nur noch mit Mühe.“ Gehen dabei Spaß und Lernen Hand in Hand, ist nicht nur die Motivation größer, auch der Wissenserwerb ist anhaltender und besser. Der Anspruch an Bildungsprodukte für Kinder und Jugendliche ist damit entsprechend hoch, gilt es doch, sie so zu gestalten, dass sie ihrer jeweiligen Zielgruppe methodisch gerecht werden.Für Kindergartenkinder und Mausfreunde ab drei Jahren ist die Audio-CD Die Maus – Sing mit! Englisch macht Spaß! ein gelungenes Beispiel dafür, wie auch kleinen Kindern spielerisch die englische Sprache näher gebracht werden kann. In die lustigen einprägsamen Lieder deutscher Sprache werden englische Textbausteine so eingebaut, dass sie verständlich sind und einen direkten Bezug zum Inhalt haben. Lieder wie „Old Mac Donald“ oder „Teddybear turn around“ animieren zum Mitsingen und Tanzen und bringen Kinder spielerisch mit der fremden Sprache in Kontakt.
Das Edutainmentprodukt Englisch – Abenteuer mit Nic vereint die Medien Audio-CD und Buch. Kinder ab 4 Jahren sollen über die Verbindung von Hören (englische Geschichten und Lieder werden von Muttersprachlern gelesen) und Sehen (sowohl englische als auch deutsche Schrift, bunte Bilder) dazu angehalten werden, Englisch zu lernen. So kann die fremde Sprache im Zusammenhang erlebt und in der korrekten Betonung und Lautsprache geübt werden. Auch Grundlagen der Sprache wie Wochentage, Farben oder Zahlen werden im Kontext der Geschichte erlernt und sind so keine trockenen Lerneinheiten. Am Ende jedes Buches werden die wichtigsten Schlüsselwörter in einem Lied wiederholt und können mit Hilfe eines Bilderwörterbuches vertieft werden. Mache ich mir, wenn ich Hunger habe, ein belegtes Brot mit butter and cheese, ice cream oder mashed potatoes? „Did you know it? – Habt ihr’s gewusst?” Die CD Was wisst ihr? richtet sich an Grundschüler mit ersten Englischkenntnissen. In lustigen Fragen wird bestehendes Wissen abgefragt und gefestigt. Auch wer einmal keine Antwort weiß, kann mitraten und so seine Sprachkenntnisse erweitern.
Die Gesamtspielzeit der CD ist mit ihren 60 Minuten sicherlich nicht dazu gedacht, alle Fragen auf einmal zu beantworten, als kleine lustige Übungseinheiten sind sie aber ein schöner Weg, sich mit der englischen Sprache zu beschäftigen. Wie misslungen die Verbindung zwischen Spaß und Wissensvermittlungen aber auch sein kann, zeigt die Audio-Lernhilfe Englische Verben – Verb-Raps. In der an Jugendliche und junge Erwachsene gerichteten CD sollen unregelmäßige Verben durch Unterlegung mit Rap-Musik leichter erlernt werden. Die so genannte Rap-Musik entpuppt sich jedoch als einfach im Rhythmus aufgesagte Verben. Auch die kurzen Melodie- bzw. Liedpassagen sind eher schwach und wenig aktuell. Mit Rap hat das ebenso wenig zu tun wie mit gut gemachter Lernhilfe. Sowohl ambitionierte Englischlerner als auch Rap-Fans dürften sich von dieser CD wenig angesprochen fühlen.
Georg Pleger: Urheberrechtliche Selbstbestimmung für Kreativschaffende
AutorInnen, FotografInnen oder MediengestalterInnen hatten bislang wenige Wahlmöglichkeiten, um die Nutzungsrechte an ihren Werken differenziert zu regeln. Die Initiative Creative Commons stellt deshalb im Internet eine Palette von einfachen Lizenzmodellen zur Verfügung. Sie erlaubt den Kreativen, selbst zu bestimmen, ob und wie ihre Werke kopiert, verändert oder vermarktet werden dürfen.
An der Erstellung und Weiterentwicklung von Medieninhalten unterschiedlichster Art sind zunehmend mehr Institutionen und Personen beteiligt. Da wird die rechtlich saubere Klärung von Urheber- und Verwertungsrechten zu einem schwer handhabbaren Problem. Ein einfaches Beispiel: Ein Unterrichtsvideo und das entsprechende Begleitmaterial soll aus Dutzenden von gut wiederverwendbaren Medienobjekten erstellt werden. Die Bestandteile kommen aus unterschiedlichsten Quellen und sollen später in verschiedensten Zusammenhängen genutzt und weiterentwickelt werden. Die Creative Commons-Lizenzen erlauben es, Werke zu verteilen, darzustellen, zu kopieren oder zu senden, solange dabei die von der Autorin gewählten Bedingungen eingehalten werden. Damit soll die ganze Palette zwischen „Alle Rechte vorbehalten“ und „Keine Rechte vorbehalten“ (Public Domain) abgedeckt werden.
Es gibt vier zentrale Elemente, aus denen die Lizenzen wie in einem Baukastensystem zusammengesetzt werden können:
Der Name des Autors / Rechtsinhabers muss genannt werden.
Keine kommerzielle Nutzung
Die Inhalte dürfen nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden.
Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Wenn die Inhalte bearbeitet oder verändert werden, dann dürfen die neu entstandenen Inhalte nur unter Verwendung identischer Lizenzbedingungen weitergeben werden.
Keine Bearbeitung
Die Inhalte dürfen nicht bearbeitet oder in anderer Weise verändert werden.
Ein konkretes Beispiel für das Funktionieren: Lydia wählt für ihre Songs auf der Website von Creative Commons eine Lizenz aus. Sie entscheidet sich gegen eine kommerzielle Verwertung und dafür, ihr Werk bearbeiten zu lassen, solange andere die gleichen Lizenzbedingungen verwenden wie sie. Jetzt kann sie ihre Werke mit einer leicht verständlichen, rechtlich abgesicherten und auch technisch ausgeklügelten Lizenz verlinken – und das Ganze kostenlos. Jede Lizenz ist in drei Fassungen formuliert: einer leicht verständlichen Fassung für den Endnutzer, einer rechtlich verbindlichen Lizenz, und einem z.B. für Suchmaschinen lesbaren Code.
Wenn nun etwa Olivier in seinem Video einen Song von Lydia verwenden möchte, kann er dies tun, ohne mit Lydia noch lange Verhandlungen führen zu müssen. Sie hat bereits genau definiert, was mit ihrem Werk gemacht werden darf und was nicht. Das Ergebnis könnte ein Video von Olivier mit Songs von Lydia sein. Dazu haben die beiden aber keinen großen rechtlichen oder organisatorischen Aufwand betreiben müssen. Nach diesem Prinzip kann auch die Produktion von komplexeren Medienprodukten organisiert werden.
Derzeit laufen weltweit in ca. 70 Ländern die Vorbereitungen für die Übertragung der Lizenzen in das nationale Recht. Creative Commons erhielt im Herbst den Preis der Goldenen Nica beim Prix Ars Electronica in der Kategorie Net Vision, „weil damit der Überregulierung durch internationales Urheberrecht und Technologien wie Digital Rights Management (DRM) eine echte Alternative gegenübergestellt wird“, so die Begründung der Jury.
Weitere Informationen:
International: http://creativecommons.org
Deutschland: de.creativecommons.org
Österreich: creativecommons.at
Georg Pleger
Tillmann P. Gangloff: Pizzabote wird Geheimagent
Bei Fernsehmessen wie der Mipcom in Cannes profiliert sich das ZDF in der Regel mit teuren Dokumentationen oder aufwändigen Krimiserien. Diesmal war das ganz anders: Im Schaufenster stand die Kinderserie Scooter. Wie schon Wicked Science (Total genial) ist Scooter: Secret Agent eine Koproduktion mit dem Australier Jonathan M. Shiff. Der hat eine Gabe, die im Geschäft mit bewegten Bildern Gold wert ist: Bei ihm sieht alles viel teurer aus, als es in Wirklichkeit war. Die 26-teilige Serie war mit 6 Millionen Euro zwar trotzdem nicht billig, doch ZDF-Enterprises wird einen großen Teil dieses Geldes durch den Weltvertrieb wieder reinholen. Scooter ist eine Parodie auf die James-Bond-Filme oder aufwändige Agenten-Thriller wie Mission: Impossible mit dem Charme der Kinderkinoknüller Spy Kids. Nicht nur die Effekte, auch das dynamische Erzähltempo und die immer wieder um Originalität bemühte Erzählweise sind kinowürdig. Doch was am meisten Spaß macht, ist die Geschichte: Titelheld Scooter ist ein Pizza-Junge mit Neigung zum Pechvogel.
Er hält sich zwar für den Größten, fällt aber dauernd auf die Nase. Eines Tages wird er Zeuge einer Verfolgungsjagd. Der Gejagte verliert einen Koffer, den sich Scooter gleich schnappt. Er enthält einen Computer, über den sich ein ominöses Hauptquartier meldet, das Scooter für den Agenten X-19 hält und ihm den nächsten Auftrag erteilt. Das ZDF wäre gut beraten, die Agentenparodien nach der KI.KA-Premiere nicht samstags oder sonntags vormittags im Kinderprogramm zu verstecken; die witzigen und turbulenten Abenteuer gehören in die beste Familienfernsehzeit. Wie richtig die Entscheidung von ZDF-Enterprises war, sich diesmal mit Kinderfernsehen zu positionieren, zeigte der Vergleich mit dem restlichen Angebot: In kreativer oder gar künstlerischer Hinsicht ist gerade der Zeichentrickmarkt derzeit erschreckend leblos. Neu sind allenfalls die Verpackungen. Themen, Geschichten, Design: alles kalter Kaffee. Der Boom vergangener Jahre ist ohnehin vorbei. Es ist daher durchaus kein Zufall, dass die Sender ausgerechnet jetzt die so genannte Live Action wiederentdecken. Real gefilmte Serien hatten es jahrelang äußerst schwer, weil sie als nicht exportfähig galten: Während Zeichentrick viel leichter zu synchronisieren ist und meist in Fantasiewelten spielt, haben Realserien in der Regel einen konkreten kulturellen Hintergrund. Trotzdem ist die Nachfrage gewachsen, was sicher auch damit zu tun hat, dass Kinder immer früher die Lust an Zeichentrickserien verlieren: Ab neun ist so was Kinderkram. Spätestens der Erfolg der witzigen Disney-Serie Lizzie McGuire, in der die Titelheldin immer wieder Rat bei ihrem animierten Alter ego sucht, hat Begehrlichkeiten geweckt.
Im nicht minder erfolgreichen Kinofilm zur Serie (Popstar auf Umwegen), der allein in den USA 40 Millionen Dollar einspielte, wird Lizzie in Europa mit einer populären Pop-Sängerin verwechselt. Und da ja auch die diversen Casting-Shows gerade unter Kindern und Jugendlichen die treuesten Fans haben, wundert es nicht weiter, dass einige der neuen Serien ebenfalls auf Musik setzen: Im Mittelpunkt von Unfabulous (Unberühmt, Nickelodeon) steht Addie Singer, eine typische Zwölfjährige, deren Alltag von den ganz normalen Querelen mit Schule und Eltern geprägt ist. Was sie von ihren Mitschülern allerdings unterscheidet, ist ihr Talent: Sie schreibt Songs, in denen sie all die Dinge verarbeitet, mit denen sich ein junges Mädchen herumschlagen muss. Interessant ist auch die Besetzung: Addie wird gespielt von Emma Roberts, einer Nichte von Hollywood-Star Julia Roberts. Entscheidend für den Erfolg der neuen Serien ist die Authentizität: Selbst wenn die Kinder in den Geschichten in zumindest einer Beziehung völlig anders sind als andere Gleichaltrige – einer kann in die Zukunft sehen, ein anderer ist Filmstar –, so ist der Rest ihres Lebens ganz und gar gewöhnlich. Und das heißt für die Zielgruppe (circa 9 bis 13 Jahre): Jeder Tag bedeutet Kampf.
Doch während Jungen und Mädchen in der Regel schon genug Probleme damit haben, im falschen Körper zu stecken, steckt Phil Diffy aus Phil of the Future (Disney) auch noch in der falschen Zeit: Er gehört eigentlich ins 22. Jahrhundert, ist aber mit seiner Familie während einer Zeitreise im Amerika des Jahres 2004 gestrandet. Phil hat damit das typische Teenager-Problem, sich irgendwie mit seiner Umgebung arrangieren zu müssen, in potenzierter Form. Für die Produzenten haben diese Erfolgsproduktionen nur einen Nachteil: Sie lassen sich bei weitem nicht so gut vermarkten wie Zeichentrickserien. Kein Wunder: Die Zielgruppe ist nur noch selten in Spielzeuggeschäften anzutreffen. Aber man kann ja nicht alles haben.
Tilmann P. Gangloff
Magret Köhler: Erfolg mit der Vergangenheit
Damit hatte niemand gerechnet: Ein Film über das Ende des Dritten Reichs wurde zum Publikumsrenner. Der Untergang von Oliver Hirschbiegel brachte es bis Anfang Januar auf gut 4,5 Mio. Zuschauer. Während sonst Polit-Dramen über Nazi-Deutschland in Programmkinos ein klägliches Dasein fristeten, traf Der Untergang auf großes Interesse, nicht nur national, sondern auch international. In Frankreich überrundete er am Startwochenende sogar Oliver Stones Alexander. Es sind zunehmend Regisseure der mittleren und jüngeren Generation, die sich des Themas annehmen. Vielleicht haben auch Fernseh-Dokumentationen über Graf von Stauffenberg oder Albert Speer den Weg bereitet. Im Gegensatz zu den an Wissensvermittlung orientierten älteren Spielfilmen wird Geschichte und Anspruch an breite Unterhaltung verknüpft, wollen die jungen Regisseure anhand fiktionalisierter, aber historisch genau recherchierter Geschichten die Menschen erreichen. Gerade die 30- bis 40-jährigen Filmemacher entwickeln ein Faible für das, was unter den Nazis geschah. Sechzig Jahre nach Kriegsende ist der Blick zurück nicht mehr von politischer Bewältigung oder pädagogischer Aufarbeitung geprägt, sondern von einer manchmal unbekümmert wirkenden Neugier und Herangehensweise wie in Dennis Gansels Napola über die Elite-Zuchtanstalten Hitlers.
Wohl das beeindruckendste und ehrlichste Drama aus der Zeit des braunen Terrors ist Marc Rothemunds Sophie Scholl - Die letzten Tage. Aufgegriffen wurde das Schicksal der Widerstandskämpferin schon in Michael Verhoevens Die weiße Rose mit Augenmerk auf die Entwicklung der gesamten Widerstandsgruppe und in Percy Adlons Fünf letzte Tage (beide 1982), primär erzählt aus der Perspektive von Else Gebel, Sophies Zellengenossin. Rothemunds Ansatz ist ein anderer, ein mehr persönlicher. Er geht weiter, endet mit der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl sowie ihres Mitstreiters Christoph Probst im Februar 1943. Während Sophie bei Verhoeven nicht weinen durfte, ist hier die innere Reise der Protagonistin auf Emotionalität angelegt. So wird die Studentin als ganz normales Mädchen eingeführt, das die Natur liebt, ausgelassen zur Swing-Musik aus dem Feindsender tanzt und vor Lebenslust nur so sprüht. Sie ist gläubig, aber nicht frömmelnd. Die Handlung stellt sich aus ihrem Blickwinkel dar - die Verhaftung der Geschwister nach einer Flugblattaktion im Lichthof der Uni München, ihr verbales Kräftemessen mit dem Ermittlungsbeamten Hans Mohr, den sie fast von ihrer Unschuld überzeugen kann, das Warten in der Zelle auf die Hinrichtung, ihr mutiges Auftreten gegenüber Blutrichter Freisler in einer Farce von Gerichtsverhandlung, der rührende Abschied von den Eltern, die letzte Zigarette mit ihrem Bruder und Probst, der aufrechte Gang zum Schafott. Leise Trauer über ein zu kurzes Leben. Der 36-jährige Regisseur stützt sich auf bis zur Wende in der DDR unter Verschluss gehaltene Protokolle, die die Verhöre aus der Sicht des Gestapo-Beamten wiedergeben. Aber nicht nur.
So wurde sogar mit Uhr gestoppt, wie lange es dauerte vom Schließen des Vorhangs bis zum Fallbeil. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sophie Scholl wurde nur 22 Jahre alt.Großen Stellenwert räumt Rothemund dem gewieften Verhörspezialisten Mohr ein, eine nicht ganz durchschaubare Persönlichkeit, die auf der einen Seite den Nazis treu dient, aber dennoch seine Zweifel ahnen lässt, vielleicht weil er persönlich betroffen war, sein Sohn an der Front kämpfte. Ein Höhepunkt des Film ist die „Verhandlung“ unter Roland Freisler persönlich, der extra mit dem Flugzeug nach München kam. Die Darstellung eines der schlimmsten Nazi-Verbrechers (André Hennicke), der 6000 Todesurteile fällte, mag übertrieben wirken, entspricht aber den zum Vergleich herangezogenen Originalaufnahmen.Rothemund und seine wunderbare Hauptdarstellerin Julia Jentsch schufen eine Vorstellung des Menschen und des Charakters Sophie Scholl. Die junge Frau ist keine Märtyrerin, sondern jemand, der das Leben in allen Facetten liebt und leben möchte, erst nach und nach wird sie zur Heldin, verzichtet auf Brücken, die ihr Mohr baut, trotz aller Angst steht sie zu ihrer Überzeugung und schützt mit ihren Aussagen die anderen Mitglieder der Widerstandsorganisation. Und immer wieder der Blick aus dem Fenster, in den Himmel – Symbol der Freiheit. Aufwühlend die Szene, in der Sophie sich von den Eltern verabschiedet, keine falsche Sentimentalität, sondern nachvollziehbares Gefühl.
Die Kamera unterstreicht die Entwicklung: Am Anfang hell ausgeleuchtet, in der Zelle und während der Vernehmung erscheint alles farbloser und kälter, am Ende wird es immer weißer – eine Reise ins Licht. Von der anfänglichen Offenheit der Bilder entwickelt sich der Film sukzessive zu einem atmosphärisch dichten Kammerspiel, zu einem sensiblen Porträt. Dass dies hundertprozentig gelingt, liegt auch an Julia Jentsch, die mit großer Intensität und Glaubwürdigkeit die Figur verkörpert. Sophie Scholl - Die letzten Tage ist ein Glücksfall für das deutsche Kino. Selten wurde ein Stück jüngster Vergangenheit so eindringlich vermittelt. Die Botschaft Widerstand leisten, Zivilcourage zeigen, gilt noch heute.
Thomas Jacob: Propeller statt Düsen
IL2-Sturmovik ist eine historische Flugsimulation für den PC. Den ungewöhnlichen Namen hat das Spiel nach einem russischen Kampfflugzeug des Zweiten Weltkrieges erhalten.Historische SimulationenSimulationen von Flugzeugen des Ersten und Zweiten Weltkrieges erfreuen sich großer Beliebtheit unter PC-Spielern. Denn in den alten Propellermaschinen kommt es vor allem auf die Geschicklichkeit und richtige Taktik an, um Luftkämpfe zu gewinnen. Der Gegner kommt nahe heran, die Flugzeuge umkreisen einander. Ziel ist es, sich hinter den Feind zu setzen, um in eine gute Schussposition zu kommen. Simulationen moderner Kampfjets sind da viel nüchterner und „unpersönlicher“. In ihnen spielt sich der Großteil der Gefechte mittels Lenkraketen über riesige Entfernungen ab, der Gegner ist meist nur als Punkt auf dem Radarschirm zu erkennen. Viele Spieler ziehen daher den Nervenkitzel eines direkten Duells vor, den historische Simulationen vermitteln.Flugsimulationen, die im Zweiten Weltkrieg angesiedelt sind, gibt es daher in großer Zahl. Fast alle haben entweder den Krieg im Pazifik oder den Luftkrieg um England zum Schauplatz. Denn England und die USA sind wichtige Absatzmärkte für Computerspiele. IL2-Sturmovik ist die erste aufwändige Flugsimulation, die sich ausschließlich mit dem Luftkrieg zwischen Russland und Deutschland beschäftigt. Trotz des ungewöhnlichen Szenarios wurde das Spiel ein internationaler Bestseller, auch wenn die Verkaufszahlen von Simulationen bei weitem nicht an die von Actiontiteln heranreichen. Entwickelt wurde das Programm von der bis dahin völlig unbekannten russischen Spieleschmiede „Maddox Games“. Als das Spiel Ende 2001 erschien, überschlug sich die Fachpresse vor Begeisterung, das Spiel gewann nahezu alle Preise als „Simulation des Jahres“.So authentisch wie möglichObwohl nach dem Modell „IL2-Sturmovik“ benannt, kann der Spieler nicht nur dieses eine Flugzeug steuern. Insgesamt tauchen über 70 Modelle im Spiel auf, bei 31 davon darf man selbst ins Cockpit steigen. Alle Flieger sind bis ins kleinste Detail modelliert, sämtliche Maße, Farben und Flugeigenschaften sind originalgetreu. Die Programmierer betonen, dass sie jede Einzelheit selbst recherchiert und anhand von historischen Unterlagen und Fachliteratur geprüft haben. Auch für die authentische Geräuschkulisse wurden keine Mühen gescheut. Die Entwickler produzierten aufwändige Tonaufnahmen von Originalflugzeugen, für den simulierten Funkverkehr wurden historische Mikrofone benutzt.
Viel Aufwand für ein Computerspiel, der sich aber lohnt. Denn für Simulationsfreaks steht die historische Korrektheit an erster Stelle - obwohl sicher kaum ein Spieler wirklich beurteilen kann, ob das Flugverhalten authentisch ist. Aber zumindest die Illusion, ein echtes Flugzeug zu fliegen, soll so perfekt wie möglich sein. Und in diesem Punkt bildet IL2-Sturmovik die Referenz im Simulationsgenre. Im höchsten Realitätsgrad bedarf es schon sehr viel Übung, das Flugzeug heil in die Luft und wieder auf den Boden zu bekommen. Von Erfolgen gegen die Gegner ganz zu schweigen. Denn auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz gehört das Programm zu den Besten. Die computergesteuerten Piloten lassen sich kaum austricksen und machen auch erfahrenen Spielern zu schaffen. Natürlich lässt sich die Realitätsnähe herunterregeln, damit auch Einsteiger Erfolgserlebnisse haben.Kampagne und Multiplayer
Zum Einstieg in das komplexe Programm empfiehlt sich die virtuelle Flugschule, die den Spieler in mehreren Lektionen behutsam in die Simulation einführt. Mittels Sprachausgabe und Vorführungen werden Cockpitinstrumente und Flugmanöver vorgestellt, die man danach selbst ausprobieren kann. Das Herzstück des Spieles aber ist die „Pilotenkarriere“. Der Spieler entscheidet sich für die deutsche oder russische Seite und beginnt seine Laufbahn. Immer neue Missionen werden ihm zugewiesen, es gibt Beförderungen und Orden zu erringen. Egal wie gut der Pilot aber auch ist – am historischen Verlauf des Krieges ändert sich nichts.Besonders wichtig bei einer Flugsimulation ist der Multiplayermodus. Bei IL2-Sturmovik können bis zu 32 Spieler gleichzeitig an einer Mission teilnehmen – entweder über ein Netzwerk oder über das Internet. Neben dem klassischen „Jeder-gegen-Jeden“-Modus besteht auch die Möglichkeit, Missionen kooperativ zu bestreiten. Sogar die Aufgabenteilung innerhalb eines Flugzeuges ist möglich: Ein Spieler fliegt, der andere bedient das Heckgeschütz.
Auch eine echte Kommunikation mit den anderen Spielern über Mikrofon ist vorgesehen. Es ist sogar möglich, sein Flugzeug mit einem eigenen Anstrich zu versehen. IL2-Sturmovik ist ein sehr populärer Multiplayertitel im Internet. Hunderte Spieler tummeln sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den Servern der „Gaming Zone“ von UBI Soft, dem Publisher des Spiels. Auch Dutzende so genannter „Schwadronen“ existieren, Spielergemeinschaften im Internet, ähnlich den „Clans“ für Actionspiele. Die Mitglieder einer Schwadron trainieren gemeinsam und treten gegen andere Schwadronen an. Oft treffen sich die Teilnehmer einer solchen Gruppe auch mal im realen Leben, um sich kennen zu lernen und auszutauschen. Andere Fans erstellen neue Flugzeuge, Missionen oder Kampagnen und stellen sie zum Download bereit. Nachfolger in SichtSowohl ein gelungener Multiplayermodus als auch einfache Erweiterbarkeit sind heute wichtige Merkmale für den langfristigen Erfolg eines Spiels. Denn so fesselt das Programm auch nach dem ersten Durchspielen weiter und bleibt im Gespräch – gut für die Verkaufszahlen. Nach dem Erfolg von IL2-Sturmovik war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Nachfolger angekündigt wurde. Die nächste Simulation von „Maddox Games“ soll noch in diesem Jahr erscheinen. Pacific Fighters wird dann einen klassischen Flugsimulationsschauplatz haben: den Luftkrieg zwischen den USA und Japan.
Milena Chieffo: Junge Dschungelforscher
Expeditionen ins Tierreich für Kinder: Abenteuer im Dschungel. Windows 95 / 98 / 2000 / ME / XP; MAC System MacOS 8.1 – 9.x. Studio Hamburg Fernseh Allianz (FA) GmbH 2002/2004. Über www.ARD-VIDEO.de und www.usm.de erhältlich, 19,90 €.
Der Held dieses Spiels ist der kleine Junge Joe, der im Regenwald bei seinem Onkel, einem Naturfilmer, seine Sommerferien verbringen möchte. Doch erst mal heißt es für Joe, diesen zu finden, denn Onkel Klaus ist samt Tieraufnahmen, die ein Fernsehsender in Auftrag gegeben hat, verschwunden. Mit Hilfe eines sprechenden Affen macht sich Joe auf die Suche nach seinem Onkel und hat gleichzeitig die Aufgabe neue Filmaufnahmen von allerlei verschiedenen Tierarten zu machen. Dabei gibt es Interessantes über die Tierwelt zu lernen und zu erforschen. Wahlweise kann dieses Computerspiel auch in englischer Sprache gespielt werden.Es wird darauf hingewiesen, dass die Aufmerksamkeitsspanne für 6- bis 7-Jährige nach 30 Minuten, bei 10-Jährigen nach 90 Minuten erschöpft ist.
Das Spiel mit der bunt gestaltenden Zeichentrickgraphik beinhaltet eine Reihe von Echtfilmsequenzen aus Dokumentarfilmmaterial der ARD-Reihe Expeditionen ins Tierreich, die das jeweilige Tier in seinem natürlichen Lebensraum zeigen. Das spielende Kind hat die Möglichkeit, diese Informationen immer wieder abzurufen, sobald es das Tier gefunden und gefilmt hat. Die Expedition durch den Dschungel führt den Helden durch verschiedene Etappen, an denen insgesamt fünf eigenständige Spiele gespielt werden können und wo das Kind Wissen, Gedächtnis oder Reaktion testen kann.Der gesamte Spielaufbau ist leicht verständlich und sollte besonders kleinen Dschungelforschern keine Probleme bereiten, da alle Funktionen auch laut vorgelesen und erklärt werden. Für ältere Kinder könnte das Spiel jedoch bald langweilig werden, da es wenig Raum für eigene Interaktionen schafft. Der festgelegte Weg bzw. die Vorgehensweise nach dem Prinzip einer Schnitzeljagd erschöpft sich schnell. Die integrierten, kleineren Spiele sind zwar nett gestaltet und als Abwechslung gedacht, bieten aber erfahreneren Computernutzern keine neuen Herausforderungen.
Das Computerspiel, das eher den passiven Charakter eines Hörspiels besitzt, ist Einsteigern und kleineren Kindern vorbehalten, dabei kann die englische Version, die zwar sicherlich zur Erweiterung des Vokabulars beiträgt, auch keinen größeren Anreiz bieten.Die Verbindung von Lernsoftware und Computerspiel ist leider nur zum Teil geglückt. Jüngere Spieler im Alter von 5 bis 8 Jahren werden aber mit Sicherheit ihren Spaß haben, den kleinen Joe und seinen Freund, den Affen, durch die Dschungelwelt zu begleiten und dabei neue Tierarten kennen zu lernen.
Andrea Breuer: Mathe mit Freddy
Freddy – Vampirisch gute Noten. Mathematik Klasse 1. Ernst Klett Grundschulverlag GmbH / Tivola Verlag GmbH. WIN 95 / 98 / ME / NT / 2000 / XP, Pentium 166, 29,90 €.
Freddy ist ein kleiner Vampir, der mit abwechslungsreichen Spielen hilft, Mathekenntnisse zu verbessern. Dazu wurde anhand des Lehrplans von Klasse 1 eine Vielzahl spannender Übungen erstellt. Freddy lebt, zusammen mit Bodo, der Fledermaus, auf Schloss Schädelrauch. Dort können insgesamt zehn Zimmer besichtigt werden. In jedem Zimmer wartet ein anderes Themengebiet der Mathematik: Rechnen am Zahlenstrahl, Geometrie, Rechnen mit Plus und Minus, Zahlen zerlegen und Kopfrechnen sind einige der Kategorien.
Zuerst hat man die Möglichkeit, das Themengebiet anhand sehr gut erklärter Übungen zu erproben. Wenn man sich dann fit genug fühlt, geht es ab zur Prüfung. Hier wird die Mühe auch belohnt.Denn wer in der Prüfung sehr gut abscheidet, der kann als Belohnung für die vorherigen Anstrengungen Spiele auf mehreren Levels spielen. Aber nur, wer alles richtig hat, darf drei Levels durchspielen.
Dieses Spiel ist schön aufgemacht, leicht verständlich und gut strukturiert. Es ist nicht nur ein kurzfristiger Zeitvertreib, sondern eine gute Möglichkeit, Spaß am Mathe Lernen zu bekommen!
Milena Chieffo: Vom Kinoerfolg zum Spiel
Lauras Stern. Win 98 / ME / 2000 / XP, MAC OS X 10.1.1 / G 3, Classic OS 8.6. Tivola Verlag GmbH, Vertrieb über www.tivola.de, 19,95 €.
Kürzlich erst ist Lauras Stern als Film in die Kinos gekommen, und schon gibt es das Computerspiel dazu (vgl. auch unser Thema in der vorderen Hälfte des Heftes). Zusammen mit Laura besucht man verschiedene Planeten, auf denen es immer etwas anderes zu entdecken gibt: Auf dem einen kann man Ausschnitte aus dem Film sehen, auf dem anderen wird eine genaue Bastelanleitung für eine Laterne gegeben.
Wieder auf anderen wird man zu Spielen herausgefordert, die entweder das musikalische Talent oder das Gedächtnis trainieren, dabei kann zwischen einer leichteren und anspruchsvolleren Schwierigkeitsstufe ausgewählt werden. Die Menüführung ist einfach, wird aber auch genauestens erklärt, so dass sich Kinder alleine zurechtfinden können. Die Spielgrafik ist dem animierten Zeichentrickfilm nachgeahmt und kommt bei Kindern sicher gut an.
Das Spiel ist nicht nur etwas für Lauras Stern- Fans, sondern bietet auch Abwechslung und Anregungen für diejenigen, die den Film noch nicht gesehen haben.
Andrea Breuer: Spielen mit Heidi
Heidi – Deine Welt sind die Berge. Tivola Verlag GmbH, WIN 98 / ME / NT / 2000 / XP, Pentium II oder höher, 24,95 €.
Heidis Geschichte – ihr Leben auf der Alm bei ihrem Großvater, ihr Aufenthalt in Frankfurt bei Klara und ihre Rückkehr zum Großvater auf der Alm – wird mit vielen kleinen Spielen angereichert. Die grafisch sehr schön gestaltete Geschichte wurde in insgesamt 13 Szenen eingeteilt. In jeder Szene gibt es verschiedenes zu entdecken. Zur Abwechslung ist in jeder Szene ein Spiel hinterlegt. Bei dem Spiel kann man zwischen zwei Schwierigkeitsgraden wählen und sie können beliebig oft gespielt werden.
Ein besonderes Highlight: Die CD kann neben der deutschen Sprache auch auf Englisch und Französisch abgespielt werden.
Schon für die Kleinsten ab ca. 3 Jahren dürfte Heidis interaktive Geschichte Spaß machen, aber auch für die Größeren ist die CD-ROM aufgrund der verschiedenen Schwierigkeitsgrade durchaus empfehlenswert.
Kathrin Demmler: Partyvorbereitungen
Pettersson & Findus – Der Torten werfende Geburtstagskater. Kiddinx Entertainment GmbH; Mac OS 8.6 / OS X 10.1 oder Windows 98 / NT 4.0 / XP, ca. 21 €
Der Kater Findus beschließt eines Morgens, dass heute ein Tag ist, um Geburtstag zu feiern. Nach anfänglichem Zögern findet auch Pettersson Gefallen an dieser Idee. Bis zum Fest haben die beiden aber noch jede Menge zu erledigen, denn zu einer richtigen Geburtstagsparty gehören schließlich eine Geburtstagstorte, Girlanden, bunte Luftschlangen und vieles mehr. Die Spieler können den beiden bei den Vorbereitungen zur Hand gehen. Beim Eierlaufen und Sackhüpfen, bei einer Tortenschlacht oder auf dem verwinkelten Wurzelpfad können Lakritzschnecken oder Kekse gewonnen werden. Damit kann dann in der Schnappmaschine nach Gegenständen gefischt werden, die nötig sind, um den Hof zu schmücken. Auch im Schuppen ist die Hilfe der Spielenden nötig, denn Petterson baut heimlich ein Geburtstagsgeschenk für Findus.
In der Bastelkiste können die Spieler dann Einladungs- und Tischkarten gestalten, die sie natürlich auch ausdrucken und für ihre eigene Geburtstagsfeier verwenden können. Die verschiedenen Aktivitäten fordern einen geschickten Umgang mit der Maus, trainieren das Reaktionsvermögen und fördern die Konzentration. Vor allem aber macht es viel Spaß, mit Petterson und Findus die liebevoll und detailliert ausgearbeitete Umgebung zu erkunden.
Selbst wenn alle Vorbereitungen für das Fest abgeschlossen sind, kann man immer wieder auf die einzelnen Spiele zurückgreifen, da jeder Spielende den Spielstand abspeichern und somit zu jedem Zeitpunkt in das Spiel zurückkehren kann.
Milena Chieffo / Karin Ehler: Sachwissen zum Hören
Der Trend zum Hörbuch, der bei der Hörfassung von Romanen und anderen Gattungen der fiktionalen Literatur begonnen hat und dabei auch die Kinderbücher zum Hören geschaffen hat, ist einen Schritt weiter gegangen. Mittlerweile gibt es auch Sachbücher zum Hören. Viele von uns sind mit Büchern der Sachbuchreihe „Was ist was?“ aus dem Tessloff-Verlag groß geworden, die zu praktisch jedem Sachthema einen eigenen Band (mittlerweile 117) mit vielen Bildern und anspruchsvollen informativen Texten veröffentlichten. In Zeiten von Medienkonvergenz und Merchandising ist das nicht mehr genug, erfolgreiche Produkte werden auch via TV, Video, Kassette oder CD und am besten noch Game vermarktet (vgl. www.wasist was.de). Ob und wie es gelingt, Kindern und Jugendlichen Wissen ohne Bilder, die in Büchern und in der TV-Serie (auf Super RTL) ein so wichtige Rolle spielen, als reine Ton-Produktionen zu vermitteln, das soll hier untersucht werden.Was ist Was – Spinnen / Dinosaurier. CD. Universal Family Entertainment 2004, ab 6 Jahren, ca. 50 Min. Vertrieb über www.universalfamily.de ; 7,49 €
Um gleich beim Eingangsbeispiel zu bleiben: Von den 117 Bänden der Was ist Was?-Reihe sind mittlerweile achtzehn Themen auf Kassette und CD erschienen, jeweils zwei auf einem Tonträger, so dass also neun CDs auf dem Markt sind. Sie richten sich an Kinder ab 6 Jahren. Die Kombination der Themen ist nicht immer naheliegend (Dinosaurier und Spinnen), aber man bemüht sich im allgemeinen doch, in eine ähnliche Richtung zu gehen (Ritter und Burgen / Das alte Rom, Seeräuber / Schiffe). Theo, Tess und Quentin (ein Ausrufezeichen, ein Fragezeichen und ein Punkt) begleiten jedenfalls durch das Programm und erleben dabei immer wieder neue Geschichten. Im Dinosaurierkapitel zum Beispiel gräbt Theo den Garten um und findet dabei einen Knochen. Ob es sich dabei wohl um ein Dino-Skelett handelt? Ein Erzähler erklärt die wichtigsten Begriffe und beantwortet Fragen wie: Was haben Dinosaurier gefressen? Warum starben sie aus? Insgesamt eine gelungenes Hörspiel, das durch den Einsatz vieler Soundeffekte Spannung erzeugt und gleichzeitig durch Erzählblöcke informiert und durch dialogische Abschnitte zwischen den drei Protagonisten unterhält.Wieso? Weshalb? Warum? Alles über Dinosaurier. CD. Jumbo Neue Medien & Verlag GmbH 2004, ab 4 Jahren, ca. 55 Min. Vertrieb über www.jumbo-medien.de, 12,80 €
Eine andere erfolgreiche Buchreihe ist bei Ravensburger erschienen und richtet sich an jüngere Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter. Gemeint sind die Wieso? Weshalb? Warum?-Bücher, die Kindern mit vielen Klappen, Fenstern und Drehscheiben Einblicke in elementare Sachthemen und Lebensbereiche bieten. Von den über 20 Bilderbüchern wurden bei Jumbo nun die Themen „Alles über Dinosaurier“, „Technik bei uns zu Hause“, „Wir entdecken unseren Körper“, „Wir entdecken die Ritterburg“ und „Auf dem Bauernhof“ als Audio-CD produziert. Die Umsetzung der in Buchform so ansprechenden Themen (Klappen, Drehscheiben, Fühlbahnen für die Finger...) gelingt trotz der rein auditiven Übermittlung recht gut: Mit Hilfe von Hintergrundgeräuschen und geschickter sprachlicher Beschreibung, von Dialogen und einer anschaulichen Rahmengeschichte wird auch ohne Bilder deutlich, wie ein Kühlschrank funktioniert, ein Fachwerkhaus aussieht oder ein Dino gelebt hat. Dabei sind die Dialoge hier, im Gegensatz zu denen der Was ist was?-Reihe, ruhiger und erklärender und verzichten auf Spannung erzeugende Geräuschkulissen. Auch die Sachinformationen werden im Dialog vermittelt. Jeder Track klingt mit einem Musikstück aus, so dass die Informationen in Ruhe nachwirken können. Ob sich jedoch die jüngere anvisierte Zielgruppe ab 4 Jahren schon so lange – rund 55 Minuten – auf ein Thema konzentrieren kann, ist fraglich. Für ältere Kinder allerdings sind die CDs eine echte Bereicherung.1000 Themen: Was Kinder wissen wollen. Dinosaurier. CD. Universal Family Entertainment 2001, ab 5 Jahren, ca. 32 Min. Vertrieb über www.universalfamily.de; 7,49 €
Mehr wie in einer Märchenstunde geht es zu bei den CDs der Reihe 1000 Themen. Eine ruhige Frauenstimme erzählt mit geheimnisvollem Ton alles über Dinosaurier (oder Piraten, den Körper, Pflanzen oder ein anderes der insgesamt neun vertonten Themen), unterbrochen von Musikstücken, die in peppigem, rockigen Stil die Inhalte noch einmal aufgreifen. Die Lieder sind an aktuelle Pop-Stücke angelehnt, welche sie besonders eingängig und mitsingbar machen. Auf dialogische Elemente oder Soundeffekte verzichtet diese zwischen 2001 und 2003 produzierte Reihe mit neun CDs vollständig, trotzdem werden besonders jüngere Kinder durch die einfache Vermittlung der Inhalte und die Mischung von Erzählungen und Liedern profitieren können.Ulrich Janßen und Ulla Steuernagel: Die Kinder – Uni. Warum bin ich Ich? und Warum fallen die Sterne nicht vom Himmelt? CD, 2004, Hörverlag, 14,95 €
Um eher abstrakte oder philosophische Themen geht es bei den Audio-CDs aus der Reihe der Kinderuni-Vertonungen (vgl. auch Beitrag auf S. 3f. in merz 5-04). Sie richten sich an ältere Kinder (das empfohlene Alter ab 6 scheint manchmal noch zu jung) und geben Erläuterungen zu philosophischen Fragen, die Kinder beschäftigen (Warum bin ich Ich?, Warum dürfen die Erwachsenen mehr als Kinder?, Warum gibt es Arme und Reiche?) oder auch zu naturwissenschaftlichen Gebieten, die sie interessieren, etwa Warum speien Vulkane Feuer?Entstanden sind die CDs aus speziellen Kinder-Vorlesungen an der Universität Tübingen, die ab 2002 gehalten wurden. Auf Basis dieser Vorträge haben die Journalisten Ulrich Janßen und Ulla Steuernagel ein Buch herausgegeben, das wiederum die Grundlage bildet für die Hör-Produktionen. Neun CDs sind mittlerweile erschienen, auf denen jeweils zwei Vorlesungen Platz finden. Regelmäßig stellen Kinder Fragen, auf die vom Sprecher Ulrich Noethen (bzw. bei früheren Produktionen Rufus Beck) ohne szenische Hintergrundgeräusche in halb dialogischer, halb vortragender Form Antworten gesucht werden. Der Sprecher geht dabei immer auch auf alle Hintergründe ein, Begriffserklärungen und der Einbezug mehrerer Sichtweisen werden in die Antwort gepackt. Die Vorlesungen werden an mehreren Stellen mit Musik untermalt.Diese CD ist ein anspruchsvolles Hörerlebnis, das Kinder und Erwachsene mit vielen Informationen gerade auch zu ungewöhnlichen Themen versorgt.
Beitrag aus Heft »2005/01: Kinder als Verbraucher«
Autor:
Karin Ehler,
Milena Chieffo
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Sybille Neth: Medienpädagogik vernetzt
Fernsehen, Radio, CDs, PC, Videospiele, DVDs. Medien gehören heute selbstverständlich zum Kinderalltag. Doch der kritische und selbstbewusste Umgang mit dem unüberschaubar großen Angebot will gelernt sein. Deshalb installierte das Stuttgarter Landesmedienzentrum (lmz) im vergangenen Frühjahr in Zusammenhang mit der Medienoffensive für die Schule, die von der Landesregierung von Baden-Württemberg angestoßen wurde, ein viel versprechendes Internet-Portal für Lehrkräfte, ErzieherInnen, Eltern und SchülerInnen: www.mediaculture-online.de.
Dahinter verbirgt sich ein beachtlicher Fundus an Informationen rund um die Themen Medienbildung, Medienpraxis und Medienkultur für den schulischen und außerschulischen Bereich. Sie wollen beispielsweise Medienprojekte mit Kindern und Jugendlichen dokumentieren, Anregungen für den sinnvollen und kreativen Umgang mit dem PC oder mit AV-Medien geben und Nachahmer in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen finden. Im Angebot des Portals sind auch die entsprechenden Anleitungen enthalten sowie die Literatur für eigene Produktionen, für die Medienanalyse im Unterricht oder Hinweise auf die zielgerichtete Mediennutzung. Darüber hinaus werden stets Ansprechpartner genannt, die mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn das entsprechende Projekt für die eigene Einrichtung übernommen werden soll.
Das Portal ist übersichtlich in fünf große Teilbereiche gegliedert: Der erste erscheint gleich mit der Startseite und bietet unter „Aktuell“ Berichte über Wettbewerbe, Tagungen, Kongresse oder neueste Entwicklungen im Medienbereich. Zum Beispiel, dass jetzt auch 3sat mit seiner Sendung nano eine Container-Soap hatte - natürlich eine der etwas anderen Art, denn im Stuttgarter Hauptbahnhof hausten im vergangenen Sommer 16 Schüler in Containern, dem „nano-Camp“, um so konzentriert am Modell einer „Stadt der Zukunft“ zu bauen. In der virtuellen „Bibliothek“ wartet eine umfangreiche Volltextsammlung zu medienrelevanten Themen wie Werbung, Gewalt, Computer, Sprechen und Schreiben, Internet, Medienpädagogik, Medienkultur und Journalismus. Im Bereich „Know-how“ gibt es zum Beispiel eine Anleitung dafür, wie Jugendliche ihre eigene Radiosendung oder Website produzieren können. Und damit das Ganze nicht so theoretisch wird, sondern richtig Appetit zum Nachmachen macht, gibt es vorhandene Beispiele auch zum Ansehen oder Anhören. Davon gibt es im Unterpunkt „Medienprojekte“ jede Menge: Hier stellen sich bereits abgeschlossene Projekte von Schulen, Jugendhäusern oder Behinderteneinrichtungen vor. Etwa Arbeiten mit der Trickfilmkiste, mit deren Hilfe schon Zehnjährige ihre eigenen Trickfilme drehen können.
Dies ist ein Projekt aus dem Teilbereich „Medi@Culture-Praxis“. Im Rahmen dieses Konzepts bieten insgesamt 20 Lehrerinnen und Lehrer aus Baden Württemberg mit Unterstützung des Landesmedienzentrums Projekte aus Themengebieten wie Text, Foto, Musik, Video, Computer an den Schulen des Landes an. Dann gibt es noch als theoretischen Hintergrund die „Specials“ mit den Themenkomplexen Dokumentarfilm, Medienpädagogik oder Politik im Internet. Und wer immer auf dem Laufenden bleiben will über die Entwicklungen im medienpädagogischen Bereich, kann den Newsletter abonnieren. Medi@Culture-Online ist ein Teil des Gesamtprojektes Medi@Culture, das aus den Bausteinen Medi@Culture-Praxis, Medi@Culture-Netzwerk und Medi@Culture-Online besteht. Der erste Bereich unterstützt medienpädagogische und medienkulturelle Projekte und Vorhaben in Schulen und erarbeitet daraus übertragbare pädagogische Handlungsmodelle und Handreichungen für die aktiv-kreative Medienarbeit.
Dr. Susanne Pacher, die Direktorin des Landesmedienzentrums, hält die Vermittlung von Medienkompetenz angesichts Gewalt verherrlichender Medieninhalte für dringend geboten: „Die Jugendlichen ahmen die Gewalt aus den Medien nicht mehr nach, sie produzieren selbst Gewalt für die Medien.“ Das zeigten, so Pacher, die erschreckenden Dokumente aus jener Hildesheimer Berufschule, in der Jugendliche Monate lang die Folterungen von Mitschülern auf Video festhielten. Wertvorstellungen und Styling – alles wird von den Medien beeinflusst. Kinder und Jugendlichen richten sich komplett nach deren Vorbild. Die Schule als Ort der Bildung und Erziehung steht hier in der Pflicht.
Das Mediaculture-Portal kann hier ein wichtiger Markstein auf dem Weg sein, Kindern und Jugendlichen neben Medienkompetenz auch Medienbildung zu vermitteln. Letztere geht über den Kompetenzbegriff hinaus und beschreibt den ganzen Kanon dessen, was der Mensch in der Informationsgesellschaft beherrschen muss: Erkennen, wann er Informationen benötigt; wissen, wie die Informationen ausgewertet werden können; sicher stellen, dass die verwendeten Informationen seriös sind und mit ihrer Hilfe schlussendlich die gestellte Aufgabe selbstständig lösen.
Das Medi@Culture-Netzwerk hat sich zur Aufgabe gesetzt, schulische und außerschulische Aktivitäten in diesem Sinne zu verbinden. Darüber hinaus fördert es den regionalen und überregionalen Austausch zwischen medienpädagogischen Einrichtungen und Trägern.
Sybille Neth
Tilmann P. Gangloff: Tatort: Jugendschutz
Städte wie Konstanz oder Bremen sind viel zu beschaulich für abscheuliche Gewalttaten. Trotzdem wird hier regelmäßig gemordet, wenn auch nur im Fernsehen. In Bremen scheint die Fallhöhe besonders hoch, denn mit seinen letzten Beiträgen zur Krimireihe Tatort ist der kleine ARD-Sender ins Gerede gekommen. Vor allem „Abschaum“, ausgestrahlt im April, entfachte heftige Diskussionen: Der Tod einer sexuell missbrauchten Zwölfjährigen führte die Kommissare ins satanistische Milieu. Der Film endete mit einem Massaker, bei dem 14 Menschen starben. Fast reflexhaft gab es die üblichen Reaktionen. So zitierte Bild am Sonntag Peter Gauweiler (CSU), den stellvertretenden Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien: „Es ist ein Skandal, dass im staatlich unterstützten Fernsehen gezeigt werden kann, was im Privatfernsehen verboten wäre. Jugendschutz wird hier mit zweierlei Maß gemessen.“ Andere sehen das genauso. „Jugendschutz ist unteilbar“: für Jürgen Doetz und Wolf-Dieter Ring fast eine Art Mantra.
Seit Jahren wiederholen sie diesen Satz, wann immer die Rede auf den Jugendschutz bei ARD und ZDF kommt: Der eine als Präsident des Privatsenderverbandes VPRT, der andere als Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und seit April 2003 auch als Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz. Öffentlich-rechtliche Sender, kritisiert Ring, könnten um 20.15 Uhr ungestraft Filme zeigen, „die nicht mal die FSF für diese Uhrzeit freigeben würde“. Besagte FSF, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (Berlin), ist ein Verein, in dem fast alle kommerziellen TV-Sender Mitglied sind. Hier legen RTL und Sat 1 ihre eigenproduzierten Filme vor, hier erkundigt sich RTL 2, ob ein Erotikstreifen womöglich pornografisch ist (und dann nicht gezeigt werden darf). Die FSF hat in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Sie verdankt ihre Existenz dem Grundgesetz: Weil eine Zensur in Deutschland nicht stattfinden darf, stellte sich Anfang der Neunzigerjahre die Frage: Wie kann die Flut von Sex- und Gewaltfilmen im Privatfernsehen eingedämmt werden?
An sich war der Fall klar, schließlich existieren klare Vorgaben: Filme, die fürs Kino ab 16 Jahren freigegeben worden sind, dürfen im Fernsehen erst um 22.00 Uhr gezeigt werden, Filme ab 18 ab 23.00 Uhr. Für TV-Movies aus Amerika aber gab’s keine Kinofreigaben, und für die Eigenproduktionen der deutschen Sender erst recht nicht. Da staatliche Stellen erst nach der Ausstrahlung eingreifen können, gab es nur eine mögliche Lösung: Eine Selbstkontrolle musste her. 1993 gründeten die kommerziellen Sender daher die FSF; am 25. Mai 1994 nahm sie in Berlin offiziell ihre Arbeit auf. Zu ihren Mitgliedern zählen praktisch alle deutschen Privatsender; die fixen Kosten (etwa 1,2 Millionen Euro im Jahr) werden den Marktanteilen entsprechend umgelegt. Die FSF prüft Sendungen vor deren Ausstrahlung (jeder Prüfvorgang kostet den Sender eine Extragebühr) im Hinblick auf die Jugendschutzbestimmungen und legt Sendezeiten fest. Das Modell hätte wunderbar funktionieren können, wenn es nicht immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten gekommen wäre: Auch die Landesmedienanstalten, die staatlichen Kontrolleinrichtungen der Privatsender, fühlten sich für den Jugendschutz zuständig.
Selbst heute noch mischt sich Zorn in die ohnehin energische Stimme Wolf-Dieter Rings, wenn der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien feststellt: „In circa 30 Prozent der Fälle hat die FSF anders entschieden als die Landesmedienanstalten – und das stets zu Gunsten der Sender“. Joachim von Gottberg, einst Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK, Initiator der FSF und von Anfang an ihr Geschäftsführer, sieht das anders und unterstellt den Ländergremien, sie hätten mit ihrer ablehnenden Haltung „die zu liberale Haltung der FSF-Prüfer und damit die Sendernähe der FSF demonstrieren wollen“.Die Unterstellung kommt nicht von ungefähr. „Die praktische Arbeit der FSF in ihrer früheren Struktur hat beim Umgang mit bestimmten Themen eine große Nähe zu den Sendern offenbart“, bestätigt Ring prompt und belegt die Behauptung mit dem Beispiel Pornografie: „Es gab deutliche Differenzen bei der Auslegung des Pornografiebegriffs“.
Die FSF habe in diesem Zusammenhang außerdem die These vertreten, „dass Pornografie nicht jugendgefährdend sei. Solchen Positionen überhaupt Raum zu gewähren, halte ich für unverantwortlich“. Mit Ring und von Gottberg stoßen ohnehin die Repräsentanten zweier Welten aufeinander. Aus Sicht der Privatsender steht Ring für eine Regulierungswut der Deutschen, die in liberaleren Mitgliedsstaaten der EU wie etwa den Niederlanden oder in Skandinavien berüchtigt ist. Von Gottberg hingegen verkörpert ein Liberalitätsprinzip, das den Landesmedienanstalten oftmals zu weit geht. Kein Wunder, dass die beiden Galionsfiguren selten einer Meinung sind. Der Geschäftsführer der FSF betrachtet die Doppelaufsicht der letzten zehn Jahre sogar „als erhebliche Bremse für einen vernünftigen Jugendschutz im Fernsehen“. Freunde, darf man vermuten, werden die beiden nie. Dabei sitzen sie eigentlich im selben Boot; sie rudern nur nicht immer in dieselbe Richtung. Wenigstens hat sich das Verhältnis seit gut einem Jahr entspannt: Im April 2003 ist der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag in Kraft getreten. Der bis dato völlig undurchdringliche Paragrafendschungel wurde gelichtet, diverse Gesetze gebündelt und die Rolle der Selbstkontrolle gestärkt.
Die staatliche Aufsicht (und damit auch die Bemühungen der Landesmedienanstalten) manifestiert sich seither in der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Deren Vorsitzender ist, wie vorher erwähnt, von Gottbergs alter Widersacher. Einig sind sich die beiden allerdings, wenn es um die Unteilbarkeit des Jugendschutzes geht. Kaum jemand versteht eigentlich, warum ARD und ZDF nicht längst Mitglied der FSF geworden sind. Nach dem strittigen Tatort von Radio Bremen kritisierte auch der Bundestagsabgeordnete Bernd Neumann (CDU/CSU), Mitglied im Rundfunkrat des Senders, die Ungleichbehandlung: „Bei der Novellierung des neuen Jugendmedienschutzgesetzes gab es den Vorschlag, ARD und ZDF einer zentralen Instanz wie der FSF zu unterstellen, die über den Jugendschutz aller Sender wacht. Das ist am massiven Widerstand der beiden Sendeanstalten gescheitert.“ Spricht man mit den Jugendschutzbeauftragten der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz, sieht die Lage natürlich ganz anders aus. Jugendschutz unteilbar?
Das sei „im Grunde“ ja auch nicht falsch, doziert ZDF-Jurist Gunnar Krone, man müsse es nur differenzierter sehen: „Es kann in der Tat nicht sein, dass ein privater Sender andere Kriterien hat als die öffentlich-rechtlichen. Was hingegen medienpolitisch kontrovers diskutiert wird, ist die formale Umsetzung: Wer kontrolliert die Einhaltung der Vorschriften?“ Und das ist bei ARD und ZDF genauestens geregelt: hier eine „Ständige Fernsehprogrammkonferenz“, an der in der Regel alle Fernsehdirektoren sowie ARD-Programmdirektor Günter Struve teilnehmen, dort der Fernsehrat. Die ARD-Konferenz nimmt eigenproduzierte Filme (und natürlich auch Shows, Serien etcetera) zwar in erster Linie unter qualitativen Gesichtspunkten unter die Lupe, achtet aber in einem Aufwasch auch auf Aspekte des Jugendschutzes. Das letzte Wort hat bei der ARD der Rundfunkrat, der allerdings in der Regel ebenso wie der ZDF-Fernsehrat erst nach der Ausstrahlung einer Sendung aktiv wird. Außerdem muss jeder deutsche Fernsehsender einen Jugendschutzbeauftragten haben. Beim ZDF ist das Dr. Gunnar Krone, im ZDF-Justiziariat hauptberuflich für den Bereich „Rundfunkverfassungsrecht und neue Medien“ zuständig. ARD-Repräsentantin ist Inge Mohr (RBB); sie ist Vorsitzende eines Arbeitskreises der Jugendschutzbeauftragten bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Dank der diversen Gremien sieht sie „absolut keine Notwendigkeit für einen Beitritt zur FSF“.
Wichtigstes Gegenargument: „Dann würde man den Jugendschutz auslagern“. Diese Verantwortung aber könne und dürfe nicht delegiert werden. Tatsächlich scheinen Welten zwischen den beiden System zu liegen; vor allem in Hinblick auf das jeweilige Selbstverständnis. Aus Mohrs Perspektive ist Jugendschutz für die Privatsender offenbar nur notwendiges Übel, „ein Faktor in der Abwägung zwischen dem Streben nach potenziellem Quoten-Erfolg und möglichen Schäden entweder für das Image oder aber in wirtschaftlicher oder medienpolitischer Hinsicht“.
Diese Haltung scheint auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen verbreitet zu sein. Im Jugendschutzbericht wird den Privatsendern vorgeworfen, sie brächten die angebliche Tatort-Gewalt immer dann ins Spiel, wenn sie die ARD entweder diskreditieren oder zur gleichen Sendezeit „noch härtere oder schärfere Szenen rechtfertigen wollten“. Natürlich verstoßen ARD und ZDF nicht Abend für Abend gegen die Jugendschutzauflagen, doch gerade in der Reihe Tatort gibt es zumindest immer wieder Grenzfälle; und da Tatort regelmäßig ein Publikum von mindestens sieben Millionen Zuschauern hat, werden die Grenzüberschreitungen auch stärker wahrgenommen, zumal man von öffentlich-rechtlichen Sendern ohnehin eine größere Sensibilität erwartet. Beim Tatort aber nimmt die ARD anscheinend in Kauf, immer wieder Gegenstand der öffentlichen Diskussion zu sein. Immerhin will Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der FSF, nicht ausschließen, dass auch die Freiwillige Selbstkontrolle der Privatsender umstrittene Tatort-Filme wie „Abschaum“ für den Sendetermin um 20.15 Uhr freigegeben hätte.
Tilmann P. Gangloff
Michael Bloech: Der deutsche Kinderfilm lebt... im Osten!
In der deutschen Kinderfilmszene bewegt sich etwas: Anknüpfend an die klassische und hoch geschätzte Tradition des Kinderfilms der DDR findet zur Zeit im Osten unserer Republik anscheinend unabhängig von großen Produktionsfirmen und Studios eine Wiederbelebung des oft schon totgesagten Kinderfilms statt. So wurde beispielsweise im Jahr 2000 in Erfurt die Produktionsfirma Kinderfilm GmbH gegründet, die sich ausschließlich auf die Produktion von Kinderfilmen für Fernsehen und Kino konzentriert. Ihr aktueller Titel ist Die Blindgänger von Bernd Sahling, der nach seiner Ausbildung bei der DEFA unter anderem als Regieassistent bei Helmut Dziuba und Rolf Losansky arbeitete, die bekanntlich als Ikonen des DDR-Kinderfilms gelten. Auch bei Sahlings neuester Produktion spürt man die Nähe zu der erzählerischen Tradition klassischer DDR-Regiearbeit, hier geht es eben nicht um eine von der Lebenswelt der Jugendlichen abkoppelte Story oder um die Präsentation platter Action. Ganz im Gegenteil, sofort spürt man die Ehrlichkeit, mit der unspektakulär, aber um so eindringlicher der Alltag junger Menschen geschildert wird.
Die Blindgänger erzählt die Geschichte der beiden 13-jährigen Mädchen Marie und Inga, die gemeinsam in einem Internat für Sehbehinderte leben. Für beide bildet die Musik die Brücke zur Wirklichkeit, Marie spielt Gitarre und Inga Saxophon. Als sie von einem Bandwettbewerb hören, wollen sie sich zunächst einer Band anschließen, die gerade Musiker sucht. Doch das misslingt gewaltig, denn die Bandmitglieder sind zwar von der Musikalität der Mädchen beeindruckt, doch die „Guckis“, wie Inga und Marie die Sehenden nennen, wollen eine „andere Bühnenpräsenz“. Die beiden Mädchen sind zunächst deprimiert, allerdings gerät ihr Alltag ziemlich bald aus den Fugen, als sie Herbert, einen jungen Russlanddeutschen, in einer alten Sternwarte vor der Polizei verstecken. Marie fühlt sich sofort zu dem Jungen hingezogen. Doch Herbert möchte unbedingt wieder nach Hause und so beschließen die drei, eine Straßenband zu gründen, um auf diese Weise das Geld für Herbert einzuspielen. Als dieser Versuch aber kläglich scheitert, ruht ihre letzte Hoffnung auf der Teilnahme an dem Bandwettbewerb. Glücklicherweise gibt es da in Herrn Karl aus dem Internat einen engagierten und feinfühligen Lehrer, der dem Trio mit Rat und Tat zur Seite steht.
Dominique Horwitz als Herr Karl ist einer der prominentesten in diesem Film. Dennoch sind die beiden sehbehinderten Mädchen die wahren Schauspielstars. Ihre Natürlichkeit gibt dem Film die notwendige Authentizität, die wohl bei einer Besetzung mit Sehenden niemals so eindringlich hätte realisiert werden können. Nahezu dokumentarisch muten vor allem die Szenen an, in denen sich die beiden Mädchen, ganz auf sich allein gestellt, in ihnen unbekannten Räumen zurechtfinden müssen. Hier ist auch die Kompetenz der Sehbehinderten zu spüren, auf Geräusche und Hell-Dunkel-Unterschiede zu reagieren. Überhaupt versteht es Sahling ganz wunderbar, die jungen Menschen nicht als Opfer ihrer Behinderung darzustellen, vielmehr präsentiert er sie als ganz normale Jugendliche, die die gleichen Probleme haben wie ihre nicht behinderten Altersgenossen: Pubertät, erste Liebe, Stress in der Schule, Geldnot und vieles mehr. Dennoch wird nicht der Versuch unternommen, ihre durch die Behinderung bedingten Schwierigkeiten zu ignorieren. Dieser Spagat, einerseits die Jugendlichen als kompetent und normal zu präsentieren, ohne dabei andererseits ihre Behinderung zu verleugnen, gelingt durch eine geschickte visuelle und akustische Inszenierung der geradlinigen Erzählung. Vor allem die Geschichte der beiden Mädchen transportiert „Normalität“, während die Sensibilisierung der ZuschauerInnen für die Sehbehinderung mittels beeindruckender Kameraarbeit gelingt. Mit gezielten Lichteffekten, atmosphärisch dichten Bildern und einer generell dunklen Lichtstimmung fokussiert der Kameramann Peter Ziesche den Blick der ZuschauerInnen konsequent auf die Probleme des Nicht-sehen-Könnens. Der präsente Ton und die ungeheuer wirkungsvoll eingesetzten akustischen Effekte verdichten diese Wirkung.
Allerdings hat der Film leider auch einige kleine dramaturgische Schwächen; vor allem die Szenen, in denen die Mädchen von dem Bandwettbewerb erfahren, wirken merkwürdig unbeholfen und konstruiert. Dennoch lassen einen die empfindsamen Dialoge zwischen Marie und Herbert und vor allem das melancholische Ende dies schnell vergessen. Der Film erhielt daher mehr als verdient viele nationale und internationale Preise, unter anderem den Deutschen Filmpreis 2004 als bester Kinder- und Jugendfilm.
Ein weiterer interessanter Kinderfilm, der jetzt im Herbst in Deutschland anläuft, kommt ebenfalls aus dem „Wilden Osten“. Das augenfälligste beim Kinderkrimi Der Dolch des Batu Khan von Günter Meyer ist vor allem die „Location“: Die Stadt Dresden spielt die heimliche Hauptrolle und besticht selbstbewusst mit unverbrauchten Schauplätzen. Sind wir inzwischen mit Berlin, Hamburg und München durchaus an vorzeigbare deutsche Drehorte gewohnt, so tut es doch gut, endlich einmal neue, frische Bilder zu Gesicht zu bekommen. Und auch die Handlung bewegt sich souverän und selbstbewusst in der Dresdner Kunst- und Museumsszene rund um das berühmte „Grüne Gewölbe“. Bei all diesem modernen Schick muten die bunt in den Film eingestreuten Szenen mit wilden mongolischen Reiterhorden dann aber doch auf den ersten Blick ein wenig antiquiert an. Allerdings wird schnell klar, dass mit mir ein Wessi im Kino sitzt, denn in der Kinderbuchlandschaft Ostdeutschlands hat der Kult um den furchtlosen Dschingis Khan und seinen nicht minder draufgängerischen Enkel Batu Khan eine lange Tradition. Die Abenteuer der wilden mongolischen Reiter sind in Ostdeutschland mindestens genauso beliebt wie im Westen die spannenden Winnetou-Geschichten und haben dementsprechend bei Kindern hohes Ansehen.
All dies ist natürlich nur schmückendes Beiwerk, viel wichtiger ist die spannende Geschichte des 12-jährigen Sebastian, der mit seinem verwitweten Vater, dem Chefkonservator des „Grünen Gewölbes“, in einer Gründerzeitvilla lebt. Es sind Ferien und dem jungen Burschen ist langweilig. Auch wird’s mit der vom Vater versprochenen Urlaubsreise nichts, denn bei Ausgrabungen tauchen merkwürdige Kisten auf: wertvolle Kunstschätze, die zum Ende des 2. Weltkriegs von den Nazis vergraben wurden. Die Suche nach dem kostbarsten Stück dieser Ausgrabung, dem Dolch des Batu Khan, beginnt. Denn die Kisten bergen zwar allerlei Kostbarkeiten, doch scheint der darin vermutete Dolch wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Spezialisten werden zur Suche hinzugezogen und auch Sebastian nimmt mit seinen Freunden Benni und Maria die Jagd auf. Allmählich wird jedoch klar, dass auch finstere Gestalten an dem wertvollen Kunstgegenstand interessiert sind, die offenbar einen Komplizen in das Mitarbeiterteam des Museums eingeschleust haben. Ein spannendes Katz- und Maus-Spiel beginnt, so dass der Film für Kinder bis zum Schluss echte Gänsehautspannung bietet: wer sich schließlich als Bösewicht herausstellt, kommt tatsächlich erst beim dramatischen Showdown heraus. Dabei geht es aber nicht um die platte Präsentation von actiongeladenen Gewaltszenen, sondern vielmehr um logisches Denken. So fordert der Film auf eine mehr als sympathische Weise die jungen ZuschauerInnen zu gedanklichen Spitzenleistungen auf. Jeder kann sich somit als kleiner Detektiv fühlen und muss ständig neue Hypothesen aufstellen, die dann immer wieder verworfen werden.
Der Regisseur Günter Meyer, der vor allem durch den Kinderfilmklassiker Kai aus der Kiste bekannt wurde, hat es damit geschafft, auf spannende und intelligent unterhaltsame Weise einen netten, im besten Sinne nostalgisch anmutenden Kinderkrimi zu produzieren, der dabei ganz nebenbei Werbung für eine sympathische Stadt macht. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass der Kinder-Publikumspreis „Fox Kids Award“ im Rahmen des diesjährigen Kinderfilmfests München trotz starker Konkurrenz an den Dolch des Batu Khan ging.
Michael Bloech
Der Dolch des Batu Khan
Regie: Günter Meyer - Buch: Günter und Katrin Meyer - Kamera: Sebastian Richter - Musik: Thomas Metschinski - Darsteller: Marian Lösch, Sarah Bellini, Benjamin Seidel, Babette Kuschel, Björn Casapietra und andere - Produktion: Deutschland (Mediopolis GmbH), 2004 - Länge: 98 Min. -Verleih: Atlas Intermedia
Die Blindgänger
Regie: Bernd Sahling - Buch: Helmut Dzuiba und Bernd Sahling - Musik: Christian Steyer - Kamera: Peter Ziesche - Darsteller: Ricarda Ramünke, Maria Rother, Dennis Ritter, Oleg Rabcuk, Dominique Horwitz und andere - Produktion: Deutschland (Kinderfilm GmbH), 2004 - Länge: 87 Min. - Verleih: MFA 35 mm
Danny Kringiel: How to Read a Game
Jugendmedienschutz im Bereich digitaler Spiele stützt sich in Deutschland wesentlich auf zwei Institutionen: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert als jugendgefährdend eingestufte Medien und verhängt damit ein Werbe- sowie ein Abgabeverbot an nicht Volljährige, während die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Altersfreigaben für Games vergibt. Seit der Einführung des neuen Jugendmedienschutzgesetzes am 1. April 2003 gelten die einstigen Altersempfehlungen der USK verbindlich. Lehnt sie eine Kennzeichnung ab, kann ein Indizierungsverfahren durch die BPjM eingeleitet werden.
Danny Kringiel, der an der Universität Frankfurt an einer Dissertation über Computerspielanalyse und intermediale Beziehungen des digitalen Spiels arbeitet, sprach mit Klaus-Peter Gerstenberger, dem Leiter der USK, über Schlüsselkompetenzen Jugendlicher im Umgang mit Games.
Wenn es um fehlende Kompetenzen Heranwachsender im Umgang mit Computerspielen geht, wird vor allem die mangelnde Fähigkeit zum Umgang mit medialer Gewalt in der öffentlichen Debatte attestiert. Wie wichtig ist dieser Aspekt für die USK?
Gewalt kann kein isoliertes Thema sein. Zu fragen wäre etwa: Kann man die Gewaltdarstellung in der jeweiligen Altersgruppe eigentlich in einem bestimmten Kontext verstehen? Ein Kontext kann eine Spielverabredung sein, aber auch eine Stilistik – z.B. schwarzer Humor oder Horror. Welche Altersgruppe kann die Gestaltung als Stilelement erkennen und daraus auch auf die Inszeniertheit der Gewalt zurückschließen? Bei Tom & Jerry beispielsweise geht es ziemlich heftig zu. Aber das ist Teil einer spezifischen Inszenierung, die überspitzt gemeint ist und auch von jüngeren Spielern klar so gelesen wird. Um diese Kontextbezüge zu erkennen, muss der Spieler über eine gewisse mediale Lesefähigkeit verfügen.
Die USK unterstellt also weniger einen pauschalen Kompetenzmangel im Umgang Heranwachsender mit Spielgewalt, als dass sie auf die Rahmungsfähigkeiten bestimmter Altersgruppen und die Rahmungshilfen des Spieles blickt?
Genau. In vielen Games geht es wie beim guten alten Schach darum, eine Figur zu führen, sie zu retten und gegen andere Figuren zu verteidigen. Neu ist die digitale Inszenierung: Statt einem Spielbrett aus Pappe oder Holz nun digitale Konstruktionen von Räumen und Figuren. Spieler erkennen hier aber nicht nur Verweise auf die Realität, sondern auch auf bestimmte Computerspielgenres. Das ist unabdingbar: Hielten sie es für Realität, könnten sie schließlich gar nicht spielen. Die Frage ist: Welche Altersgruppe hat die Lesefähigkeit, sich in diesem Szenario zurechtzufinden? Wir betrachten also bestimmte Genremerkmale und beobachten, wie klar sie im jeweiligen Spiel erkennbar oder verschleiert werden. Eine weitere wichtige Kompetenz ist die historische Rahmungsfähigkeit. Nehmen wir etwa ein militärisches Strategiespiel, das im zweiten Weltkrieg angesiedelt ist. Ein Strategiespiel kann prinzipiell völlig ohne Altersbeschränkung ausfallen. Bei einem historischen, militärischen Strategiespiel aber wird die Rahmungsfähigkeit besonders gefordert. Bringt man in der angepeilten Altersgruppe das nötige Geschichtsbewusstsein mit? Und versteht man in diesem Alter, dass dies kein Bildungsprogramm ist, sondern ein Spiel, das seine Aufgabenstellung im Rahmen eines geschichtlichen Szenarios ansiedelt und gleichwohl Fiktion ist?
Hinzu kommen auch Rahmungskompetenzen durch tagespolitisches Hintergrundwissen. Command and Conquer: Generals, ein militärisches Strategiespiel, hat z.B. eine USK 16, da sein fiktives Irakkriegs-Szenario auch im Aktuellen angesiedelt ist. Wir unterstellen, dass hier Wissen um aktuelle Geschehnisse notwendig ist, um den Titel angemessen als Spiel würdigen zu können. Dennoch ist der Titel deutlich Fiktion. Er hat mit dem realen Irakkrieg herzlich wenig zu tun: Eine Kriegspartei sind beispielsweise die Chinesen. Ein gewisser aktueller Bezug gehört ja nicht nur beim Computerspiel dazu, um einen besonderen Aufmerksamkeitswert zu erzielen und die fiktive Handlung mit unserer Alltagserfahrung zu verknüpfen. Denken Sie nur an James Bond und den kalten Krieg. Diesen Anflug des Realen kann man bei C & C: Generals ohne Frage mit 16 als Fiktion verstehen. Dennoch wurde der Titel von der BPjM 2003 indiziert.1
Immer wieder haben Amokläufe die Debatte um gewaltfördernde Wirkungen von Computerspielen angeheizt. Sind Vorfälle wie in Littleton oder Erfurt Symptome einer medialen Herausforderung, der die Kompetenzen Jugendlicher nicht mehr gewachsen sind?
Wenn wir uns diese spektakulären Fälle ansehen, fallen Ähnlichkeiten auf: Junge Männer in extremen Leistungsstresssituationen, die keine Gelegenheiten haben, sich über ihre emotionalen Verletzungen im Freundeskreis oder der Familie auszutauschen. Sie inszenieren sich dann am Ort ihrer Verletzung – in der Leistungsinstitution Schule. Hier werden Medienerfahrungen – unter anderem mit Computerspielen – zu Mustern der Selbstinszenierung. Das ist etwas ganz anderes, als zu sagen, die Aggression sei Ausfluss des Medienkonsums und einer medialen Überforderung der Jugendlichen. Ursächlich scheinen vor allem die Biografien der Täter von Bedeutung zu sein.
Die USK erstellt ihre Freigaben in Altersgruppen, etwa von 0-6, von 6-12 usw. Entsprechen diese Grenzen Einschnitten in der Entwicklung der Medienkompetenz Heranwachsender?
Hier ist einfach historisch etwas gewachsen, das sich dann fortgeschrieben hat. Diese Einteilungen sind bekannt und daher akzeptiert. Dabei markiert das Alter zwischen sechs und zwölf einen Riesenunterschied – in der Entwicklung und der Medienbiografie findet da sehr viel statt. Beim Jahrhunderte alten Medium Buch gibt es ja überhaupt keine Freigaben nach Alterskohorten. Wahrscheinlich wird es eines fernen Tages auch beim Computerspiel keine gesetzlichen Freigaben mehr geben.
Welche zukünftigen Entwicklungen sehen Sie im Jugendmedienschutz? Müssen noch präzisere Kategorien zur Beurteilung von Computerspielen gefunden werden?
Wenn Sie der modernen konstruktivistischen Konzeption folgen, die der Jugendschutz meiner Meinung nach zur Kenntnis nehmen muss, würden Sie eher fragen: Wie ist die subjektive Welt desjenigen, der das Spiel erlebt? Der Trend der Wirkungsforschung geht eindeutig dahin, die Biografien zu betrachten. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass die Fragestellungen des Jugendschutzes nicht rein wirkungstheoretischer Natur sind. Prof. Jürgen Fritz vom Forschungskreis „Wirkung virtueller Welten“ hat wiederholt erklärt, die Wirkungsforschung könne letztendlich zu Indizierungsentscheidungen wenig beitragen, weil diese Entscheidungen den Bereich der Wirkungen verlassen und in das Feld der Moral und der politischen Mehrheiten übergehen. Wir arbeiten also mit einer Mischung aus Medienverständnis und Beobachtung der öffentlichen Haltung zum Medium. Die digitale Kulturrevolution hat eine Menge Unsicherheit hervorgerufen. Die Popularität der Matrix-Filme etwa zeigt das große Interesse an der Frage, wie gut wir Realität und Fiktion noch auseinander halten können angesichts zunehmender technischer Möglichkeiten, diese Grenze zu verschleiern. Diese Unsicherheit muss die USK in ihrer Arbeit auch berücksichtigen.
Besteht angesichts dieser Verpflichtung der USK gegenüber den Ängsten der Nicht-Spielenden die Gefahr, dass Jugendmedienschutz auch zu einem Konservierungsmittel des Kulturpessimismus werden könnte?
Das wäre schlimm. In diesem Zusammenhang haben wir der neuen Gesetzgebung zum 1. April 2003 mit gemischten Gefühlen entgegengesehen, die unsere Altersempfehlungen zu verbindlichen Freigaben gemacht hat. Unsere Empfehlung war als Orientierungshilfe für mit dem Medium nicht vertraute Eltern gedacht. Anschließend sollten die Eltern sich immer noch unabhängig davon Gedanken machen, ob der Titel für ihr Kind geeignet ist. Das nicht festzuzurren ist wichtig, denn homogene Alterskohorten gibt es im wirklichen Leben schlicht nicht. Sollte die verbindliche Freigabe dazu führen, dass sich Eltern nicht mehr um das Medium und um das eigene Kind kümmern, dann wäre das sehr bedenklich. Lesekunde zum Medium Computerspiel ist für Eltern enorm wichtig. Da gibt es noch viele Missverständnisse. Eltern nehmen z.B. Spiele meist als Zuschauer wahr und unterstellen dabei oft fälschlicherweise Wirkungsmechanismen des Films. Sie sehen dann – anders als ihre spielenden Kinder – die Helden nicht als funktionale Spielfiguren, sondern empathisch als Charaktere. Aufklärung ermöglicht kompetentes Verhalten auch der Eltern. Restriktive oder rein regulierende Vorgehensweisen wie etwa verbindliche Altersfreigaben werden zudem auf Dauer beim Computerspiel gar nicht greifen. Ein erheblicher Anteil der Spiele verbreitet sich nicht über Läden, sondern auf Schulhöfen und zukünftig viel häufiger über das Internet in Form von Raubkopien. Und in Amerika oder Japan gelten die USK-Freigaben nun einmal nicht.
Anmerkungen
1 Aus der elfseitigen Begründung der BPjM für die Indizierung: „Der größte Schrecken moderner Kriegsführung liegt sicherlich im Einsatz von ABC-Kampfmitteln. Eben diese Schrecken verleugnet Command & Conquer – Generals. Stattdessen können großflächig Giftgaswolken und Milzbrandbomben eingesetzt werden, die neben der großen Wirkung gegen Infanterie in erster Linie durch ihre ‘hübsch anzusehenden’ bunten Nebelschwaden auffallen. Aus Gründen der besseren Unterscheidbarkeit, welches Kampfmittel gerade die Massen dahinrafft, setzt das Spiel für die verschiedenen Waffen unterschiedliche stark leuchtende Farben ein. Somit wird in Generals das wohl größtmögliche denkbare Kriegsgrauen zum Grafikspektakel verniedlicht. (...) Zusammenfassend hat das Gremium der Bundesprüfstelle festgestellt, dass das glorifizierende Darstellen von realitätsbezogenen, grausamen Kriegsszenarien, insbesondere mit spielerischem Einsatz von Massenvernichtungswaffen und einer beson-ders menschenverachtenden Haltung gegenüber Nicht-Kombattanten, ein hinreichendes Indiz für eine verrohende Wirkung ist, die von diesen Spielen ausgeht.“ (Quelle: BPjM, Entscheidung Nr. VA 1/03 vom 25.02.2003, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 41 vom 28.02.2003)
Danny Kringiel
Andrea Breuer: Startklar ins 3. Schuljahr
Avanti! 2. Lustige Abenteuer für 7- bis 8-jährige zur Vorbereitung auf das 3. Schuljahr. Windows 95 / 98 / XP. Westermann multimedia, Vertrieb über www.top tem.ch, www.toptem.de und www.top tem.at. 19,90 €
Avanti! 2 ist eine Lernsoftware für das 2. Schuljahr. Spielerisch können die Grundlagen der 2. Klasse eingeübt und wiederholt werden. Um mit dem Auto durch verschiedene Landschaften in die Ferien fahren zu können, muss man einige Aufgaben erledigen. Hierzu stellen uns die grafisch sehr schön gestalteten Landschaften vor unterschiedliche spannende Aufgaben. Erst wenn alle Aufgaben gelöst sind, ist das Auto startklar.
Die Spiele werden von einem Sprecher gut erklärt und sind leicht verständlich. Die Aufgaben sind sehr abwechslungsreich: Ob Lückentexte, Puzzle, Rätsel, Matheaufgaben, Sachkundeaufgaben oder das Einüben der deutschen Grammatik, es dürfte den Kindern nicht langweilig werden. Auch gibt es Überraschungen in Form von Spiel- oder Bastelanleitungen oder Postkarten zum Ausdrucken. Bei einem schnellen Ratequiz kann man seine Punktzahl steigern und sein Wissen testen.
Insgesamt eine kurzweilige CD, die spielerisch auf das 3. Schuljahr vorbereitet.
Andrea Breuer
Olivia Wartha: Umweltbildung spannend
Hexerei im SandLand – Ödis spannende Abenteuer
Windows 98 / ME / 2000 / XP, Erlangen: Birke + Sommer Verlagsgesellschaft mbH, 2004, 19,95 €.
Zu erwerben im Handel oder unter www.sandachse.de.Die Hexe Sandarella ist wütend und verzaubert Ödis Heimat, das SandLand; alles erstarrt zu Stein. Nur Ödi, eine blauflügelige Ödlandschrecke, kann diesen Fluch aufheben. Auf einer langen Reise quer durch das SandLand lernt Ödi viele Tiere und Pflanzen kennen. Er kann sich mit allen Tieren, die er trifft, unterhalten, ihnen Fragen stellen und so kleine Gespräche führen, um diese Tiere und Insekten besser kennen zu lernen. Unter ihnen befindet sich auch die Ameisenjungfer Leonie, von ihr kann Ödi bzw. der Computerspieler Zaubersprüche erfahren und so die versteinerte Tier- und Pflanzenwelt befreien. Allerdings gibt Leonie ihr Wissen nicht ohne weiteres heraus, Ödi erhält die nötigen Zaubersprüche nur, indem er sie gegen sein neu erworbenes Wissen eintauscht oder sie sich in zahlreichen weiteren, kleinen Spielen und Rätseln verdient.
Im Laufe des Spiels erhält Ödi viele nützliche Dinge und Zaubersprüche, welche er in seinem Rucksack bzw. seinem Zauberbuch aufbewahren und jederzeit nutzen kann. Das Zauberbuch enthält neben den Zaubersprüchen viele interessante Informationen und detailgetreue Bilder über die zu rettenden Tier- und Pflanzenarten. Doch nicht nur Flora und Fauna der Sandbiotope, sondern auch die anderer Lebensräume werden in dem Zauberbuch vorgestellt.
Bayerns größtes Naturschutzprojekt „SandAchse Franken“ zeigt mit diesem Computerspiel, dass Natur- und Umweltbildung nicht langweilig und trocken sein muss. Das interaktive Lernabenteuer entführt seine Spieler ab 8 Jahren in die Welt der fränkischen Sandbiotope und weckt bestimmt so manchen Wunsch, das neue Wissen dort in einem Urlaub unter Beweis zu stellen.
Olivia Wartha
Udo Feist: Quax als Sprechpilot
Heinz Rühmann: Gesammelte Hörspiele. 6 CDs (Audiothek / Deutsche Grammophon Literatur 2004; 36 e) – auch einzeln erhältlich.
Heinz Rühmann in Heinrich Spoerls Die Feuerzangenbowle. 2 CDs (Audiothek/Deutsche Grammophon Literatur 2004; 18 m)
Die Schafe kennen ihres Hirten Stimme, sagt Jesus bei Johannes. Ein ähnliches Gefühl von Nötigung kommt bei Heinz Rühmann auf. Wenn man ihn nur hört, sieht man ihn gleich ganz vor sich. Was bereits beschreibt, welche Rolle er im Filmgedächtnis der Deutschen spielt und zugleich wohl Grund dafür ist, dass sich an ihm die Geister scheiden: Er steht für ein zwiespältiges Wiedererkennen, da er weniger Hirte als vielmehr Paradeschaf gewesen ist - „das lebende Denkmal des kleinen Mannes im deutschen Film“, wie ihn einmal Wim Wenders nannte. In dessen In weiter Ferne, so nah spielte er 1993 seine letzte Rolle.
Die Karriere des 1902 in Essen geborenen Schauspielers, der 1930 mit der Tonfilm-Operette Die Drei von der Tankstelle zum Star avancierte, verlief fast bruchlos, auch in der NS-Zeit. Seine schüchtern-lausbübischen Kleinbürger, die mal aufrecht-pfiffig, mal frech-gebeugt ihr Glück machten, hatten ungebrochen Konjunktur. Von 1933 bis 1945 war er damit einer der meistbeschäftigten Komiker im deutschen Film, der in seinen Rollen munter weiter unterhielt, auch als Land und Welt zusehends in Trümmern versanken. Rühmann war die Inkarnation des Arglosen in arger Zeit, ein Tröster, als Trostlosigkeit bittere Realität war. Als vorgebliches Flug-As Otto Groschenbügel, genannt Quax, poussierte der auch selbst passionierte Flieger 1941 in Quax, der Bruchpilot mit Happy End-Heiterkeit, die in der Wirklichkeit damals noch Siegesparaden begleiteten. Anders sah es dagegen 1944 aus, als Die Feuerzangenbowle um den Schulzeit und Streiche nachholenden, zuvor völlig drögen Dr. Hans Pfeiffer anlief. Bombennächte überschatteten die Dreharbeiten, doch die mitwirkenden Primaner hofften auf eine lange Produktionszeit, damit sie nicht einberufen wurden.
Erschütternd zeitlos wirkt denn auch das Ergebnis dieser ihm auf den Leib geschriebenen Rolle. Rühmanns regressive, in vorgeblich unbeschwerte Jugend zurückfallende Pennälergalanterie jenes Pfiffikus mit den drei f („eins vor und zwei nach dem ei“) versorgte mit Brüllern und Schenkelklopfern. Scheinbar unverfänglich, dabei ist Die Feuzerzangenbowle der Inbegriff betäubender Nostalgie, jener Sehnsucht nach Dingen, die es nie gegeben hat, und insofern Opium fürs Volk – wobei zu denken gibt, dass ausgerechnet dieser Rühmann-Film nach dem Krieg eine intensive TV-Karriere hatte, so dass zumindest 40-Jährige und Ältere die Gags („de Dampfmaschin‘: da stellen wir uns mal ganz dumm“ oder die alkoholische Gärung mit dem „wönzigen Schlock“) verlässlich aufsagen können.
In unseren TV-gewandelten Zeiten mit Werbeunterbrechung, Zapping und SitCom-Elend, wo außerhalb des Kinos kaum noch einer einen Film von Anfang bis Ende anschaut, ist es da vielleicht sogar schlüssig, diesen fraglosen Klassiker deutscher Filmgeschichte als Hörbuch herauszubringen. Zum Anlass nimmt die Deutsche Grammophon Literatur Heinz Rühmanns Todestag (3. Oktober 1994), der sich zum zehnten Mal jährt, und nennt zudem die „tiefe Verankerung im auditiven Bewusstsein der Bevölkerung“ als charmantes Motiv.
Grundlage ist die Originalfilmtonspur, die man um einen Erzähler (Friedhelm Ptok) erweitert hat, der sinnergänzend Passagen aus Heinrich Spoerls Romanvorlage liest. Zum ‚Film im Kopf und Kopfhörer‘ wird die Fassung aber wohl doch nur dem, der die bewegten Bilder kennt und eine Geschichte damit verbindet. Die kann wiederum nur zwiespältig sein: Entweder geprägt von der Inszenierung als Humor-Highlight mit Kultcharakter, die seit Jahren die Feuerzangenbowle-Präsentation in Hörfunk (gern mit Höreraktionen) und Fernsehen bestimmt, oder sie hält sich an die genuine Beruhigungsfunktion des Films. Die Rezeption wird dann kritisch in größeren Zusammenhang eingebettet sein – und die Hörfassung insofern vor allem als Dokument betrachten. Das Verkaufskalkül zielt indes auf den Kultcharakter und die Verklärung: Im Booklet suggeriert das Rühmann-Bonmot „Der Ton macht die Musik – und der Resonanzboden muß das Herz sein“ Zeitlosigkeit, wo Fragezeichen nötig sind. Die gibt es dafür bei den „Gesammelten Hörspielen“, in einer 6 CD-Box ebenfalls zum Todestag erschienen. Rühmann-Biograph Torsten Körner betont im Begleittext dessen Wandlung vom „Trostspender und unzerbrechlichen Gummimännchen“ zu einem nachdenklichen Mann „auf der Suche nach leisen Tönen“ und würdigt ihn fast apologetisch von seinen späten Jahren her, indem er beispielhaft Rühmanns Bibellesungen zum Advent 1977 in einer Kirche nennt.
Die in der Box gesammelten Hörspiele sind geeignet, diese Wandlung zu illustrieren. Sie stammen alle aus der frühen Nachkriegszeit, karrieretechnisch für Rühmann eine Krisenzeit: Die zeitweilige und fälschliche Verdächtigung, er sei Nazi und Fliegeroffizier mit Geheimaufträgen gewesen, beschädigen seinen Ruf. Die Rollen bleiben aus, er beginnt wieder Theater zu spielen und zu tingeln und gründet, geschäftlich unerfahren und gegen den Rat von Freunden, mit einem Partner eine Produktionsgesellschaft – die mit Millionendefizit Pleite macht. In dieser Phase beginnt er für den Rundfunk zu arbeiten.
Sein Hörspiel-Debut ist 1949 ein typischer ‚Rühmann-Film‘, in diesem Fall allerdings tatsächlich nur zum Hören: In Du kannst mir viel erzählen gibt er den Möchtegern-Don Juan, der seine Frau von seiner Virilität zu überzeugen versucht, indem er Affären erfindet, was dem Treu-Tappsigen kräftig über den Kopf wächst. Rühmann-Lustspiel ist auch Ein Engel namens Schmitt, in dem er als kleiner Angestellter wegen einer vertauschten Blutprobe mit dem baldigen Tod rechnet. Kennt man irgendwie.
Spannender sind da schon Abdallah und sein Esel – Geschichten der Kinderbuchautorin Käthe Olshausen um einen Gemüsehändler und seinen Esel, der plötzlich spricht – mit Rühmanns Stimme, die stets sein Markenzeichen war. In Fritz Kortners Inszenierung von Becketts Warten auf Godot hatte er dann 1954 endlich Gelegenheit, in einer ernsten Theaterrolle zu zeigen, was er kann: Er spielte den Landstreicher Estragon, was für einiges Aufsehen sorgte und nun als Hörbuch vorliegt. Dem Rühmann-Bild fügt das eine Facette hinzu, die man kaum kennt. Dennoch zeigen die Gesammelten Hörspiele nicht zuletzt, wie dicht ihm die fulminante Kleinbürger-Überhöhung auf den Fersen blieb. Irgendwo im Hintergrund meint man mitunter ein Schaf zu hören.
Udo Feist
Tilmann P. Gangloff: Auch ohne meinen Rechner
Kinder zu befragen, ist immer eine zweischneidige Sache: weil sie einem gern jene Seite der Wahrheit erzählen, die man hören möchte. Deshalb sichern sich die „KIM“-Studien (Kinder und Medien), die schon seit Jahren die Mediennutzung der Sechs- bis Dreizehnjährigen erforschen, gern ab: indem sie auch die Mütter befragen. Allerdings kann man auch nicht sicher sein, ob die Antworten nicht doch dem Schema „sozial erwünscht“ entsprechen; manche Mutter neigt dazu, den TV-Konsum ihrer Sprösslinge zu beschönigen. Die jüngste „KIM“-Studie des medienpädagogischen Forschungsverbands Südwest ergab: Je mehr die Begeisterung der Kinder für den Computer wächst – und das tut sie nach wie vor kräftig –, um so größer werden die Vorbehalte der Mütter. Der Rechner ist sogar drauf und dran, den Lieblingsfeind Fernsehen abzulösen. Mehr Zeit sollten die Kinder nach Ansicht ihrer Mütter mit dem Lesen von Büchern verbringen; eine konstruktive Minderheit bringt auch noch zaghaft das Radio ins Spiel.
Was geradezu nach demonstrativer Ablehnung aussieht, ist in Wirklichkeit nur die eine Seite der Medaille: Beim Internet scheiden sich die Geister. Da teilt sich das Lager der Mütter in radikale Gegnerinnen, während sich ebenso viele für eine intensivere Zuwendung aussprechen. Hintergrund des Zwiespalts: Den Computer assoziieren viele Mütter mit Spielen, die sie nicht nur für Zeitverschwendung, sondern wegen der dargestellten Gewalt auch für moralisch bedenklich halten. Das Internet aber steht für Wissen und damit für Zukunft. Die Verantwortung für diese Zukunft wird eindeutig an die Schule abgegeben: Die Mehrzahl der Mütter ist trotz aller Vorbehalte der Meinung, der Umgang mit dem Rechner solle den Kindern so früh wie möglich beigebracht werden; aber nicht zu Hause.Und die Kinder? Für die gehört der Computer längst zum Alltag. Nach Fernsehen, CDs und dem Radio folgt der Rechner bereits auf Platz vier. Und wenn sie könnten, wie sie wollten, würden sie ihn noch öfter nützen: Auf der Liste der liebsten Freizeitaktivitäten ist den Jungs der Computer mit 24% fast so wichtig wie Sport Treiben (25%). Er liegt allerdings deutlich hinter dem Fernsehen (35); vom Treffen mit Freunden (48) und draußen Spielen (40) ganz zu schweigen.
Die Mädchen stehen offenbar stark unter mütterlichem Einfluss: Ihre Begeisterung für den Computer ist nur halb so groß wie die der Jungs; sich mit Tieren Beschäftigen, drinnen Spielen, Musik Hören und Malen ist ihnen teilweise deutlich wichtiger. Gerade mal 15% der Kinder besitzen einen eigenen Rechner. In Ostdeutschland sieht das etwas anders aus: Hier hat jedes zweite Kind bereits einen eigenen Fernseher (im Westen 35%), 32% besitzen eine eigene Spielkonsole (im Westen 25%), jeder vierte hat einen Videorecorder (im Westen 12%) und 22% einen eigenen Computer (im Westen 14%). Immerhin 6% aller deutschen Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahren verfügt bereits über einen eigenen Internetzugang.Gretchenfrage für alle Mediennutzer ist immer wieder die nach der Medienbindung: „Am wenigsten verzichten kann ich auf…“. 74% aller Kinder würden auf den Fernseher nicht verzichten wollen. Der Computer folgt zwar weit abgeschlagen, aber zumindest bei den Jungs auf einem klaren zweiten Platz (18%). Bei den Mädchen muss er sich noch den Büchern (10 zu 8) geschlagen geben.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDF
Christina Oberst-Hundt: Kultur in Fernsehen und Hörfunk
Die Initiative des parteiübergreifenden Ministerpräsidenten-Trios Stoiber (Bayern), Steinbrück (NRW) und Milbradt (Sachsen), mit strukturellen „Reformen“ eine Absenkung der Rundfunkgebühren, letztlich aber eine weitgehende Reduzierung der öffentlich-rechtlichen Kultur-Programmleistungen zu erzwingen (siehe Erläuterungen 1), wirkte wie eine implizite Botschaft an die Tutzinger Tagung. Schon deren doppelte Fragestellung „Glück in der Nische? Oder: TV-Quote für die Kultur?“ verwies auf eine mögliche Alternative zum Umgang mit Fernseh-Kultur.Dass die Kulturprogrammverantwortlichen gar nicht erpicht darauf sind, sich im Nischen-Abseits glücklich zu fühlen, machte die Tagung eindrucksvoll deutlich.Die Medienfachjournalistin Klaudia Brunst hat zwei Monate lang Kulturmagazine im Fernsehen angeschaut und eine „doch sehr große Nische“ ausgemacht. Vor allem die 3. Fernsehprogramme und eher kleinere ARD-Anstalten füllen sie mit zahlreichen, oft qualitativ hochwertigen Angeboten. Allerdings: viele Jubiläen, Geburts- und Todestage, viel Kurzformatiges, wenig Kritik und Nachdenken über das eigene Medium. Formexperimente leistet sich vor allem der Kulturkanal Arte.
Fehlanzeige im Privatfernsehen: Alexander Kluges unabhängige Programminseln in mehreren kommerziellen Sendern wurden diesen staatsvertraglich auferlegt. Verlust von Kultur Der ZDFtheaterkanal, so sein Leiter Wolfgang Bergmann mit Blick auf die Absichten der drei Ministerpräsidenten, auch dieses Kulturangebot abzuwickeln, „ist notwendig, weil er ein echtes spezial interest-Programm darstellt“, das die Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Theater verdeutlicht, Anregungen für das eigene Theatererlebnis gibt, Theatergeschichte visuell dokumentiert, mit neuen Formen experimentiert und so den „Sauerstoff vom Fernsehen auch ins Theater bringt, damit was Neues entsteht“.Gottfried Langenstein, Direktor Europäische Satellitenprogramme beim ZDF, hält Sparen zulasten der Kultur für verhängnisvoll: „Alles, was heute vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschnitten wird, das wird unter den sich verändernden Bedingungen nie wieder installiert werden können.“ Ein starker Bestand an öffentlich-rechtlichem Rundfunk sei deshalb eine notwendige Investition in die Zukunft, nicht zuletzt um die Legitimation für Gebühren zu erhalten. „Anspruchsvolle Programme wie Arte und 3sat düren wir nicht aufgeben, weil sonst ein Stück Kultur verloren geht.“Die erforderlichen Daten vermittelte Michael Buß vom SWR, dort verantwortlich für „Strategische Analysen/ARD“. Seine Feststellung: „Je weniger Kulturinteresse, umso mehr wird ferngesehen“ mag bei der ministerpräsidialen Vorgabe, Kultur im Rundfunk drastisch zu reduzieren, Pate gestanden haben, verdeutlicht aber viel eher das dringende Erfordernis, Interesse für Kultur zu wecken und die Funktion von Rundfunk als Kulturmittler zu stärken. Immerhin: Schon jetzt werden täglich insgesamt 17 ½ Stunden Kulturinformationssendungen ausgestrahlt, davon 80% im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ohne Arte).
Es gibt ein Kernpublikum aus Kulturinteressierten von 13 Prozent aller TV-Nutzenden. 19 Prozent haben regelmäßigen Kontakt mit Kulturprogrammen. Einzelne Sendungen, wie die sonntäglichen ARD-Kulturmagazine, erreichen 1,3 Millionen Zuschauende. Knapp 20 Millionen haben im letzten halben Jahr die 3sat-Kulturzeit gesehen. Jedes klassische Kulturmagazin erreicht in einem viertel Jahr viel mehr Menschen, als in einem halben Jahr ins Theater oder Museum gehen.Provokation als Auftakt Jochen Hörisch, Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse in Mannheim, sorgte für erhellende Provokation. „Extrem fernsehtauglich“ sei in erster Linie „Quatsch mit Soße“ wie diese „kultischen Hochereignisse der TV-Kultur, bei denen erwachsene Männer 90 Minuten einem Ball hinterher rennen“. Hochkultur, so sein Fazit, sei „nicht TV-kompatibel“, weil schlechte Sendungen die guten verdrängen. Gutes Programm müsse deshalb geschützt werden. Das gehe nur jenseits von Quotendiskussionen durch „undemokratische“ Maßnahmen. „Wir brauchen eine teure mäzenatische Kultur der Verschwendung“ bei „Gebühren von monatlich 25 E“. Dass die Realität im Rundfunkkulturbereich – so auch in den über 20 gehobenen öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogrammen mit 5 Mio. Zuhörenden! – derzeit weniger durch Diskussionen über Inhalte, sondern vielmehr über Kosten-Nutzen-Fragen bestimmt wird, kritisierte vor allem Christoph Lindenmeyer, Leiter der HA Kultur im BR-Hörfunk. Es gehe derzeit nicht darum, wie viel Kultur der Mensch braucht,sondern „um ökonomische Verteilungskämpfe um Ressourcen und Finanzen“. Auch Wolfgang Hagen, Kultur-HA-Leiter beim Deutschlandradio Berlin, betonte, es gehe heute vor allem darum, „wie wir die Kultur, die wir noch haben, erhalten können!“Kulturquote gegen KonvergenzBei der Abschlussrunde kam auch die Politik zu Wort, doch Neues war nicht zu vernehmen.
Hans Joachim Otto, FDP, bemühte die These von der Konvergenz, nach der sich öffentlich-rechtliche Programme den Privaten so sehr angenähert hätten, dass es kaum noch Unterschiede gebe. CSU-Generalsekretär Markus Söder will deshalb eine „Aktualisierung des Grundversorgungsauftrags“, die den Anstalten durch „Selbstverpflichtungen“ eine „Legitimation der Zwangsgebühren“ abverlangt. Otto wies auf das „Problem“ des Verfassungsrechts hin und plädierte für das Recht der Politik, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag staastvertraglich neu festzulegen.Der einzige Politiker, der sich vehement für eine „Kulturquote“ einsetzte, war Christoph Stölzl, Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses (CDU) und vormaliger Kultursenator. „Die demokratische Nation als ‚Lerngemeinschaft’ hat viele lebensnotwendige ‚moralische Anstalten’“, wie Theater, Konzerthäuser, Museen, Schulen, Universitäten und eben auch Rundfunkanstalten. „Sie alle sind verantwortlich für die Kulturquote“, die nicht als Summe, „um die man feilscht“, zu definieren sei, sondern als „Formulierung eines Kanons des Unverzichtbaren“, als Akt der „Normsetzung, der Selbstbindung an ein sittliches Programm“.Gewiss, schöne, bedenkenswerte Worte, aber: Ist die Sicherung einer umfassenden Programm-Kultur, wie Stölzl sie zu Recht einfordert, nicht eher durch Ausschöpfung der vorhandenen, verfassungsrechtlich garantierten Möglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Systems zu leisten, als durch Programmeingriffe in Form einer gesetzlich festzulegenden TV-Kulturquote? Kein „steuerfinanziertes Staatsfernsehen“Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eben kein, wie Stölzl meint, durch eine der Kfz-Steuer vergleichbare „Apparate-Steuer“ finanziertes „Staatsfernsehen“. Und das Publikum leidet nicht unter der „spürbaren steuerlichen Belastung“ durch zu hohe Fernsehgebühren, weiß doch kaum jemand den monatlichen Betrag – weit unterhalb z.B. von Tageszeitungs-Abonnementsgebühren – korrekt zu benennen und sind sozial Schwächere von der Gebührenentrichtungspflicht ohnehin befreit.
Ist es nicht gerade diese Sichtweise, die verhindert, zu erkennen, dass Gebühren nicht Zwang bedeuten, sondern Rundfunk unabhängiger machen von staatlichen und Gruppeninteressen und von den „schrankenlos waltenden Marktkräften“, die auch Stölzl kritisiert. Die Rundfunkgebühr ist ein notwendiger Anachronismus in einem Wirtschafts- und Politiksystem, das zunehmend neoliberalem Markt- und Machtdenken unterworfen ist. Und: Ist nicht eine Reanimierung gesellschaftlicher Kontrolle, z.B. durch eine weitgehende Politik-Ferne der Rundfunk-Aufsichtsgremien, anstelle von Politik-Eingriffen dringender denn je? Kritik an Programmverflachung ist notwendig. Aber sind es nicht auch und gerade politische Pressionsmaßnahmen, wie die von Stoiber und Kollegen vorgeschlagenen, die es Kulturschaffenden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk so schwer machen, ein kulturvolles Programm zu erhalten oder gar auszubauen?Erläuerungen:1 Gegen diese Inititative regt sich breiter Protest: 1410 Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Fred Breinersdorfer (VS-Vorsitzender), Sir Peter Jonas (Intendant der Bayerischen Staatsoper) und Dieter Hildebrandt, haben einen Aufruf gegen die Absicht der Ministerpräsidenten Stoiber, Steinbrück und Milbradt, Kulturangebote von ARD und ZDF deutlich zu reduzieren oder ganz einzusparen, unterzeichnet. Mit diesen ‚Reformen’ soll, wie es in der Resolution heißt, die Rundfunkgebühr gesenkt, letztlich aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt eingeschränkt, abgebaut, marginalisiert werden. Inzwischen wollen die Länder, wie sich derzeit abzuzeichnen scheint, den Regeltermin für die anstehende Gebührenperiode von 2005 bis 2008 einhalten und einer Gebührenerhöhung, voraussichtlich jedoch unterhalb der bisherigen KEF-Berechnung von 1,09 g auf der Basis von zusätzlichen Einsparvorschlägen der Sender zustimmen. Allerdings gibt es auch Stimmen, die, sollte die Erhöhung ausbleiben oder zu gering sein, einen Gang nach Karlsruhe nicht ausschließen.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
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Klaus-Dieter Felsmann: "...so interaktiv wie ein Kaffeeautomat"
Der ausgewiesene Softwareexperte Ralph Möllers vom Terzio Verlag relativierte die sich im Forum 4 der diesjährigen Kinder-Film&Fernseh- Tage in Erfurt andeutende Euphorie bezüglich interaktiver Medienangebote mit einem Vergleich: eine DVD sei so ähnlich wie ein Kaffeeautomat, wo der Nutzer jeweils auf verschiedene Knöpfe drückt und dann entsprechend unterschiedliche Fertigprodukte bekommt. Die Euphorie hatte gerade Greg Childs, u.a. verantwortlich für interaktive TV- Angebote für Kinder bei der BBC, in einem weit ausladenden Vortrag zu erzeugen vermocht. Technisch gesehen waren Childs’ Projekte und Angebote beeindruckend. Doch Möllers’ Anmerkung zielte auf das Problem der gebotenen Inhalte. Was ist am Fernsehen z.B. interaktiv, wenn lediglich Postkarten durch E-Mails ersetzt werden, wenn man schon seit Omas Zeiten bekannte Spiele nun nicht mehr mit Pappkärtchen, sondern per Maustaste in Gang setzt? Für Ralph Möllers müsste sich eine völlig neue Produktionskette bilden, in die Autoren, Regisseure, Produzenten Fernsehredakteure, Spieleerfinder und Softwarehersteller einbezogen sein sollten. Ob dies allerdings so möglich sein wird, blieb fraglich.
Trotzdem gerieten Skeptiker im Auditorium schnell in den üblichen Verdacht, die hinlänglich bekannten Technikfeinde zu sein, die vor 150 Jahren wahrscheinlich auch der Einführung der Eisenbahn misstraut hätten. Nur, die Entwicklung der Eisenbahn genügte einem gewachsenen Transportbedürfnis; die Vertreter der interaktiven Mediennutzung müssen erst einmal entsprechende Bedürfnisse schaffen. Wenn etwas genutzt wird, heißt es noch lange nicht, dass es auch wirklich gebraucht wird. Aber immerhin, auch ein Kaufvorgang ist irgendwie interaktiv und um einen solchen geht es bei all den entsprechenden Bemühungen nicht zuletzt.Über 200 Fachleute der Medienbranche – Filmregisseure, Produzenten, Verleiher, Kinobetreiber, Fernsehredakteure, Journalisten, Medienwissenschaftler und -pädagogen sowie Mediendesigner und Softwarehersteller – hatten sich vom 31. März bis 2. April in Erfurt zu den Kinder-Film&Fernseh-Tagen getroffen. Eingeladen hatte die Stiftung GOLDENER SPATZ, die diese Tagung seit vielen Jahren alternierend zum Deutschen Kinder-Film&Fernseh-Festival veranstaltet. „Das Medienangebot für Kinder – Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ lautete das Thema, wobei es hier vornehmlich um die Bereiche Kinderkino, Kinderfernsehen und eben interaktive Medien ging. Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tagung stellten ZDF und ARD eine von den Sendern in Auftrag gegebene Studie „Kinder und Medien 2003“ vor. Hierbei war deutlich geworden, dass das Fernsehen nach wie vor das Leitmedium für die untersuchte Zielgruppe ist. Im Vergleich zur letzten Studie aus dem Jahre 1990 wurde aber auch sichtbar, dass Rechner und Handy parallel dazu so an Bedeutung gewonnen haben, dass man inzwischen generell von einer Medienfreizeit der Kinder sprechen muss. Reales Erleben wird zunehmend durch virtuelle Vermittlung ersetzt. Daraus erwächst eine hohe Verantwortung für diejenigen, die Medienangebote bereitstellen.
Dass sie zumindest gewillt gung in den Foren, die sich mit dem Fernsehen beschäftigten, deutlich. Es ist beachtlich, wie viel wissenschaftlicher Aufwand etwa betrieben wird, um TV-Programme und deren Wirkung zu untersuchen und damit auch entsprechend zu hinterfragen. Eine solche wissenschaftliche Begleitung wünschte sich Eva Matlok von der AG Kino auch für den Kinderfilm auf der großen Leinwand. Hier gibt es keinerlei Erhebungen über Zuschauerverhalten, Sehgewohnheiten und thematische Vorlieben. Das ist um so bedauerlicher, weil es gerade rings um das Kino zunehmend Initiativen gibt, die sich den kompetenten Umgang mit dem Medium zur Aufgabe gemacht haben. Zwangsläufig beruht alles, was hier geschieht und was teilweise in Erfurt vorgestellt wurde, auf intuitivem Vorgehen statt auf systematischem Handeln. Dennoch wurde deutlich, wie wichtig solcherlei Bemühungen sind. Hier geht es immer auch um Kommunikation im öffentlichen Raum, was im Rahmen der konstatierten Medienfreizeit zu einem kostbaren Gut geworden ist.Die Veranstaltung hat in einer sehr komprimierten Form wieder etwas dazu beigetragen, den im Tagungsmotto erwähnten Spagat nicht nur auszuhalten, sondern ihn auch zu gestalten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist das in dieser Form fast einmalige Bemühen, Vertreter unterschiedlicher Medienangebote für Kinder an einen Tisch zu bringen. Das ist nicht nur im Sinne von Möllers’ Produktionskette, sondern zuerst für die jungen Mediennutzer von großer Bedeutung.
Tobias Moorstedt: Genuss an der Gewalt
In Manhunt, seit einiger Zeit für die Konsole Playstation auf dem Markt, spielt man den verurteilten Mörder James Earl Cash. Um der Giftspritze zu entkommen, muss er für einen Snuff-Film-Produzenten namens Starkweather Menschen töten. Eine Videokamera folgt der Blutspur des Spielers, die Levels heißen Szenen und Starkweather gibt über Kopfhörer Regieanweisungen. „Ich werde es dir noch einmal erklären“, sagt die böse Stimme im Ohr dann etwa, „geh los und bring jemand um.“ Töten oder getötet werden, das ist nichts Neues im Videospielkosmos. Wie man töten muss, ist neu. James Earl Cashs Waffen sind Plastiktüte, Glasscherbe und ein Stück Draht. In Manhunt wird das offene Gefecht vermieden, der Spieler schleicht sich auf Zehenspitzen an. Mit einem Brecheisen, Hammer oder einer Kettensäge in den Händen. Nach dem „Mord“, wie das Erfolgserlebnis im Spiel heißt, kann man dann den Kopf des Opfers mitnehmen Die Fachpresse ist sich einig: Manhunt ist das brutalste Spiel aller Zeiten. Zeit also, sich mal wieder um die Blackbox Computerspieler zu sorgen. In Neuseeland wurde das Spiel verboten. In Deutschland kommt es in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Indizierungsstelle und Elternräten erst gar nicht auf den Markt. Eine deutsche Version gibt es trotzdem. Schließlich haben Bestellmöglichkeiten im Internet nationale Regelungen beinahe wirkungslos gemacht. Konsequenterweise taucht das Spiel Manhunt dann auch auf vielen Import-Seiten in der Top-5 der meistimportierten Spiele auf. Ende April kam das Spiel auch für Xbox und PC auf den Markt. In den USA werben Plakate auf den Straßen für den interaktiven Gewalt-Porno.
Die verantwortliche Firma Rockstar North ist keine Shareware-Klitsche, sondern hat in Videospielkreisen seit dem legendären „Grand Theft Auto“, in dem man zum Mafiaboss aufsteigen konnte, einen besonderen Ruf. GTA war ironisch und medienkompetent. Pop eben. Und niemand widersprach Rockstar-Chef Dan Houser, als er in einem Interview meinte: „Unsere Spiele sind eher Kommentare zur Filmgewalt als Gewaltspiele.“ Auf Manhunt trifft das nicht zu. Zwar wird das Spiel als „Mediensatire“ verkauft und verhandelt, ist aber kein Kommentar auf die Medienwirklichkeit und die Super-Nachrichtenwerte Splatter und Porno, sondern selbst das jüngste Produkt für einen Markt, der nach immer stärkeren Reizen giert. Das Internetmagazin Telepolis schreibt: „Was dem Porno der Cum-Shot, das ist MANHUNT der Augenblick des Todes.“ Das Interessante an Manhunt ist deshalb nicht das Spiel selbst, sondern der Diskurs darüber. Das Popmagazin SPEX nannte die Diskussion „einen Eiertanz, wie man ihn noch nicht gesehen hat“. Die deutschen Videospielmagazine berichteten auf Doppelseiten über ein Spiel, das es offiziell gar nicht gibt.
Kritik oder Reflektion gab es dabei selten. Das Magazin GamePro immerhin schrieb: „Es gibt Rollen, die möchte ich nicht spielen. Diese gehört dazu.“ Ansonsten aber las man relativierende Worte über die exzessive Gewalt („Nichts für schwache Gemüter“) und Komplimente für das Gameplay. Nachgedacht wird nicht, stattdessen freut man sich über die Evolution des Equipements: „Schlagen wir uns zu Beginn noch mit Glasscherbe und Plastiktüte durch, stehen später schlagkräftigere Waffen wie Hackbeil und Sichel zur Verfügung.“ Die Wertung für das Spiel im Videospiel-Magazin Gamezone: 7,8 Punkte – also ziemlich gut. Doch in Manhunt geht es um mehr als das pure Überleben. „Du tötest, um zu unterhalten“, sagt Starkweather, „also lass dir ein bisschen Zeit und spiel für die Kamera.“ Manhunt bietet diese Ansichten wahlweise aus Behind- oder Ich-Perspektive. Die Subjektivierung des Blicks gab es auch im Filmklassiker „Halloween“, das Videospiel hat hardwarebedingt jedoch weit mehr Möglichkeiten: Selten zuvor wurde der Konsument so vollständig in die verseuchten Badlands des Horror-Genres integriert. Manhunt ist Videospiel und Audiospiel. Mit Headset-Zubehör hört man Regieanweisungen im Kopfhörer und Umgebungsgeräusche über die Dolby-Surround-Boxen. Über das Mikrophon kann man Gegner mit Pfiffen und Schreien ablenken – um dann zuzuschlagen. „Um dieses Spiel zu gewinnen, muss man die Gewalt genießen“, so lautete die Begründung für das Verbot in Neuseeland.
Eigentlich muss man die Gewalt nicht genießen, sondern kreativ und maximal grausam anwenden – das gibt mehr Punkte auf der Fetisch-Skala. Die Morde laufen als ultrablutige Animationssequenzen ab, im wechselnden Schnitt auf drei, vier Perspektiven. Das Magazin Telepolis schrieb über diesen Bildschirmmoment: „Wenn Cash einen Gegner umbringt, dann setzen für ein paar Sekunden alle Belange von Narration und Interaktivität völlig aus – das ist purer orgasmischer Exzess.“ Der Regisseur der fiktiven Snuff-Sequenz aber ist nicht Starkweather oder ein anonymer Programmierer. Es ist der Spieler selbst.. Auch wegen dieser Mentalität, und nicht nur durch die exzessive Visualisierung des Schädelbruchs, unterscheidet sich Manhunt von anderen killographischen Spielen, wie Ego-Shooter und Kampfspiele in den USA genannt werden. Der US-Medienpädagoge Gerard Jones schreibt in seinem Buch „Killing Monsters“: „Diese Spiele wären wohl nicht halb so erfolgreich, würden sie nicht zunehmend soziale Aktivität und Wettkampfcharakter entwickeln.“ Taktik und Strategie, virtuelles Räuber und Gendarm auf den bekannten LAN-Parties, eben nur ein Spiel. Im Wettkampf zählen Taktik und Mannschaftsaufstellung und nicht die blutigen Details.
Bei Manhunt aber, und das ist neu, sind die Details die Hauptsache. Der Mund unter der Plastiktüte, wie er nach Luft schnapp. Die Pixeltoten, die sich nicht sofort auflösen, sondern verbleiben, als Festmahl für die virtuellen Aasgeier und Ratten. Allen Puffern entkleidet richtet sich die Gewalt nicht gegen Aliens, Zombies oder Soldaten, sondern gegen Menschen, komplett mit Demutsgesten und Angst vor dem Tod. Gnade gibt keine Punkte. Der Daumen zeigt verkrampft nach unten. „Sagt mir nicht, wo meine Grenzen sind“, antwortet ein Spieler in einem Internetforum schon mal allen potenziellen Kritikern. Es ist ein freies – ein virtuelles Land. „Ich glaube nicht, dass es Ethik noch gibt, wenn man es mit Fiktion zu tun hat“, sagte William Friedkin, der Regisseur von „Der Exorzist“, vor Jahren mal in einem Interview. Eine Diskussion über eventuelle Grenzen, über Sinn und Zweck der Gewalt würde der Videospielszene trotzdem gut tun. Bis dahin überdeckt der Faktor Spielspaß alle aufkommenden Bedenken.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Tobias Moorstedt
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Günther Anfang: Englisch lernen mit Ritter Rost
Windows 95/98/ME/XP; Macintosh System 8.6 oder höher, OSX 10.1 oder höher, Terzio Verlag München 2004, ISBN 3-89835-134-3, Preis: 29,00 €, Empfohlen für das GrundschulalterSpielerisch ein andere Sprache zu lernen, ohne Vokabeln zu büffeln, Grammatik zu pauken und Diktate zu schreiben, das ist der Traum aller geplagten Schüler und natürlich auch Eltern. Diesem Traum versucht Terzio mit seinem Englisch Sprachlernkonzept um die Figur von Ritter Rost nachzukommen. Gemeinsam mit dem Langenscheidt-Verlag haben sie nun schon die zweite Folge der Serie „Englisch lernen mit Ritter Rost“ herausgebracht, bei der nicht Vokabelpauken im Vordergrund steht, sondern lustige Spiele, unterhaltsame Lieder und eine nette Rahmenhandlung. Dieses Mal geht es darum, sich als König in Wireland zu qualifizieren
. Da in Wireland Englisch gesprochen wird, muss man natürlich die Grundzüge dieser Sprache erlernen. Außerdem gibt es jede Menge an Eignungstests, die man als Spieler bestehen muss, um neuer König von Wirleland zu werden. Für jeden bestandenen Eignungstest bekommt der Spieler Teile für die Königskrone. Erst wenn die Krone vollständig ist, darf der Spieler sich bei einer feierlichen Zeremonie zum König von Wireland krönen lassen. In neun Sprachlernspielen muss der Spieler zeigen, ob er den Anforderungen für den königlichen „Job“ genügt. So muss man z.B. zeigen, dass man verfärbungsfrei Wäsche waschen, billig einkaufen und unfallfrei Tee servieren kann. Genauso sind Kenntnisse über moderne Verkehrsmittel und Fotografie gefragt.
Ein Dictionary bietet Hilfe, wenn man bei einem Spiel ein Wort nachschlagen muss. In Ergänzung zum ersten Teil „Englisch lernen mit Ritter Rost – The Rusty Movie“, wo bereits Wörter aus den Bereichen Farben, Bewegung, Körperteile, Monate und Wochen, Sport- und Freizeitgeräte, Zahlen, Tiere und Begrüßung gelernt wurden, stehen dieses Mal Vokabeln zu den Schwerpunkten Kleidung, Zimmer und Räume, Gegenstände, Eigenschaften, Lebensmittel, Ortsangaben und Verkehrsmittel auf dem Programm. Spielerisch erwerben Grundschüler in diesem Lern-Adventure erste elementare Fremdsprachenkenntnisse. Dabei steht der Spaß im Vordergrund, der den Einstieg in Englisch sicher erleichtert. Dass Kinder nach dem Spiel anfangen, Englisch zu reden oder zu verstehen, darf man sich jedoch nicht erwarten.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Günther Anfang
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Günther Anfang: Mathe-Spiele mit Simsala und Bim
Zahlenzauber 3Win 95/98 NT 4 oder Windows 2000, Oldenbourg Verlag München 2003, 19,90 EuroGanz anders konzipiert ist dagegen das Mathelernspiel „Zahlenzauber“ aus dem Oldenbourg Verlag. Hier wurde darauf geachtet, dass die Lehrpläne berücksichtigt sind, das Kind spielerisch die Mathematik-Inhalte des 3. Schuljahrs üben kann und die CD-ROM für das selbständige Spielen und Lernen zu Hause geeignet ist. In verschiedenen Spielen werden Arithmetik, Geometrie und Sachrechnen geübt.
Bei jedem Spiel kann zwischen drei Schwierigkeitsstufen gewählt werden. Die Leitfiguren im Spiel erfüllen dabei immer eine Funktion. Während die kleinen Zauberer „Simsala“ und „Bim“ die Mathematik entdecken, stellt die Eule „Eulalia“ als kluge Lehrerin die richtigen Fragen. Nach erfolgreichem Bestehen von sechs schwierigen Spiele-Stufen gibt es ein Belohnungsspiel. Nach dem Motto „Übung macht den Meister!“ stellt diese CD-ROM sicher eine ideale Ergänzung zum Schulbuch gleichen Titels dar.
Es ist jedoch fraglich, ob ein Schüler, der bereits mit dem Schulbuch seine liebe Not hat, begeistert ist, nun mit Hilfe der CD-ROM das Ganze noch zu vertiefen. Allerdings werden Eltern, die ihren Kindern Nachhilfe in Mathematik verordnen, sicher mit Freuden auf eine CD-ROM zurückgreifen, die verspricht, mit Simsala und Bim den Spaß am Rechnen zu vermitteln.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Günther Anfang
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Dennis Wortmann: Fit im Straßenverkehr
Startklar auf Ampexia Windows 95/98/2000/XP, Verlag Heinrich Vogel, München 2004, je 23,50 €, Altersempfehlung 8-11 JahreDiese neue CD-ROM zur Vorbereitung auf die Fahrradausbildung in der 3. und 4. Jahrgangsstufe stellt eine interessante Art von Edutainmentartikel dar. Kinder zwischen 8 und 11 Jahren tragen auf dem Planeten Ampexia zusammen mit den Menschen Ela, Cem und Fred dazu bei, dass die Ampexianer die Verkehrsregeln lernen. Das Konzept sieht also vor, dass der Nutzer den Außerirdischen hilft und dabei selbst die Verkehrsregeln erlernt. Anhand verschiedener Spiele wird Verkehrserziehung zum Abenteuer. Man kann wählen zwischen dem Abenteuer-Modus, in dem man Schritt für Schritt durch das Spiel geführt wird und jedes neue Abenteuer auf dem vorangegangenem aufbaut, oder dem freien Spiel, das es einem erlaubt, die einzelnen Spiele frei auszuwählen.
Stets begleitet wird das ganze von der sympathischen Stimme Michael Schanzes, der den Verkehrminister Ampelius des Planeten Ampexia spricht. Da die Lerninhalte der CD-ROM den neuesten Richtlinien der Verkehrserziehung entsprechen, dürften sie auch für den Einsatz in der Schule gut geeignet sein. Eine tabellarische Übersicht über den Lehrplaninhalt im Anleitungsheft teilt den einzelnen Spielen bestimmte Kapitel zu, so steht beispielsweise das Spiel „Labyrinth - Der Geheimweg“ für das Thema „Verkehrssituationen wahrnehmen und einschätzen“.
Dank seiner bedienerfreundlichen Benutzeroberfläche und dem Abenteuergehalt dürfte das Spiel Kindern sehr viel Freude bereiten. Die Motivation wird durch einen ansteigenden Schwierigkeitsgrad und die immer spannender werdende Geschichte bis zum Schluss aufrechterhalten. Insgesamt ist den Machern der CD-ROM ein ansprechendes Edutainmentprodukt gelungen, das Kinder fit für den Straßenverkehr macht.
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Autor:
Dennis Wortmann
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Udo Feist: Universalbibliothek "eloquence"
Gustav Gründgens „Faust“ 1954 am Düsseldorfer Schauspielhaus begeisterte auch Elsa Schiller, damals in Hamburg Chefin der klassischen Musikabteilung bei der Deutschen Grammophon. Gegen schwere Bedenken im eigenen Haus setzte sie die Aufzeichnung der Aufführung durch, um sie der Nachwelt zu bewahren. Seither wurde die als Sprechplatten-Box erschienene Aufnahme (die LP setzte sich gerade durch) über 250.000 mal verkauft und gilt heute als Beginn der eigentlichen Hörbuchgeschichte in Deutschland.Der Erfolg des - immer noch lieferbaren - Faust führte bei der Grammophon zur Entwicklung eines Programmkonzepts dafür, was heute Hörbuch heißt. Über die Jahre kam ein Repertoire zusammen, das mehr als 2000 Produktionen umfasst, von etlichen Klassikern mit großen Stimmen bis zu aktuellen Autoren. Deren traditionsreiche Literaturabteilung hat nun mit „eloquence“ eine Reihe in schlichtem Design begonnen, die fortan „zu attraktiven Preisen große Texte der Literatur gesprochen von berühmten Interpreten“ herausbringen wird.
Annonciert ist sie als die „erste Budget-Hörbuch-Serie“, was bei unverbindlichen 4,99 € für die Einzel- und 7,99 € für Doppel-CDs nicht zu viel verspricht. Die Qualität des Günstigen verbürgt der enorme Backlist-Katalog, auf den sie zurückgreifen kann.Die frische Auftaktlieferung mit 15 Einzeltiteln zeigt gleich Schwergewicht und sicher auch, dass man auf Werbung für das reguläre Programm hofft: Schillers „Kabale und Liebe“ in Ernst Lothars Inszenierung von 1955 bei den Salzburger Festspielen (mit Will Quadflieg, Erich Ponto, Maria Schell), Lessings „Nathan der Weise“ (1956; u.a. Ernst Deutsch) und Gründgens „Hamlet“ (Maximilian Schell, Marianne Hoppe, Uwe Friedrichsen; 1963 am Schauspielhaus Hamburg) knüpften damals an den Maßstab des Düsseldorfer Faust an.Glorreiche 50er-Patina prägt auch die Kinski-Compilation, dessen komplettes Sprechwerk die Grammophon erst im Herbst herausbrachte und dafür das Lob „Hörbuch des Jahres 2003“ erhielt (vgl. merz 1-04, S. 85).
Der im Vorjahr verstorbene Will Quadflieg präsentiert das beeindruckende Potpourri „Mein Goethe“, dem überdies das Special „Große Goethe-Interpreten“ gewidmet ist (u.a. Ernst Ginsberg, Paula Wessely und Maria Wimmer; dazu Monologe aus dem 54er Faust).„Hörvergnügen mit Gert Westphal“ stellt dagegen den berühmten Sprecher groß raus, sicher auch als Appetizer: Das Booklet zeigt die Grammophon-Titel (u.a. Storm, Kästner, Flaubert, Fontane, Thomas Mann und Karl May), aus denen die Ausschnitte stammen. Daneben stehen in der eloquence-Reihe „Heine“, „Rilke“, „Eichendorff“ sowie „Mörike, Trakl u. a.“ für Lyrik und „Der Unbesiegte“, nebst anderen Stories gelesen von Christoph Bantzer, für den Solitär Ernest Hemingway. Das Krimi-Fach vertreten solide Chandlers „Erpresser schießen nicht“ (von Günter Lamprecht) und Agatha Christies „Villa Nachtigall“ und „Die Mausefalle“ (beide von Hannelore Elsner gelesen; alle drei Aufnahmen von 1996). Kurzum, für jeden Geschmack ist etwas dabei.Das Konzept folgt dem der seit 1998 erfolgreichen Musikreihe „eloquence“ der Grammophon, die schon 417 Titel mit klassischer Musik umfasst – „zeitlose Aufnahmen in zeitgemäßer Qualität“ aus den Archiven der Universal-Klassiklabel.
Die neue Hörbuch-Reihe ist im Anspruch und Preis Reclams Universalbibliothek der Klassiker vergleichbar und wird ein üppiges Repertoire zugänglich machen – zum genussvollen Gebrauch zwischen Unterhaltung und Bildung.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Udo Feist
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Susanne Gölitzer: Kunst - ein Kinderspiel
Nein, die Kunst ist kein Kinderspiel und das Kinderspiel ist keine Kunst, auch wenn Künstlerinnen und Künstler sich in den letzten 100 Jahren immer wieder mit dem Kinderspiel und Kinderspielzeug beschäftigt haben. Die Ausstellung in der Schirn Frankfurt am Main Kunst – ein Kinderspiel will, so die Ausstellungsmacher Max Hollein und Gunda Luyken, sichtbar machen, wie die Künstlerinnen und Künstler des letzten Jahrhunderts die Anregungen, die sie durch die kindlichen Zugänge zur Welt erfahren haben, an die Kinder in Form von Kinderspielzeug, Kinderbüchern und Kunst für Kinder zurückgegeben haben. Dies sichtbar zu machen gelingt der Ausstellung. Zu finden sind hier nur künstlerisch gestaltete Objekte, die teilweise auf weichen begehbaren Bauklötzen drapiert sind. Die Exponate rücken so auf Augenhöhe der Kinder zwischen 0 und 10 Jahre. Zwischendrin laden Buchten zum Sitzen, Lesen und Spielen mit Kunstbüchern oder Spielzeug ein. Die Ausstellung kann, wenn man dem Rundgang folgt und sich an den nformativen Texttafeln zu den verschiedenen Künstlergruppen und Künstlern orientiert, unter historischer Perspektive oder aber mehr im Sinne eines Parcours betrachtet werden, der kreuz und quer über die Bauklötze führt. In einem extra Raum sind die Children’s Paintings von Andy Warhol (1983) in Hüfthöhe an eine Fischtapete aufgehängt. Sie werden auch als Toy Paintings bezeichnet, weil Warhol die Motive für die kleinformatigen Siebdrucke Spielzeugen und deren Verpackungen entnahm.Offenkundig ist die Ausstellung für Erwachsene und Kinder gedacht, die etwas über Kunst lernen möchten.
Sie werden an den verschiedenen Texttafeln, an denen die unterschiedlichen Vorstellungen vom kindlichen Spiel erklärt werden, verständliche Informationen finden. Sie werden die Videos von Charles and Ray Eames (Parade 1952) und Rosemarie Trockel (Kinderspielplatz, Beitrag Deutschlands zur 48. Biennale di Venezia 1999) und zu der Zirkus-Performace von Alexander Calder (Cirque Calder 1927) mit Vergnügen anschauen und den Reiz unterdrücken müssen, die Kinderschubkarre von Gerrit Rietveld (1922), das Aufziehspielzeug Warhols, das Puppenhaus von Simmons (Kaleidoscope House 2000), das Wollauto und den Bürstenwagen (1999) von Trockel anzufassen, in die Hand zu nehmen und damit zu spielen. Während die Erwachsenen die unterschiedlichen Höhen der Vitrinen, der Stellflächen und Bilder als adressatenorientierte Raumgestaltung begreifen sollten, werden Kinder, sofern sie noch nicht die Stufe des formal-operativen Denkens erreicht haben, Schwierigkeiten damit haben, dass einige Bücher und Spielsachen, die in Greifnähe liegen, angefasst und betrachtet, während andere, besonders attraktive Exponate nicht berührt, geschweige denn benutzt werden dürfen.
Und genau in diesem Punkt wird der Unterschied zwischen Kunstobjekt und Spielzeug deutlich, selbst wenn es künstlerisch gestaltetes Spielzeug ist. Spielzeug ist nur dann Spielzeug, wenn man damit spielen kann. Die Adressatenorientierung einer solchen Ausstellung hat eben Grenzen. Als Kunst könnten auch Kinder im Grundschulalter die Exponate hinter Glas interessant finden. Als Spielzeug werden sie es kaum betrachten wollen, denn Spielzeug, das nicht zum Spielen ist, verliert seine Funktion.Für Erwachsene dürfte die Systematik der Ausstellung und die historische Aufarbeitung der künstlerisch gestalteten Spielzeugproduktion interessant sein. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Gruppen von Künstlern (Bauhaus, De Stijl /Konstruktivismus) die industrielle Produktion von Spielzeug ästhetisch gestalteten oder wie die Wiener Werkstätten mit Hilfe der Handwerkstraditionen neues Spielzeug herstellen wollten, waren es anscheinend in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eher einzelne Künstlerpersönlichkeiten (Pablo Picasso, Alexander Calder, Günther Förg, Reinhard Mucha, Andy Warhol, Rosemarie Trockel, Laurie Simmons u.a.), die künstlerisches Spielzeug herstellten. Das Kind war in der Vorstellung der Künstlerinnen und Künstler, die den Werkstätten, dem Bauhaus oder De Stijl zugerechnet werden, ein Entdecker der Alltagswelt, ein kleiner Künstler. Kunst und Leben stellte in deren Vorstellung eine Einheit dar, die auch mit dem richtigen Spielzeug zu gestalten war. Das Spiel der Kinder galt als „eine Art Kunsttrieb“ (Leisching zitiert nach Luyken: Ausstellungskatalog, S. 29). Das künstlerische Spielzeug war umgekehrt ein Mittel, Kindern etwas über Kunst und das Leben mitzuteilen (s. die in den 20er Jahren entstandenen Spielsachen von Künstlern des Bauhaus’: die Farbkreisel, die Pädagogische Puppenstube, die das Prinzip des Steckbausatzes vorwegnahm oder die vielfach nachgeahmten Kinderbücher des De Stijl usw.).
Die Idee zur Erfindung oder Gestaltung von Spielzeug ist bei den Künstlerinnen und Künstlern in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts häufig individuell und durch die Lebensumstände motiviert gewesen. Während Picasso seinen Töchtern unter der Not des Krieges kleine Papierpüppchen reißt, erfindet Calder aus einer idiosynkratischen Faszination am Spielzeug einen Puppenzirkus, Mucha für seinen Neffen Objekte aus Alltagsgegenständen, die den Kinder als „Gefährten“ (ebd., S. 44) dienen sollten oder produziert Warhol auf die Bitte seines Galeristen Bruno Bischofberger die Toy Paintings. Spielzeug wird auch zunehmend verfremdet. Diese Verfremdung wird besonders deutlich an diesen Toy Paintings, die den Spielzeugcharakter des Originals nur noch abbilden. In diesem Zusammenhang müssen auch die Fellautos von Rosemarie Trockel gesehen werden. Die Kindergesichter des Fotografen Rolf von Bergmann fallen etwas heraus aus der Ausstellung, weil sie als Dokumente belegen, wie Kunst mit Kindern gemacht werden kann. Die Kinderportraits wurden von den Portraitierten selbst mit Wasserfarben be- und ausgemalt. Dadurch entsteht ein interessantes Bild, in dem Kunstobjekt und Subjekt der Kunst zusammenfallen; das portraitierte Kind bleibt nicht Objekt der Fotografie, sondern wird auch zum Künstler. Wenn auch offen ist, wie Kinder mit der seltsamen Mischung aus Spielanregung und bloßem Betrachten-Dürfen in der Ausstellung umgehen, so ist durch die Ausstellung doch garantiert, dass interessierte Erwachsene Einsichten und Anregungen für den Umgang mit Kunst und Kindern gewinnen können.Die Ausstellung der Schirn Kunsthalle geht noch bis zum 18. Juli 2004. Es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm für Kinder und Erwachsene und einen empfehlenswerten Katalog: Hollein, Max / Luyken, Gunda (Hrsg.): Kunst – ein Kinderspiel. Frankfurt am Main: Revolver. 2004. Zu beziehen unter: Revolver. Archiv für aktuelle Kunst. Jacobystraße 28. 60385 Frankfurt am Main.
Beitrag aus Heft »2004/03: Computerspiele - Interessen und Kompetenzen«
Autor:
Susanne Gölitzer
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Tilmann P. Gangloff: Wer surfen will, muss schwimmen können
Während durch die Köpfe von Erzieherinnen und Lehrern immer noch das Phänomen des „Vielsehers“ geistert, haben die Sorgenkinder längst das Medium gewechselt: Sie surfen jetzt im Internet. Die 14- bis 19-Jährigen verbringen mittlerweile 137 Minuten täglich im Internet. Wenn man andererseits weiß, dass der eine oder die andere überhaupt nicht oder nur selten ins Internet geht, kann man sich vorstellen, in welchen Größenordnungen sich die Nutzungszeit der „Heavy User“ bewegen muss. Viele Eltern wird das beunruhigen. Im Gegensatz zum überschaubaren Medium Fernsehen, das gerade tagsüber weitgehend berechenbar ist, lauern im Internet mannigfaltige Gefahren. Trotz aller technischen Kompetenz: Die diversen Bedrohungen sind längst nicht allen jungen Nutzern bekannt. Laut einer amerikanischen Studie sind zudem 30 Prozent der befragten weiblichen Teenager im Netz schon mal sexuell belästigt worden. Jedes fünfte Kind werde angeblich online zu sexuellen Handlungen aufgefordert.
Die EU hat daher die Kampagne „SaferInternet“ ins Leben gerufen.Ein Surfen ohne Risiko wird es vermutlich nie geben. Wenn man auf der Homepage von „SaferInternet“ die Liste der Abgründe liest, kann einem jedoch Angst und Bange werden. Finanzielle und technische Schädigungen, psychische Irritationen, Beleidigungen, Bedrohungen, Erpressung, sexuelle Belästigung, menschenverachtende Propaganda, Anleitungen zum Terrorismus: eigentlich erstaunlich, dass das Internet nicht längst verboten wurde; bereits beim harmlosen Surfen scheint man ja knapp an der Straftat vorbeizuschlittern. Tatsächlich aber ist vielen zum Beispiel nicht klar, dass das illegale Herunterladen etwa eines Kinofilms eine Verletzung des Urheberrechts und somit eine kriminelle Handlung ist. Technische Lösungen eignen sich erfahrungsgemäß kaum, um Kinder und Jugendliche vor gefährdenden Internet-Seiten zu schützen. Die Organisatoren von „SaferInternet“ vergleichen dies mit der Gefahr, die ein Schwimmbecken für Nichtschwimmer darstellt: Warnschilder und Zäune seien nur eine bedingte Hilfe; sicherer sei es, Schwimmen zu lernen und sich mit dem Wasser vertraut zu machen.
Deshalb sei es unabdingbar, den Kindern Medienkompetenz beizubringen.Hier zu Lande wird „SaferInternet“ von den Medienpädagogen der Bielefelder Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) organisiert. Laut GMK-Philosophie setzt sich Medienkompetenz aus den Bereichen Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung sowie Mediengestaltung zusammen. Nur wer in allen vier Bereichen fit ist, hat quasi auch den Internet-Führerschein. Deshalb rät die GMK: Jeder Internet-Nutzer sollte wissen, was überhaupt ein Server macht, welche technischen Möglichkeiten das Netz bietet und welche Gefahren dort lauern, wie man eine Suchmaschine benützt und wie man im Internet kauft und verkauft. Wann immer man eine Internet-Seite besuche, stets solle man sich fragen: Wer ist für den Inhalt dieser Seite verantwortlich? Welche Absicht verfolgt er? Sind die Informationen zuverlässig? Links zum Thema:www.safer-internet.net, www.gmk-net.de, www.ofsi.org, www.bpb.de, www.dji.de, www.mediageneration.net,
Beitrag aus Heft »2004/02: Musik im Leben Heranwachsender«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Sonja Moser und Klaus Dreyer: Kinderportal für München
Paetsch, Jojo, Calla, Nomo und Broesel – Alter: zwischen acht und zehn, Herkunft: aus München und vom Planeten Quapala. Ihre Mission: Münchner Kinder durch ihr neues Kinderportal führen. Nur gemeinsam ist diese Bande stark, aber alle fünf haben natürlich auch ihre ganz eigenen Seiten....Ein Internet-Portal für Kinder in München – partizipativ, werbefrei, vernetzend. In vier großen Bereichen werden die Online-Bedürfnisse der Kinder abgedeckt und gleichzeitig wird ihnen, sich ihre Stadt München anzueignen.Seit Ende Januar 2004 ist diese Vision Wirklichkeit: unter der URL www.pomki.de ist das Kinderportal auf muenchen.de aktiv.Entstanden ist das Projekt auf der Grundlage eines Beschlusses des Münchner Stadtrats. Umgesetzt wird es gemeinsam von Mitarbeiterinnen der Stadt München und Mitarbeitern der Portal München Betriebs-GmbH. Doch nicht nur diese Konstruktion ist im deutschen Sprachraum bisher einmalig: Als ein Internet-Portal, dessen Zielgruppe die Kinder in einer Großstadt sind, ist pomki.de ohne Vorbilder.Bei der Entwicklung haben wir deshalb besonderen Wert darauf gelegt, Kinder von Anfang an zu beteiligen. Sowohl die Story als auch die Comicfiguren und das Screendesign wurden mit mehreren hundert Münchner SchülerInnen getestet, und auch der Name pomki.de – der übrigens keine konkrete Bedeutung hat – ist unter der Mitwirkung von Kindern ausgewählt worden.
Aber auch das Angebot selbst ist so angelegt, dass es Möglichkeiten bietet, pomki.de aktiv mitzugestalten.Um das Kinderportal auch in der realen Welt im Leben von Kindern zu verankern, haben wir schon während der Planungsphase darauf geachtet, das Projekt in die Netzwerke der medienpädagogisch Aktiven in München einzubinden. Auf diese Weise sind wichtige Teile der Inhalte auf pomki.de gekommen – und gemeinsam mit diesen Partnern und Partnerinnen konnte auch eine erfolgreiche Eröffnungswoche im Münchner Rathaus stattfinden.Die wohl größte Herausforderungen für die Zukunft wird es – vor allem angesichts kaum vorhandener Budgets -- deshalb auch sein, Münchner Kinder immer wieder dazu zu bewegen, pomki.de zu nutzen, sich zu beteiligen und Rückmeldungen darüber zu geben, was sie wirklich interessiert.Termine, die für Münchner Kinder spannend sind, können an die Betreuer des Portals unter kinder@portalmuenchen.de gemeldet werden; sie werden dann, sofern geeignet, dort frei geschaltet. InterviewAngelika Schmaus befragte Kinder einer vierten Grundschulklasse, die während der Eröffnungswoche www.pomki.de ausprobierten, nach ihren ersten Urteilen. Es antworteten: Quirin (10), Frederico (9), Tobias (9), Marie (9), Stella (9), Alexandra (10), Genc Mücahit (10), Maxi (10) und Alice (9).Wie gefallen dir die Figuren?Frederico: Mir gefallen die Figuren gut, weil sie lustig aussehen.
Der Hund heißt Jojo und wenn er pfurzt, riecht es nach Pfefferminze. Das finde ich lustig, weil ´s unlogisch ist. Tobias: Der Außerirdische kommt von einem Planeten aus dem Weltall und sieht auch lustig aus, aber auch ein bisschen komisch, weil er nur vier Finger hat. Stella und Alexandra: Wir finden es witzig, dass er von einem Planeten kommt, weil es da vielleicht keinen Bürgermeister und keinen Krieg gibt. Und alles ist so, wie man es sich selbst vorstellen kann. Was gefällt dir besonders bei pomki?Stella: Dass es lustige Spiele gibt und dass man viele Sachen finden kann, zum Beispiel viel über die Stadt München. Frederico: Mein Lieblingsbereich ist, wo man sich die Tiere aussuchen und mitmachen kann. Mein Lieblingstier sind die Rennmäuse, die sind voll süß. Tobi: Dass es sehr interessant ist, weil es coole Spiele gibt und man sich gut rumklicken kann und man versteht das meiste sofort. Alice: Man kann viele verschiedene Spiele machen, z. B. Malen oder Smilysspiele. Maxi: Die Witze auf der Seite fand ich witzig. Was tust du bei pomki am meisten: spielen, lernen, dir Informationen suchen oder etwas anderes?Frederico: Ich tu am liebsten Spielen. Man lernt nicht bei allen Spielen was. Zum Beispiel bei Neues oder Interessen lernt man was, bei Spielen lernt man was anderes.
Tobias: Ich spiele am liebsten, suche mir aber auch Informationen und lerne ein bisschen. Bei den Büchern zum Beispiel lese ich mich ein bisschen ein, weil ich gerne lese.Quirin: Witze, Spiele und Rätsel mache ich am meisten, Marie: Das Puzzlespiel ist toll und gut. Und gelernt habe ich was über den Oberbürgermeister Ude und die Frau Dr. Burkert, die ist auch Bürgermeisterin. Alexandra: Ich mag die Spiele und Witze. Und gut finde ich die Seite, wo man Geräusche aus München hören konnte. Zum Beispiel konnte man das Glockenspiel hören, oder die U-Bahn. Spielst oder surfst du auch sonst viel im Internet?Frederico: Wenn ich Lust hab, darf ich vielleicht mal eine Stunde rein. Ich gehe auf unterschiedliche Seiten, meistens Spiele. Zum Beispiel, wenn ich ein Referat für die Schule mache, schaue ich vorher bei google nach.Quirin: Ich gehe manchmal ins Internet und spiele manchmal auf CD ROM.Marie: Ich gehe nicht ins Internet aber ich spiele oft auf CD. Stella: Ab und zu nur. Aber ich spiele oft CD ROM.Tobias: Ich spiele viel auf CD ROMS, ins Internet geh ich nie, weil wir zu Hause keinen Internetanschluss haben.Alexandra: Ich geh am Abend manchmal ins Internet mit meiner Mama. Da schauen wir zum Beispiel was über Vögel oder Pilze nach, weil mich die Natur interessiert.
Tilmann P. Gangloff: Aus die Maus?
Es ist ein Skandal, doch keiner regt sich drüber auf. „Kinder“, seufzt Uwe Rosenbaum, „haben es in diesem Land eben einfach nicht gut“. Dabei wird das Kind, um das es geht, in diesem Jahr vierzig Jahre alt. So lange veranstaltet der Bayerische Rundfunk (BR) bereits den Prix Jeunesse, das weltweit bekannteste und mit Abstand renommierteste Festival für internationales Kinderfernsehen. Alle zwei Jahre kommen Redakteure aus allen Erdteilen nach München, um sich auszutauschen und neue Produktionen zu sichten. Jeder Teilnehmer ist stimmberechtigt, so dass die Preise höchst demokratisch gefunden werden. Zu Recht gilt der „Prix Jeunesse“ als „Oscar des Kinderfernsehen“. Doch möglicherweise muss man dies demnächst in der Vergangenheitsform schreiben: Der BR erwägt die Abschaffung der Institution. Dabei war dieser Preis womöglich nie so wertvoll wie heute. Allüberall ist das Kinderfernsehen längst kommerzialisiert worden, sind Zeichentrickserien bloß noch Reklame für das milliardenschwere Geschäft mit Merchandising-Produkten, graben Kinderkanäle mit knallbunter und lautstarker Fließbandware dem pädagogisch wertvollen Programm das Wasser ab.
Beim Prix Jeunesse holen sich die überwiegend öffentlich-rechtlichen Redakteure die nötige Rückendeckung für ihren täglichen Quotenkampf. Für die Neuheiten auf dem kommerziellen Markt genügen Programm-Messen wie die Mipcom Junior in Cannes. In München aber profitieren alle voneinander, denn hier kommen neue Formen und Trends auf einen echten Prüfstand. „Sesame Street“ beispielsweise wurde beim Prix Jeunesse heiß diskutiert, bevor es seinen weltweiten Siegeszug antrat. Uwe Rosenbaum, heute Landessenderdirektor des SWR in Mainz, erinnert sich an seine Zeit als Leiter des Familienfernsehens beim SFB: Die Kollegen aus Osteuropa in Berlin zu treffen, war undenkbar; nach München aber durften sie reisen. Im Kuratorium Junger Deutscher Film macht sich Rosenbaum seit einiger Zeit für den Kinderfilm stark. Deshalb verbindet er seine Unterstützung für den Prix Jeunesse mit einer Forderung: „Selbstredend muss sich das Festival auch für die lange Form öffnen“. Ansonsten aber erklärt er sich uneingeschränkt solidarisch: Nur über den Prix Jeunesse sei es überhaupt möglich, afrikanischen oder asiatischen Ländern zu helfen, die Qualität westlicher Programmstandards zu etablieren. Wo dies nicht geschehe, würden die Zuschauer auch dort von kommerziellen Sendern überschwemmt. In Südamerika beispielsweise hat der Prix Jeunesse mit seinem „Koffer“ erheblich dazu beigetragen, das dortige Kinderfernsehen vom US-amerikanischen Cartoon-Einfluss zu emanzipieren. Rosenbaum verweist zudem auf die Meriten der langjährigen Generalsekretärin des Prix Jeunesse, Ursula von Zallinger.
Gerade der Umstand, dass ihr Name untrennbar mit dem Festival verbunden ist, dient hinter den Kulissen aber offenbar als willkommener Vorwand, die lange Tradition mit der diesjährigen Veranstaltung im Juni zu beenden: Der absehbare Ruhestand der Generalsekretärin soll angeblich als Anlass dienen, den Prix Jeunesse zu beerdigen.Hintergrund des Planspiels: Der BR will Geld sparen. Im Zuge der Gebührendiskussion sind sämtliche Posten auf den Prüfstand gekommen. Dabei kostet der Prix Jeunesse den BR nur 100.000 Euro im Jahr. Wenn man vergleicht, welche Unsummen die ARD für die Übertragung von Fußballspielen auszugeben pflegt, sind dies wahrlich bloß „Peanuts“. Trotzdem könnte es zu einem Domino-Effekt kommen: Prompt möchte auch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) ihren Beitrag von 75.000 Euro einsparen. Das ZDF wiederum macht seinen Zuschuss (60.000 Euro) davon abhängig, wie sich der BR entscheidet. Weitere Geldgeber sind der Freistaat Bayern und die Stadt München; beide noch alles andere als wankelmütig.Und so könnte es sich als Schwäche erweisen, dass der Prix Jeunesse zwar weltweites Ansehen genießt, im eigenen Land aber kaum bekannt ist. Natürlich waren auch deutsche Sender immer wieder unter den Preisträgern, doch in der Regel interessiert es hier zu Lande kaum jemanden, wenn eine brasilianische Serie einen Preis bekommt.
Zur ohnehin überfälligen Reformierung des Prix Jeunesse gehört daher auch die Rückwirkung ins eigene Lager. Gerade das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen ist in Deutschland, wie es einer der ältesten Hasen im Geschäft ausdrückt, „zwar etabliert, aber auch mumifiziert“. Tatsächlich kann man das vermeintliche Kinderparadies Kika durchaus auch als Ghetto betrachten: Nach der Gründung des Kinderkanals im Jahr 1997 stellte die ARD, vom Wochenende abgesehen, ihr Kinderprogramm im „Ersten“ ein; das ZDF wartete wenigstens noch eine knapp zweijährige Schamfrist ab. Seither aber sei das Thema Kinderfernsehen für die öffentlich-rechtlichen Führungsetagen erledigt, kritisiert Rosenbaum; schon allein aus diesem Grund brauche Deutschland ein Forum, das dem Genre neue Impulse liefere, Alternativen aufzeige und zur Weiterentwicklung anrege. Vor vierzig Jahren, erinnert sich ein Redakteur, sei man beim BR „irrsinnig stolz“ auf die Idee eines internationalen Festivals für Kinderfernsehen gewesen; lange her. Das gilt offenbar auch für eine wichtige Station in den beruflichen Biografien der aktuellen Intendanten von BR und ZDF, Thomas Gruber und Markus Schächter: Beide waren bei ihren Sendern mal Leiter des Kinder- und Familienprogramms.
Beitrag aus Heft »2004/02: Musik im Leben Heranwachsender«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Isabel Rodde: 14+ - films for the young generation
Manche Entscheidungen sind unglaublich schwer. Soll Mille bei ihrem Freund Kenny bleiben, auch wenn er regelmäßig mit Freunden beim Bier versackt? Soll sie sich für den smarten Rapper Sami entscheiden, der nur seine Musik im Kopf hat? Was tun mit dem öden Job in der Bäckerei und mit einer Mutter, die selbst nicht mehr weiter weiß mit ihrem Leben? „Bagland“, das Spielfilmdebüt des dänischen Regisseurs Anders Gustafsson, ist alles andere als eine flotte Teenie-Komödie mit Happy-End. Stattdessen aber erzählt es facettenreich und spannend von der Suche eines 17-jährigen Mädchens nach einer eigenständigen Zukunftsperspektive. Besonderer Pluspunkt und noch lange keine Selbstverständlichkeit im Jugendfilm: Gustafsson bietet überzeugende Identifikationsfiguren sowohl für Mädchen wie auch für Jungs.Auf der Berlinale eröffnete „Bagland“ (übersetzt in etwa: „Wo man herkommt“) den in diesem Jahr erstmalig eingerichteten Jugendfilmwettbewerb 14 plus. Ein gelungener Auftakt für ein längst überfälliges Angebot - bisher hatten die Filmfestspiele für Teenager von 14 bis 18 kein eigenes Programm. „Diesen unbefriedigenden Zustand“, so Kinderfilmfest-Leiter Thomas Hailer, „wollten wir endlich beenden.“Acht Filme aus Skandinavien, Deutschland, Südafrika, den USA und dem Iran konkurrierten um den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm. Die Themen reichten von Liebe, Karriere und Gewalt über Graffiti und HipHop bis hin zu Sexualität und dem „1. Mal“.
In „Nur noch Bea“ (Bare Bea) erzählt Petter Næss die Geschichte einer 16-jährigen Schülerzeitungsredakteurin, die als einziges Mädchen in ihrer Clique noch keinen Sex hatte und damit die Freundinnen auf Trab hält. Nach seinem großen Kinoerfolg „Elling“ ist dem Norweger erneut eine überzeugende Komödie mit Tiefgang gelungen. Der Film bringt das Thema Sexualität unverkrampft und erotisch auf die Leinwand und zeigt anschaulich, wie Konkurrenz und Erwartungsdruck die Lust aufs „erste Mal“ behindern. In Norwegen soll „Nur noch Bea“ flächendeckend in Schulen und Jugendzentren gezeigt werden – eine nachahmenswerte Idee auch für Deutschland.Eine skurrile Mischung aus romantischer Komödie und Familientragödie bot der finnische Wettbewerbsbeitrag „Perlen und Säue“ (Helmiä Ja Sikoja). Das Leben der Hirvonen-Brüder besteht aus dem Verkauf und Genuss von selbstgebranntem Schnaps. Doch dann landet der Vater im Knast und die vier Jungen müssen sich nach anderen Erwerbsquellen umschauen. Gerade recht kommt ihnen dabei ihre 10-jährige Halbschwester Saara: Die talentierte Karaoke-Sängerin soll den nächsten Wettbewerb „Finnland sucht das Superkind“ gewinnen und so die Familienfinanzen sanieren. Witzig und pointiert nimmt Regisseur Perttu Leppä den grassierenden Starkult aufs Korn und zeigt gleichzeitig, wie die schüchterne Saara die ungewöhnliche Außenseiter-Familie komplett auf den Kopf stellt.Ein ansonsten immer wiederkehrendes Thema im 14+-Programm: Jungen-Freundschaften im Spannungsfeld von Rache, Eifersucht und Konkurrenz. Zwei dieser Filme wurden von der fünfköpfigen Jugend-Jury besonders ausgezeichnet.
Die US-Produktion „Quality of Life“ erhielt für „ihren einzigartigen Einblick in die amerikanische Drogen- und Graffitiszene“ eine lobende Erwähnung.Regisseur Benjamin Morgan hat die Geschichte zweier junger Graffiti-Sprayer zwischen Kunst und drohendem Knast sensibel und authentisch in Szene gesetzt. Zehn Jahre lang hat er als Sozialarbeiter mit straffälligen Jugendlichen gearbeitet, das Drehbuch hat er gemeinsam mit dem Graffiti-Künstler (und Hauptdarsteller) Brian Burnam geschrieben. „Ich wollte die Geschichte erzählen, die hinter den Sprühereien steckt“, so Morgan. „In den USA werden 15 bis 18 Milliarden Dollar im Jahr ausgegeben, um Graffiti zu entfernen, dabei gibt es in 80 Prozent aller Schulen keinen Kunstunterricht.“Den Hauptpreis schließlich verlieh die Jury an den südafrikanischen Spielfilm „Die hölzerne Kamera“, der vom Alltag der Jugendlichen nach dem Ende der Apartheid erzählt. Madiba und Sipho leben in einem schwarzen Township vor den Toren von Kapstadt. Eines Tages finden sie am Bahndamm eine Leiche mit einer Videokamera und einer Pistole. Während Madiba den kleinen Camcorder an sich nimmt und damit – getarnt als Spielzeugkamera – seinen Alltag filmt, übernimmt Sipho die Führung einer gewalttätigen Jugendgang. Stück um Stück trennen sich die Wege der beiden Freunde. Madiba verliebt sich in Estelle – keine einfache Beziehung, denn deren Vater, ein weißer Mediziner, will von dem Kontakt der beiden nichts wissen. Inhaltlich wirkt der Preisträgerfilm etwas überfrachtet, vor allem die Beziehung zwischen Madiba und Estelle scheint konstruiert und nur schwer nachvollziehbar. Seine Stärke entwickelt „Die hölzerne Kamera“ jedoch in den Szenen, in denen Madibas „Videotagebuch“ das Leben in den Townships auf beeindruckende Weise dokumentiert.Die Auszeichnung eines südafrikanischen Jugendfilms zehn Jahre nach der Befreiung von der Apartheid ist auch als politisches Zeichen zu verstehen. „Unsere Hoffnung sind die Kinder in Südafrika“ erklärte Regisseur Ntshavheni Wa Luruli unter begeistertem Beifall bei der Preisverleihung - den Gläsernen Bären widmete er seinen drei jungen Hauptdarstellern.
Credits 14+FilmeBagland | Scratch Dänemark, 2003, 81 min Regie: Anders Gustafsson mit Stephanie Léon, Nickolas Dufour, Christopher LæssøBare Bea | Nur noch Bea Norwegen, Schweden, 2004, 86 min Regie: Petter Næss mit Kaia Foss, Kim S. Falck-Jørgensen, Kamilla Grønli Hartvig, E spen Klouman-Høiner, Maria Brinch, Ida Thurman-MoeHelmiä ja sikoja | Perlen und SäueFinnland, 2003, 114 min Regie: Perttu Leppä mit Mikko Leppilampi, Amanda Pilke, Laura Birn, Timo Lavikainen, Jimi Pääkallo, Unto HeloQuality of Life | Quality of LifeUSA, 2003, 85 min Regie: Benjamin Morgan mit Lane Garrison, Brian Burnam, Mackenzie FirgensThe Wooden Camera | Die hölzerne Kamera Frankreich, Großbritannien, Südafrika, 2003, 90 min Regie: Ntshavheni Wa Luruli mit Junior Singo, Dana de Agrella, Innocent Msimango, Jean Pierre CasselWeitere Informationenwww.berlinale.de
Markus Achatz: Unterhaltung mit Tiefgang
Das Kinderfilmfest der 54. Internationalen Filmfestspiele Berlin setzte in diesem Jahr deutliche Akzente gegen den Mainstream. Es zeichnete sich ein deutlicher Trend zu eher realen und alltagsbezogenen Geschichten ab. Thomas Hailer, seit 2003 Leiter des Kinderfilmfests, schätzt am diesjährigen Programm vor allem, dass ein „lebendi-ges Bild davon vermittelt wird, wie Kinder und junge Leute hier und auf anderen Kon-tinenten leben, wovon sie träumen und wie sie ihren Alltag meistern“. Vielfach wer-den die Geschichten mit nachdenklichen Botschaften und in ernsten Tönen erzählt. Die Vergabe der Preise macht deutlich, dass bewegende Momente im Kino von Er-wachsenen und von Kindern gleichermaßen geschätzt werden. Die 11- bis 13-jährigen Mitglieder der Kinderjury (Gläserner Bär) und die Erwachse-nen der Internationalen Jury (Großer Preis des Deutschen Kinderhilfswerks) zeichne-ten jeweils den philippinischen Film „Magnifico“ als besten Spielfilm aus. Regisseur Maryo J. Delos Reyes erzählt die berührende Geschichte des 9-jährigen Magnifico. Der Junge begegnet den schicksalhaften Ereignissen, von denen seine Familie ge-troffen wird, mit Warmherzigkeit und Tatendrang.
Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Familie zerschlägt sich, als Magnificos älterer Bruder Miong die Schulaus-bildung in Manila abbricht. Die Lage ist ohnehin angespannt, denn die behinderte jüngere Schwester der beiden benötigt sehr viel Pflege. Als schließlich noch die Großmutter schwer erkrankt, erkennt Magnifico, dass er Verantwortung übernehmen muss. Die Sorge der Großmutter steigt, denn wenn sie stirbt, fallen erhebliche Be-gräbniskosten an, lebt sie weiter, werden teure Medikamente benötigt. Mit Hilfe eines Freundes organisiert Magnifico Holz, um einen Sarg für die Großmutter zu zimmern. Zudem setzt er alles daran, seiner Schwester den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen, einmal den weit entfernten Jahrmarkt zu besuchen. Das Einfühlungsvermögen, mit dem sich der Junge den schwierigen Situationen stellt, wirkt sich zunehmend positiv auf das Lebensgefühl der ganzen Familie aus. Die Energie des 9-jährigen überträgt sich nachhaltig auf seine Umgebung und vermag selbst den Tod zu überdauern. Der philippinische Filmemacher hat mit „Magnifico“ eine Parabel auf das Gute im Menschen kreiert. Die Rolle des Jungen gleicht einer Erlöserfigur oder zumindest einem Hoffnungsträger, der vorübergehend auf die Erde kommt, um den Menschen Zuneigung und Hilfe zu bringen.
Insofern ist es vielleicht gar nicht so überraschend, dass auch die Mitglieder der Kinderjury „Magnifico“ auszeichneten, obwohl der Film über zwei Stunden dauert und sich die Geschichte äußerst langsam entwickelt. Re-gisseur Delos Reyes verlangt dem Zuschauer einiges ab, indem er der Geschichte einen tragischen Verlauf gibt. Mit einer authentischen Inszenierung des philippini-schen Alltags, der intensiven Darstellung realistischer Personen und der emotionalen Tiefe geht der Film unter die Haut. In seiner Feinfühligkeit vergleichbar, doch von der Erzählweise völlig anders, ist der französische Film „Moi, César 10 ans ½, 1m39“ („Ich, César“) von Richard Berry. Die sehr unterhaltsame Geschichte wird konsequent aus der Perspektive des kleinen César erzählt und kam beim kindlichen Kinopublikum sehr gut an. César ist genau 1,39 Meter groß, zehneinhalb Jahre alt und beginnt sich über das Leben und die Welt Gedanken zu machen. Die Erwachsenen sind dabei nicht unbe-dingt hilfreich. César liebt seine Eltern und findet auch seine Lehrerin ausgesprochen attraktiv, doch was seine Mitschülerin Sarah in seiner Gefühlswelt verursacht, ist oh-ne Beispiel. Sarah ist das schönste Mädchen von Paris. Wenn sie gemeinsam von der Schule nach Hause gehen, beschränkt sich Césars Sprechfähigkeit auf die Wörter „mh“, „ja“ und „mhja“.
Im Gegensatz zu seinem besten Freund Morgan ist César eher schüchtern und unauffällig. Das ändert sich schlagartig, als sein Vater eines Tages Besuch von einem ominösen Fremden bekommt und daraufhin plötzlich verreist. Für César liegt der Fall klar: Sein Vater muss ins Gefängnis. Das Gerücht spricht sich wie ein Lauffeuer herum. César wird zum Star in der Schule. Fatalerweise stellt sich heraus, dass Césars Vater nur auf Dienstreise war. Sarah und Morgan halten zu ihm und er weiß, wer seine wahren Freunde sind. Morgan wiederum hat eigene Sorgen: Er kennt seinen Vater nicht und wünscht sich nichts mehr, als ihn im fernen London zu suchen. César, Sarah und Morgan machen sich auf den Weg in ein Land, in dem sie noch nie gewesen sind und dessen Sprache sie nicht sprechen. „Moi, César“ nähert sich sehr behutsam der Gedanken- und Gefühlswelt des Prota-gonisten. Der Film ist die zweite Regiearbeit des Schauspielers Richard Berry. Seine besondere Leistung besteht in der großen Empathie, die er seinen Figuren entge-genbringt. Dabei gelingt eine überzeugende, kurzweilige Mischung aus Humor und Tiefsinn. Die 13 Spielfilme und 25 Kurzfilme des Kinderfilmfests ermöglichten bewegende und erheiternde Einblicke in hochwertige Geschichten aus 20 Ländern. Weitere Empfeh-lungen: Im deutschen Beitrag „Blindgänger“ (Lobende Erwähnungen von beiden Ju-rys) erzählt Regisseur Bernd Sahling von der Freundschaft der blinden Marie mit dem kasachischen Jungen Herbert und bringt den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Welt nahe, in der ganz eigene Bedingungen herrschen.
Aus Japan kommt die kleine, ausgefallene Filmerzählung „Yoshinos Frisörsalon“ der jungen Filmemacherin Naoko Ogigami. Eine Freundesclique lehnt sich gegen eine alte Tradition auf, nach der alle Jungen des Dorfes den gleichen „Topf-Haarschnitt“ zu tragen hätten. Im Hin-blick auf den Erfolg beim kindlichen Publikum gelang der schwedischen Regisseurin Ella Lemhagen („Tsatsiki, Mama und der Polizist“, 1999) mit ihrem neuen Film „Tur och Retur“ („Hin und Her“) wieder ein großer Wurf. Diesmal mit einer klassischen, aber ideenreichen Verwechslungskomödie. Julia und Martin lernen sich zufällig am Flughafen kennen, stellen fest, dass sie sich sehr ähnlich sehen und tauschen kur-zerhand die Rollen. Stabangaben zu den Filmen:Magnifico (Magnifico)Regie: Maryo J. Delos Reyes – Buch: Michiko Yamamoto – Darsteller: Jiro Manio (Magnifico), Danilo Barrios (Miong), Isabella De Leon (Helen), Gloria Romero (Lola Magda, die Großmutter) – Produktion: Philippinen (Violett Films) 2003 – Länge: 123 MinutenMoi, César 10 ans 1/2 , 1 m 39 (Ich, César)Regie: Richard Berry – Buch: Eric Assous, Richard Berry – Darsteller: Jules Sitruk (César), Mabo Kouyaté (Morgan), Joséphine Berry (Sarah), Maria de Medeiros (Césars Mutter), Jean-Philippe Ecoffes (Césars Vater), Anna Karina (Gloria) – Produktion: Frankreich (Europacorp) 2003 – Länge: 91 Minuten
Florian Rötzer: Der Irakkrieg als Game
Die New Yorker Firma Kuma Reality Games geht mit Computerspielen auf den Markt, die Nachrichten von der Front möglichst schnell in Form eines Spiels "authentisch" aufbereiten wollen. Erste Mission: Die Liquidierung der Hussein-Söhne.Kuma Reality Games vollendet mit dem Konzept "Play the News" in gewissem Maße nur, was schon länger angelegt war: Infotainment im Computerspielformat. Wenn schon das Fernsehen Reality-Formate ohne Ende produziert und das Pentagon die Eroberung des Irak als televisionäres Live-Spektakel für ein weltweites Publikum angelegt hat, dann lassen sich wirkliche Geschehnisse gerade auf dem Schlachtfeld, das besser als alle anderen Arenen dokumentiert und überwacht wird, oft ziemlich detailgetreu rekonstruieren, um den Zuschauer die Bühne betreten zu lassen. Warum man bei Kuma als erste Folge ausgerechnet die mit kill-over-Mentalität vollzogene Tötung der beiden Hussein-Söhne im Juli 2003 ausgesucht hat, ist freilich nicht ganz nachzuvollziehen.
Foxnews hatte sie freilich als die "die erfolgreichste amerikanische Operation nach dem Ende der großen Kampfhandlungen" bezeichnet, was möglicherweise schon ein Grund sein könnte. Damals wurden gegen die vier Personen, darunter ein Jugendlicher, die sich in dem Haus in Mossul aufhielten, eine wirkliche Übermacht aufgeboten, nachdem beim ersten Betreten drei Soldaten verwundet wurden. Dann wurde das Haus mit Maschinengewehren und Raketen vom Boden und von Hubschraubern aus beschossen. Als noch immer nicht alle tot waren und die eindringenden Soldaten erneut beschossen wurden, setzte man schließlich TOW-Raketen ein. Gesagt wird, dass Kuma mit dem Pentagon zusammen arbeitet, möglicherweise ja auch über die Beschaffung der notwendigen Informationen und des Materials hinaus. Was einer sehr engen Kooperation entgegen stehen würde, wäre der Umstand, dass die Spieler angeblich auch die "Bösen" spielen dürfen, so wurde zumindest die Absicht von Kuma im August 2003 in einem Artikel des Hollywood Reporter geschildert . Beim erfolgreichen Pentagon-Werbespiel "America's Army" hat man diese Möglichkeit verhindert.
Allerdings kann man jetzt zumindest noch nicht in die Hussein-Brüder schlüpfen, um zurück zu schießen. Vielleicht war das also doch keine so gute Idee? Nach der Beschießung des Hauses in Mossul und Liquidierung der Hussein-Söhne werden bereits weitere Episoden angekündigt: die Gefangennahme von Saddam Hussein und die Operation Anaconda, die angeblich größte Schlacht in Afghanistan. Monatlich soll es für 6,95 Dollar weitere Missionen geben. Ist ein Spiel abgeschlossen, beträgt die monatliche Gebühr 9,95 Dollar. Die Kampfszenen will man "authentisch" darstellen: von den Teilnehmern und deren Positionen über die eingesetzten Waffen bis hin zum Kampfort. Benutzt werden dazu Informationen und Bilder aus den Medien, aber auch Satellitenbilder, Filme ("exclusive raw video shot by U.S. troops") und andere Dokumente des Pentagons".Wie es sich fürs Infotainment gehört, wird das Spiel durch einen Kommentar eingeleitet, der sich anlehnt an die Berichterstattung von TV-Nachrichten. Wirkliche Hintergründe, die über die militärische "Action" hinausgehen, gibt es allerdings nicht. Thomas Wilkerson, ein ehemaliger Offizier bei den Marines, dient als militärischer Experte. Was die erste Mission "Uday and Qusay's Last Stand" betrifft, so muss bezweifelt werden, wie authentisch das "Play the News" tatsächlich ist.
Der Spieler leitet ein vierköpfiges Team und muss erst einmal die Umgebung des Hauses sichern, wobei zahlreiche Hussein-Anhänger, die im Hinterhalt lauern, erschossen werden müssen. Davon hat man freilich in den News wenig gehört, so dass hier schon einmal die triste Wirklichkeit ein wenig aufgepeppt wurde. Allerdings sollen die vom Computerspiel geleiteten Soldaten auch anders vorgehen können als in Wirklichkeit, indem sie die Brüder ohne Raketenbeschuss bekämpfen können. Aber was beispielsweise an der Gefangennahme von Saddam Hussein für Computerspieler, die Aufregung und Spannung suchen, spannend sein soll, wird interessant zu beobachten sein, wenn diese Mission von Kuma angeboten wird. Angepriesen wird jedenfalls: "Experience the toughest fighting of the war." Bei der ganzen Aktion, deren Details überdies noch gar nicht genauer bekannt sind, fiel jedoch kein einziger Schuss, Hussein hatte sich ebenso wie zwei anwesende Männer ohne Gegenwehr ergeben. Ein Problem ist für dieses Konzept vermutlich zynischerweise, dass permanent militärische Kämpfe geschehen müssen, die sich zur Umsetzung in ein Computerspiel eignen - und die vermutlich auch aus amerikanischer Sicht letztlich erfolgreiche Einsätze sein sollten. An eher banalen Einsätzen wie gegenwärtig in Haiti ist man hingegen nicht interessiert - falls nicht doch noch etwas „Aufregendes“ passieren sollte.
Dennis Wortmann: Was geschah vor der Trilogie?
Im Winter des Jahres 2003 brachte Sierra Entertainment das Spiel „Der Hobbit“ auf den Markt und sprang somit auf den noch rasend schnell fahrenden Zug mit der Aufschrift „Herr der Ringe-Fieber“ auf. Wie alles, was den Stempel Herr der Ringe trägt, vermarktet sich auch dieses Spiel ganz von allein. Die Story ist schnell erzählt, es geht um Bilbo Beutlin aus dem Auenland, der auf Gandalfs Bitten hin den Zwergen hilft ihre Schätze zurückzubekommen und den Drachen Smaug zu bekämpfen.
Mit diesem 3D-Action-Adventure liefern die Macher von Vivendi Universal Games die von Tolkien-Fans heiß ersehnte Umsetzung der Vorgeschichte zu der Herr der Ringe-Trilogie. Spielerisch tauchen alt bekannte Elemente aus dem Action-Adventure-Bereich auf, so darf man hüpfen, kämpfen, Gegenstände einsammeln und ab und an auch leichtere Rätsel lösen. Neues fördert das Spiel dabei nicht zu Tage und so bietet sich dem genreerprobten Spieler ein Spielverlauf, den er schon aus unzähligen anderen Action-Adventures, wie beispielsweise Zelda, kennt. Bilbo kämpft sich, gänzlich genreunüblich, durch graphisch sehr anspruchsvolle Landschaften, was natürlich auch hohe Systemanforderungen an den Rechner stellt. Kommentiert wird das Spiel von Bastian Pastewka, der die Stimme des Bilbo Beutlin spricht.
Die Steuerung des Charakters erweist sich ohne Gamepad als eher schwierig, da die Kombination aus Tastatur und Maus fast ein wenig überfordert.Freigegeben ist „Der Hobbit“ gemäß § 14 JuSchG ab zwölf Jahren, was wohl in erster Linie auf die, zwar sehr irreal, aber dennoch bedrohlich und brutal wirkenden Kreaturen und die vielen Kampfszenen im Spiel zurückzuführen sein dürfte. Zusammengefasst muss man das Spiel „Der Hobbit“ wohl als Durchschnittsprodukt seines Genres betrachten, an dem aber mit Sicherheit trotzdem sehr viele Spieler, gerade die Herr der Ringe-Fans, gefallen finden dürften. Festzuhalten bleibt, dass sich dieses Spieleabenteuer ohne zu glänzen ins Vermarktungsschema der Herr der Ringe-Euphorie einzugliedern weiß und dabei gleichzeitig die Herzen der Fans bedient.
Diana Leusenrink: CD-ROM zum Nationalsozialismus
Johannes Gienger, Tobias Jersak, Gerhard Hirschfeld: Nationalsozialismus – multimediale CD-ROM für Unterricht, Studium und Erwachsenenbildung (In Zusammenarbeit mit der Bibliothek für Zeitgeschichte) medialesson GmbH, als Kreislizenz, Klassensatz oder Einzelversion erhältlich. Einzelpreis: 49,90 €. Technische Voraussetzungen: Minimal: Win 98/NT 4.x/Me/2000/XP; Pentium II 266 MHz; 64 MB RAM; 16x CD-ROM-Laufwerk; Bildschirmauflösung 1024x768 Pixel; Soundkarte, Maus. Empfohlen: Pentium III 600 MHz; 128 MB RAM; 24x CD-ROM-Laufwerk. Zielgruppe: Lehrer/innen und Schüler/innen der Klassen 9-13, Referendarinnen, Erwachsenenbildungsstätten und StudentInnen.Die ehrgeizige CD-ROM mit originalen Film- und Tondokumenten, elektronischen Arbeitsblättern usw. entstand unter der Führung des erfahrenen Pädagogen Johannes Gienger und in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Beratern, Bibliotheken und Archiven. Vorweg: Sie ist wesentlich besser als das, was man von einem herkömmlichen Lehrmittelverlag auf CD-ROM augenblicklich erhalten kann. Inhaltlich und technisch hat sie einige Qualitäten zu bieten. Es wird versucht, allen Kriterien des offenen und selbstgesteuerten Lernens gerecht zu werden.
Die CD-ROM ist darauf angelegt, als alleinige Quelle und zur vollständigen Erarbeitung des Themas Nationalsozialismus eingesetzt zu werden. Die Fülle der Materialien dient dem Lehrenden zur Vorbereitung und Gestaltung des Unterrichtes, indem beispielsweise alles als Folie oder Handout für die Lernenden ausgedruckt werden kann, Originaldokumente gezeigt und elektronische Arbeitsblätter verschickt werden können. Für den Schüler gibt es zu jeder Lektion Vorschläge zu einer Vortragsstruktur und für die Vorbereitung eines Vortrages entsprechend ausführliche Texte, die wiederum mit Quellen, Dokumenten und anderen Materialien verlinkt sind, die der Lernende dann für seinen Vortrag vor der Gruppe einsetzen kann. Die CD-ROM kann entweder als Lehrmittel für die Erarbeitung, Wiederholung und Prüfungsvorbereitung zum Thema Nationalsozialismus so eingesetzt werden, dass sie den gesamten Lernprozess strukturiert und gestaltet oder sie soll nur in die Hand des Lehrers, der hier eine schier unendliche Fülle an Materialien und didaktischen Hilfsmitteln findet. In jeder Lektion stehen die bereits erwähnten Modi zur Verfügung: Präsentation, Vortragsstruktur, Arbeitsblätter, Darstellender Text, Materialien/Bilder, Videoclips, Quellen, Folienvorlage, Prüfungsaufgaben. Das beigefügte Arbeitsheft bietet eine kurze Einführung und Anleitung zur Arbeit mit den einzelnen Modi.
An verschiedenen Elementen zeigt sich die didaktische Erfahrung des Herstellers: Die zusammenfassenden Aufgaben, die Texte und ihre Platzierung, die Verknüpfung Quellentexten, Bildern und anderen Dokumenten werden hohen Ansprüchen gerecht. Es gibt außerdem drei Zusatzthemen, die Alltagswissen der Schüler aufgreifen und dieses durch zu erarbeitende Fragestellungen korrigieren oder erweitern. (Zum genauen Inhalt siehe www.medialesson.de)Insgesamt erscheint die CD-ROM vor allem sehr gut für den Einsatz im schulischen Kontext geeignet und findet sicherlich auch hier seine volle intendierte Anwendung. In der Erwachsenenbildung ist die CD-ROM zur Einführung in das Thema gut geeignet, wenn man sie in der Gruppe einsetzt, wobei gleichzeitig der Umgang mit dem Computer geübt werden kann. Für das Studium ist die Zusammenstellung sicher nicht anspruchsvoll genug. Dennoch sind die Vielfalt der multimedialen Materialien, Bilder, systematisierenden Fragestellungen sowohl für Lehrende in der Erwachsenenbildung, als auch im Studium für die Vorbereitung und Gestaltung von Vorträgen durch Studenten bestens geeignet.
Günther Anfang: Gutes Edutainment
Janosch Vorschule 1-3Windows 95/98/ME/XP, Terzio Verlag München 2003, je 19,95 €, Empfohlen ab 5 Jahren
Unter dem Motto „Fit für die Schule mit Tiger und Bär„ hat der Terzio Verlag gleich drei CD-ROMs für die Vorschule herausgebracht, die eine gezielte Förderung für Kinder bereits in der Kindergarten- und Vorschulzeit zum Ziel haben. CD 1 ist dem Themenbereich „Mathe und Logik“ gewidmet, CD 2 dem Themenbereich „Deutsch“ und CD 3 dem Themenbereich „Sachwissen“. Jede CD-ROM hält zehn Aufgaben bereit, die wiederum bis zu zehn Schwierigkeitsstufen vereinen. Dabei ist ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen nach dem Motto "Übung macht den Meister" zu durchlaufen, was den Kindern spielerisch Zahlen, Buchstaben und ein grundlegendes Sachwissen vermitteln soll. Auf der CD-ROM „Mathe und Logik“ geht es darum, Zahlen, Farben und Formen, Muster und Mengen kennen zu lernen und zuzuordnen. Ganz spielerisch können diese Fähigkeiten beim Aufräumen mit der Maus, im Raupenspiel mit Tante Gans oder auch im Wettbewerb der Protzfische geübt werden, um sie anschließend im "Spiel mit mir"-Wettkampf gegen einen weiteren Mitspieler unter Beweis zu stellen.
Mit Hilfe der CD-ROM „Deutsch“ sollen Kinder ihre sprachlichen Fertigkeiten trainieren. Ob Wörter raten mit dem Blubberfisch, Geschichten mit dem Maulwurf, Kochen mit dem Bär oder das Merkspiel mit Fuchs und Gans, die CD-ROM enthält eine Menge Anregungen, sprachliche Fertigkeiten auszubilden und zu vertiefen. Die dritte CD-ROM zum Thema „Sachwissen“ vereint verschiedene Bereiche wie Fragen zum Umgang mit Geld, die Kenntnis elementarer Verkehrsschilder, das Lesen der Uhr, das Wissen um den eigenen Körper und seine Funktionen sowie eine kleine Einführung in den Computer. Witzige Spielchen, wie das Pilzfangen oder die Maus vom Käse fernhalten, wirken einerseits entspannend und fördern andererseits neben dem Sachwissen auch das Reaktions- und Konzentrationsvermögen. Zu allen Übungen auf den CD-ROMs gelangt man über eine Landkarte oder auch auf Vorschlag von Tiger und Bär, die hilfreich durch das Spiel begleiten.
Darüber hinaus gibt es zusätzliche Features, wie das Elternprotokoll, das dokumentiert, wie weit die Sprösslinge einzelne Aufgaben bewältigt haben sowie den Elternratgeber, der unter anderem Informationen zu einem gelungenen Schulstart parat hält, Schulfähigkeit und im Zusammenhang mit dem Computer eine mögliche Vereinsamung sowie eine angemessene Spieldauer thematisiert. Insgesamt machen die CD-ROMs Kindern sicher viel Spaß, da sie lustige Geschichten mit viel Wissenswertem verpacken. Solange Eltern die CD-ROMs nicht als Trainingsprogramm verwenden, um ihren Sprösslingen bereits vor der Schule Druck in Sachen Lernen zu machen, dürften diese Edutainmenttitel eine willkommene Abwechslung auf dem heiß umkämpften Lernsoftwaremarkt sein.
Heinz-Jürgen Kliewer: Hören-lesen-hören
Beckers Roman, 1969 im Aufbau Verlag in der DDR erschienen, aber schon 1965 als Filmdrehbuch fertig, ist ein Paradebeispiel für das gar nicht so seltene Phänomen: ein Autor findet seinen festen Platz im öffentlichen Bewusstsein mit einem einzigen Titel; seine späteren Bücher wird nur noch die Literaturgeschichte verzeichnen. Kaum ein anderes Werk der DDR-Literatur hat im Westen eine ähnliche Resonanz gefunden. Dazu mag auch der berühmte DEFA-Film von Frank Beyer (1974) beigetragen haben, aber entscheidender ist wohl das Thema, eine Ghettogeschichte aus der NS-Zeit und die Art, wie sie erzählt wird. Im Angesicht des Todes sind Humor und Selbstironie lebensnotwendig, die Lüge hält die Hoffnung aufrecht; für aufmerksame LeserInnen gehören sicher auch die Reflexionen über das Erzählen zu den Passagen, mit denen das menschenunwürdige Leben für sie in tragikomischer Weise erträglich wird. Becker war im Ghetto aufgewachsen und hatte als Kind in den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen gelebt.
Von seinem Vater kannte er die Geschichte von einem Mann, der verbotenerweise im Ghetto ein Radio besaß. Erst die fiktionale Verdrehung der Realität, Jakob hat kein Radio, sondern gibt es nur vor, wird zur Grundlage des Buches.Sieht man die "Vertonung" analog zur Verfilmung als eigenständigen Text zu einem Text, dann dürfte von Intertextualität nur gesprochen werden, wenn der Text A, der Roman, zu einem Text B, dem Hörspiel verändert wird. Auch die Lesung eines Textes stellt eine Interpretation dar; allerdings bleibt der Text unangetastet (wenn er nicht gekürzt wird), allein die Stimme schränkt die Phantasie des Hörenden ein oder regt sie an. Ist das andere Medium die Stimme oder erst die CD, auf der sie festgehalten und reproduzierbar wird? Die Analyse und Beurteilung von Hörbüchern ist jedenfalls, soweit es sich um Lesungen handelt, ein sehr schwieriges Unterfangen, das für den Unterricht seinen eigenen Reiz hat. Das Problem, und das sei hier schon vorweggenommen, ist die Versprachlichung von Höreindrücken generell, also auch von Musik und Geräuschen, speziell aber von Stimmen. (vgl. Heinz-Jürgen Kliewer 2000) Außer dem Hörspiel von Wieghaus ließe sich die Lesung des Autors zum Vergleich heranziehen sowie eine Lesung von Christian Baumann u.a. (Cornelsen 2001).
Wer es noch multimedialer wünscht, findet neben dem alten Film eine Neuproduktion aus dem Jahre 1999 (auch auf DVD) mit Robin Williams in der Regie von Peter Kassovitz. Das Hörspiel "Jakob der Lügner" wurde 2002 für den Westdeutschen Rundfunk Köln produziert und auf WDR 5 gesendet; auf der Hörbuchbestenliste 3/2003 errang es den 1. Platz. Das 12-seitige Booklet enthält einen für Kinder geschriebenen Text des Autors Georg Wieghaus, in dem er knapp den Inhalt wiedergibt und die Situation in den Ghettos skizziert. Außerdem berichtet er über die Entstehung. Außer einer Zeittafel zum Ghetto Lódz (1939-1945), die in anschaulicher und leicht verständlicher Form die Situation der eingeschlossenen Juden vor Augen führt, findet sich darin u.a. das Verzeichnis der neunzehn SprecherInnen, aus denen Rudolf Wessely als Erzähler und Gerd Baltus als Jakob Heym herauszuheben sind. Die Musik von Henrik Albrecht spielen die fünf Musiker der Gruppe "Klezcetera". Da Kinder durch das Hören des ganzen Hörspiels mit seinen fast 70 Minuten überfordert wären, ist eine Gliederung in zehn Takes zwischen etwa drei und zehn Minuten sehr willkommen; auch für den Unterricht ist die Möglichkeit zum stückweisen Hören unerlässlich.
Eine ungekürzte Lesung würde etwa neun Stunden dauern; die Eingriffe in den Textcorpus müssen also erheblich sein.Der Roman ist nicht nur in eine andere Gattung und in ein anderes Medium transformiert worden, sondern - was viel tiefgreifender ist – er wurde für eine andere Zielgruppe adaptiert. Das Um-Schreiben von Erwachsenenliteratur für Kinder ist zwar durchaus üblich (vgl. ausführlich Ewers 2000, 199 ff.), aber beim Thema Holocaust eine Besonderheit. Auch bei "Jakob der Lügner" wird einerseits wieder die Frage der Zumutbarkeit diskutiert werden wie dereinst beim Bilderbuch "Rosa Weiß" (1986) von Roberto Innocenti (zum Holocaust im Bilderbuch vgl. Wyrobnik 2003) oder bei Gudrun Pausewangs "Reise im August" (1992), andererseits das Problem, wie unterhaltsam das Schreiben über den Holocaust sein darf (vgl. Ursula Kliewer 2002), welche Rolle die Komik dabei spielen darf. Das naive Kind im Buch, bei Becker die achtjährige Lina, oder das Kind in Benignis Film "Das Leben ist schön" (1997), die von den Erwachsenen über die ausweglose Realität hinweggetäuscht werden sollen, verlangen wissende LeserInnen bzw. ZuschauerInnen; nur sparsame Andeutungen dessen, was eigentlich passiert, müssen genügen, um die bedrängende Diskrepanz zwischen dem Humor an der Oberfläche und dem dargestellten Geschehen entstehen zu lassen, die drohende Vernichtung.Einsatz im UnterrichtIch habe für den Einsatz des Hörspiels ausführliche Unterrichtsvorschläge erarbeitet, die für diesen Artikel leider gekürzt werden mussten. Deshalb im Folgenden nur einige Hinweise auf Besonderheiten der Methode.
Ein paar allgemeine Empfehlungen vorweg:· Ein Roman kann nicht am Stück gelesen werden; die Verfilmung und auch die "Vertonung" sollte, wie es bei diesen Medien üblich ist, als Ganzheit aufgenommen werden. Ein häppchenweises Hören würde den emotionalen Gesamteindruck zerstören. Dass erneutes Hören einer erneuten Motivation der SchülerInnen bedarf, muss in Kauf genommen werden.· Bei der späteren Analyse ist dagegen ein geradezu mikroskopisches Vorgehen anzuraten: einzelne Takes sollten sogar mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen mehrere Male gehört werden. Noch besser ist es, wenn innerhalb des Takes vor- und zurückgesprungen werden kann, was einige Geräte ermöglichen.· Bestimmte Stellen sollten nicht wiederholt werden, um nicht Leid auszustellen, z.B. die Erschießung Herschels, die unmittelbar voraufgehende Stelle der Stimmen aus dem Eisenbahnwaggon oder die Szene als Mischa verhindert, dass Rosa ihren Eltern folgt, als sie abtransportiert werden.GattungsgesetzeJedes Lesen eines epischen Textes mit verteilten Rollen, wie es auch an Lesestücken häufig praktiziert wird, ist unter Gattungsgesichtspunkten ein Zwitter. Während im Roman nur eine Person spricht, nämlich der Erzähler, wird sie im dialogisierten Hörspiel zur Person unter anderen; im Drama gibt es keinen Erzähler! Diese Gattungsgesetze lassen sich SchülerInnen gerade an "vertonten" Büchern verdeutlichen, auch wenn es nicht ganz einfach ist.Kürzungen Kürzungen sind zwangsläufig. Was dabei auf der Strecke bleibt, sollte an ein paar Seiten bzw. Minuten geprüft werden: es ist nicht nur Prosatext, sondern der humorvolle, distanzierte Sprechton des Erzählers ist getilgt.
Andererseits ist der Erzähler aber nicht so neutral, wie er bei Wieghaus erscheint. Vielleicht können SchülerInnen erst nach einem eigenen Versuch, ein Kapitel der Vorlage zu kürzen, ermessen, wie diffizil das Umschreiben ist. ErgänzungenDiesen allerdings nur teilweise medienbedingten Auslassungen stehen Ergänzungen gegenüber. Selten werden Anreden eingefügt, um die Personen zu markieren, eine Wortwiederholung, wie sie beim erregten Sprechen üblich ist; aber dann gilt es schon, noch im Bereich der Sprache auf akustische Besonderheiten zu achten, die im geschriebenen Text nicht möglich sind bzw. umschrieben werden müssen. In Take 8 "Professor Kirschbaum" (Wieghaus 48) sind z.B. parallel das Sprechen Kirschbaums und das Schnaufen und Reinsprechen-wollen von Jakob zu hören.Musik und GeräuscheIn sehr gezielter Weise eingesetzt sind Musik und Geräusche; man hat den Eindruck, es gibt keine einzige Stelle ohne sie. Im Unterschied zu vielen Hörspielen, die nach Büchern produziert werden (und die man streng genommen nicht Hörspiele nennen sollte), sind sie nicht nur Pausenfüller oder stereotype Klangfolie, sondern folgen sehr überlegt dem Text. Ein Beispiel: Take 7 "Ein Radiokonzert", eine ideale Vorlage für ein Hörspiel, Jakob stößt gegen einen Blecheimer, das Geräusch wird mit dem Nachhall von gezupften Klaviersaiten fortgesetzt, Schnarrgeräusche werden zwischengemixt. Rolle der Rezipienten
Mit Jugendlichen kann auch die Distanz zwischen eigenem Leseanspruch und dem von Kindern reflektiert werden: Wieghaus vereinfacht die Sprache ("auf dem Territorium" Becker 8 wird zu "auf diesem Gebiet" Take 1), reduziert das Personal. Jugendliche, zwischen Kindheit und Erwachsensein stehend, werden an sich beobachten müssen, ob sie den schwarzen Humor erfassen, der den Roman durchzieht und der Kindern nicht zugemutet wird. Das ist freilich nicht nur eine Frage der Rezeptionskompetenz, sondern auch des Wissens, das sie über die Situation im Ghetto haben und das allein mit dem Nachwort im Bilderbuch bzw. mit leicht abgewandelten Schluss im Booklet (Rechtsfragen mit dem Suhrkamp-Verlag) nicht ausreichend bereitgestellt wird.
Literatu:r
Jurek Becker: Jakob der Lügner.- Frankfurt: Suhrkamp 1982 (=Bibliothek Suhrkamp 510)Jakob der Lügner. Nach dem Roman von Jurek Becker, illustriert von Lukas Ruegenberg, Textfassung von Georg Wieghaus.- Kevelaer: Butzon&Bercker 2002
Jakob der Lügner. Nach dem Roman von Jurek Becker. Hörspiel von Georg Wieghaus. Köln: WDR 5, 2002. Vertrieb: Headroom Sound Production
Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung.- München: Fink 2000Kliewer, Heinz-Jürgen: HörenSagen - Sagen hören. Zur Analyse von Kinderhörspielen. In: Karin Richter und Sabine Riemann (Hrsg.): Kinder-Literatur-"neue" Medien.- Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2000, (=Diskussionsforum Deutsch 1) S. 143-152
Kliewer, Ursula: Wie unterhaltsam darf oder muß Jugendliteratur zum Thema Holocaust sein? Fundevogel Heft 144 (2002) 51 - 64Wyrobnik, Irit: Der Holocaust im Bilderbuch.- Fundevogelo Heft 146 (2003) 5 – 19
Beitrag aus Heft »2004/02: Musik im Leben Heranwachsender«
Autor:
Heinz-Jürgen Kliewer
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Karin Ehler: Architektur im Blick
In einer Ausstellung in Berlin wird das Werk von Erich Mendelsohn gezeigt, dem großen Architekten der Moderne (1887 bis 1953), der vor allem durch seinen Einsteinturm in Potsdam einem breiten Publikum bekannt ist. Diesen baute er während seiner längsten und wichtigsten Schaffensperiode, die er von 1914 bis 1933 in Berlin verbrachte. Er hatte damals ein eigenes Büro mit vielen Mitarbeitern und schuf zahlreiche Gebäude in und um Berlin: u. a. 1922 den Einsteinturm, der als Observatorium und astrophysikalisches Institut der Erforschung der Einsteinschen Relativitätstheorie diente, 1923 das Verlagshaus Rudolf Mosse und 1930 das Kaufhaus Schocken. 1933 musste Mendelsohn vor den Nazis flüchten und emigrierte nach Amsterdam, um später nach Südfrankreich, London, Jerusalem, New York und schließlich San Francisco weiterzuziehen. Überall schuf er seine Werke, aber gerade Berlin und die Umgebung sind besonders reich an seinen Bauten. Neben seinen Werken, die auf Fotos und durch Modelle, auf Skizzen und Plänen dargestellt sind, ist ein wichtiger Teil der Ausstellung auch seinem Leben und seinen Visionen gewidmet, dabei kommt den Biografien von Erich Mendelsohn und seiner Frau Luise sowie den Memoiren von Luise Mendelsohn besondere Bedeutung zu.
Schließlich stellt die Ausstellung die Frage nach der Erhaltung und Instandsetzung der frühen, experimentellen Bauten und zeigt den heutigen Zustand einiger seiner Gebäude.Die Ausstellung der Akademie der Künste, Berlin, des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin und der Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, ist noch bis 2. Mai in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten zu sehen. Der Ausstellungskatalog kostet 35,- €.Einen kritischen (Kamera-)Blick auf die Architektur der Moderne, wie sie sich nach Mendelsohn weiterentwickelt hat, zeigt eine Ausstellung, die zur gleichen Zeit in München zu sehen ist. Aus der Perspektive des Monsieur Hulot, der Hauptperson in den Filmen des Franzosen Jacques Tati (1907 bis 1982), stellt sie die moderne Architektur und die Technisierung des Alltags als unbarmherzig und kalt dar. Jacques Tati hat fünf Kinofilme gedreht und dafür mehrere Preise (Grand Prix du Cinéma Francais, Academy Award, César) gewonnen: „Jour de Fete“ (Das Schützenfest, 1949), „Les Vacances de Monsieur Hulot“ (Die Ferien des Monsieur Hulot, 1953), „Mon Oncle“ (Mein Onkel, 1958), „Play Time“ (Tatis herrliche Zeiten, 1967) und „Trafic“ (Tati im Stoßverkehr, 1971). Monsieur Hulot, ein schüchterner, liebenswerter Mann mit Hochwasserhosen und Regenschirm und von Tati selbst gespielt, verzweifelt darin immer wieder an den Tücken, die das Leben in der modernen Großstadt und im absurd technisierten Haushalt mit sich bringt: Küchen, die alleine arbeiten, aber den Menschen überfordern und seine Bedürfnisse ignorieren, Verkehrsmassen, die in absolutem Chaos enden, gigantische Hochhäuser und sterilgläserne Bürocontainer, die die Bewohner und Arbeiter in der Anonymität verschwinden lassen bzw. sie der permanenten Beobachtung ausliefern – so beschreibt Tati das Leben in seinen Filmen und macht dadurch seinem Publikum die Probleme der Modernisierung bewusst. Tati hat dafür mit dem Filmarchitekten Jacques Lagrange zusammengearbeitet.
Nicht nur die Technisierung und die Gebäude sind im Film gigantisch, auch die Kosten sind es: Bei der Filmarchitektur für „Play Time“ musste er sich so sehr verschulden, dass seine Produktionsfirma in Konkurs gegangen ist und er selbst die Nutzungsrechte an seinen Filmen verloren hat.Die Ausstellung ist analog zu Le Corbusiers „Charta von Athen“ gegliedert, weil deren Leitbegriffe Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Freizeit und Kultur nach dem zweiten Weltkrieg oft Wiederaufbau und Neubau der Städte prägten; ein prägnantes Beispiel dafür ist die Konstruktion von Brasiliens Hauptstadt Brasilia. Exponate sind Standbilder, Fotos, Zeichnungen, ein Modell der Villa Arpel aus dem Film „Mon Oncle“ und Filmdokumente. Täglich werden „Mon Oncle“ und „Play Time“ im Ausstellungskino gezeigt. Die vom Institut francais d’architecture/Cité de l’architecture et du patrimoine erarbeitete und in Kooperation mit „Les Films de Mon Oncle“ und dem Institut National Audiovisuel in Paris produzierte Ausstellung wird vom Architekturmuseum der TU München präsentiert. Sie ist noch bis zum 2. Mai zu sehen in der Pinakothek der Moderne, Kunstareal, Barer Straße 29, 80799 München. Der Ausstellungskatalog kostet 12 €.
Tilmann P. Gangloff: Viel Spaß mit Bob
Am Anfang war selbst das Mutterhaus skeptisch. Im Internet lasse sich kein Geld verdienen, und mit „paid content“, mit Inhalten also, für die der Nutzer zahlen muss, schon mal gar nicht. Branchenexperten prognostizierten allenfalls 3.000 Kunden. Ein Jahr später hat der Kindersender Super RTL alle Skeptiker eines Besseren belehrt: Das Lernangebot des Marktführers im Bereich Kinderfernsehen, der toggolino Club (www.toggolino.de), schreibt schon nach zwölf Monaten schwarze Zahlen. Matthias Büchs, als „Director Operations“ bei Super RTL gewissermaßen Bindeglied zwischen Programmgestaltern und Vermarktern, verrät das Erfolgsgeheimnis des Clubs: Im Unterschied zu vergleichbaren Internet-Angeboten verfügt Super RTL natürlich über eine bei der Zielgruppe ungemein prominente Werbeplattform. Gerade im Umfeld jener Sendungen, deren Helden auch auf toggolino.de eine Hauptrolle spielen, wird nach Kräften auf den Club hingewiesen. Das Werbevolumen entspricht laut Büchs einem siebenstelligen Betrag. Weil aber alles in einer Hand bleibt, handelt es sich um eine „Opportunitätsrechnung“: Dank der Cross-Promotion fließt kein einziger Cent. Für zusätzliche Reize sorgen die Werbepartner des Senders; so belohnte zum Beispiel Spielzeughändler my.toys neue Abonnenten mit Einkaufsgutscheinen. Bei den Kindern hatte Super RTL natürlich leichtes Spiel, doch es galt ja vor allem, die Eltern zu überzeugen; schließlich ist der Mitgliedsbeitrag mit 59 Euro pro Jahr nicht billig. Bislang sind rund 35.000 Familien der Meinung, dass der Toggolino Club sein Geld auch wert ist.
Tatsächlich bezieht sich die Kritik von Abonnenten, die ihre Mitgliedschaft gekündigt haben, in erster Linie auf den Preis; das Angebot selbst kommt bei Kindern und Eltern offenbar gleichermaßen gut an. Kein Wunder: Der Toggolino Club bietet im Prinzip ganz ähnliche Möglichkeiten wie eine gute Lern-CD-ROM, für die man im Laden auch gut und gern dreißig Euro bezahlen muss. Der Unterschied: Unter toggolino.de gibt’s gleich eine Vielzahl von Optionen. Rund um Super-RTL-Figuren wie Bob, den Baumeister, die kleinen Planeten Bing und Bong oder Barney, den freundlichen lila Drachen, können Vorschul- und Grundschulkinder ihre Geschicklichkeit testen und Rätsel oder Rechenaufgaben lösen. Trainiert werden dabei nicht nur die kleinen grauen Zellen, sondern auch der Umgang mit der Computermaus. Und weil die Spiele pädagogisch auch mal ein bisschen unkorrekt sind – so muss man zum Beispiel dem frechen Knolle aus „Bob, der Baumeister“ möglichst oft auf die Tonne hauen -, haben die Kinder viel Spaß dabei. Die Kinder nutzen den Toggolino Club nach Angaben von Büchs zwei- bis dreimal pro Monat; angesichts der Gebühren relativ selten also. Andererseits würden viele der Spiele auch ihren Reiz verlieren, wenn man sich täglich im Club tummelte. Büchs betont allerdings, dass das Angebot ständig erweitert „und deshalb nie langweilig“ werde. Trotzdem bewegten sich die Kosten im überschaubaren Rahmen.
Da die Einnahmen 2,1 Millionen Euro betragen und der Club schwarze Zahlen schreibt, dürften die Ausgaben zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro liegen. Tatsächlich setzen die Club-Angebote, wie Büchs es formuliert, „sowohl inhaltlich als auch technisch auf bestehende Strukturen“ auf. Die Sprecher zum Beispiel sind die gleichen wie bei den TV-Serien; sie müssen für die Sprachaufgaben für Toggolino nicht eigens ins Studio kommen. Weitaus größere Kosten wird wohl der Kundenservice verursachen, schließlich musste Super RTL ein eigenes Call-Center einrichten. Dort dürfte man vor allem zwischen 18 und 21 Uhr viel Arbeit gehabt haben: Zu dieser Uhrzeit erfreut sich der Toggolino Club offenbar der größten Nachfrage, denn hin und wieder gab es doch einige Server-Probleme. Die seien aber, versichert Büchs, mittlerweile behoben. Dem guten Ruf hat es ohnehin nicht geschadet: 90 Prozent der Eltern gaben in einer Befragung an, sie würden den Club weiterempfehlen. Sie schätzen nicht zuletzt die Sicherheit: toggolino.de ist ein geschlossener Bereich, Kinder können ihn nur mit einem Passwort verlassen.
Michelle Bichler: Japanische Zeichentrickserien im deutschen Fernsehen
Der japanische Zeichentrick (Anime) ist in den letzten Jahren nicht nur aufgrund seines enormen Erfolges im deutschen Kinderprogramm und dem damit einhergehenden Mehr an Anime-Cartoons in aller Munde, sondern löste durch Kassenschlager wie Pokémon oder DragonBall Z auch harsche Kritik und zahlreiche Diskussionen um seine allgemeine Zulässigkeit und seine Wirkung auf das kindliche Publikum aus. Scheint der Importboom japanischer Trickserien auf den ersten Blick ein neueres Phänomen zu sein, so muss dem bei genauerer Betrachtung jedoch widersprochen werden, da Anime seit mehr als zwei Jahrzehnten einen fixen Sendeplatz im deutschen Fernsehprogramm haben. Serien wie etwa Biene Maja (1975), Captain Future (1977), Heidi (1974) und Nils Holgersson (1979) sind allesamt japanischen Ursprungs, wurden in den späten 1970er Jahren billig erworben und begeisterten schon damals das deutsche Fernsehpublikum; sie wurden jedoch in der Regel nicht als japanische Produktionen erkannt bzw. wahrgenommen. Dies kann hauptsächlich darauf zurückgeführt werden, dass die Serien einerseits zum Großteil auf literarischen Vorlagen europäischen Ursprungs basierten – den ersten nach Deutschland importierten Cartoons fehlte es an „japanischen“ Inhalten –, und andererseits eine wichtige Entwicklung am japanischen Comic-Sektor zu dieser Zeit noch nicht vollständig ausgereift war – die Etablierung der so genannten „Story-Manga“1 des Pioniers Osamu Tezuka sowie dessen Revolutionierung der Zeichentechnik durch Verwendung filmtechnischer Effekte. Viele Merkmale, die heute japanischen Anime zugeschrieben werden, sind auf diese Elemente zurückzuführen (vgl. Poitras 2001, S. 18). Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass Anime in den 1960er und -70er Jahren in Japan begannen, sich vom universal üblichen Kindergenre wegzuentwickeln. Die Cartoon-Fans wurden älter und verlangten nach entsprechenden Themen.
Mit der Etablierung von Trickserien für Erwachsene brach Japan demnach mit der allerorts (auch in Deutschland) zu findenden Tradition der Gleichsetzung von Zeichentrick und Kinderprogramm. Diese thematische Ausdifferenzierung wurde jedoch außerhalb Japans nicht oder nur teilweise registriert, weshalb die derzeitigen Diskussionen rund um die negative Wirkung von Anime auf die jungen Zuseher rückblickend nicht verwunderlich sind, sondern im Gegenteil absehbar waren, da die Sendeanstalten, welche die Lizenzen zur Ausstrahlung von den ostasiatischen Trickserien erwarben, nach wie vor davon ausgingen, dass Zeichentrickproduktionen – egal welcher Herkunft – für Kinder gemacht sind (vgl. Bichler 2002). Der Durchbruch mit Pokémon und SailormoonBis Mitte der 1990er Jahre griffen deutsche Sendeanstalten demnach vor allem für ihr Kinderfernsehprogramm regelmäßig auf japanische Zeichentrickgeschichten zurück, doch kam es zu keinen einschneidenden Angebots- oder Nutzungsveränderungen. Anime liefen als solche unerkannt neben hauptsächlich amerikanischen und deutschen Zeichentrickproduktionen. Dies änderte sich schlagartig mit der Einführung von in Japan erfolgreichen Serien wie Sailormoon, Pokémon und Dragonball (Z) im Programm des Spartensenders RTL 2 – nicht zuletzt aufgrund ihrer umfassenden Vermarktungs- und Merchandisingstrategien. Die jungen Zuschauer waren fasziniert und begeistert von den actiongeladenen, spannenden Geschichten, die formal sowie inhaltlich deutliche Unterschiede zu bekannten Zeichentrickserien aufwiesen, und bestimmte Anime-Serien hielten sogar Einzug in den Alltag der Kinder (vgl. Paus-Hasebrink/Lampert 2003, S. 28; Götz/Ensinger 2002).
Somit setzten einerseits die bislang stattfindenden Diskussionen um die Problematiken japanischer Zeichentrickserien ein (sehr intensiv fanden diese am Beispiel der Serie Dragonball Z statt), und gleichzeitig wuchs die Angebotspalette an Anime-Serien im deutschen Fernsehen an. Während Sendeanstalten, die bislang keine japanischen Trickserien ausstrahlten, Anime in ihr Programm einbauten, boten jene Sender, die bereits entsprechende Sendungen vertrieben, noch mehr japanische Zeichentrickserien an und kreierten sogar zum Teil ganze Anime-Programmflächen (wie etwa RTL 2). Wohlgemerkt wurde jedoch auch Ende der 1990er Jahre nach wie vor davon ausgegangen, dass alle Anime Kinderserien waren – die japanischen Trickgeschichten wurden somit ohne Ausnahme im Kinderprogramm der jeweiligen Sender ausgestrahlt.Mit immer lauter werdenden Protesten gegen manche Anime-Serie und ihre Platzierung im Fernsehprogramm sowie mit Gutachten und Studien zu deren Wirkungsaspekten (Paus-Haase/Lampert 2002; Götz/Ensinger 2002) wurden die Programmverantwortlichen langsam gewahr, dass japanische Cartoons auch für ältere Zielgruppen konzipiert sein können und bestimmte Geschichten dadurch nichts im Kinderprogramm zu suchen haben.
Dies zeigte sich daran, dass Sender wie MTV, VOX und VIVA in den letzten drei Jahren begonnen hatten, regelmäßig Anime für ältere Zuseher auszustrahlen – auch in Form von „Anime-Abenden“ (vor allem auf VOX), in welchen mehrere Episoden einer speziellen Serie hintereinander geschaltet wurden. Anime auf allen Kanälen Im derzeitigen deutschen Fernsehen lassen sich insgesamt fünfzehn unterschiedliche Sendeanstalten ausmachen, in deren Programm zumindest eine Anime-Serie zu finden ist. Auffällig ist, dass vor allem Privatsender und Pay-TV-Programme auf fernöstliche Trickserien zurückgreifen. Die Spitzenreiter unter den Anime-Anbietern sind Junior (Premiere), Fox Kids (Premiere), RTL 2 und Tele 5 – Sender, die sich vorrangig an Kinder und Jugendliche richten bzw. die Anime im Kinderprogramm ausstrahlen. Auffällig ist, dass nicht selten in Form von Programmflächen konzeptioniert wird – egal welche Zielgruppen angesprochen werden sollen (siehe RTL 2 oder VOX). Einzelne Sendungen werden, unabhängig von Sender und Sendeplatz, sehr rasch und offensichtlich beliebig ausgetauscht und durch neue ersetzt – Aus- und Abwechslung scheint das Erfolg versprechende Rezept zu sein.
Und dem ist nicht zu widersprechen, wenn man bedenkt, dass einst „boomende“ Serien wie Pokémon oder Dragonball Z bei den Kindern bereits zum Alltag gehören und neue wie etwa Yu-Gi-Oh! oder Beyblade verstärkt um die Aufmerksamkeit der Kinder buhlen – auch in den Verkaufsregalen. Eine rasche Berg- und Talfahrt also, wirft man etwa einen Blick auf die Hitliste der 3- bis 13-Jährigen im Jahr 2002, in welchem Dragonball Z immerhin Rang 1 der beliebtesten bzw. meistgesehenen Sendungen belegte. (Lambrecht 2003)Der Trend geht demnach deutlich in Richtung Ökonomisierung. Neue Serien gehen einher mit neuen Begleitartikeln, die natürlich, will man ein echter Fan sein, erstanden werden müssen. Die Sender beleben in enger Kooperation mit der Werbeindustrie – und dies ist hier entscheidend – durch das kontinuierliche Wechseln an Anime-Serien die Wirtschaft.
Anmerkung1 In „Story-Anime“ werden erstmals längere Fortsetzungsgeschichten zu allen erdenklichen Themengebieten mit sich weiterentwickelnden Charakteren geschildert. Die damals gängige Episodenstruktur wurde zugunsten „eines durchgehenden, handlungsbetonten Erzählkonzepts“ (Berndt 1995, S. 48) aufgebrochen.
Literatur:
Berndt, Jaqueline (1995): Phänomen Manga. Comic-Kultur in Japan. Berlin: Edition q
Bichler, Michelle (2002): Anime sind anders. Produktanalytischer Vergleich japanischer und amerikanischer Zeichentrickserien. Diplomarbeit, Universität Salzburg [unveröffentlichtes Manuskript]
Götz, Maya/Ensinger, Carolina (2002): Faszination Dragon Ball (Z): Zwischen starken inneren Bildern und Aggressionsbereitschaft. Eine qualitative Studie zur Bedeutung von Dragon Ball Z für Kinder und Pre-Teens (6 bis 15 Jahre). In: www.izi.de. München: IZI (aufgerufen am 17.11.2003)
Lambrecht, Clemens (2003): Programmangebot in der Nutzungsperspektive der Kinder. Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen 2002. In: www.kinderfernsehforschung.de/bestand/Arbeitsbereiche/6-Nutzung/2002/Nutzung2002.htm (aufgerufen am 17.11.2003)
Paus-Haase, Ingrid/Lampert, Claudia (2002): Gutachten zu DragonBall und DragonBall Z im Hinblick auf die Darstellung von Gewalt und sexuellen Inhalten. Unveröffentlicht. Salzburg und Hamburg (unter Mitarbeit von Michelle Bichler und Eva Hammerer)
Paus-Hasebrink, Ingrid/Lampert, Claudia (2003): Dragonball und Dragonball Z: Action, Abenteuer, Anime. Action-Animes – eine neue Generation von Action-Cartoons. In: merz, 2/2003, S. 28–31
Poitras, Gilles (2001): Anime Essentials. Every Thing A Fan Needs To Know. Berkeley/ California: Stone Bridge Press
Tilmann P. Gangloff: Töten Soldaten gerne?
Manchmal genügen ein paar provokante Thesen, um helle Empörung bei einem bis dahin disziplinierten Publikum einer Medientagung zu wecken. „Lernen mit dem Fernsehen?“ war das Thema. Das Fragezeichen im Titel dürften die versammelten Redakteure für Kinderfernsehen allerdings als reine Rhetorik empfunden haben. Dass Sendungen wie „Wissen macht ah!“ oder „Willi wills wissen“ jede Menge Wissen verbreiten, steht für sie selbstredend außer Frage. Und dann kam Stefan Aufenanger. Mit wenigen Worten machte der renommierte Erziehungswissenschaftler (Universität Hamburg) sämtliche Selbstgefälligkeit zunichte: In den Informationsmagazinen für Kinder gehe es immer bloß um Naturwissenschaften, Umwelt oder Tiere, kritisierte er. Auf diese Weise entstehe ein völlig einseitiges Bild der Welt. Kinder bräuchten aber soziales Wissen, um für die Probleme der Zukunft gewappnet zu sein: „Warum gibt es Krieg, warum streiten sich Eltern?“ Und die Frage aller Fragen: „Warum darf ich nicht fernsehen?“ Die Sendungen, forderte Aufenanger, sollten nicht Kenntnisse vermitteln, sondern Erkenntnisse. Kinder sollten Lernen lernen, das sei viel wichtiger als Fakten; die könnten sie sich auch von CD-ROMs besorgen. Und die Moderatoren im Kinderfernsehen findet Aufenanger oberlehrerhaft.Das Publikum war empört. Die große Mehrheit der über hundert Teilnehmer dieser vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) veranstalteten Tagung waren Redakteure, Produzenten oder Autoren. Entsprechend hoch her ging’s nach Aufenangers provokanten Thesen.
Dadurch blieb eine Studie undiskutiert, die IZI-Leiterin Maya Götz unmittelbar zuvor vorgestellt hatte, und die Aufenangers Ausführungen nachdrücklich bestätigte. Die IZI-Mitarbeiter hatten in der ersten Woche des Irak-Krieges 87 Kinder gebeten, ihre Gefühle und Fantasien zum Krieg zu beschreiben und zu malen. Außerdem sollten sie die Berichterstattung im Fernsehen bewerten.Die Kinder in Deutschland, so Götz’ Fazit, sahen in den Amerikanern die Angreifer, die mit hinterhältigen Tricks arbeiten und mit einem Lächeln Morde begehen. Von der Berichterstattung über den Krieg hätten sie sich mehr Informationen erwartet, gerade auch über die Lage der Menschen im Irak. Grundsätzlich standen sie dem Krieg ablehnend gegenüber. Natürlich spiegeln die Bilder und Aussagen der Kinder auch die ablehnende Haltung innerhalb der Familien wieder. Gerade die Zeichnungen, so Götz, wiesen aber eindeutig auf Medienspuren hin, zumal die Fernsehnachrichten die Hauptinformationsquelle der Kinder waren. Sie haben sich dabei aus vielen Bruchstücken – hier lachende oder jubelnde Soldaten, dort Meldungen über den Tod von irakischen Zivilisten – ihr eigenes Bild vom Krieg gemacht.Die meisten Kinderzeichnungen zeigen Bilder vom „entmenschlichten Krieg“. Oft sind nur Flugzeuge und Bomben zu sehen. Teilweise fliegen Flugzeuge in Hochhäuser, ein klarer Hinweis darauf, wie Kinder mit der Hilfe von Fernsehbildern versuchen, sich eine Vorstellung von der Realität zu machen. Wo Menschen zu sehen sind, gibt es eine klare Rollenverteilung zwischen Angreifern und Opfern.
Zwar ahnten die Kinder, dass auch mit Saddam Hussein irgend etwas nicht stimmt („der ist eigentlich auch schlimm“), doch der Bösewicht in der Auseinandersetzung ist eindeutig George Bush. Ein Bild der neunjährigen Julia zeigt US-Soldaten, die mit einem Lachen im Gesicht auf ein Kind zielen. Praktisch alle Zeichnungen, so Götz, deuteten darauf hin, dass die Berichterstattung über den Irak-Krieg bei den Kindern sehr unausgewogen angekommen sein müsse. Die Zeichnung der Kindermörder belege, dass Julia eine wichtige Information gefehlt habe: „Soldaten töten vielleicht gar nicht gern“. Die Kinder legten Wert darauf, dass das Fernsehen nichts beschönigen solle: „Ich würde zeigen, wie die Bomben einfallen, damit die Leute wissen, wie schlimm das ist, was da alles passiert“, findet der zehnjährige Pepe. Die Zeichnungen zeigen allerdings, dass den Kindern die Dramatik bewusst war. In einem Bild verabschiedet sich eine Mutter in einem brennenden Haus von ihrer geretteten Tochter, indem sie ihr ihren Teddybären zuwirft. Für Götz zeigen die Ergebnisse der Studie, dass es „einer gezielten Unterstützung der Kinder durch eine kindernahe, reflektierte Berichterstattung bedurft“ hätte, die zum Beispiel Hintergrundinformationen über Saddam Hussein zur Verfügung stellt und auch grundlegende Fragen nicht scheut: „Warum gibt es Krieg? Töten Soldaten gerne?“. Ähnliche Untersuchungen wurden in Österreich, den Niederlanden, Israel und den USA durchgeführt. Ihre Ergebnisse werden im Rahmen des internationalen Fernsehfestivals „Prix Jeunesse“ (ebenfalls in München) im kommenden Juni vorgestellt. Im Zentrum der Tagung stand jedoch die Frage, ob die Zielgruppe das Angebot der Informationsvermittlung nutzt und ob Sendungen wie „Willi wills wissen“ (Bayerischer Rundfunk) oder „Wissen macht Ah!“ (WDR) tatsächlich Wissen vermitteln können.
Kika-Programmgeschäftsführer Frank Beckmann zeigte sich überzeugt, dass die entsprechenden Magazine Neugier weckten und Kreativität förderten. Beckmann wies darauf hin, dass diese Sendungen wie auch die Kindernachrichten „logo!“ gerade in der Zeit nach 19 Uhr ein großes Publikum fänden, weshalb die Sendezeitausweitung des KI.KA bis 21 Uhr keinesfalls rückgängig gemacht werden dürfe, wie von einigen Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Eine weitere IZI-Studie mit 300 Kindern belegte den Lerneffekt der Wissensmagazine: Noch Wochen später waren die Befragten in der Lage, Details aus den Sendungen wiederzugeben und ganze Szenenfolgen zu beschreiben. Entscheidenden Einfluss auf solche Lerneffekte, so die Münchener Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik, Angelika Speck-Hamdan, hätten die Lernumgebungen. Die Sendungen müssten sich auszeichnen durch Lebensnähe und eine klare Strukturierung, sie müssten viele Anknüpfungspunkte bereit halten, Lernwege vorstrukturieren und „Anker setzen“. Die IZI-Mitarbeiter hatten die Aufmerksamkeitswerte der Kinder codiert. Daher konnte Maya Götz exakt beschreiben, wann die kindliche Aufmerksamkeit am größten ist: „in Szenen, die ästhetisch attraktiv oder für den Sympathieträger wichtig sind“. Wichtig für die Memorierung sei außerdem die Gleichzeitigkeit von Bild und Ton sowie die Heraushebung von Elementen, etwa durch Kreise. Bei langen Erklärungen hingegen oder Gesprächen zwischen Erwachsenen sank die Aufmerksamkeit der Kinder rapide, wovon sich die Tagungsteilnehmer aus erster Hand überzeugen konnten: Unter dem Motto „Screening the Screening“ wurden nicht nur die besprochenen Sendungen projiziert, sondern gleichzeitig auch die Reaktionen der Zielgruppe.
Tilmann P. Gangloff: Lizenz zum Gelddrucken - Reklame in Kinofilmen
Es wird immer teurer, dem Kinopublikum ein paar schöne Stunden zu bescheren. Obwohl Warner Bros. die Teile zwei und drei von „Matrix“ an einem Stück produziert hat, kostete der Doppelfilm 300 Millionen Dollar. Bei Unsummen wie diesen liegt es nahe, dass sich die Produzenten rückversichern: Man weiß ja nie, ob solche Sequels den Erfolg ihrer Vorläufer wiederholen können. Da sich vermutlich selbst in London keine Versicherungsagentur finden lässt, die einen potenziellen Kinoknüller gegen ausbleibende Zuschauerscharen versichern würde, müssen die Hollywood-Studios ihre Schäfchen schon im Vorfeld ins Trockene bringen. Der Film selbst ist dann bloß noch eine gigantische Werbeaktion für all die Alltagsutensilien, in die die Besucher noch weiteres Geld investieren sollen.Doch die Blockbuster vermarkten nicht nur Spiele, CDs und T-Shirts zum Film. Immer öfter gibt es auch ganz unverhohlene Schleichwerbung, in der Branche schönfärberisch „Product Placement“ genannt. Im neuen Film „Looney Tunes“ machen sich Bugs Bunny und Duffy Duck sogar über diese Unart lustig, als mitten in der Wüste wie eine Fata Morgana plötzlich eine Filiale der amerikanischen Supermarktkette Wal-Mart auftaucht. Mitunter ist die Reklame wenigstens dramaturgisch gerechtfertigt, weil beispielsweise James Bond nun mal mit sportlichen Flitzern unterwegs zu sein pflegt. Doch ganz gleich, ob Aston Martin oder BMW: Der Werbeeffekt ist unbezahlbar.Geld kostet es trotzdem, denn die Produzenten lassen sich die prominenten Platzierungen gut bezahlen. Bei „Matrix“ trugen unter anderem Firmen wie Spieleanbieter Atari, die Plattenfirma Wea und ein Brillenhersteller ihren Anteil zu den Produktionskosten bei.
Allein die Lizenz für das Computerspiel „Enter the Matrix“ bescherte Warner Bros. die Rekordsumme von 47 Millionen Dollar. Im Gegenzug brauchten die Spielemacher bloß noch die Vorlage der „Matrix“-Macher Andy und Larry Wachowski umzusetzen, die auch für das Spiel ein detailliertes Drehbuch geschrieben hatten.Die Produktionskosten für das Computerspiel lagen bei 60 Millionen, die Kosten für die Reklame dürften ebenfalls im achtstelligen Bereich gelegen haben. Doch der Aufwand hat sich aus Sicht der Hersteller gelohnt: Binnen kurzer Zeit wurde „Enter the Matrix“ mit 2,5 Millionen verkauften Exemplaren zum Kassenschlager.Kein Wunder, dass alle Beteiligten diesen Erfolg mit dem nächsten Kassenknüller wiederholen wollen: Am 17. Dezember startete weltweit der dritte Teil von „Herr der Ringe“. Allein in Deutschland ist „Die Rückkehr des Königs“ mit mindestens tausend Kopien in die Kinos gekommen. 26 Lizenznehmer wurden hierzulande bereits gefunden, darunter neben Karstadt, Pepsi und den unvermeidlichen Überraschungseiern auch ein Wursthersteller sowie die Motorradfirma Harley Davidson, die Maschinen im Design der Filme anbietet.Weil sich die beiden Fantasy-Filme „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ in den letzten Jahren an Weihnachten gegenseitig Konkurrenz gemacht haben, bringt Warner Bros. den dritten Potter-Film erst im Juni 2004 in die Kinos.
Das Vermarktungsgeschäft kann das Hollywood-Studio allerdings jetzt schon abschreiben: Vom Merchandising-Boom bei „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001) wird nicht mehr viel übrig bleiben. Viele der Produkte sind wie Blei in den Regalen liegen geblieben. Der kurz zuvor an die Börse gegangene Achterbahn-Verlag musste im Jahr darauf sogar in die Insolvenz. Die Firma, einst groß geworden durch die Abenteuer des trinkfesten Comic-Helden „Werner“, hatte allein 120 Einzelrechte für „Harry Potter“ erworben.Immerhin sorgte Lego mit dem Hogwarts-Schloss für das meistverkaufte Konstruktionsspiel des Jahres. Auch Modelleisenbahn-Hersteller Märklin hofft auf gute Umsätze mit einer Nachbildung des „Hogwarts-Express“. Alle anderen hatten das Nachsehen. Kardinalfehler bei der Produktplanung: Die meisten Lizenzen richteten sich an Kinder, doch die Mehrzahl der Potter-Fans ist mindestens im Handy-Alter. Wie hoch die Kaufkraft dieser Zielgruppe, Menschen zwischen 14 und 29 Jahren, eingeschätzt wird, zeigt ein teurer Deal der „Matrix“-Produzenten: Der koreanische Elektrohersteller Samsung ließ es sich ein ordentliches Vermögen kosten, dass Neo und seine Freunde in „Matrix Reloaded“ die mobilen Telefone von Nokia gegen jene von Samsung eintauschten. Ein Geschäft, das sich ausgezahlt haben dürfte, denn Telefone spielen in den Filmen beim Wandern zwischen den Welten eine entscheidende dramaturgische Rolle.
Hartmut Warkus / Thomas Jacob: Rätselhafte Geschichten
Die deutsche Übersetzung von Adventure lautet „Abenteuer“. Und Abenteuer müssen die Protagonisten in diesem Spielegenre auch regelmäßig bestehen. Allerdings nicht durch Geschicklichkeit und Feuerkraft wie in Actionspielen, sondern durch logisches Kombinieren und das Lösen von Rätseln. Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit anderen Spielfiguren und das Verbinden und richtige Einsetzen von gefundenen Gegenständen. Adventures sind mehr oder weniger eine Abfolge von Rätseln, die in eine Geschichte verpackt sind. Die Darstellung dieser Geschichten aber hat sich seit den Anfängen vor über zwanzig Jahren stark verändert. Die Entwicklung des Genres spiegelt auch die Evolution von Computerspielen im Allgemeinen wider. Spielspaß ohne GrafikDie ersten Abenteuerspiele, gleichzeitig auch einige der ersten Computerspiele überhaupt, waren Textadventures, auch als „Interactive Fiction“ bezeichnet. Eine äußerst treffende Bezeichnung, denn die Spiele gleichen Büchern, in denen der Leser den Fortgang der Handlung selbst bestimmt. Und zwar Bücher ohne Bilder, denn Textadventures kommen völlig ohne jede Grafik aus. Die Spielewelt wird mittels Text beschrieben, und der Spieler gibt seine Aktionen als Textbefehle ein. Mittels mehrerer einfacher Befehle untersucht der Spieler hier das Fenster, öffnet es, steigt hinein, nimmt eine Flasche Wasser und versucht, daraus zu trinken, worauf ihn das Programm darauf hinweist, die Flasche doch erst zu öffnen. Die Szene stammt aus dem Spiel „Zork“, das 1980 von der Firma Infocom veröffentlicht wurde. „Zork“ und seine beiden Nachfolger hatten noch keine nennenswerte Handlung, der Spieler durchstreifte ein riesiges Höhlenlabyrinth auf der Suche nach Schätzen.
Schon bald veröffentlichte Infocom aber auch Spiele mit ausgefeilten Storys aus verschiedensten Genres: unter anderem Detektivgeschichten sowie Science- Fiction- und Fantasyabenteuer.Im heutigen Zeitalter von fotorealistischen Grafiken muten Textadventures wie Relikte aus der Computersteinzeit an. Und doch sind sie zeitloser als alle anderen Computerspiele, denn jede noch so gute Grafik gilt schnell als veraltet; Interactive Fiction dagegen lässt die Bilder in der Fantasie des Spielers entstehen. Was die Infocom-Spiele von anderen Textadventures abhob und zu Verkaufsschlagern machte, war die literarische Qualität der Prosa sowie die Flexibilität des so genannten „Parsers“. Der Parser ist der Teil des Programms, der die Eingaben des Spielers interpretiert und umsetzt. Während die meisten anderen Textadventures lediglich Zwei-Wort-Befehle verstanden („open door“), kamen Infocom-Spiele auch mit komplexen Eingaben wie „take the green bottle from the table, then open it and drink water“ zurecht.Technische WeiterentwicklungDer Stern von Textadventures begann Mitte der 1980er Jahre rapide zu sinken. Die Leistungsfähigkeit von Heimcomputern erlaubte es mittlerweile, auch bunte und bewegte Grafiken in Adventures einzubauen. Die Spieler waren fasziniert von den neuen Möglichkeiten, reine Textadventures waren plötzlich kaum noch gefragt. Am erfolgreichsten waren die Spiele der Firma „Sierra“.
Spiele wie „King’s Quest“, „Space Quest“ und „Larry“ und ihre vielen Nachfolger verkauften sich millionenfach. Trotz der neuen, bunten Abenteuerwelten mussten Befehle aber weiterhin, wie in reinen Textadventures, mit Hilfe der Tastatur eingegeben werden. Das änderte sich erst mit den Adventures der Firma „LucasArts“, wie zum Beispiel „Maniac Mansion“ oder der „Monkey Island“-Serie, die auf eine komfortable Maussteuerung ausgelegt waren. Auch die Grafiken und Sounds wurden stetig verbessert, durchgehende Sprachausgabe wurde zum Standard, mehr und mehr konnte man von interaktiven Cartoons statt Büchern sprechen. Mitte der 1990er Jahre erschienen dann auch Spiele mit echten Schauspielern und Filmsequenzen. Das große Manko dieser Spiele war die stark eingeschränkte Interaktivität: Man hangelte sich mit einigen Puzzles von einem Filmchen zum nächsten, die mit meist schlechten Schauspielern und billigen Kulissen nervten. Das merkten recht schnell auch die Spieler, und die so genannten „Interactive Movies“ verschwanden nach kurzer Blütezeit wieder vom Markt.Rückzug ins Nischendasein Doch auch die „klassischen“ Adventures haben es seit einigen Jahren äußerst schwer.
Mit dem Siegeszug der 3D-Shooter schwand das Interesse der Käufer an den eher gemütlichen Denkspielen. Jahrelang erfolgreiche Reihen verkauften sich nicht mehr und wurden eingestellt. Heute kommen nur noch sehr wenige „klassische“ Adventures heraus, meist von kleinen Entwicklerstudios. Äußerst erfolgreich sind dagegen Spiele, die Adventureelemente mit Actionspielen vermischen. Bekanntestes und erfolgreichstes Beispiel ist die „Tomb Raider“-Serie. Lara Croft, die Heldin des Spiels, muss nicht nur rennen, springen und schießen, sondern zwischendurch auch kleine Knobeleien lösen und die richtigen Schalter betätigen. So komplex wie in klassischen Adventures sind die Rätsel aber nie.
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor:
Hartmut Warkus,
Thomas Jacob
Beitrag als PDF
Sophie Anfang: Schätze suchen in Schmuggler Bucht? - Lieber nicht!
Ich sehe was ... Die große SchatzsucheTerzio, ISBN-Nr. 3-932992-13-x, Systemvoraussetzungen: Pentium Prozessor, 12 MB freier Festplattenspeicher, Win 98/ME/XP; Macintosh: Power Mac, 26 EURO, ab 6 Jahre
Den meisten Eltern wird die Situation bekannt vorkommen: Das Auto vollgepackt mit Koffern und Rucksäcken, die Straßen überfüllt und auf dem Rücksitz zwei nörgelnde Kinder, die alle fünf Minuten fragen, wie weit es denn noch bis Italien sei. Die Rettung finden Mutter oder Vater meist in ganz einfachen Spielen, wie „Wörterraten“, „Autoschilderlesen“ und „Ich sehe was, was du nicht siehst“.Terzio hat eben letzteres nun als PC-CD-Rom auf den Markt gebracht. „Ich sehe was ... Die Große Schatzsuche“ heißt die Lernsoftware, die logisches Denken, Konzentration und das Sprachgefühl trainieren soll. Hierzu werden wir nach Schmuggler Bucht entführt, um Piet Einauges alten Piratenschatz zu suchen. Die Navigation innerhalb des Dorfes ist einfach gehalten und die Gebäude sind schön gestaltet. Man hat keinerlei Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Auch das Spielprinzip ist simpel und schnell erklärt. In jedem Haus innerhalb der Schmuggler Buch befinden sich Suchbilder, in denen verschiedenste Gegenstände versteckt sind.
Wie lange man für die Suche braucht, ist recht unterschiedlich. Zwar werden bei jedem Bild alle Dinge genannt, die erspäht werden sollen, und manches erkennt man sogar auf den ersten Blick, doch es kann durchaus passieren, dass man minutenlang vor dem Bildschirm sitzt und vergebens nach einer Sicherheitsnadel sucht, die sich in dem Gemälde verirrt haben soll. Hat man dann schließlich doch alles gefunden, gibt es zur Belohnung Kartenstücke, die der Spieler nach und nach zusammensetzen kann.So weit, so gut. Der Spielansatz ist gewiss sehr nett und anfangs auch einigermaßen unterhaltsam. Doch leider geht „Die Große Schatzsuche“ nie über den Ansatz hinaus. Um die 20 Kartenstücke zusammen zu bekommen, muss man immer die gleichen Schritte wiederholen: Suchbild im Gebäude ausmachen, Gegenstände darin finden, Kartenstück anpassen und dann das Ganze noch einmal von vorne. Eine Spielidee, die nicht nur auf der Autofahrt nach Italien schnell erschöpft ist. Dazu kommt noch, dass alle Suchbilder nach dem gleichen Schema aufgebaut sind; hat man dieses einmal durchschaut, bereitet das Finden fast keine Mühe und auch keine Herausforderung mehr.
Natürlich könnte man entgegenhalten, dass dies dem Lernprozess zugrunde liegt, den der Hersteller beabsichtigt hat, doch für einen solchen Prozess bedarf es meiner Meinung nach keines Computerspiels. Ein einfaches Buch würde da genügen und ist ja auch für die Augen die bessere und gesündere Lösung.Wenigstens gegen Ende des Spiels wird dann doch noch versucht, ein bisschen Abwechslung in das Ganze zu bringen. Sind nämlich alle Kartenstücke zusammengesetzt, muss noch ein Rätsel in Form eines Gedichtes gelöst werden, um die Vergrabungsstätte der Schatzkiste ausfindig machen zu können. Keine besonders anspruchsvolle oder originelle Abschlussaufgabe – aber wenigstens ein netter Versuch.Ist endlich auch diese kleine Hürde genommen, kann man ihn finden, Piet Einauges Schatz! Und siehe da, die Truhe geht auf und sie ist sogar voll mit Gold, aber mehr bekommt der Spieler nicht geboten. Weder Zusatzspiele, noch andere kleine Belohnungen. Das Einzige, was möglich wäre: einen neuen Spielstand beginnen. Keine besonders einladende Alternative.Also, liebe Eltern, lasst dieses Spiel im Laden stehen und fahrt lieber mit euren Kindern nach Italien. Denn eine Stunde „Ich sehe was, was du nicht siehst“-spielen im Auto macht immer noch mehr Spaß, als dumme Piratenschätze in Schmuggler Bucht zu suchen!
Daniel Ammann: Spielgeschichten: Kinder- und Jugendliteratur auf CD-ROM
Literatur, so die gängige Vorstellung, ist in Büchern beheimatet. In Wirklichkeit haben Comics, Spiel- und Trickfilme, Hörmedien oder Fernsehserien schön längst begonnen, diese Tradition mit anderen Mitteln und auf eigene Weise fortzuschreiben. Da blieb es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Computer zum Erzählmedium wird. Attraktiv sind die elektronischen und digitalen Medien für Kinder schon deshalb, weil sie ihre Inhalte vornehmlich über Bilder und gesprochene Sprache vorführen und Geschichten somit bereits vor dem Lesealter zugänglich machen. Lesen muss immerhin über Jahre gelernt und geübt werden und bedarf auch später noch einer höheren Investition an Aufmerksamkeit, als dies bei audiovisuellen Angeboten der Fall ist. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass gerade die scheinbar niederschwelligen Bildschirmmedien mit ihren komplexen Symbolkodes und vermischten Textsorten nach neuen Fertigkeiten und Nutzungskompetenzen verlangen.
Da liegt es nahe, die Forderung nach Medienkompetenz mit den Anliegen der Leseförderung zu kombinieren. Am Beispiel des Genres Spielgeschichte soll aufgezeigt werden, wie neue Formen und Darbietungsweisen an traditionelle Lektüreangebote anknüpfen und Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben ergänzen und erweitern können. Interaktive BildergeschichtenIn einer Verbindung aus Textabenteuer und Grafikadventure kamen Anfang der 90er Jahre die ersten multimedialen Bilderbücher auf den Markt (vgl. Ammann 2002). Bereits in diesen einfachen Zeichentrickgeschichten haben Kinder ab drei Jahren in der Regel die Wahl zwischen einem Vorlesemodus in mehreren Sprachen sowie einem Spielmodus, in dem es hinter anklickbaren Objekten lustige Bild- und Toneffekte zu entdecken gibt. Dieses Grundschema hat sich bis heute weitgehend erhalten. Auch in Janoschs Oh, wie schön ist Panama (Terzio, 2003) kann man sich den Klassiker entweder in animierten Illustrationen erzählen lassen und den Text auf eingeblendeten Schrifttafeln mitverfolgen oder die Geschichte als interaktives Reiseabenteuer mit verschiedenen Denk- und Geschicklichkeitsspielen bestehen, indem man dem Tiger und dem Bär tatkräftig bei der Lösung verschiedener Aufgaben hilft. In den interaktiven Bildergeschichten wird die Handlung in der Regel Seite für Seite in episodischen Szenen präsentiert und muss von den Spielern durch Bewältigung abwechslungsreicher Lernspiele weiter vorangetrieben werden (Lauras Sternenreise, Tivola, 2002). Als Variante kann die Geschichte – wie bei der erfolgreichen Max-Reihe von Tivola – mitunter auch als großes Suchspiel angelegt und in eine entsprechende Rahmenerzählung eingebettet sein.
Laut Bernhard Rank handelt es sich dabei eher um „Spiele mit einer narrativen Einleitung und einem geschichtenähnlichen Szenario, das z. B. durch motivierende Handlungsorte und/oder Identifikationsfiguren geprägt ist» (2000, S. 209). Erweitert wird das Angebotsrepertoire dieses Grundtyps der Spielgeschichte von Fall zu Fall durch kleine Übungen für Leseanfänger, ausdruckbare Bastelvorlagen, Tagebücher oder Ausmalbilder. Mit Denk- und Geschicklichkeitsspielen können beispielsweise Wahrnehmung, Auge-Hand-Koordination, Merkfähigkeit, Vorstellungsvermögen oder logisches und strategisches Denken gefördert und trainiert werden. Beliebt sind vor allem Memorys, Schiebepuzzles, Konstruktionsspiele, Labyrinthe oder Treffer- und Lenkspiele, die anhaltende Konzentration und schnelle Reaktionsfähigkeit erfordern. SpielabenteuerEine weitere Gruppe von Kinder-CD-ROMs lässt sich unter dem Begriff Spielabenteuer (oder Adventures) zusammenfassen. Diese Angebote orientieren sich nicht so sehr am gedruckten Buch und dürften aufgrund ihrer Hypertextstruktur und dem Schwierigkeitsgrad der Spielelemente etwas anspruchsvoller sein. Im Gegensatz zu den sequenziellen Bildergeschichten tritt die Spielaktion deutlich in den Vordergrund und ist enger mit der Handlung beziehungsweise einer übergeordneten Spielaufgabe oder Mission verknüpft (Mats und das rätselhafte Tier, Cornelsen, 2003). Spielabenteuer nähern sich bereits den Actionspielen an.
So müssen die Spieler/innen gelegentlich bestimmte Gegenstände einsammeln (Snoopy und seine Freunde: Linus in Not!, Tivola, 2002) oder in Echtzeit und bei schwindendem Energiebalken ihr Geschick und Durchhaltevermögen unter Beweis stellen (Carolina, die Kometenjägerin, Terzio, 2001). Bei direkter Verbindung ins Internet kann der Punktestand aus einzelnen Spielen unter Umständen sogar in eine Highscore-Liste eingetragen und mit den Ergebnissen anderer Spieler verglichen werden (Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, Terzio, 2003). Als Weiterentwicklung und um Aspekte des Rollenspiels ergänzt sind in diesem Zusammenhang insbesondere die zahlreichen Detektivspiele und Krimiadventures zu nennen, in denen durch Zusammentragen von Indizien und Kombinationsgabe ein Rätsel zu lösen oder ein Verbrechen aufzuklären ist (vgl. Josting 2002). Auch diese Titel und Serien knüpfen teilweise mit neuen Geschichten an literarische Vorlagen und Erfolge an (TKKG 11: Film ab!, Tivola, 2003; Die drei ???: Alarm im Internet, USM, 2001) oder greifen (wie Die Pfefferkörner, Terzio, 2002) auf erfolgreiche TV-Serien zurück. GeschichtenspielweltDie wachsende Bedeutung des Medienverbunds lässt sich in besonderer Weise an einer dritten und letzten Kategorie von Spielgeschichten illustrieren. In den Geschichtenspielwelten – gelegentlich ist einfach von „Geschichtenspielen» (Dolle-Weinkauff 2002) oder „virtuellen Spielplätzen» (Bünger 2002) die Rede – sind Aktionen und Spiele eher in der Art eines Magazins zusammengefasst, weisen aber dennoch einen engen Bezug zu einer bekannten Geschichte oder Figuren einer literarischen Vorlage auf. Narrative Einschübe kommen hier ebenfalls vor, sind aber kaum miteinander verknüpft und folgen keinem geschlossenen Handlungsbogen (Mit wem spielst du, Willi Wiberg?, Oetinger, 2002). Wie sich an den Pettersson-und-Findus-Titeln zeigt, kommt der Vertrautheit mit den Protagonisten und Schauplätzen eine zentrale Bedeutung zu, was zum Erfolg dieser qualitativ hoch stehenden Reihe beiträgt.
Zudem bietet sich den Kindern die Möglichkeit, auf spielerische Weise in die fiktionale Welt ihrer Lieblingsfiguren einzutauchen und direkt mit den Fantasiegefährten zu interagieren. Letzteres trifft natürlich auf alle Typen von Spielgeschichten zu und lässt sich im Sinne eines motivatorischen Potenzials sehr gut nutzen. Obgleich Spielgeschichten in erster Linie für den Freizeitbereich gedacht sind, eignen sie sich dank ihrer einzigartigen Kombination von narrativen Elementen mit Spiel- und Lernaufgaben durchaus für den Einsatz in Kindergarten und Grundschule. Im Zusammenspiel von Buch und Computer lernen Kinder so nicht nur den Umgang mit verschiedenen Medien, Zeichensystemen und Angeboten kennen, sondern werden durch unterschiedliche Aufbereitung und Präsentation der Inhalte beiläufig mit den Vorzügen und Besonderheiten einzelner Medien vertraut gemacht. Literatur multimedialAnders als bei filmischen oder printliterarischen Geschichten liegt der Reiz multimedialer Bildschirmtexte im steten Wechsel zwischen Präsentations- und Interaktionsmodus. Die Sequenzen folgen nicht oder nur teilweise einem vorgegebenen Muster. Je nach Struktur des Produktes sind die Spielerinnen und Spieler aufgefordert, die Schauplätze der Handlung in eigener Regie zu erkunden, oder sie können den Fort- und Ausgang der Geschichte durch ihre Entscheidungen sogar maßgeblich beeinflussen.
Dies wirkt sich unmittelbar auf die dramaturgische Gestaltung aus. Da der Erzählfluss fortwährend unterbrochen wird, zerfällt die Handlung in kleinere narrative Einheiten oder tritt zugunsten ludischer Elemente weitgehend zurück. Eine Versenkung in den Spiel- und Handlungsverlauf verbunden mit Flow-Gefühlen (vgl. Schlütz 2002, S. 89) ist wie bei anderen Computerspielen durchaus möglich, intensive Immersionserfahrungen im Sinne eines literarischen Erlebnisses oder Empathie gegenüber den Haupt- und Nebenfiguren der Geschichte sind hingegen weniger zu erwarten (vgl. Hermann et al. 2002, S. 33). Zum einen geben Spielgeschichten der Ausgestaltung ihrer handelnden Personen sowie der Darstellung innerer Konflikte weniger Raum, zum anderen lenken Navigation, Eingabeaufforderungen, Spielinstruktionen oder Pausen (infolge Inaktivität der Spieler/innen) die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Benutzeroberfläche und führen zu einem Bruch mit der Illusion. Spielerinnen und Spieler werden durch Interaktivität zwar stärker in das Geschehen einbezogen, gleichzeitig aber fortlaufend daran erinnert, dass sie sich außerhalb der Fiktion, sprich: an einem Computer, befinden.
Literatur:
Ammann, Daniel (2002). Klicken, lesen, spielen: Interaktive Geschichten für Kinder. infos und akzente, 4, 21–24. Vgl. auch: www.medien-lab.ch/spielgeschichten/
Bünger, Traudl (2002). Narrative und ludische Elemente in Kinder- und Jugendliteraturadaptionen auf CD-ROM. Beiträge Jugendliteratur und Medien, 3, 163 – 171
Dolle-Weinkauff, Bernd (2002). ‹Spielgeschichten› und ‹Geschichtenspiele›: Erzähl- und Spielgenres der Multimedia-CD für Kinder. In: Jörg Steitz-Kallenbach / Jens Thiele (Hrsg.), Medienumbrüche: Wie Kinder und Jugendliche mit alten und neuen Medien kommunizieren. (S. 113 – 124)
Bremen u. Oldenburg: Universitätsverlag Aschenbeck & IsenseeHermann, Thomas; Ammann, Daniel; Kocher, Mela; Mathez, Judith (2002). Typologie und Funktionalität von multimedialen und interaktiven Kinder- und Jugendmedien mit fiktionalen Inhalten. DO-RE Projekt 01011.1; 1. Dez. 2001 – 31. Mai 2002. Eine gemeinsame Aktion der Kommission für Technologie und Innovation und des Schweizerischen Nationalfonds. Forschungsbericht, Zürich, 24.6.2002. Internet: http://www.phzh.ch/webautor-data/dokus/do-re-forschungsbericht.pdf
Josting, Petra (2002). Hypermediale Detektivgeschichten. Angebot – Analyse – Rezeption. In: Petra Josting / Gudrun Stenzel (Hrsg.), Auf heisser Spur in allen Medien: Kinder- und Jugendkrimis zum Lesen, Hören, Sehen und Klicken. Beiträge Jugendliteratur und Medien, 13. Beiheft. (S. 135 – 145)
Weinheim: JuventaRank, Bernhard (2000). Formen und Veränderungen des Erzählens in Bearbeitungen kinderliterarischer Szenarien auf CD-ROM. In: Karin Richter / Sabine Riemann (Hrsg.), Kinder – Literatur – „neue» Medien. (S. 198 – 216) Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren
Schlütz, Daniela (2002). Bildschirmspiele und ihre Faszination: Zuwendungsmotive, Gratifikationen und Erleben interaktiver Medienangebote. Angewandte Medienforschung, Bd. 26 (Schriftenreihe des Medien Instituts Ludwigshafen). München: Reinhard Fischer
Tilmann P. Gangloff: Auch keine Insel der Seligkeit mehr
Es gibt kaum ein unverdächtigeres Medium als das Radio. Beim Stichwort „Gewalt“ denkt man vor allem an brutale Computerspiele oder blutige Fernsehkrimis; den Hörfunk hatte man bislang nicht auf der Rechnung. Sollte man aber, findet Bernd Schorb. Der Forscher und Pädagoge von der Universität Leipzig befasst sich schon seit Jahrzehnten mit der Wirkung von Medien auf Kinder und Jugendliche. Jetzt hat er sich das Radio vorgenommen und festgestellt: Wenn man sich die Mühe macht, mal genau hinzuhören, strotzen einige Beiträge geradezu vor Gewalt. Klar, wird mancher fachmännisch einwerfen: Schon auf den CD-Hüllen werden Eltern vor drastischen Song-Texten gewarnt; aber die sind doch auf englisch und im Slang gerappt, das versteht sowieso keiner.Sicher richtig. Doch Schorb hat auch zwischen die Musik gehört und ist dabei vielfach fündig geworden. Nun ist „Gewalt“ natürlich ein weites Feld; in der Regel assoziiert man mit dem Begriff Tritte, Fausthiebe und die Anwendung von Schuss- oder Stichwaffen. Für Schorb indes ist Gewalt die „Manifestation von Macht bzw. Herrschaft mit der Folge oder dem Ziel der Schädigung eines einzelnen oder einer Gruppe“.
Und schon wird klar: Wenn Stefan Raab in tv total Unfug auf Kosten seines Showpraktikanten Elton treibt, ist das eine Form von Gewalt. Gerade diese eindeutig hierarchischen Strukturen haben Schorb und seine Forscher auch in vielen mitteldeutschen Radiosendungen festgestellt. Ohnehin befleißigen sich die Moderatoren von Sendern, die sich überwiegend an ein eher jüngeres Publikum richten, einer Ausdrucksweise, die man kaum noch als salonfähig bezeichnen kann. Kraftausdrücke wie „Scheiße“, „Arsch“ oder „Kotzen“ gehören ebenso zu ihrem Sprachgebrauch wie Anglizismen und Modewörter aus der Jugendsprache. Hinzu kommen abfällige Bemerkungen über Prominente (Jennifer Lopez, „die Frau mit dem etwas breiteren Hintern“) oder Minderheiten. So verfiel ein Moderator nach einem Versprecher in gebrochenes türkisches Deutsch und verwendete dabei den Begriff „Sprachlegastheniker“. Am meisten tat sich laut Schorbs Untersuchung ein Sender hervor, den es nicht mehr gibt. Das mittlerweile von RTL übernommene und komplett umgestaltete Project 89.0 digital warb mit dem Slogan „Hier ist der Sender, bei dem deine Eltern kotzen“. Die meisten Auffälligkeiten notierten die Forscher bei der so genannten Fuck-U-Hotline, einem Angebot an die Hörer, sich am Telefon mal so richtig auszusprechen. Und das taten sie dann auch: „Kann mal irgendein Arsch diesen be... [piep] Petrus in den fetten Hintern treten. Dieses scheiß Wetter kotzt mich an.“ Oder: „Diese verdammte Scheiße ... ich bin fast besoffen und ich muss morgen ins Fußballtraining. Das kotzt mich so an. Die Weiber tanzen mir auf der Nase rum.
Die sollen mich langsam alle am A... [piep] lecken. Ich scheiß auf alle Weiber. Das war’s.“ Zu den Spielregeln gehörte, dass die Herzenswünsche mit einem fröhlichen „Fuck you!“ beendet wurden.Beim sächsischen Privatsender Energy Sender gibt es eine ähnlich erfrischende Hotline mit dem sinnigen Titel „Poppen oder stoppen“. Hier schildern Hörer ihre Beziehungsprobleme. Anschließend kann jeder, der mag, seinen Senf dazugeben: ob die Beziehung aufrecht erhalten („poppen“) oder abgebrochen („stoppen“) werden soll. Die entsprechenden Dialoge streifen mitunter mehr als nur die Grenze des guten Geschmacks. Problematisch findet Schorb diese Darstellungsformen vor allem insofern, „als dass es sich bei Betroffenen und Ausübenden um Personen in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen handelt. Dem Hörer wird der Eindruck vermittelt, dass mit dieser Sendeform reale Probleme thematisiert werden“. Will sagen: Wenn „ein offizielles Medium“ diese Art von „Kommunikations-Unkultur“ pflege, sanktioniere dies die eigenen alltäglichen Beschimpfungen und Beleidigungen. Erst mit etwas Abstand würde den Jugendlichen klar, dass der vermeintliche Spaß nichts anderes sei als die Hänseleien auf dem Schulhof, „wenn einer ein bisschen dicker ist und als ‚Pummel‘ in die Ecke gestellt wird“. Mädchen, ergab die Untersuchung, in deren Verlauf 250 Kinder und Jugendliche zwischen 9 und 16 Jahren die verbale Gewalt bewerten sollten, reagieren übrigens ungleich sensibler als Jungs.
Ob die untersuchten Sendungen auch relevant im Sinne des Jugendschutzes sind, mag Schorb nicht kommentieren: „Das sollen andere entscheiden“. Beispielsweise Victor Henle, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt und einer der Auftraggeber. Henle räumt zwar ein, die Sender würden „nur in den seltensten Fällen auch richtig gegen Gesetze verstoßen“. Und gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über den Themenbereich Kinder und Gewalt sei das Radio „natürlich nicht das eigentliche Problem“. Aber eben auch „keine Insel der Seligkeit“. Henle betont, die Landesmedienanstalten wollten die Sender mit der Studie nicht anklagen, sondern vielmehr Denkanstöße geben. Tatsächlich hätten die Geschäftsführer der untersuchten Programme die Ergebnisse „mit Erstaunen“ zur Kenntnis genommen. Der TLM-Direktor hofft auf eine Sensibilisierung der Moderatoren, denen offenbar nicht klar sei, dass man „durch Sprache Gewalt ausüben“ könne. Die Studie solle vor allem aufklären; gesetzliche Sanktionierungen seien nicht möglich. Literatur: Bernd Schorb, Anja Hartung: „Gewalt im Radio. Eine Untersuchung zur Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung von Unterhaltung im Hörfunk durch 9- bis 16-Jährige“. Vistas-Verlag, Berlin. 196 Seiten, 15 Euro
Udo Feist: Kinski mit Erdbeermund
Kinski spricht Werke der Weltliteratur – Box mit 20 CDs, Gesamtlaufzeit über 1.000 Minuten. Deutsche Grammophon Literatur; 149,90 Euro/Einzelausgaben: Einzel-CDs für 18 Euro, Doppel-CDs für 21 Euro
Klaus Kinski ist zurück. Als sei dessen prometheische Prahlerei ‚Ich lebe ewig‘ wahr geworden, steht der skandalnotorische Mime zwölf Jahre nach seinem Tod so markant wie eh vor uns. Die Edition Kinski spricht Werke der Weltliteratur stellt erstmals komplett sein Rezitationswerk zusammen – vom verehrten Villon (‚Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund‘), Shakespeare, Goethe, Nietzsche und Strindberg bis Dostojewskij, Mallarmé und Jack London. Grundlage sind 30 Sprechplatten, die er von 1957 bis 1962 aufnahm. Die 20 CD-Box mit Booklet, bislang unveröffentlichten Aufnahmen von Brecht und Evelyn Waugh und zwei Bonus-Hörspielen verbindet löbliche Dokumentation und pure Kulturgeschichte, denn Kinski war in Adenauers Fünfzigern ein früher deutscher Popstar. Abende mit ihm erregten wie sonst nur Rock’n’Roll. Der Wanderrezitator, den von 1952 bis 1962 über eine Million Menschen hörten, hat mit exaltierten Interpretationen sogar im Unterricht betäubte Schiller-Balladen wieder zum Erlebnis gemacht.
Er stöhnte, flüsterte, und brüllte, war Faust, Raskolnikow, Strindbergs Steinmann und ‚Das trunkene Schiff‘. Mit Empathie, Gosse und Existentalismus versöhnte er Bildung und Rausch, vor allem wenn er identifikatorisch den Villon rezitierte: ‚In blutiger Zerschlagenheit, rasendem Lebenshunger und dem Kampf um die Wahrheit der Gerechtigkeit, in revolutionärer Raserei gegen Stumpfheit und Verlogenheit der Menschen und in zerschmetterter, trauriger aber gläubiger Kindlichkeit ist sein Schicksal das von Villon,‘ schrieb er in dritter Person über sich selbst. Prallen Sex stellte er neben zarte Lyrik, vital wie jener, der zwischen Rock, Galgen und Überdruss stromernde Vagant. Versekotzer, Schreihals und Popanz wurde Kinski geschmäht, weil er in Kneipen, Theatern und Turnhallen Schiller so emphatisch wie Baudelaire oder sich selbst inszenierte.
Die Jugend berauschte sich zum Entsetzen der Biederbürger daran. Eine Facette, die nur noch wenige kennen, da sein Bild von der Finsterikone überlagert wurde, zu der er sich dann mit Bösewichtrollen in meist schlechten Filme stilisierte, oder vom Image des egomanen Genialikers in Werner Herzog-Filmen (Aguirre; Nosferatu; Fitzcarraldo) sowie seinen Einlagen als Talkshowbeißer bis zu seinem Tod 1991. Dabei hatte das Jahrhunderttalent zuvor Einzigartiges als Rezitator geboten. Die Box macht es nun wieder zugänglich – als Trip ins Herz literarisch erschlossener Menschenfinsternisse, den er mit stets besessener Diktion durchlitt. Das erzeugt einen Sog, der bis in unsere autistisch-bohleneske Gegenwart wirkt.
Hans Ulrich Grunder/Ruth Graf: Drei Irrläufer
In den vergangenen Jahren sind deutsche Bildungspolitiker/innen nicht müde geworden, zu fordern, Schulen sollten sich entwickeln, es gelte, im Bildungswesen Vielfalt anzustreben. Abgesehen von manchem neoliberalistischen Fehlschluss beschert die neue bildungspolitische Maxime Schulen, die sich profilieren wollen, viel Arbeit an pädagogischen, didaktischen, unterrichtsmethodischen und institutionellen Fragen. Letztlich geht es aber auch um die Außendarstellung des ‚Gesichts einer Schule’. Dass vollmundige bildungspolitische Phrasen den Schulen nicht weiterhelfen, zeigen die unzureichenden offiziellen baden-württembergischen Versuche, Schulprofile im Internet bekannt zu machen. Dass eine so defizitäre Informationspolitik in Bezug auf Schulentwicklung den Schulen eher schadet als ihnen hilft, belegen die Ergebnisse der nachstehenden kleinen Untersuchung, die in anderen Bundesländern wohl ebenso problematische Resultate zeitigen dürfte.Veraltet und unübersichtlichDie Suche nach Schulen mit Profil und nach Informationen zur Schulentwicklung auf der Homepage des ‚Landesinstituts für Erziehung und Unterricht Stuttgart’ (LEU) (http://www.leu. bw.schule.de) beginnt mit einer Enttäuschung: Der ‚Vorhabensbereich Schulentwicklung’ führt in eine Sackgasse. Die Navigation ist verwirrend; sie erfolgt über die Sitemap.
Der entsprechende Hinweis ist gut versteckt. Ist diese Hürde überwunden, hat man die Wahl zwischen den Abteilungen I-III. Abteilung I ‚Grundlagen, Information und Dokumentation’ informiert über die vier Handlungsfelder der Schulentwicklung: ‚Erziehung und Unterricht’, ‚Verbesserung der Kommunikation in der Schule’, ‚Verstärkung der Mitarbeit von Schülerinnen und Schülern und Eltern’ und ‚Öffnung von Schule für ihr Umfeld’. Einige Beispiele veranschaulichen die praktische Umsetzung der Handlungsfelder. Sie sind jedoch teilweise veraltet. Ebenfalls veraltet ist die Liste derjenigen Schulen, die Schulentwicklung durchführen bzw. durchgeführt haben. Die Einträge stammen aus der Zeit zwischen 1995 und 1998. Auch der Informationsgehalt der Liste lässt zu wünschen übrig: verzeichnet sind Namen und Adresse der Schulen. Einige wenige Schulen geben an, auch im Internet präsent zu sein, wovon jedoch nicht alle tatsächlich online besucht werden können. Eine weitere Liste, die ‚Schulberichte’ verspricht, informiert in Stichworten über 311 durchgeführte und laufende Projekte. Es ist allerdings nicht ersichtlich, wann die Liste das letzte Mal aktualisiert wurde. Vor diesem Hintergrund übertreffen sich die Angaben zur Laufzeit der Projekte an Genauigkeit. Einige konkretere Angaben zur Durchführung von Projekten gibt es zwar, sie liegen allerdings ebenfalls Jahre zurück. Insgesamt fehlen der Website Übersichtlichkeit und Struktur.
Außerdem ist sie hinsichtlich der Schulentwicklung veraltet. Warum ist sie noch online? Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf die ‚aktuelle Website zur Schulentwicklung’ des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht’ (LEU) in Stuttgart.Anspruch und WirklichkeitAuf der ‚aktuellen Website zur Schulentwicklung’ des LEU (http://www.leu.bw.schule.de/sep/index.php) ist zu erfahren, dass das Thema ‚innere Schulentwicklung’, das bislang auf vier Handlungsfeldern basierte, inzwischen eine Neustrukturierung seines Systemzusammenhangs erfahren hat. Schulentwicklung wird nun formuliert als eine Trias, bestehend aus Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung. Auf der ‚aktuellen Website zur Schulentwicklung’ werden diese drei Begriffe ausführlich erläutert und mit Hilfe von Beispielen veranschaulicht.Die neu gestaltete Homepage des LEU zur praktischen Schulentwicklung versteht sich als Kommunikationsplattform für Schulentwicklung in Baden-Württemberg.
Um den Anspruch einer Kommunikationsplattform einlösen zu können, müssten allerdings mehr als die bisher 36 Projekte zur Schulentwicklung in der Datenbank abrufbar sein. Sind die baden-württembergischen Schulen überhaupt ausreichend informiert darüber, dass sie ihre Schulprojekte hier vorstellen können? Wie kommen die Einträge der Datenbank zu Stande? Auf der Website zur Schulentwicklung ist ein Anmeldeformular abrufbar, mit dem Schulen ihre Schulprojekte in Stichworten vorstellen können. Ist davon auszugehen, dass die Projekteinträge ausschließlich auf den Angaben der Schulen basieren? Oder gibt es Auswahlkriterien, anhand derer entschieden wird, welches Projekt tatsächlich zur Schulentwicklung beiträgt und infolgedessen in die Datenbank aufgenommen wird? Vertrauen die Betreiber der Website auf die Initiative der Schulen, dass sie sich mit ihren Schulprojekten anmelden? Auch die Navigation der Website lässt zu wünschen übrig: Der unscheinbare Button ‚Suche’ führt überraschenderweise zur Datenbank der Website. Die Datenbankrecherche kann zum einen über Regionen erfolgen, zum anderen nach Stichworten. Wird nach Regionen recherchiert, werden mit Hilfe einer Graphik die baden-württembergischen Oberschulämter und Schulämter ausgewählt, die zu den jeweils zugeordneten Schulprojekten führen. Die Recherche nach Stichworten erfolgt über die Kombination einer Schulart (Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Berufliche Schule, Förderschule, Sonderschule), eines Inhalts (Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Organisationsentwicklung), eines Landkreises und eines Schlagworts.
Letzteres hat allerdings wegen der wenigen Einträge kaum Aussicht auf Erfolg. Wie passt dies zusammen mit dem erklärten Anspruch der Website, zur Verbreitung von Informationen über laufende und abgeschlossene Schulprojekte beizutragen? Fraglich ist im Übrigen die Qualität der Datenbankeinträge: Teils sind sie unvollständig, teils sind sie zu wenig aussagekräftig, als dass das betreffende Schulprojekt klar umrissen würde. Hilfreich kann dann nur ein Blick auf die schuleigenen Websites sein, wenn die durchgeführten Projekte dort ausführlicher vorgestellt werden, was teilweise der Fall ist. Immerhin 27 der 36 Websites sind bislang online präsent. Besser wäre es, wenn baldmöglichst alle Schulen im Internet zu finden wären – nicht zuletzt um dem Anspruch der landesweiten Schulvernetzung gerecht zu werden. Denkbar wäre doch, im Rahmen eines Projekts eine schuleigene Website zu gestalten?!Guter Inhalt – aber die Verpackung? Auf den Seiten des Landesbildungsservers Baden-Württemberg (http://www.leu.bw.schule.de /allg/projekte/inno1.htm) findet sich eine weitere Seite zum Thema ‚Innovative Schulprojekte’. Dort ist zu erfahren, dass eines der Anliegen der ‚Medienoffensive Schulen Baden-Württemberg’ die Förderung innovativer Schulprojekte war. Alle baden-württembergischen Schulen waren aufgefordert, sich an der Aktion zu beteiligen und schulische Pilotprojekte durchzuführen. Nach Abschluss der vierten Förderrunde der innovativen Schulprojekte steht nun die Auswertung der Projektergebnisse und die Präsentation der Projektberichte in einer Datenbank im Vordergrund. Die Datenbank versteht sich als Anlaufstelle für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Schulen, die sich über Projekte informieren wollen, Anregungen zur Planung und Durchführung eigener Vorhaben erhalten, Materialien austauschen oder bei gleichartigen Projekten miteinander kooperieren möchten.
Zur Dokumentation der Erfahrungen sind alle Schulen, die Schulprojekte mit Fördermitteln durchgeführt, aber bisher noch keinen Bericht verfasst haben, derzeit auf den Seiten der ‚Innovativen Schulprojekte’ aufgefordert, dies baldmöglichst nachzuholen. Ein entsprechendes Berichtsformular ist online verfügbar. Die Datenbank, in der die Berichte der über 1000 durchgeführten Schulprojekte künftig abrufbar sein sollen, ist allerdings merkwürdigerweise über den Button ‚Berichte’ derzeit noch nicht online verfügbar. Bisher kann hier lediglich über die allgemeine Suchmaschine des Landesbildungsservers gesucht werden. Unter dem Button ‚Recherche’ findet sich allerdings ein Link zur Datenbankrecherche auf dem Landesbildungsserver, wo die Projektberichte der insgesamt vier Förderrunden abrufbar sind. Gibt es einen Unterschied zwischen der Datenbankrecherche, die künftig unter ‚Berichte’ abrufbar sein soll und der bereits vorhandenen Datenbankrecherche unter ‚Recherche’? Momentan sind in der vorhandenen Datenbank 1066 Einträge abrufbar. Recherchiert werden kann über eine Suchmaske, über die eine Volltextsuche genauso möglich ist, wie die gezielte Recherche nach Fach, Klassenstufe, Schulart, Medienkategorie und Projektkategorie.
Zusätzlich zu einer ausführlichen Projektbeschreibung enthalten die Projektberichte beispielsweise Angaben zu den Projektlaufzeiten, zu den Zahlen der beteiligten SchülerInnen und LehrerInnen und der Bewertung der Projekte. Soweit vorhanden, werden weiterführende Links zu den schuleigenen Websites zur Verfügung gestellt. Lobenswert ist die Fülle an Datenbankeinträgen, die einen schönen Überblick über laufende und abgeschlossene Schulprojekte bietet. Schade ist jedoch, dass die Gesamtstruktur dieser Website ähnlich unübersichtlich gestaltet ist, wie die zuvor vorgestellten Seiten und dass auch ihre Navigation eher zur Verwirrung als zur Orientierung beiträgt. Schließlich lässt sich festhalten, dass nicht jeder Hinweis auf Schulentwicklung tatsächlich hält, was er verspricht, und dass veraltete Informationen parallel zu aktuellen im Internet abrufbar sind. Beides sollte sich schnellstmöglich ändern, will man dem Anspruch des Internets als eines aktuellen Mediums gerecht werden. Zu wünschen bleibt eine gelungenere Kombination aus Übersichtlichkeit und Aktualität. Für die Betreiber der Seiten bedeutet dies sowohl die Neustrukturierung der genannten Websites, um eine schnelle, übersichtliche Navigation zu gewährleisten, als auch ihre kontinuierliche Überarbeitung, Weiterentwicklung und Aktualisierung. Veraltete Seiten, deren Überarbeitung sich nicht lohnt, sollten sie so schnell wie möglich aus dem Netz nehmen!
Beitrag aus Heft »2003/06: Kinder im Mediennetz«
Autor:
Ruth Graf,
Hans-Ulrich Grunder
Beitrag als PDF
Tilmann P. Gangloff: Viel Mittelmaß - Bloß keine Experimente
Es gibt kaum einen Marktzustand, den Produzenten mehr hassen als diesen: Bei einem „Käufermarkt“ befinden sich Angebot und Nachfrage in einem äußerst ungesunden Verhältnis; aus Sicht des Verkäufers, wohlgemerkt. Für den Einkäufer hingegen ist es das Paradies: Weil es ein Überangebot an Produktionen gibt, ist die Auswahl groß, der Preis aber klein. Der Bereich des Kinderfernsehens ist gerade dabei, diesen Zustand hinter sich zu lassen. All jene Zeichentrickserien, die während des zurückliegenden Booms, als der Neue Markt viel Geld in die Kassen deutscher Firmen strömen ließ, angestoßen wurden, sind entweder bereits produziert oder auf Eis gelegt. Der gesamte Bereich beruhigt sich also langsam wieder. Billiger geworden war ohnehin bloß das Füllmaterial; für die richtig guten Serien mussten Redakteure nach wie vor tief in die Tasche greifen. Das wird sich auch so bald nicht ändern, erst recht nicht, wenn es in einem Land mehrere Interessenten für ein Produkt gibt. Kaufmessen für Kinderfernsehen wie die Mipcom Junior in Cannes zeigen deutlich, wie sehr sich der Markt stabilisiert. Weit weniger als die Hälfte der präsentierten Programme waren wirklich neu, und selbst von diesen waren diverse schon zuvor als Pilot präsentiert worden. Es wird wieder auf Bedarf produziert, Produzenten und Sender arbeiten schon bei der Stoffentwicklung zusammen. Bestes Beispiel: die ZDF-Serie „Wicked Science“.
Für den Mainzer Sender und seine Vertriebstochter könnte sich das Projekt als Schnäppchen erweisen: Das Recht, „Wicked Science“ nicht nur auszustrahlen, sondern auch in alle Welt verkaufen zu dürfen, hat das ZDF nicht zuletzt dank der großzügigen australischen Film- und Fernsehförderung bloß 25 Prozent des Produktions-Budgets gekostet.Im Mittelpunkt der Geschichten stehen zwei junge Teenager, die durch einen Unfall im Labor zu genialen Wissenschaftlern werden. Während der Junge nur Gutes im Sinn hat und seine Fähigkeiten zum Wohl der Menschheit einsetzen will, denkt das Mädchen ausschließlich an den eigenen Vorteil. Ganz abgesehen davon, dass Mädchen als Fieslinge im Kinderfernsehen äußerst selten sind (sie ist eifersüchtig, weil der Junge ihr eine andere vorzieht). „Wicked Science“ hat Effekte zu bieten, dass einem die Spucke wegbleibt. Ein Tyrannosaurus Rex bricht durch die Wand eines Schuppens, Rasenmäher fliegen durch die Luft und Autos werden unsichtbar. Das Beste aber ist der Preis: Der Produktions-Etat für sämtliche 26 Folgen à 26 Minuten lag insgesamt bloß bei 5,8 Millionen Euro. Denn in Australien herrschen andere Gesetze, dort dürfen Kinder länger als bloß drei Stunden am Tag drehen; und das Produzieren ist insgesamt ohnehin preiswerter. Trotzdem ist „Wicked Science“ laut Jonathan M. Shiff die teuerste australische Kinderserie in der Historie des australischen Kinderfernsehens. Allerdings hat Produzent Shiff mit der Serie durchaus ein Kunststück vollbracht, denn die Bilder sehen dank der Computereffekte deutlich teurer aus. Im KiKa wird „Wicked Science“ (einen deutschen Titel gibt es noch nicht) ab April 2004 gegen 16.30 Uhr zu sehen sein. Damit setzt der Kinderkanal eine Linie fort, zu der zurzeit auch die Disney-Produktion „Lizzie McGuire“ (montags bis freitags um 16.25 Uhr) passt.
Die Serie hat strenggenommen mehr Ähnlichkeiten mit der RTL-Sitcom „Mein Leben & ich“ als mit Kinderfernsehen. „Tweens“ nennt die auf Typologien versessene Branche diese Zielgruppe: junge Menschen zwischen 9 und 14 Jahren, keine richtigen Kinder mehr (zumindest nach eigener Anschauung), aber auch noch keine Teenager. Irgendwas dazwischen eben: Tweens. Wenn es überhaupt derzeit einen Trend im Kinderfernsehen gibt, dann diesen: Der Markt hat den jungen Teenagern deutlich mehr zu bieten als noch vor wenigen Jahren. Dass er sie überhaupt entdeckt hat, daran ist natürlich die Werbung treibende Industrie Schuld. Allein in Amerika gibt es 28 Millionen „Tweenager“, und die verfügen angeblich über ein Kapitalpotenzial von sage und schreibe 38 Milliarden Dollar. Europäische „Tweens“ sind nicht ganz so spendabel wie die jungen Amerikaner: 616 Millionen gibt es laut einer Disney-Studie, und sie geben 6 Milliarden Euro pro Jahr für all die Dinge aus, ohne die man als junger Teenager nun mal nicht leben kann. Jetzt haben auch deutsche Sender diese Zielgruppe entdeckt. SuperRTL zum Beispiel versucht sich mit „Drachenfels“ erstmals an einer eigenen Sitcom. Produziert wird die Serie von TV-Loonland. Das Ergebnis kann sich zumindest in technischer Hinsicht sehen lassen; ob es auch beim Publikum des Marktführers im deutschen Kinderfernsehen ankommt, ist eine andere Frage. Die Machart orientiert sich an den „Dinos“, eine Puppenserie, die mit viel Erfolg schon auf diversen deutschen Sendern zu sehen gewesen ist. „Drachenfels“ ist laut TV-Loonland die weltweit erste Produktion, bei deren Herstellung „professionelles Puppenspiel mit High-Tech-Computeranimation“ verbunden wird. Die Sitcom spielt in einer von Drachen bevölkerten Welt. Allerdings haben die Figuren unübersehbare menschliche Züge; und menschliche Eigenschaften ohnehin.
Ob „Drachenfels“ auch zum umsatzstarken Merchandising-Geschäft wird, muss sich erst noch zeigen; in die Dimensionen von Baumeister Bob oder Spongebob Schwammkopf dürfte die Serie kaum vorstoßen. Der Doppel-Bob wird SuperRTL auch in diesem Jahr zu einem Top-Ergebnis verhelfen. „Bob der Baumeister“ ist der derzeit größte Umsatzbringer im Merchandising-Bereich. Dank seiner starken Position im Markt wird SuperRTL nun auch von seinen Gesellschaftern (RTL und Disney) ernster genommen. Die TV-Erlöse sind gewachsen, die Merchandising-Umsätze sind gestiegen, und gespart wird auch noch. Sie sind ohne Frage gute Kaufleute beim kleinen Kölner Kindersender: Das Ergebnis für das Jahr 2003 wird laut Geschäftsführer Claude Schmit doppelt so gut ausfallen wie im Vorjahr, und zwar nicht zuletzt wegen der guten Vermarktung des Programms. SuperRTL fungiert dabei geschickter Weise nur als Agentur. In der Regel, erläutert Schmit, sei es nicht sinnvoll, die kompletten Rechte an einer Serie zu kaufen; eine bloße Beteiligung sei meist schon profitabel genug – und weniger riskant. Mitunter hätte es aber vermutlich gern ein bisschen mehr sein dürfen: Baumeister Bob brachte seinem Produzenten HIT allein in Deutschland als Spielzeugfigur 120 Millionen Euro ein; SuperRTL ist immerhin mit 10 Prozent dabei. Normalerweise lässt sich der Marktführer die Prominenz der Vermarktungsplattform besser bezahlen. Im Allgemeinen kassieren Lizenzagenturen 20 bis 25 Prozent Provision; SuperRTL am liebsten 40. Im Detail sind diese Deals übrigens durchaus pikant: Anderswo sind Disney und Nickelodeon erbitterte Konkurrenten, in Deutschland verdingt sich eine Disney-Tochter als Lizenzagentur für Nickelodeon-Figuren.
Michael Bloech: Videoschnitt: Alles ganz easy, oder?
Im Videoschnittbereich gibt es für den Computer inzwischen eine Vielzahl von Programmen, die zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden. Von kostenloser Freeware bis hin zu Programmen zu mehr als 1000 Euro ist am Markt alles erhältlich. Welche Programme sind sinnvoll und überhaupt brauchbar? Das hängt einerseits von der Konfiguration des verwendeten Rechners und andererseits von dem Verwendungszweck ab. Soll über eine spezielle analoge Videoschnittkarte ein Videofilm geschnitten werden, dann empfiehlt es sich dringend, die mit der Karte zusammen gelieferte Software zu verwenden, da diese auf die eingebaute Hardware im Allgemeinen gut abgestimmt wurde. Ist aber beabsichtigt DV-Videos, über den speziellen Firewire Eingang des Rechners einzuspielen und zu schneiden, oder sollen über eine videotaugliche Grafikkarte (All-in-one-Wonder) Camcordermaterial oder digitalisierte Fernsehsendungen geschnitten werden, um beispielsweise die lästige Werbung zu verbannen, dann bietet sich inzwischen eine ganze Palette lohnender Programme an. Premiere von Adobe, Media Studio Pro von Ulead, XpressDV von Avid oder Final Cut Pro von Apple sind professionelle Videoschnittsoftware im Bereich des semiprofessionellen Videoschnitts und entsprechend kostspielig. Der Umgang mit diesen mächtigen Programmen ist zumindest gewöhnungsbedürftig und die Anforderungen an die Hardware des Rechners dabei nicht unerheblich. Die Einführung des DV-Formats hatte jedoch zur Folge, dass nicht mehr umständlich und kompliziert analoge Videodaten über einen Wandler digitalisiert werden müssen.
Heute können die digitalen Videodaten mehr oder weniger direkt im Rechner ohne großen technischen Aufwand abgespeichert werden, es erübrigt sich der Aufwand mit den diffizilen Videokarten. Entsprechend hat die Software reagiert, so dass endlich auch preiswerte und teilweise sogar kostenlose Software für den Videoschnitt erhältlich ist. So haben beispielsweise Benutzer des aktuellen Microsoft Betriebssystems Windows XP auf ihren Rechnern mit dem kostenlosen Windows Movie Maker 2.0 generell die Möglichkeit der Videobearbeitung. Allerdings bietet das sehr einfache Programm nur begrenzt Möglichkeiten Bilder zu schneiden, die Tonbearbeitung fiel zudem wirklich äußerst dürftig aus. Die Erstellung von Titeln ist zwar gegeben, aber einige Features beispielsweise zum Erstellen von Rolltiteln fehlen ganz. Zudem kann der fertige Film lediglich im AVI und WMV Format abgespeichert werden, was eine Ausspielung auf einen DV-Camcorder erlaubt, nicht aber das Brennen auf universell lesbare DVDs oder VideoCDs. So gesehen empfiehlt es sich, das Programm für aufwendige Videoprojekte vielleicht besser nicht zu benutzen. Allerdings eignet es sich durchaus gut um kleine Videos für die Veröffentlichung im Internet oder als kurzes Attachment für E-mails zu bearbeiten. Inzwischen existieren jedoch viele kostengünstige Alternativen, mit denen Schnitte und Ausspielungen durchaus möglich sind, wie zum Beispiel Video Edit Magic von DeskShare (www.deskshare.com), das selbst unter Win98 SE läuft. Entscheidender Nachteil des enorm umfangreichen und mit rund 40 Euro vergleichbar preiswerten downloadbaren Programms ist seine eigenwillige Bedienung. Präzise Schnitte exakt nach Bild sind zwar möglich, aber eben nur auf einem umständlich anmutendenden Weg. Im Gegensatz zu dem Windows Movie Maker bietet das Programm jedoch entscheidend kreativere und etwas komfortablere Audiobearbeitungsmöglichkeiten.
Gravierender Nachteil, wie schon beim Movie Maker 2.0, ist jedoch, dass der fertig bearbeitete Film lediglich über den Umweg eines zusätzlich notwendigen Programms auf ein Videoband oder eine DVD ausgegeben werden kann. Video Edit Magic selbst kann den Film lediglich als AVI oder WMF- File abspeichern. Beim Testrechner führte darüber hinaus der integrierte Titelgenerator unter Windows 98 zu Systemabstürzen. Dennoch bietet sich das Programm auf Grund der vielfältigen Trick- und Effektblenden als Alternative für all diejenigen an, die Videos fürs Internet herstellen möchten. In dieser Preisklasse gibt es mit EVE von der Firma Mainconcept (www. mainconcept.de) noch ein weiteres interessantes Videoschnittprogramm. EVE ist optisch recht ansprechend gestaltet, sehr einfach gehalten und übersichtlich zu bedienen. Weitere Vorteile dieses Programms sind vor allem die in der Lautstärke separat zu regelnden drei Stereotonspuren und die Möglichkeit den fertigen Film auch als DVD auszuspielen. Ähnlich wie schon bei Video Edit Magic kann die Montage des Films mittels einer sogenannten Timeline sehr übersichtlich kontrolliert werden. Auch die kleine Softwareschmiede Cyberlink (www.gocyberlink.de) hat Videoschnittsoftware für den Schnitt von DV Material lanciert. Für knapp unter 100 € wird von Cyberlink mit PowerDirector Pro 2.5 ein durchaus interessantes Konkurrenzprodukt angeboten, welches aber aufgrund der umfangreicheren Codierungs- und Abspeichermöglichkeiten in der Handhabung zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Keine Menüleiste am oberen Monitorbild wie sonst üblich, sondern ein großer runder Regler führt durch den gesamten Prozeß des Videoschnitts vom Capturen (d.h. Einspielen in den Rechner), dem Editieren (Schneiden) über das Authoring (Erstellung des DVD Menues) bis hin zum Brennvorgang.
Der Drehregler erinnert dabei eher an ein Dampfradio, als an ein modernes Schnittsystem. Vielleicht ist das eine Konzession an die Hauptnutzer des Programms, das aktuell als Softwarebundle zu einem Multimediacomputer in den Filialen eines großen Lebensmitteldiscounters vertrieben wurde. Insgesamt liegen die Stärken des Programms im Bereich der hohen Variabilität der Ausgabeformate und des bequemen Schnitts von Bildmaterial. Soll jedoch der Ton bearbeitet werden, stoßen die Benutzer dieses Programms sehr schnell an Grenzen.Ein wenig unkomplizierter in der Bedienung und mit 90 Euro auch nicht teurer ist das Video Studio 7 von Ulead (www. ulead.com). Intuitiv erschließt sich schnell die Bedienung und auch ein exakter Schnitt ist möglich. Das Programm erlaubt über eine voice-over-Funktion das Zumischen von Geräuschen oder Musik zum Originalton und bietet darüber hinaus noch eine weitere freie Tonspur. Leider ist das individuelle Abmischen der drei Tonspuren nicht möglich.
Ein Pluspunkt ist dagegen, dass das System keine Probleme beim Capturen aufweist und neben internetspezifischen Dateiformaten diverse Ausgabemöglichkeiten zum Beispiel auf DV oder DVD vorhanden sind. In recht ähnlicher Form zu einem vergleichbaren Preis bietet der Konkurrent Pinnacle (www.pinnaclesys.com) mit dem Studio DV 8.0 ein ebenfalls einfach zu bedienendes Programm an, welches gute Bearbeitungs- und Ausgabemöglichkeiten offeriert. Interessanterweise wird für Laptops sogar eine besonders abgestimmte Version von Studio DV angeboten Die Tonbearbeitung ist beim Studio DV recht elegant gelöst, sodass sich diese Software insgesamt als wirklich rundherum empfehlenswert erweist. Allerdings erwarten die Programme von Pinnacle und Ulead einen modernen Computer mit Firewire Anschluss. Ältere Rechner mit langsamer Festplatte, Grafik- oder Videokarte und ähnlichem haben generell wenig Freude mit diesen Softwareprodukten, die sich mit wackeligen Bildern und häufigen Systemabstürzen während der Arbeit bedanken.
Generell sollte daher vor der Anschaffung von Videosoftware die Gelegenheit des kostenlosen Downloads oder von Demoversionen genutzt werden, um die anvisierte Software mit dem eigenen Rechner ausgiebig zu testen und konkret auszuprobieren, ob sich die Rechnerhardware überhaupt mit dem anvisierten Programm verträgt. Wenn dann das gewählte Programm jedoch nicht über die Möglichkeit der Ausspielung auf DVD verfügt, besteht kein Grund zur Verzweiflung, denn Pinnacle bietet mit der Software Expression für unter 50 Euro all denjenigen, die Videos lediglich als AVI im Rechner speichern können, ein sehr interessantes Zusatzprogramm an, welches das Ausspielen eines AVI-Films auf CD in den Formaten VCD und SVCD und DVD zulässt. Das Abspielen des fertigen Films ist nachher mit nahezu allen üblichen DVD Abspielgeräten möglich. Natürlich lassen sich die Mängel der meisten Videoschnittprogramme durch das Koppeln mit zusätzlicher Audioschnittsoftware ausbügeln.
Zwar erfordert dies in der Praxis ein umständliches Hin- und Herwechseln zwischen Programmen, führt aber letztlich zu zufriedenstellenden hörbaren Resultaten. Um die Qual der Wahl noch zu steigern, oder einfach einen Grund zu haben noch ein wenig zu warten, sei folgendes hartnäckige Gerücht noch kurz angemerkt, demzufolge in der zweiten Jahreshälfte von der renommierten Firma Avid möglicherweise eine kostenlose und abgespeckte Version von DVXpress angeboten wird, die wahrscheinlich beim Gebrauch mit Windows PCs optimal arbeiten dürfte. Allerdings ist es wahrscheinlich auch hier so, dass ein entsprechend moderner Rechner vorausgesetzt wird, um das verwendete System für den Videoschnitt zu optimieren. Wer alldem grundsätzlich aus dem Weg gehen möchte, der kann sich die Anschaffung eines komplett integrierten Videoschnittsystems Casablanca Avio der Firma Macrosystem (www.macrosys tem.de) oder eines modernen Apple Computers (www.apple. com/de) überlegen. Die bei Apple problemlos zu bedienende mitgelieferte Software iMovie lässt dabei sogar eingefleischte Anhänger des Videoschnittsystems Casablanca ein wenig vor Neid erblassen. Die Stärken von Avio liegen in der unkomplizierten Einbindung von analogen Videosystemen.
Michael Bloech: Science Fiction - Ein Horrorthriller für Kinder!
Ein Gänsehaut erzeugender Science-Fiction- Thriller für Kinder. Macht das pädagogisch Sinn, ist das überhaupt empfehlenswert? Möglicherweise schon, vor allem dann, wenn der Film sich mit der Frage beschäftigt, welche Geheimnisse Eltern vor ihren Kinder verbergen. Zugespitzt münden diese Zweifel in der Kardinalfrage, mit der sich wohl jedes Kind schon einmal auseinandergesetzt hat, ob seine Eltern wohl tatsächlich seine wirklichen leiblichen Eltern sind. Genau hier knüpft der Film Science Fiction an, wird doch der Held der Geschichte, der 10-jährige Andreas mit eben diesem Identitätsproblem konfrontiert. Wie schon so oft vorher kommt Andreas nach einem Umzug wieder einmal in eine neue Klasse in einer fremden Stadt. Nach den Turbulenzen des Eingewöhnens findet der willensstarke Junge intelligente und mutige Freunde unter seinen Schulkameraden. Eine besonders intensive Beziehung baut er mit der burschikosen Vero auf, die sich in ihrem ausrangierten alten Wohnwagen im Garten ihrer Eltern eine ganz eigene Welt eingerichtet hat. Hier werden nach Herzenslust auf einem bequemen Bett alte Horrorfilme angeschaut. Der Wohnwagen wird schnell zu einem beliebten Treffpunkt der Clique um Vero und Andreas. Bei ihren konspirativen Gesprächen über die Geheimnisse der Eltern offenbart sich nicht nur, dass Veros Vater eine heimliche Geliebte hat; es kristallisiert sich auch ein unheimlicher Verdacht heraus.
Vero vermutet, das sich hinter dem merkwürdigen Verhalten von Andreas Eltern, die auf alle einen überaus distanzierten und kühlen Eindruck machen, etwas Furchtbares verbirgt: Andreas Eltern müssen Außerirdische sein. Andreas glaubt Vero natürlich nicht und schiebt alles auf ihre Leidenschaft für Splattermovies mit Aliens. Doch allmählich häufen sich die Anzeichen, dass das Mädchen mit ihrer kühnen Vermutung durchaus Recht haben könnte. Andreas stellt seinen Eltern nach und durchforstet die ultramoderne und sehr sterile Wohnung des seltsamen Elternpaars, die in Keller und Garten geheimnisvolle, wissenschaftliche Experimente hinter verschlossenen Türen durchführen. Überhaupt herrscht in dem Haus generell eine bedrückende Stimmung, die gekennzeichnet ist durch das strenge Erziehungsverhalten der Eltern und den emotionslosen Umgang der Familie untereinander. Dramatisch wird die Situation jedoch, nachdem die Kinder verbotenerweise in das Labor der Eltern eindringen und jede Menge toter Vögel finden. Jetzt scheint für Andreas alles klar zu sein – Vero hat Recht ...Die Geschichte wird stimmungsvoll in düsteren Bildern erzählt, wobei die Grusel- und Schockeffekte des mehrfach international prämierten Films behutsam, d.h. kindgerecht eingesetzt werden.
Regisseur Dany Deprez verzichtet darauf, atemlose Spannung um ihrer selbst willen zu erzeugen, vielmehr konzentriert er sich auf die Psychologie von Andreas, der immer unsicherer zu werden scheint, seine Eltern misstrauisch beäugt und immer hartnäckiger versucht, hinter das Geheimnis seiner Eltern zu kommen. Der Film schildert einfühlsam und nachvollziehbar, wie Andreas sich allmählich von seinen Eltern ablöst, sie kritisch hinterfragt und sie damit vom Sockel der Unantastbarkeit stößt. Der Film jongliert geschickt mit Wahrheit und Phantasie, Einbildung und Gewissheit. Diese präzise, stimmige und ernsthafte Schilderung kindlicher Identitätsfindung kombiniert mit Science-Fiction- und Horrorelementen könnte jedoch bei Kindern Angst auslösen, wenn bei der Rezeption Parallelen zwischen dem Handlungsverlauf des Films und der eigenen Sozialisation und eigenen Erlebnissen gezogen werden. Der Film fungiert als perfekte Identifikationsplattform und gibt damit reichlich Gelegenheit, sich in das Gefühlsleben der Filmkinder hinein zu versetzen, was in der Folge überaus realistische Angstgefühle auslösen kann. So bewirbt die Verleihfirma Science Fiction auch nicht explizit als Kinderfilm, sondern als Film für die ganze Familie. Und das macht durchaus Sinn, denn der Film liefert genügend Gesprächsstoff für innerfamiliäre Diskussionen.
Hartmut Warkus / Thomas Jacob: Rätselhafte Geschichten
Die deutsche Übersetzung von Adventure lautet „Abenteuer“. Und Abenteuer müssen die Protagonisten in diesem Spielegenre auch regelmäßig bestehen. Allerdings nicht durch Geschicklichkeit und Feuerkraft wie in Actionspielen, sondern durch logisches Kombinieren und das Lösen von Rätseln. Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit anderen Spielfiguren und das Verbinden und richtige Einsetzen von gefundenen Gegenständen. Adventures sind mehr oder weniger eine Abfolge von Rätseln, die in eine Geschichte verpackt sind. Die Darstellung dieser Geschichten aber hat sich seit den Anfängen vor über zwanzig Jahren stark verändert. Die Entwicklung des Genres spiegelt auch die Evolution von Computerspielen im Allgemeinen wider. Spielspaß ohne GrafikDie ersten Abenteuerspiele, gleichzeitig auch einige der ersten Computerspiele überhaupt, waren Textadventures, auch als „Interactive Fiction“ bezeichnet. Eine äußerst treffende Bezeichnung, denn die Spiele gleichen Büchern, in denen der Leser den Fortgang der Handlung selbst bestimmt. Und zwar Bücher ohne Bilder, denn Textadventures kommen völlig ohne jede Grafik aus. Die Spielewelt wird mittels Text beschrieben, und der Spieler gibt seine Aktionen als Textbefehle ein. Mittels mehrerer einfacher Befehle untersucht der Spieler hier das Fenster, öffnet es, steigt hinein, nimmt eine Flasche Wasser und versucht, daraus zu trinken, worauf ihn das Programm darauf hinweist, die Flasche doch erst zu öffnen. Die Szene stammt aus dem Spiel „Zork“, das 1980 von der Firma Infocom veröffentlicht wurde. „Zork“ und seine beiden Nachfolger hatten noch keine nennenswerte Handlung, der Spieler durchstreifte ein riesiges Höhlenlabyrinth auf der Suche nach Schätzen.
Schon bald veröffentlichte Infocom aber auch Spiele mit ausgefeilten Storys aus verschiedensten Genres: unter anderem Detektivgeschichten sowie Science- Fiction- und Fantasyabenteuer.Im heutigen Zeitalter von fotorealistischen Grafiken muten Textadventures wie Relikte aus der Computersteinzeit an. Und doch sind sie zeitloser als alle anderen Computerspiele, denn jede noch so gute Grafik gilt schnell als veraltet; Interactive Fiction dagegen lässt die Bilder in der Fantasie des Spielers entstehen. Was die Infocom-Spiele von anderen Textadventures abhob und zu Verkaufsschlagern machte, war die literarische Qualität der Prosa sowie die Flexibilität des so genannten „Parsers“. Der Parser ist der Teil des Programms, der die Eingaben des Spielers interpretiert und umsetzt. Während die meisten anderen Textadventures lediglich Zwei-Wort-Befehle verstanden („open door“), kamen Infocom-Spiele auch mit komplexen Eingaben wie „take the green bottle from the table, then open it and drink water“ zurecht.Technische WeiterentwicklungDer Stern von Textadventures begann Mitte der 1980er Jahre rapide zu sinken. Die Leistungsfähigkeit von Heimcomputern erlaubte es mittlerweile, auch bunte und bewegte Grafiken in Adventures einzubauen. Die Spieler waren fasziniert von den neuen Möglichkeiten, reine Textadventures waren plötzlich kaum noch gefragt. Am erfolgreichsten waren die Spiele der Firma „Sierra“.
Spiele wie „King’s Quest“, „Space Quest“ und „Larry“ und ihre vielen Nachfolger verkauften sich millionenfach. Trotz der neuen, bunten Abenteuerwelten mussten Befehle aber weiterhin, wie in reinen Textadventures, mit Hilfe der Tastatur eingegeben werden. Das änderte sich erst mit den Adventures der Firma „LucasArts“, wie zum Beispiel „Maniac Mansion“ oder der „Monkey Island“-Serie, die auf eine komfortable Maussteuerung ausgelegt waren. Auch die Grafiken und Sounds wurden stetig verbessert, durchgehende Sprachausgabe wurde zum Standard, mehr und mehr konnte man von interaktiven Cartoons statt Büchern sprechen. Mitte der 1990er Jahre erschienen dann auch Spiele mit echten Schauspielern und Filmsequenzen. Das große Manko dieser Spiele war die stark eingeschränkte Interaktivität: Man hangelte sich mit einigen Puzzles von einem Filmchen zum nächsten, die mit meist schlechten Schauspielern und billigen Kulissen nervten. Das merkten recht schnell auch die Spieler, und die so genannten „Interactive Movies“ verschwanden nach kurzer Blütezeit wieder vom Markt.Rückzug ins Nischendasein Doch auch die „klassischen“ Adventures haben es seit einigen Jahren äußerst schwer.
Mit dem Siegeszug der 3D-Shooter schwand das Interesse der Käufer an den eher gemütlichen Denkspielen. Jahrelang erfolgreiche Reihen verkauften sich nicht mehr und wurden eingestellt. Heute kommen nur noch sehr wenige „klassische“ Adventures heraus, meist von kleinen Entwicklerstudios. Äußerst erfolgreich sind dagegen Spiele, die Adventureelemente mit Actionspielen vermischen. Bekanntestes und erfolgreichstes Beispiel ist die „Tomb Raider“-Serie. Lara Croft, die Heldin des Spiels, muss nicht nur rennen, springen und schießen, sondern zwischendurch auch kleine Knobeleien lösen und die richtigen Schalter betätigen. So komplex wie in klassischen Adventures sind die Rätsel aber nie.
Beitrag aus Heft »2003/06: Kinder im Mediennetz«
Autor:
Hartmut Warkus,
Thomas Jacob
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Daniela Schmohl: Zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager
Geschichte zu vermitteln ist keine leichte Aufgabe. Das Unbeschreibliche begreifbar zu machen und damit die Erinnerung und die Mahnung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wach zuhalten, noch viel schwieriger. Gerade in Zeiten, in denen der Zweite Weltkrieg als „Hintergrund“ immer neuer Computerspiele (siehe merz 6/02) dient, Auschwitz als Erklärung für militärische Präventivschläge (siehe Kosovo-Krieg) angeführt wird und trotz aller Regierungsprogramme (von civitas bis entimon) ein Zurückdrängen rechter Gewalt, antisemitischer Propagandadelikte und rassistischer Übergriffe nicht absehbar ist, ist das fundierte Wissen um die nationalsozialistische Terrorherrschaft eine entscheidende Grundlage der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus aber auch der deutschen Geschichte und dem Selbstverständnis einer Demokratie.Gegen das Vergessen II - Häftlingsalltag im KZ Sachsenhausen 1936-1945United Soft Media Verlag GmbH. ISBN 3-8032-1610-9, Preis: EUR 29,90. Systemvoraussetzungen: Win95/Win98/WinMe/WinNT 4.0/Win 2000/Win XP; CPU-Typ Athlon/Pentium, 166 MHz; 64 MB RAM, 15 MB Festplattenspeicher; 1024x768 bei 16 Bit Farbtiefe; 8-fach CD-ROM LaufwerkDie CD-ROM „Häftlingsalltag im KZ Sachsenhausen 1936-1945“ entstand in Zusammenarbeit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen und der United Soft Media Verlag GmbH. Im Mittelpunkt stehen die Biographien von 20 ehemaligen Häftlingen, deren Lebensgeschichte vorgestellt wird. Von zentraler Bedeutung sind dabei Interviews mit den Überlebenden oder ihren Nachkommen.
In sechs Schwerpunkte wird das Leben der Menschen gegliedert: „Wege nach Sachsenhausen“, „Häftlingsgesellschaft“, „Arbeit“, „Raum und Zeit“, „Gewalt, Sterben, Tod“ und „Leben mit der Erinnerung“. Diese Begriffe erschließen sich beim ersten Lesen nicht sofort und auch die sehr kleine graphische Navigation ist am Anfang nicht sehr hilfreich. Erkundet man aber neugierig und mit viel Zeit das Leben eines Menschen, erfährt man anhand der O-Töne und zahlreicher Materialien wie Fotos, Dokumente, Zeichnungen und anderer persönlicher Gegenstände wichtige Details und erhält eindringliche Erkenntnisse über die Systematik nationalsozialistischer Verfolgung und die Geschichte der Konzentrationslager.Anhand der einzelnen Verfolgungsgeschichten werden gleichzeitig die unterschiedlichen Häftlingsgruppen vorgestellt. Hier begegnen uns bekannte Namen wie der Gewerkschafter Lothar Erdmann, der Kommunist Rudi Wunderlich oder der niederländische Widerstandskämpfer Ab Nicolaas, aber auch die polnische Zwangsarbeiterin Janina Krawczyk, der Sinto Walter Winter und der als sogenannter Berufsverbrecher in Sachsenhausen inhaftierte Erich Ziebarth. Neben der bereits genannten biographischen Annäherung und der Unterteilung der Häftlingsgesellschaft in politischen Widerstand, sozial, rassisch oder patriotisch Verfolgte und Zwangsarbeiter kann auch der thematische Zugang über die obigen Kapitel („Wege nach Sachsenhausen“ usw.) gewählt werden. Man erhält zunächst allgemeine Informationen über die Geschichte des Lagers oder der Zwangsarbeit – die einzelnen Biographien dienen hier der Veranschaulichung.
Da die CD-ROM konzeptionell als multimediale Ausstellung angelegt ist, werden die gesprochenen Einführungssequenzen nicht noch einmal zum Nachlesen angeboten und auch für die Vertiefung des Themas stehen z.B. keine Überblicksdarstellungen der Geschichte des Lagers oder ausdruckbare PDF-Dokumente zu den verschiedenen Themen zur Verfügung.Insgesamt sprechen die umfangreichen, wissenschaftlich fundierten Recherchen und die anspruchsvolle multimediale Umsetzung für die CD-ROM. Die Software wurde bereits mit dem „Europrix Multimedia“ in der Kategorie „Wissen“ und dem Deutschen Bildungssoftware-Preis „digita“ ausgezeichnet.Buchenwald – Ein KonzentrationslagerPahl-Rugenstein Verlag Bonn. ISBN 3-89144-335-8, Preis: EUR 24,95 (Staffelpreise für Schulen und Bildungseinrichtungen). Systemvoraussetzungen: Win95/NT - Win XP; ab 366 MHz; ab 34 MB RAM; 800x600, 16 Bit Farbtiefe; 10-fach CD-ROM LaufwerkDie CD-ROM Buchenwald, herausgegeben von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis e.V. bietet ein anderes Herangehen an die Auseinandersetzung mit dem NS-Terror und dem KZ-System. Sie richtet sich in erster Linie an Jugendliche und sie vermittelt ihr Wissen bewusst aus der Position der überlebenden KZ-Häftlinge. Damit wird neben dem Lageralltag, den Verbrechen der SS und der Arbeit im KZ auch dem Aspekt des organisierten politischen Widerstands große Aufmerksamkeit gewidmet.Auch hier kommen wieder zahlreiche Zeitzeugen in Video- oder Audiobeiträgen zu Wort, zeugen zahlreiche Dokumente (von Haftbefehlen, über Anweisungen des Lagerkommandanten bis hin zu persönlichen Postkarten der Häftlinge und zahlreichen Kunstwerken der Inhaftierten) vom Leben und Sterben, aber auch vom Widerstand im KZ.Bereits im Beiheft der CD-ROM erhält man einen ersten Überblick über die Entwicklung des Systems der nationalsozialistischen Konzentrationslager und die Geschichte Buchenwalds.
Mit dem Start der CD-ROM kann man die Geschichte des Terrors in den Kapiteln KZ-System, Buchenwald, Lageralltag, Arbeit im KZ und SS-Verbrechen selbst nachlesen, hören, Bilder und Fotos ansehen aber auch PDF-Dokumente zum nachlesen und weiterarbeiten ausdrucken. Gerade der Ausdruck zahlreicher Dokumente (von der Hilfe über das Glossar und die Chronik bis hin zu einzelnen Plänen, wie die Zeichnung der Genickschussanlage oder dem nach der Selbstbefreiung verabschiedeten Manifest der demokratischen Sozialisten) ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und ist zugleich eine wichtige Hilfe für den Einsatz im Unterricht. Eine ganze Rubrik ist der Vorbereitung und Begleitung eines Gedenkstättenbesuchs mit SchülerInnen gewidmet. Hier finden sich neben gedenkstättendidaktischen Hinweisen und Diskussionsvorschlägen auch Arbeitsblätter zum ausdrucken und bearbeiten.Die Kapitel Kunst im KZ, Widerstand und Selbstbefreiung vermitteln ein facettenreiches Bild des Widerstehens gegen den NS-Terror. Besonders hervorzuheben ist dabei die Vermittlung der Solidarität unter den Häftlingen und der illegalen Organisierung vom Krankenrevier bis zur Internationalen Militärorganisation (IMO), die maßgeblichen Anteil an der Durchführung der Selbstbefreiung hatte. Von Historikern ist die Wirksamkeit der IMO bei der Selbstbefreiung unterschiedlich bewertet oder gar negiert worden. Umso wichtiger sind die zahlreichen hier angeführten Zeugenaussagen und Dokumente und die genaue Aufführung der äußeren Umstände (abrücken eines Großteils der SS-Wachtruppen, Nähe der amerikanischen Truppen etc.), die die Selbstbefreiung ermöglichten.
Im Kapitel Vermächtnis werden die Programme für den antifaschistischen Neubeginn dokumentiert, aber auch der Umgang mit den Tätern ins Visier genommen – und dazu gehört auch die Einrichtung des Speziallagers Nr. 2 auf dem Gelände des KZs 1945-50.Kritischer hätte dagegen die Auseinandersetzung mit der Instrumentalisierung des Antifaschismus als „Staatsideologie“ in der DDR (gerade in Bezug auf die Entstehung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 1958) sein müssen. Auch eine bessere Gliederung der angegebenen Literatur (z.B. in Erinnerungen ehemaliger Häftlinge und Sekundärliteratur) könnte die Auswahl und Einschätzung für Uninformierte erleichtern. Die „Parteilichkeit“ der Sichtweise der ehemaligen Häftlinge und die geschichtsdidaktische Aufarbeitung des Themas für die Arbeit mit Jugendlichen machen diese CD-ROM sehr empfehlenswert.In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zählt jeder Name, der nicht in Vergessenheit gerät und jede Erinnerung an die geschehenen Verbrechen. Beide CD-ROMs leisten dafür einen wichtigen Beitrag und sind ein Anstoß zur weiteren Beschäftigung mit der deutschen Geschichte.
Danilo Dietsch / Fabian Fiedler: Schnipp-Schnapp-Audioschnitt
Radio macht Spaß! In der medienpädagogischen Arbeit erfreuen sich reine Audioproduktionen trotz der vielfältigen Möglichkeiten, sich vorrangig visuell auszudrücken, nach wie vor großer Beliebtheit. Aber auch Multimediaproduktionen gewinnen dann an Reiz, wenn sie als Cross-Media-Produktionen die gesamte Bandbreite der medialen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen und kommen ohne Sound und akustische Elemente kaum noch aus. In der medienpädagogischen Projektarbeit wird digitaler Audioschnitt vorrangig für O-Töne und weniger für reine Musikproduktion verwendet.Die Produktionsbedingungen sind aufgrund der Digitalisierung wesentlich einfacher geworden. Ein genauer Blick auf die Voraussetzungen und Möglichkeiten für den digitalen Audioschnitt zeigt jedoch, dass dessen Einsatz in der medienpädagogischen Projektarbeit stark vom Vorhandensein und der Beherrschung der Hard- und Software abhängt.Voraussetzungen für die Durchführung eines Audioprojekts
Der Vorteil bei allen Audioschnittprogrammen: Man kann sie sich sukzessive erarbeiten, sie sind leicht erlernbar und intuitiv verständlich. Nach kurzer Einarbeitung ist das Bearbeiten einfacher Straßenumfragen oder Interviews kein Problem. Für die Produktion komplexer Hörspiele mit vielen akustischen Feinheiten sollte man das verwendete Programm schon sehr gut kennen. Computer-Basiswissen ist auf jeden Fall von Nöten und je nach Ausrichtung des Projekts sind auch radiojournalistische Grundkenntnisse vorteilhaft. Bei Anfängergruppen, z.B. zur Produktion eines gebauten Beitrags (Beitrag mit O-Ton), empfiehlt sich ein Teamerschlüssel von max. 1:6.Gut verständliche Aufnahmen sind Voraussetzung für den Schnitt. Sehr leise oder übersteuerte (also zu laut aufgenommene) Interviews oder Aufnahmen mit Störgeräuschen werden trotz vieler Features und Manipulationsmöglichkeiten der Software nie mehr zu guten O-Tönen.Bei der Soundbearbeitung (Audioschnitt) wird zwischen konstruktivem (Positivschnitt) und destruktivem Schnitt (Negativschnitt) unterschieden. Beim konstruktiven Schnitt werden die benötigten O-Töne zur weiteren Bearbeitung aus der Gesamtaufnahme aussortiert/herausgeschnitten, die nicht benötigten Aufnahmen bleiben vorhanden.
Beim destruktiven Schnitt werden alle nicht benötigten O-Töne herausgeschnitten (gelöscht), so dass nur die ausgewählten Aufnahmen verfügbar bleiben und in der gewünschten Reihenfolge arrangiert werden können.Hard- und SoftwareMit einem Pentium 3 Computer (ca. 700 MHz, 256 MB RAM) ist man zur Zeit bei neueren Audioschnittprogrammen auf der sicheren Seite, ältere Versionen kommen noch gut mit weniger leistungsfähigen Rechnern aus. Für die Audiodateien im Wave-Format (.wav) kann man erfahrungsgemäß nie genug Platz auf der Festplatte haben (Richtgröße: 10 Minuten Audiomaterial benötigen ungefähr 100 MB Speicherplatz).Als weitere Hardwarekomponenten werden eine Soundkarte, Boxen, CD-Rom-Laufwerk und -Brenner benötigt. Empfehlenswert sind Soundkarten mit mehreren Ein- / Ausgängen sowie mit digitalen Anschlüssen und anwenderfreundlichen Frontanschlüssen. Da noch nicht alle Programme - vor allem ältere Versionen - unter Windows 2000 und XP laufen, ist Windows 98 für die Soundbearbeitung das problemloseste Betriebssystem. Die Wahl des „Zuspielers“ (Tapedeck oder MD-Player) richtet sich nach dem Aufnahmemedium. Ein Minidiskrecorder bietet den Vorteil, die Aufnahmen bei geeigneter Soundkarte ohne Qualitätsverlust digital in den Rechner überspielen zu können.AudioschnittprogrammeDas Angebot an Soundbearbeitungssoftware ist sehr groß, so legen wir den Schwerpunkt auf einen Querschnitt der gängigsten Programme, die sich im pädagogischen Einsatz, aber auch im professionellen Radiobereich bewährt haben.
Die Preisangaben beziehen sich auf die aktuell recherchierten Listenpreise und sind natürlich von Händler zu Händler Schwankungen unterworfen. Selbstverständlich kann man im Internet auch gebrauchte Originalsoftware ersteigern.Samplitude ist ein anspruchsvolles und professionelles Programm mit vielen zusätzlichen Bearbeitungswerkzeugen. Die Vollversion kostet ca. 499 Euro, allerdings gibt es auch eine kostenfreie Basic-Version, die gelegentlich über verschiedene Computerzeitschriften vertrieben wird. Diese Version besitzt nicht alle Funktionen, so ist u.a. das programminterne Brennen von CDs, mancher Effekt und das Importieren/Exportieren von anderen Dateiformaten nicht möglich. Werden die fehlenden Funktionen benötigt, kann man sich jedoch teilweise mit Freewareprogrammen behelfen. Der einfache Audioschnitt einer Umfrage oder das Erstellen eines kleinen gebauten Beitrags sind mit der Basic-Version aber ohne Einschränkung möglich.Samplitude wird in einer deutschen Version ausgeliefert und man kann sich ein Grundwissen mit den wichtigsten Funktionen relativ gut erarbeiten. Das Programm beinhaltet so viele Möglichkeiten für professionelle Studio(musik-)produktionen, dass es eine gewisse Zeit benötigt, angesichts dieser für ein medienpädagogisches Projekt überdimensionalen Ausstattung eine gute Übersicht über das Programm zu bekommen.Die Bearbeitungsoberfläche besteht aus bis zu 64 Spuren. In jeder Spur können die einzelnen Aufnahmen als separate Objekte bearbeitet werden.
Sowohl konstruktive als auch destruktive Bearbeitung sind übersichtlich gut möglich. Aufnahmen und Bearbeitungsschritte (Fade, Volumenkurve) werden graphisch gut dargestellt und erleichtern so Verständlichkeit und Übersicht. Die Vollversion ermöglicht eine Nachbearbeitung mittels Rauschunterdrückung, Kompressor etc. zur Verbesserung qualitativ schlechterer Aufnahmen. Diese Funktionen sind in der pädagogischen Radioarbeit besonders wertvoll, wenn Aufnahmen nicht den Anforderungen an sendefähiges Material entsprechen.Die Bearbeitung des Audiobeitrages erfolgt virtuell in einer so genannten VIP- Datei. Die Original WAV- Datei bleibt in ihrem Ursprung erhalten. Dies hat den Vorteil, dass alle Bearbeitungsschritte rückgängig gemacht werden können. Weitere Informationen sind unter www. samplitude.de zu finden.Ein kleiner Bruder von Samplitude ist music studio 7 deluxe. Das Programm ist mit ca. 80 Euro wesentlich preiswerter, bietet aber auch weniger Möglichkeiten in der Soundbearbeitung. So sind weniger Bearbeitungswerkzeuge und Funktionen vorhanden. Die Ausstattung ist auch gegenüber Samplitude Basic stark reduziert und seine diffuse Farbgestaltung macht eine Orientierung etwas schwierig. Das Programm ist ebenfalls in deutsch und fällt durch eine ähnliche Benutzeroberfläche auf wie Samplitude, die Bearbeitungsschritte sind identisch. Wer allerdings Samplitude als Soundbearbeitungsprogramm gewöhnt ist, wird sich mit ‚music studio‘ mitunter recht schwer tun.Für medienpädagogische Projekte, zur Produktion von einfachen Umfragen oder gebauten Beiträgen, ist das Programm ausreichend. Für aufwändigere Hörspiele oder andere größer angelegte Produktionen sind umfangreichere Programme von Vorteil.Auch Cool Edit Pro wird im professionellen Audiobereich häufig eingesetzt.
Die Vollversion kostet ca. 300 Euro. Es gibt verschiedene Demoversionen die allerdings für den pädagogischen Einsatz, zur Erstellung von Audiobeiträgen, nur bedingt einsetzbar sind, da die Bearbeitungsmöglichkeiten meist zu stark eingeschränkt sind. Im Gegensatz zu Samplitude ist Cool Edit aus zwei Bearbeitungsoberflächen (Fenstern) aufgebaut. So gibt es im Wave-Fenster die Möglichkeit, die Sound-Datei direkt mittels destruktiven Schnitts zu bearbeiten oder auch die Möglichkeit des Positivschnitts, in dem die benötigten O-Töne markiert werden. Sie müssen dann in den zweiten Bearbeitungsmodus, das Multitrack-Fenster, kopiert werden. Hier stehen mehrere Spuren zur Auswahl, in denen die ausgewählten O-Töne arrangiert werden können.Durch den nötigen Wechsel zwischen zwei Bearbeitungsfenstern ist das Programm im pädagogischen Bereich für den ungeübten User etwas schwierig in der Bedienung. Eine weiteres Handikap kann in der englischsprachigen Benutzeroberfläche mit vielen Fachausdrücken liegen. Ansonsten unterschiedet sich Cool Edit wenig von Samplitude. Seine Stärken liegen in zahlreichen Features, einem guten Klang und einer Vielzahl von Möglichkeiten die Aufnahmen mit verschiedenen Effekten nachzubearbeiten. Unter www.syntrillium.com sind weitere Informationen zu finden.Ein sehr übersichtliches und leicht verständliches Programm ist Easy Cut. Das Programm kostet ca. 390 Euro und auch hier sind Demoversionen erhältlich. Die Benutzeroberfläche ist zweigeteilt. In der oberen Hälfte werden die ausgewählten O-Töne in den zur Verfügung stehenden Spuren arrangiert.
Im unteren Teil können die einzelnen Aufnahmen mittels destruktivem Schnitt bearbeitet werden. Auch bei Easy Cut werden die O-Töne und die Bearbeitung wie z.B. Volumen oder Fade graphisch gut dargestellt. Das Programm bietet allerdings im Vergleich weniger Effekte und Möglichkeiten einzelne Aufnahmen nachzubearbeiten. Das Programm ist in Englisch, besitzt aber eine deutsche Hilfe. Auch mit Easy Cut werden die Aufnahmen virtuell bearbeitet, so das die einzelnen Bearbeitungsschritte rückgängig gemacht werden können. Weitere Informationen sind unter www.cutmaster.de zu finden.Ein weiteres Programm ist WaveLab, welches ab 249 Euro angeboten wird. Auch dieses Programm eignet sich gut für die Produktion von Audiobeiträgen. Das Programm bietet ähnliche Bedingungen wie die beschrieben Programme. Die Demoversion ist mit allen Features ausgestattet, allerdings ist keine Speicherung der Wavedatei möglich.Aktuell erweitern sich die Leistungsfähigkeit der Videoschnittprogramme und Autorenprogramme (zur Erstellung von CD-ROMs) von Version zu Version durch passable Audiooptionen. Umgekehrt wird zum Beispiel das klassische Soundbearbeitungsprogramm Samplitude in der aktuellen Version 7.11 zusammen mit Video Deluxe 2.0 ausgeliefert. Audio- und Videodateien können wechselseitig in beiden Programmen erstellt und weiterverwendet werden. Und zukünftig wird wohl auch im Internet dem Sounddesign eine größere Bedeutung zukommen.
Beitrag aus Heft »2003/06: Kinder im Mediennetz«
Autor:
Danilo Dietsch,
Fabian Fiedler
Beitrag als PDF
Tilmann P.Gengloff: Kaum vertippt - schon auf der Pornoseite
Alle machen es. Schüler und Studenten, Journalisten und Lehrer, selbst Hausfrauen und Rentner. Wer im Internet nach Informationen sucht, tut das zumeist mit Hilfe einer Suchmaschine. Muss er auch: Es gibt schätzungsweise 550 Milliarden Internetseiten, und täglich kommen rund 7 Millionen dazu.
Google ist klarer Marktführer, und weil die Firma ihre Technologie auch an andere Provider verkauft hat, beherrscht sie praktisch die komplette Branche. Aus Sicht der Nutzer ist das allerdings eine schlechte Nachricht: weil die Marktführerschaft praktisch gleichbedeutend mit einem Monopol ist.
Und da die Suchmaschinen schätzungsweise bloß ein Drittel des gesamten Internet-Angebots erfassen, klagen Kritiker: Was Google nicht als Treffer anbietet, existiert auch nicht. Diese Erkenntnis ist einer der wesentlichen Aspekte einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die an den Universitäten München und Münster durchgeführt wurde...
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Tilmann P.Gangloff: Wie ist das mit dem Tod?
Der Tod hat in unserer Gesellschaft einen festen Platz: In den Nachrichtensendungen. Aus dem Alltag ist er gründlich verbannt. Wie also soll man Kindern etwas über das Sterben erzählen? Der „Sendung mit der Maus“ ist das mit dem Film über Katharina vor einigen Jahren vorzüglich gelungen. Doch weil man Katharina kennen gelernt hatte, bevor sie starb, war der Film zwangsläufig auch unendlich traurig. Willi Weitzel hat’s auch probiert. Ausgerechnet Willi, das große Kind, der immer so gern Faxen macht!Weitzel ist derzeit neben Ralph Caspers der beliebteste Moderator im Kinderfernsehen. Kein Wunder, denn Willi benimmt sich gegenüber den Erwachsenen wie die Kinder das auch gern tun würden: Er darf dauernd frech sein und wird trotzdem respektiert. Aber er kann auch anders, wie die Folge „Wie ist das mit dem Tod?“ zeigt. Dieser Film lebt nicht allein von Willis Witz, im Gegenteil. Ohne unnötiges Pathos setzt er sich mit dem diffizilen Thema auseinander. Es sind vor allem Willis Fragen, die ihn für Kinder so wertvoll machen. „Seid ihr bei der Arbeit traurig?“, will er von den Männern wissen, die die Gräber ausheben; und warum man Tote nicht einfach so beerdige, sondern immer nur im Sarg. „Damit man mit dem Tod besser umgehen kann, ist es gut, darüber zu reden“, sagt Willi. Er tut das, ohne dabei wie ein Mitarbeiter von „Pietät & Takt“ zu klingen. Der Film ist wie geschaffen für alle möglichen Projekte, bei denen Kinder etwas über den Tod lernen sollen.
Mit Fug und Recht bekommt Willi Weitzel den diesjährigen Erich-Kästner-Preis für das beste Kinderfernsehen. Seit 1996 gibt es diesen Preis, und nicht immer war es leicht, drei Finalisten zu benennen. Noch vor zwei Jahren lag die Zahl der Einreichungen bei gerade mal 23; in diesem Jahr waren es mit 43 fast doppelt so viel. Über Qualität sagt diese Anzahl zwar noch gar nichts, sie belegt jedoch, dass sich die verschiedenen Sender mit Kinderprogramm nicht auf den Einkauf beschränken.Immerhin: Der vermeintlich unvermeidliche Zeigefinger im Kinderfernsehen ist deutlich kleiner geworden, die Produktionen gehen den Machern leichter von der Hand, es gibt deutlich mehr Spielfreude. Trotzdem sind echte, authentische Personen wie etwa die Familie einer protestantischen Pfarrerin in der Serie „Vorsicht - keine Engel“ die Ausnahme: Figuren, die nicht aussehen, als kämen sie frisch aus einem Werbespot. Die mit Unterstützung der evangelischen Kirche entstandene Serie belegt, dass Authentizität keineswegs dann entsteht, wenn man die Kamera auf Dilettanten richtet und den Menschen bloß aufs Maul schaut, sondern vielmehr das Ergebnis harter Arbeit ist.Rund die Hälfte der Einreichungen für den Erich-Kästner-Preis kam zwar nicht ohne Drehbuchdialoge, aber doch ohne Spielhandlung aus: Im Bereich der Informations- und Dokumentationsfilme kann man in der Tat von einem Boom sprechen. Bestes Beispiel: das Wissensmagazin „Wissen macht Ah!“ vom WDR, in dem komplizierteste naturwissenschaftliche Phänomene oft genug auf verblüffend einfache und entsprechend eingängige Weise erklärt werden. Meist sind es die schlichtesten Einfälle, die für die größten Aha-Effekte sorgen.
Imposant ist auch immer wieder der Einfallsreichtum von Redaktion, Autoren und Moderatoren, die offenbar selbst entsprechend wissbegierig sind: Auf die Idee, das so genannte Lampenfieber tatsächlich mit dem Fieberthermometer zu überprüfen, muss man erst mal kommen. Auch hier stellen die Moderatoren Ralph Caspers und Shary Reeves lauter Fragen, mit denen Kinder ihre Eltern löchern könnten: warum man zwei Augen hat zum Beispiel oder warum man morgens aus dem Mund riecht.Neben „Wissen macht Ah!“ entsprach die Qualität der Wissens-, Info- und Doku-Sendungen dem soliden Durchschnitt. Oft zeigt sich, wie wichtig bei Produktionen dieser Art die Person ist, die den Film tragen soll. Die meisten Kinder wirken vor der Kamera mittlerweile wie Nachwuchsmoderatoren, weil sie ihren Idolen nacheifern: Durch den Irrglauben, so „cool“ wie möglich auftreten zu müssen, geht zwangsläufig jede Natürlichkeit und erst recht jede Betroffenheit verloren.So sehr die Entwicklung im dokumentarischen Bereich dennoch zu begrüßen ist: Fiktionale Produktionen spielten bei der Preisfindung praktisch keine Rolle. Einzig positiv diskutiert wurde „Vorsicht - keine Engel!“. Geradeaus erzählt (Buch: Katharina Reschke), kein Schnickschnack, sehr schön die Perspektive von Kindern eingenommen, dank der Kürze von jeweils 15 Minuten zudem ungemein kompakt und außerdem sorgfältig inszeniert (Regie: Nicolai Rohde). In ihrem Genre war die Serie konkurrenzlos.
Und weil die Serie außerdem sehr gut besetzt ist und durch ihre genauen Alltagsbeobachtungen imponiert, ist es eigentlich schade, dass es den Erich-Kästner-Fernsehpreis nicht in zwei Kategorien gibt: fiktional und nicht-fiktional.Tilmann P. GangloffDen Erich-Kästner-Fernsehpreis „für das beste deutschsprachige Kinder- und Jugendprogramm“ gibt es seit 1996. Zu dem Wettbewerb dürfen alle deutschsprachigen TV-Sender beliebig viele Sendungen einreichen, die sich an Zuschauer im Alter von 3 bis 14 Jahren richten. Der Preis ist mit 25.500 Euro dotiert und wird an Sendungen vergeben, die sich „durch kreative, innovative Gestaltung von kinder- und jugendspezifischen Themen hervorheben“ und „die Bildsprache des Fernsehens bereichern“. Gestiftet wird das Preisgeld von der Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten (GWFF), die Ausführung liegt bei der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF). Preisträger 2003 ist Willi Weitzel, Moderator der Informationsreihe „Willi wills wissen“ (Bayerischer Rundfunk), für die Ausgabe „Wie ist das mit dem Tod?“. Nominiert waren die von der evangelischen Kirche mitproduzierte KI.KA-Serie „Vorsicht - keine Engel!“ sowie das Wissensmagazin „Wissen macht Ah!“ (WDR).
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Erwin Schaar: Filme vom internationalen Filmfestival in München
Die verflogenen IllusionenDer kanadische Geschichtsprofessor und ehemalige Sozialist Rémy liegt trotz seiner kregeligen Aufwallungen auf dem Sterbebett, was Freunde, Geliebte, Ex-Frau und Kinder in seine Nähe treibt. Sein Sohn Sébastien eilt aus London herbei, die Tochter meldet sich über Computerbilder von einem Segeltörn auf den Weltmeeren - raum- und zeitlos wie von einem Astronautenflug. Ist sie die Repräsentantin für den Aufbruch in die neue Welt?Sébastien, widerwillig angereist, scheffelt im Aktiengeschäft Geld. Er kann es nicht goutieren, dass sein Vater wegen verquerer Maßnahmen einer sogenannten Gesundheitsreform, die eher vom Zusammenbruch des Systems künden, mit vielen anderen Patienten einen Raum teilen muss. Chuzpe und Geld bringen dem Vater einen feudalen Raum in einem bereits geschlossenen Trakt ein. Und dort kann das Defilee der Freunde beginnen, das meist mit großem Gelächter über die Stars und Idole ihrer Jugendzeit – Lenin, Stalin, Karl Marx – endet. Diesen Idolen haben sie zwar ihre ertragreichen und bequemen Positionen zu verdanken, mit ihrem Gedankengut haben sie Karriere gemacht, doch die Ideen von damals sind die Jugendsünden von heute.Der Kanadier Denys Arcand ("Der Untergang des amerikanischen Imperiums", 1986) versammelt in Les invasions barbares die intellektuelle Schickeria zu einem großen Sterbefest, das sie ebenso ungerührt zu feiern scheinen wie einst ihre wohlfeilen Erlösungsvorstellungen. Das von dem großkapitalistischen Sohn illegal beschaffte Heroin ermöglicht seinem Vater wenigstens ein weitgehend schmerzfreies Sterben.
Zur gleichen Zeit führt uns der sozialkritische englische Regisseur Stephen Frears mit Dirty Pretty Things in ein Londoner Milieu, in dem legale und illegale Zuwanderer ihr Leben fristen. Ein Gewerbe steht im Mittelpunkt, das zu den medizinisch spektakulären und zugleich zu den kriminellen Auswüchsen zählt. Okwe, illegal aus Nigeria eingereist, jobbt als Nachtportier und als Taxifahrer, ist eigentlich Arzt und muss entdecken, dass in seinem feinen Hotel den unerlaubt im Land Existierenden aus der "Dritten Welt" für einen gefälschten Pass als Gegenleistung eine Niere entfernt wird. Das türkische Zimmermädchen Senay, mit dem Okwe ohne erotische Bindung eine Wohnung teilt, möchte auf diese Weise ebenfalls an das Papier kommen, um in die USA auswandern zu können. Um diese zwei Schicksale gruppiert Frears eine detailreiche Handlung, die fast an ihrer Action-Dichte zu ersticken droht. Da mag der Zwiespalt eines für das Fernsehen arbeitenden Regisseurs sichtbar werden, der auf verbrecherische Eigenheiten des Kapitalismus aufmerksam machen möchte, dazu aber übermächtiger Handlungen bedarf, um das Publikum bei Laune zu halten. Doch die schauspielerische Besetzung muss begeistert gelobt werden, weil der Schüler von Karel Reisz und Lindsay Anderson Gespür für die alltägliche Ausdruckskraft von Menschen besitzt und mit Chiwetel Ejiofor und Audrey Tautou Könner ausgewählt hat.AbschiedsprogrammAuch wenn der Hinweis von minimalem öffentlichen Interesse ist beim Überschreiten von Münchens Stadtgrenzen: dieses 21. Filmfest war das letzte, das Festivalleiter Eberhard Hauff seit der Gründung verantwortet hat. Viele Jahre war er der Kritik ausgesetzt ob der ungezügelten Anzahl von Filmen und Reihen, die kaum eine Leitlinie für das nicht fachlich gebundene Publikum bildeten. Sein Nachfolger Andreas Ströhl, der vom Goethe-Institut kommt, wird sich bemühen müssen, eine etwas stringentere Auswahl zu finden, um der Beliebigkeit zu entgehen.
Das heißt nicht, dass Hauff Indiskutables ins Programm gerückt hat, aber sein Festivalmotto 2003 "Träumen mit offenen Augen" streifte doch zu sehr die Unverbindlichkeit. Undiskutiert müssen dabei die Fragen bleiben, welche merkantilen Interessen im Gefüge eines Festivals bedient werden müssen, welchen Einfluss Sponsoren nehmen.Mit dem Eröffnungsfilm Dom Durakov (Das Irrenhaus) des russischen Regisseurs Andrei Konchalovsky gelang Hauff dann zumindest die Irritation der Zuschauer. Bilder aus einer psychiatrischen Klinik an der Grenze Russlands zu Tschetschenien zeigen Menschen, die die Grenze zwischen Normalität und Irrealität überschritten haben. Ihr aller täglich sehnsüchtig erwarteter Fixpunkt ist der Nachtexpress, der eine von ihrer Anstalt aus einsehbare Brücke quert. Die beleuchteten Waggons nähern sich und verschwinden nach kurzer Zeit im Dunkeln. Eine die Geschichte integrierende Figur spielt Julia Vysotsky als Janna, die sich mit dem Pop-Sänger Bryan Adams verlobt wähnt. Sie verbindet mit ihren Exaltationen und Beziehungen Handlungen zu einer Geschichte, in der die kriegerischen Auseinandersetzungen immer bestimmender werden, einmal wenn tschetschenische Rebellen und dann russische Soldaten in die Enklave einbrechen, deren Bewohner mit ihren Sehnsüchten, Wünschen und Konflikten symbolhaft für die Gesellschaft stehen können. Die Kriegsrealität erscheint als die zerstörerische Gewalt, der eine Gesellschaft dumpf ausgeliefert ist. Die in gedämpft grünlichen Bildern inszenierte Handlung wechselt nur manchmal zur vollen Farbe, wenn Sehnsüchte nach sozialer Geborgenheit durchscheinen. Konchalovskys Regiearbeit ist prägnant in den Bildfindungen und deren Abfolge und im Einsatz der Schauspieler, die mit einer schon fast erschreckenden Bandbreite ihres Könnens brillieren. Dahinter stecken handwerkliches Können, Sensitivität für die Auswahl der Darsteller und ihre Führung, Musikalität für das Visuelle und der Wille zur sozialen Kritik. Erstaunlich, dass trotz der hohen Emotionalität des Geschehens keinerlei oberflächliche Tränendrüseneffekte stimuliert werden.
Die Inszenierung behält ihre analytische Geschlossenheit. Eigentlich ein Film aus dem 'alten' Europa, der auch nicht nach dem anders gearteten Glanz Hollywoods schielt.Deutsche EmpfindungenFilme von Regisseuren, die in Deutschland am Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit stehen, können im Vergleich mit solchen gereiften Produktionen in den meisten Fällen höchstens ihre Lauterkeit offenbaren. Die Bilder bleiben platt, weisen nicht über sich hinaus, wie man so schön sagt, werden nicht zu Zeichen einer Idee.Da ist zum Beispiel Susanne Schneider, die auch als Dozentin für Drehbuch an Filmakademien arbeitet, die ihre Geschichte von einem Jungen, der von drei Mitschülerinnen aus Eigennutz der Vergewaltigung beschuldigt wird, in einem boulevardjournalistischen Informationsstil bebildert (In einer Nacht wie dieser). Schauspieler, Landschaften und Requisiten werden für die Erzählung vor die Kamera gereiht. Dem Zuschauer wird kein Raum für Phantasie gegeben. Ein Feeling für die Personen existiert nicht, weil die Story sonst nicht in einer Und-dann-Abfolge präsentiert werden könnte. Das akademische Drehbuch wird nicht zur Phantasie des Visuellen. Außerdem ist die geringe darstellerische Bandbreite der Schauspieler zu spüren, deren Können für ein TV-Movie ausreichen mag, die aber der Regisseurin keinerlei Mitarbeit an der Entwicklung der Geschichte anbieten können.Von einem Entgegenkommen der Darsteller profitiert dagegen ein entsprechend selbstbewusster Regisseur wie Hans Steinbichler, dessen Film Hierankl von einer jungen Frau, Lene, berichtet, die nach vielen Jahren zu ihren Eltern auf das gutbürgerliche idyllisch gelegene Anwesen zurückkehrt.
Der geliebte Vater feiert seinen 60. Geburtstag, mit der Mutter besteht immer noch kein Einverständnis. Der überraschend auftauchende Jugendfreund der beiden zieht mit seiner Souveränität Lene in seinen Bann und sie beginnt mit ihm ein intimes Verhältnis, bis sie auf der Feier erfahren muss, dass er ihr Vater ist. Diese Geschichte über irrationale Beziehungen gewinnt durch die Kraft und das Selbstverständnis des Spiels von Barbara Sukowa, Josef Bierbichler, Peter Simonischek und vor allem durch die hingebungsvolle Darstellung von Johanna Wokalek (Lene) überzeugende dramatische Dimensionen, die Steinbichler in Kinobilder umzusetzen weiß. Ein Drama, das ganz selten pathetisch wird und zudem Humor nicht ausspart: Förderpreise Deutscher Film für Steinbichler und Wokalek.Es kann nicht an sogenannten relevanten Themen liegen, ob ein Kunstwerk für Schicksale sensibilisiert und einnimmt. Diese müssen mit je adäquaten Mitteln auf der Bühne dargestellt, in Literatur gefasst oder in Filmbildern inszeniert werden, um zu bewegen. Sonst könnten sie auch anekdotenhaft in wenigen Worten berichtet werden. Die analytische Dimension muss sich über die Kraft der künstlerischen Inspiration ergeben.Wir sind wieder werDiese Inspiration scheint bei zwei neuen Kinofilmen von allzu aufdringlichem Mitteilungswillen unterlaufen worden zu sein. Der eigentlich viel gelobte Lichter von Hans-Christian Schmid berichtet von jungen Ukrainern, die über die Oder von Polen nach Deutschland gelangen wollen. Episodenhaft aneinander gereiht, werden deren Bemühungen und die Probleme der Menschen in diesem Grenzgebiet zu einer emotional und moralisch niederschmetternden Konstellation.
Die Redundanz der Gefühle macht den Zuseher platt, die Darstellung schlägt in larmoyantes Klagen um. Schmid spielt mit Schicksalen ein Gänseliesl-Spiel, die Menschen interessieren nur dramaturgisch. Er möchte mehr mit seiner inzwischen erreichten handwerklichen Professionalität überzeugen.Heikel wird die Erzählung deutscher Geschichte bei Sönke Wortmann, der in Das Wunder von Bern den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 durch die Bundesrepublik mit dem Schicksal einer Familie im Ruhrpott verbindet, die von der späten Heimkehr des Vaters aus russischer Gefangenschaft geprägt wird. Die fußballerischen Ehren, die heute Legende sind und damals für die junge Bundesrepublik auch den Gewinn von Selbstbewusstsein bedeuteten und die Wiedereingliederung der Heimkehrer-Väter in das für sie ungewohnte gesellschaftliche Milieu werden mit scheinbar realistischen Bildern oberflächlich und ohne Sinn für das Zeitgefühl erzählt. Eine pompöse Musik und der schauspielerische Gestus der 50er-Jahre-Filme sollen als Zeitgeist überzeugen. Dabei war die Pappwelt von Opas Kino eben schon damals der Versuch, Wirklichkeit nicht wahrzunehmen.
Erwin Schaar
Die Filme
Les invasions barbares
Regie/ Buch: Denys Arcand - Kamera: Guy Dufaux - Darsteller: Rémy Girard, Stéphane Rousseau, Marie-Josèe Croze - Kanada 2003 - 99 Minuten - Verleih: Prokino
Dirty Pretty Things (Kleine schmutzige Tricks)
Regie: Stephen Frears - Buch: Steven Knight - Kamera: Chris Menges - Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Audrey Tautou - Großbritannien 2002 - 97 Minuten - Verleih: Buena Vista International
Dom Durakov
Regie/ Buch: Andrei Konchalovsky - Kamera: Sergei Kozlov - Darsteller: Julia Vysotsky, Bryan Adams - Russland/ Frankreich 2002 - 104 Minuten
In einer Nacht wie dieser
Regie/ Buch: Susanne Schneider - Kamera: Andreas Doub - Darsteller: Katrin Bühring, Martin Kiefer - Deutschland 2003 - 84 Minuten
Hierankl
Regie/ Buch: Hans Steinbichler - Kamera: Bella Halben - Darsteller: Barbara Sukowa, Josef Bierbichler, Johanna Wokalek, Peter Simonischek - Deutschland 2003 - 93 Minuten - Verleih: Movienet Film
Lichter
Regie: Hans-Christian Schmid - Buch: H.-Ch. Schmid, Michael Gutmann - Kamera: Bogumil Godfrejow - Deutschland 2002 - 105 Minuten- Verleih: Prokino
Das Wunder von Bern
Regie: Sönke Wortmann - Buch: S. Wortmann, Rochus Hahn - Kamera: Tom Fährmann - Darsteller: Louis Klamroth, Peter Lohmeyer - Deutschland 2003 - 118 Minuten - Verleih: Senator
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Erwin Schaar
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Günther Anfang: Oh wie schön ist Panama
Ein Wunder, dass es diese CD-ROM nicht schon lange gibt. Schließlich hat das gleichnamige Kinderbuch von Janosch nicht nur sämtliche Kinderzimmer erobert, sondern vor allem bei Eltern und Großeltern einen Janosch-Wahn ausgelöst, der sich auf Fahrräder, Trinkflaschen und Wickelkommoden austoben durfte. Der Tiger und der Bär sind Synonym geworden für nette und harmlose Kinderunterhaltung. Doch um Janosch ist es in letzter Zeit still geworden. In den Regalen der Buchhandlungen findet man ihn kaum noch.
Kommentar eines Buchhändlers: „Der hat sich totgelaufen. Doch das wundert mich nicht, schließlich sind die Figuren auf jedem Joghurtbecher zu finden.“ Die CD-ROM kann da vielleicht das Geschäft neu beleben. Natürlich wird die Geschichte vom Tiger und vom Bären erzählt und kann Wort für Wort mitgelesen werden. Spannender ist aber das interaktive Abenteuer auf der Reise nach Panama. So muss man z.B. dem Tiger beim Pilze finden helfen und durch frei rubbeln 20 Pilze einsammeln. Das dauert leider ein bisschen und könnte nicht alle Tiger- und Bärfans zufrieden stellen.
Auch das Angelspiel und die anderen Konzentrations-, Gedächtnis- und Geduldsspiele machen Spaß. Einige Spiele erfordern jedoch vor allem für jüngere Kinder hohe Geschicklichkeit. Doch da werden sicher die Eltern nachhelfen, die sich mit den Figuren ja häufig mehr identifizieren, als die Kinder.
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Günther Anfang
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Günther Anfang: Löwenzahn, die siebte
Zum siebten Mal geht Peter Lustig auf Entdeckungsreise und hat wieder eine ganze Menge an Themen im Gepäck: Diesmal möchte er etwas über die Entstehung der Schrift und den Buchdruck erfahren und stößt dabei auf ein Geheimnis. In einer Schokoladenfabrik bekommt er alles über die Herstellung von Schokolade erklärt, in einem Moor will er nach seinen Urahnen forschen und macht dabei eine gruselige Entdeckung. Auch über Fotografie macht sich Peter Lustig schlau und zeigt, wie eine Lochkamera funktioniert. Sogar auf die Frage, warum Schweine im Dreck suhlen, findet er eine Antwort.
Vor allem für Musikfans hat er diesmal etwas ganz Besonderes auf Lager: wer sein musikalisches Gehör testen will, kann dies beim Hör-Memory tun. Außerdem erklärt Peter Lustig auf einer Zeitreise durch die Geschichte der Musik die wichtigsten musikalischen Stile von Barock bis zur Moderne. Aufschlussreich ist auch Peters Tonstudio. Hier zeigt er, wie sich durch die Untermalung mit unterschiedlicher Musik der Charakter eines Films verändert.
In Peters Bauwagen sind natürlich wieder jede Menge Spiele und Videos zu entdecken. Und wer schon lange einmal die Latzhose von Peter Lustig schneidern wollte, findet einen Schnittmusterbogen für eine original Peter Lustig-Latzhose. Somit bietet Peter Lustig auch in der siebten Ausgabe eine abwechslungs- und lehrreiche CD-ROM, die Kindern nicht nur Spaß macht, sondern auch als Edutainment-Programm die Erfolgsserien fortsetzt.
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Günther Anfang
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Günther Anfang: Mathe macht Spass: Der Zahlenteufel
War bereits das Buch „Der Zahlenteufel“ von Hans Magnus Enzensberger eine gelungene und preisgekrönte Mischung aus Unterhaltung, Belehrung und Spannung, so ist mit der CD-ROM nun eine Edutainment Software auf den Mark gekommen, die auch Schüler begeistern wird, die mit Mathematik sonst auf Kriegsfuß stehen. Denn die CD-ROM verpackt Fragen der Mathematik in spannende Geschichten, amüsante Spiele und lehrreiche Exkursionen in die Tiefen mathematischer Phänomene. Im Mittelpunkt der CD-ROM steht wie bereits im Buch der Mathemuffel Robert, der wie viele Schüler Mathematik einfach nur schrecklich findet. Das wird jedoch anders, als er eines Tages den Zahlenteufel kennen lernt. Der besucht ihn immer nachts in seinen Träumen und nimmt ihn mit auf fantastische Reisen in die Welt der Mathematik.
Was Robert nämlich bisher nicht wusste, ist, dass die Welt der Zahlen nicht nur aus langweiligen Rechenaufgaben besteht, sondern aus kniffligen Rätseln, erstaunlichen Zaubertricks und völlig verrückten Experimenten.In 11 Nächten erkundet Robert mit seinem neuen, eigenwilligen Freund die Welt der Mathematik. Und dabei gerät er immer tiefer in Gebiete der Mathematik, die ihm bisher völlig verborgen blieben. Anders als im Buch kann man auf der CD-ROM alles selbst ausprobieren und das Geheimnis der Primzahlen genauso lüften wie das der Kaninchenvermehrung. Dreiecks-, Vierecks- und sogar eingebildete und unvernünftige Zahlen werden erfahrbar gemacht und dem Spieler nahe gebracht. Zu jedem Thema gibt es Mathe-Action-Spiele und Lernrätsel, die nicht nur Spaß machen, sondern auch das Gelernte vertiefen. Die CD-ROM ist zwar kein Paukprogramm für Schüler, die gerade in der Schule Nachhilfeunterricht in Mathematik brauchen, denn mit dem Lehrplan sind die vermittelten Erkenntnisse nicht abgestimmt. Es ist aber eine CD-ROM, die Schülern und natürlich auch Erwachsenen Spaß an Mathematik vermitteln kann und die Welt der Zahlen in unterhaltsamer Art und Weise näher bringt.
Deshalb legt der Zahlenteufel auch Wert darauf, dass es nicht darauf ankommt, irgendwelche Zahlenaufgaben zu rechnen, dafür hat man schließlich einen Rechner. Viel wichtiger ist es, sich mit mathematischen Fragen und Problemen auseinander zu setzen und sich in die faszinierende Welt der Mathematik hinein zu begeben. Bei den Aufgaben wird deshalb, wenn es etwas zu rechnen gibt, automatisch ein Rechner eingeblendet. Schließlich ist es viel zu mühsam auszurechnen, wie viel 13 x 17 ist, dazu gibt es Hilfsmittel. Schade ist nur, dass dieses Prinzip nicht ganz durchgehalten wurde und dann doch Aufgaben gestellt werden, ohne einen Rechner zur Verfügung zu stellen. Insgesamt ist die CD-ROM, die in enger Zusammenarbeit mit dem Autor Hans Magnus Enzensberger entstanden ist, eine hervorragende Lernsoftware über Mathematik zum Zuhören, Zuschauen und Mitmachen. Die Bilder stammen im übrigen aus der Feder von Rotraut Susanne Berner, die bereits die millionenfach verkaufte Buchvorlage illustrierte.
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Günther Anfang
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Tilmann P.Gangloff: Augen zu, Ohren auf!
Manchmal geht es ganz fix. Im Herbst vergangenen Jahres hatte die Bielefelder Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) noch eine Broschüre veröffentlicht, in der sie sich vehement für die Gründung eines eigenen Kinderradios stark machte, und nicht mal ein Jahr später ist es bereits soweit. Ein bundesweites Hörfunkprogramm für Kinder, das ähnlich wie der Fernseh-KI.KA von morgens bis abends ein verlässliches, kindgerechtes Angebot bietet. Und das, obwohl reihum geunkt worden war: keine Frequenzen, keine Finanzen. Besonders Gernot Romann, Vorsitzender der Hörfunkkommission der ARD, hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt. „Ein schöner Traum“, kommentierte er das GMK-Projekt. Der Hörfunkdirektor des NDR betonte zwar seine Sympathie für die Idee, die bei der Hörfunkkommission ausführlich diskutiert worden, aber trotzdem chancenlos sei: kein Platz im Äther. Um Raum für das Kinderradio, von Fans und Machern längst bloß RadiJoJo! genannt, zu bekommen, müssten existierende Programme abgeschafft werden. Und das, so Romann, „hält bei uns keiner für realistisch“. Seine Prognose damals: „In frühestens 15 bis 20 Jahren“, wenn sich der digitale Hörfunk etabliert habe, könne ein Kinderradio mit umfassender Verbreitung rechnen.Thomas Röhlinger beweist in diesen Tagen, dass es auch flotter geht: Mit Beginn der Internationalen Funkausstellung ist in Berlin auch RadiJoJo! auf Sendung gegangen. GMK-Mitglied Röhlinger, Soziologe, Journalist (Deutsche Welle), Produzent und Musiker, darf sich mit Fug und Recht als RadiJoJo!s Vater bezeichnen. Das Problem mit den Frequenzen hat Röhlinger elegant gelöst: RadiJoJo! umgeht das überfüllte UKW-Band und sendet einfach auf Mittelwelle. Die Verbreitung erfolgt außerdem digital über DAB und natürlich via Internet (www.radijojo.de).Auch am Geld sollte das Unternehmen nicht scheitern.
Mit 5 Millionen Euro pro Jahr bewegt sich der Etat in einem überschaubaren Rahmen (zum Vergleich: KI.KA kostet das Zehnfache). Da RadiJoJo! selbstredend werbefrei bleiben soll, ist man auf Spenden, Subventionen und Länderförderungen angewiesen. Prominente Geldgeber sind bislang die AOK, die Bundeszentrale für politische Bildung sowie DaimlerChrysler. Ein Anteil an der Rundfunkgebühr wäre natürlich schön, doch dies wird in der Tat ein Traum bleiben: Ein entsprechender Antrag ließe sich sicherlich gut begründen, glaubt Röhlinger, der auch die Geschäftsführung des Senders übernommen hat, „doch bis das durch alle Instanzen gegangen ist, sind wir alt und grau“. RadiJoJo! hat zwar einen gemeinnützigen Ansatz, doch es bleibt ein privatrechtliches Medium und damit von den öffentlich-rechtlichen Gebührentöpfen ausgeschlossen. Auch eine Kooperation mit der ARD wäre in Röhlingers Sinn, doch „es bewegt sich sehr wenig“. Viele Redakteure, sagt er, würden sich allerdings lieber heute als morgen beteiligen.Dabei hätte die ARD streng genommen RadiJoJo! längst selbst ins Leben rufen müssen. Die bisherigen Hörfunkangebote für Kinder, kritisiert die GMK, seien der Mehrheit der Zielgruppe nicht bekannt. Tatsächlich geben bloß rund 10 Prozent der Kinder an, sie wüssten, dass es im Radio Sendungen nur für Kinder gibt. 5 Prozent nutzen dieses Angebot auch regelmäßig. Obwohl die Sender der ARD insgesamt 23 Stunden pro Woche Radio für Kinder ausstrahlen, macht der Anteil der Kindersendungen am Gesamtangebot nicht mal ein Prozent aus.Trotzdem ist der Hörfunk durchaus ein Medium für Kinder, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink (Universität Salzburg) erklärt: Weit über die Hälfte von ihnen hört spätestens ab dem Grundschulalter täglich Radio, immerhin noch ein Viertel mehrmals die Woche. 7 Prozent der Kinder bezeichnen das Radio sogar als ihr Lieblingsmedium.
Allerdings läuft das Gerät in der Regel, wie bei den Erwachsenen auch, bloß nebenbei; nur wenige Kinder schalten gezielt Sendungen ein. Kinder mögen Radio vor allem dann, wenn Witze oder Sketche vorkommen und kindgerechte Geschichten erzählt oder Lieder gesungen werden. Was sie laut einer Umfrage von Paus-Hasebrink gar nicht mögen: langweilige Moderationen, zu lange Wortbeiträge, „blöde Musik“ und „Kitsch“. Außerdem schätzen sie es nicht, wenn ausschließlich Erwachsene zu hören sind. Kein Wunder, dass sich über zwei Drittel der 4- bis 13-Jährigen einen eigenen Radiosender wünschen. Und Kinder brauchen dieses Angebot auch, wie der GMK-Vorsitzende Dieter Wiedemann verdeutlicht: Interessante Hörangebote könnten Kinder „zum intensiven Zuhören herausfordern, können ihre Fantasie beflügeln und können sie in Räume, Zeiten und Welten versetzen, die nur in ihren Köpfen entstehen“. Der Präsident der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ kritisiert, dass sich Kinder „im Dschungel von Sendeformaten und Spartenprogrammen mit hohem Musikanteil schnell verirren“. Auf diese Weise gehe dem Radio schon frühzeitig „der kompetente Hörer von morgen“ verloren, weil Kinder zwangsläufig zum Nebenbeihören erzogen würden.
Auch Horst Heidtmann vom Stuttgarter Institut für angewandte Kindermedienforschung hält ein Kinderradio für „überfällig“. Anspruchsvolle Sendungen könnten Kinder „systematisch zur Lektüre motivieren“ und so einen Beitrag zur Förderung der Lesekompetenz leisten.Und noch viel mehr, wie im Grundsatzpapier von RadiJoJo! nachzulesen ist. Die Vermittlung von sozialer, ethischer und kommunikativer Kompetenz, von Heimatverbundenheit und Weltoffenheit sowie die Verkehrserziehung gehören ohnehin zu den Programmrichtlinien; fehlen nur noch Übergewicht, Haltungsschäden und Schule schwänzen, dann wäre RadiJoJo! das Allheilmittel schlechthin für sämtliche Kinderkrankheiten. Erst einmal aber muss sich der Sender etablieren und vor allem von seiner Zielgruppe entdeckt werden. Zunächst gibt es eine circa siebenstündige Schleife; ein Regelprogramm ist spätestens ab dem Jahr 2005 geplant, je nach Lage der Finanzen auch schon früher. Dann soll RadiJoJo! auch live gesendet werden, schließlich ist Interaktivität einer der Schlüsselbegriffe im Medienalltag der acht bis neun Millionen Kinder umfassenden Zielgruppe. Und nicht nur für sie: Abends sind die Eltern dran, und auch denen will RadiJoJo! telefonisch mit Rat und Tat beiseite stehen.
Beitrag aus Heft »2003/04: Medienpraxis - Konzepte und Perspektiven«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Christina Oberst-Hundt: "Neue Verführer"– medial inszeniert
‚Rechtspopulismus’ - das klingt fast harmlos, scheint der Begriff doch eine relativ neue Politikform zu benennen, die sich als ‚rechts’, wie andere etablierte Parteien auch, aber zugleich als populistisch, also besonders volksnah, dem ‚Volk aufs Maul schauend’, versteht.Rechtspopulisten sind in Europa sehr erfolgreich. Silvio Berlusconi ist in Italien bereits zum zweiten Mal Ministerpräsident. Jörg Haiders FPÖ wurde erneut Koalitionspartner in der österreichischen Regierung.
Dass Le Pen in Frankreich nicht Präsident wurde, verdankte er nur einem breiten politischen Bündnis, das seine Wahl im zweiten Wahlgang verhinderte. Pim Fortuyn schaffte es auf Anhieb, so populär wie kein anderer Politiker in den Niederlanden zu werden.
Möllemanns oder Schills politische Erfolge in Deutschland nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus. Aber auch ihnen, vor allem Möllemann, gelang es, in den Medien Themen zu setzen und die politische Agenda zu beeinflussen...
( merz 2003/03, S. 172 - 174 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
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Leo Hansen: Offener Kanal - quo vadis?
Anfang April trafen sich in Frankfurt Vertreter Offener Kanäle aus dem gesamten Bundesgebiet. Anlass war die seit ca. 2 Jahren dauernde Debatte um die Weiterentwicklung dieses Bürgermediums, die dadurch neuen Nähstoff bekam, weil sich in Nordrhein-Westfalen und Hamburg voraussichtlich in den nächsten Monaten erhebliche Veränderungen in der Organisation und Positionierung dieses Bürgermediums ergeben werden.
Die Grundidee bei der Etablierung Offener Kanäle bestand darin, einen Beitrag zur Förderung der Kommunikation und der kulturellen Vielfalt in den elektronischen Medien zu leisten, geleitet von zwei Überlegungen: Offene Kanäle haben eine Korrekturfunktion zum Privatfernsehen und stärken die Partizipationsmöglichkeiten für einzelne Bürger am Mediengeschehen.
Die Inhalte der Sendungen sollten ausschließlich von den Nutzerinnen und Nutzern bestimmt werden und keinerlei Fremdeinfluss unterliegen. Die inhaltlichen Grenzen werden lediglich durch die allgemeinen verfassungsmäßigen und medienrechtlichen Normen bestimmt. Diese Grundidee spiegelte sich in den Grundsätzen „Offener Zugang, Selbstproduktion und Selbstverantwortung“ wider...
(merz 2003/03, S. 175f )
Thomas Jacob, Hartmut Warkus: Eine Frage des Charakters - Rollenspiele am PC
Die Wurzeln: Pen & PaperRollenspiele existieren bereits länger als Heimcomputer. Schon seit den frühen 70er Jahren gibt es die so genannten Pen & Paper-Rollenspiele, die auch heute noch gespielt werden. Alles was dazu benötigt wird, sind ein Regelwerk, Zettel und Stifte, einige Mitspieler sowie ein paar Würfel. Ein Spieler übernimmt die Rolle des „Meisters“. Er ist der Spielleiter und bereitet den voraussichtlichen Ablauf der Handlung vor. Er denkt sich möglichst interessante Orte, Personen, Ereignisse und Situationen aus. So entstehen, je nach Spielsystem und Geschmack der Gruppe, unterschiedliche, manchmal fast romanartige Abenteuer. Diese müssen die anderen Spieler dann bestehen, indem sie Informationen zusammentragen, Rätsel lösen, Schätze finden und vieles mehr. Die meisten Systeme, wie das populäre „Advanced Dungeons & Dragons“ oder „Das Schwarze Auge“ spielen dabei in Tolkien-inspirierten Fantasywelten mit Schwertern, Drachen und Magie.Das Spiel beginnt mit der „Charaktergeneration“. Jeder Mitspieler erstellt dabei seinen Helden, seinen fiktionalen Charakter, den er durch das Spiel führt.
Das kann ein mürrischer, axtschwingender Zwerg sein, ein cleverer Dieb oder auch ein weiser Elfen-Magier. Die Ausprägung der verschiedenen Eigenschaften (zum Beispiel Stärke und Intelligenz) und Fähigkeiten (wie Bogenschießen, Schlösserknacken oder Spurenlesen) des Charakters werden ausgewürfelt, sein Name, Alter und Aussehen bestimmt. Alle Angaben werden auf einem Blatt Papier, dem Charakterbogen, festgehalten. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung, und die Gruppe von Helden stürzt sich ins Abenteuer.Der Meister erzählt dabei die Geschichte fort, beschreibt der Gruppe die fiktive Welt, in der sie sich bewegt und konfrontiert sie mit den unterschiedlichsten – meist gefährlichen – Situationen, auf die sie angemessen reagieren muss. Kommt es beispielsweise zu einem Kampf, wehren sich die starken Charaktere mit ihren Schwertern, der Dieb schießt aus dem Hinterhalt mit dem Bogen und der Magier heilt verwundete Freunde mit Zaubersprüchen. Erfolg und Misserfolg jeder Aktion werden nach einem festgelegten Regelwerk ausgewürfelt. Dabei spielen die am Anfang ausgewürfelten Eigenschaften der Charaktere eine entscheidende Rolle, denn ein geübter Dieb mit hohem Geschicklichkeitswert hat viel höhere Chancen, eine verschlossene Tür zu öffnen, als ein ungeschickter Barbar...
( merz 03/2003, S. 177 - 179 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor:
Thomas Jacob,
Hartmut Warkus
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Thomas Jacob, Hartmut Warkus: The Elder Scrolls lll - Morrowind
Riesige SpielweltMorrowind ist der dritte Teil der Rollenspielreihe „The Elder Scrolls“. Bekannt ist die Serie unter Computerspielern vor allem durch die epischen Ausmaße der Spielwelten. Und auch Morrowind schwelgt in Superlativen. Schon vor der Veröffentlichung im Juni 2002 kursierte eine Faktenliste im Internet, die die Fans ins Schwärmen geraten ließ: Von einer 10 Quadratmeilen großen, frei begehbaren Welt war da die Rede, mit 30 teils riesigen Städten und über 300 Höhlen, bevölkert von über dreitausend Personen mit denen man reden, handeln, aber auch kämpfen kann. Und tatsächlich ist Morrowind das größte und komplexeste PC-Rollenspiel, das man derzeit kaufen kann. Es gab nur zwei Computerspiele mit noch größeren Welten: die beiden Vorgängerprogramme. Daggerfall, der 1996 erschienene zweite Teil der Serie, simulierte ein Land mit der doppelten Fläche von Großbritannien, bevölkert von über 750.000 virtuellen Bewohnern. Das ganze Land zu Fuß von einem Ende zum anderen zu durchqueren hätte zwei Wochen Realzeit gebraucht. Gegen diese Ausmaße erscheint die Insel Vvardenfell, der Schauplatz von Morrowind, fast winzig.Warum dieser scheinbare Rückschritt? Der entscheidende Unterschied: Während die Landschaften, Städte und Bewohner der Vorgänger von einem Zufallsgenerator erzeugt wurden, und darum recht schnell langweilig wurden, ist in Morrowind jedes Detail von Hand erstellt.
Jedes Haus, jeder Tisch in diesem Haus und jedes Geschirr auf diesem Tisch wurden von einem der Spieldesigner platziert – nach deren Angaben insgesamt genau 316.042 Objekte. Haudrauf, Dieb oder Zauberer?Wie in den meisten Rollenspielen üblich, steht am Anfang des Spiels die Erschaffung des eigenen Spielercharakters, in dessen Rolle man während des Spiels schlüpft. Innovativ ist bei Morrowind die Art, wie diese Prozedur in die Story eingebunden ist. An Bord des Sklavenschiffs auf dem Weg zur Insel aufgewacht, erkundigt sich ein Mithäftling als erstes nach dem Namen des Spielers. Nach der Freilassung fragt ein Verwalter nach Herkunft und Beruf. Nun kann man seinen Charakter ganz nach Vorlieben zurechtschneidern: Lieber einen kräftigen, aber dummen Ork, oder lieber den flinken Waldelfen? Und welcher Profession geht der Charakter nach? 21 Berufe, vom Alchemisten bis zum Söldner mit verschiedenen Vor- und Nachteilen stehen zur Wahl. Wem das nicht reicht, der kann auch seine eigene Klasse entwerfen, und die Punkte auf die 27 Fähigkeiten selbst verteilen. Diese Fähigkeiten reichen von der Kampfkunst mit diversen Waffen, über das Aufbrechen von Schlössern bis hin zur Redegewandtheit und Zauberkunst. Je mehr Punkte ein Charakter in einem Wert besitzt, umso erfahrener ist er in diesem Bereich. Ein Magier mit 100 Punkten in der Fähigkeit „Zerstörungszauber“ könnte es mit Gandalf persönlich aufnehmen, während einer mit 5 Punkten gerade mal eine Kerze magisch entzünden kann. Zu guter Letzt kann man noch entscheiden, unter welchem Sternzeichen der Charakter geboren ist, was verschiedene Spezialboni beschert.
Durch dieses flexible System sind nahezu unbegrenzt viele verschiedene Charaktere möglich. Genauer: 480 Milliarden, wie die Entwickler stolz angeben.Where do you want to go today?Ist der Spielercharakter fertig gestellt, wird man durch ein kurzes Tutorial geleitet, das die Feinheiten der Steuerung erklärt. Mit den Pfeiltasten wird die Spielfigur bewegt, mit der Maus schaut man sich um und führt Aktionen aus. Weitere Tasten dienen beispielsweise zum Springen, Zücken der Waffe oder um den Spielstand zu speichern. Die Tastaturbelegung ist vollständig konfigurierbar.Ist diese kleine Einführung erfolgreich überstanden, steht dem Spieler die gesamte Insel zur Erkundung frei. Im Unterschied zu den meisten anderen Rollenspielen, die eine bestimmte Reihenfolge der Vorgehensweise verlangen um voranzukommen, hat man bei Morrowind wirklich uneingeschränkte Freiheit. Man kann tagelang die Wälder und Berge der Insel auf eigene Faust erforschen, böse Monster bekämpfen und Schätze erbeuten. Es gibt unzählige kleine Nebenaufgaben, so genannte Quests, zu erfüllen, die von den Bewohnern Vvardenfells vergeben werden, und deren Lösung mit Geld oder Gegenständen belohnt werden. Der Lohn wird dann wiederum in bessere Ausrüstung investiert. Außerdem steigen die Fähigkeiten, je öfter sie angewendet werden. Wer also häufig Schlösser knackt, wird immer besser darin, wer fleißig zaubert, kann immer mächtigere Sprüche klopfen.
Je stärker der Charakter wird, desto gefährlichere Aufgaben kann er erfüllen, die ihn wiederum noch stärker machen… Dieses ständige Aufbessern der Spielfigur macht einen Hauptanreiz von Rollenspielen aus.Damit all das aber nicht zum reinen Selbstzweck verkommt, haben die Entwickler eine Hintergrundstory eingebaut. Diese wird durch Gespräche mit den Bewohnern nach und nach aufgedeckt, und der Spieler nimmt eine immer wichtigere Rolle darin ein. Unterhaltungen mit Nichtspielercharakteren (NSCs) laufen in einem Textfenster ab, in denen man Stichworte anklickt. Erfährt man wichtige Neuigkeiten oder erhält einen Auftrag, so wird automatisch ein Tagebucheintrag angelegt. Ansonsten wäre es unmöglich, den Überblick zu behalten. Insgesamt soll das Spiel eine Textmenge enthalten, die dem Umfang von sechs „durchschnittlichen“ Romanen entspricht. Dazu tragen auch die zahllosen in der Spielwelt vorhandenen Bücher mit teilweise Dutzenden von Seiten bei, in denen Kultur und Geschichte der Fantasywelt bis ins Detail erörtert werden.Auf Vvardenfell gibt es verschiedene Clans und Gilden, denen sich der Spieler auch anschließen kann, um nach erfüllten Aufträgen in der Hierarchie aufzusteigen. Das wiederum könnte dem verfeindeten Clan gar nicht gefallen, der Spieler kann sich dort nicht mehr blicken lassen… Alles in allem veranschlagen die Entwickler mehrere hundert Stunden Spielzeit, will man wirklich jeden Winkel erforschen und jeden Auftrag erfüllen. Wem das immer noch nicht reicht, der kann die mittlerweile erschienene Zusatz-CD Tribunal installieren, die weitere Gebiete und Aufgaben hinzufügt. Eine zweite Erweiterung ist bereits angekündigt.Nur etwas für schnelle RechnerMorrowind ist nicht nur eines der größten, sondern auch der grafisch aufwändigsten Spiele.
Jede Stadt hat eine eigenständige Architektur, am Ufer branden Wellen, Tag und Nacht wechseln sich ab, Gewitter ziehen über das Land. Solche Detailfülle hat ihren Preis: Morrowind gehört zu den hardwarehungrigsten PC-Spielen auf dem Markt. Ein Prozessor mit 500 MHz und 256 MB RAM sind das absolute Minimum, Spaß macht das Spiel auf einem solchen Rechner aber nicht – es ist unansehnlich und langsam. Die Fachzeitschrift „GameStar“ empfiehlt als Optimum einen 1,6GHz-Prozessor, 512 MB RAM und eine 3D-Grafikkarte der neuesten Generation.Unbegrenzt erweiterbarAuf der CD befindet sich neben dem eigentlichen Spiel auch das “Elder Scrolls Construction Set”. Dabei handelt es sich um das Werkzeug, das auch die Designer verwendet haben, um die Spielwelt zu gestalten. Dieses Beilegen von so genannten „Editoren“ ist in den letzten Jahren mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Spieler schätzen die Möglichkeit, an ihrem Lieblingsspiel herumzubasteln und neue Level zu erstellen; dem Hersteller bringen gelungene Fanmodifikationen kostenlose Publicity. Bekanntestes Beispiel ist Counterstrike, dessen ursprüngliche Version von Fans mit dem Editor des Actionshooters Half Life erstellt wurde.Dem Umfang von Morrowind angemessen bietet das “Construction Set”, entsprechende Einarbeitung vorausgesetzt, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Die vorhandene Spielwelt kann in jedem Detail modifiziert werden, von der Schwerkraft über die Laufgeschwindigkeit des Spielers bis zur Stärke der Monster. Erfahrene Bastler können neue Gegenstände, Bewohner, ja ganze Städte und Landstriche hinzufügen. Im Internet gibt es unzählige Seiten, auf denen man solche so genannten „Mods“ herunterladen kann. Es gibt ambitionierte Projekte wie den Nachbau von Tolkiens Mittelerde, deren Mitglieder oft aus den verschiedensten Ländern stammen und die über das Internet kommunizieren und zusammenarbeiten.Morrowind - The Elder Scrolls III. Ubi Soft Entertainment Düsseldorf, PC 49,98 Euro; XBOX 59,99 Euro
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor:
Thomas Jacob,
Hartmut Warkus
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Markus Achatz: Glamour und Qualität auf der Berlinale 2003
Auffällig viele Beiträge der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2003 beschäftigten sich mit den tragischen und komplizierten Momenten des alltäglichen Zusammenle-bens der Menschen. Studien der Zerrissenheit von Beziehungen und der Suche nach Glück – insbesondere unter den Bedingungen von Ein-Eltern-Familien – waren in den unterschiedlichsten Sparten zu finden. Viele der filmischen Erzählungen sind im Alltag angekommen und stellen sich stärker denn je realistischen Problemen und deren Lösungsversuchen. Jeweils zwei Filme beeindruckten in den ambitionierten Programmbereichen Panorama und Kinderfilmfest ganz besonders. Gebrochene Flügel und kalte HerzenDer israelische Film „Knafayim Shvurot“ („Broken Wings“) aus dem Panorama ge-wann nicht nur zahlreiche Wettbewerbe im eigenen Land und den Grand Prix des International Film Festivals Tokio, sondern auch drei Preise auf der Berlinale. Neben dem begehrten Panorama-Publikumspreis erhielt das Portrait einer israelischen Mittelschichtsfamilie noch den Preis des Internationalen Verbandes der Filmkunsttheater (C.I.C.A.E.) sowie den Preis der Kirchen der ökumenischen Jury. Dafna Ulmann lebt mit ihren vier Kindern in der israelischen Hafenstadt Haifa.
Vor kurzem ist ihr Mann gestorben und die Familie steht noch unter dem Einfluss des Schocks und der ökonomischen Nöte, die der Tod des Vaters mit sich brachte. Die 17-jährige Maya ist die Älteste und muss zur Entlastung der Mutter die Verantwor-tung für ihre drei Geschwister mit übernehmen. Auf ihren Bruder Yair, der nur wenig jünger ist, kann sie sich derzeit überhaupt nicht verlassen. Er hat die Schule hinge-schmissen und jobbt als Verteiler von Werbeprospekten. In der Anfangssequenz ist Maya im Bühnen-Outfit für den langerwarteten Auftritt mit ihrer Rockband gekleidet. Auf ihrem Rücken sind Engelsflügel befestigt. Den Song, den sie mit ihren Freunden auf einem Festival vortragen soll, hat sie selbst geschrieben. Doch ein Anruf der Mut-ter zwingt sie, noch vor dem Auftritt nach Hause zu fahren. Sie muss auf die 5-jährige Schwester Bar und den 10-jährigen Bruder Ido aufpassen. Maya wird zur Hauptpro-tagonistin der Geschichte und der Familie. Sie hasst die Mutter für die Notanrufe, obwohl sie weiß, dass sie ihr in der Überforderung beistehen muss. Yair scheint aus-schließlich mit sich selbst beschäftigt zu sein, die kleine Bar fürchtet sich vor der Schule und Ido denkt sich ständig neue Mutproben aus. Wie weit die Familie vom normalen Alltag entfernt ist, wird deutlich, als Ido sich in einen leeren Swimmingpool stürzt. Anhand der zunächst episodischen Inszenierung entwickelt Regisseur Nir Bergman ein realistisches und bewegendes Drama einer plötzlich entwurzelten Fami-lie. Die Schilderung des traumatisierten Alltags der einzelnen Familienmitglieder er-gibt ein in sich stimmiges und eindringliches Gesamtwerk.
Bergman bringt uns die wachsende Isolierung der einzelnen Familienmitglieder nahe und verdeutlicht damit umso mehr das Bedürfnis und die Notwendigkeit familiärer Geborgenheit. Noch rigoroser als in „Broken Wings“ wird im kanadischen Film „Flower & Garnet“ die ältere Tochter in eine Mutterrolle gedrängt. Flower ist 16, ihr Bruder Garnet ist 8 Jah-re alt. Bei Garnets Geburt ist die Mutter gestorben und Vater Ed hat ihren Tod nie verkraftet. Die Beziehung zu seinen Kindern ist von diesem Drama geprägt und Ed ist kaum in der Lage sich auch emotional um die Kinder zu kümmern. Flower hat zu-nehmend das Gefühl, in ihrer Rolle als Garnets Ersatzmutter vom Vater ausgenützt zu werden. Als sie von ihrem ersten Freund schwanger wird, verlässt sie nach einem heftigen Streit das Haus. Eds gestörte Beziehung zu Garnet vermag er einzig da-durch zu verbessern, dass er dem 8-Jährigen ein Luftgewehr schenkt. Der Junge lernt schnell mit der Waffe zu treffen und bekommt dadurch die ungewohnte Aner-kennung seines Vaters. Als Garnet eines Tages mit Eds Pistole verschwunden ist, scheint sich eine Tragödie anzubahnen. Der 39-jährige Regisseur Keith Behrman schafft in seinem Spielfilmdebüt eine be-klemmende Atmosphäre. Der Vater tritt seinen Kindern gegenüber autoritär, aber nicht tyrannisch auf. Vielmehr ist er verbittert und mürrisch, Garnet gegenüber nahe-zu ignorant. Alles was an emotionaler Fürsorge im familiären Haushalt stattfindet, läuft über Flower. Mehr und mehr merkt die 16-Jährige aber, dass sie sich auch um ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen kümmern muss, womit Garnet nicht ohne weiteres zurecht kommt. Er fühlt sich für den Tod der Mutter während seiner Geburt verantwortlich und wird nun auch von Flower verlassen, die ein Kind erwartet.
Für Garnet ist sein Leben wie ein aussichtsloser Kampf gegen eine kalte Welt. Der Schauplatz des öden, wolkenverhangenen kanadischen Hinterlands unterstützt diese Perspektive und ermöglicht dem Film die Gratwanderung zwischen bedrohlichen und zarten Stimmungen. Vom Irrsinn des Krieges am Rande des Krieges Zwei Filme an der Grenze der Zuordenbarkeit zum Bereich „Kinderfilm“, die aber dennoch die Themen des diesjährigen Kinderfilmfests widerspiegeln, sind „Carols Reise“ und „Miss Entebbe“. Auch im Kinderfilm überwiegten dieses Jahr die ernste-ren Stoffe. Thomas Hailer, der neue Leiter des Kinderfilmfests, betont, „dass Filme rund um den Globus verstärkt den realen Alltag der Kinder als Thema aufgreifen Der Trend zu phantastischen Stoffen bleibt ungebrochen, sie stehen aber immer mehr in realen Bezügen“. Die Bedrohungen und Schwierigkeiten, die Heranwachsende im Alltag zu meistern haben, sind zwar keine speziellen Phänomene unserer Zeit, aber in der Form ihrer Inszenierung brisant und erschütternd aktuell. Das thematische Gewicht liegt deutlich auf Filmen, die Kinder in Situationen des „Auf-sich-selbst-gestellt-seins“ zeigen oder sie mit der Abwesenheit der Eltern und Verlassensängs-ten konfrontieren. „Carols Reise“ spielt Ende der 30er Jahre am Rande des spanischen Bürgerkriegs und schildert in drastischen Momenten das Hineinreichen politischer Konflikte und Krisen in Familienstrukturen. Die 12-jährige Carol reist zum ersten Mal in ihrem Le-ben mit ihrer Mutter in deren spanischen Geburtsort. Die Familie hat in New York gelebt und Carols amerikanischer Vater kämpft als Pilot bei den internationalen Bri-gaden. Das Mädchen steckt voller Energie und lässt sich auch von den frechen Dorf-jungen nicht unterkriegen. Im Gegenteil: mit ihrem starken Willen und ihrer cleveren Art verschafft sich Carol deren Bewunderung. Zum gleichaltrigen Tomiche entwickelt sich eine zarte und tiefe Freundschaft. Als Carols Mutter an den Folgen einer lange verborgenen Krankheit stirbt, überredet das Mädchen ihren Großvater, den Tod ge-genüber dem Vater zu verschweigen, um diesem nicht die Kraft für den Krieg zu rau-ben. Auf dem Land ist Carol zwar vor dem Krieg sicher, nicht jedoch vor den damit verbundenen Kontroversen. Zunehmend fanatisch steht die gutbürgerliche Familie auf Seiten Francos – mit Ausnahme des Großvaters, der deshalb zahlreichen Be-schimpfungen ausgesetzt ist. In einer anrührenden Szene überfliegt der Vater unter Lebensgefahr das Dorf mit seiner Militärmaschine und wirft zu Carols Geburtstag ein Geschenkpaket ab.
Als die Republikaner den Krieg verlieren, ist Carols Vater auf der Flucht und findet Unterschlupf im Dorf. Beim Versuch den Vater zu retten, wird irrtümlich Tomiche von einer Verfolgerkugel getroffen und stirbt. Für Carol ist die Reise damit noch nicht zu Ende. „El Viaje de Carol“ ist ein Beispiel für Filme, die sich nicht vor der radikalen Darstellung von Tragödien scheuen. Trotzdem findet das Publikum immer wieder zu hoffnungsvollen Augenblicken zurück und nährt sich an der behutsam optimistischen Energie der Hauptfigur. Die spanisch-portugiesische Koproduktion erinnert in der verhalten lebensbejahenden Botschaft ein wenig an Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Möglicherweise spielt es auch eine Rolle, dass Regisseur Imanol Uribe aus El Salvador stammt und dadurch zum einen die besondere Sensibilität in der Inszenierung der Reise Carols nach Spanien aufbringt, zum anderen auch die individuellen Schicksale eines (Bürger-)Kriegs darzustellen vermag. Etwas zeitnäher, jedoch ebenso voller Tragik und Authentizität, begegnet uns „Miss Entebbe“, der erste abendfüllende Spielfilm des israelischen Regisseurs Omri Levy. Levy war Studienkollege von Nir Bergman an der Sam Spiegel Film and Television School in Jerusalem. Wie Imanol Uribe (den spanischen Bürgerkrieg) nutzt auch der israelische Regisseur bei „Miss Entebbe“ ein historisches Ereignis als Exposition sei-ner Geschichte. 1976 wird ein Passagierflugzeug von Palästinensern nach Enteb-be/Uganda entführt. An Bord befindet sich auch die Mutter eines Jungen aus der Nachbarschaft. Das Teenagermädchen Noa und ihre Freunde Yoav und Dany fühlen sich aufgerufen, selbst aktiv zu werden. Mit einer Maschinenpistole, die Yoav seinem Vater entwendet, entführen die drei einen palästinensischen Nachbarjungen. Sie machen Erpresserfotos von dem geknebelten Kind und übermitteln diese an die Presse.
Während das Ultimatum der Flugzeugentführer näher rückt und nichts über das Verschwinden des Jungen in den Nachrichten kommt, stellt Noa allmählich fest, dass sie diesen eigentlich sehr nett findet. In einer Schlüsselszene stürzt Noa mit ihrer Geisel in ein Kellerloch. Die beiden müssen sich nun gegenseitig helfen. Der arabische Junge reicht seiner Entführerin die Hand, um sie heraus zu ziehen. In die-ser Geste konzentriert der Filmemacher den Wahnsinn alltäglicher Gewalt und zeigt, wie stark diese mit dem täglichen Leben in Israel verknüpft ist. Alle diese Filme zeigen auf unterschiedliche Weise eine radikale und schonungslose Welt, in der sich die Heranwachsenden zurecht finden müssen. Die kindlichen und jugendlichen Protagonisten werden dabei jedoch nicht zu passiven Opfern degra-diert, sondern kommen durch das Festhalten an eigenen Werten in die Lage sich selbst, aber auch anderen weiter zu helfen. Filme sollen und dürfen das Publikum unterhalten. Filme, die aber zusätzlich etwas zu sagen haben, die Plädoyers sind für Freundschaft und Zusammenhalt, die starke Mädchenfiguren zeigen – wie Maya, Flower, Carol oder Noa – sind leider selten. Auf sie kann man nie genug aufmerksam machen. (den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/02, S. 99-105)
Hümpel-Lutz/Schrader: Körper-sinnliche Differenzerfahrungen von Medien-„Wirklichkeiten"
Digitale Medientechnologie, globale Vernetzung und virtuelle Realitäten sind in den letzten Jahren immer mehr zu einem fast selbstverständlichen Bestandteil unseres Lebensalltags geworden. Doch dabei ist zu beachten, dass die Ent-wicklung von Technologien, und damit auch der Medien, durch gesellschaftlich dominierende Werte, Normen, Denkschemata und Interessen geprägt ist, die in den jeweiligen Produkten sozusagen materialisiert bzw. in der Software imma-terialisiert sind. Sie sind also als gesellschaftliche Artefakte anzusehen. Als Nutzer der Technologien sind wir nicht direkt mit der Ebene der mathemati-schen formalen Logik konfrontiert, sondern mit einer gestalteten Benutzerober-fläche.
Mit dieser Mensch-Maschine-Schnittstelle wird sozusagen eine Kompa-tibilität von Repräsentations- und Kommunikationskonventionen aus analogen Traditionen und den digitalen Verarbeitungsprogrammen hergestellt. Es handelt sich um einen Komplex aus Transformationen von Zeichen, dessen Entwick-lung und Gestaltung durch gesellschaftliche Konventionen und Bedingungen geprägt ist, wodurch auch die Inhalte der Botschaften beeinflusst werden. Wenn wir z.B. eine Email schreiben und senden, ist diese Mitteilungsform nicht nur schneller als das Schreiben und Verschicken eines herkömmlichen Briefes. Es werden in beiden Fällen unterschiedliche Medien verwendet, die jeweils die Kommunikationsstruktur und die Inhalte prägen.
In der Rezeption einer Botschaft werden oft nur die Inhalte wahrgenommen. Das Medium selber, wie z.B. die Schrift oder die Fotografie, verschwindet gera-dezu hinter der Botschaft. Sybille Krämer vergleicht die Wirkung der Medien mit der von Fensterscheiben. „Medien ... werden ihrer Aufgabe um so besser ge-recht, je durchsichtiger sie bleiben, je unauffälliger sie unterhalb der Schwelle unserer Aufmerksamkeit verharren.“ Die mediale Prägung der Inhalte einer Bot-schaft bezeichnet sie als die Spur des Mediums: „Das Medium ist nicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrt sich an der Botschaft die Spur des Mediums“ (S. Krämer, 1998) ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/02, S. 107-112)
Claudia Schmiderer: Roberto Benignis Pinocchio
Klassiker der Kinderliteratur haben in vielen Kulturen Eingang in die Nationalliteratur gefunden. Und was für die Schweden „Pippi Langstrumpf“ und "Nils Holgersson", die Schweizer „Heidi“, die Engländer "Oliver Twist" und "Peter Pan", die Amerikaner "Tom Sawyer" ist, ist den Italienern "Pinocchio".Dass der hölzerne Hampelmann Pinocchio mit der langen Nase einmal zu einem italienischen Symbol, vor allem zu einem Verkaufsschlager rund um Collodi, einem kleinen Ort zwischen Lucca und Pistoia, wird, konnte sein Erfinder, der Journalist und Schriftsteller Carlo Lorenzini (1826 – 1890), nicht ahnen. Collodi, wie er sich nach dem Geburtsort seiner Mutter nannte, war in seiner Zeit ein verdienter Autor von Schulbüchern, in denen Literatur und Lehrstoff miteinander verbunden waren. Die Abenteuer des Pinocchio waren zunächst Geschichten, die 1881 in zahlreichen Folgen in der Kinderzeitschrift Il Giornale dei bambini erschienen. Doch das „Fine“, das Collodi unter die Szene geschrieben hatte, in der Pinocchio von zwei Banditen an einer Eiche aufgehängt wird, ließ der Verleger nicht gelten und Collodi daher Pinocchio mit Hilfe der gütigen Fee mit den blauen Haaren weiterleben. 1883 erschien dann die erste Buchausgabe von Pinocchio unter dem Titel Le Avventure di Pinocchio. Storia di un burattino.
Collodi hat hierfür den in die Zeitschrift aufgenommenen Lehrstoff herausgenommen. Und im Unterschied zum Volksmärchen verwendet Collodi die Alltagssprache, Elemente der Kindersprache wie Lautmalerei und „sprechende Namen“ und lässt seinen Protagonisten wie im Puppentheater seine Erkenntnisse und Gewissensbisse selbst zusammenfassen bzw. kommentieren.Ihr Überdauern verdankt die Geschichte vom Hampelmann Collodis Fähigkeit, vielfältige Traditionen und Motive zu verschmelzen. So enthält sie Elemente des Märchens (Feen und wundersame Länder) und der Fabel (Tiere wie die lehrmeisterliche Grille oder die beiden Gauner Fuchs und Katze mit menschlichem Gehabe), des Erziehungsromans (pädagogische Leitlinien), der Morallehre (analysierende Reflexionen) und der Sozialsatire (Karikaturen von Richtern und Ärzten).Ein Stoff zum TräumenEin idealer Filmstoff also und durchaus nachvollziehbar, dass es Fellini gewesen sein soll, der ihn mit Roberto Benigni, dem er bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film den Spitznamen Pinocchietto gegeben hat, in der Hauptrolle verfilmen wollte. In Italien ist Roberto Benignis Pinocchio, der teuerste italienische Film aller Zeiten, seit seinem Start im Oktober 2001 zu einem Kassenschlager geworden. Bei seiner Umsetzung konnte sich Regisseur und Darsteller Benigni auf Danilo Donati, den wenige Tage nach Abschluss der Dreharbeiten Ende 2001 gestorbenen Großen unter den Bühnen- und Kostümbildnern verlassen. Der vielfach ausgezeichnete Donati arbeitete mit Monicelli, Pasolini, Zeffirelli und hauptsächlich mit Fellini zu-sammen. Den italienischen Filmpreis erhielt er u.a. als bester Kostüm- und Bühnen-bildner für La vita è bella von Benigni (1997). Die Sorgfalt, die auf Kostüme (orientiert an Vorlagen des französischen Illustrators Honoré Daumier), Szenenbilder und Masken verwendet wurde, die Üppigkeit und technische Perfektion der Spezialeffekte, mit der die Szenen im Schlaraffenland – z.B. die Verwandlung der Jungen in Esel – und die im Haifischbauch ausgestattet wurden, sind hervorzuheben. Preiswürdig ist je-doch die Verbindung von digitaler Technik und der ästhetischen Umsetzung von Bildern, die gestern wie heute, nah und fern spielen können, eben zeit- und ortlos und wunderschön sind.Pinocchio ist BenigniPinocchio, der aus einem Pinienscheid geschnitzte Hampelmann, der kaum hat ihm Meister Geppetto einen Mund gegeben, auch schon mit dem Reden loslegt und dann, kaum fertig geschnitzt und mit einem schönen Anzug und dazupassender Kappe bekleidet, herumturnt und fast nicht mehr zu bremsen ist.
Los legt auch Roberto Benigni in dieser Rolle, der – im wirklichen Leben fünfzig Jahre alt - wie ein 14-Jähriger durch die Szene wirbelt.Benigni spielt nicht nur die Hauptrolle, er ist Pinocchio; und da wird er dann doch ein bisschen aufdringlich; denn der Hampelmann ist nicht ein aus Holz geschnitzter Burattino, dessen Material schon auf eine Distanz verweist, sondern er ist stets Benigni; aber möglicherweise ist dies in einer Geschichte mit einem solchen Protagonisten, in einer Geschichte, die nun mal vom Erwachsenwerden eines Jungen, vom Entdecken der Welt mit allen guten und schlechten Seiten handelt, nicht zu umgehen. Nicoletta Braschi als Fee mit den blauen Haaren bleibt unnahbar, aber wenig geheimnisvoll. Sie scheint nur für Pinocchio da zu sein; ihre in der literarischen Vorlage geschilderte mysthische Aura wird nicht vermittelt. Daneben kommen die Charaktere des Geppet-to, der in ständiger Sorge um seinen Sohn seine letzte warme Jacke hergibt, der schulmeisterlichen sprechenden Grille, die mit ihre guten Ratschlägen nie ernst genommen wird, das Gaunerpärchen Fuchs und Katze besser zur Geltung; vielleicht auch weil sie eindeutiger festgelegt sind.Und die Lehre?Benigni hat sich sehr nahe an der Vorlage orientiert, und dazu auch das Recht. Die nach Anlaufen des Films in Italien Anfang Oktober 2002 ausgelöste Debatte, in der es um Kritik an seiner Umsetzung, um die Vermarktungsstrategien, um die Verbindungen zu den Medienunternehmen von Berlusconi geht, zeigen die Nöte, vor allem der italienischen Linken. Man sollte jedoch aus eigenem Umgenügen heraus nicht alles in einen Topf werfen, und einen Künstler schon dafür verurteilen, dass er ein unpolitisches Thema aufgreift, zumal er sich bisher sehr eindeutig politisch geäußert hat. Und man sollte auch nicht die Aussagekraft von Kinderliteratur schmälern, und unterscheiden zwischen den kindlichen, im wahrsten Sinne noch unschuldigen Streichen und Lügen und denen, die aus Kalkül von Erwachsenen veranstaltet werden.
Sich damit auseinander zu setzen, ist nicht nur eine Aufgabe von Kulturschaffenden, sondern von allen.„Die linkische Holzfigur ist vom Schicksal dazu bestimmt, stets der „Andere“ zu sein, das andere Ich, das jeder von uns in sich trägt; sie steht für das verlorene Verlangen, die Doppeldeutigkeit der Erscheinung, die Illusion, das Phantasma – kurz: Pinocchio ist die Kehrseite unseres Ichs, seine andere Dimension, und darin liegt die überra-schende Modernität der Figur.“ (Antonio Tabucchi) Zwischen Magie und Entzauberung bewegt sich der Schluss; er hat nichts und alles, denn wenn Pinocchio als „richtiger“ Junge das Schulhaus betritt, bleibt sein Schatten vor der Tür und macht sich sogleich davon ... zu neuen Abenteuern?
Tillmann P. Gangloff: Lernen soll wieder Spaß machen - Eine Tagung in Köln
Angesichts der Pisa-Studie sprechen Pädagogen von einer neuen "Bildungskatastrophe". Abhilfe soll nun ausgerechnet das traditionell als Zeitverschwendung gegeißelte Fernsehen schaffen. Gefordert sind neben den Programmmachern vor allem die Schulen. Bei einer von der Produktionsfirma Endemol ("Wer wird Millionär?") organisierten Medientagung in Brühl bei Köln zum Thema "Qualitätsfernsehen für Kinder im Wandel der Zeit" warf Ben Bachmair den Lehreinrichtungen vor, sie hätten es bis heute nicht verstanden, die populäre Kinderkultur in den Schulbetrieb zu integrieren.
Es sei, klagte der renommierte Medienpädagoge, kaum nachzuvollziehen, dass Schüler angeblich keine Vokabeln lernen, aber sämtliche Pokémons 'runterrasseln' könnten.Gerade das Fernsehen trage zudem enorm zur Lesekompetenz vor allem von Ausländerkindern bei. Aus dieser Gruppe stammt ein Großteil jener Schüler, bei denen die Pisa-Studie mangelhafte Lesekompetenz festgestellt hat. Interessanterweise, so die Erkenntnis von Bachmairs eigenen Untersuchungen, seien diese Kinder sehr wohl in der Lage, komplexe Tabellen wie etwa die Ergebnisse eines Formel-1-Rennens auf Anhieb zu entschlüsseln; eine Herausforderung, an der der Pädagoge, wie er gestand, regelmäßig scheitert.
In Sportsendungen gebe es eine Vielzahl solcher Übersichten, die für angeblich leseschwache Kinder offenbar kein Problem darstellten. Bachmair wies auf diese auffällige Spaltung zwischen Lesen im Alltag und in der Schule hin: Die betroffenen Schüler seien zwar in der Lage, via Bildschirm so genannte diskontinuierliche Texte zu entschlüsseln, scheiterten aber am fortlaufenden Text etwa eines Romans ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/01 S. 46)
Sigrid Blömeke: Portfolio
Angesichts der hohen gesellschaftlichen Bedeutung von Medien und Informationstechnologien stellt der Erwerb von Medienkompetenz ein Element von Allgemeinbildung dar, das eine angemessene Teilhabe von Schülerinnen und Schülern an der gesellschaftlichen Entwicklung sichert. Medienbildung als Aufgabe der Schule setzt aber eine entsprechende medienpädagogische Kompetenz auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer voraus. Ihnen die notwen-digen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln ist damit – für Manche vielleicht notgedrungen – ein Ziel der Lehrerausbildung.
Auf deren erste und zweite Phase kommen dabei durchaus unterschiedliche Aufgaben zu, die jeweils darauf gerichtet sind, dass Lehrerinnen und Lehrer die beruflichen Funktionen des Unterrichtens und Beurteilens, des Erziehens und Beratens, des Organisierens und Verwaltens sowie des Innovierens im Medienzu-sammenhang sachkompetent, sozialkompetent und selbstkompetent wahrnehmen können.Da es sich bei dem Erwerb medienpädagogischer Kompetenz um einen fachübergreifenden Prozess handelt, kann allerdings weder durchgängig festgestellt werden, ob die Studierenden nach ihrem Lehramtsstudium die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen besitzen, noch ob die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter in der zweiten Phase dann die Fähigkei-ten zur praktischen Umsetzung erwerben (Gegenstand der Staatsexamina sind die von den Studierenden bzw. Lehramtsanwärtern gewählten Schwerpunkte). Um den Leistungsstand dennoch dokumentieren zu können, wurde in Nordrhein-Westfalen an allen Universitäten und Studienseminaren ein so genanntes „Portfolio Medien. Lehrerbildung“ eingeführt.
Mit Hilfe dieses Instruments besitzen die Lehramtsstudierenden und Referendare die Möglich-keit, ähnlich wie bei einer Künstlermappe ihre medienbezogenen Qualifikationen eigens auszuweisen. Das Portfolio ist strukturell an den Inhalten des nordrhein-westfälischen Rahmenkonzepts "Zukunft des Lehrens – Lernen für die Zukunft: Neue Medien in der Lehrerausbildung" (vgl. MSWWF 2000) ausgerichtet, in dem eine genauere Zielbeschreibung für die medienbezogene Ausbildung in der ersten und zweiten Phase vorgenommen und diese in curri-culare Empfehlungen umgesetzt wird. Im Folgenden werden zunächst die Kernideen des Rahmenkonzepts dargelegt, das von einer zehnköpfigen Arbeitsgruppe im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen erarbeitet wurde ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/01 S. 47-51)
Margret Köhler: EFA-Konferenz „Film Education“
Im Vorfeld der Verleihung des „Europäischen Filmpreises“ organisiert die European Film Academy (EFA) Themen-Konferenzen. Im Jahr 2000 ging es um „Eine neue Energie im europäischen Kino“, 2001 um „Festivals im Rampenlicht“ und im vergangenen Dezember in Rom um „Filmerziehung“. Das Treffen fand auf Anregung italienischer Regisseure wie Mario Minicelli, Francesco Rosi oder Ettore Scola statt und soll die europäischen Minister für Kultur und Erziehung ermutigen, sich für Film- und Medienerziehung zu engagieren, dem Film den gleichen Status wie Kunst oder Literatur einzuräu-men, sowie Medien-Curricula an europäischen Schulen zur Pflicht zu machen.
Scola rief in seinem Grußwort dazu auf, „sich am Kampf gegen das Vergessen zu beteiligen“, und auch Rosi betonte in seiner Eröffnungsrede, Schüler müssten nicht nur wissen, wer Giotto und Dante, sondern auch wer Chaplin sei. Kino sei unser kulturelles Erbe und müsse erhalten bleiben, darin waren sich alle Redner einig. Die französische Schau-spielerin Jeanne Moreau beschwor die Verantwortung der Filmschaffenden in einer globalisierten Welt mit Bildüberflutung. Auf dem Podium diskutierten dann Experten aus verschiedenen europäischen Ländern den Status quo und Möglichkeiten der Filmerziehung, deren Integration in den bestehenden Fächerkanon oder als eigenes Fach ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/01 S. 53-56)
Claudia Schmiderer: Ein ganz normaler Tag in Amerika
Michael Moore, 1954 in Flint, Michigan, geboren, dort, wo 1999 die 6-jährige Kayla Rolland von einem gleichaltrigen Jungen erschossen wird, begann als Journalist und wurde als Dokumentarfilmer 1989 mit „Roger & Me“ berühmt. In diesem preisgekrönten Dokumentarfilm griff er die Massenentlassungen bei General Motors in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf, die verheerende Konsequenzen für die Autostadt Flint hatten. Neben weiteren ausgezeichneten Dokumentarfilmen, produzierte er verschiedene Serien und schrieb mehrere Bestseller.„Bowling for Columbine“ beginnt an einem ganz normalen Tag in Amerika, an dem Farmer ihre Felder bestellen, Milchmänner die Milchflaschen ausliefern, der Präsident Bomben über einem Land abwerfen lässt, dessen Namen wir nicht einmal aussprechen können, Lehrerinnen und Lehrer im ganzen Land ihre Schüler zu einem neuen Schultag begrüßen und zwei Jungs in Littleton, Colorado, zum Bowlingskurs gehen. An diesem 20. April 1999 sterben einige Stunden später 12 Schüler und ein Lehrer, zahlreiche Kinder und Jugendliche werden verletzt. Das Columbine Highschoole Massaker findet am gleichen Tag statt, an dem die USA die meisten Bomben über dem Kosovo abwerfen.
Angst hat KonjunkturDamit ist auch schon der Kreis beschrieben und die Frage gestellt, die sich durch Michael Moores gesamte Dokumentation zieht. Warum werden in den USA jährlich durchschnittlich 11.000 Menschen erschossen, mehr als in allen anderen Ländern, in denen genauso viele Waffen in Umlauf sind und die zurückliegende Geschichte zumeist noch gewalttätiger war? Seine Antwort beschreibt eine „Theory of Fear“: „Es gefällt uns, wenn man uns Angst einjagt. Wir lieben Horrorfilme und Halloween ... Aber es gibt da einen großen Unterschied. Im Kino Angst zu bekommen, ist eine Sache. Manipuliert zu werden durch Nachrichtensendungen, Reality-TV oder einen Präsidenten, der dir sagt, dass es irgendwo einen federführenden Bösewicht gibt, der dich jederzeit töten kann, das ist ein ganz andere Sache.“ Ausgehend von der heute allgegenwärtig auch durch die Medien geschürten Angst vor dem Terror der Gewalt, wird ein Comicfilm eingespielt, der diesen Ursachen nachgeht – angefangen bei den ersten Pilgern, die aus Angst vor Verfolgung nach Amerika kamen. Diese Geschichte erzählt dann von der Angst der Weißen vor Indianern, Hexen, vor den Briten und natürlich bis heute vor den Schwarzen. Heute sind ca. eine Viertelmilliarde Waffen in den Händen vorwiegend Weißer, die in vorstädtischen Wohngebieten ohne besonders auffällige Kriminalitätsraten leben. Und hier geht Michael Moore mit seinen unschuldig anmutenden Fragen nah an die Menschen heran, an die freiwilligen Milizionäre, die bis an die Zähne bewaffnet, sich und ihre Familie vor den Feinden schützen müssen, da es sonst niemand tut. Der Waffenbesitz darf laut Artikel 2 der amerikanischen Verfassung nicht eingeschränkt werden und Serienmorde wie die des „Snipers von Washington“ bestärken nur diese Haltung. Nur aus seiner „kalten, toten Hand“ lasse er sich die Waffe winden, so der Schauspieler Charlton Heston in seiner Paraderolle als Präsident der National Rifle Association (NRA), wobei er in Moores Film, im direkten Interview mit ihm stetig an Souveränität verliert und am Ende die Filmszene verlässt. „Ohne Waffen“, so James Drury, der einstige Westernheld der Serie „The Virginian“ aus den 60er-Jahren, „wäre Amerika verloren“.
Genauso verloren wie wahrscheinlich Kanada, wo Michael Moore nach den Ängsten der Menschen sucht, nach dem Grund dafür, dass sie ihre Häuser Tag und Nacht unverschlossen lassen. Nicht überall ist Amerika! Und dennoch, auch hierzulande überbieten sich die Berichterstattungen der Medien mit bedrohlichen Szenarien, auch Deutschland blickt auf eine Geschichte mit massenhaften Morden zurück, und auch hier gibt es Amokläufe wie der von Erfurt. Dennoch kann auch hierbei nicht alles mit Video- und Computerspielen und mit gewalthaltigen Filmen erklärt werden. Auf die sozialen Ursachen macht Moore aufmerksam im Fall des 6-jährigen Jungen aus seiner Heimatstadt Flint, der eine Mitschülerin erschossen hat und so die Aufmerksamkeit erfahren hat, die ihm sonst nicht zuteil wurde. Nicht zuteil werden konnte aufgrund der familiären Situation, da die Mutter gezwungen war, den ganzen Tag unterwegs zu sein, um Geld zu verdienen, das dann noch nicht einmal für die Miete reichte.What a wonderful worldDie Diskussion in Deutschland nach der Tat von Erfurt schwoll an, und vor allem die politischen Aussagen gingen dahin, dass künftig Gewalt grundsätzlich geächtet werden müsse. Nicht davon ist geblieben. Auch die Geschichte hat gezeigt, dass dies nur Formeln sein können. Moore hat in „Bowling for Columbine“, untermalt vom bekannten Evergreen „What a wonderful world“, das aggressive militärische Vorgehen der USA in den letzten 50 Jahren vorgeführt – in Chile, Persien/Iran, Panama, Vietnam, etc.
Dass diese Gewalt nicht isoliert gesehen werden kann von der häuslichen Gewalt, von den sozialen Problemen dieser Welt und von den Machtansprüchen der westlichen Regierungen, ist eine der Aussagen dieses Films. Vieles hat Michael Moore in seine Dokumentation gepackt, manchmal vielleicht etwas zu viel, vor allem aber seinen sozialkritischen Standpunkt. Gelungen ist ihm eine Annäherung an Geschichte und an eine Problematik, die keine monokausalen Zusammenhänge zulässt. Michael Donovan, einer der Produzenten von „Bowling for Columbine“, hat Michael Moore sowohl einen führenden amerikanischen Sozialkritiker als auchn eine der größten Patrioten bezeichnet. Das, so ist zu vermuten, werden allerdings „Heroen“ wie Charlton Heston nicht so sehen.
Erwin Schaar: Die Welt in unseren Gedanken
Gebundene und geheftete HerausforderungenEs war in den frühen 50er Jahren, der gefürchtete Gymnasial-Direktor betrat mit heftiger Bewegung das Klassenzimmer und forderte die sofort aus ihren Bänken geschossenen und nun aufrecht stehenden Kinder auf, den gesamten Inhalt ihrer Schultaschen zu entleeren. Der Zweck der intimen Durchsuchung war die Sicherstellung sogenannter Schundhefte mit Abenteuer- oder Cowboy-Geschichten. Billy Jenkins oder Tom Prox hießen z.B. die Helden unserer einfachen Sehnsüchte - geächtet von Lehrern und Eltern. Die Schund und Schmutz-Hysterie - was Film und Literatur betraf - trieb wenige Jahre nach der Diktatur absonderliche Blüten. Mit den restaurativen Tendenzen und der Wiedereinsetzung alter Kämpfer in ihre früheren Stellungen suchte ein rigider 'Jugendschutz' einen leicht zu bekämpfenden Feind.Zensur wurde und wird immer noch als ein probates Mittel angesehen, eine Gesellschaft in die Bahnen lenken zu wollen, die Machtausübenden für ihre Ziele gezogen haben. Und den sogenannten Sittenwächtern soll sie die Gewissheit geben, unlautere, zerstörende Gedanken und Handlungen für die Zukunft ungeschehen zu machen.Die Bayerische Staatsbibliothek hat in ihrer Reihe kleiner und feiner Ausstellungen eine Auswahl ihrer einst weggesperrten, also zensurierten Bücher in der Schau "Der Giftschrank. Remota" zusammengestellt. Die Bibliothek bezeichnet mit dem lateinischen Begriff Remota (weit entfernt, unbekannt) die Drucke, die aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zeitpunkten gesondert archiviert wurden.
Es waren Schriften, die nicht im öffentlichen Katalog verzeichnet und sehr schwer zugänglich waren.In sechs Abteilungen werden die einmal verbotenen Schriften präsentiert. Wie man sich denken kann, stehen die erotischen und politischen Bücher im Mittelpunkt der Ausstellung. Erstere begegnen uns als "gemeinschädliche erotische und sogenannte sexualwissenschaftliche Werke", wobei als zeitliche Schwerpunkte 1920 bis 1933 und 1950 bis 1970 gewählt sind. Die Zeit der Nazidiktatur brachte eine andere Art von Zensur: sie betraf die "antinationalsozialistische Literatur". Übrigens treffen wir bei den "gemeinschädlichen" Werken wieder die erwähnten Wildwest-Heftchen, denen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in den Fünfzigern besonders hinterher war. Die sittlich entrüstende Literatur reichte vom Roman der Wiener Dirne Josefine Mutzenbacher (ca. 1905) über Georg Queris "Kraftbayrisch" (1912) zu Hermann Kestens "Casanova" (1952) und des Sexualforschers Volkmar Sigusch "Exzitation und Orgasmus bei der Frau" (1970). Aber auch der "Weckruf für Eheleute! Mittel und Methoden zur wirksamen Empfängnisverhütung" (1951 !) hatte die Zensoren auf den Plan gerufen.In einer Exkursion in weiter zurückliegende Jahrhunderte wird Einblick in die Bibliothek eines hohen bayerischen Finanzbeamten (1762 - 1819) der Montgelas-Zeit gegeben: "Franz von Krenners schlüpfrige und schmutzige Bücher".
Dort mag der sittliche Kleingeist genügend erotisches Material finden, dem er auch heute keine Existenzberechtigung zubilligen wird.Die "Antinationalsozialistische Literatur" 1933 bis 1945 enthält u.a. Schriften zum Reichstagsbrand, zur Lage der Kirchen, zur Rassenpolitik ("Das Schwarzbuch. Tatsachen und Dokumente. Die Lage der Juden in Deutschland 1933"). Fach Remota V "Nur für den Dienstgebrauch", etwa 1955 entstanden, beinhaltet neben Publikationen für den Dienstgebrauch auch Schriften wie "Texte: der RAF", die 1977 in Malmö erschienen sind und 1978 in bundesdeutschen Buchläden beschlagnahmt wurden. Was bei den Bücherverbrennungen 1933 von der neuen 'Elite' vernichtet wurde, bildet Remota VI: "Bolschewistische, marxistische oder pazifistische Schriften". Dafür mögen Namen wie Annette Kolb, Irmgard Keun, Anna Seghers, Ernst Glaeser, Klaus Mann, Egon Erwin Kisch, George Grosz und und und stehen. Das deutsche Geistesleben wurde von Leuten bekämpft, die auch nach 1945 nicht alle verschwunden waren, nur frisch maskiert erneut tätig wurden.Gleichwohl sollte nicht verkannt werden, dass die heute noch oder wieder indizierten Bücher wie "Der Holocaust-Schwindel" oder "Kriegshetze gegen Deutschland" das Missfallen an der Zensur schon problematisieren. Eine gebildete, humane und tolerante Gesellschaft würde eigentlich keine benötigen, aber... Doch wer gibt dann die Kriterien vor?Medien-Trompe-l'OEilDer im Oktober in Italien angelaufene neue Film von Roberto Benigni, "Pinocchio", der als teuerster italienischer Film aller Zeiten gilt und das ganze Land in Begeisterung versetzte, hat vor allem an der Ausstattung nicht gespart. Kutschen, Möbel, Spielsachen wurden nicht als Kulissengegenstände erstellt, sondern mussten dem Wirklichkeitsanspruch Stand halten.
Die Filmgeschichte kennt mehrere solcher Fälle, in denen Utensilien oder das Ambiente trotz nur kurzen Auftauchens im Bild wie zum alltäglichen Gebrauch hergestellt oder gestaltet wurden. Der Täuschungsmöglichkeit des Filmbildes wurde nicht entsprochen, so als ob die wirkliche Wirklichkeit abgebildet werden sollte. Regisseure und Schauspieler scheinen dabei aus den 'harten Fakten' die Sicherheit für ihre Gestaltung gewinnen zu wollen, um den Zusehern bildlich zurufen zu können "Alles echt!".Aber es gibt auch die theoretisch reflektierenden Künstler, die gerade mit dem Gegenteil überzeugen möchten, die Alltägliches mit künstlichen Mitteln konstruieren und mittels der Bilder, die sie davon erstellen, uns davon überzeugen wollen, wie Bilder die Wirklichkeit real werden lassen können, wenn sie die Täuschung beabsichtigen. Der Österreicher Lois Renner versteht es, so den Betrachter in die Irre zu führen, wenn er mit kleinsten Modellen chaotisch ausstaffierte Räume in großformatigen Fotografien präsentiert, die sich erst durch bewusst gesetzte Details als Modellaufnahmen enttarnen. Die abfotografierte Puppenstubenwirklichkeit und das große Bildformat entsprechen Vexierbildern, bei denen eine Figur in eine andere umkippt, die ein ständiges Hin und Her beim Betrachten erzeugen können. Man erkennt die Winzigkeit der Gegenstände im Detail und hat wieder einen großen Raum vor sich, wenn das Bild als Ganzes rezipiert wird.
Der Müncher Thomas Demand, dessen Bilder und Filme noch bis 19. Januar im Münchner Lenbachhaus zu betrachten sind, konstruiert ebenso augentäuschende Bilder, die aber noch mit inhaltlichen Assoziationen der Betrachter gefüllt werden können oder sollen. Der Bildhauer Demand baut Räume und Gegenstände nahezu in realer Größe nach und markiert damit meist Ereignisse, die als reale Bilder in die Köpfe der Medienkonsumenten eingegangen sind. Was aber fehlt, sind die Personen, die diesen Räumen ihre kollektive Bedeutung verschafft haben. Dadurch müssen diese Bilder aber nicht mit medial geprägten Bedeutungen gefüllt werden. Sie können auch als Realitätsausschnitte abstrakt bleiben, als reines Trompe l'OEil verstanden bzw. erkannt werden. Die Abwesenheit von Personen irritiert zudem Kunstrezipienten durch den ästhetischen Minimalismus. Langsam mag sich dann die scheinbare Bedeutungslosigkeit der Abbildungen mit Assoziationen füllen, die aber individuell trotzdem verschieden sein werden, weil das gezeigte Ambiente als alltägliches figuriert, erst mit den unsichtbaren Protagonisten die konkrete Zuweisung erhalten würde.Der Blick in ein Badezimmer mit halb verdeckter wassergefüllter Wanne; die Pulte mit nummernlosen Telefonen und nicht angeschlossenen Kabeln, Lochkarten und Taschenlampen; Fahraufnahmen durch einen leeren Tunnel (mit zwei Einstellungen in einer Filmschleife) - die Werke heißen "Badezimmer" (1997), "Poll" (2001) und "Tunnel" (1999).
Die Bilder wurden von Thomas Demand den Vorgängen um den Tod Uwe Barschels, die umstrittene Wahl George W. Bushs bei der Lochkartenauszählung, den Tod von Lady Diana entnommen, mit Pappe im Atelier rekonstruiert, höchst artifiziell ausgeleuchtet und dann in Fotos und Filmen festgehalten. "Wir finden uns vor der Struktur eines Ereignisses wieder, aus dem alle Ereignishaftigkeit systematisch entfernt wurde, um uns an einen Ort zu entlassen, an dem Handlung und Chronologie zu fiktiven Größen werden, die allein unserem eigenen Vorstellungsvermögen entspringen." (Neville Wakefield im Katalog).Bilder dienen Demand eben auch als Aufforderung zu Assoziationen - das Kunstwerk vollendet sich immer erst mit den Gedanken des Betrachters, bleibt ansonsten so wichtig oder unwichtig wie ein x-beliebiger Detailausriss. Dabei darf an eine Ausstellung der "Stern"-Anzeigenabteilung 1987 erinnert werden, die 38 schwarze Tafeln mit Texten zu bekannten Bildern präsentierte, wie z.B. "Mitglieder der Kommune I nackt von hinten", was aber den Wissenden und Informierten sofort die entsprechende Fotografie im Gedächtnis abrufen ließ. Wer Demands Verlangen folgt, muss nicht dessen ursächliche Gedanken teilen, die Auflösung wird nicht gegeben. Die Bilder werden nur zu Metaphern einer letztlich doch nicht objektiv bestehenden Realität des Lebens.Der Giftschrank. Remota: Die weggesperrten Bücher der Bayerischen Staatsbibliothek. Ausstellung bis 17. Dezember 2002. Der vorzügliche Katalog, hrsg. von Stephan Kellner (232 S. mit über 300 Abb.), mit vielen Beiträgen kostet 14,80 EuroThomas Demand. Ausstellung im Lenbachhaus, München bis 19. Januar 2003. Katalog bei Schirmer/ Mosel, München 2002, 173 S. + Bildanhang, 25,00 Euro
Michael Bloech: Über den Dächern...
Im Kinderfilm gibt es bestimmte Dinge, die eigentlich immer direkt ins Chaos, sprich zu Verrissen der Presse und Enttäuschungen beim Publikum führen. Zum einen ist es ein ungeheueres Risiko, die Hauptrollen eines Kinderfilms nicht mit Kindern zu besetzen und zum anderen ist es ziemlich gefährlich, in einem Realfilm Tiere sprechen zu lassen. Dennoch geht Vincent Bal mit seinem Kinderfilm „Die geheimnisvolle Minusch“ ganz bewusst diese beiden Wagnisse ein: beide Protagonisten sind Erwachsene und dann unterhalten sich auch noch ungeniert die Katzen im Film. Zudem wird ein weibliches Rollenbild präsentiert, das quer zum politisch korrekten Frauenbild einer dynamischen Karrierefrau oder eines erotischen Weibchens des Fernsehserien-Mainstreams liegt. Das macht die Rezeption möglicherweise nicht gerade glatt oder erleichtert den Filmkonsum. Aber haben Kinder tatsächlich mit diesem Film Probleme, da er mit herkömmlichen Sehgewohnheiten, Erwartungen und Rollenbildern bricht?Die pädagogisch distanzierte Perspektive ist schnell vergessen, wenn man in die charmante Geschichte des Films abtaucht. Grundlage bildet ein Roman der in den Niederlanden sehr populären Kinderbuchautorin Anna Maria Geertruida Schmidt, der vor rund 30 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Vincent Bal übernimmt dabei die nostalgische Atmosphäre der Vorlage. Im Zentrum der Geschichte steht zunächst der erfolglose, verträumte oder vielleicht sogar ein bisschen trottelige junge Journalist Tibbe, der von seiner Chefredakteurin eine letzte Chance bekommt. Wenn es ihm nicht gelingt eine interessante Story für die Kleinstadtzeitung zu produzieren, verliert er endgültig seinen Job. Frustriert von dem Erfolgsdruck lernt er auf seinem Nachhauseweg eine junge Frau kennen, die sich vor einem bissigen Hund auf einen Baum geflüchtet hat.
Die geheimnisvolle Frau behauptet, die Katze Minusch zu sein, die nur durch einen seltsamen Zwischenfall von einer Katze in eine junge Frau verwandelt wurde. Ungläubig begibt sich Tibbe in seine kleine Dachwohnung und wagt sich an seinen Artikel. Währenddessen streift die junge Frau Minusch wie eine Katze über die regennassen Dächer. Wie es der Zufall bzw. Autor will, treffen die beiden am Fenster aufeinander und Tibbe hat Mitleid mit der armen, bedauernswerten Minusch. Die beiden werden bald ein Team, denn Minusch, als Dank für die trockene Bleibe, versorgt ab diesem Zeitpunkt Tibbe mit Informationen aus der Katzenwelt, die er wunderbar gebrauchen kann. Sei es der Fund von wertvollen Münzen auf dem Friedhof oder einem Unfall mit Fahrerflucht, nichts bleibt den umherstreunenden Katzen verborgen. Tibbe wird mit diesen Informationen schnell zum Starreporter und Minusch seine Assistentin. Doch als Minusch und Tibbe sich mit dem Unternehmer Ellemeet anlegen, der den Bürgermeister in eine Korruptionsaffäre hineinziehen will, muss der junge Journalist bald seine Grenzen erkennen. Der Fabrikant hat mächtige Verbindungen, die selbst bis in die Redaktion hineinreichen. Da er sich nicht lächerlich machen möchte, kann Tibbe auch nicht seine Informanten, die Katzen, preisgeben. Doch wieder ist es Minusch, die ihm hier raffiniert aus der Klemme hilft. Schließlich muss sich Minusch aber doch entscheiden, entweder für die Welt der Katzen oder für eine gemeinsame Zukunft mit Tibbe.VorbilderMinusch hat ihre weiblichen Vorbilder in Grace Kelly („Über den Dächern von Nizza“), Julie Andrews („Mary Poppins“) und natürlich vor allem in Audrey Hepburn („Frühstück bei Tiffany“, „Sabrina“). All diesen Frauen ist das Geheimnisvolle, Mysteriöse und auch Schutzbedürftige gemeinsam. Carice van Houten gelingt es in der Rolle der Minusch vorzüglich, die geheimnisvolle Fragilität mit dem Katzenhaften, Schreckhaften zu verbinden. In einer Szene, in der sie sich als Katze in Menschengestalt in die Enge getrieben fühlt, zeigt sie Tibbe buchstäblich ihre Krallen und verletzt ihn dabei.
Das dabei transportierte weibliche Rollenbild ist ähnlich faszinierend und facettenreich wie das in den frühen Rollen von Audrey Hepburn: ein Gegenentwurf zum platten und so oft tradierten Bild einer erotisch, sinnlichen aber dafür inkompetenten Frau, der kein eigener Handlungsspielraum weder zugetraut noch eingeräumt wird. Die Zierlichkeit, die sich dem Androgynen annähert, ist dabei kein Ausdruck von Koketterie sondern entspricht eher einer realistischen Einschätzung der Situation der Protagonistin. Zwar ist Minusch in gewisser Weise Opfer, aber sie ist es, die immer wieder die Initiative ergreift, die Zusammenhänge perfekt analysiert und dann entsprechend handelt. Sie reflektiert dabei ihre Wirkung auf andere und setzt ihre „zauberhafte“ Wirkung bewusst zur Durchsetzung ihrer Interessen ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass Minusch eine zynisch kalte berechnende Person ist, die sich hinter einer gespielten Zerbrechlichkeit verstecken muss, sondern hier ist es gerade die natürliche Ausstrahlung und die große Ehrlichkeit mit der Minusch agiert. Leider lässt die Strukturierung Tibbes diese Differenzierung vermissen, er ist zwar ein sympathischer aber eben dennoch nur ein klassischer Loosertyp, der ausschließlich durch die Klugheit Minuschs zum Erfolg kommt. Damit ist er quasi die Spiegelung des weiblichen Klischees, bei der die eigene Rollendefinition stets nur über den jeweiligen Partner erfolgt. Dieser Kritikpunkt findet sich leider auch bei den anderen im Film agierenden Personen. Der Unternehmer Ellemeet, der Bürgermeister, die Chefredakteurin, der Fischhändler, all diese Menschen sind sehr plakativ und flach angelegt, sie sind lediglich Karikaturen ihrer selbst. Das ist insbesondere in Anbetracht der differenziert angelegten Rolle Minuschs ein wenig schade. Allerdings ist dies möglicherweise ein Tribut, das der Regisseur seiner Adressatengruppe, den Kindern, zollen musste.
Vielleicht sind es gerade die Eindimensionalität der Nebenrollen und die recht stringente Story mit einem überaus schematischen Konflikt – Böser Unternehmer besticht Politiker - die helfen sollen, die Einzigartigkeit Minuschs für Kinder nachvollziehbar zu machen. Wenn dies zutrifft, dann überbrückt der Film damit vielleicht auch die Distanz zu den jungen ZuschauerInnen, denn das Agieren der Protagonistin bietet Kindern reichlich Raum für Identifikation und Projektion, das Sperrige und Kantige liefert dabei genügend Reibungsfläche um eigene Rollenbilder zu entwerfen oder zu überprüfen.Neben dem gesellschaftskritischen besitzt der Film noch einen weiteren Aspekt, der ihn wohltuend von anderen Kinderfilmen, oder auch von ganz normalen Kinofilmen unterscheidet. Dem Film gelingt es nämlich stellenweise eine völlig eigene ästhetische Welt aufzubauen, die manchmal an Marc Caros & Jean-Pierre Jeunets „Delicatessen“ erinnert, ohne dabei dessen pessimistisch düsteres Weltbild zu transportieren. Es sind dabei vor allem die nächtlichen Dachaufnahmen, bei denen Minusch im grünen Wollkostüm mit ihrem ebenso grünen Koffer katzengleich wie einst Grace Kelly über den Dächern von Nizza im Regen über die Kamine einer holländischen Kleinstadt balanciert. Diese phantastischen Aufnahmen verleihen dem ganzen Film eine atmosphärische Dichte, einen sehr eigenständigen Charakter. Neben der umwerfend geheimnisvollen Minusch ist es gerade diese absurd heitere Stimmung mit diesen beeindruckenden Bildern, die den Film zu einem wirklichen Ereignis machen, das einem lange im Gedächtnis bleiben dürfte. Da verschmerzt man es auch gerne, wenn sich im strömenden Regen auf dem Dach plötzlich eine Gruppe computeranimierter Katzen trifft und sich in menschlicher Sprache angeregt unterhält.
Die geheimnisvolle Minusch
Regie: Vincent Bal – Buch: Tamara Bos, Burny Bos & Vincent Bal nach dem gleichnamigen Roman von Annie M.G. Schmidt – Kamera: Walther Vanden Ende – Musik: Peter Vermeersch – Darsteller: Carice van Houten, Theo Maassen, Pierre Bokma, Sarah Bannier – Produktion: Holland, USA (Bos Bros., Warner Bros.) 2001 – Länge: 86 Minuten – Verleih: Warner Bros. Film GmbH
Reinhard Kleber: Klein aber oho!
Während andernorts Filmfestivals aus Spargründen ihre Laufzeit verkürzen, Programmteile streichen und stagnierende Besucherzahlen verkraften müssen, zeigt das Kinderfilmfestival "Schlingel" in Chemnitz Flagge. Bei ihrer jüngsten Ausgabe konnte die kleine, aber feine Filmschau ihre Besucherzahlen auf mehr als 7.000 gegenüber dem Vorjahr verdoppeln. Auf Konsolidierungskurs befindet sich unter der neuen Leitung auch das renommierte Kinderfilmfestival in Frankfurt am Main, das nach konzeptionellen Änderungen in den Vorjahren ins Schlingern geraten war. Für frischen Wind in der deutschen Kinderfilmszene dürfte außerdem Thomas Hailer sorgen, der im Oktober zum neuen Chef des Kinderfilmfests der Berlinale berufen wurde. Frischer Wind kam in Chemnitz vor allem aus Prag. Rick und seine Prager Freunde Peter und Ivana sammeln in ihren Sommerferien bei phantastischen Spielen in einem Flugzeugwrack Erfahrung bei der Suche nach Außerirdischen. Als Ricks älterer Bruder und dessen Freund zu einer geheimnisvollen Mission auf's Land aufbrechen, folgen die drei ihnen heimlich mit vollgepackten Rucksäcken. Am Berg Colorado sollen bald UFOs landen.
Doch dann werden Radek und sein Freund von einem Mädchen in eine Falle gelockt. Die Halbstarkenbande der Göre sieht durch die Jungs nämlich ihr Revier bedroht. Jetzt ist die Hilfe der kleinen Alien-Jäger gefragt. Was sich die Kids so alles einfallen lassen, um die Rabauken zu überlisten und die beiden Jungs vom Marterpfahl zu befreien, das sorgt in dem tschechischen Kinderfilm "Aliens in Colorado" bei Groß und Klein für jede Menge Spaß. Die Zuschauer müssen in dem Abenteuerfilm des Drehbuchautors und Regisseurs Karel Janák zwar über etliche Unwahrscheinlichkeiten hinweg sehen, werden dafür aber mit flotten Dialogen und pointiertem Slapstick reichlich entschädigt. Auf dem 7. Internationalen Kinderfilmfestival "Schlingel" gewannen die tschechischen "Aliens" im Oktober die Herzen der Kinderjury, die der Komödie ihren Preis zusprach, sowie den Publikumspreis. Ein gutes Vorzeichen für interessierte deutsche Verleiher, die noch gesucht werden. Den Hauptpreis des Festivals errang das dänische Sozialdrama "Tinke – Kleines starkes Mädchen". Die sensible Inszenierung schildert in unspektakulären Bildern und mit sparsam eingesetzter Musik die hindernisreiche Resozialisierung eines vom Schicksal gebeutelten Mädchens, das nach dem Tod der Eltern verwildert in einem Wald haust und nach ihrer Entdeckung mühsam lernen muss, sich wieder in eine menschliche Gemeinschaft einzufügen.
In der jungen Hauptdarstellerin Sarah Juel Warner, die mit großen dunklen Augen schon über erstaunliche Ausdruckskraft verfügt, hat der dänische Regisseur Morten Kohlert ein vielversprechendes Talent entdeckt. Erst im September hatte Kohlerts Film auf dem 26. Kinderfilmfestival in Frankfurt den Hauptpreis "Lucas" und den Preis des Internationalen Kinder- und Jugendfilmzentrum CIFEJ gewonnen. Damit steigen die Chancen auch dieser sehenswerten Produktion erheblich, einen deutschen Kinoverleih zu finden. Der Besucherzuwachs des Chemnitzer Festivals, das aus einer 1996 erstmals vom Sächsischen Kinder- und Jugendfilmdienst veranstalteten Kinderfilmschau hervorging, unterstreicht eindrucksvoll den Aufschwung des kleinen Festivals, das mit wachsender Programmqualität auch in Fachkreisen zunehmend Anerkennung findet. So lud der Bundesverband Jugend und Film während des Festivals zum zweiten Mal zu einem Seminar ein. Mit dem iranischen Kinderfilm "Der kleine Vogelnarr" konnte man dieses Mal sogar eine Weltpremiere bieten. Und Frankreich schickte mit der packenden Märchenverfilmung "Der Däumling" von Olivier Dahan eine millionenschwere Produktion mit Stars wie Catherine Deneuve und Elodie Bouchez ins Wettbewerbsrennen. Mit der Auswahl dieses Gruselmärchens, das ab zehn Jahren empfohlen wurde, zeigte die Festivalleitung auch Mut zum Risiko, denn die vielen Gewaltszenen in dem Fantasy-Stück sorgten durchaus für Diskussionsstoff etwa über die Frage der Altersgrenze.
Profil gewann der "Schlingel" vor allem mit seinem Schwerpunkt auf Filmen aus dem östlichen Europa. "Wir wollen das Kinderfilmprogramm zu einem großen Teil mit Filmen aus Osteuropa besetzen," erläutert Festivalchef Michael Harbauer, "nicht mehr als die Hälfte, aber doch mit einem so großen Anteil, um diese Region zu beleuchten und ihr so die Chance zu geben, auch Filme nach Deutschland bringen zu können." In diesem Jahr stellten osteuropäische Länder vier der neun Beiträge im Kinderfilm-Wettbewerb. Als Fenster zum Osten tritt Chemnitz damit teilweise in die Fußstapfen des Festivals des osteuropäischen Films in Cottbus, das vor zwei Jahren bedauerlicherweise seinen Kinderfilmwettbewerb abgeschafft hatte. Mit diesem Schwerpunkt und der Präsentation thematisch ambitionierter Jugendfilme, die dank engagierter Betreuung auf ähnlich starke Publikumsresonanz stießen wie die Kinderfilme, ist der "Schlingel" auf dem besten Weg, in die erste Liga der deutschen Kinder- und Jugendfilmfestivals aufzusteigen. In der ersten Liga spielen Frankfurt und Berlin schon seit langem. Der Glanz der Frankfurter Schau war zuletzt jedoch verblasst. Zum einen hatte die Umstellung auf einen Zwei-Jahres-Rhythmus schon vor Jahren die Auswahl für internationale Gäste eher unattraktiv gemacht, zum anderen war das Profil des ältesten deutschen Kinderfilmfestivals durch die Erweiterung um eine Jugendfilmsektion vor sieben Jahren verwischt worden. Nachdem das erhoffte jugendliche Publikum jedoch ausgeblieben war, hatte der "Lucas" unter der neuen Leitung diese Sektion folgerichtig gestrichen.
Die Rückbesinnung auf die Wurzeln und die Konzentration auf ein qualitätsvolles aktuelles Wettbewerbsprogramm mit wenigen Nebenreihen haben dem Festival, das ausgerechnet in der wichtigsten deutschen Bankenmetropole ständig unter finanziellen Engpässen leidet, gut getan. Angesichts von rund 120 Fachbesuchern aus dem In- und Ausland zeigte sich der neue Festivalleiter Günther Kinstler jedenfalls zuversichtlich: "Durch die Neupositionierung wollen wir auch international den früheren Stellenwert des Festivals zurückgewinnen."Bei der Preisverleihung überraschte Kinstler die Gäste mit der erstmaligen Verleihung eines Ehren-"Lucas" an Walter Schobert, den altersbedingt scheidenden Direktor des Festivals. Schobert, im Hauptamt Chef des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt, hatte die Filmschau 1975 gegründet und seitdem mit bewundernswerter Beharrlichkeit am Leben erhalten. In seiner Abschiedsrede bedankte er sich beim Team und den Förderern und appellierte an die Gäste, in zwei Jahren wiederzukommen. Der abschließende Ruf der Jury nach einer Rückkehr zum jährlichen Rhythmus des Festivals, das immerhin den Namen von Schoberts jüngstem Sohn trägt, hat ihn sicher bewegt; die akuten Finanznöte der Stadt Frankfurt lassen dieses Ansinnen jedoch ziemlich unrealistisch erscheinen.
Neue Akzente darf man auch von Thomas Hailer erwarten, der im Oktober in Berlin Renate Zylla nach 16 Jahren an der Spitze des wichtigsten deutschen Kinderfilmfests ablöste. Der gelernte Dramaturg und Filmförderexperte ließ zwar zunächst keine revolutionären Veränderungseifer erkennen und legte mit der Berufung der langjährigen Filmfestmitarbeiterin Maryanne Redpath zu seiner Stellvertreterin ein Bekenntnis zur Kontinuität ab. Doch die Installation eines Auswahlausschusses mit Branchenvertretern nach dem Muster der großen Berlinale-Gremien legt den Schluss nahe, dass an die Stelle subjektiver Individualentscheidungen künftig Konsensbeschlüsse rücken sollen. Trat der neue Berlinale-Chef Dieter Kosslick im Vorjahr mit der Maxime an, dem deutschen Film auf dem Großfestival der Hauptstadt mehr Gehör zu verschaffen, so beabsichtigt Hailer nun, "die Beziehungen zur deutschen Kinderfilmszene und den Kinderfilmproduzenten zu intensivieren". Offenkundig will der 43-Jährige nicht zuletzt das Kinderfilm-Image aufpolieren, das hierzulande leider noch immer mit dem Makel der kommerziellen und künstlerischen Nische behaftet ist.
Die Branche, monierte Hailer in einen Interview, "nimmt nicht so recht zur Kenntnis, dass unter den fünf erfolgreichsten deutschen Filmen des letzten Jahres drei Kinderfilme waren." Da in der Vergangenheit auf der Berlinale so mancher deutsche Kinder- und Familienfilm aus diversen Gründen außerhalb des Kinderfest-Wettbewerbs blieb oder bleiben musste, sieht die 'Szene' erwartungsvoll der nächsten Festivalausgabe im Februar entgegen.Weitere Infos im Netz: www.ff-schlingel.de, www.berlinale.de, www.lucasfilmfestival.de
Erwin Schaar: Die Stars sind keine Vorbilder
War die Spiegel-Story "Das Ende der Gutmenschen" nun eine Analyse einer neuen Hollywood-Sicht der Dinge oder soll in die fast unentwirrbare Anzahl neuer Filme, die wöchentlich ins Kino kommen, nur ein roter Faden zur Strukturierung des Angebots gezogen werden? Mit der Schlagzeile "Amerikas düstere Helden: Die Stars entdecken die Lust an Mord und Totschlag" (Der Spiegel, 26.8.02) werden dem Leser Einsichten suggeriert, die er als Zuchauer nachvollziehen und damit der feuilletonistisch belegten Mundpropaganda für eine neue Kinomode zum Durchbruch verhelfen soll. Bekannte und beliebte Schauspieler verändern ihre darstellerische Physiognomie im Dienste des Bösen und da diese Art Paradigmenwechsel ein Geschäft wie Hollywood, das den Weltgeschmack vorgibt, betreibt, wird natürlich gleich ein Phänomen konstatiert, das zu einer Welle anwachsen könnte.Da aber die Faszination des Bösen zum täglichen Medienthema geworden ist, sicher nicht mit gleichbleibender Stringenz, dürfte eine solche Erweiterung des Ausdrucks nicht unbedingt ein Risiko für die Popularität bedeuten, wie das Magazin betont. Es könnte auch die Veränderung des Images der Stars anzeigen, die der kinokundige Zuseher nicht mehr ganz so naiv in seine Verehrung einbezieht. Außerdem darf an den Filmhistoriker Robert Warshow erinnert werden, der schon in den 50-er Jahren den Gangstermythos als das "große 'Nein', das quer über das offizielle Gesicht Amerikas gestempelt ist" definierte (zitiert nach U. Gregor, Geschichte des Films ab 1960. München 1978).
Diesen Herbst werden wir uns - soweit wir das Kino interessiert verfolgen - mit mehreren Filmen auseinandersetzen können, an denen die These vom Ende des nur das Gute verkörperten Stars zu überprüfen wäre. Zwei der aufwändig beworbenen Filme seien hier vorgestellt.Road to PerditionTom Hanks und Paul Newman sind in dieser "Straße zur Hölle" die Bad Guys, die unser fiktionales Weltbild erzittern lassen sollen. Das Städtchen Rock Island und die große Stadt Chicago in den 3o-er Jahren: Hanks ist Michael Sullivan, verheiratet, zwei Söhne in mittelständischem Ambiente, wie wir es nach 1945 in den Home and House-Journals bewundern konnten: das Materielle zeichnet Wohlbehagen und Friede mit der Umwelt. Sullivan arbeitet für John Rooney (Paul Newman) und muss wohl einer wichtigen Beschäftigung nachgehen, wenn er tadellos gekleidet das Heim verlässt. Aber sein ältester Sohn Michael jr. wird irritiert sehen, wie der Vater nach getaner Arbeit seine Taschen leert und dabei auch eine Pistole zu seinen Sachen legt. Das ist der Beginn der Geschichte, die böse und doch wieder gut enden wird. Der junge Michael, misstrauisch geworden, wohnt versteckt einer Exekution bei und erfährt dabei, dass sein Vater als Auftragskiller arbeitet.
Da das Kind entdeckt wird, ist nun auch die Familie Sullivans in Gefahr, obwohl doch der Boss an Michael jr. seinen Narren gefressen hat. Sullivan erkennt die Gefahr, trotzdem werden seine Frau und sein jüngster Sohn ermordet. Um Michael jr. zu retten, will ihn Sullivan zu einer Tante in dem Städtchen "Perdition" in Sicherheit bringen. Für das nötige Geld auf der Flucht sorgen eine Reihe von Banküberfällen, wobei Michel jr. am Steuer des Fluchtautos sitzt. Unterwegs können sie einem alten Farmerehepaar mit dem geraubten Geld aus dem armen Leben helfen.In "Perdition" wird Sullivan der Tod doch noch ereilen, weil der Killer Maguire sie aufspürt. Michael jr. kann mit dem Auto entkommen und zu der Farm fahren, wo die guten Leute wohnen, um dort sein junges Leben positiv auf die Zukunft einzustimmen.Die Geschichte wird in dunklen, bräunlich getönten Bildern erzählt, die die schon historische Gegebenheit betonen, aber auch einen einheitlichen emotionalen Grundton stimulieren, damit wiederum den Zuseher in filmhistorische Zeiten versetzen, als die Gangsterfilme, der "Film noir", noch in schwarzweißen Bildern gedreht wurden. "Road to Perdition" mutet in seinem Stil eben wie ein Werk an, das noch einmal rekapituliert, wie es gewesen ist und damit auch holzschnittartig seine Figuren zeichnet. Ein Tom Hanks, ein Paul Newman sind ob ihrer darstellerischen Qualitäten zu bewundern und agieren nicht als Identifikationsobjekte, denen die Zuneigung des Publikums gelten soll.Sam Mendes - vor zwei Jahren erhielt sein Film "American Beauty" fünf Oscars - kann mit des Knaben Rückkehr auf die Farm und zum einfachen Leben einen Schlusspunkt setzen, der wie eine Anekdote wirkt.
Die seitdem vergangene Zeit hat ja gezeigt, dass ein solches hoffnungsfrohes Kinogefühl immer ein Trugschluss war.InsomniaDa verhält es sich mit Christopher Nolans Film "Insomnia - Schlaflos" etwas anders. Dessen Wirkung ist auf das hier und heute berechnet und keine historische Künstlichkeit der Bilder ermüdet.Die beiden Star-Ermittler Will Dormer (Al Pacino) und Hap Eckhart (Martin Donovan) werden zur Klärung eines Mordfalls an einer jungen Frau von Los Angeles in ein abgelegenes Nest in Alaska abkommandiert. Eher eine Strafaktion, weil beide der Unkorrektheiten bezichtigt werden. In Nightmute aber ist man stolz auf die Anwesenheit einer Berühmtheit wie Dormer, der der örtlichen Polizei Glanz verleiht. Bei einer fehlgeschlagenen Aktion gegen den Mörder erschießt Dormer aus Versehen seine Kollegen. Seine ganze Aktion ist nun darauf gerichtet, diese fatale Fehlleistung zu vertuschen und dem bereits erkannten Mörder des Mädchens, dem Schriftsteller Walter Finch (Robin Williams), anzulasten . Mit Hilfe der sympathischen jungen Polizistin Ellie Burr (Hilary Swank) wird der zu Tode kommen, aber auch Dormer überlebt seinen Auftrag nicht.Der Film hat durch seine in der Jetztzeit spielenden Handlung einen ganz anderen Zugriff auf die Schauspieler, die viel mehr ihre Persönlichkeit in die Figuren integrieren müssen als die Darsteller historischer Personen. Ihre Verkörperung einer Rolle erweckt beim Zuschauer eher eine Einheit mit ihrer Individualität.
Also müsste sich Robin Williams wesentlich mehr Gedanken um sein Image mache als dies Tom Hanks oder Paul Newman zu tun hätten. Wer Williams als Disc-Jockey in "Good Morning, Vietnam" oder als Lehrer in "Der Club der toten Dichter" erinnert, er wird den mörderischen Schriftsteller Finch mit seinem teuflischen Grinsen gar nicht einnehmend finden. Aber wird ihm dieser Eindruck als Schauspieler Schaden bringen? Die Autoren der Spiegel-Story entlarven ihre Ausführungen dann doch eher als einen Versuch, eine Welle herbeizuschreiben, wenn sie ihren Beitrag mit der Feststellung enden: "Zurzeit sind die größten Stars ganz versessen darauf, das Böse zu verkörpern: Das Schlechte im Menschen, so scheinen sie zu glauben, bringt das Beste in den Schauspielern zum Vorschein". Also: alles wie gehabt. Der Brave und Gute wird auch im Film ganz schnell langweilig.Road to PerditionRegie: Sam Mendes - Buch: David Self - Kamera: Conrad L. Hall - Musik: Thomas Newman - Darsteller: Tom Hanks, Paul Newman, Jude Law, Jennifer Jason Leigh, Stanley Tucci, Daniel Craig, Tyler Hoechlin, Liam Aiken - Produktion: USA (Zanuck Company) 2002 - Länge: 119 Minuten - Verleih: 20th Century FoxInsomnia Regie: Christopher Nolan - Buch: Hillary Seitz - Kamera: Wally Pfister - Musik: David Julyan - Darsteller: Al Pacino, Robin Williams, Hilary Swank, Martin Donovan, Paul Dooley, Maura Tierney - Produktion: USA (Witt/ Thomas Section Eight) 2002 - Länge: 118 Minuten - Verleih: Warner Bros.
Eva-Maria Rüdiger: Wer hat Angst vor einer Fünfjährigen?
Kommt sie, oder kommt sie nicht ? Diese Frage beschäftigte vor wenigen Wochen die USA. Die Rede war nicht von einer Politikerin, auch nicht von einem Filmstar, sondern von einem kleinen Mädchen: Landauf, landab erhitzten sich die Gemüter über der Frage, ob es als neue Bewohnerin in die „Sesamstraße“ einziehen darf – denn es ist HIV positiv.Ihr Steckbrief sieht etwa so aus: Alter 5 Jahre, vermutlich Vollwaise, Herkunft Südafrika. Besonderes Kennzeichen: Das Mädchen soll eine Puppe sein, genauer gesagt eine „Monsterpuppe“ wie z.B. Oskar oder das Krümelmonster, Name und Aussehen aber noch unbekannt. Charakter: Heiter, selbstbewusst, agil, gesund anstatt kränklich. Insgesamt kein Charakter, vor dem sich Eltern, Politiker und Fernsehmacher fürchten müssten. Was also war passiert?Bei der 14. Welt-AIDS-Konferenz in Barcelona hatte Joel Schneider, der Vizepräsident des „Sesame-Workshops“, der die amerikanische Muttersendung produziert, bekannt gegeben, dass im Rahmen einer Anfang 2002 begonnenen Kooperation des „Sesame Workshops“ mit dem Center for Communication Programs der Johns Hopkins Universität zur Verbesserung der Gesundheits- und Lebensumstände von Kindern und Familien in Entwicklungsländern sowie in Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Bildungsministerium und USAID die Idee für die Integration der neuen Figur in die südafrikanische Ausgabe der „Sesamstraße“ entwickelt worden sei.
Da Südafrika den weltweit größten Anteil an HIV-Infizierten aufweist, sollte die neue Figur ab 30. September dieses Jahres in der „Takalami Sesame“ genannten Produktion des Senders SABC dazu beitragen, Kinder bereits früh auf den Umgang mit HIV-positiven Mitmenschen vorzubereiten und der vorherrschenden Stigmatisierung entgegenzuwirken. Behandelt werden sollen Fragen des Kinderalltags, wie z.B. das richtige Verhalten bei kleinen Verletzungen, gemeinsames Spielen oder das Teilen von Speisen und Getränken. Über eine spätere Einführung des HIV-positiven Mädchens in anderen nationalen Ausgaben der „Sesame Street“ werde diskutiert . Schneiders Ankündigung wurde zunächst positiv aufgenommen und international in den Medien verbreitet, doch kurz darauf begann ein merkwürdiges Kesseltreiben: Eltern schrieben besorgte Leserbriefe, was nun aus ihrer guten, alten, sauberen Bildungssendung werden solle, und in zahlreichen Fernseh- und Radiotalkshows wurde das Thema ausgiebig und plakativ behandelt. Widersprüchliche Berichte wechselten sich ab, ob mit der neuen Figur auch Themen wie Sexualität, Drogenkonsum und Tod thematisiert werden sollten.
Eine Gruppe von Kongressabgeordneten ließ es sich schließlich nicht nehmen, mittels einer schriftlichen Anfrage den Dingen auf den Grund zu gehen, ihre Besorgnis darüber auszudrücken, dass ein solcher Schritt für amerikanische Zuschauer der Sendung nicht altersangemessen sei, und gleichzeitig nach den finanziellen Aufwendungen des ausstrahlenden, mit öffentlichen Mitteln finanzierten Senders PBS für die „Sesame Street“ im Allgemeinen und die neue Figur im Besonderen zu fragen – nach eigenem Bekunden eine reine Routinefrage... Was folgte, war ein klares Dementi: Gegenüber den Politikern wie auch z.B. in Online-Foren für Eltern ließ der „Sesame Workshop“ wissen, dass die neue Figur ausschließlich für Südafrika entwickelt werde und in keiner der 19 anderen nationalen Versionen eingesetzt werden solle . „Die Story hat sich wohl verselbständigt“, so der lapidare Kommentar des „Sesame-Workshops“-Vizepräsidenten Robert Knezevic . Und auch die Kinderprogrammredaktion des NDR, zuständig für die „Sesamstraße“ als deutschen Ableger der Sendung, gab auf Anfrage bekannt, dass die HIV-positive Figur lediglich als Bestandteil des nationalen Rahmenprogramms der südafrikanischen Sendung zu verstehen sei und nirgendwo sonst eingesetzt werden solle.Also alles nur eine Zeitungsente, verursacht von schlampigen oder sensationsgierigen Redakteuren? – Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, wirft diese Geschichte doch immerhin die Frage auf, warum die bloße Ankündigung einer neuen Facette eines etablierten Bildungsprogramms für solch eine geradezu hysterische Reaktion sorgen konnte. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Einerseits illustriert das Beispiel der „Sesame Street“, dass die HIV / AIDS-Problematik gerade in den wohlhabenden Ländern nach wie vor gerne heruntergespielt wird.
So setzten die besagten amerikanischen Kongressabgeordneten die Erkrankung mit Körperbehinderungen gleich und forderten, diese ebenfalls gleich stark zu thematisieren, um einen reinen Fokus auf HIV zu verhindern (wohl in Unkenntnis der Tatsache, dass die „Sesame Street“ bereits von mehreren körperbehinderten Figuren bewohnt worden war) . Andererseits macht es unterschiedliche (Erwachsenen-)Perspektiven auf Kindheit und die Rolle der Medien für Kinder deutlich. Eine erneute Diskussion, ob Kinderfernsehen in erster Linie unterhaltend oder informativ sein solle, war unvermeidlich. Diesmal wurde sie an die Kritik gekoppelt, dass soziales Lernen wichtig sei und früh beginnen müsse, dass AIDS bzw. HIV jedoch ein so ernsthaftes und bedrückendes Problem darstelle, dass man es Kindern im Alter der „Sesame Street“-Zuschauer noch nicht zumuten könne: „Lasst den Kindern ihre Kindheit, wenigstens für eine Weile“, war die Botschaft von etlichen Politikern, Eltern und Pädagogen. Manche Eltern, die in den Absichten der Produzenten einen Verfall der Werte des Kinderfernsehens zu sehen glaubten, drohten gar in Leserbriefen und Online-Foren, ihren Kindern die einstmals so „wohltuende“ und „gesunde“ Sendung zu verbieten, wenn die HIV-Thematik aufgegriffen werde.
Zur selben Zeit empfahlen die Gegner dieses behütenden Ansatzes gerade Sendungen wie die „Sesame Street“, die bereits auf eine lange pädagogische Tradition zurückblicken kann, zur Vermittlung solch schwieriger Aspekte des sozialen Alltags: Ihre bunten, kindlichen Puppen-Bewohner – aber auch die erwachsenen Figuren – sind emotional ansprechend und können, ohne Angst einzuflößen, zu Vermittlern werden. Häufig zitierten sie dabei eigene, frühere Medienerfahrungen mit der Magazinsendung, die ihnen selbst nicht nur das Lesen und Rechnen, sondern z.B. auch das Miteinander-Teilen nahe gebracht hat. So sprachen sich beispielsweise. bei einer Online-Umfrage der Universität von Toledo immerhin 58 % der Abstimmenden für und 42 % gegen eine Thematisierung von Themen wie HIV / AIDS in Kinderfernsehprogrammen aus . Wieder andere befürworteten den mutigen Ansatz, aber nur dort, wo das AIDS-Problem sehr gravierend ist – also sollten südafrikanische Kinder mit der neuen Mädchenfigur Freundschaft schließen können, die US-amerikanischen Kinder jedoch lieber nicht .Interessant erscheint, dass der unter Druck geratene Sender letzteren Standpunkt zur Lösung des Dilemmas gewählt hat: Wiederum nur wenige Tage nach dem vollständigen Dementi eventueller Absichten zur Einführung der HIV-Problematik in andere nationale Ausgaben der „Sesame Street“ (das wiederum einige Fernsehkritiker erbost hatte ) gab die PBS-Vorsitzende Pat Mitchell bekannt, dass ein späteres Erscheinen der Figur in anderen Ländern nicht völlig ausgeschlossen werden könne: „Falls der Virus zukünftig auch für US-amerikanische Kinder ein größeres Problem darstellen sollte, würde Sesame Street darauf genau so reagieren wie auf andere aktuelle Themen“, wurde Mitchell in der Presse zitiert .Ein interessanter Impuls bleibt die Diskussion allemal, selbst wenn sie aus einer Falschmeldung entstanden sein sollte.
Immerhin hat die „gute alte Tante des Kinderfernsehens“ in den USA bereits eine 33-jährige und in Deutschland eine 29-jährige Geschichte hinter sich gebracht, in der sie zur medialen Speerspitze sehr unterschiedlicher pädagogischer Konzepte gemacht wurde. In der deutschen Version ging es dabei bereits sehr früh nicht nur um kognitive Förderung, sondern auch um soziales Lernen , während in anderen Ländern die dortigen aktuellen Probleme aufgegriffen werden (z.B. in der ägyptischen Variante die Notwendigkeit, Mädchen Bildung zu ermöglichen, oder in Israel und den palästinensischen Gebieten der gegenseitige Respekt zwischen den Bevölkerungsgruppen ). Über die Jahre erhielt die Sendung viel Lob, geriet aber auch immer wieder in die Kritik, ob wegen fehlender oder falscher Identifikationsangebote, der Divergenz zwischen amerikanischen und eigenproduzierten Bestandteilen, oder wegen der zunehmenden Unterhaltungsorientierung. Vor Jahren wurde ihr sogar bescheinigt, „in der pädagogischen Substanz überholt und als mediales Ereignis betulich geworden“ zu sein, so dass sich eine Auseinandersetzung mit ihr kaum lohne . Nach einigen vielversprechenden Änderungen in den letzten Jahren könnte nun auch die südafrikanische Figur für frischen Wind sorgen und die „Sesamstraße“ wieder zum mutigen Spitzenreiter und internationalen Trendsetter im Kinderfernsehen machen. Je reaktionsfreudiger und wandlungsfähiger sie sich dabei zeigt, ohne dabei auf ihre bewährten Traditionen und den eigenen Anspruch zu verzichten, desto weniger verzichtbar wird sie sein – aus Sicht der Erwachsenen, und bei ihren kleinen Zuschauern sowieso.
Michael Gurt: Alles echt? Fälle - Menschen - Urteile
Was bisher geschah...Nicht erst seit Barbara Salesch & Co. sind Gerichtssendungen ein fester Bestandteil der deutschen Fernsehlandschaft: In den 60er-Jahren bescherte „Wie würden Sie entscheiden?“ dem ZDF regelmäßig gute Quoten. Gerd Jauch präsentierte echte Fälle, die vor der Kamera nachgestellt wurden. Der Clou: Kurz vor der Urteilsverkündung durfte das Studiopublikum über Freispruch oder Verurteilung abstimmen, das Ergebnis wurde dem Urteil der juristischen Fachleute gegenübergestellt.Ebenfalls im ZDF starteten Anfang der 80er Jahre „Ehen vor Gericht“ und später „Verkehrsgericht“. Beide Formate ergänzen den Schlagabtausch im Gerichtssaal mit Szenen aus dem Umfeld der Verhandlungen. Außerdem kamen Psychologen wie Dr. Ulrich Beer, Scheidungsexperten bzw. Verkehrssachverständige zu Wort, die zu den jeweiligen Fällen handfeste Informationen beisteuerten.Nach einer längeren Flaute meldete sich das Genre im ZDF 1999 mit „Streit um drei“ zurück, eine Sendung, die auf bewährte Rezepte setzte: Mehr oder weniger ungewöhnliche Alltagsfälle, die von einem Moderator und einem Rechtsexperten kommentiert und begleitet wurden. So richtig in Fahrt kam die Erfolgsgeschichte der Gerichtssendungen aber erst mit „Barbara Salesch“. „Echte Fälle – echte Menschen – echte Urteile“ war das Motto der Sendung. Deshalb standen auch „nur“ Schiedsurteile auf dem Programm. Zunächst war Salesch, die übrigens ihrem amerikanischen Vorbild Judge Judy bis auf die Frisur gleicht, wenig Erfolg beschieden. Deshalb wurde das Konzept kurzerhand umgekrempelt: 15.00 Uhr statt 18.00 Uhr, eine ganze statt einer halben Stunde und vor allem: Statt echter Schiedsfälle kamen jetzt erfundene Strafsachen vor den Kadi. Damit war der Schritt von der Gerichtssendung zur Gerichtsshow endgültig vollzogen, die weit spektakuläreren Verhandlungen rund um Liebe, Hass und Eifersucht sorgten für steigende Quoten.
Mittlerweile tummeln sich täglich sechs Gerichtsshows im Nachmittagsprogramm, nach Barbara Salesch darf auf Sat.1 seit November 2001 auch „Richter Stefan Hold“ seines Amtes walten. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht und so reagierte RTL prompt auf den Trend. Bereits im September 2001 trat Richterin Ruth Herz vom „Jugendgericht“ an, um Quote zu machen, seit September diesen Jahres machen „Das Strafgericht“ und „Das Familiengericht“ die Riege der RTL-Jurisprudenz komplett. Von Fall zu FallVor kurzem kam im „Jugendgericht“ die Sache Liane Färber zur Verhandlung: Die 20-Jährige hat ihrem Freund mit Hilfe eines selbst gebastelten Flammenwerfers Verbrennungen im Gesicht zugefügt, der Geschädigte ist seither blind. Das Motiv der Angeklagten, so erfährt der Zuschauer vor Prozessbeginn, liegt darin begründet, dass sie mit dem Beruf ihres Freundes nicht klargekommen sei: Der Mann ist Pornoproduzent.Solche oder ähnliche Fälle aus dem „täglichen Leben“ sind keine Seltenheit. Auffällig häufig werden Fälle mit sexuellem Hintergrund verhandelt. Etwa auch der Fall um die 16-jährige Dorothee, die angeblich von ihrem Vater, der von der Familie getrennt lebt, sexuell missbraucht wurde. Aus diesem Grund soll ihm das Umgangsrecht entzogen werden. Im Laufe der Verhandlung wird der Klavierlehrer – gleichzeitig der neue Lebensgefährte der Mutter – als wahrer Schuldiger entlarvt. Das Ganze spielte sich im „Familiengericht“ ab, der spektakuläre Verlauf der Verhandlung mündet in einem Geständnis, bei dem unverständlicherweise auch das junge Opfer im Saal zugegen ist. Ob die Art und Weise der Verhandlungsführung der juristischen Praxis entspricht, ist für den Laien – wie in vielen Fällen – kaum zu beurteilen.Mal abgesehen vom Bild der deutschen Justiz, das hier gezeichnet wird, ist der Wert solcher „Verhandlungen“ für die Zuschauerinnen und Zuschauer fragwürdig: Es findet weder eine psychologische noch juristische Einordnung statt, die Fälle an sich dürften für die meisten sowieso jenseits des eigenen Erfahrungsbereichs liegen. Statt auf Informationswert wird auf den Schauwert des Absonderlichen gezielt.
Nicht nur die Auswahl der Fälle, auch die Art und Weise, wie da vor Gericht miteinander umgegangen wird, kann einem verzerrten Bild vom menschlichen Miteinander Vorschub leisten. Verbale Entgleisungen sind keine Seltenheit, gegenseitige Beschimpfungen und Diffamierungen arten bisweilen sogar in Handgreiflichkeiten aus. Angesichts der schieren Fülle solcher spektakulären Konfliktfälle stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch Menschen gibt, die zumindest einigermaßen miteinander auskommen.Was bleibt?Zumindest scheint derzeit bei den Programmverantwortlichen die Einsicht einzukehren, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer fürs erste keine weiteren Ableger von Salesch & Co. nötig haben. So spricht Sat.1 Geschäftsführer Martin Hoffmann laut einer dpa-Meldung angesichts der beiden neuen RTL-Gerichtsshows bereits von einem „Overkill“.Die Erfahrung, wie schnell der Erfolg eines neuen Formats aufgrund eines solchen „Overkills“ kippen kann, mussten die Sender schmerzlich beim so genannten „Real-Life-Format“ à la „Big Brother“ machen. Spätestens mit „Girlscamp“ und der dritten Staffel von „B.B.“ war der Boom am Ende. Es bleibt abzuwarten, ob den Gerichtsshows ein ähnlich abruptes Ende blüht.
Erwin Schaar: Die globalisierten Künste?
"Die D 10 war ein dunstiges Elendstal vermeintlich kritischer, in Wahrheit meist nur wehleidiger Manifestationen. Ein einziges Video-Meer der Plagen, bildlose Bilderflut" - die Meinung des Kunstkritikers der "Frankfurter Rundschau", Peter Iden, zur Schau der Catherine David, die 1997 die künstlerischen Anstrengungen als Erklärungsmodelle für eine vielfältige Welt kompilierte, wird zu Okwui Enwezors Schaubühne der Weltkunst insgesamt kaum positiver ausgefallen sein. Zumindest waren seine Kommentare in einer TV-Dokumentation zu einzelnen Ausstellungsobjekten fast schon rüde herabwürdigend. Die Generation der kritischen Betrachter, die an die durchgearbeiteten statischen Bildwerke gewöhnt ist, deren Kunstverstand auch für die Auktionshäuser von Interesse ist, wurde auf der Documenta11 von dem Nigerianer Enwezor, der meist in New York agiert, kaum mehr bedient. Kunst ist für ihn und sein Team mit dem Nachdenken über die politische und soziale Welt verbunden. Und die bewegt sich ständig in einer Vielfalt und Unübersichtlichkeit, dass man von Information zu Information getrieben wird. Was sich in Enwezors Austellungskonzeption "The Short Century" in München (siehe merz 2/2001) ankündigte, hat er in den weitläufigen Ausstellungshallen in Kassel großflächig verwirklicht: die radikale Diversifikation, die ständig das Ungenügen aufkommen lässt, nicht mehr als eine knappe Impression in einem bestimmten Zeitraum erhaschen zu können. Die Schau der realen Attraktionen kennt nicht den beschaulichen Betrachter, weil der weiß, dass sein Zuwendung immer eine eingeschränkte ist. Wenn er bei einem Problem verharrt, wird er das übrige Spektrum aus dem Blickfeld verlieren. *Enwezor hat das Ereignis in Kassel mit vier so genannten Plattformen vorbereitet: Symposien in Neu-Dehli, Lagos, Berlin und Santa Lucia handelten über die unvollendete Demokratie, Rechtssysteme im Wandel und die Wahrheitsfindung, die Kreolisierung und die Urbanisierung am Beispiel große Städte in Afrika. Die Plattform 5 war die Visualisierung des Brainstorms in aller Welt: die Ausstellung in Kassel.
Das Manko - wenn man es so nennen will - des zeitgenössischen Künstlers ist das Ahnen oder Wissen um die Auflösung der festgefügten Wahrnehmung, den Einfluss der Sozial- und Biowissenschaften. Er möchte in dieser Welt, die die Probleme zuhauf jeden Tag ins Bewusstsein spült, als Gleichberechtigter wahrgenommen werden. Seine Sicht der Dinge soll von der gestalterischen Phantasie her ins Blickfeld geraten, soll die trügerische Sicherheit der wissenschaftlichen Behauptungen befragen und in die Welt des sozialen Lebens einbringen. Ein Verweis auf die aktuelle Diskussion um den Bildungsbegriff sei hier gestattet, zu der der Evolutionsbiologe Hubert Markl in einem "Spiegel"-Essay bemerkt hat: "Ein ganzheitlicher Bildungsbegriff kann niemals Vollständigkeit, niemals 'Auslernen' zum Ziel haben. Ein ganzheitlicher Bildungsbegriff muss vielmehr immer offen sein für verschiedenartige Verständnis- und Erfahrungsformen. für die Bahnung von sehr verschiedenen Zugangswegen zum Leben, die dann jeder Einzelne nach Begabung, Neigung und Anregung in freier Entscheidung zu weiterer Erkundung wählen und weiter erkunden mag." (Der Spiegel 32/2002). *Die Dritte Welt mehr zum Mittelpunkt rücken, das wurde von dem Afrikaner Enwezor erhofft. Und daraus resultierte ein Vorwurf, den Bazon Brock in seiner Talk-Runde "Bilderstreit" (3sat) aufs Tapet brachte: das Vorzeigen einzelner Künstler und Werke dieser 'fremden' Kulturen entspräche eher der Tradition europäischer Ausstellungsmacher, verwandle die Objekte zu Artekfakten hiesiger Ausstellungskultur. Diese Überlegung ist nachzuvollziehen und dürfte auch das leise Ungenügen an der Präsentation der 'naiven' Künstler ausmachen. Wer sich noch an die Documenta 6 im Jahr 1977 erinnert, dem müsste durch die Installationsvorgabe des großen Beuys schier das ästhetische Herz zersprungen sein ob der in die Statik eines Raums gezwungenen Objekte aus dem schwarzen Kontinent.
Damals durchzog die Beuys'sche Honigpumpe mit ihrem Schlauchsystem Räume und Stockwerke des Fridericianums, um die Ausstellung als sozialen Organismus zu präsentieren. Eine Idee, die weltläufiger nicht hätte sein können. Bei der elften Weltschau der Kunst haben aber zum Beispiel afrikanische Künstler Raum und Zeigen in europäischer Manier übernommen oder zugewiesen bekommen. Bei Georges Adéagbo werden Fundstücke aus verschiedenen Kulturen - Bücher, Bilder, Skulpturen, Plakate, Zeitungen - um ein selbst gezimmertes Boot versammelt, so als ob der in Europa gebildete Beniner seine Kenntnisse, sein Weltbild ausstellen möchte, das erst in diesem Konglomerat den exotischen Touch erhält, der die Beschauer auf diese Welt fixiert. Die Fühler für eine weiter greifende soziale Aufnahme können in dieser Geschlossenheit nicht erkannt werden. Adéagbo hat sich damit geradewegs in die Wunderkammeridee der Renaissance begeben. Das kann kein Ansatzpunkt für neues Denken aus den neuen Welten sein. Diese Art der Selbstreferenz fesselt sich selbst. *Welche Zukunft haben die bewegten Bilder, die vorgeben, ein abgeschlossenes Statement zu präsentieren, in der bildenden Kunst? Die zahlreichen Videokabinette, Bildschirminstallationen - beeindruckten sie nur wegen der ständigen Aktivität, die sie ausstrahlen? Hatten sie eine eigenständige Funktion, die uns mehr als Bildfetzen zu übermitteln hatte? Sich alle Bilderzählungen von Anfang bis Ende anzusehen, hätten wir Tage damit zubringen müssen.Georg Seeßlen hat in einem Aufsatz in "epd Film" (8/2002) die Vermutung aufgestellt, dass neben dem Mainstream und dem Autorenfilm diese Art von bewegten Bildern in der Kunst ein eigenes Genre werden würde: das dritte Kino, das den "narzisstisch gebrochenen Blick der Kunst wieder auf die Welt" richten könnte. Dann wäre aber auf jeden Fall nach einer adäquaten Präsentationsform zu fragen. Kabinett für Kabinett mit mehr oder weniger langen Filmen nebeneinander zu stellen kann nicht die Aufmerksamkeit für ein Einzelwerk fördern. Dieses Massenangebot ermüdete schon bei der letztjährigen Biennale in Venedig, wo es auch einem so geübten Ausstellungsmacher wie Harald Szeemann nicht gelang, über diese übliche Vorführform hinaus eine innovative Konzeption zu erstellen. Das beim TV-Konsum geübte Zapping fördert eine ebenso oberflächliche Rezeption in der bildenden Kunst und kann nur zu einer Nivellierung von Qualität führen.Die avantgardistische Filmemacherin Chantal Akermann ("Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Bruxelles", 1975) führte auf 18 Monitoren und zwei Leinwänden ihren Film "From the Other Side" vor, der die meist vergeblichen Versuche mexikanischer Wanderarbeiter dokumentiert, die die penibel gesicherte Grenze nach Nordamerika hin zu passieren versuchen.
Die gesamte Dokumentation war auf einem Monitor zu betrachten, während die anderen Wiedergabegeräte einzelne Sequenzen daraus zeigten. Man mag nun darüber streiten, ob diese gesplittete Bilderflut auf engstem Raum die Eindringlichkeit der Bilder verstärkt oder die Konzeption des Films ad absurdum führt. Das ästhetische Konzept der Installation mit seinen politisch gemeinten sequentiellen Hervorhebungen kann dann aufgehen, wenn auch der ganze Film rezipiert wird, ansonsten ist L'art pour l'art nicht fern. *Wie schwierig es oft ist, Kunst und 'normales' Leben in Verbindung zu bringen, zeigte der in Paris lebende Schweizer Bildhauer Thomas Hirschhorn mit seinem Bataille Monument in einer gettoähnlichen Vorstadt von Kassel, die hauptsächlich von Türken bewohnt wird. Mit Sperrholz, Pappe, Folie und Klebeband fertigt Hirschhorn Denkmäler für von ihm verehrte Personen der Geistesgeschichte, ohne den Glanz eines konsumorientierten Lebens zu bemühen. 'Arme' Mittel sollen in einer adäquaten Umwelt trotzdem die Exzeptionalität der Geehrten zum Ausdruck bringen. "Ich will das Publikum nicht von den Gedanken Georges Batailles überzeugen, sondern den Leuten vermitteln, dass ich diesen Denker liebe". Und so erarbeitete Hirschhorn mit Freiwilligen, hauptsächlich jungen Leuten der Wohnumgebung, gegen Entgelt aus seinen bevorzugten Materialien Hütten, die er in eine Bibliothek, ein Fernsehstudio, einen Ausstellungsraum umwidmete, die auch von den Bewohnern des Viertels mit Beschlag belegt werden sollten. Meist fläzten sich in den Sesseln der Bibliothek und der Ausstellung aber nur Halbwüchsige, denen ihre künstlerische Umgebung herzlich egal war. Und die Distanz der Anwohner, denen ihr ärmliches Leben noch ärmlicher erscheinen musste. dürfte nicht nur auf ihre Unkenntnis von Bataille zurückgeführt werden! Wie aufdringliche Schaulustige drangen täglich die mit einem eigenen Zubringerdienst beförderten Kunstfreaks in einen sonst geschlossenen städtischen Raum ein. Um welche Erkennntisse bereichert? Wenn man sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß zum Besuch aufmachte, konnte man zumindest die Tristesse sonst nie besuchter Stadtteile erfahren. Ansonsten erlaube ich mir, die Denkmal-Idee des hochgelobten und medienpräsenten Hirschhorn eher als monomanische Scharlatanerie zu bezeichnen. Immerhin ist angesichts seiner gewählten Umgebung positiv zu registrieren, dass er es weit von sich gewiesen hat, als Sozialpädagoge fungieren zu wollen.
*Catherine David hatte in ihrer Konzeption der 10. Documenta Artefakte und Theoriegedanken aus aller Welt zusammengestellt, den Aufbruch zu einer Weltkultur, wo Anregungen aus bisher exotischen Bereichen in die bisher sakrosankten europäischen Kunstvorstellungen eindringen und weiterwirken, postuliert. Sie musste den Vorwurf des Konglomerats, der puren Ansammlung von Einflüssen verkraften. Enwezors Schau und gedankliche Voraussetzungen, die vor allem in sozialen und politischen Entwicklungen ihre Grundlage hatten, wurden trotz vieler Brüche insgesamt schon wesentlich positiver hingenommen, auch wenn alte Kunstgediente sich in abfälligen Bemerkungen ergingen. Was wird aus diesem Aufbruch in diese vielfältigen Welten der ästhetischen Bemühungen, die sich mit Lebenszielen und Lebensentwürfen paaren, in Zukunft an ästhetischen Ausdrucksformen entstehen? Wird die Globalisierung des ästhetischen Denkens den Begriff von Kunst aufweichen, verändern, modifizieren? Wird die herkömmliche Kunst des meisterhaften Gestaltens obsolet werden? Oder ist die Diskussion neu zu beginnen, weil es auch Kulturen gibt, die abstoßende Züge tragen, und der Dialog der Kulturen ein "intellektueller Volksglaube" ist (Thomas Steinfeld in der SZ vom 23.8.02 in einem Bericht über das Buch von Roger Sandall: The Culture Cult). Der Leiter der nächsten Documenta wird es schwer haben, die bisher nur angedachten Veränderungen in eine profunde Idee einzuschließen.
Empfohlene Literatur
Kunstforum International, Bd. 161, August - Oktober 2002: "Die Documenta11" (Postfach 1147, 53805 Ruppichteroth; Euro 17,70).
Nicola Marsden: Vorurteile über virtuelle Welten an Schulen
"Schulen ans Netz" lautet die Forderung seit einigen Jahren. Die Einführung neuer Medien ist politisch und gesellschaftlich gewünscht. Und was zum Thema Lehren und Lernen im Informationszeitalter alles zu beachten ist, ist gut erforscht (Beck, 1998). Den Lehrerinnen und Lehrern, die die Forderung im Schulalltag umsetzen müssen, werden umfangreiche Erkenntnisse und Empfehlungen an die Hand gegeben: Über Medieneinsatz und Medienkompetenz, pluralisierte Lernformen und veränderte Lehrerrollen, über multimediales Lernen im virtuellen (oder war es das elektronische?) Klassenzimmer. Die Lehrerinnen und Lehrer sind die Motoren des (Lern-)Fortschritts auch im vielzitierten Informationszeitalter. Sind sie es nicht, so stockt dieser Fortschritt. Dafür kann es verschiedene Gründe geben.
Einer dieser Gründe können bei Lehrerinnen und Lehrern vorhandenen soziale Stereotype über Internet-Nutzer sein. Solche sozialen Stereotype wurden in einer repräsentativen Studie mit Lehrerinnen und Lehrern weiterführendender Schulen untersucht. Motoren des LernfortschrittsStereotypen sind Überzeugungen über Eigenschaften und Verhalten einer sozialen Gruppe. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass ein wertfreies Merkmal (z.B. "nutzt das Internet") stabil mit einem wertbehafteten Merkmal (z.B. "ist egoistisch") verknüpft wird. Sozial werden diese Stereotypen dadurch, dass sie von den Mitgliedern einer Gruppe geteilt werden.
Dieses Teilen der Einschätzung ist dabei nicht zufällig, sondern bezeichnend für ein gemeinsames Wertesystem: Haben 'wir Internet-Skeptiker' eine Meinung über 'die Internet-Nutzer', so besteht die Möglichkeit, dass durch Internet-Nutzung oder Nicht-Nutzung soziale Gruppen geschaffen werden, deren Mitgliedschaft für das Individuum mit Wert und emotionaler Bedeutung besetzt ist. Durch das Medium Internet würden also neue soziale Gruppen geschaffen, die identitätsrelevant sind, also einen Teil des Selbstkonzepts einer Person ausmachen. Die Zuschreibung negativer Eigenschaften auf Internet-Nutzer wäre dann ein Hinweis darauf, dass die Person ihr Selbstwertgefühl und ihr Wertesystem aufrechterhalten und schützen möchte...
( merz 2002/05, S. 315 - 3 19 )
Erwin Schaar: Magie oder Reflexion der Bilder?
Wer eine Präsentation von unzähligen Filmen im Jahr 2002 unter dem Motto "The Magic of Movies" verkauft, dem ist eher daran gelegen, einen Event zu gestalten, denn die Reflexion über Bilder, Inszenierung, Ästhetik des zeitgenössischen Films anzuregen. Obwohl, das muss gerechterweise gesagt werden, als randständiges Feigenblatt beim 20.Filmfest München auch ein Symposium " Tatort Bild" angeboten oder in der Sparte "VideoArt & Experimental Film" über die Magie der Bilder diskutiert wurde.Natürlich liegt es beim Zuseher, welche Auswahl er trifft, aber ein Publikumsfestival, als das sich das Münchner Filmfest bezeichnet, möchte kino doch mehr als zeitvertreibende Unterhaltung verstanden wissen denn als Auseinandersetzung mit einer inflationären Bilderwelt.
Clark Gable und Vivian Leigh auf dem Festivalplakat lassen eher die historische Sicht auf die Bilder ahnen als eine intelektuelle Begegnung mit einer Regisseurgeneration, der die Bilderflut Überlegungen abverlangt, welche Erzählform für welche Geschichte geeignet ist. Aber schliesslich muss ein Produkt wie es derSpielfilm ist vor allem verkauft werden und damit ist die Kommerziellste aller Künste auch wieder vor zu viel reflexiver Betrachtung geschützt, die eben dann doch wieder an die akademien verwiesen wird. Das Manko von Filmfestivals dürfte sein, dass diese Veranstaltungen mit ihrem Ende abgehakt sind, die Spuren sich im Sand verlaufen. Das Profil der dieses Jahr rund150 angebotene Titel wird zwar durch Reihen wie "World Cinema" oder "American Independents" gestaltet, aber trotzdem wird dies nicht über die örtlichen Grenzen hinausweisen.
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor:
Erwin Schaar
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Michael Bloech: Freundschaften wider Willen
„Ice Age“ ist im nicht mehr ganz so jungen Kinojahr 2002 einer der bisher kommerziell erfolgreichsten Filme in Deutschland. Lag es an der peppigen Trailer-Werbung, die raffinierterweise vor Blockbustern wie „Herr der Ringe“ geschaltet wurde? Der zweite Marketing Schachzug war die Idee, dabei keinen inhaltsleeren Trailer mit Versatzstücken der besten Szenen des Film anzubieten, sondern einen witzigen Kurzfilm, einen Teaser, zu präsentieren, mit einer in sich abgeschlossenen Handlung. Der dritte, raffinierte Trick war die Veröffentlichung dieses Kurzfilms im Internet, der ein häufiges Downloaden nach sich zog. Erstaunlich ist dabei, dass der Held dieses Kurzfilms - eine überaus hektisch agierende Kreuzung aus Eichhörnchen und Ratte - in dem Film lediglich als ‚Running Gag’ eingesetzt wurde. Die Illusion der prähistorischen Welt in „Ice Age“ lehnt sich nicht an Bilder einer realistischen Fernsehdokumentation an, sondern baut optisch eher auf die Tradition des klassischen Zeichentrickfilms. „Oscar“-Preisträger Chris Wedge, Regisseur von „Ice Age“, setzt dabei auf eine Reduzierung der Bildelemente und eine Konzentration auf das Wesentliche. Seine Figuren verkörpern ihre jeweiligen Charaktereigenschaften. So besitzt einer der beiden Protagonisten, das Mammut Manfred, ein aufwändig animiertes Fell, das durch seine bulligen Körperbewegungen und das jeweilig einfallende Licht zum Streicheln verführen soll. Die Bildhintergründe sind dreidimensional gestaltet und bestechen durch eine perfekt durchkomponierte Lichtdramaturgie. Die extremen Hell-Dunkel-Kontraste dürften dabei einer Zweitauswertung auf Video oder DVD nicht gerade förderlich sein.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass hier eindeutig auf eine Kinoprojektion gesetzt wurde und keinerlei Kompromisse bei der Bildgestaltung eingegangen wurden. Ganz ähnliche Wege beschreiten - mit einer Verbeugung vor dem klassischen Zeichentrickfilm - Dreamworks und Produzent Jeffrey Katzenberg mit dem neusten Filmprojekt “Spirit – der wilde Mustang“. Werbewirksam bewegt sich „Spirit“ dabei im Fahrwasser des ebenfalls bei Dreamworks produzierten Oscarpreisträgers „Shrek“. Mutig wird versucht, die oft steril wirkende Computeranimation durch eine Verknüpfung der kalten Rechnerbilder mit Handzeichnungen aufzuweichen. Konkret wird dabei eine opulente computergenerierte, dreidimensional wirkende Hintergrundlandschaft mit seltsam flach wirkenden Handzeichnungen verschmolzen. Die Pferde und Menschen wirken merkwürdig zweidimensional und in ihren Bewegungen hölzern. Positiv gewendet könnte man dies als nostalgischen Effekt würdigen, dennoch passen die zwei Stilelemente, die jeweils die Handlungs- und Hintergrundebene miteinander verflechten, nicht harmonisch zusammen. Ein weiterer ziemlich mutiger Versuch bei „Spirit“ ist, die Filmwirkung permanent durch eine dominante, nahezu aufdringliche Musik zu untermauern. Im englischsprachigen Original ist das noch zu akzeptieren, denn hier verleiht Brian Adams rustikale und durchaus charismatische Rock-Stimme „Spirit“ eine gewisse ‚Power’. Bei der deutschen Synchronfassung misslingt dies vollends.
Zum einen wirken die Texte in ihrer Übersetzung rundweg platt, zum anderen ist Hartmut Engler, der Leadsänger der Rockgruppe PUR, mit seiner hohen Stimme hoffnungslos überfordert, die kernigen Durchhalteparolen des Films überzeugend zu transportieren. Ganz anders dagegen „Ice Age“: auf die bei Kindern meist so verhassten musicalartigen Tanz- und Gesangsszenen wird fast ganz verzichtet. Lediglich in einer Musikszene treten die tölpelhaften Dodo-Vögel auf; ihre mangelnde Intelligenz führte denn auch dazu, dass sie ausgestorben sind; ein feiner, intellektueller Seitenhieb auf Disneyproduktionen, die bekannterweise davon ausgehen, dass sich die Gesangszenen beim Publikum einer gewissen Beliebtheit erfreuen.Doch nicht nur die technische und ästhetische Machart, sondern die Story ist letzlich entscheidend für den Erfolg eines Films. „Ice Age“ erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen dem riesigen störrischen Mammut „Manny“ Manfred und dem trägen, schusseligen Faultier Sid. Während alle Tiere vor der drohenden Eiszeit in die Wärme flüchten, schlägt Manny trotzig die Gegenrichtung ein und trifft auf Sid, der von den anderen Tieren mutwillig vergessen wurde. Sid drängt sich Manny als Begleiter auf, um endlich einen großen starken Beschützer zu haben. D
och das riesige Ungetüm ist von Sids ständigem Gequassel genervt und will den Störenfried so schnell wie möglich los werden. Schließlich stoßen die beiden ungleichen Tiere auf ihrer Reise an einem Flussufer auf ein Neandertalbaby, das von seiner Mutter vor einer Gruppe Säbelzahntiger in Sicherheit gebracht werden sollte. Doch den Sturz in das eiskalte, reißende Wasser überlebte die Mutter nicht, so dass das Kleine allein auf sich gestellt den Gewalten der Natur ausgesetzt ist. Am Fluss nimmt aber auch der Säbelzahntiger Diego, der seinem Rudelführer Soto das Menschkind als Beute versprochen hat, dessen Witterung auf. Auf heimtückische Art überzeugt Diego das ungleiche Duo, dass er der ideale Fährtensucher sei, um das kleine Findelkind zurück zu dem neuen Lager der Menschen zu bringen. So ziehen die vier los, in eine Welt voller Abenteuer. Ganz nebenbei erfahren Kinder viel Wissenswertes über die katastrophalen Auswirkungen von gravierenden Störungen im Ökosystem Erde, die wie hier zu Klimaveränderungen führen.Einer der Höhepunkte des Films ist die Szene um Verrat und Läuterung, in der Diego erkennt, dass er sich zu entscheiden hat: entweder er führt seine neuen Gefährten ins Verderben oder aber er ändert seine Einstellung. Die gesamte Geschichte wird sehr warmherzig und emotional erzählt. Vergleichbar anderen Großproduktionen schlittert auch „Ice Age“ hier am schmalen Grat des Kitsches entlang.
Dennoch sind es genau die Themen des Films, die Kinder in ihrer Realität, ihrem Alltag bewegen: „Wer ist mein Freund, kann ich ihm vertrauen?“. Manny und Sid funktionieren dabei als ideale Projektionsflächen, sie haben Ecken und Kanten, sie sind nicht die perfekten Helden und bleiben dadurch sympathisch. Und auch Diego ist so angelegt, dass er eben nicht einfach nur der Böse ist, sondern sich durch Gruppendruck in seine negative Rolle drängen lässt. Dass sich die Geschichte zum Schluss ins Positive wendet, ist zwar absolut vorhersehbar, dennoch ist auch gerade diese Wendung für Kinder notwendig, denn wenn man sich nicht mehr auf seine Freunde verlassen kann, ihnen nicht trauen kann, wem dann? Aus der Erwachsenenperspektive lässt sich dies natürlich gar trefflich kritisieren, da komplexe „zwischenmenschliche“ Beziehungsstrukturen auf einfache Muster reduziert werden. Auch „Spirit“ bewegt sich am Rande des Kitsches. Schon die Zutaten der Filmstory deuten zumindest auf diese Gefahr hin. Ein stolzes Pferd, ein verständnisvoller, naturverbundener Indianer, eine liebevolle Stute, böse Soldaten und der Bau der Eisenbahn durch die unberührte Wildnis Amerikas, all dies sind Zutaten für die bewegenden Legenden und Mythen des wilden Westens. Erzählt wird die heldenhafte Geschichte des Mustangs Spirit, der im wilden Westen in die Gefangenschaft von weißen Soldaten gerät und sich dabei allen Zähmungsversuchen widersetzt.
Sein Antagonist ist ein Kavallerie Colonel, der mit aller Brutalität und Härte den Willen des Mustangs brechen will. Zusammen mit dem gefangengenommenen Indianer Little Creek gelingt ihnen schließlich die Flucht aus dem Fort. Im Indianerdorf angekommen versucht Little Creek, den stolzen Mustang zu zähmen - diesmal mit Liebe und einigen Tricks. Und dann ist da natürlich noch diese atemberaubende Stute Rain, die Spirit ein wenig aus dem Tritt bringt und in die er sich im Laufe der Geschichte unsterblich verlieben wird. Als das Indianerdorf schließlich von den Soldaten überfallen wird, nimmt der Film rasant Fahrt auf, denn der Mustang muss auf überaus dramatische Weise flüchten. Es folgen packende Situationen, bei denen „Spirit“ erkennt, dass es neben Freiheit und Unabhängigkeit auch Liebe, Freundschaft und Verantwortung gibt. In der Schlüsselszene des Films entscheidet sich Spirit seinen Freund Little Creek aufsitzen zu lassen, um so sein Leben zu retten. Dieses Plädoyer für Heldentum und der permanente unterschwellige Patriotismus wären dabei vielleicht ein wenig erträglicher, wenn wenigstens im Ansatz versucht worden wäre, diese Aussagen ironisch zu brechen. Zwar ist Spirit stellenweise amüsant, aber nur in kleinen winzigen Nebenhandlungen, z.B. dann, wenn der wilde Mustang in einer Koppel mit Gewalt gebändigt und gezähmt werden soll und sich trickreich dagegen wehrt. Dennoch und das ist wohl der eigentliche Mangel des Films, er glänzt nie durch selbstironische Momente.
So gesehen ist „Spirit“ ein etwas antiquierter Actionfilm, bei dem niemals über den Helden geschmunzelt werden darf. Ein raffinierteres Erzählmuster hätte dem Film durchaus gut getan, denn gegen sein Plädoyer für Freundschaft und Freiheit und gegen Unterdrückung ist nichts einzuwenden, aber in dieser pathetisch vorgetragenen Weise für Kinder letztlich unglaubwürdig.„Ice Age“ wirkt dagegen sehr viel moderner, zwar gibt es auch hier „knallharte“ Action, aber immer wieder findet sich dieser feine, hintersinnige Humor und ein Schuss Ironie. Beispielsweise dann, wenn die berühmte Bergwerkszene aus Steven Spielbergs „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ als Rutsch durch den Eisberg persifliert wird. Das Tempo des Films ist ansonsten nicht so dynamisch wie vielleicht erwartet. „Ice Age“ spielt eher mit Tempowechseln, auf langsame, nachdenklich machenden Stimmungen folgen lustige oder tempogeladene Actionszenen. Der Wortwitz zielt nicht auf ein erwachsenes Publikum, sondern ist im Umfeld präziser warmherziger Sprachkomik angesiedelt, die auch schon von älteren Kindern verstanden wird. Für intellektuelle Erwachsene mag das vielleicht zu wenig sein, aber hier ist „Ice Age“ ganz entschieden ein Film für Kinder.
Ice Age
Regie: Chris Wedge – Buch: Michael Berg, Michael J. Wilson und Peter Ackerman – Prdduction Design – Brian McEntee – Schnitt: John Carnochan – Musik: David Newman - Deutsche Stimmen: Arne Elsholtz, Otto Waalkes, Thomas Fritsch, Christian Brückner – Produktion: USA (Twentieth Century Fox) 2002 – Länge: 83 Minuten – FSK: ohne Altersbeschränkung – Prädikat: besonders wertvoll
Spirit – der wilde Mustang
Regie: Kelly Asbury & Lorna Cook – Buch: John Fusco – ProduzentInnen: Mireille Soria & Jeffrey Katzenberg - Musik: Hans Zimmer- Songs: Bryan Adams – Deutsche Stimmen: Steffen Wink, Gerrit Schmidt-Foß, Jürgen Heinrich – Produktion: USA (Dreamworks) 2002 – Länge 90 Minuten – FSK: ohne Altersbeschränkung
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor:
Michael Bloech
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Nadine Kloos: Prix Jeunesse International 2002
Aus Tansania und Brasilien, aus Russland und Finnland waren sie gekommen: vom 5. bis zum 11. Juni trafen sich Fernsehredakteure aus allen Ecken der Welt zum international bedeutendsten Festival für Kinderfernsehen. Einen besonderen Anlass gab es noch dazu, denn der Prix Jeunesse feierte in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. 1964 vom Bundesland Bayern, dem Bayerischen Rundfunk und der Stadt München ins Leben gerufen, werden seither jedes zweite Jahr international herausragende Kinder- und Jugendsendungen prämiert. Ganze 229 Sendungen, so viel wie nie zuvor, hatten Fernsehorganisationen aus 58 Ländern in diesem Jahr zum Münchener Wettbewerb geschickt. Einreichen kann ein Sender mehrere Beiträge, die insgesamt aber nur ein Maximum von bis zu 80 Minuten erreichen dürfen. Eine Vorauswahljury hatte die Qual der Wahl und aus dieser Fülle 89 Finalisten für die Endausscheidung nominiert. 12 Preise wurden an die Beiträge, in diesem Jahr von einer sehr guten Durchschnittsqualität, der teilnehmenden 86 Produzenten verliehen. Wie schon bei früheren Festivals auch kamen viele der Beiträge aus Skandinavien und den Beneluxländern, zum ersten Mal jedoch fanden sich deutlich mehr asiatische Produktionen in der Endrunde wieder als in den Jahren zuvor. Fernsehen für die KleinstenDie in der Kategorie Fiktion für Kinder bis sechs Jahren ausgezeichnete niederländische Sendung „Puppety“ erzählt mit geringem Aufwand und wenig Requisiten fantasievoll die Geschichten eines kleinen Mannes, einer Puppe eben, die von vier (menschlichen) Händen bewegt, die aberwitzigsten Abenteuer erlebt. Finalisten in dieser Kategorie waren allen voran öffentlich-rechtliche Produktionen aus Deutschland, die mit dem Film „Anders artig“ und der Zeichentrickserie „Petterson und Findus“ (beides ZDF-Produktionen) auf dem zweiten bzw. vierten Rang landeten.
Der Preis für die beste Sendung aus der nicht-fiktionalen Vorschulkategorie, die in diesem Jahr eher enttäuschte, ging wohlverdient an einen Filmbeitrag aus der „Sendung mit der Maus“ (WDR). „Können Schweine schwimmen?“ fragt sich Maus-Moderator Ralph Caspers und lässt in gewohnt witziger und unkonventioneller Manier nichts unversucht um das Rätsel zu lüften (Und für alle, die es noch nicht wussten: Schweine können tatsächlich schwimmen!). Aber dem nicht genug, der Maus wurde noch eine zweite Auszeichnung zuteil: den zum zweiten Mal ausgelobten „Web-Prize“ durfte die Redaktion für den Internet-Auftritt mit nach Hause nehmen. Bei der Entscheidung sollte u.a. ausschlaggebend sein, dass die Inhalte der Seiten den Bedürfnissen und Fähigkeiten der jeweiligen Zielgruppe angemessen sein sollten, dass das Design die Kinder anspricht und sie zum Erkunden und Ausprobieren anregt.Mit dem BMW-Spezialpreis für Low-Budget-Produktionen wurde ein weiterer Film für die Kleinsten ausgezeichnet. In dem Beitrag des mongolischen Fernsehens „Going for water“ wird eine Situation aus dem Alltag der kleinen Marla erzählt. In ihrer Familie ist sie zuständig für das Wasserholen am Brunnen, aber aus Angst vor einem Hund passiert ihr ein Missgeschick: der Wassereimer kippt um. Der beschwerliche Weg zum Brunnen beginnt für das Mädchen noch einmal von vorn.Auffallend an diesen drei ausgezeichneten Produktionen für Vorschulkinder ist, dass die Beiträge, im Vergleich zu anderen aus den Vorjahren, auf allzu aufdringliche Botschaften verzichten und pädagogisch nicht überladen sind.Interessantes für die MittlerenAls bester Film des gesamten Wettbewerbs und Gewinner in der Kategorie der fiktionalen Sendungen für die Sechs- bis 11-Jährigen ging eine Episode aus der ZDF-Reihe „Achterbahn“ hervor. Die 10-jährige Debbie möchte unbedingt an der Sendung „Die Spezialistenshow“ teilnehmen, denn wenn sie die enorme Gewinnsumme abkassieren könnte, wären die Geldsorgen ihrer Eltern im Nu verschwunden.
Die Sache hat allerdings einen Haken: das Zahlengenie ist noch zu jung, um an der Show teilzunehmen. Gemeinsam mit ihrer Schwester heckt Debbie allerdings einen Plan aus, wie sie doch noch an das große Geld kommen können.Gerade diese Kategorie wartete mit den meisten Beiträgen auf und wieder einmal hatten es die Festival-Teilnehmer schwer, unter so unterschiedlichen Formen wie Zeichentrickfilmen, Serien, Kurzfilmen oder gar Märchen ihren Favoriten zu finden. So unterschiedlich waren Produktionen von Inhalt und Genre her betrachtet, dass, so stellte eine amerikanische Teilnehmerin in einer Diskussionsrunde treffend fest, es ja fast so sei „als ob man Äpfel mit Schirmen“ vergleichen würde.An einen iranischen Kurzfilm aus dieser Kategorie ging auch der UNESCO-Spezialpreis. „Ponds of Mirror“ erzählt ohne Worte und in schlicht und einfach gehaltenen Bildern die Geschichte eines Jungen, der, als er ein Goldfischglas fallen lässt, regelrecht in die Bredouille gerät. Im Haus gibt es mal wieder kein Wasser und so bleibt dem verzweifelten Jungen nicht viel Zeit, den Fisch ins rettende Nass zu bringen.In der gleichen Altersklasse gewann die dänische Dokumentation „Der andere Weg“, die behutsam und feinfühlig von dem Jungen Nicki berichtet. Der möchte seine kriminelle Laufbahn hinter sich lassen und hat sich als Schauspieler für einen Film beworben. Hoffnungsvoll und gespannt wartet er jetzt, ob er die Rolle bekommt. Mal was anderes für die GrößtenFür die Altersklasse der 11- bis 15-Jährigen gewannen zwei niederländische Produktionen, die, zwar in alter Verpackung, mit einigen Tabus brechen.
Eine Episode aus der Reihe „Geheime Gedanken“, die Kinder mit ihren intimsten Gedanken, Träumen oder auch Problemen zu Wort kommen lässt, erhielt den Preis im Bereich der fiktionalen Beiträge. Die in München gezeigte Folge berichtet in einer den Niederländern eigenen, witzigen und äußerst unverkrampften Weise über die sexuellen Phantasien eines Jungen, der von einer Krankenschwester untersucht wird. Er kann der hübschen Frau in den Ausschnitt schauen und von da an gehen ihm ihre Brüste nicht mehr aus dem Kopf. Als die Schwester Elektroden an seinem Kopf befestigt, wird der Junge schließlich panisch, denn er fragt sich, ob die Krankenschwester jetzt wohl seinen Gedanken auf die Schliche kommt.Obwohl einer der am kontroversesten diskutierten Filme des Festivals, haben die Prix-Jeunesse-Teilnehmer die Dokumentation „Der Tag, an dem ich mich entschloss, Nina zu sein“ mit einem Preis ausgezeichnet. Im Mittelpunkt steht der 11-jährige Guido, der sich in Mädchenkleidern eigentlich schon immer viel wohler fühlte und viel lieber ein Mädchen wäre. Die Kamera begleitet Guido bis zu dem Tag, an dem er zum ersten Mal als Mädchen eine Party besucht.Der UNICEF-Spezialpreis wurde in dieser Kategorie an die philippinische Produktion „People Power II – Ruled by Kids!“ verliehen. Auf die Spuren der friedlichen Revolution in ihrem Land begeben sich drei jugendliche Reporter in diesem Beitrag und bringen allerhand über dieses Ereignis, über die Menschen und ihre Kultur in Erfahrung.
Eher enttäuschend als unterhaltend – Die Kategorie „Entertainment“Die Kategorie „Light Entertainment“ gab allerdings Anlass zur Enttäuschung. Eingeführt beim letzten Prix-Jeunesse war der Sinn dieser Rubrik nicht wirklich auszumachen. Die für die Endrunde nominierten Beiträge waren dergestalt unterschiedlich und oftmals aus dem Gesamtzusammenhang der Sendung gerissen, dass der Eindruck entstand die Beiträge seien wohl hier gelandet, weil man sie in den anderen Kategorien nicht unterbringen konnte. Das zeigte sich auch an der Bewertung durch die stimmberechtigten Teilnehmer des Festivals: Die für diesen Bereich ausgezeichnete Quizshow „Challenge! Ring the golden Bell“, ein Spektakel bei dem ein Team von 100 Schülerinnen und Schülern Fragen aus den verschiedensten Themengebieten beantworten muss, lag mit der erreichten Punktzahl weit hinter den Siegern der anderen Kategorien zurück. Interessanterweise gab es gerade in dieser Rubrik auffallende kulturelle Unterschiede, denn wie sich in den Diskussionsrunden zeigte, waren hier die Meinungen darüber, was „unterhaltend“ und „zum Lachen“ sei, mannigfach und verschieden. Was sagen die KinderNicht weniger interessant ist, als Gegenpart zu den Fachleuten, die aus nicht minder berufenem Munde stammende Wahl der Kinderjury. Die jungen Experten hatten allerdings ganz andere Favoriten als die erwachsenen Experten. „Lust auf mehr“, so die Kinder, mache die schwedische Serie „Die Kinder von Luna“, in deren Mittelpunkt vier verwaiste Geschwister stehen. Mit Mut, Zusammenhalt und Einfallsreichtum versuchen die Mädchen und Jungen mit ihrer neuen Lebenssituation umzugehen. Begeistert war der Fernsehnachwuchs auch von der englischen Sendung „Finger Tips“, die Kindern vom Basteln übers Backen kreative Anregungen zum Nachmachen bietet. Beide Produktionen hatten in der Alterklasse der Sechs- bis 11-Jährigen lediglich den zweiten bzw. fünften Platz bei den Erwachsenen belegt.
Eva-Maria Rüdiger: Kinderfernsehen mit dem "beeb"
Zwei große Trends bestimmen in zunehmendem Maße das Kinderfernsehen: Die Internationalisierung und die sparten- und zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung durch spezielle Kinderkanäle. An den neuen digitalen Kindersendern der BBC lassen sich diese und andere Trends – auch im Vergleich mit dem deutschen Kinderfernsehen – beispielhaft aufzeigen .Was waren das für Zeiten, als Kinder ihre ersten Lesefähigkeiten intensiv an der Programmzeitschrift üben mussten, um zu erfahren, wann ihre liebsten Fernsehhelden zu sehen sein würden! Das, was für die jetzige Elterngeneration noch klaglose Selbstverständlichkeit war, ist für ihre Kinder heute der Schnee auf den Bildschirmen von gestern. Auf zahlreichen Kanälen finden sie jederzeit eine Vielzahl von Angeboten, die es ihnen ermöglicht, ihre Lieblingsfiguren täglich zur selben Zeit am angestammten Ort – sprich Programm – zu treffen. Und das sogar rund um den Globus: Große Sendernetzwerke, internationale Kooperationen und der allgegenwärtige Budgetdruck sorgen dafür, dass erfolgreiche Programme weltweit gehandelt werden und somit gleichzeitig den Kindern in Deutschland, Frankreich, Amerika und Australien zur Verfügung stehen. Kinderfernsehen muss deshalb immer stärker im Kontext zweier Trends gesehen werden, und zwar einerseits der Internationalisierung und andererseits der Ausdifferenzierung im Rahmen von Sparten- und Zielgruppenkanälen. Diese sorgen ihrerseits für einen immer größeren Bedarf an Programmen, der wiederum international gedeckt wird. Deshalb lohnt der vergleichende Blick über die Grenzen, der hier beispielhaft für das Kinderfernsehen in Deutschland und Großbritannien geleistet werden soll
. Vorreiter bei der Gründung der zielgruppenorientierten Kinderkanäle waren vor allem die kommerziellen Anbieter, insbesondere die großen „global player“ Disney / Fox, Nickelodeon und Cartoon Network, die erstmals das Interesse sowohl der jungen Zuschauer als auch der Werbekundschaft auf die Möglichkeiten der speziell auf die Bedürfnisse definierter Altersgruppen zugeschnittenen Angebote lenkten. Diese Kinderkanäle sind in zahlreichen Ländern, jedoch in der Regel nur als (digitales) Pay-TV zu empfangen. In den letzten Jahren zogen dann die nationalen Sender allmählich mit entsprechenden eigenen Angeboten nach, und zurzeit ist geradezu ein Boom an entsprechenden Ausgründungen und Umstrukturierungen zu verzeichnen: In Deutschland hat der KI.KA gerade seinen fünften Geburtstag gefeiert und nimmt als bislang einziger frei empfangbarer (und noch dazu werbefreier) Kinderkanal zurzeit noch eine Sonderstellung ein – die private Konkurrenz bietet z.T. zwar überwiegend, aber eben nicht ausschließlich speziell für Kinder produzierte Programme an. Ab 2003 nun „darf der KI.KA abends länger aufbleiben“, wie die clevere Jubiläums-Werbebotschaft aus Erfurt lautete: Nach der erfolgreichen Etablierung des Senders, aber auch angesichts der privaten Konkurrenz nach dem „Sandmännchen“, weitet der Sender sein Programmangebot nun auch auf die Abendschiene aus – ein logischer Schritt, trotz der vorhersehbar zunehmenden Konflikte um die Vorherrschaft an der Fernbedienung in Haushalten mit nur einem Fernsehgerät…
Dagegen will RTL II ab 2004 mit einem speziellen „Manga“-Sender punkten, der ausschließlich japanische bzw. asiatische Animationen wie „Pokémon“ und „Dragonball“ senden wird, sich dabei aber auch an junge Erwachsene richten soll .In Großbritannien hat sich vor einer Weile auch die altehrwürdige BBC zur Ausgründung spezieller Angebote entschlossen, um den zurzeit existierenden 14 kommerziellen reinen Kindersendern – die zumeist von den o.g. Networks getragen werden - die Stirn zu bieten. Während anfangs wie in Deutschland lediglich ein Sender für Kinder aller Altersgruppen geplant war, wurde schließlich eine Ausdifferenzierung nach dem Alter der Zielgruppe als notwendig erachtet . So gingen im Frühjahr 2002 neben mehreren digitalen Sender-Neustarts bzw. –Umstrukturierungen gleich zwei digitale BBC-Kinderkanäle „on air“, die ihre Zuschauerschaft nahtlos aneinander weiterreichen können: Während CBeebies Kinder im Vorschulalter, also bis 6 Jahre, bedient, richtet sich CBBC an die 6- bis 13-Jährigen. CITV, die Kinderabteilung des Privatsendersystems ITV, plante einen ähnlichen Schritt zur Verstärkung seiner Aktivitäten im Kinderprogrammbereich als Teil eines neuen, genrebasierten Netzwerks, doch wurden diese Pläne aufgrund von Budgetkürzungen nach einem drastischen Rückgang der Werbeeinnahmen zunächst zurückgestellt. Dies wurde von zahlreichen Akteuren der britischen Kinderfernsehszene - darunter „Teletubbies“-Erfinderin Anne Wood und BBC-Kinderprogrammchef Nigel Pickard - öffentlich bedauert, da der Wettbewerb mit der ITC als privater, aber ebenfalls qualitätsbewusster und von außen regulierter Konkurrenz zur BBC eine der wichtigsten treibenden Marktkräfte sei.
Dafür könnte demnächst im Pay-TV-Bereich ein neues Angebot für Vorschulkinder zu sehen sein: Disney plant für 2003 eine Ausgliederung und Erweiterung seines in die bisherigen Network-Sender integrierten Vorschulprogrammangebots „Disney Playhouse“ im Rahmen eines eigenen, zielgruppenorientierten Vorschulsenders .Doch zurück zu den aktuellen Neustarts der BBC, die dem leicht angestaubten Image des Mutterhauses bei den britischen Zuschauern aufhelfen sollen. Bei CBBC und CBeebies finden sich zahlreiche Parallelen zum deutschen KI.KA: Die neuen Sender sind gebührenfinanziert, werbefrei, den öffentlich-rechtlichen Qualitätsansprüchen ihres Mutterhauses verpflichtet und teilen sich ab 19 Uhr den Kanal mit einem Programm für Erwachsene, Ceebies z.B. mit dem Kulturkanal BBC 4. Zumeist verfügen sie über das Erstausstrahlungsrecht für neue Programme, die im Rahmen der Senderfamilie produziert oder angekauft wurden, und reichen einen Teil der bei ihnen ausgestrahlten Produktionen in die Kinderprogrammschienen der Vollprogramme BBC 1 und BBC 2 weiter. Ein Großteil des Programms wird jedoch, ebenfalls wie beim KI.KA, mit Wiederholungen der öffentlich-rechtlichen Kinderprogramm-Klassiker bestritten, die nun in neuem Rahmen von jungen, unverbrauchten Moderatoren präsentiert werden.
Die Präsentation fällt allerdings gemäß den Vorlieben der jeweiligen Zielgruppen unterschiedlich aus: CBBC darf sich bunter, frecher und flotter präsentieren als CBeebies, das in pastelligerem und weniger hektischem Gewand daherkommt und hauptsächlich animierte Puppencharaktere mit realen Moderatoren kombiniert. Inhaltlich betont CBeebies nach eigenen Angaben das spielerische Lernen durch Unterhaltung, während CBBC den bereits gewohnten Mix aus Fiktion, Nachrichten, Unterhaltung, Mitmachtipps, Allgemeinwissen und Cartoons aus dem bisherigen Kinderprogrammangebot der BBC übernehmen und ausbauen soll. Gegenüber dem expliziten Bildungsauftrag der BBC geht die Kinderabteilung jedoch vorsichtig auf Distanz – ihr Ziel scheint weniger „education“ als vielmehr „edutainment“ zu sein .Zwar verlief der Start der beiden Sender recht schleppend, doch gibt sich die BBC zuversichtlich: Nach den Plänen der Verantwortlichen sollen die beiden Sender bis zum Jahresende gemeinsam die Marktführerschaft bei den britischen Kinderkanälen übernehmen und innerhalb von fünf Jahren die größten Unterhaltungsmarken unter ihrem Dach vereinen.
Der digitale Zugang zu den beiden Programmen ist zwar teilweise umstritten (die gebührenfinanzierten Programme sind ohne zusätzliche Monatsbeiträge o.ä. empfangbar, doch müssen die Zuschauer ihr Gerät technisch aufrüsten oder Kunden bei Kabel- oder Satellitendiensten werden, was einmalige bzw. regelmäßige Extrakosten verursacht), doch bringt er zusätzliche Möglichkeiten mit sich, von denen die Interaktivität sicherlich die interessanteste ist: Bei CBBC bietet z.B. die Show „Xchange“ die Möglichkeit, über die Zugangstechnik zum digitalen Programm (sogenannte set-top-Boxen oder alternativ Satellitenanlagen), per e-mail oder auch verstärkt über SMS mit ihrem Programm zu interagieren. Damit liegt die BBC voll im Trend: Alle britischen Kinderprogrammanbieter scheinen etwa zur gleichen Zeit die Vorliebe der Jugendlichen für die Kommunikation per SMS entdeckt zu haben und integrieren allmählich entsprechende Kommunikationsmöglichkeiten in ihre Formate – zur Freude der Zuschauer, die sich auf Anhieb stark beteiligt haben, aber auch zum Unbehagen all derer, die Bedenken wegen der Kosten oder der Strahlenbelastung durch allzu häufigen Gebrauch des Handys hegen . Doch selbst CBeebies will nicht hinter dem Schwestersender zurückstehen und bietet seiner älteren Zielgruppe ebenfalls Interaktionsmöglichkeiten via SMS oder e-mail an, während die Angebote für die Jüngsten über die Fernbedienung auszuführen sind.
Letztere nutzen die beliebtesten Figuren des Programms und beziehen teilweise auch die Eltern mit ein, z.B. zum Vorlesen von Geschichten, über deren Fortgang der Nachwuchs dann per Knopfdruck entscheiden kann – ein pfiffiger Schritt, da ein solches Angebot bei weniger technologiefreundlichen Eltern sicherlich zunächst mit Stirnrunzeln aufgenommen wird… A propos Stirnrunzeln: Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass ein so plötzliches Wachstum des Kinderprogrammangebots gegenüber einem Teil der Eltern und Pädagogen der Rechtfertigung bedarf: Auf die Frage, ob denn Kinder dadurch noch zu zusätzlichem Fernsehkonsum ermuntert werden sollen (über die drei Stunden hinaus, die britische Kinder täglich im Schnitt vor dem Fernseher verbringen ) , finden CBBC und CBeebies eine ähnliche Antwort wie der deutsche KI.KA, die in Kürze lautet: Kinder schauen sowieso fern, wenn ihnen der Sinn danach steht, da der von Eltern strikt reglementierte Fernsehkonsum eher selbstbestimmten Sehgewohnheiten gewichen ist. Also sollten sie zumindest auf ein qualitativ hochwertiges Programmangebot zurückgreifen können. Die BBC bemüht sogar den Begriff des „neuen Goldenen Zeitalters“ im Kinderfernsehen .Doch lässt sich die Fragestellung auch durchaus mit Blick auf die Gesamtheit der Zielgruppen- und Spartenkanäle inklusive der kommerziellen Anbieter erweitern: Welche Vorteile bringt die permanente Ausdifferenzierung und Erweiterung des Kinderfernsehmarktes, insbesondere durch die Spartenkanäle? Darauf gibt es mehrere Antworten: Da ist zum einen die Ausweitung der Programmflächen, die Kindern mehr Auswahl bietet.
Während in Großbritannien die täglichen Kinderprogrammflächen der BBC durch die beiden neuen Sender sprunghaft von 5 Stunden in 2 Sendern auf 30 Stunden in 4 Sendern angewachsen sind , ist in Deutschland eine etwas gegenläufige Tendenz zu erkennen: Zwar bietet der KI.KA auch hier tagtäglich eine breite Programmschiene ausschließlich fürs Kinderprogramm, doch ist festzustellen, dass dafür die Kinderprogrammstrecken in den Vollprogrammen bereits seit Jahren allmählich rückläufig sind; es findet also eine schleichende Umschichtung zwischen den Sendern statt. International wird dies auch von den gleichen Produzenten bestätigt, die die gestiegenen Auswahlmöglichkeiten für Kinder loben: Spätestens, wenn die Reichweite der neuen Dienste einen gewissen Prozentsatz übersteigt (manche gehen von einem Schwellenwert von rund 70 Prozent aus), würden sich sowohl die Kinderfernsehproduzenten als auch die Zuschauer ausschließlich den Kinderkanälen zu- und von den Vollprogrammen abwenden, wird prophezeit . Zum anderen bieten die großzügigen Programmflächen jedoch auch mehr Durchsetzungschancen für viele ungewöhnliche oder „riskantere“ Produktionen, da die Sender über die Möglichkeit verfügen, Produktionen zu verschiedenen Tageszeiten zu erproben, bis sie ihr Zielpublikum gefunden haben. Deshalb können die Kinderkanäle bzw. –networks auch Produktionen ausstrahlen, die von den konventionellen Sendern abgelehnt werden, weil sie nicht in ihre Programmstrukturen zu passen scheinen. Z.B. haben die „Pokémons“, mittlerweile einer der größten kommerziellen Erfolge der letzten Jahre, erst dadurch ihren internationalen Durchbruch geschafft .
Zudem kann das Programmangebot insgesamt ebenfalls wie auch die einzelnen Produktionen besser auf spezifische Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe zugeschnitten werden (zurzeit beginnt z.B. gerade eine weitere Ausdifferenzierung des Vorschulprogrammmarktes in die beiden Altersgruppen der 16-Monatigen bis Dreijährigen und der Drei- bis Siebenjährigen, wenngleich Programme für Kinder unter zwei Jahren noch eher sporadisch zu finden sind ). Und nicht zuletzt haben die beiden Sender mit dem „beeb“ (dem Spitznamen der BBC) im Namen die Kinderprogrammabteilung des Senders nach Jahren der Vernachlässigung wieder erstarken lassen: Mit verdoppeltem Budget und rund 90 neuen Mitarbeitern sollen rund 1000 zusätzliche neue Programmstunden produziert werden . Während beispielsweise der deutsche KI.KA sich bei Eigenproduktionen bemüht, nationale Standortförderung zu betreiben, darüber hinaus aber auch ausländische Produktionen ankauft und ausstrahlt, stützt die BBC mit ihrer neu gebündelten Produktions- und Finanzkraft vor allem den inländischen Markt: Aufgrund der starken Regulierung des britischen Fernsehmarktes sind die neuen Sender bereits mit der Maßgabe an den Start gegangen, zu mindestens 90 Prozent (CBeebies) bzw. 70 Prozent (CBBC) britische (oder zumindest europäische) Produktionen auszustrahlen, wobei auch ein recht hoher Anteil von Neuproduktionen festgelegt wurde .
So ging Cbeebies im Frühjahr tatsächlich mit einem rein nationalen Programm ohne jegliche amerikanische Animation an den Start . Im Gegensatz zur Strategie der internationalen Networks, die mehr auf hauseigene Produzenten setzen, bieten die neuen Sender damit auch kleineren und unabhängigen Produzenten zusätzliche Chancen . Gleichzeitig leiten sie aber auch einen neuen Trend zur Exklusivität ein: Die großen Networks verkaufen ihre Produktionen nach der Erstausstrahlung häufig an unterschiedliche Anbieter weiter, um eine möglichst breite Merchandising-Plattform zu erzielen; d.h. über die Monate bzw. Jahre kann die gleiche Serie auf unterschiedlichen Sendern zu sehen sein. Demgegenüber will die BBC alle Rechte an ihren Produktionen behalten, so dass mittelfristig auch ein deutlicheres Programmprofil erkennbar werden wird . Womit ein Stückchen der alten Kinderfernseh-Welt zurückkehrt – dass der Zuschauer an seinen Lieblingsfiguren zuverlässig erkennt, bei welchem Sender er sich gerade befindet…
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
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Eva-Maria Rüdiger
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Heike Babisch: Spannung geboten: CD-ROMs für Kinder
Wer kennt das nicht, man verfolgt gebannt einen Krimi im Fernsehen, versucht selbst die Beweise zusammenzufügen, um den Täter überführen zu können...? Zumindest den kleinen Detektiven kann jetzt geholfen werden. Eine ganze Reihe CD-ROM-Spiele bieten für jeden Geschmack und jedes Können spannende Kriminalfälle. Wer sich mit Detektivspielen noch nicht so gut auskennt, dem sei „Der kleine Vampir 2 – Der verschwundene Sarg“ empfohlen. Der kleine Vampir 2 – Der verschwundene Sarg. Ravensburger Interactive, Ravensburg 2001, Windows 95/ 98, Macintosh, EUR 25,00Toni hilft seinem Freund, dem kleinen Vampir Rüdiger, dessen Sarg wiederzufinden. Tante Dorothee hat den Sarg versteckt und nun ist es Rüdiger peinlich, vor den anderen Vampiren ohne seinen Sarg dazustehen. Der Spieler schlüpft in die Rolle Tonis und folgt den Spuren und Ratschlägen, die ihm Anna und Rüdiger geben. Kommt Toni mal nicht weiter, dann hilft ihm Rüdiger mit kleinen Tipps. Falls man dann immer noch nicht so recht weiß, wie man zu Rüdigers Sarg gelangt, gibt es konkretere Hinweise. Kein Detektiv wird scheitern. Zwischendurch laden eine Reihe kleiner Spiele zum Zeitvertreib ein. Manchmal muss man sich auch einen Weg über den Bach oder vorbei am Wachhund Attila suchen.
Dafür sind Merkfähigkeit und Geschicklichkeit gefragt. Auf Tonis Computer können sich die Spieler in den Ruhepausen schon einmal eine gute Verkleidung für den nächsten Fasching ansehen oder Grußkarten an Freunde schicken. Trotz der einfachen Grafik sind am Friedhof, bei Toni zu Hause, in der Burg oder bei Herrn Geiermeier immer wieder ein paar kleine Überraschungen eingebaut und laden zum Erkunden des Bildschirms ein: klickt man z. B. auf einen Grabstein, dann wird er in Sekundenschnelle mit Efeu überwuchert.Klar, dass Friedhöfe nicht jedermanns Sache sind. Wem sie zu gruselig sind und wer lieber im fernen Orient sein Kamel mit der Tastatur geschickt durch die Wüste lenkt, ist als Assistent von „Kommissar Kugelblitz 3 – Fall Wüstenkönig“ richtig aufgehoben. Kommissar Kugelblitz 3 – Der Fall Wüstenkönig. Terzio, München 2002, Windows 95/98, Macintosh, EUR 26,00Grafisch ist der Kommissar ähnlich wie „Der kleine Vampir 2“ gestaltet, doch wesentlich farbenfroher, da man sich bei strahlendem Sonnenschein am Rande einer Oase bewegt und nicht spät abends zwischen Friedhöfen und Burgkellern recherchiert.
Der Kommissar mit der gelbgetupften Krawatte muss für seinen Freund, den Sultan von Jamei, einen gestohlenen Dolch wiederfinden und den Dieb überführen. Dabei bestimmen die sechs- bis zehnjährigen Spieler selbst das Tempo des Spiels und können in aller Ruhe die verschiedenen Läden, den Garten und den Palast besichtigen. Natürlich hilft der Kommissar seinem Assistenten bei Bedarf auf die Sprünge. Die Schauplätze sind mit vielen Details ausgeschmückt und bieten vom Flaschengeist bis zur Schlange im Korb alle möglichen Entdeckungen an. Freche Spieler können den Kommissar auch mal anklicken: dann grummelt er entweder „stups mich nicht, ich muss mich konzentrieren“ oder „wenn du mich kitzelst, kann ich nicht nachdenken“. Will man zwischendurch eine Pause auf der Suche nach dem Dieb einlegen, dann empfiehlt sich das Café. Dort kann man an Spielautomaten ein „Servierspiel“ spielen, bei dem es auf Geschwindigkeit ankommt oder Teppiche nach Farben und Mustern kombinieren. Um in den Ermittlungen weiter zu kommen, muss man ähnlich dem Spiel „Der kleinen Vampir 2“ seine Fähigkeiten im Erkennen von Formen unter Beweis stellen und eine Kopie von Schriftzeichen anfertigen. Wie „Der kleine Vampir 2“ wird auch der Kommissar durch Mausklick bewegt und das fördert den Umgang sowohl mit der Maus als auch mit der Tastatur. Eigentlich schade, dass man nach dem Spiel die Lösung schon kennt und auf den nächsten Fall von Kommissar Kugelblitz warten muss.Sollte es tatsächlich Detektive geben, denen der Orient noch nicht sonnig und warm genug ist und die selbst ein Schilfboot bauen möchten, so empfiehlt sich eine Reise zu Sethi nach Ägypten. Sethi und das Geheimnis des Pharaos. United Soft Media, München 2002, Windows 95/ 98/2000, Windows ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Die Geschichte von „Sethi und das Geheimnis des Pharaos“ ist ähnlich spannend erzählt wie die der beiden zuvor beschriebenen. Um Ägypten vor einer Heuschreckenplage zu bewahren, muss Sethi die Krone, das Machtsymbol des Pharaos, finden und zu ihm zurückbringen.
Ein Vorteil gegenüber den anderen Spielen ist sicherlich, dass man am Anfang die Option hat, sich das Spiel und die Bewegung der Figur erklären zu lassen. Besonders für Kinder, die noch nicht so viele Erfahrungen im Krimispiel gesammelt haben, ist das eine Erleichterung. Sie müssen sich nicht von den Eltern die Bedienungsanweisung vorlesen lassen. Die komplizierten ägyptischen Namen der Götter, der Königin oder des bösen Priesters fordern von Anfang an die Merkfähigkeit der Sechsjährigen, doch keine Angst, man kann jederzeit mit einem Mausklick zu den Menschen zurückgehen und sie noch einmal befragen, falls man mal nicht ganz so konzentriert zugehört hat. Wunderschön ist, dass der Spieler mit Sethi unstrukturiert Orte besuchen und dort in aller Ruhe Hinweise entdecken kann, die im weiteren Spielverlauf nützlich sind. Am Ende müssen alle Symbole der Macht gefunden sein, doch eine feste Reihenfolge gibt es nicht. Dies ist allerdings die Schwierigkeit des Spiels. Zwischendurch erhält Sethi immer wieder neue Aufträge, die er ebenfalls auszuführen hat, will er dem Pharao auf der Suche helfen. Am Ende verliert vielleicht so mancher kleine Ägypter ein wenig den Überblick über das eigentliche Spielziel. Wie bei „Kommissar Kugelblitz 3“ und bei „Der kleine Vampir 2“ gibt es auch hier viele kleine versteckte Details in den einzelnen Bildern zu erkunden. Fährt man mit der Maus im Dorf über die Frau auf dem Dach, winkt sie und ruft „Hallo“, der Mann lässt die große Vase klirrend zu Boden fallen etc. Weiß man nicht weiter, so kann Sethis kleiner Freund Pepi an vielen Stellen einen guten Rat geben.
Insgesamt wird hier mehr eigenständiges Denken gefordert als bei „Kommissar Kugelblitz 3“ oder bei „Der kleine Vampir 2“, wobei manchmal die komplizierten Namen und am Ende der scheinbar endlose und nicht zu stoppende Abspann stören. Dafür ist das Erfolgserlebnis nach Lösung dieses komplizierten Falls umso größer. Das trifft bei dem Spiel mit der blonden Schönheit Barbie leider nicht zu.Barbie – Geheimagentin Barbie. Vivendi Universal Interactive, Langen 2002, Windows 95/98, Windows ME, EUR 25,60Schade, dass die Macher von „Barbie - Geheimagentin Barbie“ die Chance auf ein anspruchsvolles und spannendes Spiel rund um diese beliebte Puppe nicht genutzt haben. Bei einer Modenschau in New York wird die neue Kollektion von Barbies Freundin Teresa gestohlen. Darunter befindet sich ein Stoff, aus dem ein „Unsichtbarkeitsanzug“ hergestellt werden könnte, der seinen Träger eben unsichtbar macht. Man wird von Beckys nerviger Piepsstimme durch das Spiel gelotst. Der Spieler oder eher die Spielerin, da Jungen vergeblich nach einer Identifikationsperson suchen werden, muss nur den Wegen zur glitzernden Wolke folgen, sich an Wachmännern vorbeischleichen, über Dächer springen, etc. Nach Hinweisen suchen muss man nicht. Barbie findet eigentlich alles alleine. Die Spielerin darf zwischendurch nur ein paar Puzzle-Spiele lösen und das passende Outfit aussuchen. Auch echte Barbie-Liebhaber werden durch das ständige „Welches Outfit soll ich tragen?“ oder „Ich sollte mich umziehen!“ schnell genervt sein. Zwar ist das Spiel schon ab sechs Jahren, doch erfordert es eine recht genaue Handhabung der Tastatur.
Dies wiederum ist nicht einfach, da Barbie sich selbst nur ungenau lenken lässt. Dazu kommt die nötige Ausdauer sich durch ein Spiel zu spielen, dass eigentlich kaum mit neuen Überraschungen aufwartet und dem Spürsinn junger Detektivinnen keine Herausforderung bietet. Aus diesem „Stoff“ hätte mehr gemacht werden können als ein so eintöniges „Rumrennspiel“. „Rumrennen“ darf man dagegen bei den fünf Freunden eher wenig. Fünf Freunde – Geheime Mission M.A.G.–X.. Ravensburger Interactive, Ravensburg 2001, Windows 95/ 98/2000, Windows NT, EUR 25,00 Zwar ist die CD-ROM „Fünf Freunde – Geheime Mission M.A.G.-X“ (ab sieben Jahren) grafisch und inhaltlich eine Wohltat im Vergleich zu „Barbie“, doch auch hier kann leicht Langeweile aufkommen. Selbständiges Agieren ist nicht gefragt. In der Eingangsszene stürzt ein Flugzeug auf der Felseninsel ab. Bei ihrer Erkundung erfahren die fünf Freunde, dass der verletzte Pilot ein Geheimagent ist, dem sein wertvolles Funkgerät abhanden gekommen ist. Nun müssen die fünf Freunde dem verletzten Piloten auf der Suche nach dem Funkgerät helfen. Je nach Situation wählt der Computer aus, ob man sich als George oder Dick durch die Szene spielt. Schade ist, dass in jeder Szene jede Person immer etwas zu sagen hat. Oftmals sind die Kommentare wie „Ich bin schon ganz aufgeregt“ und „Los geht’s zum nächsten Abenteuer“ überflüssig und bringen das Spiel ins Stocken, da man immer warten muss, bis alle ausgesprochen haben. Selbst in spannenden Szenen stehen die fünf Detektive recht passiv und scheinbar unbeteiligt im Bild.
Anne neigt dazu, sich sehr häufig am Fuß zu kratzen, während Dick abwechselnd seine Hände in den Hosentaschen ruhen lässt oder sich am Kinn reibt. Befremdlich wirkt, dass man als Spieler als erster die Gruppe der Freunde verlässt, aber als letzter der Gruppe am neuen Ort des Geschehens ankommt. Da kommt trotz der genialen Grafik nicht richtig Spannung auf.Leider ist auch die Handhabung der Funktionen nicht einheitlich: mal muss man alles Werkzeug aus dem Rucksack nehmen, um es einsetzen zu können und mal kann man das Werkzeug schon im Rucksack benutzen. Der Spieler hat leider keine Möglichkeit, selbst die verschiedenen Orte des Geschehens zu untersuchen und zu erkunden. Sobald man die nähere Umgebung entdecken möchte, wird man von den Freunden zurückgehalten: „Oh nein George, so kommen wir aber nicht zum Strand“ oder „Dick, träum nicht, wir müssen jetzt los“. Die Bewegungsfreiheit und Entdeckerlust werden dadurch natürlich ganz schön eingeschränkt. Für jüngere Spieler hat dies aber den Vorteil, sie wissen, dass sie in der gezeigten Szene noch etwas zu erledigen haben und erst dann dem linearen Spielverlauf weiterfolgen können. Ein großes Plus des Spiels ist die Option, den gesprochenen Text am unteren Bildschirmrand anzuzeigen. Außerdem können durch die Zweisprachigkeit der CD-ROM erste Verständnisfertigkeiten für Englisch geübt werden.
Dem Spiel liegen viele gute Ideen zugrunde, unnötige Ungereimtheiten und die fehlende interaktive Erzählstruktur können einem jedoch leicht die Lust am Knobeln verderben.Ganz anders beim „Meisterdetektivpaket 2“: Hier sind gerade die nicht-lineare Erzählstruktur und die Knobelaufgaben für die Lösung des Falls wichtig. Das Meisterdetektivpaket 2 – Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis/Ein Fall für Mütze & Co – Entführung in Rosenburg. Tivola, Berlin 2001, Windows 3.x/95/98/ME/NT/2000/XP, Macintosh, EUR 20,40 Das Problem, wie ein Spieler mehrere Personen durch das Spiel führen kann ohne dass dabei langwierige Dialoge entstehen, wurde bei „Ein Fall für Mütze & Co – Entführung in Rosenburg“ und „Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis“ am besten gelöst. Bei beiden CD-ROMs kann man sich als Spieler einen der Detektive aussuchen und so z. B. bei „Ein Fall für Mütze & Co“ als Karin mit Hilfe der Maus die Leute befragen. Erhält man nicht die gewünschte Antwort oder ist der Meinung, die befragte Person könnte mehr wissen, dann schickt man einfach noch mal Billy oder Mütze dorthin, in der Hoffnung sie könnten mehr Indizien sammeln. Dadurch scheint sich zwar das Spiel in die Länge zu ziehen, aber man bekommt auch Lust, das Spiel nach Lösung des Falls gleich noch einmal zu spielen und zu testen, ob man nicht das nächste Mal schneller zum Ziel kommt. Bei „Ein Fall für Mütze & Co“ ist der Fall klar: Verbrecher haben Zak, Karins kleinen Hund, gestohlen und nun suchen Karin und ihre Freunde nach Spuren und Indizien, die sie zu den Tätern führen. Die Geschichte rund um „Ein Fall für TKKG“ ist etwas komplexer. Katja, eine Freundin von Tim, Karl, Klößchen und Gaby, ist verschwunden und nun müssen die Detektive scheinbar die ganze Stadt befragen, um Katja wiederzufinden. Doch wer glaubt, der Fall sei dann bereits gelöst, der irrt.
Denn plötzlich fehlt wieder jede Spur von dem Mädchen. Die Grafik ist wie bei den meisten Kinderspielen einfach, aber sehr übersichtlich gestaltet und besonders bei „Ein Fall für Mütze & Co“ gibt es wieder überall Möglichkeiten, Leute anzuklicken, die dann in der Nase bohren, einem die Zunge rausstrecken oder einem unerwartet vielleicht doch einen nützlichen Hinweis geben können. Bei „Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis“ sind diese Möglichkeiten zwar ein wenig reduziert, doch verliert das Spiel dadurch nicht an Überraschungen und Spannung. Für achtjährige Detektive, die gerne in die Rolle anderer schlüpfen, sehr eigenständig ihre Umgebung entdecken wollen und noch dazu immer wissen, welche Frage sie ihren möglichen Zeugen stellen sollten, damit sie zur Lösung des Falls kommen, sind diese beiden Spiele eine spannende Herausforderung. Wer schon mehr Erfahrung in der Ermittlung von komplizierten Kriminalfällen hat, der sollte sich „Die Drei ??? – Gespensterjagd“ oder „Die Drei ??? – Alarm im Internet“ (ab zehn Jahren) zulegen. Die drei ??? – Gespensterjagd. United Soft Media, München 2001, Windows 95/98/2000/ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Die drei ??? – Alarm im Internet. United Soft Media, München 2001, Windows 95/98/2000/ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Aber Vorsicht: hier sind wahre Experten gefragt. Bei der Gespensterjagd erhalten die drei Detektive Peter Shaw, Justus Jonas und Bob Andrews Kassetten mit seltsamen Nachrichten. Wer genau den Anweisungen folgt und keine der Zeichen, die in Rocky Beach überall versteckt sein können übersieht, kommt schließlich hinter den Fall und wird erfahren, wer das Gespenst ist. Ganz anders in „Alarm im Internet“: hier müssen die drei ??? eingreifen, nachdem ein Virus ihren Computer lahmgelegt hat und die Gefahr besteht, dass die ganze Stadt von einer Flutwelle heimgesucht wird, da der Erpresser alle Gewalt über sämtliche Computersysteme der Stadt hat. Der Spieler erhält auditive Hinweise über Telefon, durch Kassetten, die an verschiedenen Orten gefunden werden müssen oder durch Gespräche mit anderen.
Die kniffligen Denkaufgaben müssen aber fast ohne Hilfestellung gelöst werden. Als erfolgreicher Detektiv muss man sich also in Rocky Beach auskennen, gut kombinieren und beobachten können, denn sonst wird man womöglich vom Täter überlistet. Überall könnten Hinweise versteckt sein. Manche Entdeckung wird erst nach einem Weilchen zu einem wichtigen Indiz für die Überführung des Täters. Doch auch hier ist Vorsicht angesagt: nicht alles, was man anklicken oder kaufen kann, wird auch wirklich benötigt! Wirklich toll ist, dass man das gesamte Spielfeld erkunden kann und sich nicht an eine chronologische Reihenfolge zu halten hat. Nur, wer den Fall schnell lösen will, sollte sich überlegen wofür man wann einen Beweis braucht, aber wer will das schon. Es gibt so viele Möglichkeiten des Einkaufens, Entdeckens und Faulenzens. Wenn doch nur in Rocky Beach nicht so seltsame Dinge passieren würden....Erst die Kombination aus einer spannend erzählten Geschichte, sinnvoll eingesetzten interaktiven Elementen und einer ansprechenden grafischen Umsetzung machen einen Krimi zu einem faszinierenden Fall. Kinder werden sich spielend begeistern lassen und auch manche Eltern könnten so von der einen oder anderen CD-ROM an den PC gefesselt werden.
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor:
Heike Babisch
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Daniela Berndl: Faszination World Wide Web
Täglich wird das World Wide Web von Millionen Menschen sowohl beruflich als auch privat genutzt. Da ist es nicht verwunderlich, dass selbst die Kleinsten auf den Geschmack gekommen sind, das Internet für ihre Zwecke zu gebrauchen. Ob „Pokemón“, die „Sendung mit der Maus“, die „Simpsons“ oder „Löwenzahn“ – um nur einige Beispiele zu nennen – sie alle sind im Internet auf vermeintlich kindergerecht gestalteten Seiten zu finden. Und von diesen Kinderseiten gibt es im Netz unzählig viele. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie gut diese Seiten denn wirklich für Kinder geeignet sind. Wer stellt die Seiten ins Netz und warum?Kinderseiten werden von vielen verschiedenen Personen und Institutionen ins Netz gestellt. So bieten fast alle Fernsehsender spezielle Seiten für Kinder an (www.kinderkanal.de ; www.kindernetz.de ; www.wdrmaus.de). Aber auch im Rahmen von Diplomarbeiten können Kinderseiten entstehen (www.kidsville.de). Nahezu alle Seiten haben ein Impressum, in dem man teilweise sogar die Entstehungsgeschichte nachlesen kann (in kindgerechter Mundart, versteht sich). Viele der Seiten haben schon den einen oder anderen Preis eingeheimst (Pädi in Gold, Silber oder Bronze; Deutscher Kinderkulturpreis; Giga Maus u.v.m.), auf den sie selbstverständlich aufmerksam machen.Hauptintention der Seiten ist es, den Kindern die Möglichkeit zu geben Wissensinhalte zu erschließen, aktiv zu sein und unterhalten zu werden. Obwohl die Anbieter darauf abzielen, den Kindern Medienkompetenz zu vermitteln, können sie nur Anregungen geben.
Auf dem Weg zur Medienkompetenz ist darauf zu achten, in welchem Maß das Kind selbst aktiv ist und wie es von Eltern und Pädagogen unterstützt wird. Was Kinder im Internet erwartenTrotz guter Absichten muss man den Focus darauf richten, ob die Seiten bei den Kindern auch gut ankommen. Denn wenn sich Kinder positiv über Internetseiten äußern, heißt das noch lange nicht, dass sie auch begeistert sind. Kinder verlangen im Netz nach Zeichentrick, Spielen, Comics, Musik und Stars. Eben danach, was sie in ihrem Alltag mit Medien erleben. Wissensinhalte stoßen im Allgemeinen auf weniger Interesse, was hauptsächlich an zu lang(weilig)en Texten oder uninteressanten Themen liegt. Viele Seitenanbieter haben sich an diesem Problem orientiert und bringen den Kindern Lerninhalte mittels spielerischer Handhabung näher. Diese Seiten sind für Kinder besonders attraktiv, da Spiele - gerade in einem Alter, wo viel Text sie überfordert – wichtigster Grund sind, sich im Internet aufzuhalten. (www.kindersache.de)Können Kinder beim Surfen allein gelassen werden?Genau aus diesem Grund stehen viele Eltern und Pädagogen dem virtuellen Raum skeptisch gegenüber. Die Angst, dass Kinder nur noch stur und passiv vor dem Computer sitzen, macht sie im Umgang mit dem Medium unsicher. Und dabei ist es besonders wichtig, dass gerade Anfänger während des Aufenthalts im WWW Unterstützung von Bezugspersonen haben. Viele Seiten, unter anderem das Internet-ABC (www.internet-abc.de), sind auf dieses Problem ausgerichtet und zielen auf Eltern, die sich selbst nicht sicher mit dem Internet sind. Anhand einer Elternseite wird ihnen ein intensiver Internetkurs verpasst, der sie dazu befähigen soll, zusammen mit ihren Kindern das Internet zu erforschen.
So wird es Eltern ermöglicht, ebenfalls Spaß im Netz zu erleben und mit ruhigem Gewissen ihre Kinder surfen zu lassen. Um sich keine Sorgen machen zu müssen, dass Kinder aus Versehen auf Seiten gelangen, die nichts für sie sind, findet man auf jeder Kinderseite, die etwas auf sich hält, Sicherheitstipps für das Surfen im Netz (unter anderem bei www.blindekuh.de). Eltern werden aufgefordert zusammen mit dem Kind die Gefahren des Internets zu besprechen und beim Entdecken von suspekten Seiten die zuständigen Behörden – natürlich via Web – zu benachrichtigen. In Punkto Sicherheit ist es vor allem wichtig zu wissen, dass keine anständigen Seiten (außer solche, die monatliche Gebühren verlangen, wie z.B. unter www.kindercampus.de) die Postadresse oder Telefonnummer – ja sogar äußerst selten die E-Mail-Adresse verlangen. Bei gebührenpflichtigen Seiten stellt sich übrigens die Frage, ob man Vergleichbares nicht auch auf „normalen“ Seiten findet. Die meisten kostenpflichtigen Seiten bieten zudem die Möglichkeit an, sich erst für ein paar Tage auf der Seite umzusehen, bevor man sich zu einem Abonnement entschließt.Werden bestimmte Fähigkeiten vorrausgesetzt? Obwohl viele Seiten einen Internet-Crash-Kurs oder intensive Kurse anbieten, gibt es auch solche, die Sicherheit im Umgang mit dem Netz voraussetzen (www.wasistwas.de). Da gerade Neulinge dort überfordert sein können, ist es ratsam sich als Verantwortlicher einen Überblick über geeignete Seiten zu verschaffen.
Im Allgemeinen reicht es, zu überprüfen, ob die Seite nicht aus zu langen und komplex gestalteten Teilen besteht, übersichtliche und beständige Leisten hat und man jederzeit zur Startseite zurückkehren kann. Wenn auch die Eltern Anfänger sind, kann man davon ausgehen, dass ihre Kinder sich genau so gut – wenn nicht sogar besser – auf der getesteten Seite zurechtfinden werden. Beim Suchen nach der richtigen Seite für das Kind, spielt es eine kleine, aber wichtige Rolle, für welches Alter die Seite zugeschnitten ist. Auch wenn Seiten für Kinder ab fünf geeignet und gefahrlos wirken, stellt sich die Frage, ob sie für ein 8-jähriges Kind noch geeignet sind. Es besteht die Gefahr, dass sich das Kind schnell langweilt, weil es unterfordert wird. Dann heißt es, eine andere, interessantere Seite (am besten zusammen mit dem Kind) zu suchen. Das Leid mit der WerbungTrifft man – was leider des öfteren vorkommt – auf Seiten, die vor Werbeflächen bzw. -fenstern nur so überquillen (so die Kinderseite von RTL2), sollte man schleunigst Reißaus nehmen. Die Seiten mögen vielleicht behaupten, dass sie sich so finanzieren, aber es gibt etliche Anbieter von Kinderseiten, die das auch ohne oder mit minimalen Werbeaktionen schaffen. Für Kinder ist es nicht nur spaßtötend, wenn sie bei jedem zweiten Click virtuelle Produkte angepriesen bekommen, sondern auch äußerst verwirrend. Denn es ist nicht selten, dass sich auf dem Bildschirm dank der Werbung fünf, sechs oder noch mehr Fenster öffnen, die es den Kindern unmöglich machen einen Überblick zu behalten.Kinder brauchen die Möglichkeiten aktiv sein zu könnenGute Kinderseiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Nutzer im größtmöglichsten Umfang aktiv sein lassen.
Die schönsten, buntesten und bewegtesten Bilder werden Kindern dennoch langweilig, wenn sie nur passiv rezipiert werden können. Kinder wollen etwas zu tun haben und die Seiten mitgestalten. Nur so bleibt ihr Interesse an der Seite bestehen und sie können sich intensiv mit den Vorgehensweisen auseinander setzen. Möglichkeiten diesem Bedürfnis entgegen zu kommen sind Spielboxen, Kontaktadressen, um Fragen stellen zu können, Online-Zeitungen, Initiativen, die auch im reellen Raum durchgeführt werden, Zeichen- und Malstudios und, und, und. Auch die Möglichkeit eine eigene Web-Site ins Netz zu stellen, wird von einigen Kinderseiten geboten. Besondere Bedeutung kommt aber sowohl für die Kinder selbst, als auch für den pädagogischen Inhalt, dem Austausch zwischen den einzelnen Internetusern zu. In sogenannten Foren und/oder Chaträumen, können die Kinder Erfahrungen austauschen, Ideen diskutieren oder sich gegenseitig auf besonders gute oder schlechte Zustände im Netz bzw. auf der entsprechenden Seite hinweisen. Die Anbieter der Seite können sich an diesem Austausch orientieren und Missstände verbessern. Portalseiten im InternetDas Internet ist unvorstellbar groß, und wie anfangs schon beschrieben, gibt es Hunderte von Seiten, die speziell für Kinder entworfen wurden. Da im World Wide Web die Vernetzung eine große Rolle spielt, müssen sich auch die Anbieter von Kinderseiten selbst einen Überblick über die verschiedenen Kinderseiten im Netz verschaffen, und diesen auch weiter vermitteln.
Eine gute Seite sollte deswegen genügend Links zu anderen Kinderseiten aufweisen können. Eine Seite, die das nicht tut, muss nicht unbedingt schlecht sein, aber da jedem Kind nach entsprechender Zeit auf immer der gleichen Seite langweilig wird, ist es auf einer Seite, die ihm die Möglichkeit gibt andere kindgerecht gestaltete Seiten aufzusuchen, besser aufgehoben. Diese sogenannte Portalfähigkeit der Seiten ist auch deswegen wichtig, da Kinder so gefahrlos im Internet surfen können. Sie kommen von einer geeigneten Seite auf die nächste und von dort wieder auf die nächste. Im Grunde genommen kann man sagen, dass die besten Kinderseiten alle miteinander vernetzt sind. Einen großen Überblick und viele, viele Links zu den verschiedensten Kinderseiten findet man unter anderem bei www.goere.de. (obwohl die Seite nicht mehr aktualisiert wird, sollte man trotzdem einen Blick riskieren), www.kidsclick.de und www.blindekuh.de.
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor:
Daniela Berndl
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Michael Kaden: Medienerziehug in Portugal
Aus einer mitteleuropäischen Perspektive betrachtet liegt Portugal peripher - was natürlich ein Trugschluss ist, wie jede andere einseitige Positionsbestimmung auch. Portugal steht im Zentrum. Das von knapp 10 Millionen Menschen bewohnte EU-Land ist ein Zentrum der lusophonen Welt.
Als ehemalige Kolonialmacht (die erste der europäischen Neuzeit übrigens) gehört Portugal zu einem kulturellen Spannungsbogen, der über Amerika (Brasilien), Afrika (Kapverden, Angola, Mosambik, Guinea Bissau, São Tomé e Príncipe) bis nach Asien (Timor, Indien/Goa, Südchina/Macau) reicht. 200 Millionen Menschen sprechen weltweit Portugiesisch. Und: Portugal hat es in den vergangenen Jahren blendend verstanden, seine vermeintlich periphere Lage als Standortvorteil zu nutzen. ..
( merz 2002/04, S. 244 - 247 )
Beitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor:
Michael Kaden
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Christina Oberst-Hundt, Walter Oberst: Zum "Umgang Heranwachsender mit Konvergenz im Medienensemble"
Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, vor allem die Hardware- und Unterhaltungsindustrie und Medien, sowohl die privat-kommerziellen wie auch die öffentlich-rechtlichen, haben aus unterschiedlichen Gründen großes und dauerhaftes Interesse daran, aktuelle und umfassende Daten über alle Aspekte der Mediennutzung zu erhalten.
Private Forschungsinstitute, Universitäten und andere Einrichtungen beschäftigen sich in Permanenz mit den vielfältigen Konsequenzen, welche die dynamische Entwicklung im Mediensektor hervorbringt. Für alle Interessierten, einschließlich WissenschaftlerInnen, ist es in der Regel zweckmäßig und sinnvoll, die Forschungsergebnisse transparent zu machen, abzugleichen und auf ihre Relevanz hin zu überprüfen, neue Fragestellungen und Forschungsmethoden zur Diskussion zu stellen, bislang nicht involvierte Wissenschaftsdisziplinen zur Mitarbeit aufzufordern.
Eine Veranstaltung in diesem Sinne war die von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und dem ZDF am 14. März 2002 veranstaltete und vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis organisierte ExpertInnendiskussion zum Thema „Umgang Heranwachsender mit Konvergenz im Medienensemble“. Ziel dieser Veranstaltung war es, „den Themenkomplex ‚Medienkonvergenz’ aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, den interdisziplinären Kenntnisstand zu reflektieren und dies für forschungspraktische Untersuchungsansätze zu Konvergenz nutzbar zu machen.“
Im Rahmen der zur Verfügung stehenden knappen Zeit - zwölf Referentinnen und Referenten stellten in etwa fünf Stunden ihre Ergebnisse zur Diskussion - konnte dieser Anspruch kaum erschöpfend eingelöst werden. Der vorgegebene knappe Zeitrahmen erzwang jedoch einen pointierten Vortrag, ein Beschränken auf Signifikantes und ein Herausstellen der „Highlights“ der Forschungsergebnisse...
( merz 2002/03, S. 180 - 182 )
Beitrag aus Heft »2002/03: Mediale Lernwelten«
Autor:
Christina Oberst-Hundt,
Walter Oberst
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Stephanie Haan: www.d-a-s-h.org
Seit Februar diesen Jahres ist das Projekt „D-A-S-H – für Vernetzung, gegen Ausgrenzung“ online. D-A-S-H besteht in einer Internetplattform, die vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis München und dem Lehrstuhl für Medienpädagogik der Universität Leipzig aufgebaut wurde. Ihr Anliegen ist es, politisches Engagement junger Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit mit der aktiven Auseinandersetzung mit Medien zu verknüpfen und medienpädagogisch zu unterstützen.
Durch Medienarbeit, v.a. durch den projektorientierten Einsatz des Internets und Vermittlung von Medienkompetenz sollen Jugendliche politisches Bewusstsein entwickeln und gemeinsam aktiv werden. D-A-S-HDie Internetplattform D-A-S-H bietet dem Netzbesucher ein vielfältiges Angebot: In einem Newsletter erhält er aktuelle Informationen zur Thematik, so beispielsweise zur rechtlichen Lage von Ausländern in Deutschland oder zu Debatten um Umgang mit Rechtsextremismus.
Ein Rechercheportal, bestehend aus einer Suchmaschine und einem Verzeichnis relevanter Web-Adressen, erschließt ihm systematisch Aktivitäten und Materialien zu den Themen Toleranz, Ausgrenzung und Rassismus...
( merz 2002/03, S. 183 - 186 )
Margret Köhler: Die Berlinale 2002: Neue Leitung, neue Konzeption
Der neue Festivalchef Dieter Kosslick bestand die Feuertaufe. Seine erste Berlinale gilt als Erfolg: Knapp eine halbe Million Zuschauer, ein interessantes Programm, mehr Aufmerksamkeit für den deutschen Film. Das A-Festival fand eine eigene Handschrift und Position.Der Wettbewerb„Dieses Jahr feiern wir das Politische“ verkündete die indische Regisseurin und Juryvorsitzende Mira Nair und begründete damit die überraschenden Entscheidung, den „Goldenen Bären“ ex aequo an den britisch-irischen Beitrag „Bloody Sunday“ und das japanische Zeichentrickfilmmärchen „Spirited Away“ zu vergeben. Wenn man es ganz genau nimmt, hatten beide Filme im Wettbewerb wenig zu suchen. Paul Greengrass` engagierter Politfilm über ein blutiges Kapitel im Nordirland Konflikt, bei dem am „Blutigen Sonntag“ 13 friedliche Demonstranten im Kugelhagel der britischen Armee starben, wurde schon im Januar im britischen Fernsehen ausgestrahlt, Hayao Miyzakis Animationsfilm bezaubert zwar durch konventionelle und aufwändige Handarbeit, ließ als erfolgreichster Film aber bereits nicht nur die Kassen in seinem Heimatland, sondern auch in anderen Ländern Asiens klingeln, ein Regelverstoß. Bei vier deutschen Beiträgen im Programm konnte es nicht ausbleiben, einen zu prämieren. Der „Silberne Bär“ als Großer Preis der Jury entsprach der positiven Resonanz für Andreas Dresens tragikomische Lebens- und Liebeskrise „Halbe Treppe“ für den die Berliner Presse zusätzlich tagelang trommelte. Pikant: Die Wettbewerbsteilnahme Dresens stand wegen des Abstimmungs-Patts in der Auswahlkommission auf der Kippe, erst Dieter Kosslicks Votum gab den Ausschlag.
Auf der „Halben Treppe“ befinden sich zwei Paare im mittleren Alter, die sich auseinandergelebt haben und gegenseitig betrügen, der Dia-Abend mit Bier und Salzstangen zu viert hat sich totgelaufen. Diese gewöhnliche Geschichte von ganz gewöhnlichen Leuten berührt durch ihre unprätentiöse Einfachheit, da geht es um den Verlust von Träumen im Plattenbau, um verdrängte Wünsche und Bedürfnisse. Trotz verwackelter und manchmal sehr dunkler Bilder, wuchsen einem die unglücklichen Protagonisten ans Herz (siehe dazu das Interview).Dass Tom Tykwers opulentes Werk „Heaven“ leer ausging, mag schmerzen wie auch die Unterbewertung von Dominik Grafs sperrigen „Der Felsen“. Tykwer brachte das zustande, was viele vergeblich versuchen: großes Gefühlskino made in Germany. Graf, der sich nach „Die Sieger“ (1994) erstmals wieder mit einem Spielfilm im Kino zurückmeldete, stieß auf kontroverse Reaktionen - vom höchsten Lob bis zum erbarmungslosen Verris. Der Münchner erzählt von einer Mittdreißigerin, der schon zu Beginn er Handlung der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ihr verheirateter Liebhaber verlässt sie und sie fällt in ein Vakuum der Verunsicherung. Nur widerwillig akzeptiert sie die Wahrheit über ihre Empfindungen. Der Entwicklungsprozess hinterlässt Narben in der Psyche, bietet aber auch die Chance zu einem Neuanfang. Die Archaik der korsischen Landschaft, die Schroffheit der Bergwelt dienen als Folie für die Vereisung der Seele, die nur langsam aufbricht. Wachsen tut weh.
Ganz schlimm traf es Christopher Roth mit „Baader“. Die unbekümmerte Mischung aus Fakten und Fiktion über den RAF-Terroristen erntete nach der Gala nicht nur laute Buhrufe, auch der Regisseur wurde wüst beschimpft. Mit Recht. Der Werbefilmer blickt frei von jeglichem belastenden Wissen auf Andreas Baader, der vom einfachen Autodieb zur revolutionären Leitfigur wurde und lässt ihn am Ende in Anlehnung an „Billy the Kid“ filmgerecht im Kugelhagen sterben. Roth scheitert am Schaffen eigener Wirklichkeiten. Er will zwar alles in Frage und neue Fragen stellen. Die Antworten blieb er in diesem popkulturellen Trash-Spektakel schuldig. Für jemanden, der sich mit Halb- oder Unkenntnis an ein zeitgeschichtliches Thema wagt, wird das Eis schnell dünn. Wie im vergangenen Jahr, als man „Traffic“ nicht berücksichtigte, ging auch diesmal einer der haushohen Favoriten, Marc Forsters Drama über Todesstrafe und Rassismus „Monster´s Ball“ leer aus, die Auszeichnung als Beste Darstellerin für Halle Berry ist nur ein kleines Trostpflaster. Auch ihrem Partner Billy Bob Thornton hätte man einen Bären gegönnt. US-Produktionen wie Wes Andersons exzentrische Familienbetrachtung „The Royal Tenenbaums“ oder Richard Eyres` tränenreiches Alzheimer-Epos „Iris“ sollten wohl primär zum Anlocken von Stars dienen. Die zeigten in diesem Jahr Berlin aber die kalte Schulter. Weder Anjelica Huston, Gwyneth Paltrow, Kate Winslet, Judi Dench oder Gene Hackman ließen sich blicken. Dafür entschädigten Russell Crowe, Harvey Keitel und Kevin Spacey. Ganz zu schweigen vom vierköpfigen Damenclub aus Francois Ozons „8 Femmes“, darunter Catherine Deneuve, die hinter dicker Sonnenbrille leicht lächelnd Nachhilfe in puncto Weiblichkeit gab.
Dass François Ozons bejubelter Käfig voller Närrinnen „8 Femmes“ „nur“ den „Silbernen Bären“ für das Darstellerinnen-Ensemble bekam, gehört in die Kategorie unverständliche Fehlentscheidung. Acht Frauen in einem einsamen Landhaus und eine männliche Leiche, Stoff für ein unterhaltendes „Whodunnit?“. Die Damen sind sich gar nicht grün, taumeln von einem hysterischen Anfall in den nächsten, jede versucht, die andere zu kompromittieren, plaudert intime (Familien)Geheimnisse aus. Ozon überrascht mit immer wieder neuen Wendungen, Agatha Christie könnte vor Neid erblassen. In der Künstlichkeit einer Studioatmosphäre treten die Ladies auf und ab wie auf einer Boulevard-Theaterbühne, tanzen in schrillem Outfit nach einer ausgeklügelten Choregraphie und singen Chansons, die ihr Inneres nach außen kehren. Dieses bärige, von Presse und Publikum bejubelte Vergnügen, war der Jury wahrscheinlich zu leichte Kost. Der politische Film feierte bei den 23 Produktionen im offiziellen Programm sein Comeback. So stellten István Szabo („Taking Sides - Der Fall Furtwängler“) und Costa-Gavras („Amen - Der Stellvertreter“) die Frage nach Schuld und Mitläufertum im Dritten Reich, warf Bertrand Tavernier in „Laissez-passer“ einen (nicht gerade kritischen) Blick auf den französischen Widerstand, behandelte Silvio Soldinis „Brenne im Wind“ das Immigrantenproblem, untersuchte Junji Sakamotos „KT“ die Beteiligung des japanischen Geheimdienstes an der Entführung eines koreanischen Dissidenten.
Da passte als Abschlussfilm Chaplins „Der große Diktator“ gut ins Konzept. Auffallend die Zunahme der mit digitaler Videotechnik gedrehten Beiträge, deren oft kaum erkennbare Bilder Authentizität und Dogma-Stil vorgaukelten (man könne doch Cassetten verschicken und so die Kosten für die Berlinale sparen, maulte ein entnervter Kollege). Zwar meckerten schon wieder einige an der „Überrepräsentanz“ deutscher Filme herum, aber da sollte man sich die Franzosen in Cannes in Erinnerung rufen. Nicht nur mit vier deutschen Wettbewerbsfilmen wurde ein deutliches Zeichen gesetzt, auch die neue Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ entwickelte sich zum Selbstläufer, da wurde in proppevollen Sälen selbst der kleinste Film noch gefeiert wie ein Oscar-Kandidat. Mit 400 Filmen und rund 500.000 Zuschauer gerät die Berlinale allerdings an ihre Kapazitätsgrenzen, eine Abspeckung des Programms würde sich empfehlen.Als Spielverderber profilierte sich Jury-Mitglied Oscar Roehler, der öffentlich einigen Filmen „Analphabetismus“ und „Niveau eines Home-Videos“ attestierte.
Gespräch mit Andreas Dresen
merz: Wie fühlt man sich nach einem „Silberner Bären“?Andreas Dresen: Ich habe mich schon riesig über die Teilnahme am Wettbewerb gefreut, und jetzt noch einen Preis, das ist das schönste Geschenk. Dabei habe ich mich in die Pressevorführung nicht hineingetraut und vor der Pressekonferenz hatte ich dieses „Dead Man Walking“-Gefühl. Ich war mir nicht sicher, ob wir dem Standard gerecht werden konnten. Die Berlinale ist die Weltmeisterschaft. Hierher zu gehen, erfordert Mut. Davor hat man dann auch entsprechend Schiss. Wir haben es probiert und sind belohnt worden.
merz: Zeigen Sie ein Abbild der Gesellschaft?
Dresen: Natürlich hat der Film etwas mit der Gesellschaft zu tun, in der ich lebe, der Gesellschaft im Osten. Ich erzähle eine winzige Geschichte, die jeder aus seinem Alltag kennt. Inwieweit sich hierin ein gesellschaftlicher Zusammenhang widerspiegelt, muss der Zuschauer für sich entscheiden, wie er auch die für sich wichtigen Essenzen herausfiltern muss. Wir können nur anbieten, so genau wie möglich über diese Figuren zu erzählen.
merz: Die Dialoge sind witzig, traurig und berührend. War wirklich alles Improvisation?
Dresen: Es gab keine Vorgaben. Wir haben am Tisch zusammengesessen und überlegt, aus welchen Szenen setzt sich so eine Geschichte zusammen. Und dann sind wir an den Drehort gegangen und haben uns sozusagen mit verbundenen Augen rückwärts ins Wasser fallen lassen. Durch diese grundsätzliche Offenheit sind überraschende Momente entstanden, Verrücktheiten, Verspieltheiten.
merz: Ist „Halbe Treppe“ ein Beziehungsfilm?
Dresen: Es geht nicht nur darum, dass zwei Menschen fremd gegangen sind und ihre Partner verletzen. Sie kämpfen auch mit anderen Problemen im Leben. Ihre Illusionen und Träume sind sehr klein geworden. Ich zeige einen Ausriss aus einer Wirklichkeit, die niemandem von uns fremd ist.
merz: Inwieweit haben Sie eigenes Erleben eingebracht?
Dresen: Wir haben dieses Thema natürlich gewählt, weil wir die Schwierigkeiten alle ganz gut kennen. Wir sind im gleichen Alter, gehen auf die 40 zu. „Halbe Treppe“ eben. Da zieht man ein Resümee. Wir haben uns unseren Alltag und Beziehungsfrust erzählt und einfließen lassen, natürlich nicht eins zu eins.
merz: Was war Ihnen besonders wichtig?
Dresen: Dass bestimmte Menschen nicht in Vergessenheit geraten. Wir negieren, dass es Leute in diesem Land gibt, denen es nicht so gut geht, vor allem im Osten, aber auch im Westen. Ich wollte die Möglichkeit des sozialen Absturzes erzählen, eine Fallhöhe anzudeuten, ich frage, was passiert mit Menschen, die den Boden unter den Füßen verlieren? Wir leben in einer Gesellschaft, in der Erfolg zählt. Wer den nicht hat, fliegt schnell raus aus dem sicheren Netz.
merz: Alle erhielten bei diesem Projekt die gleiche Gage. Gab es da keinen Ärger?
Dresen: Das hebelt sämtliche Neidgedanken aus. Jeder ist in der gleichen Pflicht, trägt die gleiche künstlerische Verantwortung. Wenn Not am Mann war, musste auch die Schauspielerin mal die Klappe schlagen. Es war ein ganz harmonischer Dreh.
merz: Sie haben mit der Digital-Videokamera gearbeitet, ist das ein Abschied von alten Kinobildern und Aufbruch zu neuen?
Dresen: Kinobilder sind für mich Bilder, die ergreifen, die mir einen inneren Raum eröffnen. Das muss sich nicht über Opulenz erschließen, das kann auch eine Nahaufnahme sein. In Frankfurt/Oder in einer Imbissbude mit Cinemascope zu arbeiten, wäre mir lächerlich erschienen. Sehgewohnheiten sind oft mit Konventionen verknüpft durch das herkömmliche Mainstream-Kino. Mittlerweile gibt es im Kino seit vielen Jahren andere Konventionen, nicht nur Dogma.
merz: Werden Sie weiter mit dieser Technik arbeiten?
Dresen: Die Ästhetik eines Films hängt von der Geschichte ab. Ich überlege derzeit Stoffe, für die ich wieder auf 35mm drehen würde. Vielleicht mache ich in diesem Jahr noch einen Dokumentarfilm.
(Margret Köhler interviewte für merz)
Andreas Hedrich: Filme aus der Sektion Forum des jungen Films und Panorama
Immer wieder ist eine bunte Mischung an Filmen der unterschiedlichen Genres beim „Forum“ im Rahmen der Berlinale zu finden. Filmneulinge und routinierte Stammgäste wechseln sich mit der Präsentation ihrer Filme ab. Das Publikum ist interessiert und diskussionsfreudig. Genau das, was Christoph Terchete in seinem ersten Jahr als Forumsleiter gewünscht hat. Dem Publikum andere Denkweisen, fremde Kulturen, Unbekanntes nahe zu bringen, waren Ziele vieler Filme, so auch von „Aoud rih“ (The Wind Horse) von Daoud Syad aus Marokko. Der alte Hufschmied Tahar und ein aus dem Krankenhaus geflüchteter junger Mann werden zu einem ungleichen Paar auf der Suche nach der Vergangenheit. Der Alte pflegt die Erinnerung an seine Frau an deren Grab und der Jüngere sucht seine Mutter, die er nie kennen gelernt hat. Bei beiden eine Suche nach der eigenen Person und der Einstellung zum Leben.Um an die verschiedenen Wunsch-Orte zu kommen, dient den beiden ein altes Motorrad mit Beiwagen. Dadurch verschafft der Film einen Einblick in die Weiten Marokkos. Die Bilder sind den Handlungen untergeordnet. Ruhige, lange Einstellungen für den Älteren, schnellere Schnittfolgen für den Jüngeren.
Der Film strahlt dabei eine Ruhe aus, die die Gefühle und Gedanken der beiden Männer für die Zuschauer fassbar macht. Lärm, Emotionen, Schnelligkeit, das sind Merkmale von Sandra Gugliottas Film „Un dia de suerte“ (Ein Glückstag), in dem das Alltagsleben der jungen Frau Elsa in Buenos Aires im Mittelpunkt steht. Die historische Verbundenheit, die Kritik an der derzeitigen politischen Lage sind in dem Debütfilm zu spüren, bilden allerdings vor allem den Handlungshintergrund. Im Vordergrund steht die Suche nach Glück. Erzählt wird anhand der Geschichte einer jungen Frau, die zusammen mit ihrer Freundin ihre Zeit mit Gelegenheitsjobs verbringt. Mit der Generation der Eltern und des Großvaters wird das politische Argentinien gezeigt. Der Großvater, ein aus Italien emigrierter Anarchist, macht keinen Hehl aus seinen Überzeugungen, während der mittlerweile arbeitslose Vater von Elsa sich an das Überbleibsel eines vergangen Luxus klammert. Das Leben von Elsa erscheint ruhig, doch unter der Oberfläche lodert eine große Sehnsucht. Die Hoffnung auf ein anderes Leben in der Ferne. Und so träumt sie von ihrem italienischen Urlaubsflirt und einer Reise zum Wiedersehen.Die Suche der Protagonistin wird in fast dokumentarische, schnelle Bilder umgesetzt. Eine einfache Handkamera, Video und wenig Licht verbinden das Geschehen. So werden die Bilder wahrhaftig. Und während die Zuschauer denken, dass Elsa wahrscheinlich niemals ihren Traum verwirklichen und nach Italien reisen wird, ist sie schon da. Ihr Leben geht in Italien genauso weiter, die Szenen aus dem neuen Leben ähneln dem in Südamerika erstaunlich.
Die Geschichte „Atlantic Drift“ fand Michael Daëron bei einer Reise nach Mauritius. Dort entdeckte er 70 Gräber, die zum Meer blicken. Es handelte sich um die Gräber von Juden aus europäischen Metropolen. Menschen, die 1939 eine lange Flucht antraten, die für viele auf Mauritius mit dem Tod endete.Das Tagebuch eines Verfolgten bildet den roten Faden des Films. Eine Mädchenstimme liest aus den Notizen vor, parallel dazu erfährt der Zuschauer von den anderen Protagonisten des Films aus England und Israel, was auf der langen Reise geschah.Aus Wien, Berlin und Budapest sammelten sich über 4.000 Juden, die mit Schiffen Donau abwärts Palästina erreichen wollten. Schon auf dem ersten Teilstück zum schwarzen Meer versuchten die englischen Geheimdienste (belegt durch Akten die erst jetzt für Recherchen freigegeben wurden) die Flüchtenden zu stoppen. Militär und Hafenverwaltungen sollten die Schiffe nicht passieren lassen. Auf dem Meer wurde das Geschehen immer grauenvoller. Zusammengepfercht auf einem kleinen Schiff - eben der Atlantic Drift – wurden die Menschen von den Engländern gehindert, sich im gelobten Land niederzulassen. Sie wurden nach Mauritius abgeschoben, wo sie über vier Jahre in einem Gefängnis interniert waren.Der Film montiert Erinnerungen mit einer realen, nachgestellten Reise einer Überlebenden, seiner Frau, und Geheimdokumenten der Engländer. Die Bilder sind mit elektronischer Musik gekoppelt
. Diese Musik wird vom Regisseur zur Interpretation eingesetzt. Sie steht für sein Tagebuch, in dem Visionen und Geschichten zusammengeführt sind. Die Parallelen, die sich zu heutigen Flüchtlingsdramen und die Abschiebepraxis vieler Länder zeigen, macht das Dokument zu einem überzeugenden Statement in der Diskussion um Asyl und Flucht.Der portugiesische Film „O gotejar da luz“ (Lichttropfen) von Fernando Vendrell, hat die Kolonialzeit im heute von Bürgerkrieg und Naturkatastrophen zerstörten Mosambique zum Thema. Ähnlich wie in Caroline Links „Nirgendwo in Afrika“ steht in „O gotejar da luz“ die Geschichte einer Kolonialfamilie im Mittelpunkt. Zentrale Figur ist ein Junge, der in der Welt der Weißen und mit den Riten der Schwarzen aufwächst. Dabei kommt es zwangsläufig zu kulturellen Spannungen und konkreten Problemen in seiner Familie. Erzählt wird zunächst über das menschliche Miteinander. Zu Beginn kehrt der mittlerweile über 40-jährige Rui an den Ort seiner Kindheit zurück und erzählt rückblickend seine Geschichte. Er wächst mit den weisen Ratschlägen des Fährmanns auf, feierte die Feste der Dorfbewohner mit und das Hausmädchen wird von ihm als seine Schwester angesehen.
Die Idylle wird schnell gebrochen. Der Rassismus dieser Zeit wird spürbar. Während der Faschist Salazar in Portugal herrscht, wird in den Kolonien durch rigide Maßnahmen der Grundstein für heutige Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent gelegt. So bekommt auch Rui zu spüren, was es bedeutet, wenn mit der Baumwolle eine Monokultur gefördert wird, die zu Hunger und Unterversorgung führt. Je älter er wird, um so mehr nimmt er die Widersprüche wahr. Die Ausbeutung von Menschen und Boden, die Unterschiede in den Kulturen.Eine Liebesgeschichte zwischen der jungen Schwarzen (Ruis ‚Schwester’) und Carlos, einem Cousin von Rui, bringt die Welt aus dem Lot. Die verbotene Liebe findet in einem Rachemord ein jähes Ende. Das Idyll und die Kindheit sind für Rui zerstört.
Markus Achatz: Herausragende Filme beim Berlinale-Kinderfilmfest
Bei den 52. Internationalen Filmfestspielen Berlin gab es ein Jubiläum zu feiern: Das 25. Kinderfilmfest ging über die Filmbühne, mit elf Spielfilmen und 15 Kurzfilmen. „Kino für Leute ab sechs“ lautete der Titel der ersten Programmreihe im Rahmen der Berlinale 1978. Zu den wichtigen Konstanten zählt bis heute sicher die Internationalität des Programms. Beiträge aus 16 verschiedenen Nationen gewährleisteten auch 2002 – zusätzlich zur breiten Palette an Genres – wieder spannende Einblicke in zahlreiche Kulturen. Eine weitere Tradition – und dies gilt über das Berliner Filmfest hinaus für den gesamten Bereich des Kinos für Kinder – sind die immer wieder hervorragenden Filme aus Skandinavien. Gefühl und SpannungEine dänisch-schwedisch-norwegische Koproduktion ist dieser Debütfilm des 34-jährigen Hans Fabian Wullenweber. Mit „Klatretøsen“ brachte der Filmemacher die gewohnt einfühlsame und auf die kindliche Perspektive bezogene Erzählweise des skandinavischen Kinderfilms mit Elementen des klassischen Actionkinos zusammen. Das Publikum kam mit dieser Kombination bestens zurecht. „Kletter-Ida“ überholte in Dänemark Harry Potter an den Kinokassen!Die 12-jährige Ida gerät ganz nach ihrem Vater – zumindest was die Leidenschaft zum Klettern betrifft. Sie geht heimlich dem gefährlichen Hobby nach und besteigt regelmäßig die hohen Wassertürme eines Fabrikgeländes in der Nachbarschaft. Idas Vater war früher ein bekannter Bergsteiger, bis er bei einer Tour im Himalaya einen schweren Unfall hatte.
Inzwischen betreibt er eine Gokart-Bahn. Dort treffen sich Sebastian und Jonas, um Rennen zu fahren, an ihren heißen Kisten zu basteln und natürlich, um Ida zu treffen, von der sie ziemlich begeistert sind. Idas Vater erkrankt sehr schwer und nur eine teure Operation in den USA kann sein Leben retten. Mit aller Energie versucht Idas Mutter Kredite zu bekommen – ein aussichtsloses Unterfangen. Die Zeit drängt, denn der Zustand des Vaters verschlechtert sich zusehend. Für Ida gibt es nur einen Ausweg, um an die nötigen 1,5 Millionen Kronen für die Operation zu gelangen: den Tresor der CCT Bank knacken. Der Tresor der modernen Bank ist in einem 30 Meter hohen Turm aufgehängt, bewacht von Kameras, einem Sicherheitsdienst und scharfen Hunden. Ida ist auf die Mithilfe von Jonas und Sebastian angewiesen. Die beiden sind zunächst nicht begeistert von Idas verrückter Idee. Da aber jeder von beiden bei Ida die „Nummer Eins“ sein will und es um das Leben von Idas Vater geht, lassen sie sich zum spektakulärsten Bankraub in der Geschichte Dänemarks überreden.Alles was auch im spannenden „Erwachsenen“-Kino zu sehen ist, wird in „Kletter-Ida“ aufgeboten. Verfolgungsjagden, Stunts und Action, aber auch Freundschaft, Liebe und Enttäuschungen finden ihren Platz in der Geschichte. Zudem wartet der Film mit einer Mädchenfigur auf, die mit Durchsetzungsvermögen und Raffinesse ihr Ziel im Auge behält und ihre Umgebung für sich zu gewinnen vermag. Regisseur Wullenweber ist es gelungen die Technik und Dramaturgie actionreicher Filme mit einer guten Story zu verbinden. Den Kindern im Publikum hat es auf jeden Fall Spaß gemacht und der junge Regisseur scheint den Bogen nicht überspannt zu haben.
Beim Verlassen des Kinos äußerte ein Zehnjähriger gegenüber seiner erwachsenen Begleiterin, dass es an manchen Stellen ruhig noch etwas spannender hätte sein können. Die elfköpfige Kinderjury zwischen elf und vierzehn Jahren sprach „Kletter-Ida“ eine Lobende Erwähnung aus. Zuneigung und TrauerZum Abräumer der Preise avancierte der norwegisch-schwedische Film „Glasskår“. Er gewann sowohl den Gläsernen Bären für den besten Film der Berliner Kinderjury als auch den Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerkes, der jährlich von einer internationalen Fachjury ausgelobt wird. Regisseur Lars Berg war bereits 1997 Gast beim Kinderfilmfest mit „Maya Steingesicht“. Mit „Einschnitte“ hat Berg einen ernsten, anrührenden Film inszeniert. Viktor ist 13 Jahre alt, sein größeren Bruder Ole Kristian ist nicht nur ein fantastischer Eishockey-Keeper, sondern auch ein großes Vorbild für ihn. Schon früher hatte Viktor, immer wenn jemand gefragt hatte, was er mal werden wollte, geantwortet: „Wie mein Bruder“. Viktor steckt am liebsten mit seinen beiden Freunden Arnor und Roger zusammen. Viele Dinge treiben die drei um. Sie wollen irgendetwas „Cooles“ auf die Beine stellen. Und so haben sie beschlossen, eine Band zu gründen, obwohl keiner ein Instrument spielen kann. Aber die Jungs sind sich sicher, dass die Mädchen trotzdem auf eine Band abfahren. Weil die drei Freunde so mit ihren eigenen Plänen beschäftigt sind, merkt Viktor zunächst gar nicht, dass mit seinem Bruder etwas nicht stimmt und dass sich alle zunehmend merkwürdig benehmen. Eines Tages erzählt Ole, dass er gar nicht Viktors leiblicher Bruder sei, denn Onkel Reidar ist der echte Vater. Ole Kristian ist an Krebs erkrankt und muss immer häufiger in die Klinik. Erst allmählich wird Viktor klar, was sein Bruder meinte, als er sagte, dass vielleicht einmal Viktor der Stärkere der beiden sein würde.
Nadine, Viktors gleichaltrige Freundin, deren Zuneigung ihn noch recht verwirrt, spricht aus, was niemand zu sagen wagt: Ole Kristian hat Leukämie. Ole geht es immer schlechter und er stirbt. Für Viktor bleibt eine schwere Aufgabe zu erfüllen, denn nur er weiß, dass Oles heimliche Freundin Car von seinem verstorbenen Bruder ein Kind erwartet. Viktor muss dafür sorgen, dass das ewige Schweigen in der Familie ein Ende hat. Der Film erzählt von der ersten Einstellung an konsequent vom Hauptprotagonisten aus. Viktor stößt im Laufe der Geschichte auf viele Fragen, die zum Teil wie Lappalien erscheinen, die aber plötzlich wichtig werden. Die Zuschauer können sich mit Viktor identifizieren - mit seinen Erfahrungen und mit den Entscheidungen, die er fällen muss. Gefördert durch die dichte Inszenierung Lars Bergs und das eindringliche Spiel von Hauptdarsteller Eirik Evjen. Dabei schafft dieser Film bei aller Tragik des Themas auch unterhaltende und hoffnungsfrohe Momente. „Einschnitte“ handelt auch von Teenagerpartys, Schülerstreichen, Freundschaften und – ähnlich wie „Kletter-Ida“ – von den überwältigenden Gefühlen der ersten Liebe. Selbst einer der traurigen Höhepunkte des Films, als Viktor nach Oles Tod auf dem Schoß seines Vaters im Gartenstuhl sitzt, während im Haus die Beerdigungsgesellschaft versammelt ist, vermittelt eine melancholische Leichtigkeit, die nicht nur den beiden über die Trauer hinweg hilft. Viktor kann seiner Trauer auch freien Lauf lassen, weil er weiß, dass Nadine zu ihm hält. Er merkt, dass es ihm in diesem Augenblick auch ein kleines bisschen gut geht. Träume und FantasienIm Programm fiel besonders noch ein Kurzfilm auf: „Ballett ist ausgefallen“ von Anne Wild.
Die 34-jährige Regisseurin und Drehbuchautorin hat einen behutsamen und melancholischen Film inszeniert, der durch die kleine Hauptdarstellerin Henriette Confurius und durch die Gesamtchoreographie beeindruckte. Elisa geht diesmal nicht zum Ballettunterricht. Ihre Mitschülerinnen kommen ihr heute besonders doof und kindisch vor. Viel lieber verbringt sie den ganzen Nachmittag am schönsten Ort, den sie kennt: im Eiscafé Dolomiti. Dort arbeitet Holger aus der 12a als Aushilfskellner und der hat schließlich das süßeste Lächeln der ganzen Schule. Elisa traut sich nicht, ihn anzusprechen, aber ihr Horoskop hat gesagt, dass heute etwas Wunderbares passieren würde. Obwohl im Dolomiti nicht besonders viel los ist – für Elisa ist es ein äußerst spannender Nachmittag, denn ihre Fantasie und geheimen Tagebucheinträge lassen tolle Dinge geschehen.Der Film taucht ohne Moralisieren in Elisas Gedankenwelt ein und will keine spektakulären Geschehnisse porträtieren, sondern beweist Gespür für Details. Die Geschichte lässt den Tagträumen einfach freien Lauf. Die internationale Jury verlieh an „Ballett ist ausgefallen“ den Spezialpreis des Deutschen Kinderhilfswerkes für den besten Kurzfilm. Derzeit stellt Anne Wild den TV-Film „Königskinder“ fertig, bei dem Henriette Confurius die Hauptrolle spielt.
Wir dürfen gespannt sein.Klatretøsen(Kletter-Ida)Regie: Hans Fabian Wullenweber – Buch: Nicolai Arcel, nach einer Idee von Hans Fabian Wullenweber, Nicolai Arcel und Erland Loe – Darsteller: Julie Zangenberg (Ida), Stefan Pagels Andersen (Sebastian), Mads Ravn (Jonas), Lars Born (Idas Vater), Nastja Arcel (Idas Mutter) – Produktion: Dänemark, Schweden, Norwegen (Nimbus Film) 2001. – Länge: 89 MinutenGlasskår(Einschnitte)Regie: Lars Berg – Buch: Harald Rosenløw Eeg, Lars Berg, nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Harald Rosenløw Eeg – Darsteller: Eirik Evjen (Viktor), Martin Jonny Raaen Eidissen (Roger), Eirik Stigar (Arnor), Ine M. Eide (Nadine), Jonas Lauritzsen (Ole Kristian), Lasse Kolsrud (Viktors Vater), Janne Kokkin (Viktors Mutter), Robert Skjaerstad (Onkel Reidar) – Produktion: Norwegen, Schweden (Paradox Produksion AS) 2001 – Länge: 76 MinutenBallett ist ausgefallen (Ballet was cancelled)Regie: Anne Wild – Buch: Anne Wild – Darsteller: Henriette Confurius (Elisa), Matthias Schweighöfer (Holger), Maria Petz (Laura), Lena Stolze (Frau mit Cellokasten) – Produktion: Deutschland (Jost Hering Filmproduktion) 2001 – Länge: 14 Minuten
Erwin Schaar: Das Abbild der Körper und die Reflexion der Wahrnehmung
Wenn der voyeuristische Fernsehzuschauer um Mitternacht intime erotische Bilder zu sehen wünscht, kann er den Sender „Neun Live“ einschalten., wo bis 6 Uhr früh „la notte – sexy night“ läuft. Im Minutentakt entkleiden sich dort Frauen aller Hautfarben bis zum buchstäblichen Nichts. Wenn er nun glaubt, dass er das der sexuellen Libertinage des frühen 21. Jahrhunderts zu verdanken hat, sitzt er natürlich einem Irrtum auf, weil schon das beginnende 20. Jahrhundert die Erfindung des Films dazu nutzte, die Entblößung des weiblichen Körpers in bewegten Bildern vorzuführen. Diese 100 Jahre und mehr alten Reminiszenzen können in der AusstellungPrüderie und Leidenschaft – der Akt in der viktorianischen ZeitIm Münchner Haus der Kunst betrachtet werden. Die von der Tate Gallery London übernommene Ausstellung, die noch in New York und in Japan in Kobe und Tokio zu sehen sein wird, möchte zeigen, dass das 19. Jahrhundert in England nicht nur von der sprichwörtlichen viktorianischen Prüderie beherrscht wurde.
Das heißt, dass die vielen, oft großformatigen Gemälde mit nackten Körpern nicht zur alltäglichen Bildkultur der Briten gehörten. Dabei dürften die sittlichen Ansichten des niederen Volkes nicht mit denen höherer gesellschaftlicher Stände identisch gewesen sein. Es ist zu vermuten, dass durch die als mindere Kunst verachtete Photographie einem Abbildverbot des nackten Körpers entgegengewirkt wurde, dem sich die malenden Künstler nicht widersetzen mochten und sie sich daher mit camouflierenden klassischen Szenerien dem Thema näherten, um die Auftraggeber, die naturgemäß aus den höheren Schichten stammten, von der dargestellten Nacktheit zu überzeugen. Diese konnten sich dann mit gutem Gewissen öffentlich an dem gemalten Fleisch ergötzen.Die Prüderie in England des 19. Jahrhunderts mochte aus der puritanischen religiösen Entwicklung auf der Insel resultieren und so wurden in Kunstausstellungen meist nur Porträts, Landschaften oder historische und literarische Szenen gezeigt. Die ersten Anfänge der Globalisierung brachten die Kunststudierenden aber Mitte des Jahrhunderts nach Paris – und dort mussten sie ja infiziert werden!Diese Ausstellung versucht nun die Entwicklung der Aktmalerei zu systematisieren und macht uns zuerst mit Versuchen bekannt, die naturalistische Darstellungen von weiblichen Körpern in klassische Bildthemen einbanden. Die griechische Klassik oder Shakespeare Dramen boten genügend Anlässe und die darin eingebundenen nackten Frauenkörper entbehrten jeglicher an die Wirklichkeit gemahnenden Sexualität.
Es wird ja kolportiert, dass John Ruskin in der Hochzeitsnacht beim Anblick von Effie Grays Schamhaar vor Abscheu ins Wanken geriet, weil seinem Gemüt das haarlose Ideal antiker Skulpturen entsprach.Aber die Entwicklung hin zum Lasziven war nicht aufzuhalten, wobei der männliche Akt kaum mit dem Sittenkodex in Konflikte geriet – das bevorzugte virile Ideal von Männlichkeit konnte ja nur vollkommen unterdrückten homosexuellen Neigungen, die nur im geheimen ausgelebt werden konnten, zur Versuchung gereichen.Was nicht zu verhindern war trat ein, der Akt löste sich den bürgerlichen Bildzusammenhängen und wurde zu einem eigenständigen Sujet bildnerischen Gestaltens, wobei natürlich die filmischen und photographischen Nacktaufnahmen das verlangen einer ganz anderen Klientel stillten. Sie erblickten nicht so intensiv das Licht der Öffentlichkeit. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte ihre massenhafte Verbreitung.Das Material der Ausstellung bietet genügend Anknüpfungspunkte, um über nackte Körperdarstellungen zu reflektieren, da muss gar nicht über die Historie nachgedacht werden. Das beweisen die Aufnahmen nackter kleiner Mädchen, die vom Verfasser von „Alice im Wunderland“, Lewis Carroll, stammen.
Die Fotos aus dem Jahr 1879 könnten ihn, wenn er heute leben würde, ganz schön in die Bredouille bringen.Kann diese Ausstellung in ihrer Systematik wenig überzeugen, weil die Verbindungen von Geschichte, Wahrnehmung, Moral, trivialen Kulturäußerungen sich erst dem erschließen, dem die Themen nicht ganz fremd sind – zu viele schwer erträgliche kitschige Bilder werden als Ausstellungsobjekte zu ernst genommen -, dann wird der Betrachter mit der parallel laufenden Präsentation im selben HausMalerei und Skulptur im Wettstreit. Von Dürer bis Daumiereine stringent aufgebaute Lektion in Wahrnehmungs- und Mediengeschichte erwarten, die zudem noch viel Freude und Lust beim Betrachten einzelner Exponate bereit hält. Mit dem individuellen Erwachen in der westlichen Kultur ging auch die Emanzipation der Künste einher. Die mediale Vermittlung löste sich von der Abhängigkeit der Religion und machte das bildnerische Schaffen, das mediales schaffen war, zum Inhalt des Nachdenkens über skulpturale und malerische Darstellungen. Natürlich muten historische Konstruktionen im Nachhinein meist sinnfällig an, weil Ausklammerungen immer bewusst getätigt werden, um linear darzustellen. Aber solch bewusst angestrebten Konstruktionen erleichtern uns das Nachdenken über zurückliegende Geschichtsprozesse, wenn wir unser Bewusstsein auch über die Vergangenheit definieren. Dieser rationale Prozess scheint mir in der christlichen Kultur ein gesellschaftliches Movens zu sein, im Gegensatz zur islamischen Kultur, die bald nach ihrer Entfaltung in gewolltes stagnatives Denken verfiel.„Malerei und Skulptur im Wettstreit“ beschränkt sich auf die Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, als die Medien Malerei und Skulptur ihr Selbstverständnis und ihre Selbstdefinition artikuliert haben.
Beide Medien traten in Wettstreit miteinander, welches wohl die wirklichkeitsnähere Darstellung zuwege bringe. Ein häufig gemaltes Sujet war der Blinde, der die Skulptur begreifen kann und damit eine Ahnung der künstlerischen Reproduktion erhält.Die Ausstellung, die sich erstmals dieser Selbstreflexion widmet ist schon von der konzeptionellen Seite her ein Ereignis. Die über 200 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken kommen aus Sammlungen in Los Angeles, Washington, New York, Helsinki, St. Petersburg, Rom, Paris, Wien, London, Kopenhagen und Madrid. Christoph Vitali vom Haus der Kunst ist in Zusammenarbeit mit dem Wallraf-Richartz-Museum Köln eine wahre Glanzleistung gelungen. Nur ein agiler Ausstellungsmacher schafft solche umfangreichen Zusammenstellungen. Die Exponate stammen von Dürer, Spranger, Giambologna, Brueghel, Teniers, Rubens, Rembrandt, Ribera, Giordano, Daumier und anderen: schon von daher eine bewundernswerte Exposition.In der Renaissance begannen die bildenden Künstler über ihre Rolle nachzudenken, bisher waren sie im Gegensatz zu den Dichtern und Musikern nur als Handwerker, als ideenlose Nachahmer der Natur eingestuft. Zunehmend sahen sie sich aber als Überhöher der Wirklichkeit und Neuschöpfer, wie eine in dieser zeit oft gemalte Episode belegt: Der griechische Maler Apelles portätierte die Mätresse Alexanders des Großen, Kampaste, und verliebte sich dabei in sie. Da das Bildnis so hervorragend ausfiel, tauschte Alexander dieses gegen die Frau.Mit der Aufnahme der Skulptur und Malerei in den Kanon der Künste wandelten sich die Zünfte in Akademien, um den gehobenen Status auch in der Ausbildung deutlich werden zu lassen.
Mit Vorlagen aus der griechischen Götter- und Sagenwelt veredelten die Künstler ihre Bildinhalte im humanistischen Geist. Bei Hofe erlangten sie zudem gesellschaftlichen Aufstieg, wenn sie auf Grund ihres Könnens, das von den Herrschenden anerkannt wurde, in den Adelsstand erhoben wurden.Mit dieser Beachtung bei den höchsten Ständen erweiterte die neue akademische Kaste ihr Metier mit selbstgefälligen Bespiegelungen ihrer eigenen Person. Die Selbstbildnisse sollten nunmehr von ihrer Schöpfergabe und ihrem Nachdenken über die Welt Zeugnis geben. Die Zeichen für eine musische und gelehrte Welt wurden zu Bildbeigaben ihrer eigenen Porträts. Kunstsammlungen und Verkaufsräume ihrer Werke wurden in Bildern dargestellt. Das neu gewonnene Selbstbewusstsein und die gesellschaftliche Anerkennung werden aber bald durch Daumiers Karikaturen oder durch Bilder wie das von Chardin, der einen Affen als Maler vor seiner Staffelei zeigt, konterkariert. Die Erhabenheit des Künstlers wird auch als brüchige Existenz imaginiert, wie Rembrandts Selbstbildnis aus seinem letzten Lebensjahr zeigt. Vor der Entblößung des Körpers fand bereits die Entblößung der Psyche statt.Prüderie und Leidenschaft. Der Akt in viktorianischer Zeit. Ausstellung bis 2. Juni 2002 im Haus der Kunst, München. Katalog bei Hatje-Cantz, Ostfildern (288 S., Preis in der Ausstellung: EUR 25,00)Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier. Ausstellung bis 5. Mai im Haus der Kunst, München; vom 25. Mai bis 25. August 2002 im Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Köln. Katalog bei edition Minerva, München (472 S., EUR 29,50).
Sophie Anfang: Lernsoftware im Test
Lernsoftware im Test
Lernsoftware scheint oft die letzte Rettung zu sein, wenn die Tochter oder der Sohn in der Schule schlechte Leistungen bringen. Dann wird zum Matheblaster oder Französisch-Paukprogramm gegriffen, denn diese versprechen, spielerisch die Lernprobleme in der Schule zu lösen. Dass Lernprogramme keine Wundermittel sind, dürfte inzwischen jedem klar geworden sein, der seinem Kind ein solches Programm gekauft hat. Empirische Untersuchungen belegen, dass vor allem die Probleme der Lernmotivation und des Motivlernens mit programmierten Unterweisungsverfahren wie sie Lernsoftware darstellt nicht so einfach in den Griff zu bekommen sind. Trotzdem boomt der Softwaremarkt gerade in diesem Bereich und Schulbuchverlage wie z.B. Klett haben inzwischen ein reichhaltiges Arsenal von Lernsoftware im Programm, das für jede Alters- und Schulstufe etwas zu bieten hat. Im folgenden werden drei Edutainmentprogramme dieses Verlags von einer Expertin unter die Lupe genommen, die zur Zielgruppe dieser Lernsoftware gehört. Die 12-jährige Schülerin Sophie Anfang hat die Tauglichkeit verschiedener Edutainmenttitel in Bezug auf spielerisches Lernen geprüft und ihre subjektive Einschätzung gegeben. Die Auswahl ist zufällig und erhebt nicht den Anspruch, das gesamte Programm des Verlages zu beurteilen.
(Günther Anfang)
Physikus - Das Abenteuer aus der Welt der Naturwissenschaften
Idee und Realisation: Ruske & Pühretmaier, Design und Multimedia GmbH 1999 - Vertrieb: HEUREKA-Klett Software GmbH, Postfach 106016, 70049 Stuttgart - MAC und Windows - DM 99,-
Ein dunkler Bildschirm, wunderschöne 3D-Landschaften, das ist die Welt des PHYSIKUS. Der User schlüpft in die Rolle eines jungen Physikforschers, der auf einer Reise durch den Weltraum einen Hilferuf von seinem Planeten bekommt: Nach einem Meteoriteneinschlag steht der Planet still. Auf der einen Halbkugel stirbt man vor Hitze, auf der anderen vor Kälte. Deshalb haben die Bewohner eine riesige Impulsmaschine gebaut, die mit einem gigantischen Rückstoß die Welt wieder zum Drehen bringen soll. Aber im entscheidenden Moment fehlen ein paar Volt, die Welt in Bewegung zu setzen und die Bewohner des Planeten fliehen. Der Baumeister der Impulsmaschine hinterlässt jedoch die Bitte, den Planeten zu retten. Einziges Hilfsmittel ist sein tragbarer Laptop, auf dem er all sein Wissen gespeichert hat.Per Mausklick wandert man nun als Spieler durch eine atemberaubende Landschaft, um das Rätsel zu lösen. Dabei sammelt man Gegenstände, wie zu Beispiel Gewichte oder optische Linsen ein, die man später unbedingt braucht, um genügend Strom zu erzeugen. Damit sich der Planet wieder dreht, gilt es die Gesetze der Optik, Mechanik und der Akustik anzuwenden, um physikalische Probleme zu lösen. Wem da nicht gleich ein Licht aufgeht, hilft der Lernteil, bei dem sogar ich Mathemuffel gleich mehr mit Physik anfangen konnte.Zu Recht ist PHYSIKUS der Favorit bei HEUREKA KLETT. Der einzige Haken an dem Spiel ist allerdings, dass die Aufgaben ziemlich schwer zu meistern sind. Ich habe jedenfalls ziemlich viel Zeit gebraucht, um vorwärts zu kommen! Doch das Spiel ist ja auch erst ab 12 Jahren.
Wenn man irgendwann die Lust am PHYSIKUS verliert, kann man das auf der CD-ROM mitenthaltene „PHYSIKUS-Diveln“ installieren. Bei diesem Spiel kann man durch Auffangen kleiner Bärchen Punkte sammeln. Das bringt etwas Abwechslung in die physikalischen Aufgabenstellungen und hat mir viel Spaß gemacht.
Mean CityProduktion: Language Art Limited 1998 - Vertrieb: HEUREKA-Klett Softwareverlag GmbH, Postfach 10 60 16, 70049 Stuttgart - MAC und Windows - DM 79,-
„Lern english, have fun!“ lautet der Anfangssatz der Beschreibung von MEAN CITY im HEUREKA-Klett Info-Heft. Doch dieser Satz ist nur zum Teil richtig. Denn zum Englischlernen ist dieses Spiel eher ungeeignet. Der User muss nämlich schon mindestens ein halbes Jahr Englisch können, damit er alle Personen des Spiels verstehen kann! Der Sinn des Spiels besteht darin, MEAN CITY vor dem Untergang, den die geheimnissvolle Jinx plant, zu bewahren. Dazu hat man allerdings nur begrenzt Zeit und wer sich bei den ins Spiel eingefügten Übungen zu blöd anstellt, schafft das nicht.
MEAN CITY ist ein Spiel in einer Comiclandschaft, in der man normalen Menschen begegnet, mit denen man ins Gespräch kommt. Dabei erscheinen am Rand des Bildschirms Sprechblasen mit Antworten, von denen aber die meisten nicht richtig sind. Oder soll man etwa auf „Do you want a single room?“ „ Do you want marry me?“ antworten? Leider ist die Grafik der Comiclandschaft oft verwirrend und man irrt stundenlang durch die City, während die Zeit weiter läuft.Als Extra findet man in der Packung einen Lageplan von MEAN CITY und ein Work Book, dessen Übungen sich auf die verschiedenen Abschnitte des Spiels beziehen.
Alles in allem ist MEAN CITY eher ein Adventure auf Englisch, als ein Lernspiel. Doch Leuten, die bereits Englisch können, macht das Spiel sicher viel Spaß.Die Abenteuer von Valdo und Marie
Produktion: Ubi Soft Entertainment 1999 - Vertrieb: HEUREKA-Klett Softwareverlag GmbH, Postfach 10 60 16, 70049 Stuttgart - MAC und Windows - DM 69,-
Auf ins 16. Jahrhundert, das Jahrhundert der Entdeckungen. Gemeinsam mit dem Jungen Valdo reisen wir mit einem Schiff nach Japan, um dort mit seinem Vater, einem Händler, Seide und andere Gegenstände aus seiner Heimat Portugal zu verkaufen. Auf der Sao Bartalomeu lernt Valdo das französische Mädchen Marie kennen. Doch auf der hohen See lauern Gefahren: Flauten, Stürme, Piraten... Gott sei Dank findet Valdo in Marie und dem Seemann Phillipe echte Freunde, mit denen er alle Gefahren überwinden kann. Neben dem Abenteuer, das zu bestehen ist, sind es vor allem die schönen Videoszenen, die das Spiel interessant machen. Gut gefallen hat mir auch, dass das Abenteuer von Valdo und Marie verschieden zu Ende gespielt werden kann. Außerdem fand ich prima, dass nicht alle Gegenstände, die man anklicken kann, Erfolg bringen. So zum Beispiel, sollte man es vermeiden, eine heilige Kuh in Indien anzuklicken bzw. zu berühren, denn das könnte leicht zum Ende des Spiels führen! Sechs Spiele, die der User zwischendurch bewältigen muss, bringen außerdem etwas Abwechslung in das Spiel: das Schiff durch den Atlantik steuern, eine Ganesha-Figur zusammensetzen, eine knifflige Fischfalle auslösen oder die Kiste des Samurais knacken. Da fängt der Kopf schon mal zu rauchen an. Im Beiheft wird der Spieleablauf erklärt und man bekommt einige Tipps zur Lösung der Aufgaben, allerdings in Spiegelschrift. Doch sollte man darauf nicht sofort zugreifen.
Auch in diesem Spiel ist es notwendig, Gegenstände einzusammeln, um weiterzukommen. Außerdem muß man immer wieder Aufgaben lösen, damit das Abenteuer nicht vorzeitig endet. So muss man zum Beispiel im Sturm sehr schnell einen Mann finden, der die Segel einholt oder in Indien einer Frau das richtige Schmuckstück geben. Gelingt das nicht, ist man mit seiner Mission gescheitert.
HEUREKA KLETT hat dieses Spiel für Kinder ab 9 Jahre ausgeschrieben. Da ich bereits 12 Jahre alt bin und bei manchen Spielszenen noch kleine Schwierigkeiten habe, denke ich, dass dieses Spiel eher für etwas ältere Kinder ist, vor allem wenn sie, wie ich, wenig Geduld aufbringen, etwas wieder und wieder zu versuchen.
Außerdem ist mir Valdo als Hauptperson des Spiels nicht sehr sympathisch. Marie als Hauptfigur hätte ich viel lieber. Trotzdem ist dieses Spiel insgesamt sehr gut!
Tilmann P. Gangloff: 25. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik
Die Dummen werden immer dümmer, die Klugen immer klüger: Auf diese ebenso schlichte wie besorgniserregende Formel lässt sich die so genannte Wissenskluft-Hypothese reduzieren. Technischer Fortschritt wird in den nächsten Jahren dazu führen, dass die Schere noch weiter auseinander klafft: Immer mehr Schulen setzen auf Bildung durch Technik. Nicht nur an den Projektschulen der Bertelsmann-Stiftung, auch an vielen anderen hat der Computer längst Einzug gehalten. In Bayern ist das Unterrichtsfach IT an weiterführenden Schulen Pflicht, in Baden-Württemberg theoretisch auch. Doch wenn die Schüler ihre Kenntnisse nicht zuhause am PC vertiefen können, wird vieles auf der Strecke bleiben. Ohnehin gelten zum Beispiel Hauptschulen schon jetzt als Verlierer des Fortschritts: Vielerorts sitzen in den Hauptschulklassen vor allem Kinder von Ausländern; da ihre Eltern nicht wahlberechtigt sind, engagiert sich die Politik prompt nur noch halbherzig. Fatal ist dies vor allem in Hinblick auf den Arbeitsmarkt der Zukunft. In spätestens dreißig Jahren, so führte Siemens-Manager Egon Hörbst, Dozent an der TU München, im Rahmen der 25. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik (Thema: "Technische Innovation = Bildungsfortschritt?") aus, werden 60 bis 70 Prozent der heutigen Arbeitsplätze ausgelagert sein.
Die "Telearbeit" werde die Gesellschaft genauso verändern wie die Erfindung des Rads. Auf die neuen Strukturen der Gesellschaft müsse das Bildungssystem daher vorbereitet sein; es dürfe nicht reagieren, sondern müsse diese Veränderungen antizipieren. Auf Seiten der Arbeitnehmer zum Beispiel setze Telearbeit natürlich neben Computerkenntnissen eine gewisse Selbstständigkeit voraus; wer die nicht mitbringe, so Hörbst, werde wohl auf der Strecke bleiben. Ohnehin prognostiziert der Mathematiker einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf sechs Millionen: "In Zukunft werden auch jene Arbeiten stark verändert, von denen man heute noch glaubt, sie könnten nur von einem Menschen durchgeführt werden." Gefährdet sind laut Hörbst zum Beispiel Ärzte, zumal komplizierte Operationen am Gehirn schon jetzt von Computern erledigt würden, aber auch Lehrer. Von diesem Berufsstand verlangt Hörbst, dass er endlich alle Vorbehalte gegenüber der Technik überwinden soll. Ohnehin erwartet die Wirtschaft eine stärkere Ausrichtung der Schulen auf gesellschaftliche Erfordernisse. Allein in München fehlen laut Hörbst 50.000 Fachkräfte in neuen Berufen wie Fachinformatiker, IT-Systemelektroniker oder Fachberater für verschiedenste IT-Bereiche.
Diese grundlegende Veränderung der Arbeitswelt, die sich gleichzeitig öffnen wie auch vernetzen wird, muss sich auch im Bildungssystem niederschlagen. Die Wirtschaft erwartet von den Schulen daher, dass Lehrpläne nicht nur abgearbeitet werden; wo immer der Einsatz des Computer sinnvoll erscheine, müsse er auch tatsächlich zum Einsatz kommen. Daher verstehe es sich von selbst, dass jeder Lehrer den Computer auch beherrsche. IT-Qualifikation, so Hörbst, "wird eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen qualifizierten Arbeitsplatz werden". Zweite Forderung: Die Schüler sollen mehr soziale Kompetenz mitbringen. Sie sollten sowohl im selbstständigen Arbeiten wie auch im "Teamwork" geübt sein; daher müsse in den Schulen verstärkt auf Gruppenarbeit und Projekte gesetzt werden. Das Ideal wäre also ein Zustand, wie er bereits jetzt an den Bertelsmann-Projektschulen herrscht: Die Schüler arbeiten in modellhaften Medienprojekten, und die Ergebnisse sind dank Intranet allen zugänglich. All dies ist zwar eine Frage des Geldes, aber machbar. Aus Sicht der Lehrer ist jedoch gerade die soziale Kompetenz vielleicht sogar das größere Problem: Bei vielen Schülern, so klagen die Lehrer, handele es sich um kleine Prinzen und Prinzessinnen, die sich um die Interessen der Gruppe wenig scherten, sondern in erster Linie an sich selbst dächten.
Die guten Absichten drohen also an der normativen Kraft des Faktischen zu scheitern, denn theoretisch würden wohl alle Lehrer unterstreichen, was sich die Medienschulen aus dem Bertelsmann-Projekt zum Ziel gesetzt haben: Hier will man erreichen, dass die Schüler möglichst effizient lernen und die Schule als mündige, gebildete Bürger verlassen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Doch welche Herausforderungen auch immer die Zukunft bringen wird: Zu den Bausteinen einer neuen Lehr- und Lernkultur wird ein deutlich stärker handlungsorientiertes Lernen gehören, mehr Lernen im Team, fächerübergreifende Projekte und mehr Selbstverantwortung sowohl für die Schülerinnen und Schüler wie auch für die Schule. Die Schüler/innen selbst sind übrigens schon deutlich weiter. In ihren Schulutopien fordern sie mehr Freizügigkeit beim Lehrstoff sowie selbstständiges Lernen am Computer, und zwar zuhause; in die Schule kommt man nur noch zum Diskutieren und für Gruppenarbeiten.
Beate Weyland: Eine noch junge Disziplin: Medienpädagogik in Italien
Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick zu geben über die aktuelle Entwicklung der Medienpädagogik in Italien und dabei die wichtigsten Vertreter dieser für uns neuen Disziplin ebenso vorzustellen wie die MED, Italiens erste Vereinigung für die Medienerziehung. Schließlich soll auch ein Bild der aktuellen epistemologischen Diskussion zur akademischen Anerkennung der Medienerziehung entworfen werden. Italien hat eine noch junge Geschichte im Bereich der Forschung und des pädagogischen Umgangs mit den Medien. Verglichen mit anderen Ländern fehlen hier systematische Überlegungen und aufeinander abgestimmte und belegte Methoden. Dennoch nimmt die Diskussion um das Verhältnis Medien und Erziehung heutzutage angesichts der Entwicklung neuer Technologien und der zunehmenden didaktischen und organisatorischen Autonomie der Schule immer mehr Raum ein.
Und auch im akademischen Bereich werden Vorschläge laut für Ausbildungsangebote und Masterkurse in Medienerziehung als Antwort auf einen immer größeren Argumentations- und Handlungsbedarf im Hinblick auf unser mediales Umfeld.Zum Begriff der Media EducationUnter ‚Medienpädagogik‘ verstehen die Italiener nicht dasselbe wie die Deutschen. Im deutschsprachigen Raum verbindet man damit alle theoretischen und praktischen Überlegungen zur Beziehung zwischen Mensch, Medien und Erziehung. In Italien ist diese wörtliche Zusammensetzung von Pädagogik und Medien nicht vorgesehen, obwohl sich verschiedene Pädagogen bereits seit der Erfindung des Kinos damit beschäftigt haben. Ein Grund hierfür liegt wohl darin, dass es der Pädagogik unter dem Einfluss von Giovanni Gentile nicht gelingen wollte, sich von der Philosophie als selbstständige Wissenschaft abzugrenzen, sondern deren Teildisziplin geblieben ist. Die epistemologische Frage an sich war schon ein großes Problem für die Pädagogen, umso weniger konnten sie sich also darauf einlassen, eine weitere Teildisziplin zu begründen...
( merz 2002/02, S. 111 - 117 )
Erwin Schaar: Exhibierte Trauer -
Nanni Moretti ist ein Regisseur, dessen Filme auch unmittelbar von ihm leben. Ein Autorenfilmer, der seine Person in die Handlung integriert, die also auch von seinen Gefühlen, von seinen Beobachtungen lebt. Als engagierter Linker hat er sich in seinen beiden Filmen "Caro diario" (1993) und "Aprile" (1998) mit seiner Heimatstadt Rom dezidiert politisch und sozial, aber auch sehr humorvoll auseinandergesetzt. Dabei nie auf seine ganz persönlichen Erfahrungen verzichtet. Morettis Filme drehen sich auch immer um Moretti. Sie sind visuelle Versuche, der eigenen Biografie nachzuforschen. Seine zudem vorhandene pädagogische Ader versucht er mit seinem Kino in Trastevere zu beweisen, in dem er die Filme zeigt und zeigen will, die er einer Vermittlung für wert befindet."La stanze del figlio" transportiert eine Idee von ihm, die er den Zuschauer zum Reflektieren anbieten möchte: "Es drängte mich dazu, vom Schmerz zu erzählen, den man bei Tod eines geliebten Menschen empfindet, die Verhaltensweisen auszuloten, mit denen die Angehörigen darauf reagieren.
Es war mir ein großes Anliegen, diesen Stoff zu inszenieren. Nie zuvor habe ich mich so intensiv mit den Gefühlen, die ein Film auslöst, identifiziert wie diesmal."Aus Glück wird SchmerzEine Stadt mit einem intimen Charakter, in der Einzelne noch wahrgenommen werden können; die Familie des Psychotherapeuten Giovanni mit Tochter und Sohn, beide fast erwachsen; die alltägliche Arbeit mit den Patienten, deren Nöte Giovanni zumindest anzuhören versucht; die Liebe Giovannis zu seiner Frau Paola; die sportlichen Betätigungen - Giovanni und sein Sohn Andrea beim Joggen, Andrea beim Tennisspiel, Tochter Irene beim Basketball; Paola als Bindeglied der Familie. Ein gemeinsamer Sonntag ist vorgesehen, aber Giovanni erfüllt den Wunsch eines leidenden Patienten, ihn unbedingt zu besuchen, und Andrea geht daher zum Tauchen. Das hätte alles Episode bleiben können. Doch Andrea verunglückt tödlich und das so homogene Zusammensein von Menschen wird beendet. Jeder sucht für sich den Verlust zu bewältigen. Giovanni, Paola, Irene haben die Koordinaten ihrer liebenden Geborgenheit verloren. Giovanni hat nun Schwierigkeiten, dem Patienten, der ihn gerufen hat, helfend gegenüberzutreten; hat nicht mehr die Konzentration, sich den alltäglichen Nöten anderer zu widmen und gibt vorerst seine Tätigkeit auf.
Noch einmal wird das Bild einer sich verstehenden und einträchtigen Familie angetönt, als die Urlaubsfreundin Andreas auftaucht - eine Erinnerung an die Zeit, als alle noch in der Einheit lebten. Vielleicht wird es wieder eine Art geregelten Zusammenlebens geben - es wird aber immer mit der Erinnerung an den Verlust verbunden sein.Ein Abschied für immerMorettis gefühlvolle Bilder und die Geborgenheit vermittelnder Schauspieler zeichnen eine in sich ruhende Familie, in der die Figur Andreas aber seltsam blass bleibt, nicht als starke Persönlichkeit gezeichnet wird. Es gibt keine Sentimentalitäten, die Räume der unaufdringlich dezent möblierten Wohnung vermitteln Wärme, sind aber in ihrer Zusammengehörigkeit schwer in den Filmbildern auszumachen. Eine dezente routinierte Hintergrundmusik von Nicola Piovani lässt Vertrauen fassen. Aber schon die Episoden mit den Patienten, die auf der Couch ihre psychischen Konflikte erzählen oder Giovanni gegenübersitzen und von zerstörerischen Wünschen berichten, verweisen auf eine nicht haltbare Präsenz des Glücklichseins.Dass geliebte Menschen verschwinden werden und diese Trennung endgültig sein wird, versucht der Regisseur Moretti mit den bildfüllenden Tätigkeiten des Verschweißens und Verschraubens des Sarges dann fast zu eindringlich zu beschwören.
Die wie handwerkliche Unterweisungen gefilmten Handgriffe werden im Zusammenhang mit der Geschichte zur Absage an jegliche religiöse Tröstung oder Hoffnung, die ein Priester mit platten Symbolismen zu vermitteln versucht.Das Zimmer meines SohnesEs mag dem Titelgeber der deutschen (untertitelten) Fassung sicher nicht von ungefähr eingefallen sein, das Posessivpronomen "mein" zu verwenden, das im Original nicht vorkommt. Morettis Präsenz als Schauspieler hat etwas Egomanisches an sich, so dass seine Figur ständig im Vordergrund des Geschehens steht, was die anderen Hauptfiguren einengt. Dadurch mag sich auch auf die Dauer des Films die Handlung zu sehr auf das Gefühlsleben Giovannis verlagern, was dem Film eine eher männliche Sichtweise gibt. Die wenig prägnannte Figur Andreas, dem zudem der Vater wenig Siegeswillen (beim Tennisspiel) unterstellt und der durch einen kleinen Diebstahl einen moralischen Flecken bekommt, lässt Moretti selbst zum Star des Films werden, ähnlich wie in Woody Allens Filmen auch dieser bei seinem Auftreten die Story prägnant in den Griff nimmt. Gelingt Allen durch sein komödiantisch geniales Talent eine Abstraktion seines Erzählens, d.h. der Zuseher wird zum Genuss von Allens Darstellung aufgefordert, erleben wir bei Moretti ganz die Einbindung auf seine außerfilmische Person.
Die Geschichte wird zum Träger der Emotionen der Starfigur Moretti, auf die er uns fixieren möchte. So als ob er diese Selbstverliebtheit durchaus selbst erkannt hätte, äußert er: "Eine weitere Neuerung besteht darin, dass die Person, zu denen Giovanni Beziehungen unterhält, diesmal nicht bloße Randfiguren sind, die um den Hauptcharakter kreisen. Meine Frau Paola, mein Sohn und meine Tochter sind hier absolut eigenständige Charaktere.""Das Zimmer meines Sohnes" wurde als "Bester Film" bei den Filfestspielen in Cannes 2001 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.Das Zimmer meines Sohnes(La stanza del figlio)Regie und Idee: Nanni MorettiBuch: Linda Ferri, Nanni Moretti, Heidrun SchleefKamera: Giuseppe LanciMusik: Nicola PiovaniDarsteller: Nanni Moretti, Laura Montes, Jasmin Trinca, Giuseppe SanfeliceProduktion: Italien (Sacher Film, Bac Film, Studio Canal) 2001Länge: 99 MinutenVerleih: Prokino Filmverleih
Tillmann P. Gangloff: Animation ohne Risiko
MangaismusRiesige Augen und kleine Stupsnäschen: So sehen Manga-Mädchen aus. Und weil die japanischen Comic-Verfilmungen (Kenner sprechen von "Anime") weltweit erfolgreich sind, wimmelt es in vielen neuen Serien von solchen Gesichtern. Das liegt zwar auch daran, ass japanische Firmen seit dem "Pokémon"-Boom ihre Archivware verkaufen können, doch einige der neuen Produktionen kommen aus Frankreich. Europäische Inhalte in fernöstlicher Form: Das kann durchaus reizvoll sein. Muss es auch, denn weitere Reize gab es auf den jüngsten Animationsmärkten Cartoon-Forum und Mipcom Junior kaum. Alles, was sich etablierte Produktionsfirmen an unkonventionellem Design derzeit zutrauen, wirkt wie eine späte Hommage an Klszky/ Szupo - und deren einst avantgardistischer Stil ("Rugrats") ist mittlerweile auch in die Jahre gekommen.Animation gilt nach wie vor als Schlüssel zu den Kinderquoten. Angeblich gibt es zwar einen Trend zu so genannten Live- Action-Programmen, doch davon war bei der Mipcom Junior in Cannes nicht viel zu sehen. Tapfer hat sich immerhin die Bavaria gegen den Trend gestemmt und die von ihren Töchtern Askania und Maran produzierten Langlaufserien "Schloss Einstein" und "Fabrixx" eingereicht.
Ansonsten aber konnte selbst der weltweite Erfolg der Kinder-Endzeit-Soap "The Tribe" (KI.KA) die Produzenten nicht ermutigen. Angesichts gestiegener Produktionskosten, gesunkener Lizenzpreise und anderer wirtschaftlicher Probleme scheuen sie ganz einfach das Risiko. Und weil das auch für den Animationsbereich gilt, war die durchschnittliche Qualität in Cannes handwerklich zwar hoch, künstlerisch jedoch eher enttäuschend.Das betrifft auch zwei Produktionen, die aber aufgrund ihrer bekanntn Vorlagen zumindest hierzulande trotzdem erfolgreich sein werden: "Timm Thaler", James Krüss' Geschichte des Jungen, der dem Teufel sein Lachen verkauft", und "Momo", Michael Endes Geschichte des Mädchens, das sich tapfer den Zeitdieben entgegenstellt. "Momo" - riesige Augen und stupsnase - ist eine der wenigen neuen Produktionen von EM.TV. Einzig interessant ist in beiden Fällen die düstere Welt der Bösewichte. Flash-AnimationGerade bei "Timm Thaler" spürt man die industrialisierte Animation: Mit ihren eckigen Bewegungen wanken die Figuren wie Roboter durch die Gegend. "Lebendig" ist ihnehin bloß der Vordergrund. Bestes Beispiel, das man sio oder ähnlich auch in vielen anderen Zeichentrickproduktionen finden könnte: Als Timm über einen Rummelplatz geht, bewegt sich außer ihm überhaupt nichts. So spart der Produzent (in diesem Fall CTM) zwar Geld, doch die Bilder wirken tot.Das ist der Nachteil der Computeranimation, es sei denn, man macht das Beste aus den beschränkten Möglichkeiten und setzt auf Flash-Animation.
Susanne Müller, Leiterin des Kinder- und Jugendprogramms beim ZDF, sieht darin eine der wenigen Innovationen beim Zeichentrick. Flash stammt aus dem Internet: Die Animation ist deutlich sparsamer, die Figuren bewegen sich weniger, die Hintergründe bleiben leer. Im ohnehin etwas trägeren Internet ist das durchaus sinnvoll. Gar pfiffige Produzenten versuchen nun, den umgekehrten Weg zu gehen und die Bilder oder zumindest die Machart von Internet ins Fernsehen zu transportieren.Das klappt natürlich nur, wenn der Animationsstil auch passt; wie zum Beispiel bei "2020" aus Spanien. Hier stammten die Figuren vom Fließband und unterscheiden sich nur durch Frisur und Kleidung; der Rest (Kopf, Bauch, Hände) besteht eigentlich bloß aus Kreisen. Die Serei spielt in einer "nahen Zukunft", in der es von Klonennur so wimmelt (im Fußballstadion spielen elf Maradonas gegen elf Ronaldos). "2020" richtet sich an ein Publikum im "Simpsons"-Alter und ist vom inhaltlichen Grundmuster her ähnlich. Eine Mittelschichtfamilie steht im Mittelpunkt. Mutter arbeitet bei einem TV-Sender. Vater testet synthetisch hergestellte Nahrung, zum Beispiel Eier in Würfelform. Eine ffröhliche Satire, die beweist: Wenn der Inhalt stimmt, ist das Design zweitrangig.Nicht minder schräg ist "da Möb", eine Produktion im Vertrieb der deutschen TV Loonland, die sich an Jugendliche richtet. ERwachsene werden sich schon allein wegen der Musik kaum mit en Burschen anfreunden, zumal zwei der drei Titeljungs (eine Hip-Hop-Band) aussehen, als wären sie aus der MTV-Serie "Beavies & Butt-head" übernommen worden.
"Da Möb" wird es allerdings schwer haben, denn für viele Kindersender dürfte die Serie ein zu 'altes' Publikum ansprechen.Eine neue ZielgruppeDie Produzenten haben eine neue Zielgruppe entdeckt: jugendliche Mädchen. Die typische Zielgruppe von Daily Soaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist seit Jahren im Zeichentrickbereich vernachlässigt worden. Produzenten erklärten dies mit dem Argument, in den Familien seien nun mal - ganz die Väter - die Jungs die Herren der Fernbedienung; deshalb gebe es kaum Trickserien mit weiblichen Hauptfiguren. Weil aber amerikanische Marktforscher herausgefunden haben, dass es allein in den USA 18 Millionen Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 19 Jahren gibt und die pro Jahr 67 Milliarden Dollar in die Geschäfte tragen, müssen Werbung treibende Fernsehsender diese Zielgruppe natürlich auch bedienen: mit Zeichentrickversionen von Mystery-Serien wie "Buffy" oder "Sabrina" oder der französischen Produktion "Totally Spies!". Im Mittelpunkt stehen drei High-School-Mädchen aus Beverly Hills, die regelmäßig brisante under-Cover-Aufträge übernehmen. Das Design dieser fröhlichen Variante von "Drei Engel für Charlie" ist zwr eher konventionell, doch die Mädchen haben es in sich: ewig lange Beine, große Augen, Stupsnase.
Tillmann P. Gangloff:Kindern Realitäten zeigen
Selbstherrliche TV-SenderJede Woche zeigen deutsche Fernsehsender weit über hundert Stunden Kinderprogramm. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Zeichentrick- Immerhin gibt es in der ARD, im ZDF oder im KI.KA aber auch diverse Informationssendungen. Doch das ist im Wesentlichen Infotainment in Schnipsellänge. Dokumentarisches Kinderfernsehen oder gar Dokumentarfilme für Kinder: Fehlanzeige. Die Kinder wollen das nicht shen, sagen die Sender. Woher sie das wissen?Die Kinder selbst sagen was ganz anderes. Im Gegensatz zu Tagungen, bei denen immer bloß über Kinder geredet wird, aber nie mit ihnen, kam bei einem europäischen Symposium in Köln auch dei Zielgruppe zu ihrem Auftritt. Unverblümt machte sie klar, dass sie vom Kinderfernsehen Informationen erwarten; auch über Tragödien wie die Anschläge in Amerika.Die Sender aber ignorieren die Bedürfnisse ihrer jungen Zuschauer. Eine Untersuchung der Dokumentarfilminitiative (dfi) im Filmbüro Nordrhein-Westfalen kommt zu dem Ergebnis: je älter die Zielgruppe, dest kürzer und komprimierter werden die Beiträge. Selbst die "Sendung mit der Maus" (WDR) leistet sich gelegentlich ein Dreißig-Minuten-Stück; ältere Kinder oder Jüngere Jugendliche dürfen bloß noch mit Infotainment-Schnipseln in Magazinen rechnen. Die Kinder in Köln waren zehn bis dreizehn Jahre alt, und sie wussten nicht nur, was Dokumentationen sind ("Wo man was über die Welt erfährt"), sie wollen sie auch sehen: in Form von Zeitgeschichte zum Beispiel. Und sie sollten natürlich aus Kindersicht gestaltet sein. Kinder müssten aber nicht vorkommen.
In Berichten über den Zweiten Weltkrieg oder den Kosovo zum Beispiel wollen die Kindernicht sehen, wie Kinder sterben.Es gibt VorbilderEine ganze Reihe der rund 120 Teilnehmer in Köln kam aus Skandinavien, Holland und Belgien; und da sieht wieles ganz anders aus. In Dänemark zum Beispiel müssen 25 Prozent der Filmfördermittel in Kinderfilme investiert werden; davon profitiert natürlcih auch der Dokumentarfilm. und in Holland gibt es einen jährlichen Drehbuchwettbewerb, "Kids & Docs". "Stimulierungsfond" heißt das dort: Schüler schreiben Entwürfe für Dokumentationen, Autoren arbeiten sie zu Treatments aus, die Sender sorgen für die Produktion und garanteren feste Sendeplätze. Das, forderte Petra Schmitz von der dfi, müsste doch auch in Deutschland möglich sein. DieDrehbuchwettbewerbe gibt es zwar, allerdings werden sie überwigend von privaten Initiativen getragen. Die Stiftung Goldener Spatz, Veranstalterin des gleichnaigen Kinderfilm- und Fernsehfestivals in Gera, oder Föderverein Deutscher Kinderfilm, so die Vorschläge, könnten den Wettbewerb koordinieren, ARD-Sender setzen um, KI.KA strahlt aus. Die Kultusministerin, die das Thema Medienkompetenz zuletzt vor allem auf die Eroberung des Internet reduzierten ("Schulen ans Netz"), könnten die Schirmherrschaft übernehmen.Die Kinder wären mit Sicherheit zu begeistern. Denn sie, weiß auch Antje Starost, "Sind nicht das Problem". Starost hat vor jahren den Film "Chaupi Mundi"gedreht, ohne Filmförderung, ohne Fernsehanstalt; produziert hat sie ebenfalls selbst und schliesslich sogar den Vertrieb übernommen. DEr Film, in dessen Mittelpunkt ein Mädchen in Ecuador und sein Schwein stehen, beschränkt sich zwar über lange Strecken auf die ausgiebige wortlose Dokumentierung einheimischr Arbeitstechniken, aber die Kinder mögen ihn offenbar trotzdem.
Der Film ist 1992 entstaden. Seither hat Starost nicht mehr für Kinder gearbeitet: Es erfordere einfach zu viel Energie, Fernsehen und Fördergremien zu überzeugen. Wie steht es mit der Förderung?Dabei warten die Förderer bloß auf entsprechende Anträge; zumindest beim Kuratorium junger deutscher Film, das ja zur Hälfte ausdrücklich der Förderung von Kinderfilmen gewidmet ist. Kuratoriumsmitglied Thomas Hailer wusste allerdings nur von zwei Prjekten zu berichten. Dafür brachte er drastisch auf den Punkt, warum sich so wenige Produzenten und Regisseure an Dokumentationen für Kinder trauen: Es stelle ja schon "ein unglaubliches Risiko" dar, einen Kinderfilm zu produzieren; für einen Dokumentarfilm für kinder aber müsse man "fast schon selbstmörderische Absichten haben".Obwol der Dokumentarfilm in Baden-Württemberg Tradition hat ("Stuttgarter Schule"), befinden sich unter den 160 Produktionen, die die dortige Medien- und Filmgesellschaft bislang gefördert hat, nur eine einzige Dokumentation, die sich auch an Kinder richtet. Förderer wie das Filmbüro NW (zu dem die dfi gehört) konzentrieren sich laut Satzung ohnehin auf kulturelle Filmförderung; Fernsehen ist da gar nicht vorgesehen.In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Ausgerechnet beim nicht-gewerblichen Filmverleih stand man den Dokumentationen lange Zeit selbst im Weg. Weil der Bundesverband Jugend und Film (BJF), so Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel, aus Gründen der Projektsqualität auf den Videoverleih verzichtet, ist die Nachfrage entsprechend gering: Die Mehrzahl der dokumentarischen Produktionen auf 16mm oder gar 35mm gibt es kaum. Schöffel kündigte an, der BJF werde in Zukunft stärker auf da Medium DVD setzen, was auch TV-Dokumentationen neue Chancen eröffnen könne.Gutgemeinte VorschlägeAus Sicht der Sender ist es ohnehin empfehlenswert, stärker mit den nicht-gewerblichen Verleihern zusammenzuarbeiten. Der BJF zum Beispiel möchte unbedingt die dänische Produktion "Aligermaas Abenteuer" von Andra Lasmanis (1998) nach Deutschland holen.
Das Porträt eines mongolischen Mädchens läuft in Skandinavien seit drei Jahren mit großem Erfolg. Vereine wie der BJF aber können es sich nicht leisten , dn Film auf eigene Kosten zu synchronisieren und Kopien ziehen zu lassen 8untertitelte Kopien sind bei Kindern kaum einsetzbar). Und da offenbar keiner der Fernsehsender ein Interesse an dem Film hat, werden ihn deutsche Kinder nie zu sehen bekommen. Für Produktionen mit Spielfilmlänge haben TV-Anstalten im Kinderprogramm keine Sendeplätze (KI.KA zeigt zwar jeden Sonntag zur Mittagszeit einen Märchenfilm, doch da werden in erster Linie die alten Defa-Bestände aufgebraucht).Wie wäre es denn, forderte man in Köln keck, wenn sich KI.KA und Arte zusammentäten? Beim Kinderkanal ärgert man sich schon seit Jahrn darüber, dass der Sender zur besten Kinderzeit gegen 19.00 Uhr dem deutsch-französischen Kulturprogramm weichen muss. Dabei wird Arte zumindest in Deutschland um diese Uhrzeit höchst wahrscheinlich kaum wahrgenommen. Ein gemeinsames Familienprogramm, auch mit dokumentarischen Formen für Kinder: könnte man doch mal drüber nachdenken! Wirtschaftlich ausgerichtete Förderungen wie etwa die Filmstiftung NRW lassen sich übrigens ohnehin nur in Aushnahmefällen auf dokumentarische Projekte für Kinder ein. Das müssen dann schon Produktionen wie die über 5 Millionen Mark teure, international koproduzierte WDR-Reihe "Fabeltiere" von Uwe Kersken, der früher viel fürss Kinder- und Schulfernsehen gedreht hat ("Delphingeschichten"), einmal in Fahrt war, brachteer gleich die ganze Misere auf den Punkt: Dokumentarische Formen existieren im Kinderfernsehen bloß noch als mgazin-Einspieler, die "finanziell und künstlerisch nicht mehr akzeptabel seien". Angesichts der niedirgen Budgets neigten manche Produzenten offenbar dazu, die Beiträge von Praktikanten realisieren zu lassen. Dabei seien doch Kinder viel kritischer als Erwachsene und hätten "die besten Filmemacher der Welt" verdient.
Christian Doelker: Wissensexplosion versus Erfahrungstransfer
Der Text geht auf ein Referat zurück, das der Autor im Juli 2001 bei der Gesamtschweizerischen Lehrerweiterbildung gehalten hat.Die Trennung von Erfahrung und WissenEin Zitat, das sich wie eine Klette an mein Bewusstsein gehängt hat, ist der folgende Satz des Psychiaters Ronald D. Laing: "Was die direkt von unserer eigenen Erfahrung abgeleiteten Erkenntnise und Vergegenwärtigungen betrifft, so weiß jeder von uns im Grunde nicht mehr - und möglicherweise erheblich weniger - als Männer und Frauen zu anderen Zeiten und anderen Orten"(Die Stimme der Erfahrung. Köln 1983 ).Hier ist für einmal von Erfahrung die Rede und nicht von Kenntnissen und Informationen.
Und je mehr das Schlagwort einer Informationsgesellschaft oder Wissensgesellschaft an Bedeutung gewinnt, je mehr Informationen und Wissen an Volumen (exponentiell) zunehmen, umso wichtiger scheint mir, zwischen den Begriffen Erfahrung und Wissen eine Unterscheidung zu treffen. Das heisst: Der Satz des amerikanischen Psychiaters kann dahin verstanden werden, dass derheutige Homo informaticus in seiner Aufnahmefähigkeit für Erfahrungen nicht viel anders organisiert ist als ein Mensch der Jäger- und Sammlergesellschaft (Altsteinzeit und Phase der Prähominiden) respektive der Agrargesellschaft (o Jungsteinzeit oder Mittelalter ist da gleichgültig). Aufnahmefähigkeit für Erfahrung meint somatische Speicherung, die Ablage also im eigenen personalen Gedächtnis, beziehungsweise im tradierten kollektiven Gedächtnis einer Kultur/ Ethnie/ Population. Erfahrung betrifft mithin "Erkenntnisse und Vergegenwärtigungen2, die zur Steuerung unseres Verhaltens und Handelns in komplexen Lernprozessen erworben worden sind...
( merz 2001/06, S. 395 - 400 )
Birgitte Tufte: Dänemark - Medien, Kindheit und Geschlecht
Vorgestellt wird das Fünf-Jahres-Projekt (1997-2002) "Alltag und Medienkultur von Jungen und Mädchen - im Spannungsfeld zwischen Globalität und Lokalität.""Ziel des Projekts ist die Untersuchung alltäglicher Nutzungsmuster im Kultur- und Medienbereich von Acht- bis 15-Jährigen in drei Gebieten Dänemarks. Kultur, Alltag und Medien sind dabei die zentralen Punkte, Geschlechts und Generation wichtige Variablen. Das Projekt hat einen kulturanalytischen Ansatz, der Zeichen, Symbole und Erzählungen zum Thema hat, die Kinder interessieren, um Bedeutung und Sinn in ihrem alltäglichen Leben aufzubauen.
Die Mediennutzung wird unter diesem Blickwinkel untersucht. Wir stützen uns damit auf verschiedene Traditionen, sind aber insebsondere von der Anthropologie (Hastrup 1998) und neueren Entwicklungen der Medienforschung, insbesondere der Medien-Ethnographie (Morley 1986, Lull 1988, Drotner 1994), beeinflusst.Fünf Wissenschaftler arbeiten an diesem Projekt. Vier von ihnen sammlen die empirischen Daten. Wir begannen damit, 120 Kinder in Vierergruppen in Schulen zu interviewen. Dann suchten wir 24 Kinder aus: acht aus jedem der drei Gebiete, darunter jeweils vier Acht- und vier 12-Jährige. Anfangs besuchten wir alle Kinder zweimal in ihren Familien, die wir in regelmäßigen Abständen kontaktierten. Im Frühjahr 2000 gingen wir noch einmal in die Schulen. Damit war die Zusammenstellung unseres empirischen Meterials abgeschlossen...
(merz 2001/05, S. 323 - 326)
Erwin Schaar: Unsicherheit bei den erzählerischen Mitteln
Die angebotene Auswahl bei einem Filmfestival ist so subjektiv wie die bei anderen Veranstaltungen. Da mischen das Lokalpatriotische mit und Interessen, die auf persönlichen Beziehungen beruhen. Das muss und kann gar nicht geändert werden, nur vergessen sollte man es nicht bei der Beurteilung.Wie die deutsche Reihe beim Filmfest München zustande kam, das entzieht sich meiner Kenntnis, aber es darf festgestellt werden, dass die Auswahl zumindest interessant war. Einen ernsten Einspruch würde ich nur bei Clemens Kubys Dokumentation „Unterwegs zur nächsten Dimension“ wagen, die uns esoterische und andere medizinische Gaukler in der ganzen Welt als höchst seriöse Vertreter einer ‘anderen Dimension’ vermitteln will. Soll denn die Volksverdummung wieder damit beginnen, dass man jetzt die manipulativen Tricks anderer Religionsgemeinschaften als die Erlösung feiert?Keine Propaganda für diesen Film, der wohl klammheimlich in die Auswahl rutschte.Zu viel ModischesDie gesehenen Filme Revue passieren lassen, nach acht Tagen Eintauchen in die schnellen Bilder, bedarf einer erhöhten Konzentration, weil zu viele der ‘jungen’ Filme noch nicht ihren Stil gefunden haben, die heute vielfältigen technischen Möglichkeiten zu deren üppigen Gebrauch verführen, und eine aggressive Schwenk- und Schnitttechnik analog der Videoclips eine Bilderflut erzeugt, was auf ein souveränes Aneignen modischer Vorbilder schließen lässt, aber wenig mit eigenen Bildfindungen zu tun hat. Die gegenwärtig keineswegs minimalen Finanzmittel der Förderinstitutionen der verschiedenen Bundesländer verführen junge Regisseure gar oft zu einem kaum überlegt sparsamen disziplinierten Filmen, was auch den Geschichten, die erzählt werden wollen, eine längere Präsenz im Gedächtnis des Zusehers verschaffen würde.
Aber auch die Unsicherheit im Aufbau von Szenen und im Führen von Schauspielern wird durch die Spot-Ästhetik weg’inszeniert’. In einem SZ-Interview (3. Juli 2001) meinte der Regisseur Hans-Christian Schmid („Nach fünf im Urwald“, „Crazy“): „Ich denke nicht, dass durch mehr finanzielle Förderung die besseren Filme entstehen...Bei den deutschen Filmschulen habe ich das Gefühl, dass eine Unsicherheit vorherrscht, was den Einsatz erzählerischer Mittel betrifft“.Ein etwas reduziertes WeltbildDie Filmgeschichten beginnen zwar immer wieder ganz originell, verlieren aber meist durch die Überfrachtung des Erzählflusses mit Details, die die Prägnanz der Personenentwicklung hemmen. Am Ende ist man dann doch etwas ratlos über den Versuch: was war nun wohl die Botschaft des jungen Filmemachers? Da die filmischen Personen mangels Inszenierungskraft die Aufmerksamkeit an ihnen erlahmen lassen, versucht man als Zuschauer sich an die Geschichte zu halten, die die zwei Stunden Filmzeit dann zu strukturieren hat bzw. hätte.Das kann man bei dem langen Erstlingsspielfilm „Nichts bereuen“ von Benjamin Quabeck genauso feststellen wie bei Christian Züberts „Lammbock“, Buket Alakus’ „Anam“ wie Simon Verhoevens „100 Pro“, aber auch bei Ralf Huettners „Mondscheintarif“, obwohl Huettner ein schon wesentlich länger gedienter Regisseur ist. Geschichten über Discos, schöne Mädchen, Rauschstimulantien, dazu viele erheiternde Dialoge bzw. Sprüche der schnoddrigen Art mögen einen jugendlichen Insiderkreis bei Laune halten, menschlich berühren sie kaum. Haben uns doch schon die unendlichen TV-Comedies den Nerv getötet. Mir wird in diesem Zusammenhang auch die oft von Vertretern der Jugendfilmarbeit geäußerte Meinung verständlich, ihre von ihnen betreuten Produkte könnten sich durchaus mit denen der Profis messen: eben, weil diese sich genauso noch in der Phase der Selbstfindung befinden, die ja nicht unbedingt der großen Öffentlichkeit bedarf, um zu reifen.KreisverkehrWie gesagt, Stories sollen über sich hinausweisen, wenn sie nicht zu Anekdoten verkommen, in Selbstverliebtheit verkümmern wollen. Was für ein bestimmtes Entwicklungsalter seine Bedeutung hat, das Lernen der Bildsprache, der Versuch der jugendlichen Selbstfindung, muss in einem Werk, das auch ohne intime Kenntnis des Autors seinen Weg machen muss, anders beurteilt werden.Da erzählt also „100 Pro“ den Versuch zweier Jungen, Mädchen zu imponieren, in eine In-Disco eigelassen zu werden, um am Ende ihre Jungenfreundschaft wieder zum Lebensmittelpunkt zu machen; in „Lammbock“ versorgt der illegale Anbau von Cannabis zwei junge Männer mit dem dringend benötigten Lebensunterhalt und die Story mit oft aufdringlichen Witzen; in „Mondscheintarif“ will ein Mädchen einen Typ für sich interessieren und gewinnen; und auch in „Nichts bereuen“ geht es um Beziehungen - ein Junge zwischen zwei jungen Frauen, wobei die eine eher die Mütterlichkeit, die andere die eher Extrovertierte verkörpert. Auch wenn der entscheidungsgeplagte 19jährige Daniel mit einer begrenzten Profession als Pfleger im Zivildienst zu kämpfen hat, ist dieses soziale Moment eher ein Zugeständnis an die Geschichte und kaum mehr als ein Sozialschlenker.
Aus dieser erzählerischen Rolle fällt sicher „Anam“ der in Istanbul geborenen Buket Alakus, die das Leben einer türkischen Familie in Deutschland mit den persönlichen und gesellschaftlichen Widrigkeiten schildert. Aber wenn das ethnische Moment nicht wäre, hätte die Erzählung wenig Eigenes und könnte den populärtheaterhaften Duktus kaum verbergen. Verkleidung in Türkisch, ein Lob nur dann, wenn den Zuseher der Vorwurf ‘Türkische Familie in Deutschland’ schon befriedigt.Wiener Prägnanz und deutscher BrechtEinem Film wurde etwas zu wenig Aufmerksamkeit zuteil, der eindeutig der profundeste war: „Lovely Rita“ der 1972 geborenen Wienerin Jessica Hausner, die sowohl für das Buch und die Regie verantwortlich zeichnet. Mit ihrem Kameramann Martin Gschlacht schildert sie das das Leben und ein Weltbild suchende 15jährige Mädchen, dem die Enge des Elternhauses, wo die formale Reglementierung von Handlungen Lebensinhalt ist, zu keiner Entfaltung verhilft. So sucht Rita Verständnis und Zuneigung bei dafür ungeeigneten Menschen, die ihre Suche nicht verstehen können oder wollen. Das Ergebnis könnte katastrophaler nicht sein.Eine morbide Atmosphäre, eine genaue Beobachtung der Menschen, das prägnante Timing der Schilderung, eine excellente Führung der Schauspieler, besonders der beeindruckenden Barbara Osika als Rita: fast hat es den Anschein, als ob die künstlerischen Voraussetzungen im Nachbarland Österreich andere wären. Oder ist es bei Hausner das Fehlen der männlichen Selbstverliebtheit, die die Stringenz einer so reichen Erzählweise befördern? Der Wiener Arnold Schönberg hat gesagt, dass der Künstler den Notschrei des Menschen in seinem Produkt verarbeite, das dann als Widerhall, eben als Kunst nach außen dringe. Das Verständnis nicht verweigern möchte ich auch dem Film „Boots“ des alten Fassbinderschauspielers Ulli Lommel, der die Geschichte eines deutschen Dirigenten erzählt, der seine geschiedene Frau und seinen Sohn in Los Angeles besucht, wo die beiden mit dem neuen Ehemann und Vater, einem rassistischen Richter, leben. Der Sohn, Neonazi und Judenhasser, muss seine jüdische Abstammung erfahren, der rassistische Siefvater wird mit dem ‘schwarzen’ Blut eines Vorfahren konfrontiert. Gewiss, sehr konstruiert, aber in Brechtscher Manier abgehandelt gewinnt dieser Independent-Film doch auch durch die eindringliche Darstellung des heute 57jährigen Lommel. Er zeigt auf eine einfache Weise, wie begründungslos Klischees zu lebensfeindlichem Verhalten führen.Von den genannten Filmen sind im Verleih: „100 Pro“ bei Zephir Film, „Lammbock“ und „Mondscheintarif“ bei Senator. Sie werden in der nächsten Zeit in die Kinos kommen.
Heike Babisch: Spannung geboten: CD-ROMs für Kinder
Wer kennt das nicht, man verfolgt gebannt einen Krimi im Fernsehen, versucht selbst die Beweise zusammenzufügen, um den Täter überführen zu können...? Zumindest den kleinen Detektiven kann jetzt geholfen werden. Eine ganze Reihe CD-ROM-Spiele bieten für jeden Geschmack und jedes Können spannende Kriminalfälle. Wer sich mit Detektivspielen noch nicht so gut auskennt, dem sei „Der kleine Vampir 2 – Der verschwundene Sarg“ empfohlen. Der kleine Vampir 2 – Der verschwundene Sarg. Ravensburger Interactive, Ravensburg 2001, Windows 95/ 98, Macintosh, EUR 25,00Toni hilft seinem Freund, dem kleinen Vampir Rüdiger, dessen Sarg wiederzufinden. Tante Dorothee hat den Sarg versteckt und nun ist es Rüdiger peinlich, vor den anderen Vampiren ohne seinen Sarg dazustehen. Der Spieler schlüpft in die Rolle Tonis und folgt den Spuren und Ratschlägen, die ihm Anna und Rüdiger geben. Kommt Toni mal nicht weiter, dann hilft ihm Rüdiger mit kleinen Tipps. Falls man dann immer noch nicht so recht weiß, wie man zu Rüdigers Sarg gelangt, gibt es konkretere Hinweise. Kein Detektiv wird scheitern. Zwischendurch laden eine Reihe kleiner Spiele zum Zeitvertreib ein. Manchmal muss man sich auch einen Weg über den Bach oder vorbei am Wachhund Attila suchen.
Dafür sind Merkfähigkeit und Geschicklichkeit gefragt. Auf Tonis Computer können sich die Spieler in den Ruhepausen schon einmal eine gute Verkleidung für den nächsten Fasching ansehen oder Grußkarten an Freunde schicken. Trotz der einfachen Grafik sind am Friedhof, bei Toni zu Hause, in der Burg oder bei Herrn Geiermeier immer wieder ein paar kleine Überraschungen eingebaut und laden zum Erkunden des Bildschirms ein: klickt man z. B. auf einen Grabstein, dann wird er in Sekundenschnelle mit Efeu überwuchert.Klar, dass Friedhöfe nicht jedermanns Sache sind. Wem sie zu gruselig sind und wer lieber im fernen Orient sein Kamel mit der Tastatur geschickt durch die Wüste lenkt, ist als Assistent von „Kommissar Kugelblitz 3 – Fall Wüstenkönig“ richtig aufgehoben. Kommissar Kugelblitz 3 – Der Fall Wüstenkönig. Terzio, München 2002, Windows 95/98, Macintosh, EUR 26,00Grafisch ist der Kommissar ähnlich wie „Der kleine Vampir 2“ gestaltet, doch wesentlich farbenfroher, da man sich bei strahlendem Sonnenschein am Rande einer Oase bewegt und nicht spät abends zwischen Friedhöfen und Burgkellern recherchiert.
Der Kommissar mit der gelbgetupften Krawatte muss für seinen Freund, den Sultan von Jamei, einen gestohlenen Dolch wiederfinden und den Dieb überführen. Dabei bestimmen die sechs- bis zehnjährigen Spieler selbst das Tempo des Spiels und können in aller Ruhe die verschiedenen Läden, den Garten und den Palast besichtigen. Natürlich hilft der Kommissar seinem Assistenten bei Bedarf auf die Sprünge. Die Schauplätze sind mit vielen Details ausgeschmückt und bieten vom Flaschengeist bis zur Schlange im Korb alle möglichen Entdeckungen an. Freche Spieler können den Kommissar auch mal anklicken: dann grummelt er entweder „stups mich nicht, ich muss mich konzentrieren“ oder „wenn du mich kitzelst, kann ich nicht nachdenken“. Will man zwischendurch eine Pause auf der Suche nach dem Dieb einlegen, dann empfiehlt sich das Café. Dort kann man an Spielautomaten ein „Servierspiel“ spielen, bei dem es auf Geschwindigkeit ankommt oder Teppiche nach Farben und Mustern kombinieren. Um in den Ermittlungen weiter zu kommen, muss man ähnlich dem Spiel „Der kleinen Vampir 2“ seine Fähigkeiten im Erkennen von Formen unter Beweis stellen und eine Kopie von Schriftzeichen anfertigen. Wie „Der kleine Vampir 2“ wird auch der Kommissar durch Mausklick bewegt und das fördert den Umgang sowohl mit der Maus als auch mit der Tastatur. Eigentlich schade, dass man nach dem Spiel die Lösung schon kennt und auf den nächsten Fall von Kommissar Kugelblitz warten muss.Sollte es tatsächlich Detektive geben, denen der Orient noch nicht sonnig und warm genug ist und die selbst ein Schilfboot bauen möchten, so empfiehlt sich eine Reise zu Sethi nach Ägypten. Sethi und das Geheimnis des Pharaos. United Soft Media, München 2002, Windows 95/ 98/2000, Windows ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Die Geschichte von „Sethi und das Geheimnis des Pharaos“ ist ähnlich spannend erzählt wie die der beiden zuvor beschriebenen. Um Ägypten vor einer Heuschreckenplage zu bewahren, muss Sethi die Krone, das Machtsymbol des Pharaos, finden und zu ihm zurückbringen.
Ein Vorteil gegenüber den anderen Spielen ist sicherlich, dass man am Anfang die Option hat, sich das Spiel und die Bewegung der Figur erklären zu lassen. Besonders für Kinder, die noch nicht so viele Erfahrungen im Krimispiel gesammelt haben, ist das eine Erleichterung. Sie müssen sich nicht von den Eltern die Bedienungsanweisung vorlesen lassen. Die komplizierten ägyptischen Namen der Götter, der Königin oder des bösen Priesters fordern von Anfang an die Merkfähigkeit der Sechsjährigen, doch keine Angst, man kann jederzeit mit einem Mausklick zu den Menschen zurückgehen und sie noch einmal befragen, falls man mal nicht ganz so konzentriert zugehört hat. Wunderschön ist, dass der Spieler mit Sethi unstrukturiert Orte besuchen und dort in aller Ruhe Hinweise entdecken kann, die im weiteren Spielverlauf nützlich sind. Am Ende müssen alle Symbole der Macht gefunden sein, doch eine feste Reihenfolge gibt es nicht. Dies ist allerdings die Schwierigkeit des Spiels. Zwischendurch erhält Sethi immer wieder neue Aufträge, die er ebenfalls auszuführen hat, will er dem Pharao auf der Suche helfen. Am Ende verliert vielleicht so mancher kleine Ägypter ein wenig den Überblick über das eigentliche Spielziel. Wie bei „Kommissar Kugelblitz 3“ und bei „Der kleine Vampir 2“ gibt es auch hier viele kleine versteckte Details in den einzelnen Bildern zu erkunden. Fährt man mit der Maus im Dorf über die Frau auf dem Dach, winkt sie und ruft „Hallo“, der Mann lässt die große Vase klirrend zu Boden fallen etc. Weiß man nicht weiter, so kann Sethis kleiner Freund Pepi an vielen Stellen einen guten Rat geben.
Insgesamt wird hier mehr eigenständiges Denken gefordert als bei „Kommissar Kugelblitz 3“ oder bei „Der kleine Vampir 2“, wobei manchmal die komplizierten Namen und am Ende der scheinbar endlose und nicht zu stoppende Abspann stören. Dafür ist das Erfolgserlebnis nach Lösung dieses komplizierten Falls umso größer. Das trifft bei dem Spiel mit der blonden Schönheit Barbie leider nicht zu.Barbie – Geheimagentin Barbie. Vivendi Universal Interactive, Langen 2002, Windows 95/98, Windows ME, EUR 25,60Schade, dass die Macher von „Barbie - Geheimagentin Barbie“ die Chance auf ein anspruchsvolles und spannendes Spiel rund um diese beliebte Puppe nicht genutzt haben. Bei einer Modenschau in New York wird die neue Kollektion von Barbies Freundin Teresa gestohlen. Darunter befindet sich ein Stoff, aus dem ein „Unsichtbarkeitsanzug“ hergestellt werden könnte, der seinen Träger eben unsichtbar macht. Man wird von Beckys nerviger Piepsstimme durch das Spiel gelotst. Der Spieler oder eher die Spielerin, da Jungen vergeblich nach einer Identifikationsperson suchen werden, muss nur den Wegen zur glitzernden Wolke folgen, sich an Wachmännern vorbeischleichen, über Dächer springen, etc. Nach Hinweisen suchen muss man nicht. Barbie findet eigentlich alles alleine. Die Spielerin darf zwischendurch nur ein paar Puzzle-Spiele lösen und das passende Outfit aussuchen. Auch echte Barbie-Liebhaber werden durch das ständige „Welches Outfit soll ich tragen?“ oder „Ich sollte mich umziehen!“ schnell genervt sein. Zwar ist das Spiel schon ab sechs Jahren, doch erfordert es eine recht genaue Handhabung der Tastatur.
Dies wiederum ist nicht einfach, da Barbie sich selbst nur ungenau lenken lässt. Dazu kommt die nötige Ausdauer sich durch ein Spiel zu spielen, dass eigentlich kaum mit neuen Überraschungen aufwartet und dem Spürsinn junger Detektivinnen keine Herausforderung bietet. Aus diesem „Stoff“ hätte mehr gemacht werden können als ein so eintöniges „Rumrennspiel“. „Rumrennen“ darf man dagegen bei den fünf Freunden eher wenig. Fünf Freunde – Geheime Mission M.A.G.–X.. Ravensburger Interactive, Ravensburg 2001, Windows 95/ 98/2000, Windows NT, EUR 25,00 Zwar ist die CD-ROM „Fünf Freunde – Geheime Mission M.A.G.-X“ (ab sieben Jahren) grafisch und inhaltlich eine Wohltat im Vergleich zu „Barbie“, doch auch hier kann leicht Langeweile aufkommen. Selbständiges Agieren ist nicht gefragt. In der Eingangsszene stürzt ein Flugzeug auf der Felseninsel ab. Bei ihrer Erkundung erfahren die fünf Freunde, dass der verletzte Pilot ein Geheimagent ist, dem sein wertvolles Funkgerät abhanden gekommen ist. Nun müssen die fünf Freunde dem verletzten Piloten auf der Suche nach dem Funkgerät helfen. Je nach Situation wählt der Computer aus, ob man sich als George oder Dick durch die Szene spielt. Schade ist, dass in jeder Szene jede Person immer etwas zu sagen hat. Oftmals sind die Kommentare wie „Ich bin schon ganz aufgeregt“ und „Los geht’s zum nächsten Abenteuer“ überflüssig und bringen das Spiel ins Stocken, da man immer warten muss, bis alle ausgesprochen haben. Selbst in spannenden Szenen stehen die fünf Detektive recht passiv und scheinbar unbeteiligt im Bild.
Anne neigt dazu, sich sehr häufig am Fuß zu kratzen, während Dick abwechselnd seine Hände in den Hosentaschen ruhen lässt oder sich am Kinn reibt. Befremdlich wirkt, dass man als Spieler als erster die Gruppe der Freunde verlässt, aber als letzter der Gruppe am neuen Ort des Geschehens ankommt. Da kommt trotz der genialen Grafik nicht richtig Spannung auf.Leider ist auch die Handhabung der Funktionen nicht einheitlich: mal muss man alles Werkzeug aus dem Rucksack nehmen, um es einsetzen zu können und mal kann man das Werkzeug schon im Rucksack benutzen. Der Spieler hat leider keine Möglichkeit, selbst die verschiedenen Orte des Geschehens zu untersuchen und zu erkunden. Sobald man die nähere Umgebung entdecken möchte, wird man von den Freunden zurückgehalten: „Oh nein George, so kommen wir aber nicht zum Strand“ oder „Dick, träum nicht, wir müssen jetzt los“. Die Bewegungsfreiheit und Entdeckerlust werden dadurch natürlich ganz schön eingeschränkt. Für jüngere Spieler hat dies aber den Vorteil, sie wissen, dass sie in der gezeigten Szene noch etwas zu erledigen haben und erst dann dem linearen Spielverlauf weiterfolgen können. Ein großes Plus des Spiels ist die Option, den gesprochenen Text am unteren Bildschirmrand anzuzeigen. Außerdem können durch die Zweisprachigkeit der CD-ROM erste Verständnisfertigkeiten für Englisch geübt werden.
Dem Spiel liegen viele gute Ideen zugrunde, unnötige Ungereimtheiten und die fehlende interaktive Erzählstruktur können einem jedoch leicht die Lust am Knobeln verderben.Ganz anders beim „Meisterdetektivpaket 2“: Hier sind gerade die nicht-lineare Erzählstruktur und die Knobelaufgaben für die Lösung des Falls wichtig. Das Meisterdetektivpaket 2 – Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis/Ein Fall für Mütze & Co – Entführung in Rosenburg. Tivola, Berlin 2001, Windows 3.x/95/98/ME/NT/2000/XP, Macintosh, EUR 20,40 Das Problem, wie ein Spieler mehrere Personen durch das Spiel führen kann ohne dass dabei langwierige Dialoge entstehen, wurde bei „Ein Fall für Mütze & Co – Entführung in Rosenburg“ und „Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis“ am besten gelöst. Bei beiden CD-ROMs kann man sich als Spieler einen der Detektive aussuchen und so z. B. bei „Ein Fall für Mütze & Co“ als Karin mit Hilfe der Maus die Leute befragen. Erhält man nicht die gewünschte Antwort oder ist der Meinung, die befragte Person könnte mehr wissen, dann schickt man einfach noch mal Billy oder Mütze dorthin, in der Hoffnung sie könnten mehr Indizien sammeln. Dadurch scheint sich zwar das Spiel in die Länge zu ziehen, aber man bekommt auch Lust, das Spiel nach Lösung des Falls gleich noch einmal zu spielen und zu testen, ob man nicht das nächste Mal schneller zum Ziel kommt. Bei „Ein Fall für Mütze & Co“ ist der Fall klar: Verbrecher haben Zak, Karins kleinen Hund, gestohlen und nun suchen Karin und ihre Freunde nach Spuren und Indizien, die sie zu den Tätern führen. Die Geschichte rund um „Ein Fall für TKKG“ ist etwas komplexer. Katja, eine Freundin von Tim, Karl, Klößchen und Gaby, ist verschwunden und nun müssen die Detektive scheinbar die ganze Stadt befragen, um Katja wiederzufinden. Doch wer glaubt, der Fall sei dann bereits gelöst, der irrt.
Denn plötzlich fehlt wieder jede Spur von dem Mädchen. Die Grafik ist wie bei den meisten Kinderspielen einfach, aber sehr übersichtlich gestaltet und besonders bei „Ein Fall für Mütze & Co“ gibt es wieder überall Möglichkeiten, Leute anzuklicken, die dann in der Nase bohren, einem die Zunge rausstrecken oder einem unerwartet vielleicht doch einen nützlichen Hinweis geben können. Bei „Ein Fall für TKKG – Katjas Geheimnis“ sind diese Möglichkeiten zwar ein wenig reduziert, doch verliert das Spiel dadurch nicht an Überraschungen und Spannung. Für achtjährige Detektive, die gerne in die Rolle anderer schlüpfen, sehr eigenständig ihre Umgebung entdecken wollen und noch dazu immer wissen, welche Frage sie ihren möglichen Zeugen stellen sollten, damit sie zur Lösung des Falls kommen, sind diese beiden Spiele eine spannende Herausforderung. Wer schon mehr Erfahrung in der Ermittlung von komplizierten Kriminalfällen hat, der sollte sich „Die Drei ??? – Gespensterjagd“ oder „Die Drei ??? – Alarm im Internet“ (ab zehn Jahren) zulegen. Die drei ??? – Gespensterjagd. United Soft Media, München 2001, Windows 95/98/2000/ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Die drei ??? – Alarm im Internet. United Soft Media, München 2001, Windows 95/98/2000/ME/XP, Macintosh, EUR 24,90Aber Vorsicht: hier sind wahre Experten gefragt. Bei der Gespensterjagd erhalten die drei Detektive Peter Shaw, Justus Jonas und Bob Andrews Kassetten mit seltsamen Nachrichten. Wer genau den Anweisungen folgt und keine der Zeichen, die in Rocky Beach überall versteckt sein können übersieht, kommt schließlich hinter den Fall und wird erfahren, wer das Gespenst ist. Ganz anders in „Alarm im Internet“: hier müssen die drei ??? eingreifen, nachdem ein Virus ihren Computer lahmgelegt hat und die Gefahr besteht, dass die ganze Stadt von einer Flutwelle heimgesucht wird, da der Erpresser alle Gewalt über sämtliche Computersysteme der Stadt hat. Der Spieler erhält auditive Hinweise über Telefon, durch Kassetten, die an verschiedenen Orten gefunden werden müssen oder durch Gespräche mit anderen.
Die kniffligen Denkaufgaben müssen aber fast ohne Hilfestellung gelöst werden. Als erfolgreicher Detektiv muss man sich also in Rocky Beach auskennen, gut kombinieren und beobachten können, denn sonst wird man womöglich vom Täter überlistet. Überall könnten Hinweise versteckt sein. Manche Entdeckung wird erst nach einem Weilchen zu einem wichtigen Indiz für die Überführung des Täters. Doch auch hier ist Vorsicht angesagt: nicht alles, was man anklicken oder kaufen kann, wird auch wirklich benötigt! Wirklich toll ist, dass man das gesamte Spielfeld erkunden kann und sich nicht an eine chronologische Reihenfolge zu halten hat. Nur, wer den Fall schnell lösen will, sollte sich überlegen wofür man wann einen Beweis braucht, aber wer will das schon. Es gibt so viele Möglichkeiten des Einkaufens, Entdeckens und Faulenzens. Wenn doch nur in Rocky Beach nicht so seltsame Dinge passieren würden....Erst die Kombination aus einer spannend erzählten Geschichte, sinnvoll eingesetzten interaktiven Elementen und einer ansprechenden grafischen Umsetzung machen einen Krimi zu einem faszinierenden Fall. Kinder werden sich spielend begeistern lassen und auch manche Eltern könnten so von der einen oder anderen CD-ROM an den PC gefesselt werden.
Michael Bloech: Heidi - Johanna Spyris Evergreen
Manche Filme haben es zunächst relativ leicht und dann doch unendlich schwer, so wohl auch der neue Versuch, Johanna Spyris weltberühmten Roman neu zu verfilmen. Im „Heidi-Jahr“ dürfte es angesichts des 100. Todestages der Schweizer Schriftstellerin für den renommierten eidgenössischen Filmemacher Markus Imboden relativ einfach gewesen sein, Fördermittel für die Produktion seines Films zu akquirieren. Schaut man ins Internet, dann finden sich prompt mannigfaltige Hinweise, dass die Schweizer Tourismusbranche zwar nicht direkt in Imbodens Film, aber dafür intensiv in das Gesamtprojekt „Heidi“ investiert hat: Unter www.myheidi.ch loggt man sich beispielsweise beim Tourismusverband Graubünden ein und kann sich über allerlei Touristisches im „Heidiland“ informieren. Nur sollte man es vermeiden, einfach nur den Begriff Heidi in Suchmaschinen einzugeben, weil man dann möglicherweise auf den Seiten eines weltbekannten Modells landet.Der filmische Heidi-KultWelche Großeltern oder Eltern erinnern sich nicht an Gustav Knuth mit seiner großartigen knorrigen Stimme in der Rolle des Alpöhis in einer mehr als populären deutsch-österreichischen Verfilmung von Werner Jacobs aus dem Jahr 1965. Die Verbreitung des Films erfolgte nach der erfolgreichen Kinoauswertung über das relativ neue Medium Fernsehen.
Der Film „Heidi“ wurde damit zu einem Sozialisationselement gleich mehrerer Generationen. Wobei er vor allem Mädchen und natürlich deren Eltern angesprochen hat. Der herzergreifende Film wurde zum Kultobjekt eines Massenpublikums im deutschsprachigen Raum und gleichzeitig zum Angriffspunkt der Filmkritik, die mit dem Begriff Kitsch den Heidi-Kult zu desavouieren versuchte. Dieser Kult ist aber nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern tatsächlich ein weltweites. Die ‘Globalisierung’ Heidis begann filmisch bereits 1920 in den USA mit einer Stummfilmproduktion und zieht sich heute bis nach Japan, wo Heidi-Zeichentrickserien im Fließbandverfahren produziert wurden und werden. Der erste der Heidi-Romane erschien 1880 und wurde in über 40 Sprachen mit einer Gesamtauflage von ebenso vielen Millionen übersetzt, und weltweit existieren über zehn Verfilmungen.Natur und EmanzipationAnkerpunkte des Erfolgs sind wohl hauptsächlich zum einen die Darstellung der Liebe zur Natur und zum anderen der Emanzipationsgedanke. Der modernen Technikgesellschaft mit all ihren bedrohlich wirkenden Veränderungen und Verunsicherungen wird die intakte Natur der Schweizer Bergwelt entgegengesetzt. Dieses Motiv besitzt auch nach 120 Jahren noch immer - unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt - Bedeutung.
Tschernobyl, BSE oder Aids bilden dabei die exponierten Schlaglichter, die eine Rückbesinnung auf eine unberührte Natur als Wunschgedanken fördern. Doch längst ist die Welt der Alpen von Autobahnen und Seilbahntrassen durchschnitten, BSE dringt selbst in die einsamsten Alpendörfer vor und der Fremdenverkehr ist zur Industrie mutiert. Und dann ist da noch der Emanzipationsgedanke, personifiziert durch ein Mädchen, das ihre psychische und auch existentielle Krise aus eigener Kraft überwindet. Motor in dieser Bewältigungsstrategie ist ihr ungebremster Optimismus, ihre absolute moralische Integrität und ihre Fähigkeit zur absoluten Liebe. Da es Heidi gelingt, das Herz ihres Großvaters durch ihre liebenswerte, unbekümmerte Art zu erweichen, löst sie auch ihre eigenen Probleme. Der Sprung in die JetztzeitAn diese ‘Ankerpunkte’ knüpft auch die Neuverfilmung an und versucht eine zeitgenössische Präsentation: Mountainbikes, SMS und E-mail werden von den Kids in dem Schweizer Bergdorf mit entwaffnender Selbstverständlichkeit genutzt. Schwer hat es daher der Film vor allem bei dem Publikum, die sich an das vermeintliche Original aus den 60er Jahren erinnert und die sanften Modernisierungen nicht verkraften oder akzeptieren will. Aber die Grundkonstellation ist selbstverständlich gleich geblieben: Heidi zieht nach dem Tod ihrer Mutter auf einen wildromantisch gelegenen Einödhof zu ihrem verbitterten, eigenbrötlerischen Großvater. Der ist nicht gerade begeistert, findet aber durch Heidi den Weg aus seiner Isolation. Doch das Glück währt nicht lange, denn die Tante holt das Mädchen zu sich in die hektische Großstadt. Dort ergeben sich massive Konflikte mit der von der Tante vernachlässigten Tochter, die eifersüchtig wird. Schließlich macht sich Heidi in einer Nacht heimlich auf den Weg zurück zu ihrem geliebten Großvater. ZwiespaltNatürlich sind die Berge beeindruckend, Heidi ist wirklich liebenswert, der Alpöhi störrisch und die Tante wunderbar modern, d.h. von Arbeitswelt und Familie überfordert. Alles funktioniert, dennoch hat es genau damit der Film nicht einfach. Zu sehr muss er mit den Klischees eines intakten Heimat- und Naturbegriffs kämpfen. Der Entwurf von Gegenwelten ist eben nicht unproblematisch, zumal er wie in diesem Fall rückwärtsgerichtet ist und sich die gewünschten Zustände wohl nicht mehr realisieren lassen.Imbodens Film behandelt natürlich auch das Hauptmotiv des Romans, das junge Mädchen, das aus eigener Kraft seine bedrückende Situation meistert. Hier wird deutlich, warum auch diese Neuverfilmung wohl Jungens nicht so gut gefallen wird: einmal geht es um ein starkes Mädchen, dessen Freund, der junge Peter, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Und dann wird wohl auch die immanente Technikangst die prämännlichen Phantasien einer perfekten modernen Gesellschaft etwas ins Wanken bringen. Schließlich ist da noch der emotionale Aspekt: in einer Zeit, in der es cool ist, als Mann oder Junge keinerlei Gefühlsregungen zu zeigen, kommen die Tränen, die auch diese Filmfassung beim Betrachten erzeugt, dieser Zielgruppe sicherlich nicht gelegen.
P.S.
Ein paar Surftipps mit Ernsthaftem und Kuriosem zur Autorin Johanna Spyri und deren Romanfigur Heidi:
www.graubuenden.ch/d/aktuell/heidi.php3
Alexander Fedorov: Russland - Von der Filmpädagogik zur Medienpädagogik
merz stellt seit der Nummer 1/2001 Beiträge von europäischen MedienpädagogInnen vor, die entweder die Situation in ihren Länder schildern oder über Projekte berichten, die eher singulären Charakter haben. Ohne Situation oder Projekte zu bewerten, möchte merz damit über den europäischen Stand der Medienpädagogik informieren.
(merz 2001-04, S. 256-261)
Beitrag aus Heft »2001/04: Medienutopien gestern und heute«
Autor:
Alexander Fedorov
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Erwin Schaar: Was ein Mensch wert ist...
„Beim black box-Problem geht es um die Erforschung der Verhaltenscharakteristika und der inneren Struktur eines Systems, dessen Eingangs- und Ausgangsgrößen beobachtbar sind“ ist im „Handbuch psychologischer Grundbegriffe“ (Theo Herrmann u.a., München 1977) nachzulesen. Der diplomierte Psychologe Andres Veiel, 1959 geboren, der mit den Dokumentarfilmen „Balagan“ (1993) und „Die Überlebenden“ (1995) reüssierte, hat sich also als Titel für seinen neuen Versuch der Wirklichkeitserforschung einen Begriff aus seinem Fachgebiet gewählt, der keine Lösung des vorgestellten Systems verspricht, es eher mit Bildern, Dialogen, Musik zur weiteren Bearbeitung vorstellt.1989 wird der Bankier Alfred Herrhausen, alleiniger Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank durch ein Attentat in seinem Auto getötet, für das die RAF die Verantwortung übernimmt. 1993 stirbt das RAF-Mitglied Wolfgang Grams im Bahnhof von Bad Kleinen. Wie, dafür gibt es zwei Versionen: die offizielle, die von Selbstmord spricht, und die von Grams’ Bruder, der im Film von einem gezielten Polizistenschuss in den Hinterkopf aus unmittelbarer Nähe berichtet. Aber dazu wird im Film nicht weiter Stellung genommen. Es beschleicht einen das Gefühl, dass die Tabuzone um die Auseinandersetzungen von RAF und Staat immer noch nicht ohne Sanktionen betreten werden darf, Bekennertum und Sympathiebekundungen die Sprache der Sympathisanten, Staatsräson die Sprache der Veröfffentlichungen und der Analysen lenken. Die Öffnung der Black Box wird noch hinausgeschoben, damit aus ihr nicht eine Büchse der Pandora wird. Dieses Verhalten oder Vorgehen scheinen alle politischen Systeme verinnerlicht zu haben - vielleicht dient es der sozialen Gesundheit, der Überlebensfähigkeit eines Sozialwesens.
Etwas bisher Unmögliches„Mir war klar, dass der Film damit etwas bisher Unmögliches versucht“ meinte Andres Veiel in einem Interview zu seiner Konzeption, die Leben eines Terroristen und eines Opfers zusammenzubringen. Wobei Grams keine Bezüge zum Attentat gegen Herrhausen unterstellt werden können.*
Beide sind Protagonisten eines historischen Segments der BRD. Beider Tod löst bei den Angehörigen immer noch Schmerz aus. Die Bezugspunkte des Zusehers erreicht der Film mit der verschachtelten Montage des Schicksals beider Menschen, er stimuliert Gefühle dafür oder dagegen - und das bei beiden Männern.
Der musisch veranlagte Wolfgang Grams, der zum gesuchten RAF-Terroristen wird und der alerte Karrieremann Alfred Herrhausen, der in seinen letzten Lebensjahren einen Kurs in der Deutschen Bank steuert, den sein geistlicher Freund im Film so kennzeichnet: Es kann nicht sein, dass wenige Profit aus der Armut der vielen ziehen. Woraus diese Einsicht resultierte? Herrhausen hatte jedenfalls diesen Kurs der gerechten Sache gegen den Widerstand des Managements eingeschlagen, ohne ihn lange verfolgen zu können. Und Grams kämpfte für die Gerechtigkeit in der Welt, gegen alle Mächtigen mit allen Mitteln und erlitt den Tod in frühen Jahren. Sollen wir damit eine Art Parallelität im Opfertod sehen? MontagenIn den abwechselnd montierten Viten werden wir von Angehörigen, Freunden, Kollegen mit Impressionen bedient, die manchmal sehr persönlich und sympathisch geraten, wie bei Traudl Herrhausen, der zweiten Frau des Bankers, deren Selbstverständnis vor der Kamera Vertrauen für diejeningen hinter der Kamera voraussetzt. Kühl und selbstgefällig, machmal kritisch distanziert die Kollegen von der Bank, Thomas R. Fischer, Vorstandsmitglied, Hilmar Kopper, Aufsichtsratsvorsitzender und Rolf E. Breuer, Vorstandssprecher. Zeitweise enervierend und kleinbürgerlich Mutter und Vater von Wolfgang Grams, wenn auch der Schmerz um den Verlust des Sohnes spürbar wird und ihr Stehen zu ihm für sie einnimmt. Erschreckend in ihrer steifen Konventionalität die Schweter von Herrhausen, politisch unbestimmt die ehemaligen Freunde von Wolfgang. Private Aufnahmen und Bilder der TV-Berichte über die Szene zeigen den weichen Habitus von Wolfgang Grams in seiner Jugend, die vornehme Lebensweise des den Reichtum genießenden Herrhausen, der in der NS-Eliteschule im oberbayerischen Herrsching seine Ausbildung erhielt (1930 geboren), eine schnelle Karriere bis an die Spitze schaffte, dann mit seiner Fürsprache für die 3. Welt für Irritationen im Gewerbe sorgte.Wenig Bilder über Grams, dessen soziale Empathie eher ohne Maß war und dessen Gesicht in seiner aussichtslosen Lage immer härter wurde.Die Zeit der Reife?
Die Sympathie des Films scheint eher Grams zu gehören, wenn ich denn richtig zugehört und zugesehen habe. Die musikalische Untermalung beider Porträts drückt bei den Sequenzen über Grams doch mehr das traurige Mitfühlen aus. Herrhausen wirkt immer steif und reich und vergnügungssüchtig, zumindest in frühen Jahren - ein seltsamer undefinierter Freund berichtet über Besuche einschlägiger Etablissements - und bringt dem Zuseher das Gefühl, als Auslöser für die Bewegung gedient zu haben. „Alfred Herrhausen war ein besonderes Hassobjekt, weil er sich aus Sicht der radikalen Linken eine scheinsoziale Maske aufsetzte“ (Veiel im schon erwähnten Interview in „Filmecho/ Filmwoche 19/2001).
Wann werden wir die Sprache und das Selbstverständnis gewinnen, diese Geschehnisse vorurteilslos zu analysieren - ohne Angst, ohne Beschuldigungen, ohne Angst vor Beschuldigungen? Nur zur Lösung dieser Frage kann der Film doch gemacht worden sein. Die Black Box muss also doch geöffnet werden. Der Lebenslauf von Grams scheint eher klar, gern mehr erfahren hätte ich über Alfred Herrhausen, denn er hatte die Macht in seinen Händen, einflussreiche Freunde und bestimmte mit in unserer Gesellschaft.
Fernand Jung: Religionen: Infotainment und echte Information
In einer zutiefst säkularen Welt hat das Interesse an religiösen Themen auf eine überraschende Weise zugenommen. Was auch immer die Gründe hierfür sein mögen, vor allem fernöstliche Heilslehren und nichtchristliche Weltreligionen erleben zur Zeit im Westen eine Konjunktur. Die Nachfrage nach anschaulichen Unterrichtsfilmen zu fremden Kulturen und Religionen hat in letzter Zeit zu einem gesteigerten Angebot bei evangelischen und katholischen Medienzentralen geführt, bei den Landesfilmdiensten und Bildstellen kursieren über 200 Filme mit religiöser Thematik. Auffallend bei den Neuzugängen ist der Trend zu Mehrteilern und Serien, die von Fernsehanstalten übernommen werden, was einerseits einen Mindestanspruch an Qualität garantiert, andererseits aber auch zu Visualisierungsformen führt, die zuweilen an die Grenzen des Erträglichen gehen. Als Beispiel für diese Art von Infotainment im konfessionellen TV könnte man die groß angelegte ZDF-Reihe „2000 Jahre Christentum“ anführen, szenische Dokumentationen im Stil von „Terra-X“, mit viel Aufwand und teils reißerisch inszeniert, hart an der Grenze zum religiösen Kitsch.
Eine der neuesten Produktionen dieser Serie ist Glut unter der Asche - Die Zukunft der Religion: Kreuzzug oder Dialog(Regie: Rob Hof - Produktion: Eikon/ ZDF 1999 - Länge: 45 Minuten - Verleih: Matthias-Film)
In ihr wird der Versuch unternommen, das widersprüchliche Bild Gottes im Christentum, Judentum und Islam zu untersuchen. Die Schauplätze wechseln so schnell wie die Themen. Von Jerusalem über Rom in die arabische Wüste, von einer türkischen Soziologin über Maya-Priester in Guatemala bis hin zu einem Vertreter der San Egidio-Gemeinde in New York. Im Mittelpunkt steht der lange Weg zur Religionsfreiheit und die Entwicklung von mehr Toleranz und Mitgefühl für andere, wobei die Vernichtungsfeldzüge unter dem Zeichen des Kreuzes und die Diskriminierung der indigenen Völker durch den Katholizismus nicht ausgespart werden. Diese Reportage von Rob Hof zeichnet sich durch Sorgfalt bei der Bildgestaltung und beim Schnitt aus und bietet eine Reihe von interessanten Diskussionsansätzen (etwa über den islamischen Fundamentalismus in der Türkei).
Geradezu als Antipode zu dieser neuen Art der Information mittels fernsehgerechter Reportageformen erscheint die Video-Edition, die beim Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) unter dem Serientitel Welten des Glaubens erschienen ist. Einzeltitel lauten:Animismus - Naturreligion in Australien / Judentum - Bar Mitzwah / Sikhismus - Der goldene Tempel / Hinduismus - Der Elefanten-Gott(Produktion: Channel Four, Großbritannien 1996 - Länge: je 15 Minuten - Verleih: Bildstellen)
Wie will man Schülern Einsichten in diese bei uns weitgehend unbekannten Religionen vermitteln, wie die komplizierten Zusammenhänge der ihr zugrunde liegenden Philosophien und Denkmuster veranschaulichen, wie lassen sich abstrakte religiöse Gedankengänge filmisch überhaupt darstellen? Erst einmal gar nicht, oder höchstens mit ebenso die Abstraktionsfähigkeit des Zuschauers beanspruchenden Mitteln. Um ein Beispiel zu geben: Den im Buddhismus zentralen Begriff der „Leerheit“ könnte man allegorisch und filmisch adäquat mit einer weißen Leinwand darstellen. Erklärt wäre damit der Begriff aber keinesfalls: Die Schüler hätten vermutlich nichts verstanden und der Lehrer könnte vermutlich nichts erläutern. Die Autoren haben also wieder einmal den bequemsten Weg gewählt, nämlich die Religionen auf Riten und Zeremonien zu reduzieren, die sich filmisch leicht und eindrucksvoll dokumentieren lassen, wählten als Darsteller Jugendliche, die bei der Feier eines populären Festes ihrer jeweiligen Religion in ihrem familiären Umfeld gezeigt werden: Das Fest zu Ehren des Guru Nanak für die Sikhs, das Ganesh-Fest zu Ehren des Gottes mit dem Elefantenkopf für die Hindus usw. „Alles Wissenswerte“ vermittelt der Kommentar. Damit läßt sich zwar keine Einsicht in das Wesen des Sikhismus oder Hinduismus gewinnen, etwas von der Vielfältigkeit der Religionen und von einem anderen Lebensverständnis vermitteln die Filme aber allemal.
Nach diesem Muster sind die meisten der im Angebot befindlichen Filme gestrickt, in ihrer stereotypen Machart austauschbar, kommentarlastig und mit einem Schuss Exotik. Welchen Nutzen diese Art von Unterrichtsfilmen haben mögen, liegt ganz bei den Nutzern und beim pädagogischen Geschick, damit umzugehen. Ohne das Ausgangsmaterial zu kennen, mag dieses Urteil ungerecht sein, handelt es sich doch um die Übernahme von Schulfernsehsendungen des renommierten britischen Senders Channel 4, die aber bei uns in der bearbeiteten Fassung des FWU vorliegen, jeweils auf handliche 15 Minuten gekürzt.Wie problematisch derartige Bearbeitungen sind, hat sich schon des öfteren gezeigt und lässt sich in diesem Zusammenhang an dem Film Wie eine Welle im Ozean(Regie: Wolfgang Bischoff - Produktion: Bayerischer Rundfunk 1995 - Länge: 19 Minuten - Verleih: Medienzentralen) überprüfen, in dem es um die zunehmende Verbreitung des Buddhismus in Deutschland geht. Die Dokumentation aus dem Jahr 1995 war durch ihre Verkürzungen der buddhistischen Methode bereits damals ein Ärgernis für deutsche Buddhisten. Nun liegt eine auf 19 Minuten gekürzte Fassung vor, die das Manko des Originals noch potenziert. Die Quintessenz (und Ratlosigkeit) des Films drückt sich jetzt in seinem Schlußsatz treffend aus: „Weit sind viele Wege zu einem Leben als Buddhist in Deutschland...“
Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein ProphetIslamische Kultur / Das Glaubensleben / Das Wort und das Gesetz / Kopftuch Glaube Politik / Der Prophet Mohammad / Eine Jugend in Kairo (Regie: Ulrich Baringhorst, Andreas Achenbach - Produktion: KAOS Film- und Videoteam Köln/ WDR 1996 - Länge: je 30 Minuten - Verleih: Medienzentralen)
Zum Thema Islam erschien 1996 eine sechs- teilige Reihe, die das KAOS Film- und Videoteam Köln für den WDR produzierte. Die einzelnen Folgen behandeln auf sehr disparate Weise die unterschiedlichsten Aspekte dieser Weltreligion mit fast einer Milliarde Anhänger. Auffallend lieblos gemacht erscheint „Eine Jugend in Kairo“. Zwei Schüler von islamischen Schulen stellen ziemlich teilnahmslos ihre Familienangehörigen vor. Empfehlenswert ist die Folge „Kopftuch Glaube Politik“, in der eine Auseinandersetzung über das Kopftuch einer Muslima in einer deutschen Schule zum Anlass genommen wird, dieses Symbol für die neue politische islamische Bewegung zu hinterfragen. Islamische Frauen in Istanbul äußern eine differenziertere Meinung zum Kopftuch als die progressive deutsche Lehrerin, die darin nur ein Symbol für die Unterdrückung der Frauen sieht.
„Das Wort und das Gesetz“ behandelt den Koran und die herausragende Bedeutung der Kalligraphie im Islam. Als Eingangssequenz dient hier wie in anderen Folgen auch die große Moschee in Dortmund, der eine Koranschule angegliedert ist. Junge deutsche Muslime geben Auskunft über ihre Religion. So erzählen sie in „Der Prophet Mohammad“ über ihren Religionsstifter, der den Monotheismus in der arabischen Welt begründete. Anschließend blendet der Film nach Istanbul, nach Mekka und zu anderen wichtigen Städten islamischer Kultur. Mit pausenlosem Kommentar versehen, sind Klammerteile aus anderen Filmen zusammenmontiert (die Kaaba in Mekka mit den sie umtobenden Pilgermassen ist ein beliebter Topos), alle möglichen Aspekte einer uns fremden Welt und eines anderen Denkens werden angeschnitten und der (unvorbereitete) Zuschauer bleibt ratlos zurück.
Eingängiger und vor allem filmisch fast allen vergleichbaren Materialien überlegen ist der Film „Mohammed - Die Stimme Gottes“ aus der dreiteiligen Reihe Himmel, Hölle und Nirvana Mohammed - Die Stimme Gottes / Jesus - Rebell oder Messias / Buddha - Der Weg der Erleuchtung (Regie: Sissy von Westphalen, Eike Schmitz, Jens-Peter Behrend, Ingom Hermann - Produktion: Atlantis Film für ZDF 1999 - Länge: je 44 Minuten - Vertrieb: Katholisches Filmwerk)Opulent bebildert gibt dieser Film einen hervorragenden Einblick in das Leben Mohammeds („Der Gepriesene“ lebte von 570 - 632 n. Chr.), ist historisch gründlich recherchiert und wartet mit einer Fülle von überraschenden Details auf, auch wenn die Kommentarlastigkeit ärgerlich ist. Jedenfalls wird der Siegeszug des Islam in der Dokumentation von Sissy von Westphalen und Eike Schmitz auch nachvollziehbar. Aus theologischer Sicht nicht unumstritten, ist er eine der ansprechendsten Produktionen zum Thema. Die beiden anderen Teile behandeln Jesus (Regie: Jens-Peter Behrend und Ingo Hermann) und Buddha, wobei der Filme zum Buddhismus einer der besseren ist, die für den Bildungsbereich angeboten werden. Die Reihe vereinigt alle eingangs erwähnten Vor- und Nachteile des modisch-religiösen TV-Infotainments. Die Spurensuche nach der historischen Figur Jesus etwa, der Christian Brückner als Kommentarsprecher sein Tremolo verleiht, und die stets verfremdeten szenischen Nachstellungen kann man leicht als religiösen Kitsch abtun. Zusammen mit dem vom ZDF-Redakteur Hans-Christian Huf herausgegebenen Begleitbuch „Himmel, Hölle und Nirvana“ (Bergisch-Gladbach 1999) sind die Filme, wenn auch nicht bequem, einsetzbar und empfehlenswert.Die Vermittlung von Religionen so bequem wie möglich zu machen, scheint sich die Bundeszentrale für politische Bildung vorgenommen zu haben. Mit Mini-Filmen aus der Serie „Apropos - Videos und Texte zur politischen Bildung“ werden die eher dürftigen Islam-Filme des KAOS Film- und Videoteams Köln noch einmal recycelt unter Titeln wie Der Prophet Mohammed, Der Koran, Fünf Säulen des Islam, Grundlagen des Islam, Kulturgeschichte des Islam, Orient (Länge: je 10 Minuten) usw. Für Pädagogen, die sich ernsthaft mit dem Islam auseinandersetzen wollen, sei hier der Zweiteiler IslamGlaubensgrundlagen / Religion und Gesellschaft (Regie: Gudrun Friedrich - Produktion: Bayerischer Rundfunk 1990 - Länge: je 30 Minuten - Vertrieb: Katholisches Filmwerk) empfohlen. Die Produktion des Bayerischen Rundfunks besteht aus zwei Filmen, die wegen der Informationsdichte allerdings kaum zur Grundinformation geeignet sind. Die Filme führen jedoch optimal in die Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum / Judentum ein und erläutern ausführlich die Unterschiede zum westlichen Gesellschaftssystem. Die Reihe legt einen Vergleich mit dem erwähnten Film „Mohammed - Die Stimme Gottes“ nahe. Während dort hervorgehoben wird, dass sich alle drei Religionen auf Abraham berufen und der Islam als ein naher Verwandter des Christentums dargestellt wird (was Mohammed immer wieder betont habe), stehen hier die Unterschiede mehr im Vordergrund. In beiden Filmen werden zudem die fünf Pflichten des Moslems (Glaubensbekenntnis zu Allah und seinem Propheten Mohammed, Ritualgebet, Fastengebot, Almosenabgabe für Bedürftige, Pilgerfahrt nach Mekka) ausführlich behandelt. Besonders interessant ist „Religion und Gesellschaft“, der fundiert Auskunft gibt über die Stellung der Frau im Islam, über die Tradition des Schleiers und die verschiedenen Formen der Scharia. Vor allem die politische Funktion des Islam wird eingängig behandelt: der Fanatismus der Fundamentalisten, das Scheitern der Revolution im Iran und die Ängste der westlichen Welt vor der Ausbreitung des Islam.Spurensuche - Die Weltreligionen auf dem WegStammesreligionen / Hinduismus / Chinesische Religion / Buddhismus / Judentum / Christentum / Islam(Regie: Hans Küng - Produktion: SWR/ DRS 1999 - Länge: je 60 Minuten - Vertrieb: Matthias-Film)Eine Sonderstellung in dem reichhaltigen Angebot nimmt die siebenteilige Reihe „Spurensuche“ ein, die vom SWR und dem Schweizerischen Fernsehen DRS produziert wurde. In ihr geht der bekannte Tübinger Theologe Hans Küng den Entwicklungen der verschiedenen Religionen nach auf der Suche nach einem „Weltethos“. Küng stellt das Friedenspotential, das in allen Religionen enthalten ist, und die sie verbindenden ethischen Grundsätze in den Vordergrund. Er unterscheidet bei den Leitfiguren der Weltreligionen zwischen den Mystikern (im Hinduismus, Buddhismus), den Weisen (im chinesischen Konfuzianismus und Taoismus) und den Propheten im Judentum, Christentum und Islam. Es überrascht nicht, dass der streitbare Katholik, dem Papst Johannes Paul II. die Lehrerlaubnis entzog, weil er von der „vollkommenen Wahrheit“ abgerückt sei, die Geltungsansprüche eines europäisch geprägten Christentums in Frage stellt. Gleichwohl sind Küngs Ausführungen bei allem Wohlwollen gegenüber den nichtchristlichen Religionen stark vom Christentum geprägt. Er brilliert mit Sachkenntnis, ohne überheblich zu wirken und seiner Argumentation ist gut zu folgen. Die einzelnen Filme setzen jedoch Vorwissen voraus. Als Diskussionsgrundlage zum einem Thema wie „Glauben und Toleranz in der postindustriellen Informationsgesellschaft“ wären sie unbedingt zu empfehlen. Diese Filme überragen inhaltlich wie formal alle anderen Angebote.Unabhängig von der Qualität der hier vorgestellten Filme bleibt die Frage offen, wie spirituelle Inhalte über Filme vermittelbar sind. Keine Frage, Filme können die abstraktesten Gedanken darstellen, aber für eine Stoff-Bewältigung sind sie wenig geeignet. Vielleicht liegt die Lösung im umgekehrten Weg: Von profanen Spielfilmen ausgehend religiöse Inhalte zu erkunden. Die beste Anleitung auf diesem Weg bietet das Handbuch „Spuren des Religiösen im Film. Meilensteine aus 100 Jahren Filmgeschichte“, herausgegeben von Peter Hasenberg, Wolfgang Luley und Charles Martig im Auftrag der Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz Bonn und des Katholischen Mediendienstes Zürich. Der Band erschien 1995 im Matthias Grünewald Verlag Mainz.
Christina Oberst-Hundt: Rechtsextremismus und rechtsradikale Gewalt im Fernsehen
Menschen werden zu Tode getreten, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben, misshandelt, weil sie behindert oder nicht sesshaft sind, in ihren Unterkünften verbrannt, weil sie Asyl suchen, jüdische Friedhöfe geschändet, Synagogen beschädigt - aus Hass auf alles vermeintlich Fremde. Rechtradikale Straftaten haben, so der jüngste Verfassungsschutz-Bericht, deutlich zugenommen. Mehr als 11 000 waren es im vergangenen Jahr.Dass das Fernsehen über all dies informieren muss, auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit Täter bestätigt, Nachahmer anregt, darüber waren sich die Medienfachleute, die zu den 20. Tutzinger Medientagen zum Thema „Rechtsextremismus – Wie reagiert das Fernsehen?“ geladen waren, bald einig. Schwieriger war es, Antworten auf die Frage nach dem angemessenen medialen Umgang zu finden. Ist das, was das Medium bisher leistet, ausreichend? Was fehlt, was muss anders gemacht werden?
Sebnitz – vom „Aufmacher der Anständigen“ zum „Medien-GAU“Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler und DJV-Vorsitzende Siegfried Weischenberg stellte die Berichterstattung über den „Fall Joseph“ in den Mittelpunkt seines Referats über „Konstruktionen der Medien zum Thema ‘Rechte Gewalt’“. Nicht die Absicht, das Sommerloch mit spektakulärer Berichterstattung zu füllen, sei der Grund für den „Medien-GAU“ Sebnitz gewesen, sondern eine deutliche Sensibilisierung gegenüber rechter Gewalt, hervorgerufen durch „eine intensive öffentliche Diskussion“, die nach dem Düsseldorfer Bombenanschlag Ende Juli eingesetzt und Zeitungen wie SZ, FR, taz veranlasst hatte, „das Thema nicht von der Tagesordnung verschwinden zu lassen“. Als dann am 23. November BILD mit der Schlagzeile „Neonazis ertränken Kind – Und eine ganze Stadt hat es totgeschwiegen“ aufmachte, hatte das Blatt, so der „Spiegel“, den „Aufmacher der Anständigen“ geliefert und seriöse Zeitungen, die ebenfalls an dem Thema dran waren, ermutigt, mit eigenen Beiträgen nachzuziehen. Sebnitz bot „für die Berichterstattung über rechte Gewalt ein verführerisch perfektes Szenario“, das sich durch die Mithilfe von Josephs Eltern, Ermittlungsbehörden und Politik „in eine scheinbar unwiderlegbare Medienkonstruktion umsetzen ließ“.
Ein Journalismus, „der es gut meint“, dabei aber berufliche Regeln missachtet und Vermutungen zu Fakten macht, führt, so Weischenberg, „direkt zum ‘GAU Sebnitz’“.Hintergrund und Opferperspektive - FehlanzeigeUnd wie sieht die vertiefende Hintergrundinformation, wie sie längere Fernseh-Features, Reportagen und Dokumentationen vermitteln, aus? WDR-Redakteur Wolfgang Kapust hat die Programme von ARD, ZDF, RTL und SAT 1 nach Sendungen zum Thema Rechtsextremismus durchforstet. Das Ergebnis: elf Beiträge in der ARD, einer im ZDF, nichts bei den Privaten! Eine Fülle von Argumenten und Bildern, wichtigen Informationen, engagierten Positionen gab es, die Konfrontationen mit Neonazis und Skinheads, die Darstellung rechtsextremer Gewalttaten, zumeist unterlegt mit dramatisierender Musik, standen allerdings im Vordergrund. Fragen nach Hintergründen und Ursachen oder Versuche historischer Aufarbeitung waren selten. Informationen über die „Neue Rechte“ und deren Medien zum Beispiel, oder über das internationale Netzwerk des Rechtsextremismus waren nicht zu finden, ebenso wenig wie Aufklärung über Antisemitismus oder Begründungen für ein NPD-Verbot. Beiträge, die sich die Opferperspektive zu eigen machten, fehlten ganz. Insgesamt zwar eine „Fülle von Aspekten und Perspektiven zum Rechtsextremismus“, so Kapusts Fazit, ein „systematisches Konzept“ sei jedoch „nicht erkennbar“ gewesen.
„Appellhaftes Unruhe-Verbreiten“ statt vertiefender Hintergrundinformation, das war die Kritik, die einer ARD-Schwerpunktsendung von BR und MDR zuteil wurde. Und dann immer wieder diese Aufmärsche glatzköpfiger junger Männer in Springerstiefeln und Bomberjacken! Gibt es, angesichts dieser martialischen Bildsprache so etwas wie eine „ästhetische Komplizenschaft“? Wird Rechtsradikalismus gar zum Jugendkult hochstilisiert?
Auf das grundsätzliche Problem, dass junge Leute, die in die rechte Szene abzudriften drohen, mit noch so qualifizierten Sendungen kaum erreicht werden, weil sie öffentlich-rechtliche Programme meiden, wies NDR-Chefredakteur Volker Herres hin. Mit Spots gegen Hass und Gewalt?
Wie aber Kinder und Jugendliche, so Wirkungsforscher Jürgen Grimm, „gegen Fremdenfeindlichkeit immunisieren“, wie sie „aktiv gegen Rechts“ machen? Können das pointierte Fernsehspots, wie sie von verschiedenen Sendern bereits ausgestrahlt werden, eher bewirken als die nur von Interessierten genutzten Hintergrundsendungen? Der ORB hat unter dem Motto „Ein Land für alle – Zuhause in Brandenburg“ „Leute von unten“ - ehrenamtliche Bürgermeister, Pfarrer oder Sportler – in landschaftlich schöner Kulisse vor die Kamera gestellt. Sie sollten, so Redakteur Bösenberg, „zum Thema authentisch etwas sagen“. Ob aber eine Mobilisierung gegen Fremdenfeindlichkeit erreicht wird, wenn die Vorteile multikulturellen Zusammenlebens nur verbal thematisiert, nicht aber auch in den Bildern sinnlich manifest vermittelt werden?SAT 1 veranstaltet einen Schülerwettbewerb, dessen beste Spots ausgestrahlt werden. 120 Gruppen haben sich bereits angemeldet. Motto: „Zeigt Mut!“Der Verband „eys&ears“ hat eine Reihe unterschiedlicher Spots produziert, die allen interessierten Sendern zur Verfügung gestellt werden. Am besten kam ein humoriger Spot an: Rechtsradikale als Randgruppe, die es schwer hat! Da standen dann zum Schluss zwei dieser bemitleidenswerten Figuren mit zum Hitlergruss erstarrten Armen - als Halterung für eine Wäscheleine! Aber ausgerechnet die von Jugendlichen genutzten Musiksender Viva und MTV haben es bisher abgelehnt, solche Spots auszustrahlen oder herzustellen.
Neonazis, Skins und alte Kameraden in unserer GesellschaftAuch die fiktionalen Programme nehmen sich verstärkt des Themas an. Seit 1992/93 wird Rechtsradikalismus, so der Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier, zunehmend in deutschen Fernsehfilmen und Serien, vor allem im Krimi, thematisiert. Gängige Stereotype sind der fanatische Einzelkämpfer, die Kameradschaft, der Verräter, der aus der Gruppe auszubrechen versucht, und der machtbesessene skrupellose Anführer und ideologische Drahtzieher (Beispiel: Günther Maria Halmer in „Tödliche Wahl“, ZDF 1995).
Ausländer, Asylsuchende oder Deutsche ausländischer Herkunft kommen dagegen „selten aus der Opferrolle heraus“. Gegenspieler sind die Aufklärer, im Krimi also vor allem die vielen Kommissare und Kommissarinnen. Das Thema Rechtsradikalismus wird oft benutzt, um „exzessive Bildspektakel herzustellen, die der Reizverstärkung dienen. Der Übergang zum Actionfilm und Thriller verschwimmt“. Eine Auseinandersetzung mit der rechten Ideologie kommt dabei in der Regel zu kurz. Auf der Strecke bleiben die Nähe zur Alltagsrealität und damit auch eine auf Veränderung zielende Wirkung. Rechtsradikalismus wird so entschärft und verharmlost.„Sensationalisierung“, so Hickethier, hebe die Darstellung „in den Bereich des Unwirklichen, Phantastischen“. „Normalisierung“ mache rechtsradikale Gewalttaten zum Bestandteil des alltäglichen „Lebens in der heutigen Risikogesellschaft“ wie in der SAT 1-Serie „Auf alle Fälle Stefanie“, wo ein brutaler Skin-Überfall lediglich Aufhänger ist, um die psychische Situation einer jungen Frau, die nach der ihr zugefügten lebensgefährlichen Verletzung ihre Karriere als Tänzerin beenden muss, auszumalen. Rechtsradikalismus als hinzunehmende Alltagsrealität unserer Gesellschaft!Antifaschismus und Antirassismus als KonzeptNie wieder Faschismus! Das war die Losung, die nach 1945 Pate Stand bei der Konstituierung eines demokratischen Rundfunks. Sie findet sich in modifizierter Form in allen Landesrundfunkgesetzen.
Es wird Zeit, dass der Rundfunk sich dieses Auftrags wieder stärker besinnt. Dafür sind Konzepte erforderlich, die Rechtsextremismus und seine vielfältigen Erscheinungsformen, seine Geschichte, seine Ideologie und seine Politik in den Blick nehmen, dokumentieren, analysieren und auch in Fiktionssendungen adäquat umsetzen. Beispiele gibt es. Das von der BR-Redakteurin Hildegard Hartmann vorgestellte Magazin „Frauensache“ zeigte, dass Skin-Girls und rechte Frauen in der Szene „auf dem Vormarsch“ sind, als politische Agitatorinnen, als „Drahtzieherinnen im Hintergrund“, als „Rädelsführerinen“ und auch als „Schlägerinnen“. Ergänzt wurde das durch ein kundiges Interview mit Franziska Hundseder, die schlüssig aufzeigte, dass Rechtsextremismus nicht am unteren sozialen Rand unserer Gesellschaft angesiedelt ist, sondern aus ihrer Mitte heraus agiert.Die immer wieder spektakulär ins Bild gesetzten Skin-Aufmärsche dokumentieren nicht nur eine reduzierte Wahrheit, sie suggerieren auch, Rechtradikalismus sei vorrangig ein Problem des Ostens. Sebnitz konnte wohl auch deshalb zum Medien-GAU werden. Es fragt sich, ob so unkritisch berichtet worden wäre, wenn Sebnitz irgendwo im Westen läge.Medien sind keine Reparaturbetriebe!
Es sind nicht allein die Medien, deren Aufgabe die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wäre. Sie können nicht „die Reparaturbetriebe einer Gesellschaft sein“ (Weischenberg). Wenn „Äußerungen im Parlament eine dumpfe Ausländerfeindlichkeit bedienen“, wenn ausländischen Menschen die „Anerkennung als gleichberechtigte Mitbürgerinnen und Mitbürger“ versagt wird, wenn Nationalstolz-Debatten die politische Diskussion beherrschen, wenn Gerichte Prozesse hinauszögern und rechtsradikale Straftaten nicht als solche zu erkennen vermögen, wenn Finanzämter rechtsradikalen Organisationen steuerbegünstigte Förderung zuteil werden lassen, dann sind Politik, Justiz und Verwaltung gefordert. Das Medium Fernsehen kann solche Prozesse begleiten und eigene Schwerpunkte setzen. Es kann und muss über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufklären und Gegenbilder entwerfen. Der WDR hat seit Januar eine „Beauftragte für multikulturelle Vielfalt im Programm“. Das Beispiel sollte Schule machen.
Beitrag aus Heft »2001/03: Wahrnehmung Ästhetik Pädagogik«
Autor:
Christina Oberst-Hundt
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Fernand Jung: CD-ROMs zum Nachschlagen und Spielen
Eine zentrale nationale Kinemathek, wie sie in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, gibt es in Deutschland nicht (wegen der Kulturhoheit der Länder), und so kam es in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu unkoordinierten regionalen Aktivitäten, um den Bestand der Filmkultur wenigstens in Teilaspekten aufzuarbeiten. Nach vielem Hin und Her gibt es seit einigen Jahren den Kinematheksverbund, der eine zentrale filmhistorische Arbeit ermöglicht und die filmkulturelle Tradition lebendig halten soll. Dazu gehören die Sammlung und Sicherung der deutschen Filmproduktion von den Anfängen bis zur Gegenwart, ferner die Restaurierung alter Kopien, die Veröffentlichung von Untersuchungen, die Veranstaltung von Retros u.a.m. Diese Aufgaben teilen sich nun die im Kinematheksverbund zusammengeschlossenen drei größten Filmarchive in Deutschland, das Bundesarchiv in Koblenz, das Deutsche Filminstitut in Frankfurt und das Deutsche Filmmuseum in Berlin – eine Reihe weiterer filmwissenschaftlicher Institutionen sind dem Verbund angeschlossen. Ein erstes Ergebnis dieser Gemeinschaftsarbeit ist die vorliegende CD-ROM, die sich in zwei Abschnitte teilt: Die „Top 100“ und die „Deutsche Filmografie“.1995 führte der Verbund unter Filmhistorikern und Journalisten eine Umfrage nach den „100 wichtigsten deutschen Filmen“ durch, um diese zu dokumentieren, die Kopien archivarisch zu sichern und sie für den nicht-kommerziellen Bereich verfügbar zu machen. Letzteres ist erst bedingt der Fall, aber die auf der CD-ROM versammelten Informationen zu den 100 „wichtigsten“ deutschen Filmen lassen keine Wünsche offen. Ein schier unerschöpflicher Materialfundus aus filmografischen Angaben, Inhaltsangaben und Kritiken, Abbildungen (bis zu 30 je Film) und Filmausschnitten, der dank der hier angewandten Technik leicht zu handhaben ist. Man braucht auch keine Angst zu haben, sich in den Datenmengen zu verlieren.
Die „Deutsche Filmografie“, das Ergebnis einer gesonderten Arbeitsgruppe im Kinematheksverbund, enthält die Grunddaten „aller“ Spielfilme, die zwischen 1895 und 1998 in Deutschland produziert oder mit deutscher Beteiligung koproduziert wurden. „Koproduziert“ wird dabei großzügig ausgelegt und so nimmt der Anteil von Filmen, die man keineswegs als „deutsche“ Produktionen einordnen würde, zuweilen groteske Ausmaße an. „The more the better“ scheint hier die Devise zu sein. Insgesamt sind 17 905 Titel nunmehr recherchierbar, wenn auch nur mit den notwendigsten filmografischen Angaben. Eine ähnlich aufgebaute Datei der deutschen Dokumentar- und Kurzfilme (und experimentellen Filme?) ist in Arbeit.
Für beide Verzeichnisse gilt: Die technischen Daten, die Schreibweise von Namen und Titeln, alles ist ‘astrein’ – man merkt, dass Fachleute zu Gange waren. An Details herumzumäkeln, erscheint bei der Materialfülle schon fast kleinlich oder wie Beckmesserei. Ein Desiderat bleibt doch: Dass alle Filme der Deutschen Filmografie mit derselben Ausführlichkeit dokumentiert werden wie das bei den „Top 100“ der Fall ist. Zu krass erscheinen im Moment die etwas mickrigen Grunddaten im Vergleich zu den opulenten Dokumentationen der Top 100. Jedenfalls ist die Deutsche Filmografie ein Projekt, dem man eine Zukunft wünscht, auch weil es vielfach ausbaufähig ist und von seinen Mitarbeitern offenbar ernst genommen wird.
Reinhard Kleber: Auseinandersetzung um Entscheidungen
Jedes zweite Jahr lockt das Festival „Goldener Spatz“ Jung und Alt nach Thüringen. Neben 60 Beiträgen in sieben Wettbewerbskategorien bot das größte deutsche Kinderfilm- und -fernsehfestival in diesem Frühjahr etliche Informationsreihen, Retrospektiven und Diskussionsrunden sowie einen Filmmarkt. Es kamen rund 10.000 kleine und große Zuschauer zum Festival, das erstmals einen Web-Spatz für die beste film- und fernsehbezogene Web-Page vergab.
Zeitgemäße FSK?
Für heftige Diskussionen sorgte die Entscheidung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), den Kinderfilm „Die grüne Wolke“ (siehe auch die merz-Besprechung auf S. 186) erst ab zwölf Jahren freizugeben und nicht - wie vom Verleih Constantin beantragt - ab sechs Jahren. Constantin legte den geplanten Kinostart erstmal auf Eis, was voraussichtlich auf einen Verzicht hinausläuft. Das Spatzenfestival hatte den Film dagegen ab acht Jahren empfohlen. Der Münchner Autor, Regisseur und Produzent Claus Strigel hat den Roman „The Last Man Alive“ von Alexander S. Neill, dem Begründer von Summerhill, in freier Form adaptiert. Darin erzählt ein Lehrer seinen acht ungeduldigen Schülern eine phantastische Geschichte, in deren Verlauf sie selbst die letzten Überlebenden einer mysteriösen Katastrophe auf der Erde sind. Zwischen den Episoden mit den bizarren Abenteuern, die die Kinder in einer versteinerten Welt erleben, kehrt der Erzähler immer wieder zur Ausgangssituation zurück. Aus informierten Kreisen verlautete, dass sich die FSK-Prüfer vor allem an einigen Gewaltszenen und der ambitionierten Erzählweise stießen, die für kleinere Kinder das Unterscheiden zwischen Fiktion und Wirklichkeit schwer mache. Da die FSK aber nach ihren Vorschriften keine Unterschiede zwischen den Altersstufen ab sechs und ab zwölf machen darf, setzte sie die Freigabe notgedrungen auf zwölf, um jüngere Kinder vor Schädigungen zu schützen. Für Produzenten und Verleiher ein herber Rückschlag, zumal eine parallel gedrehte TV-Serie in die ARD-Programme kommen soll!
Nun mag man gegen den Film ästhetische Einwände oder qualitative Bedenken erheben - einig waren sich die Kinderfilmexperten in Gera, dass die „Grüne Wolke“ sich an Kinder zwischen acht und 13 Jahre wendet, die dem Film in der Regel auch folgen können. Es bildete sich daher eine Gruppe, die eine „Vorlage für eine Petition“ mit dem Ziel der „Revision der Altersgruppen“ verfasste (www.goldener spatz.gera.de/stiftung/presse). Darin sprechen sich die Initiatoren für eine Überarbeitung des Jugendschutzgesetzes aus. „Die Altersfreigaben, wie sie seit 1951 rechtsverbindlich sind (ab 6, ab 12, ab 16 und nicht unter 18 Jahren), entsprechen nicht mehr der heutigen Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen“ heißt es darin. Der selbstverständliche Umgang mit Medien verschiebe die Altersgrenzen und mache eine Neudefinition der Entwicklungsetappen in der individuellen Mediensozialisation notwendig. Was etwa noch vor 50 Jahren erst ab 12 Jahren zugemutet werden konnte, sei „heute bereits für 7-Jährige eine Unterforderung.“ Das Thesenpapier empfiehlt, die Altersfreigaben künftig so zu gestalten: ohne Altersbeschränkung, ab 8, ab 14 und nicht unter 18 Jahren. Denkbar wäre aber auch, neue Grenzen einzuschieben, um zielgruppenorientierte Bewertungen durch die FSK zu ermöglichen: ohne Altersangabe (o.A.), ab 8, ab 10, ab 12, ab 16 und nicht unter 18 Jahren.
Jury-EntscheidungenDa inzwischen immer mehr Kinder im Internet unterwegs sind, war die Etablierung einer eigenen Web-Jury nur folgerichtig. Sie zeichnete das ZDF-Angebot www.tivi.de als beste film- und fernsehbezogene Web-Seite aus. Bei der Preisverleihung zeigte sich das Fachpublikum überrascht über die Kompetenz, mit der die Netz-Juroren Inhalt, Gestaltung, Technik, Unterhaltungswert, Interaktivität und Sicherheit der preisgekrönten Seite unter die Lupe genommen hatten. Ungeachtet ihrer Preisentscheidung monierten sie in ihrer Begründung Schwachstellen wie lästige Hintergrundfarben oder schlechte Video-Auflösungen.
Hatte die Jury des jungen Publikums in den Vorjahren mit mutigen Entscheiden hin und wieder für Überraschung gesorgt, so ging der Preisregen diesmal auf die erwarteten Kandidaten nieder. Als bester langer Spielfilm wurde die Kästner-Verfilmung „Emil und die Detektive“ ausgezeichnet und als bester langer Animationsfilm „Tobias Totz“. Innovative Leistungen oder überraschende Ansätze waren allerdings im Wettbewerb nicht zu entdecken, in dem die Privatsender diesmal mit immerhin acht Beiträgen vertreten waren.Die Experten-Jury zeichnete Dagmar Hirtz für die ZDF-Märchenkomödie „Küss’ mich, Frosch“ als beste Regisseurin aus - eine plausible Entscheidung. Weniger erfreulich war dagegen die mangelnde Beachtung, die die Expertenjury sowohl bei der Preisverleihung als auch in der abschließenden Presseerklärung erfuhr. Bei allem Respekt für die Beschlüsse der Kinder-Jury, die naürlich näher am Zielpublikum ist als die erwachsenen Profis: gerade die diesjährige Bevorzugung glatter Mainstream-Produktionen und gar gefälliger Hochglanzware durch die Jury-Kinder zeigt die Notwendigkeit eines Korrektivs durch Fachleute, die in kritischer Distanz die Meßlatte der Qualität höher legen müssen.
Michael Bloech: Spannendes Erzählen hat auch seine Tücken
Neills Vorlage
Neben klassischen, politisch engagierten Dokumentarfilmen wie „Spaltprozesse“ oder „Blue Eyed“ produziert DENKmal in München auch immer wieder interessante Kinder- und Jugendfilme. Ihr aktuellstes Projekt ist dieser Kinderfilm unter der Regie von Claus Striegel, einem Mitbegründer der Produktionsfirma. Die Vorlage für den Film bildete das bereits 1938 in England unter dem Titel „The Last Man Alive“ erschienene Buch von A.S. Neill, das inzwischen zum Kinderbuchklassiker geworden ist. In Deutschland gelangte das Buch erst 1971 unter dem Titel „Die grüne Wolke“ auf den Buchmarkt.A.S. Neill, einer der Begründer der antiautoritären Erziehung, sorgte mit seinem „Summerhill Experiment“, einem Schulversuch ohne die sonst üblichen autoritären Zwänge, nicht nur in England für Furore und Aufregung in der Erziehungswissenschaft. In „The Last Man Alive“ präsentierte er einen Erzähler, der nach seiner Theorie der antiautoritären Erziehung die Geschichte gänzlich nach den Vorgaben und dem Geschmack der Kinder weiterentwickelt. Die Geschichte ordnet sich damit keinem moralisch pädagogischen Grundmuster einer wie auch immer gearteten Erwachsenenperspektive unter, sondern sie hat einfach nur den Sinn spannend und komisch zu sein. Die endliche GeschichteClaus Striegel verlegt Alexander Sutherland Neills Geschichte in die Jetzt–Zeit und beginnt raffinierter Weise mit der Schwierigkeit des Geschichtenerzählens. Manchmal ist das eben nicht ganz einfach, das merkt auch der alte, kauzige Lehrer Birnenstiel der Klasse 5a des Internats Leuchtenberg, der acht Schülerinnen und Schüler am Abend mit packenden Erzählungen fesseln möchte.
Doch die Phantasie lässt den alten Mann zunächst einfach im Stich, seine Geschichten sind wenig originell und außerdem wollen die Kinder selber im Zentrum der Handlung stehen. Und es soll einfach spannender und abenteuerlicher werden. Ein Schüler schlägt schließlich als Thema „Der letzte Mensch auf der Erde“ vor. Die Idee des Endes der Menschheit auf unserem Planeten beflügelt förmlich die Phantasie des Lehrers. Er beginnt mit einer Erzählung, die alle Kinder zunächst in ihren Bann zieht: Eine mysteriöse Wolke verwandelt alle Menschen zu Stein. Nur eine kleine Gruppe Kinder, die zusammen mit einem Multimilliardär in einem Kürbisraumschiff im All unterwegs ist, bleibt davon verschont. Im Laufe des Geschehens stellt sich allerdings heraus, dass durchaus auch noch andere, zum Teil wesentlich unfreundlichere Zeitgenossen der Versteinerung entgangen sind. Und so müssen sich die kleinen Heldinnen und Helden tapfer gegen die Unbilden der Natur, gegen eine mutierte Umwelt, das atomare Chaos und natürlich auch gegen die Schurken stellen. Birnenstiel verfängt sich in seiner Geschichte immer mehr, doch die Kinder haben stets die passenden Änderungswünsche. Als sich alles zum dramatischen Finale ins Fiasko steigert, rebelliert das junge Publikum gegen Birnenstiel.Was wie und für wen erzählen?
Der Film bewegt sich stets souverän zwischen den beiden Ebenen: da ist zunächst einmal die Realität, in der Birnenstiel, angeregt durch die Anmerkungen seiner Schüler, die Abenteuergeschichte vorantreibt, und da ist das Abtauchen in die Erzählung selbst. Diese sorgt vor allem für Action und Spannung. Der Wechsel zwischen den beiden filmischen Welten gelingt Striegel problemlos und junge Zuschauerinnen und Zuschauer haben keine Probleme, diese zwei Ebenen auseinander zu halten. Allerdings wird auch spürbar, dass das Ganze durch den Episodencharakter ein wenig an erzählerischer Eleganz, Dichte und Eloquenz einbüßt. Immer wieder werden neue Handlungsstränge entwickelt und neue Personen eingeführt, ein notwendiges Zugeständnis an das Konzept des Films. Meist ist das zwar originell, dennoch verleiht es dem Film eine Inhomogenität, wodurch der rote Faden ein wenig aus dem Blick gerät. Dieser gebremste Erzählfluss ist möglicherweise auch ein Zugeständnis an das Fernsehen, in dem der Film nach seiner Kinoauswertung als Serie zu sehen sein wird. Das bedeutet, dass dann in appetitlichen Häppchen serviert wird. Der Film versucht ebenso wie das Buch von Neill, Humor, Witz und Spannung aus den Vorlieben der Kinder herzuleiten. Gruseliges und Albernes bilden den actiongeladenen Hintergrund, was Kindern sicherlich Spaß machen wird und manchen Erwachsenen vielleicht eher nicht. Kinder begeistern sich oft für Geisterbahnen, Grusel- und Horrorgeschichten und kommen hier voll auf ihre Kosten: Killertomaten, ein gefräßiger, mutierter Baum, dreiste Nazisoldaten oder dämliche Mafia-Typen mit Kampfhunden bevölkern die Leinwand. Dabei gehen diese Gesellen nicht gerade zimperlich mit ihren Opfern - den armen unschuldigen Kindern - um. Vermutlich dürfte diese Darstellung der Gewalt die Freiwillige Selbstkontrolle bewogen haben, den Film erst ab 12 Jahren freizugeben. Vielleicht eine überdenkenswerte Entscheidung, denn die ironisch überzeichneten Gewaltszenen sind sicher erst für 8- oder 9-jährige Kinder in ihrer Dramaturgie erkennbar und die Freigabe hätte in der nächsten Stufe schon ab 6 Jahren geschehen müssen. So verfehlt der Film mit der bisherigen Altersfreigabe leider klar seine Adressaten, die 8- bis 10-Jährigen und das ist wirklich mehr als schade.
Barbara Eppensteiner: Österreichische Besonderheiten
Die medienpädagogische Landschaft Österreichs ist vielfältig. Für ein kleines Land, in dem die wesentlichen Akteure einander kennen könnten, ist sie aber erstaunlich wenig vernetzt. Das hat weniger mit den Bergen und Tälern zu tun, die mögliche Kontakte erschweren, als vielmehr mit einer spezifisch österreichischen Kommunikationskultur, der die Konfliktvermeidung so wichtig ist, dass sie das Gespräch oft lieber gar nicht erst sucht. Weit effizienter als die PädagogInnen arbeiten jedenfalls die zusammen, deren Tun den gesellschaftspolitischen Hintergrund für medienerzieherisches Handeln wesentlich mitbestimmt: die Medienmacher, bei denen ich ganz bewusst auf das Binnen-“I“ verzichte. Die wichtigen Akteure sind alle männlich!
(merz 2001-03, S. 188-192)
Beitrag aus Heft »2001/03: Wahrnehmung Ästhetik Pädagogik«
Autor:
Barbara Eppensteiner
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Margret Köhler: Filme im Wettbewerb
Der goldene BärMit einer Überraschung ging die 51. Berlinale zu Ende: Nicht der Favorit, Steven Soderberghs „Traffic“ erhielt den Goldenen Bären, sondern Patrice Chéreau für sein umstrittenes, verstörendes Drama „Intimacy“. Und seine Schauspielerin Kerry Fox kassierte den Silbernen Bären als Beste Hauptdarstellerin. Buhrufe bei der Pressekonferenz ließen die Ambivalenz spüren, mit der diese wagemutige, doch vertretbare Jury-Entscheidung aufgenommen wurde. Nach Cathérine Breillats „Romance“ und Virginie Wagons „Le Secret“ geht Chéreau aus männlicher Perspektive die Traurigkeit der Triebe an. Basierend auf Hanif Kureishis gleichnamigem Roman und dessen Short Story „Nightlight“ lässt Chéreau zwei Menschen und zwei Welten aufeinanderprallen: Jeden Mittwochnachmittag besucht Claire (Fox) den Barkeeper Jay in seiner heruntergekommenen Wohnung. Leidenschaftlicher Sex auf schmutzigem Teppichboden, mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Beide genießen die Situation, so wie sie ist. Doch dann kommt Neugier ins Spiel, der Mann folgt der Geliebten und findet heraus, dass sie in einem kleinen Vorstadttheater auf der Bühne steht. Er befreundet sich mit dem Ehemann, um sie besser kennenzulernen, mimt den coolen Typ. Er will plötzlich mehr, bricht die unausgesprochene Vereinbarung und stellt damit das fragile Verhältnis infrage. Was als folgenloses Vergnügen geplant war, endet in einer schmerzhaften Zerreißprobe.
Chéreau philosophiert über die Unfähigkeit der Liebe, das Absterben der Seele, die kleinen Tode, die das Überleben garantieren. Und darüber, wie aus dem anfänglichen Geben ein Voneinander-Fordern wird.Gewalt und Drogen„Traffic“ nur mit dem Darstellerpreis für Benicio Del Toro abzuspeisen, zeugt nicht von großer Souveränität der Jury. Aber da man im vergangenen Jahr „Magnolia“ auszeichnete, wollte man wohl Hollywood gegenüber trotzig Eigenständigkeit beweisen. Soderbergh, der erste Regisseur, der in einem Jahr zwei Oscar-Nominierungen für die beste Regie und den besten Film erhielt („Traffic“ und „Erin Brockovich“), wird es mit Fassung tragen. Das Gerücht ging um, Jury-Präsident Bill Mechanic, der der Twentieth Century Fox bis im vergangenen Jahr vorstand und das Soderbergh-Projekt ablehnte, habe ein Veto eingelegt.Soderbergh verdichtet verschiedene Erzählstränge. Es geht um den erbarmungslosen Drogenkrieg vor Amerikas Haustür. Ein eigentlich schon verlorener Krieg. Denn die Drogenkartelle ziehen die Fäden und da fallen kleine Siege von zwei mexikanischen Drogen-Cops (Benicio del Toro, Jacob Vargas), deren Chef der Korruption nicht abgeneigt ist, kaum ins Gewicht. Und dann sind da noch die schwangere Ehefrau (Catherine Zeta-Jones) eines Drogenbarons in San Diego, die mit allen Mitteln für die Freilassung ihres inhaftierten Gatten kämpft und ein amerikanischer Bundesrichter (Michael Douglas), der zum obersten Drogenjäger nach Washington beordert wird und durch Zufall mit der Kokain- und Designerdrogen-Abhängigkeit der eigenen Tochter konfrontiert wird. Der schockierende Blick in diese Welt kommt nicht als Lehrstück daher, sondern bietet als spannendes Drama beste Unterhaltung.Koreanische WirklichkeitVerwunderlich, wenn auch diplomatisch korrekt, die Ehrung der nicht gerade außergewöhnlichen asiatischen Beiträge: Der Große Preis der Jury für „Beijing Bicycle“ von Wang Xiaoshuai aus China, der Silberne Bär für die Beste Regie für „Betelnut Beauty“ des aus Taiwan stammenden Lin Cheng-sheng - ausgewogener geht es nicht. Beide Filme sind die ersten aus Peggy Chiaos Projekt „Tales of Three Cities“, ein sechs Spielfilme umfassendes Paket von Regisseuren aus Peking, Taipei und Hongkong. Einen Preis hätte man auch dem Koreaner Park Chan-Wook gegönnt für „J.S.A.“ (Joint Security Area) über den militärischen Wahnsinn an der Demarkations-Linie zwischen Nord- und Südkorea. Nichts symbolisiert die Teilung Koreas so sehr wie die „Brücke ohne Wiederkehr“ in der demilitarisierten Zone, der Joint Security Area, Schauplatz des von Publikum und Presse gefeierten Dramas über Feinde, die für kurze Zeit Freunde werden: Als am 38. Breitengrad zwei nordkoreanische Grenzsoldaten erschossen werden, löst der Vorfall eine militärische Kettenreaktion aus. Die Südkoreaner behaupten, einer ihrer Soldaten sei entführt worden und habe sich nur durch die Tötung zweier gegnerischer Soldaten befreien können, die Nordkoreaner dagegen sprechen von einer bewussten Grenzüberschreitung und Exekutierung. Für Aufklärung soll ein weiblicher Leutnant, eine neutrale Schweizerin koreanischer Abstammung sorgen. Der ersten Frau, die seit 1953 dieses Gebiet betritt, schlägt Misstrauen entgegen, die wenigen Aussagen der Beteiligten widersprechen sich. In einer langen Rückblende entwickelt der Film, was wirklich passiert ist, protokolliert die Absurdität militärischer Aktionen und das Leid des in der Tötungsmaschinerie gefangenen Individuums. In Südkorea wurde „J.S.A.“ zum Kassenknüller und Armeeveteranen verwüsteten aus Zorn das Büro der Produktionsfirma.
Erwähnenswertes
Der Silberne Bär für die beste Darstellerin wäre bei Emma Thompson gut aufgehoben gewesen. Sie spielt in Mike Nichols’ bewegendem Kammerspiel „Wit“ eine Krebskranke, die angesichts des nahen Todes um ihre Würde kämpft. Erst begegnet sie der Krankheit gefasst, amüsiert sich über die Weißkittel-Rituale, hofft auf Überleben. Nach acht quälenden Monaten wirkt sie bald nur noch wie ein Schatten ihrer selbst, ein geschundenes Bündel Mensch - am Tropf hängend und mit kahlem Schädel. Nichols inszenierte „Wit“ nach Margaret Edsons mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Theaterstück als schonungslose Entlarvung einer Krankenhausmaschinerie, in der Menschen zur Sache degradiert werden.Als Bären-Kandidat galt auch Geoffrey Rush, der in John Boormans bitterböser und gleichzeitig amüsanter Farce „Der Schneider von Panama“ die titelgebende Figur spielte, die mit ihren Lügen in die große Politik eingreift. Und Pierce Brosnan räumt als strafversetzter Agent mit dem properen 007-Image auf. Ganz nebenbei erfährt man einiges über das Land an der Grenze zwischen Nord- und Südamerika. In diesem Agententhriller, zu dem John le Carré die Vorlage schrieb, haben am Ende alle Dreck am Stecken - nicht nur das erpressbare Schneiderlein, das sich notgedrungen ständig neue Stories von einer Befreiungsbewegung und möglichen Putsch-Versuchen ausdenkt, sondern auch Geheimdienste, Diplomaten und Militärs.Während Spike Lees „Bamboozled“, eine sich hinziehende Satire über rassistische Stereotypen im Showgeschäft, Lasse Hallströms „Chocolat“ oder Giuseppe Tornatores „Malèna“ wenig positive Resonanz bekamen, begeisterte Lone Scherfigs „Italienisch für Anfänger“ (Silberner Bär und Preis der Jury). Die Dänin zaubert mit Stilmitteln à la DOGMA eine menschelnde Tragikomödie, deren Protagonisten auf der Suche nach einem Stückchen Glück einem schnell ans Herz wachsen.In 30 Kinos lief das Gesamt-Programm ab, der Potsdamer Platz - im vergangenen Jahr noch skeptisch beäugt - hat sich als Berlinale-Standort bewährt, die Organisation klappte, als hätte es nie einen anderen Ort gegeben. Gespannt darf man darauf sein, wie die künftigen Chefs Dieter Kosslick (Wettbewerb) und Christoph Terhechte (Forum) das Profil der Berlinale schärfen und neue Binnenstrukturen entwickeln werden. Im Gegensatz zu de Hadeln und Ulrich Gregor stimmt bei den beiden die Chemie, was dem Festival sicherlich nützen wird.
Andreas Kirchhoff: „Loop“ – Musik- und Geräuschcollagen am PC
„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden“ – diese Verszeilen von Wilhelm Busch haben sich heute in ihr Gegenteil verkehrt. Musik bildet für Jugendliche oft den Orientierungspunkt ihres Lebensstils. Doch die MTV/VIVA-betriebene Pop-Kultur räumt den Jugendlichen lediglich eine Konsumentenrolle ein. Dabei war es nie zuvor so einfach, eigene musikalische Ideen in die Tat umzusetzen. Dank leistungsfähiger und kostengünstiger Soft- und Hardware kann heute jeder seine eigene Musik produzieren. Nicht mehr die virtuose Beherrschung eines Instrumentes ist die Eintrittskarte in die Welt der Klänge, das Vorhandensein musikalischer Ideen, gepaart mit etwas Grundlagenwissen und Experimentierfreude sind die Voraussetzung, um hörenswerte Eigenproduktionen zu erstellen.Hier setzt „Loop“ anIn Anlehnung an „Viewing Literacy“ ist bei Jugendlichen allein durch den massiven Konsum von Musik ein reicher Fundus an „Listening Literacy“ vorhanden. In Verbindung mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der computergestützten Klangbearbeitung eröffnet sich ein Weg zur Aktivierung dieser kreativ-produktiven Potenziale.
Geräusche und musikalische Versatzstücke können aufgenommen oder von verschiedensten Tonträgern gesampelt und anschließend nachbearbeitet und zu einer neuen Komposition arrangiert werden. Wer seinen Lieblingssong dekonstruiert und zu einem eigenen Stück verarbeitet hat, dem entzaubert sich der Blick auf die Pop-Welt. Durch die Verarbeitung von Geräuschen, die im eigenen Lebensumfeld aufgenommen und anschliessend verfremdet werden, entstehen neue Perpektiven auf die direkte Umwelt. Der persönliche Lebensraum wird in seiner akustischen Dimension erfahrbar gemacht. Und fast nebenbei erhalten die Akteure einen spielerischen, inhaltlich motivierten Zugang zu grundlegenden Bedienkonzepten des Computers.„Loop“ ist als modulares System angelegt, d.h. es setzt sich aus kleinen, in sich geschlossenen Einheiten zusammen, an deren Ende jeweils ein fertiges Medienprodukt steht. Die folgende Einheit baut dann auf den zuvor erstellten Produkten auf. Ideal wären kontinuierlich über ein Vierteljahr stattfindende, zweitägige Workshop-Wochenenden, die sukzessive durch offene Treffs ergänzt werden können, bei denen Jugendliche an ihren Produktionen eigenständig weiterarbeiten können. Dieser Rhythmus ist jedoch keine zwingende Vorgabe, sondern kann flexibel an die Interessen der Jugendlichen und die Gegebenheiten der Einrichtung angepasst werden. Im einfachsten Fall kann „Loop“ aus einer einzelnen, dreitägigen Wochenend-Einheit bestehen.Technik und BetreuungHardwareJe nach Art der Einheit können bis zu zehn Jugendliche mit drei bis fünf handelsüblichen PCs arbeiten. Darüber hinaus werden drei bis fünf Aufnahmegeräte für die Geräuschaufnahme vor Ort benötigt. Es kommen neben Kassettenrekordern auch Diktiergeräte, portable Mini-Disc-Player o.ä. in Frage. Ein Internet-Zugang ist nicht zwingend erforderlich, wenn vorhanden aber von Vorteil. Ebenso ist es bei einzelnen Einheiten hilfreich, wenn die Rechner miteinander vernetzt sind. SoftwareMusiksoftware ist mittlerweile in schier unüberschaubarer Fülle erhältlich, vom simplen Sample-Baukasten bis zur hochkomplexen, virtuellen Studioumgebung. Grundsätzlich sind für „Loop“ zwei Gruppen von Audio-Software relevant:
1. Audioeditoren – sie dienen der Bearbeitung einzelner Sounddateien. Diese können im Editor geschnitten, mit Effekten versehen, in Tempo, Tonhöhe oder Frequenzgang verändert werden.
Der Editor „Cool Edit“ ist als Shareware mit eingeschränktem Funktionsumfang im Internet herunterzuladen (siehe Internetadressen). Wer etwas Geld investieren kann, sollte sich Steinbergs „WaveLab“ oder Sonic Foundrys „Sound Forge“ ansehen. Alle drei Programme bieten umfassende Bearbeitungsmöglichkeiten bei relativ schnell zu erlernender Bedienbarkeit.
2. Sequenzer-Programme – mit Hilfe des Sequenzers lassen sich die verschiedenen Sounddateien zu einem fertigen Titel arrangieren. Auf mehreren Spuren können die einzelnen Sound-Bausteine in einen zeitlichen und dramaturgischen Ablauf gebracht werden. Ein interessantes Sequenzener-Programm bietet die Firma Sonic Foundry mit „Acid Music/Acid Pro“ an. Die Software konzentriert sich aufs Wesentliche und ist sehr leicht beherrschbar. Gute, nicht allzu teure Sequenzer sind außerdem: Steinbergs „Cubasis VST“, Emagics „MicroLogic AV“ oder Cakewalks „HomeStudio“. Für den Einstieg eignet sich besonders „eJay Studio“, das mit einer Reihe von Beispielsamples und –songs aufwarten kann. So kommen gerade auch Anfänger zu schnellen Ergebnissen und werden mit der Materie vertraut.
3. Kleine Tools, wie z.B. Drumeditoren oder Effekt-Plugins sind hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich. Ein sehr einfach zu bedienender und zudem kostenloser Drumeditor ist die Software „Hammerhead“. Solche Tools findet man in den einschlägigen Download-Verzeichnissen (siehe Internetadressen). Ausprobieren kann hier nicht schaden, denn es gibt eine Menge oft kurioser Schätze zu entdecken.TeamMindestens eine pädagogische Fachkraft, besser zwei Fachkräfte sollten sich in die Materie einarbeiten, um die Workshops planen und leiten zu können. Die Beherrschung der verwendeten Soft- und Hardware sowie das Vorhandensein musikalischen und tontechnischen Grundwissens, insbesondere im Bereich elektronischer Musik, sollte vorausgesetzt werden. Bei längerfristig angelegten Reihen bietet sich zudem im Sinne des Peer-to-Peer-Teachings die Einbindung von Jugendlichen an, die ihr in vorangegangenen Einheiten erworbenes Wissen an andere Jugendliche weitergeben.
Projektbeschreibung„Loop“ will Jugendliche durch die Vermittlung von Grundkonzepten PC-gestützter Musikbearbeitung dazu animieren, die technischen Möglichkeiten zur selbstständigen Realisierung eigener Ideen zu nutzen. Ausgangspunkt ist dabei ein weit gefasster Musikbegriff, was sich auch an der Entwicklung elektronischer Musikgenres ablesen läßt, die alle möglichen Geräusche – vom Scratch bis zur abfahrenden U-Bahn – in ihre Kompositionen einbinden. So geht es auch bei „Loop“ weniger um die Erstellung „klassischer“ Musiktitel, sondern vielmehr um die Entwicklung von Audiominiaturen, die jedoch, ebenso wie herkömmliche Musiktitel, mit Wiederholung und Rhythmisierung arbeiten und eher kurze, in sich geschlossene Werke darstellen.
Erste Einheit: Sie gibt den Jugendlichen Gelegenheit, sich zwanglos-experimentierend mit den Möglichkeiten vertraut zu machen. Ein Programm mit vorgefertigten Bausteinen, wie z.B. der „eJay“ gibt einen ersten Einblick in den Aufbau eines Songs. Durch die Variation einzelner Bausteine erhält man schnell eine neue „Version“. Im nächsten Schritt können die Jugendlichen einen eigenen Loop erstellen und in den Song einbinden. Hierzu sollten sie eine CD mitbringen. Nun wird ein Stück aus einem Song ausgewählt und eindigitalisiert, also in den Computer aufgenommen. In einem Audio-Editor wird ein Pattern isoliert. Ein Pattern in einem Stück im 4/4-Takt umfasst genau die Dauer von vier Zählzeiten. Das Tempo muss nun noch an den Zielsong angepasst werden. Dann kann der frisch erstellte Loop in den Song eingebaut werden.
Zweite Einheit: Der nächste Schritt besteht darin, eigenes Material zu sammeln und in die richtige Form zu bringen. Jede Geräuschquelle ist gefragt, die Sammlung sollte sich auf keinen Fall auf das Absampeln von CDs beschränken. Die Jugendlichen sollten in zwei- bis dreiköpfigen Teams mit Aufnahmegeräten losziehen und interessante Geräusche aufnehmen. Anschließend werden die Geräusche digitalisiert und zunächst in die Kategorien „Flächensounds“ und „rhythmische Sounds“ verteilt. Jugendliche, die nicht unterwegs sind, können derweil mit einer Software wie „Hammerhead“ einfache Drumloops erstellen. Nun können die Soundfiles in Audioeditoren nachbearbeitet werden. Das Experimentieren mit Effekten und Equilizern fasziniert, da sich die Ursprungsgeräusche oder Stimmen bis zur Unkenntlichkeit verfremden lassen. Die so entstehenden Soundfiles sollten in einer gemeinsamen „Sound-Datenbank“ organisiert werden.
Dritte Einheit: Aus der Sound-Datenbank können sich alle Teams ihre Loops auswählen, die sie zur Erstellung einer eigenen Collage benutzen möchten. Ein Loop gibt den Grundrhythmus und damit das Tempo des Stücks vor. Dies wird in Beats per Minute gemessen. Alle anderen Bausteine, insbesondere alle rhythmusbetonten, müssen nun diesem Tempo angepasst werden. Die vorbereiteten Loops werden nun in das Sequenzerprogramm importiert und auf verschiedene Spuren verteilt. Durch Wiederholung und Variation einzelner Patterns, durch passagenweises Hinzufügen und Weglassen einzelner Elemente erhält das Arrangement eine Spannungskurve. Schließlich lässt sich aus Sprachfetzen eine Art Rap-Gesang kreieren und über die Musik legen. Das Arrangement muss nun noch abgemischt werden und kann als fertiger Song ausgespielt und z.B. auf CD gebrannt oder ins Internet gestellt werden.
Markus Achatz: „Life is a Miracle“
Das Motto des diesjährigen Kinderfilmfests lautete „Life is a Miracle“ - und in einem Großteil der 14 Spielfilme und 12 Kurzfilme fanden sich auch Momente, in denen die Protagonisten mit Wundern, Magie und Zauberei in Berührung kamen. Im weiteren Sinne sollte es, wie Renate Zylla, die Leiterin des Kinderfilmfests, betonte, auch darum gehen, welche Wunder kindlicher Glaube bewirke – bis hin zur Erkenntnis, dass die jungen Filmfiguren letztlich am weitesten kommen, wenn sie das Vertrauen in ihre eigene Kraft entdecken. Vielleicht trifft das auch ein klein wenig auf die elf Berliner Jungen und Mädchen zu, die sich dem gesamten Kinderfilmfest-Programm stellen mussten, um ganz auf das eigene Urteil bauend den Gläsernen Bären an den besten Film zu vergeben.
Diese Kinderjury wählte „There’s only one Jimmy Grimble“ von John Hay und begründete dies so: „Die Geschichte erzählt von einem Jungen, der lernt, an sich selbst zu glauben. Die überzeugende Darstellerleistung, die klasse Kameraführung und die guten Spezialeffekte haben uns sehr beeindruckt. Die geniale Mischung von Humor, Sensibilität und Spannung hat uns sehr gut gefallen.“Es gibt nur einen Jimmy GrimbleJimmy Grimble (Lewis McKenzie) ist 15 und träumt davon, sein eigenes Leben zu leben. Er wünscht sich mehr Respekt von seinen Klassenkameraden und er liebt Fußball über alles. Aber immer wenn er vor anderen Leuten spielen muss, versagt sein eigentlich grosses Spieltalent. Zu seiner allein erziehenden Mutter Donna (Gina McKee) hat er ein gutes Verhältnis, jedoch macht sich Jimmy Sorgen um sie, weil ihr neuer Freund – ein selbstverliebter Harley-Davidson-Fahrer – auch noch bei ihnen einzieht. Mit Donnas vorherigem Partner Harry (Ray Winstone) hat sich Jimmy weitaus besser verstanden.
Tragischerweise stellte sich eines Tages heraus, dass Harry bereits verheiratet ist.Dann ist da noch Sara (Samia Ghadie), eine neue Mitschülerin, die ähnlich wie Jimmy in der Schule eine Außenseiterrolle spielt. Die beiden mögen sich sehr, aber Jimmy ist in ihrer Anwesenheit zu aufgeregt, um seine Gefühle zeigen zu können. In einer Schule voller „Manchester United“-Anhänger hat es ein „City“-Fan nicht gerade leicht. Jimmy wird zu einem beliebten Angriffs-Ziel. Eines Tages hetzen Gorgeous Gordon und seine Gang Jimmy durch ein Abrissviertel, wo eine sonderbare alte Frau ihm zu Hilfe kommt. Sie versteckt Jimmy in ihrer Abbruchwohnung und schenkt dem Jungen ein paar alte Fußballschuhe, die einem angeblich legendären Spieler namens Robby Brewer gehört haben sollen. Den alten Kicker-Latschen misst Jimmy zunächst keine weitere Bedeutung zu, bis er, der Reservespieler der Schulmannschaft, eines Tages von Trainer Eric Wirral (Robert Carlyle) eingewechselt wird. Er trägt die alten Schuhe und zu aller – vor allem seiner eigenen – Verwunderung schießt er bei der ersten Ballberührung ein grandioses Tor. Ab diesem Zeitpunkt kann Jimmy auch in der Mannschaft und vor Publikum seine spielerischen Fähigkeiten voll entfalten.Auf der Suche nach dem rätselhaften Vorbesitzer seiner Schuhe erfährt Jimmy immer mehr über Trainer Wirral. Der scheint kein großes Interesse an seiner Schulmannschaft zu haben, aber er hat bereits früh an Jimmy geglaubt.
Die Mannschaft schafft es bis ins große Finale der Schulmeisterschaft. Alle kommen zum großen Spiel ins Stadion von Manchester City an der Maine Road. Jimmys Mutter, Sara und auch Harry. Gorgeous sieht in Jimmy seinen großen Rivalen im Team und lässt die magischen Schuhe verschwinden. Das Endspiel wird zur Tortur.Mit Hilfe von Harry und Eric aber wird sich Jimmy darüber klar, dass es im Leben wie auf dem Fußballfeld darauf ankommt, sich auf sich selbst und seine eigenen Gefühle zu verlassen. Er ist nämlich derjenige, der den Ball führt und was mindestens genauso wichtig ist – er ist sich jetzt ganz sicher, dass er Sara küssen möchte. Die Hauptfigur in John Hays Spielfilm ist wirklich einzigartig. John Hay hat für die Hauptrolle des 15-Jährigen insgesamt 3000 Jungen gecastet und in Lewis seine Idealbesetzung gefunden. Vor allem Lewis’ Lächeln und seine Ohren hätten es ihm gleich angetan, sagt der Regisseur. Angesichts der weiteren Besetzung wird die darstellerische Präsenz des Jungen noch beachtlicher. Mit Robert Carlyle, Gina McKee und Ray Winstone spielen gleich drei der aktuellen Top-Actors des britischen Films in Hauptrollen.„There’s only one Jimmy Grimble“ ist ein bisschen wie ein Märchen, wartet aber dennoch mit sehr authentischen realen Figuren auf. Es ist ein Film, der sich über den Fußball hinaus den Themen heutigen Heranwachsens nähert. Es geht um Außenseitertum und Bullying in der Schule, um Ein-Eltern-Familien und um die Suche nach Liebe und einen Platz im Leben. So bezeichnet John Hay seinen Film als eine moderne, urbane Fabel, die davon handelt, wie ein Junge all die Eigenartigkeiten in seinem Leben zu meistern sucht und lernt, an sich selbst zu glauben. „Jimmy Grimble“ ist auch Familienkino: eine Geschichte, die Raum für Humor und Emotionen lässt. Umso mehr erfreulicher, dass dieser Film vom kindlichen und jugendlichen Publikum verstanden und angenommen wurde.Die Auswahl der Musik macht den Film zudem zu einer Ode an England, zu einer Reminiszenz an Manchester und seine Popmusik, die Anfang der 90er als „Manchester Rave“ die Charts eroberte. Der geneigte Pophörer freut sich an Klassikern von Bands wie Charlatans, Inspiral Carpets oder Stone Roses, aber auch neuere Songs aus Manchester von Underworld und Badly Drawn Boy sind im Film zu hören.Nagisa Weibliche Hauptcharaktere hielten sich mit männlichen als zentrale Figuren in etwa die Waage. Ganz besonders in Erinnerung bleibt jedoch Nagisa aus dem gleichnamigen Film von Masaru Konuma.
Der japanische Spielfilm ist eine Adaption eines Comics von Musakami Motoka. Allerdings hat die Inszenierung des 63-jährigen Regisseurs keineswegs die kurzatmige, oberflächliche Ästhetik eines Cartoon-Heftes. Masaru Konuma hat seit seinem Debüt 1972 rund 50 Filme gedreht. Er lässt der Geschichte und damit dem Mädchen Nagisa viel Zeit, sich weiterzuentwickeln. Nagisa (Madoka Matsuda) ist zwölf Jahre alt und lebt zusammen mit ihrer Mutter (Yuko Katagiri) in Enoshima, einem Badeort in der Nähe von Tokio. Es ist ein Sommer in den 60-er Jahren und Nagisa verbringt die meiste Zeit an einem von Touristen unentdeckten Strand. Die Kinderfreundschaft zu ihrer gleichaltrigen Nachbarin Noriko langweilt sie und Nagisa beginnt sich für andere Dinge zu interessieren. Um sich ihren größten Wunsch, ein eigener Schallplattenspieler, erfüllen zu können, jobbt sie im Strandrestaurant ihrer Tante. In jeder freien Minute findet man sie aber in ihrer kleinen Bucht am Meer. Eines Tages trifft sie dort auf Hiroshi, einen gleichaltrigen Jungen aus Tokio, der seine Ferien damit verbringt, Angeschwemmtes zu sammeln. Jeden Tag behält er ein Fundstück, das ihm wichtig erscheint. Nagisa trifft sich nun regelmäßig mit Hiroshi und bringt ihm das Schwimmen bei. Der Junge stoppt mit seiner Uhr die Schwimmrunden von Nagisa und hat sich dafür einen Kuss verdient. Im Restaurant ihrer Tante taucht gelegentlich Nagisas etwas ältere Cousine Reiko auf. Sie hat schon einen richtigen Freund, der sie in einem extravaganten Cabrio abholt. Nagisa darf aber auch bei Ausflügen mitfahren und erlebt dabei eine ausgelassene Strandparty. Ihr Drang nach Abenteuern steigt und das Mädchen saugt förmlich die Erlebnisse in sich auf. Voller Neugier lässt sie sich auf Anraten von Reiko eine Dauerwelle legen.
Aber Hiroshi möchte sie damit doch nicht begegnen und sie verschiebt ihr nächstes Strandrendezvous mit ihm auf den nächsten Tag. Nochmals beim Friseur, möchte sie die Haare kurz haben, so wie es ihr selbst gefällt. Das Mädchen wagt einen weiteren Schritt hin zum Abschied von der Kindheit. Als Nagisa zum Strand eilt, um Hiroshi zu treffen, muss sie erfahren, dass er ertrunken ist.Masaru Konuma erzählt eine Geschichte, die sich trotz denkwürdiger und trauriger Momente außerordentlich elegant, auch humorig und freudig gibt. Konuma wird nie sentimental, sondern vermittelt eher ein melancholisches Gefühl. Die Geschichte wird dabei konsequent aus der Sicht des Mädchens erzählt und spiegelt dessen Gedanken und Empfindungen. Madoka Matsuda spielt entspannt und unaufdringlich und gewährleistet dadurch die besondere Atmosphäre des gesamten Films. Die Sonne glitzert im Wasser und der Sand im seichten Gewässer – wo Nagisa so gerne sitzt – wirkt warm und weich. Sogar die Gerichte im Strandlokal, die das Mädchen oder die Tante servieren, dampfen und duften förmlich von der Leinwand. Verstärkt wird diese Wirkung durch eine subtile und intensive Schnitt-Rhythmik. Diese wechselt die Tempi und Einstellungslängen auf sehr organische Weise.An das Bunte und Punktuelle der Comic-Vorlage erinnert in unterhaltsamen Momenten die quirlige Tante, wenn sie theatralisch und in höchstem Tempo ihre Gäste im Lokal bedient, die farbig-schrille Cousine Reiko in ihrer lauten und aufdringlichen Art sowie ihr cooler Verehrer mit Haartolle, riesiger Sonnenbrille und pastellfarbenem Cabrio. Diese Sequenzen fügen sich dennoch sehr kunstfertig in die sehnsuchtsvolle Gefühlswelt Nagisas ein. Mehr als verdient hat die Internationale Jury des Kinderfilmfests – bestehend aus fünf Filmfachleuten – den Preis des Deutschen Kinderhilfswerkes 2001 an „Nagisa“ verliehen.
Erwin Schaar: Im Reich der Schatten
Der Kenner der Filmgeschichte wird sich vor allem an Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (1923) erinnern, wenn er nach einem Silhouettenfilm gefragt wird. Die Schattenfiguren mussten dabei die Handlung im Profil vorstellen, daher konnte sich das Geschehen nicht mit psychologischer Feinheit entwickeln, sondern die Umrisslinien der Figuren bestimmten den Lauf der Ereignisse.Nur ein scheinbarer Widerspruch dazu ist die Physiognomielehre Caspar Lavaters (1741 - 1801), der in seinen Gesichtssilhouetten das wahrhaftigste Abbild des Menschen, also geradezu die offen gelegte Psyche sah; er stilisierte den Schattenriss zum „Gotteswort“! Aber Lavaters Gesichter bewegten sich nicht und so konnte er in deren Begrenzungslinien das seiner Ansicht nach Objektive des Geistes und des Charakters zum Ausdruck bringen.
Der große Spötter Lichtenberg hat als Herausforderung an Lavater einen „Beytrag zu den Physiognomischen Fragmenten“, sein „Fragment von Schwänzen“ dagegengesetzt!Mit solchen Wahrnehmungsfragen kann man sich im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses auseinandersetzen, in dem noch bis Anfang Mai eine (er)kenntnisreiche Ausstellung zu durchwandern ist, der diese Aufforderung zum Nachdenken über unser visuelles Kommunikationsvermögen beim Lesen des Ausstellungstitels gar nicht zugetraut wird. Ist doch die Herstellung von Schattenbildern oder Scherenschnitten eher mit dem kindlichen Spiel gedanklich verbunden. Was aber wiederum kein Widerspruch zu sein braucht, weil doch Kinder die Wahrnehmung Erprobende und Lernende sind.Die vorzüglich präsentierte Ausstellung in dem mächtigen Raum des Kunstbaus - das ist Museumsdidaktik ohne dass sie als solche dem Betrachter bewusst wird - geleitet uns von Lavaters Fragmenten über Goethes lebensgroße Schattenrisse hin zu den aktuellen künstlerischen Umsetzungen des Verfahrens bei Felix Droese oder Mario Merz, zum Beispiel. Fotogramme von Floris Neusüss zeigen fotografische Verfahren, die auch Picasso angewandt hat (auch in der Ausstellung), Cutouts von den dem Ornamentalen ergebenen Künstlern und - sehr überzeugend als Wahrnehmungsexperiment - die großflächigen Figuren-Schnitte einer Kara Walker, die wegen ihrer charakteristischen Silhouettenhaftigkeit auf den ersten Blick wie Kinderbuchillustrationen wirken, bis man die knallharten Inhalte der schwarzen Gestalten erkennt.
Die Darstellungen in der Schwebe, zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, werden durch ihre „schwarze, undifferenzierte Binnenform zur Projektionsfläche für den Betrachter, während ihre äußere Grenzlinie alleiniger Informationsträger bleibt“ meint das Presseblatt zur Ausstellung, deren genau zu betrachtende Vielfalt auch eine Herausforderung an das Zeitbudget des Betrachters stellt. Ein schöner und erklärungstüchtiger Katalog bringt Abbildungen vieler Exponate und gibt über die historische Entwicklung und die Wirkung Aufklärung.Marion Ackermann: SchattenRisse. Silhouetten und Cutouts. Hatje-Cantz Verlag, Ostfildern 2001, 323 S., DM 68,- an der Museumskasse, sonst DM 98,-Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, Luisenstr. 33, 80333 München; Tel. 089/ 233320,
Erwin Schaar: Das kurze 20. Jahrhundert in Afrika
Seit der Nigerianer Okwui Enwezor zum Direktor der 11., der kommenden documenta bestellt wurde, scheint auch die moderne Kunst Schwarzafrikas in den Intellektuellenzirkeln mehr wahrgenommen, bzw. ernster genommen zu werden als all die Jahre zuvor. Die Liebhaber, Sammler und Kenner der sogenannten Stammeskunst, der primitiven Kunst, die selbst schon ein ritualisiertes Verhältnis zu diesen Masken, Figuren, Fetischen, Gebrauchsgegenständen entwickelt hatten, brachten das Verständnis für Afrika damit keinen Deut weiter, weil sie diese von ihnen verehrten Artefakte einem eurozentrischen Auswahlverfahren unterwarfen, was noch dazu in feinsinniges Spezialistentum abtriftete und eine Entwicklung nicht zuließ, bzw. nicht zur Kenntnis nahm. Sie wollten Anhänger des Exotismus bleiben.Nun kommt ein Kurator aus dem immer noch unbekannten Erdteil des Weges, der seine Ausbildung zwar in Amerika absolviert hat, für den trotzdem vorrangigen Stellenwert hat, was Afrikaner der verschiedensten Staaten, nicht unabhängig von der weißen Welt, aber in Reflexion mit deren Einflüssen, als ihren Ausdruck reklamieren und deklamieren.
Die Ausstellung und das dickleibige englischsprachige Katalogbuch müssen in gegenseitiger Ergänzung gesehen werden. Enwezor hat dazu in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (28.2.01) gesagt: „So wie die Ausstellung die Unabhängigkeitsbewegung in Afrika seit 1945 in einer visuellen Sprache vermittelt, präsentiert das Buch eine präzise Grundlage der gegenwärtigen afrikanischen Ästhetik in den einzelnen Ländern...Ausstellung und Buch sollen den Bildern, die der Kolonialismus hinterlassen hat, eine neue Sicht entgegensetzen auf das, was afrikanische Identität sein könnte oder sein wird.“ Und das ist vielleicht der wichtige Ansatz Enwezors, der der einstigen Ideologie der Négritude (Aimé Césaire, Léopold Sédar Senghor) eine politisch und wirtschaftlich zukunftsweisende Überzeugung entgegensetzt, oder besser, diese Ideologie öffnet: „Es geht nicht um die Geschichte der Schwarzen Afrikas, sondern um die komplexen Beziehungen der Volksgruppen untereinander, seien es Araber, Inder, Schwarze oder Weiße, die alle Afrika ausmachen.“Enwezor hat an dieser Ausstellung noch vor seine Berufung zum Ausrichter der documenta zu arbeiten begonnen. In drei Jahren Arbeit hat er eine Dokumentation von Malerei, Grafik, Textilien, Fotos, Videos, Skulpturen, Architekturmodellen, Literatur zusammengestellt, die in einer solchen Dichte und Mischung präsentiert wird, dass oft ein Exponat das andere auditiv oder visuell übertönt. Also nicht die Bewunderung des Einzelnen steht bei Enwezor im Vordergurnd, sondern die Betrachtung einer kulturellen Bewegung, deren Dinge ineinander greifen, wo das ästhetische Objekt nicht von der politischen Bewegung zu trennen ist. Enwezor wird, nach dem Augenschein dieser Präsentation, wahrscheinlich für die nächste documenta ein noch radikaleres Konzept entwickeln als Catherine David für die 10te.
Gar mancher Besucher dürfte dort wohl nach der Galeriekunst vergeblich suchen. Und vorbereitet wird dieses Konzept auf dezentralen Diskussionskongressen, sogenannten Plattformen in vielen Städten der ganzen Welt, in Wien, Berlin, Neu Dehli, Dakar, Kinshasa oder Johannesburg, wo überall die „Story of my Experiment with Truth“ geschrieben wird, wie das Katalogbuch in Kassel heißen wird, und welcher Titel einem Buch Gandhis entlehnt ist.Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München, Tel. 089/ 4555510.Die Ausstellung wird nach München in Berlin gezeigt und dann nach Chicago (Museum of Contemporary Art) und New York (Museum of Modern Art) weiterwandern.Das Katalogbuch „The Short Century“ ist im Prestel Verlag, München erschienen, 484 S. mit ca. 450 Abb., DM 128,-, als Katalog in der Ausstellung DM 68,-)
Erwin Schaar: Kurt Schwitters. Aller Anfang ist MERZ - Von Kurt Schwitters bis heute
Manche nennen es „Karriere“, manche weniger wertbesetzt „Lebenslauf“, diese Collage von Einflüssen, Ereignissen, Glück und Unglück, Schicksal, Förderung und Missachtung. Der Wegbereiter der Collage in der modernen Kunst, Kurt Schwitters, mag Leben als das Zusammengeschnittene, Geklebte, Zusammengeklaubte als Voraussetzung für ein Ausdrucksverlangen angesehen haben, das es dann in Formen zu bringen gilt, die einen gewissen ästhetischen Anspruch erfüllen. Und sein Schaffensmotto „merzen“ entnahm er dem zufällig gefundenen Kürzel MERZ, als er die Autoaufschrift „COMMERZ“ in einer Lücke entdeckte. Eine kleine Anekdote, auch dem Zufall des Lebens entnommen.
München als letzte Ausstellungsort nach Düsseldorf und Hannover dieser in der Form konzipierten Ausstellung um den Mitbegründer des Dadaismus zeigt neben den gegenständlichen Bildern von Schwitters’ Anfängen, die durchaus passable wenn auch keine eigenständige Malerei sind, die Werke seiner MERZ-Phase, also die Collagen, gemischt mit den Bildern, Objekten, Installationen und Videos weiterer 37 Künstler, die in seiner Nachfolge ‘eingeordnet’ werden können. Dazu steht buchstäblich im Mittelpunkt der Präsentation die Rekonstruktion von Schwitters’ Merzbau, einem Ambiente, das sich einst in seiner Wohnung in Hannover über mehrere Stockwerke erstreckte und das Ausdruck seiner Collage-Phantasien in einer räumlichen Gestaltung war.
Die Bomben des 2. Weltkriegs zerstörten das Original.Schwitters wollte das Leben „entformeln und vermerzen“. Vielleicht könnte man ihn, auf den sich so viele Stilarten der modernen Kunst beziehen - Abstrakter Expressionismus, Pop Art, Neo-Dada, Nouveau Réalisme, Fluxus -, auch einen Dekonstruktivisten nennen, der mit seinem Prinzip auch Architekturstile und womöglich die Filmkunst beeinflusste. Ganz zu schweigen von seinen literarischen Experimenten und Toncollagen, von deren Anregungen heute noch mehr oder weniger experimentelle Hörstücke leben.Schwitters (1887 - 1948) floh als ‘entarteter’ Künstler 1937 aus Deutschland und kehrte auch nie mehr zurück. Er erlebte seine Wiederentdeckung und die ersten Versuche derer, die von seinem Stil beeinflusst wurden, nicht mehr. Und von diesen Nachfolgern, denen nichts Epigonales eigen ist, kann man in dieser Ausstellung eine Menge zu sehen bekommen.
Fast gilt es sie in der Zusammenschau mit Schwitters’ Werken neu zu entdecken, mit Lust und Spaß zu betrachten: ob es sich nun um die Schichtungen von Gläsern von Tony Cragg, die Objektkästen von Beuys, die fulminante Ansammlung von Kitschobjekten durch die Kanadierin Laura Kikauka oder das sich wie durch enge Räume windende Videobild des Deutschen Gregor Schneider handelt, der sein Haus immer mehr verschachtelt und zum Irrgarten werden lässt, den er mit der Kamera wie einen unbekannten Höhlengang durchmisst.Man möchte eigentlich nur wünschen, dass die Ausstellung mehr von dem alltäglichen Leben hereingeholt hätte, um Schwitters’ Aussage zu verwirklichen: „Merz ist Konsequenz. Merz bedeutet Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“.
Und wenn der Pressetext vom Künstler und Antikünstler, Revolutionär und Traditionalisten, Bürgerschreck und Kleinbürger spricht, hoffte man, dass dieser kreative Spötter und künstlerische Phantast auch in seiner sozialen Dimension gesehen und den nur Kunstsinnigen und Ästheten entrissen würde. Denn Kunst ist Leben und Leben muss auch - zumindest ein wenig - Kunst sein.Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, 80538 München, Tel. 089/ 21127123. Der Katalog, herausgegeben von Susanne Meyer-Büser und Karin Orchard (347 S. mit vielen Abb.) ist im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2000 erschienen und kostet in der Ausstellung DM 68,-, im Buchhandel DM 98,-.
Trygve Panhoff: Wissen um Medien und emotionales Lernen
Massenmedien vermitteln uns Informationen auf mehreren Ebenen. Statt jedoch das emotionale Potential zumal der Musik- und Bildmedien zu nutzen und weiterzuentwickeln, betrachtet die Institution Schule sie oft als Gefahr, vor der man Schüler schützen muss. Nach wie vor gilt das intellektuelle Niveau in den schulischen Lehrplänen als vorrangig gegenüber der somit stark vernachlässigten emotionalen Ebene. Zwar lässt allmählich ein besseres, offeneres Medienverständnis der jüngeren Generation auf eine Einstellungsänderung hoffen, doch ist dies ein zeitraubender und keineswegs einfacher Prozess.
(merz 2001-02, s. 122-125)
Erwin Schaar: Das Trugbild Leitkultur
Regie und Buch: Michael Haneke - Kamera: Jürgen Jürges - Musik: Giba Gonçalves - Darsteller: Juliette Binoche, Thierry Neuvic, Sepp Bierbichler, Alexandre Hamidi, Ona Lu Yenke, Luminita Gheorghiu - Produktion: Frankreich (MK2 Productions, Les films Alain Sarde) 2000 - Länge: 117 Minuten - Verleih: Prokino/ Twentieth Century Fox of GermanyMichael Hanekes Filme sind pessimistisch und doch dem Leben zugewandt. Sie sind grüblerisch. Sie sind zeichenhaft stilisierend, dann aber doch nicht so abstrakt, dass sie der Emotion nicht zugänglich wären, dass sie nur aufzeigen würden, um den Intellekt zu beschäftigen. Hanekes Filme bedürfen wacher, nicht unbedingt schon von Gefühlen gebeutelter Zuseher. Rekreation beim Zusehen kann nur im Nachvollziehen einer als gelungen angesehen Konzeption des Regisseurs gelingen. Jeder auf den schnellen Gag lauernde, auf Action getrimmte Kinogeher wird oder müsste genervt die Vorstellung verlassen. Diejenigen, denen Filmbilder auch Anlass für Nachdenken sind, finden genug Stoff für ästhetische und soziale Auseinandersetzungen.All dies gilt vornehmlich für Hanekes neuesten Film „Code inconnu“.Keine letzten WahrheitenDie Handlung des Films ist natürlich dramaturgisch verbunden, auch wenn es viele Begebenheiten sind, die sie ausmachen, und die grundsätzlich nichts miteinander zu tun haben oder hätten, denen aber der Autor eine erzählerische Klammer gegeben hat, damit wir Zuschauer an den Figuren bleiben können, die filmischen Botschaften sich nicht in Unverbindlichkeiten, also an Figuren ohne Geschichte auflösen:
Ein Boulevard in Paris. Jean trifft seine Schwägerin Anne, der er seinen Entschluss mitteilt, den ihm zugedachten Bauernhof nicht zu übernehmen. Anne, eine Schaupielerin, eilt zu einem Vorsprechtermin und schickt Jean in ihre Wohnung. Auf dem Weg dorthin demütigt er durch eine pubertäre Geste die rumänische Bettlerin Maria, die illegal in Frankreich ist. Amandou, malinesischer Abstammung, stellt Jean zur Rede, der sich widerspenstig zeigt. Es entwickelt sich eine Schlägerei, die damit endet, dass der Schwarze Amadou mit zur Polizei muss, Maria ausgewiesen wird. All diesen Gestalten begegnen wir im Laufe des Films immer wieder, werden mit weiteren Partikelchen aus ihrer Lebensgeschichte bekannt. Zu diesen Personen werden sich noch Annes Mann Georges, der als Kriegsreporter im Kosovo arbeitet, der Vater von Georges und Jean und weitere Personen, die mit diesen Protagonisten in Verbindung gebracht werden können, gesellen.Wir wechseln innerhalb der Erzählung ein paar Mal den Ort, gehen von Paris aufs Land, aber auch nach Mali, in den Kosovo, nach Rumänien, verfolgen so die Personen ein Stück ihres Lebens.Die erste Schwarzblende, die unvermittelt der Eingangssequenz folgt, lässt an einen Fehler bei der Projektion des Films denken, bis man die dramaturgische Konzeption Hanekes erkannt hat, lange und kurze Sequenzen, manchmal auch in einer Einstellung gedreht, durch Schwarzblenden abzubrechen. Es soll kein stringenter Handlungsablauf entstehen, der den Eindruck einer mit letzter Wahrheit erzählten Geschichte vermitteln würde. „Man kann nicht so tun, als wäre man im 19. Jahrhundert und als ließe sich Wirklichkeit in toto wiedergeben. Das ist absurd.
Aber genau das machen ja 90 Prozent der Regisseure und beziehen aus diesem Erklärungsmodell natürlich auch ihre Publikumswirksamkeit“ (aus einem Interview mit M. Haneke, abgedruckt in „Austrian Film News“, Juni 2000).Einsamkeit„Code: Unbekannt“ ist ein Film über die Schwierigkeiten der zwischenmenschlichen Verständigung, über die Fallstricke des partnerschaftlichen Zusammenlebens, über das Auslöschen von Menschenleben im Krieg und die Informierung der Welt darüber, über Fremdenfeindlichkeit, zwischenmenschliche Provokationen, über die Ästhetik der Wahrnehmung und über deren Relativität selbst. Haneke liebt es, die im ersten Augenblick sich auch so darstellende Normalität als ein Trugbild zu entlarven, immer wieder zu zeigen, dass das nur gelernte (oder vielmehr zu spielen gelernte) Konvention ist. Jeder Mensch ist allein! Hilfe erwächst ihm nicht durch sogenannte Mitmenschlichkeit oder Liebe - bei der Behauptung solcher Gefühle würden sich Hanekes Bilder abwehrend aufstülpen wie die Materie bei einem Erdbeben. Und trotzdem wird menschliche Existenz von Haneke nicht dekonstruiert, sondern hat ihren Wert als diese Einzelexistenz, als die sie vor- und in das Geschehen eingeführt wird. Da scheint Haneke seit dem den Zorn auf seelenlose Quäler und Mördertypen herausfordernden „Funny Games“ doch eine gnädigere Haltung dem menschlichen Wesen gegenüber gefunden zu haben. Zumindest lässt er seine von ihm gewählten und beschriebenen Figuren nicht in Bösartigkeit erstarren: Jean, der der Bettlerin aus Rumänien achtlos eine zusammengeknüllte Tüte in ihre bittenden Hände schmeißt, tut das eher beiläufig, unbedacht denn gezielt, die jugendlichen Provokateure in der Metro, die Anne herauszufordern versuchen, erscheinen zwar aggressiv, reagieren aber wider nur den Frust ab, der sich in sie gefressen hat, weil die Gesellschaft ihnen als Emigranten keinerlei Chancen der Entfaltung bietet.Sprechende TrommelnHaneke beginnt seinen Film mit der pantomimischen Darstellung eines Seelenzustandes durch ein taubstummes Kind. Auch die ratenden Kinder, die die Darstellung verfolgen, können nicht sprechen und geben ihre Auflösungen der Rätselfigur in der Gebärdensprache.
Der Film schließt wieder mit der Darstellung eines Zustandes durch ein Kind, der leichter, aber auch oberflächlicher erscheint als das Psychorätsel zu Beginn. Und überlagert wird dieses Ende durch die Trommeln einer mächtigen Drum-Band, die in koordinierter Formation erregende Rhythmen produziert. Die Besetzung dieses Orchesters der sprechenden Trommeln ist multiethnisch und der Rhythmus ist nicht französisch. Trommelnd scheinen Menschen verschiedener kultureller Herkunft einen gemeinsamen Weg oder zumindest einen Anfang gefunden zu haben. Und wie sie gegen das nervtötende Geseiere von einer Leitkultur antrommeln können.Zum Regisseur: Michael Haneke ist 1942 in München geboren, nach seinem Studium der Psychologie in Wien war er Redakteur beim Südwestfunk und arbeitet seit 1970 als Autor und Regisseur für Film und Theater. Bekannt wurde er durch seine Filme „Benny’s Video“ (1992) und „Funny Games (1997).
Florian Schneider: Streaming Media - ein Konvergenzmonster?
Wenn es im Internet im Jahr 2000 ein beherrschendes Thema gab, dann hieß es „Streaming Media“. Unter diesem Kampfruf haben sich mehr oder weniger abenteuerliche Phantasien Bahn gebrochen, die von der Konvergenz aller Medien zu einem einzigen, hybriden Monster handeln, welches die Endnutzer mit unablässiger Kommunikation auf allen zur Verfügung stehenden Plattformen heimsucht: Vom „Blairwitch-Project“ bis hin zur jederzeit am Mobiltelefon abrufbaren Videoüberwachung des heimischen Kühlschranks, von der AOL-Time-Warner-Fusion bis zur Versteigerung der UMTS-Lizenzen. Fünf Jahre nach dem Durchbruch des Internets als Massenmedium schien der Sprung auf eine qualitativ neue Ebene des Hypes nicht nur überfällig, sondern auch zum Greifen nah. Doch 2000 war auch das Jahr der im freien Fall nach unten korrigierten Prognosen. Was also ist dran an der Wunderwelt der miteinander verschmelzenden Medien? Worin besteht überhaupt das Besondere am Streamen?
Audio und Video via Internet
Zunächst einmal handelt es sich bei Streaming Media um einen vergleichsweise alten Hut: Schon kurz nachdem das Hypertextuniversum des World Wide Web erschlossen wurde, machte den Programmierer die Frage zu schaffen, wie über das neue Medium nicht nur statische Texte und Bilder, sondern auch ungleich umfangreichere Audio- und Video-Daten zu übertragen wären. Beim herkömmlichen Download kompletter Dateien war die Zeit des Wartens, bis der Prozess des Herunterladens endlich abgeschlossen war, in der Regel fünf bis zehn Mal so lang wie das eigentliche Hörvergnügen im Anschluss. 1995 gelang es der Firma „Progressive Networks“ aus Seattle erstmals, Audio-Daten via Internet zu übertragen - und zwar mehr oder weniger in Echtzeit. Mit dem RealAudio-Player konnte das Abspielen der Datei gestartet werden, sobald die ersten Pakete auf dem Rechner anlangten. Voraussetzung ist, dass der Endnutzer die Player-Software auf seinem Rechner installiert hat und dass die Ton-Dateien digitalisiert und komprimiert im proprietären Real-Audio-Format auf einem entsprechenden Streaming Server bereit gehalten werden. Die Daten können zwar auch über TCP/IP und das WWW-Protokoll HTTP übertragen werden, doch eigene Multi-Casting Protokolle wie das „Real Time Streaming Protocol“ (RTSP) oder UDP erhöhen die Übertragungsgeschwindigkeit um ein Vielfaches. Nur wenige Monate nachdem „Progressive Networks“ seine neue Technologie vorgestellt hatte, waren RealAudio-Downloads auf allen großen und populären Webseiten zu finden. Mit der zweiten Version des Players vom Frühjahr 1996 waren Live-Übertragungen möglich und die Einbettung der Audio-Inhalte in das Design von Webseiten. Kurz darauf kam der erste RealVideo-Player heraus, der bis zu seiner aktuellen Version 8 die Stellung als am weitesten verbreitete Play-Back-Software gegen die Konkurrenz von Apple (Quicktime) und Microsoft (Windows Media Player) behaupten konnte.
Open Spaces
Neben den großen kommerziellen Angeboten nutzten von Beginn an vor allem Hobby-Sender und Piratenradios das Internet als Übertragungsweg. Die Streaming-Technologie ermöglichte den Kleinst- oder Mikro-Medien neben der terrestrischen Ausstrahlung mit meist minimaler Reichweite auf einmal ein überregionales, nicht mehr eingrenzbares Publikum anzusprechen. Geradezu legendär ist der „World Service“ von Heith Bunting auf „Irational.org“. Rund um die Uhr sind dort Programme von Piraten- und Schlafzimmersendern aus aller Welt zu hören: Von „La onda bajita“ mit ihrer „Lowrider Show“ aus Kalifornien über Radio „Kyrgyzstan“ bis hin zum australischen „Stereopublic“ fügen sich Dutzende unterschiedlichster Mini-Programme in ein gemeinsam verwaltetes Sendeschema. Im „X-Change“ Netzwerk haben sich seit 1997 unter Federführung von Rasa Smite und Raitis Smits aus Riga und ihrem „E-lab“ alternative nicht-kommerzielle Internet Sender und praktizierende Individualisten zusammengeschlossen. „Open Spaces, Non-Linearität und experimentelle Praxis“ lauten die Prinzipien, nach denen die akkustischen Dimensionen des Cyberspace erforscht werden sollen. Pionierarbeit leistete auch Thomax Kaulmann, Mitbegründer des Internet-Radios der „Internationalen Stadt Berlin“, der mit seinem Projekt Orang.orang.org eine offene Datenbanklösung zur Archivierung von Audio- und Video-Inhalten entwickelte. OMA, das „Open Media Archive“, sammelt, streamt und erschließt Medien-Produktionen, die auf verschiedenen Servern angesiedelt, aber über eine gemeinsame, dynamische Plattform zugänglich sind. Im Unterschied zu kommerziellen Anbietern wie „Atomfilms“, „Eveo“ oder „Videofarm“ kann das Publikum hier nicht nur kostenlosen Content herunterladen, sondern auch eigene Produktionen in die nach verschiedenen Genres und Rubriken sortierte Datenbank hochladen.Kultur des ProvisorischenEs waren die kleinen, unabhängigen und randständigen Initiativen, die den großen Medienkonzernen vormachten, wie Interaktivität nicht nur versprochen, sondern auch wahr gemacht wird. Diese reichhaltigen Erfahrungen zu bündeln und mit der aktuellen Debatte um rechtliche Rahmenbedingungen, technologische Entwicklungen, sowie politische und ästhetische Implikationen zu verknüpfen, war Ziel einer Konferenz, die im Oktober 2000 in Amsterdam stattfand. „Net.congestion“ - also Netzstau, die Fehlermeldung die allzuoft die flüssige Datenübertragung unterbricht - lautete der ironische Titel des Großereignisses, das sich einzureihen versuchte in die Tradition „Next Five Minutes“-Kongresse. Die Frühphase des Experimentierens mit „Streaming Media“ angeführt von ein paar Enthusiasten sei unweigerlich zu Ende, hieß es im Konzept von „Net.congestion“. Netzradio und Web-TV seien an einem Punkt angelangt, wo es nicht mehr bloß gilt, Chancen und Möglichkeiten des hybriden Zusammenspiels von alten und neuen Medien auszuloten und taktische Varianten zu erörtern: „Die Werkzeuge, die die Produzenten von Streaming Media sowohl auf kulturellem wie auf kommerziellem Gebiet benutzen, sind nahezu dieselben. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Gruppen ist die Art und Weise, wie die Inhalte präsentiert werden.“„Net.congestion“ verdeutlichte aber vor allem eines: Wohin man auch blickt, machen äußerst provisorische Lösungen den Charakter der neuen Medienwirklichkeit aus. Resultat ist eine Kultur des Imperfekten und eine Renaissance oraler Erzählstrategien, die sich den klassischen Plotgesetzen der verschriftlichten Welt Stück für Stück entziehen. Nora Barry vom Online-Filmfestival „The Bit Screen“ sieht vier narrative Taktiken im Aufwind: Interaktive Geschichten, die dem User die Kontrolle über den Fortgang der Handlung übereignen; kollaborative Strategien, bei denen mehrere gleichberechtigte Autoren am Werk sind; Zufallskonfigurationen, wenn Datenbanken automatisch jeweils einzigartige Versionen zusammenstellen; und zu guter Letzt der klassische Kurzfilm. Überschaubare Datenmengen kombiniert mit althergebrachter Dramaturgie und gängigen Pointen machen sicherlich den populärsten Audio- oder Video-Content auf Seiten kommerzieller Anbieter aus.
Ob die User, sobald sie einmal Blut geleckt haben, sich mit der Fortschreibung ihrer Rolle als Couch-Potatoes zufrieden geben, darf jedoch getrost bezweifelt werden. Zu groß sind die Verlockungen, mit denen neue Technologien und deren digitale Übertragungswege winken: Es beginnt beim banalen Chat, der als eine Art Rückkanal heutzutage jedes Streaming begleitet, das etwas auf sich hält. Dies führt zwangsläufig zum Recht auf Programmierung, das aus den Redaktionsstuben der Sendeanstalten in die Hände eines selbstbewußten Publikums übergleitet. Vorläufiger Endpunkt sind im Moment noch richtig radikal anmutende Szenarien, in denen die klassische Handlung mit festgefügtem Anfang und Ende in zahllose Erzählfragmente zertrümmert wird....
Machtverhältnisse verändernEnorme Bedeutung haben die Erfahrungen, die ein einstiger Piratensender wie das Belgrader Radio B92 bei der trickreichen Umgehung des staatlichen Sendemonopols sammeln konnte. Gerade in Gegenden dieser Welt, die nicht über bandbreitige Zugänge verfügen oder wo eine einzige Telefonleitung schon ein kaum vorstellbares Privileg ist, gehört die Zukunft dem hybriden Mix aus allen möglichen Übertragungswegen, seien sie nun analog oder digital, via Internet oder Satellit, im Äther oder im Boden verlegt. Arun Mehta, Streaming-Experte aus New Delhi, legte drei inhaltliche Kriterien fest, die unabhängige Medien im Zeitalter des „Digital Divide“ auszeichnen sollten: Unmittelbare Verbesserungen im konkreten Leben der Menschen herbeizuführen, Medienkompetenz zu befördern und dadurch die herrschenden Machtverhältnisse zu verändern.
Solcher Optimismus erinnert an Hoffnungen, die in der Früh- und Blütezeit von Dokumentarfilm- oder Videobewegung kursierten. Der entscheidende Unterschied dürfte aber darin bestehen, dass heutzutage nicht nur die Produktionswerkzeuge, sondern auch effiziente und vergleichsweise kostengünstige Distributionswege prinzipiell verfügbar sind. Im Gegensatz zu blanken HTML-Seiten setzt der Upload von Audio-und Video-Dateien dennoch um einiges kostspieligere Hard- und Software-Umgebungen voraus, sowie Internet-Zugänge mit großer Bandbreite, wie sie sich derzeit in der Regel nur größere Firmen leisten können. Je vehementer kommerzielle Anbieter sich auf dem Markt der konvergierenden Medien zu positionieren versuchen, desto wichtiger ist es, im Rahmen kommunaler Kulturpolitik und aktiver Medienarbeit frühzeitig Modelle zu entwickeln, die nichtkommerziellen Projekten die Möglichkeit bieten, ihre Audio- und Videoproduktionen zu digitalisieren, zu formatieren und ins Netz zu stellen.
Neutrale und werbefreie Kontexte sind sicherlich unabdingbare Voraussetzung für Glaubwürdigkeit und Erfolg zahlreicher Unterfangen. Gleichzeitig bergen Streaming Media gewaltige ästhetische Herausforderungen und ein immenses kreatives Potential. Eine völlig neue Dimension tut sich vor allem für die non-fiktionale Filmproduktion auf: Anstelle bloßer Dokumentation könnte es vielmehr um eine Art „Meta-Documentary“ gehen: Eine Sicht der Wirklichkeit, die in der Lage ist, zeitlich und räumlich unbegrenzte, parallel stattfindende und miteinander vernetzte Prozesse zu reflektieren.
Fernand Jung: CD-ROMs zum Nachschlagen und Spielen
Eine zentrale nationale Kinemathek, wie sie in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, gibt es in Deutschland nicht (wegen der Kulturhoheit der Länder), und so kam es in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu unkoordinierten regionalen Aktivitäten, um den Bestand der Filmkultur wenigstens in Teilaspekten aufzuarbeiten. Nach vielem Hin und Her gibt es seit einigen Jahren den Kinematheksverbund, der eine zentrale filmhistorische Arbeit ermöglicht und die filmkulturelle Tradition lebendig halten soll. Dazu gehören die Sammlung und Sicherung der deutschen Filmproduktion von den Anfängen bis zur Gegenwart, ferner die Restaurierung alter Kopien, die Veröffentlichung von Untersuchungen, die Veranstaltung von Retros u.a.m. Diese Aufgaben teilen sich nun die im Kinematheksverbund zusammengeschlossenen drei größten Filmarchive in Deutschland, das Bundesarchiv in Koblenz, das Deutsche Filminstitut in Frankfurt und das Deutsche Filmmuseum in Berlin – eine Reihe weiterer filmwissenschaftlicher Institutionen sind dem Verbund angeschlossen. Ein erstes Ergebnis dieser Gemeinschaftsarbeit ist die vorliegende CD-ROM, die sich in zwei Abschnitte teilt: Die „Top 100“ und die „Deutsche Filmografie“.1995 führte der Verbund unter Filmhistorikern und Journalisten eine Umfrage nach den „100 wichtigsten deutschen Filmen“ durch, um diese zu dokumentieren, die Kopien archivarisch zu sichern und sie für den nicht-kommerziellen Bereich verfügbar zu machen. Letzteres ist erst bedingt der Fall, aber die auf der CD-ROM versammelten Informationen zu den 100 „wichtigsten“ deutschen Filmen lassen keine Wünsche offen. Ein schier unerschöpflicher Materialfundus aus filmografischen Angaben, Inhaltsangaben und Kritiken, Abbildungen (bis zu 30 je Film) und Filmausschnitten, der dank der hier angewandten Technik leicht zu handhaben ist. Man braucht auch keine Angst zu haben, sich in den Datenmengen zu verlieren.
Die „Deutsche Filmografie“, das Ergebnis einer gesonderten Arbeitsgruppe im Kinematheksverbund, enthält die Grunddaten „aller“ Spielfilme, die zwischen 1895 und 1998 in Deutschland produziert oder mit deutscher Beteiligung koproduziert wurden. „Koproduziert“ wird dabei großzügig ausgelegt und so nimmt der Anteil von Filmen, die man keineswegs als „deutsche“ Produktionen einordnen würde, zuweilen groteske Ausmaße an. „The more the better“ scheint hier die Devise zu sein. Insgesamt sind 17 905 Titel nunmehr recherchierbar, wenn auch nur mit den notwendigsten filmografischen Angaben. Eine ähnlich aufgebaute Datei der deutschen Dokumentar- und Kurzfilme (und experimentellen Filme?) ist in Arbeit.
Für beide Verzeichnisse gilt: Die technischen Daten, die Schreibweise von Namen und Titeln, alles ist ‘astrein’ – man merkt, dass Fachleute zu Gange waren. An Details herumzumäkeln, erscheint bei der Materialfülle schon fast kleinlich oder wie Beckmesserei. Ein Desiderat bleibt doch: Dass alle Filme der Deutschen Filmografie mit derselben Ausführlichkeit dokumentiert werden wie das bei den „Top 100“ der Fall ist. Zu krass erscheinen im Moment die etwas mickrigen Grunddaten im Vergleich zu den opulenten Dokumentationen der Top 100. Jedenfalls ist die Deutsche Filmografie ein Projekt, dem man eine Zukunft wünscht, auch weil es vielfach ausbaufähig ist und von seinen Mitarbeitern offenbar ernst genommen wird.
Michael Bloech: Gute Laune und viel Gefühl
Schickes StylingNach „Charlie & Louise – Das doppelte Lottchen“ von Joseph Vilsmaier und „Pünktchen und Anton“ von Caroline Link kommt jetzt die dritte Neuverfilmung eines Erich Kästner-Kinderbuch-Klassikers in die Kinos. Da der Produzent Peter Zenk auch noch die Rechte an „Das fliegende Klassenzimmer“ erworben hat, befindet sich der vierte Kästner-Film in Vorbereitung.
„Emil und die Detektive“ ist die wohl gelungenste Adaption in der aktuellen Reihe der Kästner-Verfilmungen. Ohne respektlos mit dem Kinderbuch aus dem Jahr 1928 umzugehen, hat die Drehbuchautorin und Regisseurin Franziska Buch die inzwischen nostalgisch anmutende Romanvorlage angenehm modernisiert. Der Film besitzt Tempo, Witz, Gefühl, Spannung und eine gehörige Portion Zeitgeist. Der inzwischen obligatorische Scooter (früher Tretroller genannt), das Handy oder der Laptop fehlen dabei ebenso wenig wie die Kreditkarte oder der Auftritt im schicken Restaurant. Geboten wird eine gehörige Portion Musik und coole action, die Kindern sicher gefallen wird. Geblieben ist das Ernsthafte der Vorlage, das Gefühl für Gerechtigkeit, das Engagement für die Belange der Kinder, das Streben nach Solidarität der Kinder untereinander und das Mitfühlen am Schicksal von Kindern aus gescheiterten Beziehungen.
Veränderte Details
Franziska Buch siedelt die Story in den bekannten klassischen Milieus Kästners an, deren Dynamik sich aus dem Zusammentreffen konträrer Lebenswelten entwickelt: sei es der Gegensatz Großstadt - Land, oder sei es das Aufeinanderprallen von Ost und West, oder seien es einfach nur die finanziellen Unterschiede. All diese Widersprüchlichkeiten treiben mit ihrer entsprechenden Dynamik die Geschichte von Emil und den Detektiven voran. Der Story verleiht das eine gewisse Realitätsnähe und macht das Zuschauen einfach interessant. Reichtum ist dann nicht per se verwerflich und Armut adelt dann eben nicht immer, von daher ist diese Kästnersche Welt in diesem Film eine mit Ecken und Kanten. Gänzlich anders als in der Vorlage sind die Rollen Gustavs mit der Hupe und Pony Hütchens gezeichnet. Ein Mädchen im 21. Jahrhundert hat einfach eine andere gesellschaftliche Rolle als eines in der ersten Hälfte des 20. In der großartigen UFA-Produktion von 1931 wird die Kinderbande noch von einem Jungen, dem frechen Gustav mit der Hupe geleitet - heute ist es Pony Hütchen, die burschikos und unangefochten die Kindergang anführt. Mit Berliner Schnauze, viel Einfühlungsvermögen und einer anständigen Dosis Mut gewinnt sie das Vertrauen und auch die Freundschaft von Emil, der ein Neuling in der großen Stadt ist. Deshalb muss Gustav konsequenterweise mit Pony Hütchen die Rollen tauschen, jetzt ist er der „Brave“, der in Berlin bei seiner überfürsorglichen Mutter (Maria Schrader) in einer repräsentativen Villa wohnt. Der Dieb wird gestelltIm Gegensatz dazu lebt der zwölfjährige Emil mit seinem arbeitslosen Vater in einem Provinzkaff an der Ostsee. Seit der Scheidung wird Emils Vater förmlich vom Pech verfolgt und das Geld ist mehr als knapp. Wie bei Kästner wird aber nicht auf die Mitleidsdrüse gedrückt, im Gegenteil.
Der Vater (Kai Wiesinger) ist mehr als sympathisch und irgendwie Lebenskünstler, der immer auch an sich selbst und natürlich an seinen, wie er sagt, großartigen Sohn glaubt. Als Emil nach einem selbstverschuldeten Autounfall des Vaters nach Berlin zur wohlhabenden Schwester seines Lehrers geschickt wird, entwendet der dubiose Max Grundeis (Jürgen Vogel) im Zugabteil dem vertrauensseligen Jungen mit einem gemeinen Trick sein mühsam gespartes Geld. Jürgen Vogel ist dabei, wen mag es verwundern, einfach umwerfend diabolisch. Er versteht es meisterhaft, neben all den bösen Seiten der Person auch leise selbstironische Züge zu verleihen.Emil hat das Ersparte deshalb mitgenommen, um in der Großstadt einen gefälschten Führerschein zu erwerben, da seinem Vater der Führerschein entzogen wurde, er aber für seinen zukünftigen neuen Job dringend auf diesen angewiesen ist. In Berlin angekommen, heftet der Junge sich an die Fersen von Max und erhält bald Unterstützung von der zwölfjährigen Pony Hütchen und ihrer Gang. Gemeinsam observieren sie den Dieb und verfolgen ihn bis zu dem noblen Hotel Adlon, wo sich der zwielichtige Halunke einmietet. Dann überschlagen sich förmlich die Ereignisse, eine dramatische Jagd nach dem Geld und nach einem mysteriösen Koffer voller Juwelen quer durch Berlin beginnt.
Am Ende zuviel GlückBesonders gelungen sind die Szenen, in denen Emil und Pony alleine agieren und dabei ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Tobias Retzlaff in der Rolle des Emil ist eine wahre Entdeckung. Sehr glaubwürdig und mit viel Natürlichkeit verkörpert er den netten sympathischen Jungen. Im Gegensatz dazu wirken die Szenen, in denen die Kindergang auftritt, seltsam konstruiert und ein wenig bemüht. Ihren Charme entwickeln die ‘Massenszenen’ immer nur dann, wenn sie videoclipartig montiert werden. Die temporeiche Jagd durch das mondäne und dann wieder ärmliche Berlin wird souverän von Kameramann Hannes Hubach in Szene gesetzt.
Bei aller Action kommt der Humor nicht zu kurz. Anders jedoch als bei „Pünktchen und Anton“ wird Humor für Kinder nicht mit Albernheit verwechselt. Mit augenzwinkerndem Witz wird die Geschichte erzählt und dabei wird auch das ‘Gefühl’ bedient. Vor allem die Szenen zwischen Vater und Sohn sind so voller Sentiment, dass sie gefährlich nah an den Kitsch kommen, die peinliche Grenze dann aber doch nicht überschreiten. Zu guter Letzt ist alles wieder im Lot, so wie es sich für einen Kinderfilm gehört. Der Dieb ist im Gefängnis, das Geld wieder da, der Vater bekommt einen lukrativen Job und eine Belohnung für die Juwelen im Koffer gibt es obendrein. Bei aller Freude über das glückliche und vorhersehbare Happy End wird die Story dann leider ein wenig überstrapaziert. Wie in der Anfangseinstellung sehen wir Emil in den romantischen Dünen der Ostsee beim Versteckspiel mit seinem Vater, doch jetzt findet er nicht nur ihn, sondern gleich die ganze Berliner Gang samt Pony Hütchen. Das wäre noch im Rahmen, wenn nicht auch noch Emils Vater die Mutter von Gustav verliebt im Arm hielte. Weniger ist bekanntlich oft mehr, dennoch bleibt beim Abspann das Gefühl, wieder einmal einen guten unterhaltsamen Kinderfilm gesehen zu haben. Und wer sich jetzt ärgern sollte, dass das Ende hier verraten wurde, dem sei zur Beruhigung gesagt, dass es bis zu dem überglücklichen Finale viel Überraschendes und Turbulentes zu erleben gibt.
María Luisa Sevillano García: Lernen mit Printmedien
Das Misstrauen wird abgebautIn den letzten zwanzig Jahren hat sich das Verhältnis zwischen Tageszeitungen, Schulbehörden und Schulwesen in Spanien grundlegend verändert. Die Zahl der theoretischen und praktischen Aufsätze über Vor- und Nachteile der Verwendung von Tageszeitungen im Schulunterricht nahm stetig zu. Einige Lehrer begannen in der Schulpraxis Tageszeitungen zu verwenden. Zunächst allerdings wandten sich Schulaufsichtsbehörden und Eltern mit folgenden Begründungen gegen solche Neuigkeiten: drohende Politisierung des Unterrichts und Verlust der Kontrolle über die Curricula. Es wurde der Vorwurf erhoben, dass die Schule auf diesem Weg und mit diesen Mitteln keine ernsthafte Bildung vermitteln könne, sondern diese bruchstückhaft bleibe. Das war auch eine versteckte und zum Teil gerechtfertigte Kritik an der Qualität der Tageszeitungen.
(merz 2001-01, S. 54-56)
Beitrag aus Heft »2001/01: Hilfen für die Medienarbeit«
Autor:
María Luisa Sevillano García
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Margret Köhler: Schicksalsgeschichten für ein junges Publikum
Nach Tom Tykwers magischem Liebesfilm „Der Krieger und die Kaiserin“, Detlev Bucks bissiger Provinz-Komödie „LiebesLuder“, den Regiedebuts „Vergiss Amerika“ über zerplatzte Jugendträume in Ostdeutschland von Vanessa Jopps und Miguel Alexandres „Gran Paradiso“, einer psychologisch fein gesponnenen Geschichte über Freundschaft und Solidarität, kommen jetzt vier Erstlingswerke ins Kino, die vor allem ein jugendliches Publikum ansprechen.Nicht mehr die schicken Yuppies in den Lofts stehen im Vordergrund, sondern Menschen, die vom Schicksal nicht gerade verwöhnt werden und sich dennoch wieder aufrappeln.„Der Himmel kann warten“Brigitte Müller erzählt in ihrem ersten Kinofilm von Freundschaft und Tod, startet einen heiter-melancholischen Ausflug in die Welt der Standup-Comedy. Da gibt es sie noch die jugendlichen Leinwandhelden, die man einfach mag, die einen ganzen Satz formulieren können und auch über einen Wortschatz verfügen, der über „krass“ und „knallen“ hinausgeht. Zwei Figuren dieser liebenswerten Spezies stehen hier im Mittelpunkt - der stille, selbstlose Alex, der unter Krebs leidet und dem als Kind das Bein amputiert wurde, und der laute, selbstbewusste Paul, der Frauen aufreißt und naiv-fröhlich durchs Hier und Jetzt stolpert. Die Freunde teilen den gemeinsamen Traum von einer Karriere als Komiker, ein Sieg in der Endausscheidung des Talentwettbewerbs könnte das Sprungbrett zur Spitze sein. Die Zeit läuft: In zwei Wochen müssen sie ihre Acts perfektionieren, um das Publikum zu fesseln. Sie gehen die Sache gemeinsam an. Aber bis zum Abend der Entscheidung passiert noch viel. Während Axel damit fertig werden muss, dass er dem Tode nahe ist, rackert sich Paul mit einer tragikomischen Huhn-Nummer seines amerikanischen Vorbildes Patterson ab, bei der das Testpublikum aber nicht wie gewünscht reagiert. Auch sein Versuch, die spröde Barfrau zu becircen, endet erst einmal erfolglos. Um den Frust zu bewältigen, lädt er den Freund zum Frühstück nach Paris ein, doch der Trip endet bei Halligalli in einem Autobahn-Imbiss.
Als Paul am nächsten Morgen aufwacht, ist Axel schon auf dem Weg nach Los Angeles, um den legendären Patterson ausfindig zu machen. Was trotz aller amüsanten Komplikationen auch gelingt. Ein überglücklicher Paul lässt sich vom Idol das Geheimnis der Huhn-Nummer verraten: nur wer echte Trauer empfinden kann, erzielt Glaubwürdigkeit. Aber woher soll jemand, dessen größtes Unglück es war, den Lieblingsmagneten zu verlieren, zu solchen Gefühlen fähig sein? Zurück in Deutschland überstürzen sich die Ereignisse. Subtil nimmt Brigitte Müller, bisher vor allem als Autorin von Serien wie „Für alle Stefanie“ oder „Freunde fürs Leben“ bekannt, die Freundschaft zwischen den jungen Männern unter die Lupe, aber auch die tiefe Einsamkeit und Verzweiflung eines jungen Mannes, der weiss, dass er seine Wünsche nicht mehr verwirklichen kann. Als Alex erstmals weibliche Zärtlichkeit spürt, ahnt man die Unfassbarkeit seines Glücks. Und wenn er erfährt, dass die große Liebe eine von Paul gekaufte Hure war, leidet man mit ihm. Es sind die kleinen berührenden Momente, die den Charme dieses Buddy-Movies mit überraschendem Ende ausmachen und Schwächen (wie die überflüssigen Hollywood-Sequenzen und den sentimentalen Soundtrack) vergessen lassen.„Schule“Für den erst 25-jährigen Marco Petry wurde ein Traum wahr - er konnte seinen ersten abendfüllenden Spielfilm unter den Fittichen der Produzentin Uschi Reich und von Axel Block (Co-Regie und Kamera) realisieren. Eine Gruppe von Schülern steht kurz vor dem Abitur und macht innerhalb von 24 Stunden einen Crash-Kurs in Sachen Lebens- und Liebeserfahrung. Der Tag beginnt für den 18-jährigen Markus nicht gut, nachdem morgens um Sieben schon seine jüngere Freundin Sandra ihn per Radio dröhnend als „süßen Schnubbi“ grüßen lässt und er sich ob des Kosenamens in seiner Männlichkeit gekränkt fühlt. In der „Schule“ treffen nach und nach die schlappen Protagonisten ein: Nach Markus und Sandra deren ältere Schwester Melanie und ihr Freund André, der sie ständig betrügt, die gutmütige Teresa, die sich wie Mutter Theresa rührend um den rund um die Uhr bekifften Steven kümmert, der pingelige Oberstreber Karbrüggen, der Dirk bei der Matheklausur aus der Patsche hilft (und dafür mit auf die Party am See darf) und noch zwei passionierte Videofilmer, die mit der Kamera überall auftauchen. Den Part des notwendigen bösen Außenseiters übernimmt Möchtegern-Macho Stone, der vor Jahren von der Schule flog und jedem Rock hinterherläuft, je jünger, desto besser.
Das bunte Trüppchen, darunter ausdrucksstarke Nachwuchsschauspieler wie Axel Stein und Sebastian Kroehnert, macht so allerhand durch - man legt sich mit Lehrern und Polizisten an, empfindet das berühmte Kribbeln im Bauch und weiß nicht so recht, was es bedeutet, durchlebt Eifersucht und Liebeskummer, schaut zu tief ins Glas und lässt den Joint kreisen, wartet auf das große Glück und bekommt nur einen kleinen Vorgeschmack davon. Und wenn sich dann alle im Morgengrauen nach einer Nacht der Überraschungen an der Schule treffen, ahnen sie die Vergänglichkeit unbeschwerter Jugend. „Mit guter Laune Melancholie erzeugen“ will Marco Petri, der fünf Jahre am Drehbuch bastelte. Irgendwo zwischen „Harte Jungs“ und „Crazy“ ist sein Filmdebut einzuordnen, das mit einer gewissen Unbekümmertheit realisiert wurde. Die Lehrer erinnern zwar an schlimmste Pauker-Klischees und Relikte aus den 50er Jahren, aber welcher Schüler freut sich nicht am überzeichneten ‘Feindbild’? Spät, aber nicht zu spät, gewinnt der episodenhafte Reigen an Fahrt, bekommen einige der typisierten Figuren Kontur, werden zu sympathischen Buddies. „Schule“ will nicht mehr sein als ein Samstagabend-Popcorn-Movie - die deutsche Antwort auf „American Pie“.„alaska.de“Nicht das jugendliche Biotop einer Kleinstadt, sondern die verlorenen Kids der Großstadt sind Sujet von Esther Gronenborns hartem Berlin-Film „alaska.de“. In beeindruckenden Bildern fängt sie die soziale Kälte ein, in der Jugendliche in den Häuserblocks am Rande der Metropole leben. Die 16-jährige Sabine ist ein typisches Scheidungskind. Nachdem sie mit dem Freund der Mutter ständig aneinander gerät, zieht sie zu ihrem Vater in eine Plattenbausiedlung vor Berlin. Bald lernt sie den 17-jährigen Eddi und seine Kumpels kennen, darunter auch Micha, der gerade auf Bewährung ist, aber wegen seiner Volljährigkeit kein Fall mehr für den „Eiapopeia-Jugendknast“ ist, wie es ein Polizist formuliert.
Als die Jungs bei einem Streetballspiel von einem Gleichaltrigen gestört werden, entsteht eine Keilerei, in deren Verlauf Eddi plötzlich ein Messer in der Hand hat und den Angreifer, der mit einem Mülleimer auf Micha einschlägt, ersticht. Auf der Flucht begegnen sie Sabine. Aus Angst, dass das Mädchen sie verrät, soll Eddi sie auskundschaften, dabei verliebt er sich in sie. Doch in dieser Umgebung haben Gefühle keine Chance, es kommt zur Katastrophe. „Der Film hatte nicht nur das Ziel, sich sehr nah an der Welt der Jugendlichen zu orientieren, sondern die Geschichte sollte ganz stark auf die Persönlichkeit und die Erfahrungen der Darsteller eingehen“ beschreibt die Regisseurin ihre Intention. Die Idee enstand bei Dreharbeiten zu einem Musikvideo, das von Gewalt an Schulen handelte. Dabei lernte Gronenborn Cliquen aus Lichtenberg und Potsdam kennen, ganz normale Jugendliche aus dem Milieu wurden für „alaska.de“ gecastet, das Drehbuch sogar auf sie hingeschrieben. Nachdem die Besetzung stand, fuhr man an die Ostsee - nicht nur wegen Schauspielübungen oder Annäherung an die Handlung, sondern auch, um ein Gruppengefühl zu entwickeln. Die Kids erhielten kein Drehbuch, die Szenen wurden erst beim Drehen besprochen, dabei war Improvisation Trumpf. Das visuelle Konzept mit wackeliger Kamera und grobkörnigen Bildern soll auf die Sehgewohnheiten Jugendlicher verweisen.Auch wenn manchmal die Kreuzung von Künstlichkeit und Realismus nicht befriedigt, so ist doch anzuerkennen, dass sich die Absolventin der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film an ein aktuelles und brisantes Thema wagte.„Sumo Bruno“In Anlehnung an eine wahre Begebenheit schildert Lenard Fritz Krawinkel das Schicksal vom 200 Kilo schweren Bruno Nestroy (Hakan Orbeyi).
Der ehemalige Schrankenwärter ist arbeitslos, stopft Chips und Buletten in sich hinein, lebt zurückgezogen und fast ohne soziale Kontakte. Einzig mit Kalle (Oliver Korittke) verbindet ihn so etwas wie Freundschaft. Der Luftikus hat immer neue Ideen, wie man zu Geld kommen könnte. In ihrem sächsischen Provinzkaff Riesa findet die erste Sumo-Weltmeisterschaft außerhalb Japans statt. Warum den Dicken nicht trainieren und die Prämie kassieren? Ein Trainer ist schnnell gefunden: Akashi - ein echter Sachse, der mit seiner japanischen Frau ein Sushi-Lokal betreibt und dem Koloss die Grundbegriffe des Kampfes beibringen soll. Und natürlich gibt es da noch eine nette Frau, die sich in Bruno verliebt und ihren fiesen Macho-Gefährten verlässt und ihren Sohn, der Brunos Freund und emotionaler Unterstützer wird. Die Dorfbewohner, die Bruno zu Beginn der Tragikomödie verspotten, rufen ihn zum Helden aus, auch wenn er nur den zweiten Platz im internationalen Wettbewerb belegt.
Sensibel zeichnet der ehemalige Student an der HFF München und der FEMIS in Paris wie ein Mensch seine Würde und Selbstachtung zurückgewinnt. Zwar hakt die Dramaturgie etwas und manchmal wirkt die Langsamkeit der Inszenierung ermüdend, alles geht im Endeffekt auch zu glatt, aber man liebt die Verlierer, denen für einen kurzen Moment die Welt zu Füßen liegt.
Gerlinde Schumacher: Die Vermittlung der Welt durch das Fernsehen
„Reiche Kindheit aus zweiter Hand?“ war der Titel einer medienpädagogischen Tagung des ZDF Ende September in Mainz. Die große Zahl von 450 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, darunter Erzieher, Lehrer, Journalisten, Medienwissenschaftler und Multiplikatoren der Lehrer- und Erzieherausbildung aus ganz Deutschland, zeigte, wie hoch der Bedarf an medienpädagogischen Diskussionsforen ist. Themen der Vorträge und Podiumsdiskussionen waren unter anderen der Fernsehalltag der Kinder, die Rezeption von Informationsprogrammen, Kinder und Werbung, Medienerziehung in Kindergarten und Schule, konkrete Arbeitshilfen für Pädagogen sowie Multimedia. In seiner Eröffnungsrede hob der Programmdirektor des ZDF Markus Schächter die Qualität des öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens von ARD und ZDF hervor. Der Spagat zwischen attraktivem und verantwortetem Programm sei ohne jeden Krampf gelungen.Fernsehen für Kinder noch immer umstrittenDas einführende Referat des Medienpädagogen Bernd Schorb von der Universität Leipzig beschäftigte sich mit der Bedeutung der Medien und speziell des Fernsehens für die Kinder heute. So belegen empirische Untersuchungen, dass mediale Freizeittätigkeiten im Alltag der Kinder zentral sind, wobei das Fernsehen an erster Stelle steht.
Außerdem zeigen Ergebnisse der qualitativen Rezipientenforschung, dass Kinder in Fernsehangeboten nach Hinweisen für die Bewältigung entwicklungsbedingter Themen sowie aktueller Problemlagen, nach personalen Vorbildern und ethischen Orientierungen suchen. Anhand der bei Kindern beliebten Formate Pokémon, GZSZ, Big Brother und Teletubbies führte Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk aus, was Kinder an diesen Serien begeistert, wie sie sie im Alltag nutzen und wo Problembereiche auszumachen sind. In der Diskussion wurde die Grundsatzfrage erörtert, ob Fernsehen für Kinder eher Chancen oder Gefahren birgt. Eher bewahrpädagogische Positionen vertraten dabei Susanne Gaschke von der ZEIT und der Kinderpsychiater Michael Millner aus Graz. Sie argumentierten, dass der häufig mit schwierigen familiären Verhältnissen einhergehende unkontrollierte Fernsehkonsum der Kinder ihrer Entwicklung abträglich sei. Dagegen plädierten Schorb und Götz für die Einsicht, dass Fernsehen ein zentraler Bestandteil des Alltags der Kinder sei, und es nicht darum gehen könne, es zu verdammen oder zu verharmlosen. Es biete den Kindern sehr wohl Chancen und Möglichkeiten, wobei sie die Unterstützung der Eltern und Pädagogen brauchen, um den richtigen Umgang mit dem Medium zu erlernen.
Informationen und GeschichtenZum Thema Informationssendungen wurden Ergebnisse von zwei im Auftrag des ZDF durchgeführten Untersuchungen vorgestellt. So präsentierte Frau Melzer-Lena von iconkids & youth die positiven Resultate einer qualitativen Studie zum ZDF-Informationsangebot Löwenzahn und die von Helga Theunert und Susanne Eggert vom JFF-Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis vorgestellte Rezeptionsstudie zu Wissenssendungen machte deutlich, dass Kinder einen enormen Wissensdurst haben, aber nur wenige Fernsehsendungen dieses Grundbedürfnis abdecken. Die bekannteste und beliebteste Wissenssendung bei den 7- bis 12-Jährigen ist Löwenzahn vor Philipps Tierstunde (ARD und KI.KA) und dem Erwachsenen-Magazin Welt der Wunder (ProSieben). Kinder haben hohe Erwartungen an eine Sendung zur Wissensvermittlung: Sie soll thematisch vielfältig sein, immer etwas Neues bieten, aber auch Vergnügen bereiten und von sympathischen und kompetenten Moderatoren, wie ihn z.B. Peter Lustig verkörpert, präsentiert werden.Am Beispiel der ZDF-Sendereihe Siebenstein wurde die Bedeutung von Fernsehgeschichten für Kinder erörtert. Dazu erläuterte die Redaktionsleiterin Irene Wellershoff die Programmidee von Siebenstein. Die seit Ende 1988 ausgestrahlte Sendereihe will „gute Geschichten erzählen, den zuschauenden Kindern ein unterhaltendes und emotionales Erlebnis ermöglichen und ihnen damit Anregungen für eigene Fantasiespiele und Geschichten geben“. Analysen der Universität GH Siegen (Hans-Dieter Erlinger, Katja Hoffmann und Bettina Lange) belegen, wie Siebenstein an ästhetische Muster unserer Kultur anknüpft und diese für Kinder fortentwickelt. In der Diskussion über die Qualitätskriterien für Fernsehgeschichten wurde das Fehlen einer ästhetischen Debatte und der Mangel an Fernsehkritik beklagt, die sich mit Kinderprogrammen befasst.Medienkompetenz und WerbungDen zweiten Tagungstag eröffnete Ingrid Paus-Haase von der Universität Salzburg mit einem Plädoyer für einen ganzheitlichen Ansatz in der Medienerziehung. Erfolgreiche Medienpädagogik setze eben voraus, die Medienkommunikation der Kinder zu verstehen, d.h. ihre favorisierten Medienangebote zu kennen und als symbolischen Ausdruck ihrer Anliegen zu begreifen.
Der Blick sollte stärker auf die Chancen des kindlichen Medienumgangs gerichtet werden. Wie zahlreiche rezeptionsanalytische Untersuchungen zeigen, reflektieren Kinder in der Auseinandersetzung mit Medienthemen ihre Lebenssituation und Handlungsmöglichkeiten. Medienangebote dienen als Erlebnisquelle, als Möglichkeiten der Teilnahme am Erwachsenenalltag und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Entwicklung. Zu den Aufgaben der Medienpädagogik gehöre es, kommunikative Kompetenz und Medienkompetenz zu vermitteln und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder im Umgang mit den Medien, bedingt durch Herkunft, formale Bildung und Geschlecht, auszugleichen.Norbert Endres von der Münchner Werbeagentur Heye Media beschrieb die Bedeutung der Kinder als Zielgruppe der Werbung. Nach einer Dekade privaten Fernsehens in Deutschland sei das Kinderfernsehen für Werbungtreibende wichtig, die Kinder erreichen wollen. Bei Kindern wirke ein Fernsehwerbespot als „emotional aufgeladener Hinweis“ in besonderer Weise. Schon nach kürzester Zeit zeigten Werbeimpulse Wirkung. Außerdem beeinflussten Kinder heute stärker als früher die Kaufentscheidungen der Eltern.Der Medienpädagoge Norbert Neuß von der Pädagogische Hochschule Heidelberg problematisierte, dass rund die Hälfte der Vorschulkinder nicht zwischen Werbung und Programm unterscheiden können, die Intention von Werbung nicht erkennen und sich daher auch von ihr nicht distanzieren könnten. Er stellte einige der von ihm und Stefan Aufenanger entwickelten Materialien zur Förderung der Werbekompetenz von Vorschulkindern vor, die von den Erzieherinnen unmittelbar in der Arbeit mit den Kindern eingesetzt werden können.
Im Hinblick auf das Merchandising rund um Kinderprogramme stellte Susanne Müller, Leiterin des Programmbereichs Kinder und Jugend im ZDF, klar, dass das ZDF zwar seine Kindersendungen wie Löwenzahn und Siebenstein durch den Vertrieb von CD-ROMs oder Zeitschriften popularisieren, aber nicht Produkte unter diesem Namen verkaufen wolle, die keinen inhaltlichen Bezug dazu hätten.Bildung und AusbildungEinen Einblick in die Medienerziehung im Kindergarten und in der Grundschule gab Ulrike Six, Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik in Landau, auf der Basis von zwei neueren Repräsentativuntersuchungen. Demnach sind medienpädagogische Aktivitäten in Kindergärten und Grundschulen eher selten, obwohl bei den Lehrkräften durchaus eine Motivation festzustellen ist. Die Abstinenz ist eher in den Defiziten der Medienausstattung sowie in der medienpädagogischen Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte begründet.Weitere praktische Anregungen für die medienpädagogische Praxis wurden mit dem „Medienkoffer Kindergarten“ gegeben, dessen Konzept von weiterbildung live im Auftrag der ARD, des ZDF, des Kinderkanals und der evangelischen und katholischen Kirche entwickelt wurde (erscheint Anfang 2001).
Die Materialsammlung gibt praxisnahe Hilfen zur Fernseherziehung im Vorschulbereich. Zu fünf häufig vorkommenden Themen sind darin Filme aus den Reihen Teletubbies, Sesamstraße und Siebenstein enthalten und es werden dazu Spiel-, Bastel-, Gesprächs- und Bewegungsangebote offeriert. Um neuere Entwicklungen abzudecken, ist eine fortlaufende Aktualisierung vorgesehen.Horst Dichanz von der Fernuniversität Hagen befasste sich mit den Fragen, inwieweit unser Bildungssystem den Anforderungen des Multimedia-Zeitalters gerecht wird und die vorhandenen Netze sich für Unterricht und Lehre eignen. Im Hinblick auf die Informationstechnologien konstatiert er einen Reformbedarf der Schulen: Aufgaben und Ziele der Schulen müssten reformiert sowie Lehr- und Lernformen verändert werden.Für Wolfgang Meyer-Hesemann, Staatssekretär im Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen, stellt sich angesichts von Multimedia die Frage nach der Chancengleichheit mit neuer Dringlichkeit. Daher habe die Schule für eine umfassende Medienbildung aller Schüler zu sorgen.
Soap und Comedy sind die Renner bei 9- bis 15-Jährigen
„Man will halt unbedingt wissen, wie es ausgeht, ob der wirklich noch mit der einen zusammenkommt, oder ob sie sich wieder zusammenraufen.“ Keine Folge verpasst die 11-jährige Jana von ihrer Lieblingssoap und steht damit nicht allein. Die täglich ausgestrahlten Serienformate Daily Soap und Comedy ziehen die 9- bis 15-Jährigen in ihren Bann. Warum das so ist, zeigen die Ergebnisse einer Studie des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, die im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) durchgeführt wurde.Dramatik und Witz77 Prozent der 9- bis 15-Jährigen mögen Serien, die sich um das Gemeinschaftsleben junger Leute in Familien, Freundeskreisen, Wohngemeinschaften oder Liebesbeziehungen drehen. Mädchen bevorzugen die dramatischen Daily Soaps wie „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ und „Marienhof“. Jungen favorisieren die witzig verpackten zwischenmenschlichen Reibereien der Comedies wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Alle unter einem Dach“.Themen fürs eigene LebenNicht nur der spannenden und der witzigen Unterhaltung wegen picken sich die Mädchen und Jungen gerade diese Genres aus dem breiten Angebot der Serien heraus.
Sie finden dort auch Themen, die in ihrem eigenen Leben aktuell sind. Das Hineinwachsen in neue soziale Rollen, die mit der Pubertät einhergehenden Veränderungen, erste Erfahrungen mit Liebesbeziehungen, davon ist das Leben dieser Altersgruppe bestimmt und das interessiert sie auch im Fernsehen. In den Serien suchen sie nach sozialen Spielregeln und nach angemessenem Rollenverhalten – kurz: nach „Lehrweisheiten des Lebens“, wie sie eine 14-Jährige in der „Bill Cosby Show“ entdeckt hat.Das Heile-Welt-KlischeeWelche Orientierungen sich die Heranwachsenden aus den Serien herausziehen, hängt vor allem von ihrem sozialen Hintergrund und ihren persönlichen Erfahrungen ab. Während sich Kinder und Jugendliche aus intellektuellem Milieu von den oft unrealistischen Beziehungskonzepten in den Serien kaum irritieren lassen, laufen Heranwachsende aus bildungsbenachteiligten Milieus Gefahr, sich von der vorgeblichen Realitätsnähe der Daily Soaps beeindrucken zu lassen. Vor allem Mädchen tauchen gerne in die Traumwelten von harmonischem Zusammenleben und glücklicher Zweisamkeit ein und sitzen dabei den altbekannten Heile-Welt-Klischees auf.
Die ausführlichen Ergebnisse der Studie wurden in der folgenden Publikation veröffentlicht:
Helga Theunert, Christa Gebel (Hrsg.): Lehrstücke fürs Leben in Fortsetzung. BLM-Schriftenreihe Band 63. Verlag Reinhard Fischer, München 2000, 195 S., DM 39,-
(auch bei KoPäd erhältlich)
Sophie Anfang: Software für Kinder
Die CD-ROMs wurden von der merz-Software- und Spielekritikerin Sophie Anfang getestet. Sie wurden aus der Sichtweise einer zwölfjährigen Schülerin auf Brauchbarkeit und Unterhaltungswert für diese Altersstufe untersucht. Sophie besucht das Dante Gymnasium in München und ist selbst begeisterte Spielerin.
Ein Nachschlagewerk für den ErdkundeunterrichtKiribatis Kinderatlas
(Zweite erweiterte Auflage – Win 95/98 – Kiribati Medienverlag AG, Unterföhring 2000 – 39,95 DM - ISBN 3-934462-24-3)
Wenn wieder einmal eine gemeine Erdkunde-Extemporale droht, sollte man nicht gleich verzweifeln. Denn wer keine Lust hat, seine Nase in das Erdkundebuch zu stecken, sollte Kiribatis Kinderatlas ausprobieren. Er enthält neben einer liebevoll detaillierten Weltkarte viele Hintergrundinformationen zu jedem einzelnen Land der Erde. Da kann man sich prima auf alle Fragen eines Erdkundelehrers vorbereiten. Fangen wir mit Fragen zur Länderkunde an. Dazu gibt es auf der CD-ROM eine Suchmaschine bei der man Informationen über verschiedene Länder nachschlagen kann. Gibt man zum Beispiel „Frankreich“ in das vorgegebene Feld ein, erscheinen sofort Größe, Einwohnerzahl und der Name der Hauptstadt. Wenn diese Information noch nicht ausreicht, sollte man auf den Button „Zur Länderseite“ klicken. Dort erhält man, in Textform, noch weitere Informationen über das Land. Auf diesen Seiten kann man sich auch die Nationalhymne des gewählten Landes anhören. Leider klingen die Hymnen, die auf einem Klavier vorgespielt werden, etwas hohl und es macht dadurch ein bisschen weniger Spaß, der Musik zuzuhören. Um die einzelnen Länder etwas anschaulicher zu machen, gibt es noch Fotos und Videos von den wichtigsten kulturellen Bauwerken.Damit die Kinder auch noch etwas über die Erde im Allgemeinen lernen, werden in der „Weltübersicht“ Themen wie zum Beispiel „Zeitzonen“ oder „Politik der Länder“ behandelt. Die Weltübersicht, die es übrigens erst in der zweiten Auflage des Spiels gibt, gefiel mir nicht so sehr, da die Informationen für Kinder ab 6 Jahren (so die Mindestaltersangabe des Herstellers) viel zu textlastig sind und deswegen wenig zum Durchlesen bewegen. Auch sind viele Themenbereiche noch gar nicht für jüngere Kinder interessant, sondern sprechen eher die älteren an.Die Spiele auf der CD-ROM sind eher dürftig. So gibt es die Spieleklassiker „Tic Tac“, „Memory“ und „Tetris“. „Tetris“ gehörte zwar lange zu meinen Lieblingsspielen, doch inzwischen finde ich dieses Oldy-Spiel eher langweilig. Wer weiß, vielleicht war das ja die Absicht des Herstellers, damit der Benutzer nicht so viel Zeit mit dem Spielen verbringt, sondern lieber die interaktive Weltkarte begutachtet. Bei dieser handelt es sich um eine Karte, auf der es viele anklickbare 2D-Figuren gibt. Hat man eine Figur aufgerufen, erscheint sofort ein kleines Textfeld mit Information. Für Leute mit Internetanschluss gibt es zu guter Letzt noch einige Links zu Kindersuchmaschinen oder Sites zu bestimmten Themen, die sich mit der Erde und ihren Kontinenten befassen.Alles in allem, ein sehr gut gemachter Kinderatlas, der alles Wichtige zum Thema Erde enthält und im Gegensatz zur ersten Auflage wesentlich mehr Informationen bietet.
Zwanzig Jahre Löwenzahn
Löwenzahn 4(Mit 3D-Weltraumabenteuer - Win 95/98 und Mac – Terzio Verlag, München 2000 - 49,95 DM - ISBN 3-932992-33-4)
Inzwischen gibt es nun schon die vierte CD-ROM aus dem Hause Löwenzahn. Die Jubiläums-CD-ROM zu 20 Jahre Löwenzahn befasst sich mit Themen wie der Steinzeit, unserem Körper, dem Weltraum und alles Wissenswerte über Brücken. Wie auf der dritten CD-ROM kann der Spieler vier goldene Trophäen gewinnen. Dafür muss er verschiedene Spiele meistern, die jedoch manchmal etwas zu schwierig geraten sind. So ist zum Beispiel das Weltraumspiel nicht einfach zu meistern. Bei diesem Spiel rast man als Weltraumfotograf durch unser Sonnensystem, um verschiedene Planeten zu fotografieren. Das wäre ja noch leicht, wenn das Ganze nicht mit einem Auftrag verbunden wäre. Man muss nämlich vier ausgewählte Planeten innerhalb einer vorgegebenen Zeit fotografieren und in einem Fotoalbum dokumentieren, in dem nur Platz für acht Fotos ist. Bei der Suche nach den Planeten kann man sich an fast gar nichts orientieren und verirrt sich deswegen schnell im weiten Weltall. Trotz der Schwierigkeit ist das Weltraumspiel wunderschön gestaltet und es lohnt sich schon deswegen, das Spiel zu versuchen.Dagegen fällt einem das Spiel, bei dem man für Autos, Züge und Radfahrer Brücken bauen muss, umso leichter. Es funktioniert so: Auf einem Bildschirm sind für jeden der oben genannten Transportmittel Straßen eingezeichnet. Doch an manchen Stellen kreuzen sich die Wege oder ein Fluss macht den Weg unpassierbar. Jetzt sind Schnelligkeit und ein kühler Kopf gefragt. Denn nun wollen alle Verkehrsmittel gleichzeitig auf ihren Wegen fahren, ohne abzustürzen oder auf dem falschen Weg zu landen. Also gilt es schnell die passende Brücke an die richtige Stelle zu setzen. Für jede richtige Brücke gibt es Punkte. Wenn man da nicht den Überblick verliert, ist dieses Spiel ein Klacks gegenüber dem relativ schwierigen Weltraumspiel. Im Mittelpunkt der vierten Löwenzahn-CD-ROM steht wie bereits bei allen Vorgängern der Bauwagen von Peter Lustig. Hier findet man auch in einer Schublade das „Wo ist was?“-Nachschlagewerk, um sich auf der CD-ROM schnell orientieren zu können. Alle weiteren Spiele und Themenseiten kann man hier aufrufen und muss nicht stundenlang herumsuchen, wenn man sich mit etwas neuem beschäftigen will. Insgesamt ist die vierte Löwenzahn CD-ROM eine sehr gelungene Fortsetzung der Löwenzahn-Reihe. Auch wenn manche Spiele etwas schwer geraten sind, werden sich auch jüngere Kinder als ich vor allem wegen der interessanten Themen stundenlang mit dieser CD-ROM beschäftigen können.
Eine süße CD-ROM mit Rudi und dem Koffer
Siebenstein - Rudi und die Rettung der Goldfischzwerge (Win 95/98 und Mac - terzio Verlag, München 1999 – 49,95 DM - ISBN 3-932992-60-1)
Schon beim ersten Spielen dieser CD-ROM fielen mir nur drei Worte ein: süß, süß und noch mal süß. Doch nun zur Handlung: Eines Tages bekommt Siebenstein einen Goldfisch geschenkt, der sehr traurig ist. Warum? Seine Schuppen sind abgenutzt und werden bald ganz kaputt sein. Die einzigen, die ihm helfen können, sind die Goldfischzwerge. Aber die wohnen weit weg im Ozean. Also machen sich Rudi, Koffer und der Goldfisch auf zu den Goldfischzwergen. Doch auf dem Weg durch das Meer lauern viele Gefahren. Da muss man einem Tintenfisch das Tanzen beibringen, durch gefährliche Höhlen steuern oder den gemeinen Torwächter im Muschelspiel schlagen. Aber halt, ich will ja nicht alles verraten.Die CD-ROM ist sehr liebevoll gezeichnet und erinnert am Anfang ein wenig an die Löwenzahn-CD-ROM. Denn in Siebensteins Laden kann man sich per Klick auf einen beliebigen Gegenstand eine Geschichte anhören. Doch bald nimmt das Spiel seinen eigenen Lauf und die Ähnlichkeit zu Löwenzahn verschwindet. Während des ganzen Spiels gibt es viel zum Anklicken, Ausprobieren und Einsammeln. Wird etwas mal nicht richtig gemacht, hilft Siebenstein gerne weiter. Doch manchmal nützt das nicht viel, denn manche Spielschritte sind für jüngere Kinder zu schwer und sie kommen im Spiel nicht weiter. Einen mutigen Unterwasserhelden erschüttert aber so leicht nichts und so werden auch die schwierigeren Passagen mit ein bisschen Nachdenken gemeistert. Leider gibt es noch etwas zu bemängeln: Man muss sich die sehr langen Dialoge von Rudi und dem Koffer immer ganz anhören und kann sie nicht per Mausklick abbrechen. Das nervt besonders, wenn man eine Sache, auf die ein solcher Dialog folgt, aus Versehen noch einmal anklickt. Gut gefiel mir das Reisetagebuch, das man selbst gestalten kann. Dort kann man nicht nur schreiben, sondern auch auf der Reise geschossene Fotos einkleben. Das ist eine lustige Abwechslung, besonders wenn man im eigentlichen Spiel gerade nicht so voran kommt. Wem die Fotos noch nicht reichen, kann sich auch Töne aus dem Spiel aufnehmen und sie sich im Reisetagebuch anhören. Egal ob von Siebenstein oder von einem Tintenfisch.
Alles, was einen schönen Ton produzieren kann, wird aufgenommen. Da könnte man ewig weitermachen. Das dachten sich die Hersteller sicher auch und begrenzten den Tagebuchspaß auf vier Seiten. Ärgerlich was? Na ja, irgendwann muss man auch im Spiel weiterkommen. Nachdem man schließlich die Goldfischzwerge gerettet hat, kann man alle Spiele nochmal spielen oder zu bestimmten Spielabschnitten zurückfliegen. Oder man fängt gleich wieder von vorne an...
Hallo Maus-Fans!
Die CD-ROM mit der Maus 1(Win 95/98 - Tivola, Berlin 2000 - 49,90 DM - ISBN 3-931372-96-0)
Wer kennt sie nicht? Die Maus, den Elefanten und die Ente. Schon fast 30 Jahre tanzen sie jeden Sonntag um exakt 11.30 Uhr über den Bildschirm und erzählen uns Wissenswertes über Lach- und Sachgeschichten. Nach diesen langen Jahren kommt nun endlich die erste Maus CD-ROM heraus. Ein sehr gelungenes Werk muss ich sagen.Auf dieser CD-ROM gibt es Sachgeschichten, Hörspiele, ein Malprogramm und vieles mehr. Immer, wenn man einen dieser Programmpunkte besucht, erhält man ein kleines Teil des großen Mausposters, das man, wenn man alle Teile gefunden hat, ausdrucken und zusammenkleben kann.Im Mittelpunkt des Spiels steht die „Mausmaschine“, die in alle Bereiche der CD-ROM führt. Sie ist lustig gezeichnet und sieht mit ihren langen Armen richtig originell aus. Außerdem gibt es noch einige andere Spiele, die aber erst nach und nach zum Spielen bereitstehen. Warum? Ganz einfach, bevor ein Spiel aufrufbar ist, muss man es erst auf der CD-ROM suchen. Spiele verstecken sich überall, ob in Sachgeschichten, Zeichentrickclips oder in anderen Abschnitten der CD-ROM. Bestimmt hat das den Vorteil, dass man alle Bereiche der CD-ROM absucht und man deswegen nebenbei die ganze Vielfalt der Maus-CD entdeckt. Aber irgendwann geht einem das ewige Suchen nach den Posterteilen und den Spielen auf den Geist. Das ist dann der Zeitpunkt, das Spiel in eines der vorgegebenen Kisten abzuspeichern und erst einmal Pause zu machen. Eine andere nervende Sache ist ähnlich wie bei der Siebenstein-CD-ROM, dass man lange Geschichten und Kommentare nicht per Mausklick beenden kann. Das stört besonders bei den langen Zeichentrickgeschichten, die zu den Spielen führen.Immer wenn man sich wieder zur Mausmaschine begibt, gibt es eine kleine Aufgabe zu lösen oder man kann sich eine kleine Mausgeschichte ansehen. Die Aufgaben bestehen entweder aus einem Sprachratespiel, bei dem man raten muss, was ein genanntes Wort in einer Fremdsprache auf Deutsch heißt, oder einem Bildrätsel, bei dem man einen Gegenstand erkennen muss, der nur als kleiner Ausschnitt gezeigt wird.
Zum Schluss möchte ich noch auf das Malprogramm näher eingehen, da es mir sehr gut gefallen hat. Bei diesem Programm ist es möglich zu stempeln, zu drucken oder einfach nur zu malen. Es gibt an die hundert Möglichkeiten ein Bild mit dem Pinsel zu gestalten. Besonders hilfreich ist der Zauberpinsel, mit dem man die buntesten Bilder malen kann. Damit entstehen sogar symmetrische Figuren, da der Computer jeden Strich an der gegenüberliegenden Stelle nachmalt. So hat man sehr schnell ein wunderschönes Kunstwerk gestaltet, ohne sich groß anstrengen zu müssen.Eine wirklich sehr liebevoll gestaltete CD-ROM, die vielleicht bald der Löwenzahn-CD-ROM Konkurrenz macht, denn die 1 hinter dem Titel verrät ja schon, dass es noch mehrere Maus-CD-ROMs geben wird. Ich persönlich habe dagegen nichts einzuwenden...
Michael Bloech: Zwiespältige Schönheit
Eine subtile ReligiositätDie Filme des iranischen Regisseurs Majid Majidi sind neben aller Dramatik auch anrührend und bestechen durch eine entwaffnende Herzlichkeit und Wärme. In den nahezu dokumentarisch inszenierten Filmen strahlen die Protagonisten der Geschichten, wie zum Beispiel auch bei dem 1997 entstandenen Film „Kinder des Himmels“ (merz 5/99), stets eine ungeheure Würde aus. Dieses Gefühl für menschliche Würde entstammt einer universalen Religiosität des Filmemachers. Damit ist die Frage nach Sinnerfüllung im Leben gemeint. Die Glaubensfrage wird nicht in konfessionell gebundener Weise gestellt und deshalb findet sich auch kein dezidiertes Bekenntnis zum Islam.Der Verzicht auf religiöse Ideologisierung macht daher Majidis Filme unabhängig vom Bekenntnis und Kulturkreis verständlich. Es sind die berührenden Geschichten aus dem Alltag, die unspektakulär und gefühlvoll entwickelt und unter ethischen Gesichtspunkten erzählt werden. Mit diesen Alltagsgeschichten ist Majidi wohl ein überzeugender und erfolgreicher Botschafter seines Landes. In seinen Filmen spürt man die Liebe zu Land und Menschen im Iran.Vom Erkennen der WeltAuch bei seinem neuen Film, einer poetischen Fabel, hat diese Würde eine zentrale Bedeutung für die Handlung. Erzählt wird das Schicksal des sehbehinderten kleinen Jungen Mohammad, der in Teheran eine Blindenschule besucht und um die Liebe seines verwitweten Vaters kämpft.
Die Sommerferien beginnen und die Internatsschüler werden von ihren Eltern abgeholt. Freudig schließen die Eltern ihre Kinder in die Arme. Mohammad aber muss sehr lange auf seinen geliebten Vater in tiefer Einsamkeit warten. Der verbitterte Vater schämt sich für seinen sehbehinderten Sohn und würde ihn am liebsten für immer und ewig abschieben, da er einer beabsichtigten Ehe im Weg zu stehen scheint.Während der Zeit des Wartens vor dem Internat bleiben dem kleinen Jungen als Trost und Inspiration nur die ihn umgebenden Geräusche. Das verängstigte Piepsen eines kleinen Vogels, der aus dem Nest gefallen ist, weckt sein Interesse und mit Zärtlichkeit nähert sich Mohammad dem Vogel, steckt ihn in die Jackentasche und klettert abenteuerlich auf einen Baum, um den Vogel ins Nest zurückzubringen. Diese Szene ist der Schlüssel zum Verständnis des Films. Mohammads Eingreifen dokumentiert seine Liebe zum Leben und zur Natur. Übertragen auf die Vater-Sohn-Beziehung heißt das, erst wenn der Vater die Behinderung seines Sohnes akzeptiert wird er auch seine Verbitterung überwinden. Zum anderen erkennen wir als Zuschauer mit dieser Szene die Welt des Hörens als einen bedeutenden Bestandteil unserer Erkenntnis. Mohammad erschließt sich seine Umgebung durch Töne, Stimmen und Geräusche, und natürllich auch durch Riechen und Tasten. Wenn Mohammad in einem gluckernden Fluss im Kiesbett nach den kleinen Steinen sucht, scheint er sich mit seinen Fingern die Welt zu öffnen.
Und wenn die Kamera das Kind bei seinen akustischen und haptischen Entdeckungsreisen begleitet, lernen wir ein wenig von der Farbe des Paradieses kennen, einer Farbe, die für jeden Menschen sich anders gestaltet.Die Dialektik der GestaltungDie Geschichte Mohammads - das Warten vor der Schule, seine Reise in das Dorf des Vaters, seine Arbeit bei einem blinden Tischler in einem für ihn fremden Dorf, das Werben des Vaters um seine Auserwählte, das Leiden der Großmutter an der Härte des Vaters - wird in überwältigend schönen Bildern und mit einer raffiniert dichten Toncollage erzählt, die im Widerspruch zu dem bedrückenden Schicksal des Kindes stehen. Aber gerade diese ästhetische Gestaltungsweise zwingt zum genauen Betrachten, zum exakten Hinschauen und konzentrierten Zuhören und lässt dem Zuschauer kein Entkommen. Jüngere Kinder werden aber genau daher Schwierigkeiten haben, diese Ambivalenz zwischen Schönheit und bedrückender Situation auszuhalten. Auch das tragisch anmutende Filmende birgt für die jungen Zuschauer ein Problem: zwar gelingt es in der packenden und dramatischen Schlusssequenz Mohammad schließlich doch noch, die Liebe seines Vaters zu erringen, allerdings erscheint der Preis, den er dafür zahlen muss zu hoch. Offen bleibt nämlich, ob die beiden in der realen Welt zueinander finden oder erst im Paradies.
Erwin Schaar: B-Science im B-Movie
Magisches KinoDie Existenz des Kinos ist untrennbar mit Effekten verbunden, die damit auch die Ingredienz der Lichtspiele sind: Verzauberung der Zusehenden durch die Vorgabe von Identifikationsmöglichkeiten oder durch die technischen Eigenarten des Mediums bei der Verwandlung der Wirklichkeit. Wie die Erzähler von Helden- und Schauermärchen mit pathetischer oder mit spannungsvoller Stimme agieren, haben die Bilderzähler vergleichbarer Stories ein ihrem Metier adäquates Timing und einen Blickwinkel zu finden, der Menschen schaudern macht oder in Gefühlen versinken lässt. Dass der Film körperlich Unwirkliches geschehen machen kann, hat mit Zauberei zu tun. So wie jeder weiß, dass die Tricks des Magiers erklärbar sind, weiss jeder, dass Filmtricks keine ungewöhnlichen Voraussetzungen haben. Aber das Ergebnis jeglicher Zauberei setzt phnatastiegeneigte Kräfte in uns frei, die nach der Unwahrscheinlichkeit der Tricks gieren, und sei es nur, dass man sich die Ausführung nicht erklären kann. Davon leben die Zauberer auf der Bühne und im Film.Brachten zu Anfangszeiten des Films die Gebrüder Lumière Bilder von fernen Ereignissen und nahen Begebenheiten in den dunklen Saal, meldete sich zugleich der Magier, das Genie Méliès mit seinen Trickfilmen, die unwahrscheinliche Verwandlungen in kurzer Zeit bewerkstelligten.
Nicht anders als ein Méliès arbeitet heute ein Paul Verhoeven, wenn er nach dem modernsten Stand der Dinge mit elektronischen Tricks zaubert und uns unsichtbare Lebewesen in ungewöhnlichen Situationen vorführt.Ein amerikanischer EuropäerBei der fast schon kindlichen Art, eine Filmgeschichte von den aus dem sichtbaren Bereich verschwundenen Lebewesen als eine Actionstory zu erzählen, die dann krud mit den Figuren verfährt, darf es nicht verwundern, wenn die sogenannte seriöse amerikanische Presse, die intellektuell europäischer urteilt als Europäer, dem geborenen Holländer Verhoeven die Aneignung der Stilmittel amerikanischer Volks(film)kultur verübelt und diesen Film verreißt. Während das Blatt des Showbiz, „Variety“, durchaus die Stärken dieses auch philosophisch deutbaren Spektakels zu erkennen fähig ist. Und, aufgepasst, auch die Filmfreaks des Locarneser Filmfestivals wussten dieses Jahr den Trivialfilmer Verhoeven für sein Gesamtwerk(!) mit dem Ehrenleoparden zu würdigen.
Eine seltsame Kluft zwischen den schlechten Kritiken, die diesem Meister des Actionsfilms, Thrillers, Sci-Fis, des erotischen Dramoletts ausgestellt werden und der Achtung, die diesem skandalös inszenierenden Altmeister von den Cinephilen entgegenschlägt. Wurde sein Film „Show-Girl“ doch 1996 in den USA gar als der schlechteste Film des Jahres ‘ausgezeichnet’, wobei natürlich die üblichen visuellen Abfallprodukte der Trash-Szene gar nicht bis zur Minus-Wertung gelangen.Existenz und VernichtungWenn den diversen Interviews mit Paul Verhoeven zu glauben ist, dann möchte er als eine Grundaussage in seinen Filmgeschichten vermitteln, dass Menschen an sich nicht gut sind, sondern erst die sozialen Kontakte sie unter Umständen dazu machen. Und dann ist da die Macht und deren Strukturen, denen er auf die Schliche kommen will. Es mögen solche Problemstellungen zwar eher philosophisch angegangen werden, andererseits sind sie die Bestandteile jeder großen und kleinen Dichtung, Vorlagen für jegliche Art von Show-Wertigkeit. Also kann es nur die Machart des Spektakels sein, die uns diese Basisprobleme jedes Menschseins anrührend/fesselnd und damit in ästhetisch anzuerkennender Weise vermittelt. Meist ist es eh nur der kurzzeitige Thrill der Geschichte, der uns gefangen hält, ohne Anspruch auf Läuterung natürlich, denn da würden wir in unserem Zeitalter der Bilderfluten ganz schön hin und her gerüttelt, wenn moralische Kräfte wirksam werden sollten.
Verhoevens Filmstory - die Grundlage liefert der Autor Andrew. W. Marlowe, der auch für „End of Days“ und „Air Force One“ verantwortlich zeichnete - ist spannend und daher hervorragend inszeniert und geschnitten, wobei Jost Vacano wie gewohnt ein glänzender Kameramann ist. Der Filmbeginn ist auch ein solcher, weil wir geschockt in die Geschichte hineingezogen werden und schon in den ersten Minuten das erleben, was die Story uns erzählen will: Die Geschichte von dem Unsichtbarmachen von Lebewesen. Hier im Wortsinn exekutiert an einer Ratte. Denn dem Futurology-Spezialisten Sebastian Caine, für Regierung und Militär forschend, ist es gelungen, ein Elexier zu entwickeln, das den Körper von Lebewesen unsichtbar macht, ihn aber greifbar im Raum lässt. Bisher im Extrem nur an so großen Tieren wie Gorillas erprobt, möchte Caine das Serum auch in einem Selbstversuch testen. Aber seine Rematerialisierung misslingt, muss auf halber Distanz abgebrochen und rückgängig gemacht werden und diese Unsichtbarkeit macht den frustrierten Wissenschaftler zu einem Einzelgänger und zunehmend asozialen Wesen, der/ das gegen Kollegen und Mitmenschen wütet und seine ehemalige Freundin und Kollegin Linda und deren jetzigen Partner Matthew schon wegen der von Linda nicht mehr erwiderten Liebe zu Gegnern erklärt. Dem können beide in einem quälend breit ausgespielten und wie in einem altmodischen B-Movie inszenierten Show-down entkommen.
Die hypertroph gewordene ‘Laborratte’ wird vernichtet.Körper und MoralDie Unwahrscheinlichkeit von Science Fiction-Geschichten und die uralte Reflexion über moralisches Verhalten und das emotionale Mitgehen des Zusehers - eine Konstellation, der Zukunft habhaft zu werden und uns der ewigen Polaritäten gut und Böse zu vergewissern: eine schöne Kinovorlage. Und die Unsichtbarkeit des Körpers ins Spiel zu bringen, da muss nicht erst an die Tarnkappe der deutschen und nordischen Sagenwelt erinnert werden, die den Träger unsichtbar macht und diesen Zustand für das Verschwinden der Mitmenschlichkeit mitschuldig erklärt. Der Körper wird zur sichtbaren Seele des Menschen und wir erfreuen uns, wenn die Körper regeneriert werden und können den Zusammenbruch des Experiments nur als Fiasko ausdenken. Schließlich ist ja auch Jesus körperlich in den Himmel aufgefahren und Maria folgte ihm leiblich nach.Genug der Spekulationen und Assoziationen, aber das sind die Momemente, die dem Film die erzählerische Kraft verleihen, neben den wirklich exorbitanten special effects, die uns den Aufbau des menschlichen und tierischen Körpers wie in einem belebten Medizinbuch nahebringen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den phänomenalen Erfolg der Ausstellung „Körperwelten“, in der die Plastinationen des Anatomen Gunther von Hagens in Kunsthallen (!) Deutschlands gezeigt wurden.
Wer es als naiv erachtet, Filme wie Verhoevens „Hollow Man“ zu goutieren, dem sei ein Interview mit dem amerikanischen Physiker Michio Kaku (Autor von „Hyperspace“ und „Zukunftsvisionen“) empfohlen, das DER SPIEGEL in seiner Nummer 35/2000 veröffentlichte: „Eine Welt wie im Disney-Film“. Kaku meinte unter vielem anderen: „Innerhalb der nächsten 100 Jahre werden wir jeden Teil unseres Körpers biologisch ersetzen können...ich glaube, die Biotechnologie wird es uns ermöglichen, das Altern zu besiegen“.Damit wir uns recht verstehen: „Hollow Man“ ist nicht Kunstkino, aber ein glänzend inszenierter, unterhaltsamer Film des trivialen Kinos.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor:
Erwin Schaar
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Tilmann P. Gangloff: Bei den Gesetzen blickt keiner mehr durch
Immer mehr InstitutionenIn den letzten zwei Jahrzehnten hat das Medienangebot sprunghaft zugenommen. Die Gesetzgebung hat Schritt gehalten. Kino, Fernsehen, Video, Internet: Für alle Bereiche wurde der Jugendschutz gesetzlich verankert. Allerdings wurden nicht etwa bereits bestehende Gesetze um Richtlinien für das jeweils neue Medium erweitert; es gab jedesmal ein neues Regelwerk sowie eine eigene Instanz der Selbst- oder Fremdkontrolle. Die laufende Entwicklung neuer Medien, kritisieren Jugendschützer, habe in den letzten 25 Jahren „zu einer verwirrenden Fülle an Medienkontrollinstitutionen“ geführt. Sie fordern daher einhellig eine „Kehrtwende“ bei der Medienkontrolle.Ein Reformpapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), das eine Bündelung der Gesetze und Kontrolleinrichtungen vorsieht, stößt in der Branche weitgehend auf Zustimmung. Allerdings liegen zwischen Theorie und Praxis Welten: Eine konsequente Reform würde zwangsläufig dazu führen, dass einige der Institutionen Kompetenzen abgeben müssten; „und welche Behörde“, kommentiert ein Jugendschützer sarkastisch, „löst sich schon gern selber auf“.Hans-Dieter Drewitz formuliert es eleganter: „Man kann ein Hoheitsrecht nicht beliebig an Dritte abgeben“. Was der Referent in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei und Vorsitzender der Rundfunkreferenten damit meint: Die deutsche Medienwelt lässt sich nicht zentral beaufsichtigen, weil zum Beispiel Rundfunk Ländersache ist. Die naheliegendste Lösung - eine Medienanstalt, die für sämtliche Bereiche zuständig ist - lässt sich kaum ins Leben rufen, weil sich dezentrale Einrichtungen wie die Landesmedienanstalten mit allen Mitteln gegen eine Beschneidung ihrer Kompetenzen wehren werden. Trotzdem hält auch Drewitz die derzeitige Situation für einen „unbefriedigenden Anachronismus“.
Eine Bündelung bei den Gesetzen sei überfällig; „man muss nur sehen, das man sinnvoll und schlagkräftig bündelt“.Unklare ZuständigkeitenJoachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), hätte da einen Vorschlag: Den Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), schon jetzt bei Kino- und Videofilmen die maßgebliche Instanz, soll die Aufgabe übertragen werden, die Einhaltung eines „Gesetzes zum Schutz der Jugend in den Medien“ zu überwachen. Darin sollten die Jugendschutzbestimmungen für alle Medien zusammengefasst und aufeinander abgestimmt werden. Die OLJB sollten zudem ermächtigt werden, „für ihre Prüfaufgaben Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle zu nutzen“. Würden diese den zulässigen Spielraum überschreiten, könnten die OLJB die Prüfergebnisse durch eigene ersetzen.Von Gottbergs Vorschlag hat einen Hintergedanken: Erst kürzlich ist die FSF mit dem öffentlichen Eingeständnis, in eine existenzielle Krise geraten zu sein, in die Offensive gegangen. Die FSF wurde 1993 gegründet, um Programmbeiträge von Privatsendern wie RTL, Pro Sieben oder Sat 1 vor der Ausstrahlung im Hinblick auf die Jugendschutzbestimmungen zu begutachten. Auch hier scheitert die Theorie an der Praxis. Von Gottberg: „Lehnt die FSF die Ausstrahlung eines Films ab, muss sich der Sender daran halten; trotz einer Freigabe können aber die Landesmedienanstalten den Film erneut prüfen und anders entscheiden. Bei dieser Doppelprüfung haben die Sender keine Planungssicherheit“. Nicht zuletzt deshalb haben die Sender der FSF in der Vergangenheit gerade TV-Movies nicht vorgelegt. Filme wie „Die heilige Hure“ (RTL) wurden dann nach der Ausstrahlung von den Landesmedienanstalten beanstandet. Auch diesen zweiten Schwachpunkt der FSF - es gibt keine direkte Vorlagepflicht - möchte von Gottberg beseitigt wissen; zur Zeit liegt es im Ermessen der Sender, was sie für jugendschutzrelevant halten.Umstrittene SelbstkontrolleDie Änderung des Rundfunkstaatsvertrages brachte eine weitere Schwächung der FSF mit sich: Die Freigabe indizierter Filme, vorher Aufgabe der FSF, obliegt nun den Jugendschutzbeauftragten der Landesmedienanstalten. Befürworter der FSF kritisieren diese Änderung, weil sie zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation zwischen FSF und Landesmedienanstalten geführt habe.
Ein Jugendmedienschützer: „Den Landesmedienanstalten bleibt gar keine andere Wahl; sie müssen vermitteln, sie seien die besseren Jugendschützer, und zu strengeren Ergebnissen kommen“.Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm, verteidigt die Position der Landesmedienanstalten natürlich. Seine grundsätzliche Kritik an der FSF: „Selbstkontrolle stößt immer dann an ihre Grenzen, wenn die Interessen der Unternehmen, in diesem Fall also der Fernsehsender, in wesentlichen Punkten betroffen sind.“ In der Praxis habe die FSF gerade bei der Freigabe indizierter Filme sowie bei den TV-Movies „einige Defizite“. Ring geht zwar auch davon aus, dass „die Frage der Selbstkontrolle künftig eine große Rolle spielen“ werde; er hält es jedoch für eine „Illusion zu glauben, mit Selbstkontrolle könne man alles regeln“.Trotzdem plädiert Drewitz für ein „eigenverantwortliches Vorverfahren durch Selbstkontrolleinrichtungen plus Missbrauchskontrolle“. Um die Kompetenzfrage eindeutig zu regeln, denkt Joachim von Gottberg daher an gemeinsame Prüfungen von FSF und FSK. Die Freigabeverfahren und die Prüfkriterien beider Einrichtungen seien ohnehin aufeinander abgestimmt. Integriert werden solle außerdem die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS); sie ist die Instanz, die Filme, Tonträger, Computerspiele etcetera auf den Index setzt.Auch Folker Hönge, ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), hält „eine stärkere Zusammenfassung der Institutionen für den Jugendschutz für sinnvoll“.
Gerade im Zuge der Europäisierung des Medienmarktes sollten „Strukturen geschaffen werden, die dem zukünftigen europäischen Medienangebot gerecht werden“. Und dafür, glaubt von Gottberg, sei die Selbstkontrolle am besten geeignet. Sie könne viel mehr leisten, als ihr bislang zugebilligt worden sei, doch sie benötige einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen; „ohne den ist sie tot, und das wäre für den Jugendschutz ein Desaster“.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Tilmann P. Gangloff: Detaillierte Analyse belegt: „Big Brother“ war inszeniert
Trotz der für RTL 2 beachtlichen Einschaltquoten: Wer von Zlatko & Co. nicht gerade hingerissen war, empfand den täglichen Zusammenschnitt von „Big Brother“ als langweilig. Eine kleine Verschiebung der Perspektive allerdings genügte bereits, um auch werktags von „Big Brother“ fasziniert zu sein. Für die erste Staffel kommt das Buch „Im Auge der Kamera“ naturgemäß zu spät, doch anhand der zweiten, die am 16. September startete, kann man die Erkenntnisse überprüfen. Die Autoren ziehen zwar nicht in Zweifel, dass die Teilnehmer des Projekts spontan gehandelt haben, doch die detaillierte Analyse der Folgen belegt, wie sehr „Big Brother“-Produzent Endemol die Sendung inszeniert hat.
Die Passagen, in denen Lothar Mikos und seine Mitarbeiterinnen „Big Brother“ in seine syntaktischen Bestandteile zerlegen, sind die eindrucksvollsten des Buches.Zunächst aber ist wissenschaftliches Schwarzbrot angesagt: Bevor man als Leser die Erkenntnisse der Forschung mit den eigenen Beobachtungen vergleichen kann, wird das Fernsehformat begrifflich eingekreist. Immerhin ist die Beschreibung der „verhaltensorientierten Spielshow“ als Konglomerat verschiedener Fernsehformate (Soap, Talk, Turniershow) lehrreich und plausibel. Nützlich ist auch die Bestandsaufnahme des Einbruchs der Realität ins Fernsehen: weil sich spätestens seit den „Docu-Soaps“ immer mehr Unterhaltungsformate am Leben der Zuschauer orientieren. „Big Brother“ als Selbstdarstellung im Alltag ist für die Autoren daher „performatives Realitätsfernsehen“. Die Zunahme „intimer Formate“ - Talkshows, Gerichtsshows, Docu-Soaps - werten sie als Indiz für die Demokratisierung des Fernsehen.Entscheidend für die Empfehlung dieses Buches aber sind jene Passagen, die sich ausschließlich „Big Brother“ widmen.
Wegen seiner komplexen Regeln und der Inszenierungsstrategie, so die Autoren, bilde das Format keineswegs Alltag ab; es entspreche vielmehr einer „verdichteten, dramatisierten Form der Alltagserzählung“. Belegt wird dies mit der Analyse ganzer Sequenzen: Nicht nur das Leben im Container wurde mit Hilfe von Montage inszeniert, sondern auch die Personen. Sie wurden zu Figuren, etwa mit Hilfe von Weichzeichner oder durch die Beschränkung auf Großaufnahmen.Abgerundet werden die Erkenntnisse durch eine Analyse der Popularität von Teilnehmer Zlatko sowie eine Auswertung der Berichterstattung („Medienhystorie“). Kritisch sollte angemerkt werden, dass sich das Buch zu oft vom eigentlichen Betrachtungsgegenstand entfernt. Und die Qualität der Fotos ist schlicht indiskutabel.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Friederike Siller: Chicks at Speed: Mädchen im World Wide Web
Das World Wide Web bietet Jugendlichen ein vielseitiges und breitgefächertes Forum, dessen Informationsangebot jede andere Kommunikationsform an Reichhaltigkeit, Schnelligkeit und Reichweite übertrifft. Während Pädagogen über die Wertigkeit von Primär- und Sekundärerfahrungen, dem Lernen aus erster oder zweiter Hand streiten, setzen Kinder und Jugendliche unbekümmert auf den Computer als Werkzeug zur Konstruktion ihrer Lebenswelt. Die Mehrzahl aller Jugendlichen in den USA arbeiten am Personal Computer (61 %) und sehen Video- und Computerspiele als das begeisterungsfähigste Hobby an (60 %).1
Am Beispiel jugendlicher amerikanischer Mädchen sollen hier Strukturen der Internetnutzung durch Jugendliche transparent gemacht werden: Welchen Herausforderungen, Inanspruchnahmen und Entfremdungen begegnen die jungen weiblichen Nutzerinnen des Internet? Inwiefern nutzen sie es und inwiefern werden sie von ihm benutzt? Im Rahmen einer Mitarbeit beim Center for Media Education, Washington, DC, analysierte die Autorin das Onlineangebot für Mädchen in den USA. Die Ergebnisse dieser Studie können die pädagogische Diskussion um Schlüsselbegriffe wie Mediensozialisation und -kompetenz beleben. Da die Untersuchung in den USA durchgeführt wurde, werden nachfolgend ausschließlich englischsprachige Internetseiten herangezogen.
Geschlechtsspezifische Online-Sozialisation
Die Prägung eines Individuums hinsichtlich der gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterordnung sowie den Erwartungen an das, was gewöhnlich unter „weiblich“ und „männlich“ verstanden wird, hat im Rahmen der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung ihren wissenschaftstheoretischen Standort. Die Geschlechter werden in der Regel als Kategorien vorgestellt, denen jedes Individuum nach seinem biologischen Geschlecht zugeordnet wird. Kindliche Identitätsfindung vollzieht sich jedoch nicht nur über die bloße Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, sondern entwickelt sich insbesondere durch die gesellschaftlichen Anforderungen an das jeweilige Geschlecht. Marita Kampshoff bezeichnet deshalb die Geschlechtszugehörigkeit als „eine der ersten identitätsstiftenden Kategorien“2, die grundlegend für die Entwicklung der Ich-Identität sind.Entgegen der überkommenen Auffassung, dass die Geschlechter in polaren Begriffen als anthropologische Konstante zu fassen seien, werden heute die Geschlechterverhältnisse zunehmend als Produkte sozialer Konstruktionsprozesse gedeutet, die in Symbolisierungen, Chiffren und Rollenzuweisungen abgesichert und reproduziert werden. Daraus ergibt sich, dass die Geschlechtsidentität keine starre, unverbindliche Vorgegebenheit sein kann, sondern in einem ständigen Wandel begriffen ist. „Das heißt, auf dem Wege der Wahl in der Darstellung geschlechtstypischer Verhaltensweisen vermittelt die Person aktiv gestaltend zwischen ihrer als gegeben empfundenen Geschlechtszugehörigkeit und den kulturellen Vorstellungen über das Wesen und die Eigenschaften der Geschlechter. So gesehen ist gelebte Geschlechtsidentität immer eine Komposition aus weiblichen und männlichen Anteilen, die nicht ein- für allemal festgeschrieben sind, sondern situationsspezifisch abgerufen werden können“.3
Mit der unreflektierten Reproduktion der Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft können sich insbesondere für Kinder und Jugendliche enorme Probleme ergeben: Viele Rollenerwartungen werden lediglich aufgrund ihres zugrundeliegenden biologischen Geschlechtes an sie herangetragen, und können alternative Verhaltensoptionen für diese erschweren. Diese Anforderungen zu durchbrechen erfordert viel Kraft und ein großes Durchsetzungsvermögen. Daher müssen sich insbesondere Pädagogen die Frage stellen, wie es gelingen kann, dieser unreflektierten Reproduktion der Geschlechterverhältnisse entgegenzuwirken. Einige sozialkonstruktivistische Theorieansätze in der Geschlechterforschung versuchen den Weg der Dekonstruktion der geschlechtlichen Verhältnisse, oder mit Marianne Horstkemper zu sprechen, der „Ent-Dramatisierung der Geschlechterdifferenz“: Die Konstruktionsmechanismen geschlechtsspezifischer Identität sollen aufgedeckt, in ihren Strukturen in Frage gestellt, unterhöhlt und unterlaufen werden.In Bezug auf die Neuen Medien gilt das Motto: Alles ist möglich und kann online neu erfunden werden. In dem Medium Internet vereinen sich sämtliche Kennzeichen postmoderner Kultur: Digitale Medien lassen die hergebrachten Regeln und Normen hinter sich. Die Menge, Unregulierbarkeit, Übertragungsgeschwindigkeit, Reichweite und Struktur ihrer Informationen übersteigt alles Dagewesene. Alle 24 Sekunden geht eine neue Webseite online. Im Jahre 2002 werden 16,6 Millionen amerikanischer Jugendlicher (13-17 Jahre) online sein, doppelt so viele wie im Jahre 1998.4
Neben all diesen Fakten wurden bislang die kommunikativen und sozialen Verhaltensprozesse, die neben wirtschaftlichen Neustrukturierungen ebenfalls großen Veränderungen unterliegen, weitgehend außer acht gelassen. Daher ist es spannend, das Internet unter sozialkonstruktivistischen Fragestellungen zu betrachten. Als das WWW in den frühen 90er Jahren zunehmend in das Blickfeld des öffentlichen Interesses rückte, waren von der Frauenforschung viele Hoffnungen an das neuen Medium geknüpft worden. Virtuelle Kommunikation mit anderen ist (derzeit noch) limitiert durch die geschriebene Sprache. Sie erlaubt einen kommunikativen Austausch bei gleichzeitiger Distanz. Nicht nur, dass auf die face-to-face-Kommunikation verzichtet würde, die andere Person ist vielmehr gerade durch ihre geschlechtsspezifische Anonymität interessant. Der Benutzer „inszeniert“ sich als sein Wunsch-Ich, sein Ekel-Ich, und verbirgt dabei seine Geschlechtszugehörigkeit. Damit entsteht eine „ent-sexualisierte“ Zone, die das Durchbrechen von Rollenkonstrukten leichter macht und sie flexibler gestalten lässt. Parallel dazu (und mit Sicherheit eng geknüpft an die Entwicklung des Internet) entstand im Rahmen verschiedener jugendkultureller Trends eine „Modeform der Androgynität“, die offline durch Musiker wie Marilyn Manson, das verstärkte Tragen von Röcken bei Jungen oder durch Unisex-Produkte wie der Duft „CK One“ Calvin Klein ausgedrückt wurde.Mädchen nutzen das Internet Im Sommer 1999 wurde von Nickelodeon/Yankelovich Youth Monitor berichtet, dass Jugendliche in den USA etwa eine Stunde pro Tag im Internet verbringen. Mit zunehmender Zahl an Internetzugängen wird in naher Zukunft die Dauer einer solchen Nutzung steigen. Nach Angaben des britischen Marktforschers Fletcher liegt derzeit der Anteil von Mädchen bis 18 Jahren bei jugendlichen Internetnutzern in Großbrtitannien bei 61%.5 Entgegen pessimistischer Prognosen, dass Mädchen und Frauen Leidtragende der technischen Innovationen seien, hat sich der weibliche Teil der Bevölkerung an dieser Entwicklung beteiligt und gestaltet sie aktiv mit.Nun sind solche Studien mit Vorsicht zu genießen. Der größte Teil der entsprechenden Forschung stammt aus Marktforschungsinstituten, deren Ergebnisse nur bedingt für wissenschaftliche Analysen heran zu ziehen sind. Doch stellte auch Media Mark Research, ein unabhängiges Forschungsinstitut, im März 1999 eine verstärkte Nutzung weiblicher Internetbenutzer fest. Demzufolge gibt es in den USA 48 % männliche und 52 % weibliche Internetsurfer. Der weltweite Frauenanteil fällt dagegen etwas schwächer aus, er liegt bei 48 % gegenüber 52 % bei Männern. Im Vergleich zu einer früheren Studie von Media Mark Research vom Jahre 1996 hat sich der Frauenanteil innerhalb von drei Jahren deutlich vergrößert. Waren es damals weltweit 58 % männliche und nur 42 % weibliche Nutzer, so im Jahr 1997 55 % männliche und 45 % weibliche, 1998 52 % männliche und 48 % weibliche. Der Frauenanteil stieg also stetig an und hat mittlerweile in Teilen der westlichen Welt den Männeranteil knapp überschritten.Wie nutzen Mädchen das Internet? Bezüglich der geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Nutzung des Internets kann aus der Sicht von Jugendlichen bisher kaum eine Aussage gemacht werden. Es liegt jedoch eine Umfrage von Teenage Research Unlimited vor, die auf populären Seiten für Jugendliche mit der Frage durchgeführt wurde: What makes a Web Site Fun? Folgende nach Geschlechtszugehörigkeit aufgeschlüsselten Antworten wurden gegeben: männlich weiblich Hoher Newswert der Seite 45% 44%Regelmäßige Aktualisierungen 42% 41%Leichte Navigation 35% 34%Chat/Email 27% 41%Musiclips 28% 37%Schnelles Herunterladenvon Dateien 34% 29%Gute Grafik 35% 26%Gute Links 28% 23%Videoclips 26% 25%Spiele 29% 22%Auffallend ist der große Unterschied im Chat/Email-Verhalten der Jugendlichen. Fletcher unterstützt diese Zahlen zu großen Teilen, und gibt an, dass insbesondere die interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten des Mediums ansprechend auf Mädchen wirke. Er stellt zwar keine Unterschiede in der Mailnutzung zwischen Jungen und Mädchen fest, dafür bestärkt er, dass Mädchen häufiger chatten würden. Einer Umfrage von CNN zufolge seien gleichzeitig Mädchen gefährdeter als Jungen, durch interaktive Elemente sexistischen Äußerungen zu begegnen. So stellt CNN fest: „72 % der Mädchen und 57 % der Jungen berichten, dass sie im Netz Menschen begegnet sind, von denen sie annehmen, dass sie nur vorgeben, jemand zu sein, der sie in Wahrheit gar nicht sind. 66 % der Mädchen und 54 % der Jungen erzählen, dass sie online mit Menschen in Kontakt gekommen sind, die obszöne Dinge zu ihnen gesagt haben. 58 % der Mädchen und 39 % der Jungen sagen aus, dass sie online nach persönlichen Informationen wie Telefonnummer und Adresse gefragt wurden“.6Angebote für Mädchen im Internet Das Angebot an Internetseiten für Mädchen ist vielfältig, einfallsreich, kreativ und beeindruckend. Nun lassen sich die gängigen Methoden der Textanalyse wie sie in den Literatur- und Sprachwissenschaften verwendet werden, nicht analog auf das Internet übertragen. Es gibt keine wissenschaftlich gültigen Kriterien, mit Hilfe derer das Ineinander von Text, Bild- und Audioelementen analysiert werden könnte. Die Vielzahl und Vielfalt der Seiten verlangt dennoch eine Kategorisierung. Die hier vorgenommene Einteilung folgt den Webseitenherstellern selbst. So wird unterschieden zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Absichten der Webseiten. Zusätzlich aufgenommen werden Suchmaschinen, da sie für Jugendliche Wegweiser und Orientierung durch den „Internetdschungel“ sind und nach wie vor zum Auffinden von Internetseiten vorrangig benutzt werden.Kommerzielle Seiten. Nahezu jedes Produkt und jede Firma hat ihre eigene Webseite, die sie für Werbezwecke nutzt. Marktforscher geben viel Geld aus, um Internetvorlieben Jugendlicher herauszufinden. Und so sind es insbesondere die kommerziellen Seiten, die am meisten Spaß machen: Spiele, interaktive Elemente, tägliche Updates der Seite mit neuesten Informationen sind auf kommerziellen Seiten am häufigsten zu finden. Die meisten informieren nicht über die Produkte, sondern veranstalten „Lifestyle-Werbung“: Lebensgefühle werden mit Hobbys verbunden und Produkte wie zufällig einbezogen. Eine saubere Trennlinie zwischen Spaß und Werbung kann nicht gezogen werden, und die Intransparenz der Seiten ist beabsichtigt.7 Im Hinblick auf die Konstruktion der Geschlechtsspezifik sollen zwei Aspekte angesprochen werden: die Speicherung von persönlichen Informationen und die damit verbundene Diskussion um Online Privacy sowie die Reproduktion von weiblichen Stereotypen im Internet.Online Privacy. Isabel Walcott ist derzeitige Präsidentin von SmartGirl Internette Inc., einer Online-Firma, die sich ausschließlich auf die Generierung von Daten weiblicher Jugendlicher spezialisiert hat. Die Seite www.smartgirl.com richtet sich in Design und Sprache an weibliche Jugendliche, und bietet ihnen an, Mitglied der „Community“ zu werden, indem sie ein Produkt ihrer Wahl bewerten und einen kurzen Artikel darüber schreiben. Diese Antworten werden an dritte Firmen weiterverkauft und zu Marketingzwecken verwendet. Walcott definiert den weiblichen Charakter folgendermaßen: „They’re romantic, idealistic and extremely naive. They think the boy who says he loves them will marry them“.8 Ein großes Problem liegt darin, dass viele Marktforscher genau hier ihre Chance sehen, an weibliche Jugendliche heranzukommen. „They are so willing to talk to you. They’re flattered and they believe you’ll do something with what they tell you“.9 Die Differenz zwischen männlicher und weiblicher Zielgruppe ist auf kommerziellen Internetseiten offensichtlich. Kaum eine Webseite adressiert ausschließlich Jungen. Selbst Produktseiten wie Sega (www.sega.com) und Nintendo (www.nintendo.com), deren Produkte hauptsächlich von Jungen gekauft werden, vermeiden eine einseitige Sprache, die sich an männliche User wendet. Konträr dazu gestaltet sich die Adressierung bei Mädchen. Es gibt eine Vielzahl von Seiten, die sich direkt und ausschließlich an Mädchen richten. „Girl community“, „Girl power“, „Girl Zone“ sind Begriffe, mit denen junge weibliche Internetbenutzer angeregt werden sollen, sich an einer Online-Gemeinschaft zu beteiligen, deren Begründung lediglich in der Tatsache liegt, dass sie weiblich sind. Für kommerzielle Zwecke wird damit geworben, online neue Kontakte und Freundschaften zu finden. Indem kommerzielle Webseitenhersteller interaktive und kommunikative Elemente in ihre Seiten einbauen, sollen sich weibliche Jugendliche auf der Seite wohl fühlen und das kommerzielle Umfeld nicht bemerken. Transparenz wird auf den Seiten bewusst vermieden. „Diese Seiten sehen aus und fühlen sich an wie Online-Freizeitparks für Jugendliche. Dahinter stecken allerdings virtuelle ‘Informations-Supermärkte’ für Werbefachleute“.10Konsumgewohnheiten können durch die one-to-one Kommunikation zwischen Werber und Beworbenem direkt und ohne Umwege an die Marktforscher weitergegeben werden. Und indem das Umfeld per Internet so gestaltet werden kann, dass Mädchen oft nicht offengelegt wird, mit wem sie es zu tun haben, sondern sich auf einer erlebnisorientierten, interaktiven Oberfläche wiederfinden, sind viele bereit, Informationen über sich herauszugeben, die sie niemals in einer anderen Umgebung von sich geben würden. „Im Cyberspace ist jeder derselbe. Wenn man jemandem nicht in die Augen schauen muss, kannst du ihn alles fragen. Und sie werden dir genau das erzählen, was du hören willst“.11 Das Internet bietet so das ideale Forum für Marketingleute, durch geschickte Umfragen Informationen von Mädchen zu bekommen. „Viele wollen in die Psyche der Mädchen eindringen, die neben ihren eigenen Einkäufen auch noch ihre Peers beeinflussen, die jedes Jahr 100 Milliarden Dollar ausgeben“.12 So hat nahezu jede kommerzielle Seite für Mädchen Umfragen, z.B. über Shoppinggewohnheiten, Interessen und Produktevaluationen in interaktive, spaßorientierte Seitenelemente eingegliedert. So sagt Katharina Kopp, vom Center for Media Education, Washington, DC: „Jugendliche wissen nicht genau, wie diese Seiten arbeiten. Sie sind unreifer und anfälliger als Erwachsene. Insbesonders gilt dies für pre-teen Mädchen, mit deren Unsicherheiten auf diesen Seiten oft gespielt wird“.13Die Fülle der Artikel auf entsprechenden Seiten (z.B. Smartgirl) und die vollen Discussion Boards lassen darauf schließen (mehr auch nicht), dass viele Mädchen diese Form der Informationsabgabe gerne nutzen. So berichtet ein 15-jähriges Mädchen aus New York: „Was ist so schlimm daran in einer Umfrage rumzuklicken und ein paar Fragen zu beantworten? Wenn jemand meine Meinung hören will, teile ich sie ihm mit. Online-Umfragen zu beantworten gibt mir ein Gefühl dafür, wer ich bin. Ich lerne über Dinge, die für mich wichtig sein könnten“.14 Stereotype im Internet. Viele kommerzielle Seiten reproduzieren Stereotype, die sich bereits in der Offline-Lebenswelt finden. Produkte wie Barbie, deren Überlebensstrategie in der Hochhaltung weiblicher Stereotype liegt, übertragen ihre Marketingstrategien analog auf das Internet. Dies ist nicht weiter verwunderlich, und doch geht die Reproduktion von Stereotypen noch darüber hinaus: „Die meisten Frauenseiten im Internet gehen davon aus, dass wir nur unsere Horoskope, Rezepte, Abnehmtipps bekommen wollen, und natürlich darüber, wie wir einen Freund abbekommen“.15 Ein Beispiel hierfür ist die Webseite A Girl’s World (www.agirlsworld.com).
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor:
Friederike Siller
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Erwin Schaar: Bilder für Kinder?
Der amerikanische Fotograf Edward Steichen hat 1930 sein Buch „The First Picture Book. Everyday Things for Babies“ veröfffentlicht, das die Gegenstände einer Kleinkinderumwelt statuarisch ins Bild setzte, den Kindern anhand der Fotografien einen dingfixierten Zugang zur Welt schaffen/erleichtern sollte. Viele Bilderbücher für das Kleinkindalter ‘funktionieren’ so, wenn sie auf einer Seite einen Gegenstand abbilden, auf den sich Kinder fixieren sollten, auch um darüber zu sprechen, um zur Schilderung dieser reduzierten Umwelt animiert zu werden. Weil man glaubte/glaubt, dass Kinder die/ihre Welt in Ausschnitten besser begreifen lernen, oder weil man fixiert auf eine reine Kinderseele einen reinen Gegenstand als adäquat ansah. Steichens pädagogisches Verlangen mag damit auch seine Bewandnis gehabt haben.
Als das Buch 1991 vom Scalo Verlag in Zürich nachgedruckt wurde, konnte damit sowieso nur historisches Fotografierinteresse geweckt werden.Der deutsche Fotograf Reinhard Matz hat sich nun eine ‘Übersetzung’ von Steichens Fotoblick in die Jetztzeit vorgenommen, ohne allerdings für die abgebildeten historischen Spielzeuge und Gegenstände die neuartigen einzutauschen, weil sich mit den Dingen auch die Welten, die durch die Gegenstände widergespiegelt werden, verändert haben. Also hat Matz versucht, die strengen Bildwelten von Steichen, die in ihrer Kargheit an die Ästhetik des Bauhauses erinnern, gegen Analoges zu tauschen, das strenge Schwarzweiß der kargen Kunstfotos aus den 30ern mit einem bunten Bildkaleidoskop zu konterkarieren. Die Plastikwelten, die Spielzeugmassenware, die neuen Technologien, sie sollen den Kindern ihre jetzige Umwelt erkenntlich machen. Aber waren zu Steichens Zeit die Bilder noch rar, war das abstrakte strakte Abbild vielleicht gar nicht so abstrakt wie es heute wirkt, so treffen die Bilder von Matz auf eine Welt, die sich vor den Bildern kaum mehr retten kann.
So dürften die farbigen Widergaben unserer Konsumwelt für Kinder nur zusätzliche Bilder bedeuten, ohne dass ihnen die Ästhetik dieses Bilderbuchs widersprechen oder gar etwas bedeuten könnte. Und zweitens ist dieser pädagogische Anspruch Steichens gar nicht mehr vorhanden, weil die Bilder von Matz uns (Erwachsene) wie kulturkritische Bildmetonyme entgegenspringen und Eltern schon gar nicht dazu motivieren können, mit ihren kleinen Kindern vorurteilslos über das Gezeigte zu sprechen. Den Farbfotos ist meist schon die pädagogische Kritik heutiger Lebensumwelt impliziert und den erwachsenen Menschen möchte ich sehen, der mit Kindern der ersten Lebensjahre über diese aufgeladenen Abbilder ein im guten Sinn naives Reden beginnen möchte. Das McDonalds-Mahl z.B. ist unberührt in strenger Ordnung fotografiert, um auf der Rückseite abgegessen und hingeworfen wie auf den Straßen der Umgebung eines solchen Lokals abgelichet zu werden.
Es mag zudem meine Aversion gegen kindliche Weltverbesserer sein, die diesem kritischen Konzept von Matz nichts abgewinnen kann. Auch die Bilder Steichens waren nicht heil, nur hat er halt, ohne jetzt Einwände zurückzunehmen, die Dingwelt des Kindes nicht als Wegwerfware abgebildet. Und diesem Ex-und-hopp-Standard sollten wir auch heute so wenig Spielraum wie möglich einräumen.
Beitrag aus Heft »2000/05: Aktuelle Medientheoretische Reflexionen«
Autor:
Erwin Schaar
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Erwin Schaar: Visuelle Herausforderungen
„Das Kino, das mich zum Kino gebracht hat, existiert immer weniger“ hat Romuald Karmakar in einem Interview zu seinem neuen Film „Manila“ geäußert1. Und er fährt fort: „Es fällt mir schwer, in meinen Filmen Bilder zu integrieren, die keinen Zweck erfüllen, so wie Aufnahmen von schönen Landschaften...“Solche knappen Urteile lassen vielleicht darüber nachdenken, was denn Kino für einen Zweck hat, ob die Bilder nur eine Geschichte zu erzählen haben, die ausdauernde Filmgeschichten-Erzähler in enervierender Eindringlichkeit auch am Biertisch oder an der Bar widergeben können. Das zumindest wird diesen cineastischen Plagegeistern mit Lars von Triers neuem Film kaum gelingen. Sein Plot verweigert sich weitgehend der mündlichen Erzählung wie Karmakars „Manila“, weil beide Regisseure den Bildern das Eigene zutrauen, durch das die Geschichte erst zu einer wird. Wobei noch nichts über eine gelungene Inszenierung ausgesagt ist. Es mag eine mutige Entscheidung der Jury beim diesjährigen Filmfestival in Cannes gewesen sein, dem Trier-Film die Goldene Palme zuzusprechen. Immerhin hat man damit auch den Wert des Umstrittenen anerkannt.Und da von Trier sich mit Björk einen Star der jungen Musikszene ausgesucht hat, zudem mit seiner Bildästhetik der von Videoclips doch sehr nahe ist, könnte erwartet werden, dass „Dancer in the dark“ auch Jugendliche animiert, meinetwegen als inszenatorische Herausforderung.Doch ‘ne Story Also so ganz kann dann doch nicht darauf verzichtet werden, den Handlungsleitfaden in ein paar Worten wiederzugeben, sonst ist das filmisch Gestaltete nirgends festzumachen. Und Trier gefällt sich in üppigen Handlungsdetails - die eben durch seine Bilddramaturgie keine alltägliche Fixierung erfahren.Die tschechische Immigrantin Selva arbeitet bis zur Aufopferung in einer nordamerikanischen Blechstanzfabrik, um ihrem Sohn eine Operation zu ermöglichen, die ihm das Augenlicht erhalten soll. Beide leiden unter derselben Erbkrankheit. Und Selva hat schon verloren.
Mühsam sucht sie ihre nur noch geringe Sehfähigkeit bei der Arbeit und bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Singen in einer Liebhaberaufführung eines Musicals, zu kaschieren.Die wundervollen Nachbarn, er ist Polizist, sie aufstiegswillig, bringen sie um ihr Geld und ein brutaler Coup des Diebs bringt ihn um sein Leben. Wie Melodramen so spielen, Selma wird zur Schuldigen, zum Tod durch den Strang verurteilt und hingerichtet.Tanzen, Singen, Weinen„Die Stücke behandeln eine gegenwartsnahe, dem Alltag des Publikums entnommene Thematik in realistischer Darstellung“ schreibt der „Brockhaus“ u.a. zum Begriff „Musical“ und widerspricht damit nicht der Einordnung von „Dancer in the dark“ als solchem.Wie weggewischt ist der Kanon der Dogmen-Leute (siehe merz 1/99), die unter Führung von Trier und Vinterberg 1998 den absoluten Film oder zumindest die absoluten Regeln kreierten, die dem Medium die Wahrheit und nichts als die Wahrheit aufbürdeten. „Keine unnötige Action ist erlaubt...“ war eine der apodiktischen Aussagen. Trier hat dem in einer Art und Weise zuwidergehandelt - dass sich sein einmal in der späten Nachfolge Gottscheds entworfener Regelplan als PR-Gag entlarvt.Peter Körte hat ihn in der „Frankfurter Rundschau“ einen visuellen Bastler genannt. Das ist nicht gerade sehr viel, wenn die Auslotung experimenteller Vorstellungen zur Diskussion steht.Das vorzügliche, Anteilnahme fordernde Spiel von Björk braucht Zeit bis es in den Zuschaueraugen fixiert ist, weil Trier solch hastige Kamerabewegungen vorgibt, dass erst die Sehnerven den Widerstand überwinden müssen, eine solche Fülle von Bildern und noch dazu in dieser Bewegungsmanie aufzunehmen. Bewegung und Schnitt nehmen dem Geschehen dann auch das Süßlich-Emotionale des Melodrams, bzw. machen es durch das zusätzliche Hinübergleiten in die Gesangs- und Tanzeinlagen zu einer eher einer Bühnenkonstruktion vergleichbaren Handlung, die nicht das Wirklichkeitsmoment bewegter fotografierter Bilder besitzt.
Bis zum Schluss: Als ein den Zuseher und die Zuseherin kaum vorhersehbarer Schnitt die Endgültigkeit der Strafe schockierend vollzieht, nachdem vorher der Kampf der Heldin gegen den Galgen ein Meer der Tränen bei den von den Bildern Gebannten ausgelöst hat.Das ist dann der Punkt, der mir diese Inszenierung etwas obskur erscheinen lässt und ließ, auch wenn ich mir sagen muss, dass die Videoclip-Ästhetik heutiger Tage kein Tabu kennt und Sentiments als eye-food verarbeitet.Aber vielleicht kann das der Aufhänger sein, den Film zur Auseinandersetzung über Inszenierungskünste und -möglichkeiten zu nützen. Man kann trotz aller gegenteiliger Ansichten zu Trier über die großartige Besetzungsliste der Schauspieler schwärmen, die darstellerische Leistung und die exaltierte Singstimme Björks genießen. Die Tränen, glaube ich, gelten einer Art pornographischer Erzählfreude.
Andreas Kirchhoff: Zwischen geschlossener Gesellschaft und virtueller Öffentlichkeit
„Öffentlichkeit“, schreibt Florian Rötzer, „so rudimentär und minoritär sie auch sein mag, basiert auf Aufmerksamkeit, und erst im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit erhalten gesellschaftlich bedeutungsvolle Dinge, Ereignisse oder Menschen ihre Kontur, ja eigentlich ihre Realität“1. Die Frage, wie es um die öffentliche Aufmerksamkeit für die Jugendfilmarbeit und ihre Produkte, mithin also um deren Realität bestellt ist, versucht dieser Rückblick auf die JuFinale 2000 zu beleuchten. Filmfeste in Zeiten des wwwEin außenstehender Beobachter, am 19. Mai zufällig Zeuge der Aufbauarbeiten zum 6. Bayerischen Jugendfilmfestival in der Kulturfabrik in Roth, hätte das Geschehen vermutlich folgendermaßen beschrieben: „Metallene Boxen unbekannten Inhalts türmen sich an jeder Ecke. Kamera- und Scheinwerferbataillone belagern eine Talkbühne im Foyer und im Kinosaal. Internet-Terminals, Fernsehmonitore und Videobeamer finden noch im entlegensten Winkel des Gebäudes ihren Platz. Kilometerweise Kabel werden in hektischer Betriebsamkeit verlegt. Bei genauerem Hinsehen fallen die blauen Schildchen auf, welche die rastlosen Akteure dieses Treibens an ihre Kleidung geheftet haben; „Team“ ist auf ihnen zu lesen. Auf einem Tisch am Empfang liegen sauber aufgereiht weitere Schilder: grüne mit dem Aufdruck „BesucherIn“ und orange, die den Schriftzug „FilmemacherIn“ tragen. Der rote Teppich, von der Straße ins Foyer führend, verleiht der Szene einen Hauch von einem Festival.Die JuFinale, das Bayerische Jugendfilmfest wurde 1988 als Gemeinschaftsprojekt vom Bayerischen Jugendring und dem JFF erstmalig veranstaltet. Es hat sich als landesweites Filmfest mittlerweile zu einem Höhepunkt der bayerischen Jugendfilmszene entwickelt. 500 eingereichte Produktionen, von denen es 55 Filme in die Endausscheidung nach Roth schafften, sind ein deutliches Indiz dafür, dass das Medium Film auch in Zeiten des www nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat. Attrappe oder Attraktion?
Die ersten Gäste, die eintreffen, sind FilmemacherInnen, deren Beiträge am Abend im Eröffnungsblock laufen. Fast alle haben Freunde mitgebracht. Am Empfang erhalten sie ihre orangen Clips. Als der Eröffnungsfilm anläuft, ist die Überzahl der blauen „Team“-Schilder endgültig zugunsten der orangen dahin. Nur Menschen mit grünen Schildern trifft man kaum.Die Prominenz wird bei diesem Filmfest nicht von Fans und Fotografen erwartet. Hans Peter Korff, künstlerischer Pate der Veranstaltung, erscheint dem im Kinosaal versammelten Publikum zunächst rein virtuell, per Live-Schaltung aus dem Talkstudio im Foyer. Später steht er dann aber doch noch für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. Überhaupt herrscht zwischen den Filmblöcken ein reges Treiben im Foyer. Man tauscht sich aus über die Frage, ob man das nächste Filmprogramm anschauen oder doch lieber einen der zahlreichen, parallel laufenden Workshops besuchen sollte. Zwanglos formieren sich immer wieder neue Gesprächsrunden; man kennt sich ohnehin schon. Alte Kontakte wollen aufrecht erhalten und neue geknüpft werden. Und dies mit einer durchaus klaren Perspektive: hier werden im positiven Sinne die Seilschaften geknüpft, die später einmal Karrieren befördern sollen. Grüne Schilder entdeckt man noch immer kaum. Doch nicht alle sind auf dem Sprung ins professionelle Filmgeschäft.
Da sind z.B. die kaum 15-jährigen Mitglieder der Filmgruppe, die ein Video über ihre Streetgang gedreht haben. Für eine Weile genießen sie die Aufmerksamkeit, um schließlich doch die Gelegenheit zu nutzen, sich an eines der Internet-Terminals zurückzuziehen und kostengünstig ein paar MP3-Files downzuloaden. Im Talkstudio werden derweil andere FilmemacherInnen zu den Details ihrer Produktion befragt. Ihre Gesichter erscheinen, geisterhaft vervielfacht, auf den allgegenwärtigen Monitoren. Alle 5 Sekunden werden die Bilder auch ins Netz der Netze hochgeladen – JuFinale worldwide. Die Zahl der Kameras hat sich am zweiten Festivaltag durch die Anwesenheit zweier Fernsehteams und der Pressefotografen noch erhöht. Da filmen dann Kameraleute andere Kameraleute beim Filmen von Kameraleuten; Marshall McLuhan lässt grüßen. Es scheint, als wolle die Präsenz der Medien samt ihrer Vertreter das Fehlen eines Publikums kompensieren.Öffentliche AufmerksamkeitDen jugendlichen FilmemacherInnen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Produkte öffentlich zu präsentieren, das ist neben der Funktion als Kontakt- und Qualifizierungsforum erklärtes Ziel der JuFinale. Von Jugendlichen produzierte Filme, das hat sich auch in diesem Jahr gezeigt, lassen sich kaum auf ein eindeutiges, allen gemeinsames Identifikationsmerkmal verkürzen. Die Vielfalt der Themen und Genres, der Zugangsweisen, Ausdrucks- und Gestaltungsmittel spiegelt die Heterogenität der Szene wieder.
Vom Erstlingswerk auf VHS bis zur nahezu professionellen 35mm-Produktion, vom 5minütigen Animationsfilm bis zum abendfüllenden Spielfilm, vom trashigen Retro-Zombiefilm bis zum einfühlsamen Liebesdrama ist so ziemlich alles vertreten, was das Leben bzw. das Medium hergibt. So lässt sich als gemeinsamer Nenner letztlich nur die Leidenschaft für das Medium anführen, die sich ausdrückt in dem Willen, auch unter widrigsten Umständen die einmal entwickelte Idee, oftmals phantasievoll und unter großem Kraftaufwand, in Bilder und Töne umzusetzen. Und diese Leidenschaft drängt nach Aufmerksamkeit, nach öffentlicher Wahrnehmung und nach Rückmeldung. Die Filme sind eben nicht in erster Linie an ein spezielles sondern an ein möglichst großes Publikum adressiert. In Zeiten, in denen es den Großstadt-Multiplexen nur dank millionenschwerer Werbekampagnen der Filmgesellschaften gelingt, ihre Säle zu füllen, in denen eine ausdifferenzierte Medien-, Freizeit- und Konsumindustrie uns nötigt, unser begrenztes Vermögen an Aufmerksamkeit auf immer zahlreichere Angebote zu verteilen, hat es die mit nur geringen Mitteln und kleiner Lobby ausgestattete und darüber hinaus lokal gebundene Jugendfilmszene naturgemäß schwer, eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Filmgruppen sind als Teil der Jugendfilmszene auf sich selbst verwiesen, mithin auf eine Nischenöffentlichkeit, die sich kraft gemeinsamer Interessen und Erfahrungen formiert. Der an eigenen Produktionen geschulte Blick der anderen Jugendlichen befähigt diese zwar zu fundierter Kritik und hilfreicher Anregung, doch der unbefangene, weil nicht involvierte Zuschauer ist hier Mangelware.
Ein Festival kann daher lediglich die Kompromisslösung einer quantitativ immerhin den engeren Freundeskreis übersteigenden und interessierten, aber letztlich auch sehr spezifischen und begrenzten Öffentlichkeit bieten. Zusätzliche Brisanz entsteht, wenn der einzelne Film in der Masse der Beiträge und zusätzlichen Veranstaltungsangeboten unterzugehen droht. So war eine häufig geäußerte Klage, dass aufgrund des straffen Zeitplans die gewünschte Diskussion eines Filmes oftmals unmöglich war. Einen Sinn ergibt der betriebene Medien- und Technik-Kult erst, wenn man den Blick vom einzelnen Film löst und das Festival als Gesamtkunstwerk betrachtet. Ein multimediales Disneyland nach dem Motto „Ist alles so schön bunt hier“ ist allemal eher einen Presse- oder Fernsehbericht wert, als die jährliche Klausurtagung der bayerischen Jungfilmer. Diese auf den ersten Blick banal erscheinende Feststellung sollte in ihrem Gehalt nicht unterschätzt werden. Dazu noch mal Florian Rötzer: „Ein Medium ist jede Art von andauernder oder einmaliger Einrichtung, die die begrenzte Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit zu aktivieren sucht, indem es Dinge, Ereignisse oder Menschen präsentiert, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, was man wiederum benutzen kann, um auf etwas aufmerksam zu machen, was bislang noch nicht beachtet wurde. Medien sind mithin nicht nur Bilder, Zeitungen oder Fernsehprogramme, sondern auch Einrichtungen wie Galerien oder Museen und Veranstaltungen wie Festivals oder Vortragsrunden.“²
Das Festival als Meta-Medium betreibt also die Förderung des Jugendfilms auf der gesellschaftspolitischen Ebene, indem es ihm als gesellschaftlichem Ereignis zu einem – wenn auch kurzen - Peak im informationalen Grundrauschen und somit zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhilft. Und das ist von elementarer Bedeutung, denn „wer oder was nicht beachtet wird oder keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist als öffentlicher Agent nicht vorhanden“ (Rötzer 1996/2). Was das Spektakel den einzelnen Filmen vor Ort an Aufmerksamkeit stiehlt, fährt es so hintenherum wieder ein, indem es eine Botschaft kreiert, die räumliche Grenzen überwindet und interessengeleitete Aufmerksamkeitsfilter zumindest partiell umgeht. Die Nischenöffentlichkeit wird zur virtuellen Öffentlichkeit und – ja, es gibt ihn noch, den Jugendfilm. Beim nächsten Festival können Sie dann ja mal persönlich vorbeischauen.
Anmerkungen
1 Florian Rötzer (1996/1): Aufmerksamkeit. Der Rohstoff der Informationsgesellschaft (www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2001/1.html)
2 Florian Rötzer (1996/2): Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit (www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2094/1.html)
Claudia Schmiderer: Wenig öffentliche Resonanz
Die Woche vom 31. Mai bis zum 6. Juni verging für die teilnehmenden Gutachter und Beobachter mit viel Arbeit und wenig Begleitung durch die Öffentlichkeit und die Medien. Der Süddeutschen Zeitung z.B. war der internationale Wettbewerb für das Kinder- und Jugendfernsehen dieses Jahr nicht einmal einen kleinen Beitrag auf der Medienseite wert. Obwohl doch schon im Wirtschaftsteil über Kinderfernsehen berichtet wird, wenn entsprechende Händler einschlägiger Sendungen riesige Börsengewinne einfahren.Themen und PreiseIn der Endausscheidung für die öffentliche Vorführung standen 83 Finalisten, ausgewählt aus über 200 Programmen, die von 86 Produzenten aus 54 Ländern eingereicht wurden. Insgesamt wurden elf Preise (für fiktionale und dokumentarische Formen) verliehen, wobei auffallend viele der ausgezeichneten Produktionen aus Großbritannien, den Benelux- und skandinavischen Ländern kamen.In der Kategorie für Kinder bis zu sechs Jahren gewannen der BBC-Zeichentrickfilm „The first snow of winter“ und die Non-Fiction-Reihe „Blue’s Clues“ (Art Appreciation), produziert von Nickelodeon, New York, in der Kindern auf spielerische und phantasievolle Weise Kunstwerke und verschiedene Kunstformen erklärt werden. Aus dieser Kategorie wurde auch der namibische Beitrag „Tuli“, der einen Tag im Leben des Mädchens Tuli erzählt, ausgezeichnet und zwar mit dem BMW Special Prize für Low-Budget-Produktionen.Für die Altersklasse der 6- bis 11-Jährigen gewannen zwei niederländische Produktionen: „De Daltons“, eine Spielfilmreihe über das Großwerden unter Brüdern und „Groot Licht“, eine heitere, populärwissenschaftliche Informationsreihe, die nach dem Wie und Warum der Dinge, die uns umgeben, fragt.Die nominierten Filme für die Kategorie der 11- bis 15-Jährigen waren von Genre und Inhalt her sehr unterschiedlich.
So beschäftigten sich die Spielfilme mit Themen wie dem Verlust der Eltern durch Krieg, in „Devils of the mangosa tree“ aus Sri Lanka, oder durch Unfall: Im israelischen „The Secrets of Kineret“ geht das Mädchen Kineret den Ursachen des Unfalls ihres Vaters nach, seit dessen Tod sie nicht mehr gesprochen hat. Der Film strahlt etwas Geheimnisvolles aus, das auch die dieses Jahr erstmals tätige Kinderjury dazu bewogen hat, diesem Film ihren ersten Preis zuzuerkennen.Weitere Themen in der Kategorie Fiction waren die üblichen Probleme beim Erwachsenwerden, wie erster Liebeskummer oder Familienstreitigkeiten, wie sie auf der ganzen Welt auftauchen können. Hier wurden sie z.B. in einer iranischen Familie ausgetragen, in der ein kleiner Stein im Reis des Vaters den Konflikt auslöste, den die Kinder mit einer hinter geschlossenen Türen inszenierten Diskussion wieder schlichteten, oder in einer britischen Familie, in der sich Partner zusammenfanden, die Kinder aus früheren Beziehungen mitbrachten. Eine solche Geschichte erzählt die BBC-Reihe „Microsoap“, die 1998 und 1999 traumhafte Quoten erreichte. In der Episode geht es um ein ausgeliehenes und dabei beschädigtes T-Shirt eines Fußballclubs. Was sich die neuen Geschwister an Schikanen ausdenken und wie die Größeren ihre Macht gegenüber den Kleinen ausspielen – wie im richtigen Leben.Die Kategorie Non-Fiction für die 11- bis 15-Jährigen umspannte ebenfalls ein weites Feld: da gab es die traurige Geschichte von den Flüchtlingskindern aus dem Kosovo, „Vesa – Dew Children of Kosovo“, eine Produktion aus Bosnien-Herzegowina; „In the Mix: Teen Immigrants“, die Erzählungen von jugendlichen Einwanderern in Amerika, die sich in einem fremden Land und einer neuen Stadt orientieren müssen; die auf Platz zwei gewählte australische Reihe „Race around the Corner“, in der 12- bis 16-jährige Teenager Kurzdokumentationen über Inhalte drehen, die sie selbst berühren.Als Sieger ging die schwedische Produktion REA hervor, ein Verbrauchermagazin.
Da werden Daunenjacken von verschiedenen Herstellern auf ihre Tauglichkeit in luftiger Höhe, im Gefrierhaus bei 28 Grad minus oder auf ihre Daunenqualität hin geprüft, Outlets werden unter die Lupe genommen oder Computerspiele vorgestellt. Durch die Sendung führen Kinder im Alter von 10 bis 13, die diese Tests auch selbst durchführen und sich nicht scheuen, bei Ämtern oder Verbraucherschutzorganisationen um Rat nachzufragen.Die Kinder-Jury traf allerdings eine andere Wahl als die Erwachsenen: Ihr Favorit war der indische Beitrag „Big Treasure Chest for Future Kids“ über ein tibetanisches Kinderdorf am Fuße des Himalaya. Dort leben Kinder, die von ihren Eltern dorthin gebracht wurden, um nach tibetanischer Tradition und in ihrer Sprache erzogen zu werden. Die Kinder werden angehalten, alles was ihnen wert erscheint für spätere Generationen in eine Truhe zu geben, die erst in fünfzig Jahren wieder geöffnet werden wird. Alle machen sich also Gedanken, was für die tibetanische Kultur erhaltenswert ist. Und so finden sich in der Truhe Bücher und selbstgemalte Bilder über die Geschichte Tibets, über Tiere und Pflanzen, manche Kinder legen Kassetten dazu, auf denen sie Lieder singen oder musizieren.Neue KategorienNeu in diesem Jahr war die Rubrik Light Entertainment, deren Sinn allerdings etwas schwer nachzuvollziehen ist. Der Siegerfilm „My Sister’s World“ kommt aus Norwegen und hat die schon üblichen Sorgen beim Erwachsenwerden zum Thema.Ebenfalls neu im Programm war der Preis für die beste Web-Site eines Programms, wobei hier fünf zur Auswahl standen. Ausschlaggebend für die Entscheidung sollte sein, dass die Seiten ansprechbar für Kinder sind, auch für diejenigen, die noch nicht lesen können. Also wurden hier das Design der Zeichen und der gestaltete Ton bewertet. Die Kombination von High Tech und High Touch war denn auch das ausschlaggebende Kriterium der Web Prize-Jury für die Auszeichnung von „Zoom“ (www.pbskids.org/zoom).
Die Preise der UNESCO und von UNICEF gingen an „White Cap“, einem Film aus Sarajewo, der für Toleranz in der Gesellschaft wirbt, und an den britischen Beitrag „Off Limits – Strong Language“ über ein Mädchen, das für ihr Recht streitet, die Taubstummensprache zu benutzen. Kulturen im VergleichDas Resümee der Moderatoren der Diskussionen war überwiegend positiv, wobei sie vor allem die Beteiligung aus aller Welt und die technischen Fortschritte der Produktionen hervorhoben.Grundsätzlich wurde festgestellt, dass durch das Zapping, das auch den Filmschnitt beeinflusst, die Geschichten flacher werden. Überhaupt wurden Themen, die in vergangenen Jahren eine Rolle gespielt haben, vermisst, so zum Beispiel Politik und Nachrichten oder auch Ökologie.Etwas verwunderlich war die Feststellung, dass in den Spielfilmen zu wenig emotionale Geschichten Platz hatten, denn in vielen Geschichten gab es sehr wohl diese Komponente.Wahrscheinlich ist es schwierig, die Programme aus der ganzen Welt, die ja unterschiedliche Kulturen spiegeln, einheitlich zu beurteilen oder überhaupt eine einigermaßen homogene Meinung darüber zu erlangen.
Wolfgang J. Fuchs: Remake eines Kultfilms
Als es begann„Wir haben die Absicht, jedes Jahr eine neue Fassung von FANTASIA herauszubringen. Die flexible Struktur des Films ermöglicht das und es wird eine große Freude sein, daran zu arbeiten. FANTASIA ist kein Konzertereignis, weder Varieté noch Revue, sondern eine großartige Verbindung von Komödie, Fantastik, Ballett, Drama, Impressionismus, Farbe, Klang und epischer Wucht.“ Das sagte Walt Disney 1941, ein Jahr nach Fertigstellung des ursprünglichen FANTASIA-Films, für den er ein eigenes Raumton- und ein Breitwandverfahren entwickelt hatte. Der Film von 1940 wurde jedoch an der Kinokasse ein Flop und auch viele Kritiker mäkelten sehr an der Kombination von (bearbeiteter) klassischer Musik und Zeichentrick herum. Bosley Crowther, der Kritiker der New York Times fand hingegen schon damals nur Lob für den Film und nahm ihn später als einzigen Trickfilm in seine Liste der 50 besten Filme aller Zeiten auf. Bei der ersten großen Wiederaufführung 1956 schrieb FANTASIA erstmals schwarze Zahlen. Endgültig als Kultfilm galt er beim erneuten Kinoeinsatz im Jahr 1969. Nun wurde der Film einmütig von der Kritik ob seiner Farbigkeit, seiner Modernität und seiner kühnen Kombination von Kunst und Kommerz hochgelobt.Disney selbst hat den Plan einer Weiterführung des Films nie in die Tat umgesetzt. Er hat aber zum Kultstatus des Films dadurch beigetragen, dass er den Film häppchenweise auch in seine Fernsehsendungen eingebaut hat. Selbst zu Zeiten des Schwarzweißfernsehens wirkten diese Häppchen, die auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurden, verblüffend frisch und wohltuend anders als der übliche Trickfilm.
Kein Wunder also, dass die Vertrautheit mit den Einzelteilen später zum Erfolg des farbigen Ganzen beitrug.Der neu gestaltete FilmDisneys Äußerung von 1941 ließ aber seinen Neffen Roy E. Disney nicht ruhen, der mittlerweile der Leiter der Animationsabteilung bei Disney ist. Als der restaurierte FANTASIA-Film 1991 eine der meistverkauften Videoveröffentlichungen wurde, konnte er sich daran machen, den Traum von einer Fortsetzung des Originals zu realisieren. „Rhapsody in Blue“, „Karneval der Tiere“ und „Der Feuervogel“ hatte man bereits in den 40er Jahren für eine mögliche Fortsetzung in Erwägung gezogen.Man einigte sich schließlich auf folgendes Programm:Ludwig van Beethoven: 5. SinfonieOttorino Respighi: Pini di RomaGeorge Gershwin: Rhapsody in BlueDimitri Schostakowitsch: Klavierkonzert Nr. 2, Allegro, op. 102Camille Saint Saëns: Der Karneval der Tiere, FinalePaul Dukas: Der Zauberlehrling (Übernahme aus dem FANTASIA-Original)Sir Edward Elgar: Pomp and Circumstance, Märsche 1, 2 ,3 und 4Igor Strawinsky: Der Feuervogel - Version von 1919(Beim Abspann mündet Beethovens 5. Sinfonie in Elgars Pomp and Circumstance.)Natürlich war allen Beteiligten klar, dass auch beim neuen FANTASIA-Film die Musik dem Medium angepasst werden müsste. Wer also diesmal den absoluten Klassikerklang erwartet, wird wieder enttäuscht werden. Aber wenn Hollywood schon bei Romanverfilmungen - aus welchen dramaturgischen oder finanziellen Erwägungen heraus auch immer - mehr oder weniger gravierende Änderungen vornimmt, weshalb sollte dann bei der Umsetzung von Musik ins Bild eine andere Arbeitsweise gelten. Betrachtet man die für FANTASIA 2000 zur Filmmusik mutierten Klassiker in Verbindung mit den Bildern, so zeigt sich, dass durch die Synästhesie ein Synergieeffekt entsteht, der beim Betrachter das Wissen um die Veränderungen der Musik überlagert, wenn nicht gar verdrängt, weil Bild und Ton eine optimale Symbiose eingegangen sind. Um die Geduld des Publikums nicht zu strapazieren, hat man das Programm zudem auf schlanke 75 Minuten beschränkt.
Zur Verbindung der einzelnen Sequenzen hat man diesmal „Ansager“ eingesetzt, angefangen mit dem Komiker Steve Martin, über Bette Midler und Quincy Jones bis hin zu Angela Lansbury... und Micky Maus. Steve Martins witziger Einstieg mit einem endlosen Wortschwall wird dabei sogleich ad absurdum geführt, indem ihn die Kamera links liegen lässt, und ganz am Ende des Films, nach dem Abspann ist er noch einmal zu vernehmen, wenn er immer noch fragt, ob irgendwer da ist, der ihm zuhört. Den besten Verbindungsteil hat Micky Maus, der zunächst nach dem Zauberlehrling wie im Original mit Dirigent Leopold Stokowski spricht, dann zu James Levine, dem Dirigenten einiger der neuen Sequenzen, läuft und ihm eröffnet, dass Donald Duck für seinen Auftritt noch nicht bereit sei. Danach hört man Micky in allen Ecken und Enden des Kinos Türen aufreißen, bis er endlich Donald beim Baden findet und zu seinem Auftritt in Elgars „Pomp and Circumstance“ abholt.Die musikalischen InterpretationenMit Beethovens Fünfter beginnt der Film: eine Mischung aus Abstraktion und Konkretion. Lichtsäulen, die aus Wolken hervorbrechen, zaubern eine Menge abstrakt-bunter Schmetterlinge hervor, die in Wirklichkeit nur bewegte Dreiecke in leuchtenden Farben sind. Die bunte Vielfalt wird allmählich von erdrückend düsteren schwarz-roten Dreiecken bedroht, ehe der Farbenrausch des Lebens, von neuerlichen Lichtblitzen unterstützt, siegt.
Die Pinien von Rom inspirierten die Trickzeichner zu etwas völlig anderem. Respighis Musik wird illustriert von einem Paar majestätisch durchs Polarmeer schwimmender Blauwale und ihres Kindes. Je mehr sich die Musik steigert, desto mehr heben die Wale ab und beginnen schließlich anmutig zu fliegen. Dann wird das fliegende Walkind von einem Möwenschwarm angegriffen, entkommt in einem Eisberg und steigt in einer Lichtsäule auf zu seinen fliegenden Eltern, die alsbald eine ganze Walherde im Flug durch die Wolken ins Weltall führen. Eine überraschende und doch anrührende Neuinterpretation der „Pinien von Rom“, die allenfalls noch in Form riesiger Eisnadeln im Innern des Eisbergs in Erscheinung treten.Die „Rhapsody in Blue“ verwendet den grafisch flotten Zeichenstil des Karikaturisten Al Hirschfeld und webt daraus einen Tag in New York, an dem die sich überschneidenden Geschichten von vier Hauptfiguren in einer Schlussapotheose glücklich enden. Dieser Teil ist mit so viel Detailliebe und Witz inszeniert, dass, nicht zuletzt dank Gershwins Musik, eine rasante Miniatur entsteht, die das Lebensgefühl der 30er Jahre sinnfällig macht.Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 wird zum treibenden Moment in der Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten. Diese Märchenbearbeitung steht, auch in der Verwendung der klassischen Musik, in der Tradition von Disneys „Silly Symphonies“. Sie bringt die Geschichte von Liebe, Bedrohung und Erlösung auf naive und doch wirkungsvolle Weise in Bild und Ton zur Darstellung.
Das Finale von Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ wird wie „Der Tanz der Stunden“ zu einer absolut rasanten, komischen Ballettnummer. Fünf orangerote Flamingos stelzen tanzend durch bonbonfarbenes Wasser. Plötzlich kommt ein pinkfarbener Flamingo dazu, der eine Vorliebe für ein Jo-Jo hat und mit diesem Spielzeug für gehörigen Wirbel sorgt. Diese komische Nummer ist ein Gegengewicht zum zuvor gezeigten, fast zu niedlichen Märchen.Paul Dukas „Zauberlehrling“ bringt Micky Maus auf die Leinwand. Der Klassiker der Ur-Version von FANTASIA wurde für diese Fassung noch einmal restauriert. Es ist schade, dass man ihn wie in einem Fernseher ins Filmbild einkopiert hat, so dass auf der Breitleinwand nicht nur rechts und links schwarze Streifen zu sehen sind, sondern auch oben und unten. Nichtsdestotrotz hat dieser Film über die Jahrzehnte nichts von seiner Dramatik und seinem Witz verloren. Bemerkenswert, dass man bei der Restaurierung einen langen Kratzer auf dem Film falsch eingefärbt hat, und dass bei der an das Musikstück anschließenden Begegnung Mickys mit Dirigent Stokowski der ursprünglich Technicolor-rote Hintergrund arg blass wirkt. Elgars Märsche des „Pomp and Circumstance“-Zyklus werden zum Hintergrund der Geschichte der Arche Noah gemacht. Kein Geringerer als Donald Duck ist der Verwalter, der dafür sorgt, dass je zwei Tiere einer jeden Art einchecken. Komische Situationen ergeben sich aus dem ständigen Verfehlen von Donald und Daisy, bis Donald nach der Sintflut beim Auskehren des Schiffes doch wieder auf sie trifft.Zum Abschluss gibt es mit Strawinskys „Feuervogel“ die Umsetzung des Motivs vom Werden, Vergehen und von Neugeburt, das in Variationen in allen sieben Geschichten vorhanden ist. Ein Hirsch und eine Elfe bringen der Welt den Frühling. Aber als die Elfe versehentlich den Feuervogel weckt, versinkt alles in Glut und Asche. Der Hirsch atmet der Elfe neuen Odem ein, und diese erweckt die Natur erneut zum Leben. Das wirkt zwar alles ein wenig gewollt und bombastisch, ist aber in so atemberaubender Flugbewegung gestaltet, dass man sich auch von diesem Stück beschwingen lässt.
Pädagogische Handreichungen?Das Dilemma von FANTASIA 2000 ist, dass der Film zwar unterhaltsam, sowie optisch und akustisch opulent ist, dass er aber eigentlich kein klar definierbares Zielpublikum hat. Vielleicht war das auch schon das Problem des Originals. Um die Kinoauswertung abzusichern, hat man bei Disney zum Film Begleitmaterial für die Schulen zusammengestellt. Zwei so genannte „Unterrichtspraktische Handreichungen“ werden angeboten, zum Thema Erzählen und zur Musik. In beiden Handreichungen wird betont, dass ein Besuch des Films für das Verständnis der Aufgaben nicht erforderlich ist. Dennoch wird natürlich immer wieder auf den Film Bezug genommen, schließlich ist er der Ausgangspunkt des Materials. Das Arbeitsheft zum Erzählen und zu Film und Informationszeitalter gibt zwar einige nützliche Anregungen, disqualifiziert sich in seinen Informationen aber selbst, da es üble Fehler enthält. Übel deshalb, weil die Verfasser des Materials (oder dessen Übersetzer?) offenbar nicht einmal die Geschichte ihres eigenen Studios kennen. Da wird zum Beispiel auf Seite 12 behauptet: „Walt Disneys Micky Maus hatte sein Debüt im ersten Film, der mit einer Mehr-Ebenen-Kamera gedreht wurde.“ Das ist blanker Unsinn. Der erste Micky-Maus-Film zeichnete sich dadurch aus, dass er der erste Zeichentrick-Tonfilm war. Die Mehr-Ebenen-Kamera wurde erstmals neun Jahre später bei dem Silly Symphony-Film „The Old Mill“ eingesetzt.Auch das Begleitheft zur Musik dürfte für so manche hochgezogenen Augenbrauen sorgen. Da heißt es etwa auf Seite 10: „Beschreiben Sie, wie sich das Motiv aus einer rhythmischen Idee (dadadaDAMM) und einer Folge von Tonhöhen (drei G und ein E Moll) zusammensetzt.
Spielen Sie es Ihren Schülern vor und lassen Sie es singen.“Mit einem dadadaDAMM ist das Motiv der 5. Sinfonie zwar beschrieben. Das dadadaDAMM wird bekanntlich wiederholt, aber um einen Ton tiefer. Aus den Unterschieden zwischen dem ersten und zweiten dadadaDAMM ergibt sich sodann eine Spannung, auf der die 5. Sinfonie aufbaut. Und was soll der Hinweis auf die Tonhöhen G und E Moll? E Moll ist bekanntlich kein Ton, sondern eine Tonart. Vermutlich hat der Übersetzer e flat (es) mit e minor (e-Moll) verwechselt.Solche Ungereimtheiten scheinen öfter auf. So wird etwa auf Seite 21 definiert, dass ein Dreiklang aus drei Tönen besteht, und dass das Intervall zwischen den Tönen eine Terz ist. Als Beispiel wird der Dreiklang auf A angegeben: A, C, E. Das ist zwar richtig, aber didaktisch schwach. Normalerweise beginnt man die Erklärung des Dreiklangs mit jenem auf dem Grundton C, weil der, anders als A-C-E, ein Dur-Dreiklang ist. Der Dur-Dreiklang auf A wäre aber A-Cis-E, was die Definition schon wieder erklärungsbedürftig macht. (Wo ist die kleine, wo die große Terz?)So sinnvoll es ist, FANTASIA 2000 zu nutzen, um den Musiklehrern Material zur Belebung des Unterrichts an die Hand zu geben, so sinnvoll wäre es gewesen, sich vor der Veröffentlichung des Materials mit den deutschen Lehrplänen im Fach Musik auseinander zu setzen. Dann wäre man vielleicht auf die Idee gekommen, dass es auch ein paar deutsche Lehrbücher als Lektüreempfehlung gegeben hätte, oder dass man für die Auseinandersetzung mit Texten im Deutschunterricht nicht einfach Bücher mit amerikanischen Kinderreimen verwenden kann.
Das pädagogische Brimborium, mit dem man den Filmstart von FANTASIA 2000 begleitete, ist sicher gut gemeint, aber für deutsche Verhältnisse unzulänglich. Wenn man sich schon die Mühe macht, eine Handreichung für Pädagogen als Werbegag für den Film herauszubringen, dann hätte man vielleicht etwas mehr Zeit und Geld für die Bearbeitung aufwenden sollen. In der vorliegenden Form bleibt es allenfalls eine Fußnote in Moll zu einem Film, bei dem man angenehm in Dur-Harmonie und -Laune versetzt werden und genießerisch entspannen kann.
Erwin Schaar: (Ein)geschlossene Gesellschaft
Zurück in die Kälte
Aus der soeben auf dem Frankfurter Rhein/Main-Flughafen gelandeten Boeing 747 gelangen die Passagiere in ein für sie unwirtliches Klima, was sie noch gar nicht wahrhaben wollen. Zumindest ist ihre Kleidung noch nicht der kalten Temperatur angepasst. Kommen sie doch aus einer Gegend, die mit ihren Wärmegraden die Erholung verspricht, die auch von den Reisekatalogen bestätigt wird. Fast unbeteiligt steigen sie die Gangway herunter, als ob all die Verstörungen, Gefühlsausbrüche, Exzesse, die noch Stunden vorher stattgefunden haben, sie nicht im geringsten berührt hätten.
Und dabei führte der unfreiwillig längere Aufenthalt im Flughafen von Manila zu einer Vorführung psychischer Verhaltensweisen, die nur in Ausnahmezuständen hervorbrechen.Aus der ganz zufällig versammelten Urlaubergemeinde strukturierte sich ein Beziehungsgeflecht, das Verdrängtes hervorbrechen ließ. Aus Verklemmten wurden vor Lustigkeit Auftrumpfende und Grossmäuler brachen an ihren Schwächen zusammen. Der außergewöhnliche und sich den herkömmlichen moralischen Vorstellungen von Kunst entziehende Regisseur Romuald Karmakar hat sich mit seinem Ko-Autor Bodo Kirchhoff die Konfiguration der Eingeschlossenen vorgenommen, um auch ein Sittenbild bundesrepublikanischen (Tourismus-)Verhaltens zu rekonstruieren, Menschen ihr Verhalten offenlegen zu lassen, die der sonst öffentlich nicht auffälligen Mittelschicht angehören. Deren Bildung und finanzielle Mittel ausreichen, um den Ferntourismus zu bedienen, die aber nicht auf Reisen gehen, weil sie der Wille der Erkenntnis in die Ferne treibt, sondern die meist in der weiten Welt das suchen, was sie in ihrer Heimat nicht mehr zu finden glauben - und das sind nicht die Werte, die in offiziellen Reden immer beschworen werden.In Manila hat sie ein Defekt an ihrer Maschine für Stunden auf dem Flughafen zusammengeschlossen, ihre Distanz zu einem eher unwirklichen Kennenlernen verwandelt.
Ein Regisseur ist ein RegisseurKarmakar (Jahrgang 1965) hat mit seinen Inszenierungen zwar nie Skandale verursacht, aber doch gegensätzliche Beurteilungen herausgefordert. Erinnert sei da nur an seinen Dokumentarfilm „Warheads“, ein Porträt eines deutschen Fremdenlegionärs und Beobachtungen zu den Kriegsereignissen im ehemaligen Jugoslawien, der 1993 auf dem Berliner Forum des jungen Films schon deswegen Beachtung fand, weil ihn vorher das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF und das Filmbüro Nordrhein Westfalen als militaristisch abgelehnt hatten. Aber gerade weil Karmakar nicht bewertend in die Rollen eingreift, fast teilnahmslos aufzeichnet, gewinnen seine Beobachtungen dieses Unbestimmte, das den Zuschauer zur eigenen Beurteilung treibt, ihm keinen Kanon „Wie zu sehen, wie zu hören, wie zu fühlen“ vorgibt. Diese „aktive Teilhabe“ verlangt reflektierende Zuseher. So betrachtet, ist Karmakars Kino ein intellektuelle Herausforderung. Vielleicht hat das Götz George nicht verstanden, als er seinen Silbernen Löwen für die Beste Darstellerleistung 1995 bei den Filmfestspielen in Venedig für „Der Totmacher“ kommentierte, und den Gewinn dieses Preises nur seinen eigenen Verdiensten aufs Panier schrieb. Als ob Karmakar nur als Organisator tätig gewesen wäre. Aber er behandelt Schauspieler wie vorgefundene Realitäten. Er scheint sie das spielen zu lassen, was ihnen zu den Rollen einfällt und hat eben Georges Interpretation des Massenmörders goutiert. Eine Art Geburtshelfer für schauspielerische Leistungen.
Gleich, ob diese Regiehaltung aus einer theoretischen Konzeption resultiert oder aus einem Unvermögen, Darsteller anzuleiten, Charaktere zu geben. Das Ergebnis, der fertige Film, erfordert die Beurteilung nach „geglückt“ oder „misslungen“. Auf alle Fälle setzt diese Methode eine sorgfältige Wahl der Darstellenden voraus, die in ihren Interpretationen auch nicht das Gefüge der formalen Inszenierung verlassen dürfen. Oder der Cutter ist gewöhnt, auch aus outriertem Material eine vorzügliche Montage zu fertigen. Und mit Peter Przygodda hat Karmakar sicher einen vorzüglichen Schnittmeister angeheuert, der ihm schon beim „Totmacher“ behilflich war und der auch für die Wenders-Filme tätig ist.
KlassengesellschaftIm Wartebereich des Manila International Airport also schälen sich fast wie auf einer übervollen Bühne aus der Ansammlung von Menschen die Individuen heraus, an denen die Veränderungen dargestellt werden sollen: das ältliche Ehepaar aus dem Osten Deutschlands auf Bildungsreise (Margit Carstensen und Peter Rühring), wobei der mit einer philippinischen Frau verheiratete Aussteiger Walter, der jetzt ein Vergnügungsetablissement betreibt, den Mann zu einem gehörigen Alkoholkonsum verführen kann. Jürgen Vogel (Rudi) ist mit Manfred Zapatka (Herbert) verwandt, beiden gefällt die reservierte deutsch-amerikanische Journalistin Elisabeth (Elizabeth McGovern), die aber nur Rudi gefällig sein wird, während der Ältere seinen Frust allein auf der Toilette zu bewältigen sucht. Was wiederum Franz (Martin Semmelrogge) zu einer gewaltsamen Tat gegen Sachen treibt, hat er, der Frührentner mit spätem Abitur doch mit geilen Fotos die Männer für sich einzunehmen versucht und jedem, der es hören wollte, die Geschichte von seinen beiden philippinischen Freundinnen - eine für den Sommer, eine für den Winter - erzählt.Zur Weißglut kann alle der Stewart Osterfeld (Sky Du Mont) treiben. Mit Arroganz sucht er seinen servilen Job zu meistern. Standesdünkel unter Menschen, die alle der Maschinerie dienen, dem Kapitalismus ergeben, der ihnen die engen Grenzen zieht, sie aber auch belohnt.
Massensozialität
„Erzählmodule“ hat das Presseheft Karmakars Personenkonstellationen in der Abflughalle, an der Bar, in der Toilette genannt - und daraus ergibt sich ein Sittenbild einer Gesellschaft, der die Contenance sehr schnell abhanden kommt. Die Gefangenen von Manila werden sich erst wieder zusammenfinden, wenn sie alkoholenthemmt zu einer gemeinsamen Gesangsleistung animiert werden können. Fischerchöregleich plärren sie mit kindischer Begeisterung pubertär Gereimtes zum „Gefangenenchor“ aus Nabucco und machen die Wartehalle zur Fankurve.
Karmakars Bildern ist keine Sucht nach Kunstwollen zu entnehmen, sie bleiben aber trotzdem im Gedächtnis. Sie schlagen zu wie das platte Leben. Und: Karmakars männlicher Blick verbirgt sich nicht hinter inszenierter Emotionalität. Die Bilder zeigen, was sie zeigen wollen und können. Ihre Eindringlichkeit ist der Lohn. Und die minutenlangen Folgen von Einstellungen der gesanglichen Darstellung eines individuellen und gesellschaftlichen Zustandes sind fast genial.
merz-Videokritik: Videos, zusammengestellt und kommentiert von Erwin Schaar
Die Sache mit der Werbung
Als die Werbung flimmern lernte
Die Geschichte des deutschen Werbefernsehens (Teil 1: Die Wirtschaftswunderjahre; Teil 2: Sixties pur)
Regie: Ulrich Wünsch - Produktion: Tacker Film, Deutschland 1998 - VHS, Teil 1: 65 Minuten, Teil 2: 55 Minuten - Verkauf: Tacker Film (Marienburger Str. 41 A, 50968 Köln) - Kaufpreis: DM 79,90 (für beide Kassetten)
Ein Junge bringt seinem Vater das Feuerzeug, damit sich der genüsslich eine Zigarette anzünden kann, die Mutter gesellt sich dazu, um mitzurauchen und das Kind blickt zufrieden auf seine Eltern. Das schaffte in den 60er Jahren die „Milde Sorte“, eine „Zigarette für lebensfrohe Menschen“. Einiges hat sich da doch verändert im Laufe der Jahrzehnte! Aber es gibt auch Wiedersehensfreude: mit den damals noch so jungen Carrells, Fuchsbergers, Tillers, Kesslers, Kochs!Die etwas willkürliche und langatmige Zusammenstellung von TV-Werbespots, die ab 1956 über den Bildschirm „flimmerten“ (wobei das doch wohl eher auf der Filmleinwand der Fall war), muss bei diesem zeitlichen Abstand natürlich viel kulturgeschichtlich Interessantes beinhalten. Dass die Spots gelegentlich gekürzt sind, verfälscht ihre Dramaturgie, die ja erst nach 1970 eine schnellere Gangart bevorzugte.
Für Ältere mag vieles zum Wiedererkennen und Reflektieren dabei sein, ob es auch Jüngere zum längeren Hinsehen motiviert? Wenn man sich auf diese Historie einlässt, muss man das Herausfiltern lernen: Warum haben die so viel gereimt in den 50er Jahren, als all die Herrlichkeiten auf den Markt kamen, die auf uns aber heute schon wieder abgestanden wirken. Waren diese Trivialreime eine Art Zauberformel für den Wohlstand: Simsalabim und Tichlein deck dich? Die Frauen erfüllen auch noch das Bild der KKK-Anschauung und erst in den späten 60ern werden kleine Veränderungen wahrnehmbar: beim Rauchen zum Beispiel (siehe oben).
Der Tchibo-Kaffee-Experte bereiste für uns noch die weite Welt, heute für Jedermann und Jedefrau ohne weiteres selbst durchführbar. Immerhin: 1968 flog Neckermann schon und noch nach Beirut! Und zu den Ruinen von Baalbek.In den 50er Jahren lernen wir viel über Suppen, Eierlikör und Küchengeräte, dann werden die Waschmaschine zum Thema und der Plattenspieler. In den 60er Jahren zaubert Beckenbauer „Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“, der Omo-Reporter macht das Ruhrgebiet unsicher und entfernt dort den Schmutz, den Willy Brandt dann vom Himmel verbannte. 1967 kam die Farbe ins TV und immer mehr Freizügigkeit.Ja, in dem Durcheinander geht es durch die Jahre und man kann keine Aussage treffen, wie repräsentativ diese Auswahl ist. Aber sie soll ja auch eher unterhaltsam sein. Da die „Hörzu“ gar so präsent ist, dürfte Springer zumindest gesponsort haben.Maus & Co.Regie: Michael Schomers - Produktion: Lighthouse-Film, Köln 1997 - VHS, 10 Minuten - Verleih: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
„Apropos - Videos & Texte zur politischen Bildung“ nennt sich eine Reihe mit vielen, vielen Videos, die die Bundeszentrale für politische Bildung rund um gesellschaftliche Fakten und Probleme produzieren lässt. Neben einem kurzen Film gibt es zu jedem Titel auch ein Begleitheft, dem weitere Informationen, didaktische Ratschläge und Literaturhinweise zu entnehmen sind.Die Kürze des Videobands verweist schon darauf, dass es sich um eine Art Anspielfilm handelt, der das zu behandelnde Thema mit Fakten und Bildern ins Gespräch bringen soll und will, um Lehrenden den Einstieg zu erleichtern. Mehr ist da nicht. Bei „Maus & Co.“ stehen knappste Spielszenen neben einer langen Erklärung eines Fachmannes über Merchandising-Produkte und wie sie auf den Markt gebracht werden. Die Ausführungen dieses Werbemannes, der sich die allseits beliebte Kinder-“Sendung mit der Maus“ vornimmt, sind gedanklich verständlich vorgetragen. Man merkt den Profi, der Wissen vermitteln kann und betrachtet angesichts der erfolgreichen Bemühungen der Wirtschaft mit Maus-Nachfolgeprodukten auch diese Sendung mit kritischeren Augen. Ansonsten gibt es noch Hinweise auf andere Formen der Werbung, aber diese sind dann doch zu rudimentär. Meine Idole - Deine IdoleRegie, Buch und Kamera: Katrin Kramer und Heinz Richter - Produktion: telekult Film- und Medienproduktion, Deutschland 1997 - VHS, 10 Minuten - Verleih: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
Auch ein Video aus der „Apropos“-Reihe. Diesmal gibt es Aufklärung über Verkaufsstrategien für populäre Musik. Wenn diese weniger mit sich selbst, mehr mit dem Aussehen der sie Ausübenden zu tun hat, dann werden Personenverehrung und Devotionalien zum Mittelpunkt der ‘musikalischen’ Beschäftigung. Natürlich müssen die Angebeteten den Geschmack für Rhythmus und Melodie der Fans schon treffen, damit diese Hingezogenheit auch begründet werden kann. Aber Mittelpunkt werden immer die Stars in ihrer Körperlichkeit sein, die dann auch als Ausstrahlung bezeichnet wird.Dieses Verehrungsphänomen kann besonders intensiv bei (meist) jungen Mädchen beobachtet werden, die sich ehrfürchtig den Boy-Groups nähern. Das neue „Duden-Wörterbuch der Szenesprache“ merkt an, dass vor allem in England diese Gruppen markt- und marketinggerecht konzipiert werden. Und von einer solchen Gruppe berichtet die 15-jährige Antonia in diesem Tape, von der Gruppe „East 17“. Antonia zeigt Bilder von den Bandmitgliedern, Konzertplakate, eine Unterhose, die sie als Souvenir von der Gruppe zugeschickt bekommen hat. Sie erzählt von ihrer England-Reise, wo sie mit ihrer verständnisvollen Mutter auf die Suche nach den Jungs gegangen ist. Mehr als ihre Wohnhäuser haben sie allerdings nicht zu Gesicht bekommen.
Es ist nicht gerade spannend, was Antonia zu erzählen weiß, aber das mag - da das Video kurz ist - als Anreiz verwendet werden, junge Leute zu motivieren, über ihr Verhältnis zu dieser speziellen Form von Idolen zu berichten, die mit Musik zum Markenartikel gestylt wurden. Ein Film zum Thema Jugendkultur und Werbung.Zielgruppe: Kind. Werbung in der DiskussionRealisation: Dieter Baacke, Walter Blohm (Regie), Jochen Kopp (Kamera) - Produktion: Audiovisuelles Zentrum der Universität Bielefeld 1997 - Herausgabe: FWU Institut für Film und Bild, 1999 - VHS, 30 Minuten - Verleih: Bildstellen und Medienzentren - Verkauf: FWU
Grundlage des Films war eine Studie, die die Uni Bielefeld im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt hat. Die Einstellung der 6- bis 13-Jährigen zur Werbung sollte dabei erforscht werden, ihre Kompetenz ergründet, inwieweit sie diesen unverzichtbaren Bestandteil der freien Marktwirtschaft beurteilen können. Nein, um diese zweischneidige Diskussion geht es natürlich nicht. Das pädagogische Modell lebt immer noch von der Gegensätzlichkeit: hie Werbung, da Kindheit - zumindest im Grundsätzlichen, auch wenn man sich sonst liberal gibt, weil ja Kinder doch schon viel erkennen (können). Da werden dann natürlich die kritischen Bemerkungen gegen die Werbung von den Kindern reproduziert. Aber wenn es diesen um ihre Kleidung geht, werden mit aller Selbstverständlichkeit die (teueren) Markenklamotten eingefordert - so, als wenn da nichts an kritischer Einsicht gewesen wäre. Wie eben auch Erwachsene handeln, die das kritische Beurteilen draufhaben, solange es nicht ihre Belange betrifft.
Also: Kinder werden eben auch nicht aus sich selbst die Mechanismen der Beeinflussung durchschauen lernen. Ein wenig Aufklärung darf schon sein. Und eine Diskussion um Werbung müsste auch immer deren Qualität im Blickfeld haben. Manch einfältige Überredungstechnik ist eben leicht zu durchschauen und manche geschickte Strategie der Manipulation mag auch dem honorigen Forscher unentdeckt bleiben. Manchmal beschleicht einen die Vermutung, dass Gegenstände gar zu einfach gesehen werden, weil man sich nur in der Zeit ihrer Erforschung mit ihnen befasst hat.Auch wenn dieses Video für einen Einstieg in eine Diskussion (z.B. mit Eltern) um das Problem geeignet sein dürfte, halte ich es für zu lang. die vielen Statements ermüden zunehmend.
Tilmann P. Gangloff: Dokumentationen für den Fernsehmarkt
Trash wird die Ausnahme
Das größte Interesse bei der Mipdoc in Cannes, einem Programmmarkt für nicht-fiktionale Produktionen, galt einem abstoßenden Film aus Dänemark mit dem bezeichnenden Titel „Shocking Truth“. Vermutlich wollte Regisseurin Alexa Wolf aufzeigen, wie ekelhaft das Pornogewerbe ist. Doch warum musste sie dann die Darstellerinnen beim Interview nackt filmen? Typischer Dialog: „Wie fühlst du dich, wenn du dich in einem Sexfilm siehst?“ - „Ich hasse mich und fühle mich wie ein Tier“. Angereichert wird der Film um unzensierte Ausschnitte, die eindeutig den Tatbestand von Pornografie erfüllen.
Doch Filme wie „Shocking Truth“ spiegeln nur ein Randsegment des gewaltigen Dokumentarmaterials wider. Die Trends gehen in eine andere Richtung. Noch vor einem Jahr entsprachen viele Produktionen keinem gehobenen Standard, funktionierten nur im jeweiligen Produktionsland (Docu-Soaps) oder waren schlicht TV-Trash (authentische Verfolgungsjagden). Mittlerweile aber hat sich das Genre, dessen Niveau im Zuge eines weltweiten Booms rapide gesunken war, auch qualitativ wieder etabliert. Fernsehmüll wie die beliebten Reihen der amerikanischen Alfred Haber Distribution („World’s Weirdest Police Videos“) erfreuen sich zwar nach wie vor großer Beliebtheit, doch wüste Kolportagen und nicht-fiktionale Pendants zu populären fiktionalen Trends (Wirbelstürme, düstere Prophezeiungen) sind auf dem internationalen Markt mittlerweile die Ausnahme.
Mit Gefühl dokumentieren
Wissenschaftliche Themen sind allerdings wieder weniger gefragt als noch vor Jahresfrist. Tier- und Naturfilme gibt es zwar noch, aber nur als Grundstock, weil mittlerweile - wie die Branche sarkastisch feststellt - „jedes frei lebende Großwild schon dutzendfach gefilmt worden ist“. Dafür erlebt die Menschlichkeit eine Renaissance, und zwar im doppelten Sinn: Das Interesse an Dokumentationen über Kulturen fernab der westlichen Zivilisation ist enorm gewachsen; gleichzeitig haben Filme über wissenschaftliche Themen eine viel stärkere emotionale Seite bekommen. Patrick Hörl, Programmdirektor des deutschen Discovery Channel, erläutert den Trend: In Zuschauerreaktionen werde immer wieder beklagt, dass die Produktionen zu technikorientiert, zu kalt seien und dass die Gefühle zu kurz kämen. Hörls Erklärung: Der dokumentarische Spartensender bei Premiere World habe mittlerweile viel mehr Zuschauerinnen, und die empfänden viele Themen als zu männlich. Bei einer Dokumentation etwa aus dem Themenkreis Genmanipulation/Behinderung erwarte ein weibliches Publikum nicht nur wissenschaftliche Fakten, sondern auch Informationen über die konkreten Probleme im Alltag.
Die Berücksichtigung der veränderten Zuschauervorlieben hat dazu geführt, dass der Boom des Genres ungebrochen bleibt. Bei den Sendern sind die Filme aus einem weiteren Grund beliebt: Mit einem Produktionsetat von 500.000 bis 750.000 Mark ist eine Dokumentation bereits ungewöhnlich aufwendig; und doch kostet sie nur ein Viertel eines Fernsehfilms - und erzielt im besten Fall die gleichen Marktanteile. Dramaturgie und Bildsprache sind in beiden Fällen übrigens oft ganz ähnlich: In der neuen englischen Produktion „Jurassic Shark“ (ITEL) zum Beispiel gleiten die Haie an der Kamera vorbei wie riesige Raumschiffe in einem Science-Fiction-Film. Und wenn in „Man Eaters“ (ITEL) erzählt wird, wie eine Frau von einem Hai gejagt wird, wirkt die Rekonstruktion mit Hilfe eines suggestiven Schnitts und entsprechender Musik so dramatisch wie in einem Kino-Thriller.
Verfall der Preise?
Angesichts der allgemeinen Produktionswut muss man im Doku-Bereich allerdings eine ähnliche Marktsättigung wie beim Kinderfernsehen befürchten - und das drückt erfahrungsgemäß die Preise. Das Senderecht für einen 500.000 Mark teuren Film kann man mittlerweile schon für 5.000 Mark kaufen; noch vor zehn Jahren, klagen Rechtehändler, hätten sie das Zehnfache bekommen. Hohe Preise lassen sich nur noch mit hochwertigen, aufwendigen Produktionen erzielen. Für einen Film wie „Raising the Mammoth“ über die Ausgrabung eines Mammuts in Sibirien (angebliche Produktionskosten: 2 Millionen Mark) zahlen große Sender wie ARD oder ZDF bis zu 200.000 Mark. Andererseits gibt es weltweit bereits so viele Spartenkanäle für Dokumentationen, dass sich das Mitleid mit den Verkäufern in Grenzen halten sollte.
Output-Deals
Ein anderer Trend ist aus Sicht kleinerer Produktionsfirmen ohnehin weitaus bedrohlicher: Marktführer im Dokumentarbereich wie die britische ITEL, die Disney-Tochter Devillier Donegan oder Explore International (ein Joint-Venture von National Geographic und der Canal plus-Tochter Docstar), bauen ihre Positionen immer mehr aus. Damit ist bei Dokumentationen die gleiche Entwicklung abzusehen wie bei Serien und Spielfilmen: Wenige Große werden in absehbarer Zeit den Markt beherrschen. Auch die Sender sind nicht glücklich darüber, denn große Firmen setzen gern auf so genannte Output-Deals: Das komplette Produktionsvolumen einer Firma geht exklusiv an einen einzigen Partner. Das garantiert einem Sender zwar die Rosinen, doch die zweit- und drittklassigen Sendungen muss er ebenfalls abnehmen.
Dokumor - ein neuer Trend?
Noch aber ist es nicht so weit, weshalb gerade bei den Sendern Gelassenheit vorherrscht. Vielleicht hat die lockere Stimmung ja auch ganz andere Gründe: Im Gegensatz zum gern belehrenden, stets ernsten klassischen Dokumentarfilm haben die modernen Dokumentaristen den Humor entdeckt. Durch den Film „The Big Squeeze“ (ITEL) zum Beispiel - es geht unter anderem um Würgeschlangen (squeeze = quetschen) - führt ein Komiker, der sich von einem Krokodil ein Bein abbeißen lässt. Erst nach dem Biss sieht man, dass es ein drittes Bein war. Sogar Persiflagen konnte man bei der Mipdoc entdecken: In „Six Days in Roswell“ (Monarch Films) zieht Richard Kornfeld genüsslich den Ufo-Kult durch den Kakao. Roswell ist ein kleiner Ort in New Mexico und so etwas wie das Mekka für Ufo-Gläubige. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dort sei vor fünfzig Jahren ein außerirdisches Flugobjekt gelandet. Die Besatzung werde seither von der US-Regierung in Nevada in einem unterirdischen Laborkomplex („Area 51“) gefangen gehalten. Kornfelds Streifzug durch Roswell ist eine realsatirische Ansammlung höchst irdischer Kuriositäten. Weil sich Kornfeld der Hysterie anpasst und auch noch die absurdeste Frage („A cosmic watergate?!“) todernst stellt, reiht sich eine bizarre Aussage an die andere.
Wolfgang J. Fuchs: Das Phänomen POKéMON
Irgendwie war es ja immer so: Eine Sache wird „Kult“, eine Gruppe begeistert sich dafür, scheinbar alle Welt redet darüber, die Begeisterung verblasst, die nächste Welle ist angesagt. Manchmal hat man den Eindruck, das Kult-Karussell drehe sich immer schneller. Der neueste Hit heißt: Pokémon. In Deutschland begann alles eher unauffällig im Herbst 1999, als RTL II die heißeste Trickfilmserie in sein Programm aufnahm, eben Pokémon.
Nahezu aus dem Stand setzte die Mundpropaganda ein. Die Kids erzählten, dass ihre Schulkameraden eine neue Fernsehserie konsumieren, schauten eine Folge an und fanden sie zunächst nicht aufregender oder beeindruckender als alle anderen japanischen Animés vor ihr. Aber dann kamen Sammelkarten und Sticker und Game Boy-Spiele und Plüschtiere und Schlüsselanhänger und sogar eine eigene Monopoly-Version dazu. Und plötzlich brachen auch bei den eingefleischtesten kindlichen Gegnern die Dämme: Vom Kindergarten bis zur Mittelstufe setzte ein eifriges Tauschen ein, und die Namen - ob Pikachu oder Shiggi, Bisasan oder Mew - flogen nur so hin und her. Und mit dem Pokémon-Film scheint nur ein erster Höhepunkt des Poké-Fiebers erreicht.
Zur Geschichte der Pokémon
Der Pokémon-Film ist quasi das Sahnehäubchen des unvergleichlichen Siegeszugs, den die Spiele- und Spielkonsolenfirma Nintendo durch die Kinderzimmer aller Länder angetreten hat, seit „Pokémon“ als Game Boy-Spiel auf den Markt gebracht wurde. Bei diesem Spiel, momentan erhältlich als rote und blaue (ab Mitte Juni auch als gelbe) Variante, geht es im Wesentlichen darum, dass ein oder mehrere Spieler die aus Pokémon-Bällen springenden Pokémon trainieren und zu Wettkämpfen antreten lassen. (Man legt übrigens bei Nintendo großen Wert darauf, dass die Tierchen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - geschlechtsneutral sind, also immer als „das“ Pokémon bezeichnet werden, und dass auch im Plural kein „s“ angehängt wird. Ferner dürfen die Pokémon nur in Japan mit dem ursprünglichen Namen Pocket Monster bezeichnet werden, was die Grundidee noch einmal verdeutlicht: niedliche „Monster“ aus der Hosentasche.) Erfunden wurden die mehr oder weniger lieben Taschenmonster von Satoshi Tajiri (heute 34), dem Sohn eines Nissan-Verkäufers, der in einem Vorort von Tokio aufwuchs, weder studieren noch ein Lehre machen wollte und in die Videospielszene geriet, nachdem er als Kind Käfer und Insekten gesammelt hatte. Tajiri war ein „Otaku“, wie man in Japan Menschen nennt, die sich ganz auf Videospiele, Comics oder irgendeine andere Sache spezialisieren, und die gnadenlos sammeln, sammeln, sammeln. Sammelwut ist übrigens auch Bestandteil des Pokémon-Spiels. Irgendwann absolvierte Tajiri schließlich eine zweijährige Fachschulausbildung in Elektronik. Die meiste Zeit aber verbrachte er in Spielsalons. Tajiris fanatische Begeisterung für das Spiel „Space Invaders“ führte schließlich dazu, dass ihm ein Ladenbesitzer einen Space-Invaders-Automaten schenkte. Zusammen mit seinem Freund Ken Sugimori gründete Tajiri 1982 eine Fanzeitschrift für Videospiel-Freaks, GameFreak.
Da die beiden mit der Qualität vieler Spiele unzufrieden waren, wollten sie ein eigenes Spiel entwickeln. Tajiri zerlegte einen Game Boy, um herauszufinden, wie er selbst ein Spiel machen könnte. Dabei fiel ihm besonders die Kabelverbindung auf, mit der man zwei Game Boys zum gemeinsamen Spiel verbinden kann. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, beim gemeinsamen Spiel Figuren zu finden und zu tauschen, wäre das doch etwas Besonderes... So entstand die Idee zu Pokémon, wobei Sugimori die Wesen zeichnete, die Tajiri entwarf. Nintendo nahm Tajiri unter Vertrag, konnte aber anfangs nichts Rechtes mit der Idee des jungen Mannes anfangen, da es diesem zunächst schwerfiel, sein Konzept schlüssig zu erklären. Man sah darin aber zumindest etwas potenziell Brauchbares. Als das Spiel ausgereift war, wurde es ab 1996 vermarktet. Zu diesem Zeitpunkt galt in der Branche jedoch der Game Boy als ein Spielzeug von gestern, über das man nicht mehr berichten musste. Deshalb rechnete man bei Nintendo nicht mit großen Umsätzen, tat sich aber doch mit dem Comic-Verlag von Masakazu Kubo zusammen, der erste Hefte herausbrachte, in denen auch Sammelkarten enthalten waren. Während die Fachwelt und die Videospielfirmen auf neue Entwicklungen setzten, entdeckten die japanischen Kinder die Pokémon, die für sie - im Gegensatz zu den neuen Konsolen und CD-ROM-Spielen - im erschwinglichen Taschengeldbereich lagen. Sie stiegen auf das Spiel und auf das Sammeln voll ein. Und zwar auf das Sammeln als Teil des Spiels wie auf das Sammeln der Spielkarten und Sammelkarten. Tajiri war gewitzt genug, in sein Spiel nicht nur die offiziell aufgelisteten 150 Pokémon einzubauen, sondern auch (angeblich ohne Wissen von Nintendo) ein 151. Taschenmonster im Spiel zu verstecken, das man nur findet, wenn man genügend andere Figuren sammelt und tauscht. Diese Tatsache wurde zunächst als Gerücht ausgestreut. Und die Flüsterpropaganda sorgte dafür, dass sich diese Erkenntnis verbreitete. Ein Spiel mit einem Geheimnis, das erst wenige gelüftet hatten? Der Run auf Pokémon begann.Die eskalierende ProduktionNintendo erkannte, dass die Pokémon ein Hit werden würden. Folgerichtig tat man sich um, auch noch eine Trickserie produzieren zu lassen, in der der 10-jährige Ash (im Original heißt er wie sein Erfinder Satoshi) mit seinen Pokémon, allen voran das Maus-Pokémon Pikachu, zahlreiche Abenteuer und Poké-Kämpfe besteht, die zum Teil in einer Art Olympischer Spiele organisiert sind. Die Serie wurde binnen kürzester Zeit zum Renner auf dem Kinder-Fernsehsektor in Japan. Und die Serie war letztlich auch ein gigantischer Dauerwerbespot für die Pokémon-Spiele. Ärger gab es allerdings im Dezember 1997, als in einer Folge Pikachu seine elektrische Energie in einer solchen Farborgie entlud, dass 700 Kinder sich in epilepsieähnlichen Krämpfen vor ihrem Fernseher wanden. Die Fernsehserie wurde für vier Monate abgesetzt und das tricktechnische Konzept überarbeitet, um derartige Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Man hätte bei der Produktion der Serie vielleicht einmal die Warnung lesen sollen, die dem Käufer von Video-, Nintendo- und GameBoy-Spielen in aller Regel ins Begleitheft geschrieben wird: „Bei einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung besteht die Befürchtung, dass die Betrachtung bestimmter Arten blinkender Lichter oder Muster, die in unserer Umgebung alltäglich sind, epileptische Anfälle oder einen vorübergehenden Bewusstseinsverlust auslöst. Gefährdete Personen könnten bei Betrachtung bestimmter Fernsehbilder oder beim Spielen bestimmter Videospiele einen Anfall erleiden. Personen, die noch keine Anfälle erlitten haben, können nichtsdestoweniger epilepsiegefährdet sein.“ Je kleiner der Bildschirm, desto ungefährlicher, so heißt es. Wahrscheinlich haben deshalb die GameBoy-Geräte so winzige Bildschirme.Obwohl Pokémon wegen dieser Vorfälle eine ziemlich schlechte Presse hatte, begannen Verhandlungen mit Nintendo America, um das Spiel auch dort einzuführen. Obwohl man Bedenken hatte, das Spiel könnte wegen seines Rollenspielaspekts in Amerika nicht ankommen, sah man auf die positiven demographischen Faktoren: Kinder beiderlei Geschlechts von 4 bis 15 liebten in Japan die Figuren. Warum sollten sie das in USA nicht auch tun? Die Rechnung ging auf. Das Spiel wurde ein Erfolg, die (überarbeitete, amerikanisierte) Fernsehserie ebenfalls. Fever!
Mittlerweile war in Japan im Juli 1998 der erste Pokémon-Film herausgekommen. Er landete 1999 auf Platz 4 der japanischen Kassenhits. Beim Kinostart in USA, im November 1999, bot ein Fernsehsender Karten für die Premiere an. Das führte dazu, dass nicht nur das Telefonsystem von Warner Bros. (den amerikanischen Verleihern), sondern von ganz Burbank zusammenbrach, weil 70.000 Anrufer pro Minute versuchten, die Karten zu ergattern. Mit einem Umsatz von 52 Millionen Dollar am Startwochenende übertraf der Pokémon-Film in USA alle bisherigen November-Filmstarts. Im Weihnachtsgeschäft 1999 rechnete man bei Nintendo damit, allein in Kanada eine Million Spiele abzusetzen, in Europa 1,5 Millionen. Ganz zu schweigen von den Einnahmen aus dem Lizenzgeschäft mit Zeitschriften, Sammelkarten, Spielzeug usw. Speziell in Amerika führte die Pokémon-Sammelwut zu vereinzelten Auswüchsen: in New York stach ein Neunjähriger einen älteren Mitschüler beim Streit um Pokémon-Sammelkarten nieder, ein ähnlicher Fall wurde aus Kanada gemeldet. Viele Lehrer und Eltern zeigen sich nicht nur deshalb besorgt. Sie sehen das Pokémon-Phänomen auch als eine riesige Geschäftemacherei, fast schon als eine Lizenz zum Gelddrucken, und das nicht ganz zu Unrecht, betrachtet man einmal die Preise etwa für Sammelkarten oder Plüschtiere. Erwachsenen bleibt die Welt der Pokémon ohnedies zumeist verschlossen, denn sie weigern sich in aller Regel, 151 Namen von Fantasietieren auswendig zu lernen, wie das die Kinder mit Begeisterung tun. Somit eröffnen die Pokémon den Kindern eine eigene, geheimnisvolle Wunschwelt, in der sie gegenüber den Erwachsenen im Vorteil sind. Und welches Kind könnte diesem Angebot widerstehen? Unter diesem Aspekt ist es kein Wunder, dass die Pokémania auch Deutschland vor den Augen einer ungläubig staunenden Schar von Eltern, Lehrern und sonstigen Erwachsenen überrollt hat. Auch hier ist der Pokémon-Film das geldbringende Sahnehäubchen. Eigentlich besteht der Film ja aus zwei Teilen, einem Vorfilm und dem eigentlichen Hauptfilm. Im Vorfilm „Pikachus Ferien“ werden sowohl dem Uninitiierten als auch den bereits Pokémon-Kundigen eine Reihe Pokémon samt ihren Kräften in einer witzigen Aneinanderreihung von Szenen vorgeführt, wobei das Lieblingspokémon Pickachu die Hauptrolle spielt. Dann geht es nach einigem Raunen („War das schon alles?“ - „Das kann doch nicht sein, oder?“ - „Ich will endlich Kämpfe sehen!“) zum Hauptfilm. Der beginnt mit der zunächst eher verblüffenden Einleitung einer aus dem Off sprechenden Stimme, die sich fragt, woher sie kommt und was der Sinn des Lebens ist. Dann stellt man fest, dass der Frager „Mewtu“ ist, ein vom 151. Pokémon „Mew“ geklontes und verstärktes Duplikat, das in einem Labor gezüchtet worden ist. Aber Mewtu findet seine Schöpfer anmaßend und setzt seine Pokémon-Kräfte ein, um das Labor zu vernichten und sich die Welt zu unterwerfen.Die Geschichte von Ash, Pikachu und vielen anderenSzenenwechsel: Ash (die Hauptperson der Serie) und seine Freunde Rocko und Misty sind bei einem Picknick. Ash ist ein Besitzer des beliebtesten Pokémon, „Pikachu“. Noch ehe das Picknick beginnen kann, kommt ein anderer Pokémon-Besitzer, der die Kräfte seines Wesens mit Ashs Pikachu messen will. Es entspinnt sich ein Wettkampf der Pokémon-Wesen, der vom Team Rocket beobachtet wird, die immer den Pokémon und ihren Herrchen den Spaß verderben wollen. Als Ash gesiegt hat, wird ihm eine Einladung zu einem Pokémon-Wettkampf auf einer geheimnisvollen Insel überbracht.Die Fähre kann aber nicht zur Insel übersetzen, da Sturm aufkommt. Die mutigsten Pokémon-Trainer, darunter natürlich Ash und seine Freunde, wagen auf eigene Faust die Überquerung der sturmgepeitschten See. Auf der Insel erfahren sie, dass sie von Mewtu eingeladen wurden, der erst die Pokémon-Trainer besiegen will, ehe er die Welt von den Menschen und den Pokémon reinigt. Die Pokémon-Trainer mühen sich redlich, aber vergebens, etwas gegen Mewtu und die von ihm inzwischen geklonten Pokémon-Derivate zu unternehmen. Auch das heimlich angereiste Team Rocket, das von dem ebenfalls herbeigeeilten Pokémon Mew neugierig beobachtet wird, will sich einmischen. Ebenfalls vergebens.Schließlich lässt Mewtu alle Pokémon von fliegenden Poké-Bällen einfangen, um auch sie klonen zu lassen. Ash will aber nicht zulassen, dass Pikachu geklont wird. Er stürzt hinter Pikachu in die Maschinerie und kann sein Pokémon und die der anderen befreien. Das Team Rocket sorgt unabsichtlich dafür, dass dennoch rasend schnell Klone produziert werden. Nun kommt es zu einem Entscheidungskampf Mewtu gegen Mew. Ash erkennt, dass der Kampf nur zu beenden ist, wenn die Pokémon und die Klone erkennen, dass der Kampf sinnlos ist, weil er unter falschen Voraussetzungen stattfindet. Ash will den Kampf beenden, indem er sich zwischen Mewtu und Mew wirft. In deren Energiefeld verwandelt er sich zu Stein. Sein Opfer beendet den Kampf. Pikachu vergießt die erste Träne, alle anderen Pokémon und Klone tun es ihm gleich. Ihre Tränen erlösen Ash, und Mewtu erkennt, dass Menschen und Pokémon in Frieden miteinander leben können, dass mithin der erste Eindruck, den es durch seine „Schöpfer“ von den Menschen hatte, falsch war. Daraufhin verschwindet Mewtu mit seinen Klonen in eine andere Welt und sorgt dafür, dass alle Anwesenden vergessen, was passiert ist. Nur der Zuschauer vergisst nicht.
Pädagogische Warnlichter?
Zunächst ist man versucht, den Pokémon-Film (wie auch die Fernsehserie, die seit Herbst 1999 auf RTL II läuft) für eine der üblichen japanischen Trickserien zu halten, bei denen es darum geht, dass irgendwelche Gute gegen irgendwelche Böse kämpfen. Der Animationsstil, eine gigantische Weiterführung des bereits seit Biene Maja und Heidi bei uns heimisch gewordenen japanischen Animationsstils, trägt zunächst zu diesem Eindruck bei. Störend wirkt an diesem Film für den erwachsenen Zuschauer jedenfalls der Eindruck, dass die Geschichte auf dem Weg von Japan nach Amerika ziemlich offensichtlich bearbeitet und um einiges gekürzt wurde, das zu Erklärung bestimmter Handlungsabläufe sinnvoll wäre. Dadurch wirkt auch der filmische Überbau, die Suche nach dem Sinn des Lebens, auf den ersten Blick etwasmerkwürdig aufgesetzt. Das ständige Kräftemessen (das natürlich aus der ursprünglichen Spielidee kommt), mündet im Verlauf der Handlung in eine gigantische Auseinandersetzung. Das sieht aus wie Fernsehanimation und ist es auch. Der Pokémon-Film ist typisch für einen Trickfilm der Marke Animé, die sich vom Hollywood-Trickfilm durch die Themenwahl und die limitierte Animation unterscheidet, daneben aber auch Elemente der Mangas, der japanischen Comics einsetzt. Man ist geneigt, beim Pokémon-Film die pädagogischen Warnlichter einzuschalten, weil das märchenhafte Kostüm (das Motiv der Versteinerung, Frankenstein usw.) einmal mehr nur dazu dient, endlose Streit- und Kampfhandlungen zu legitimieren. Aber letztlich tröstet man sich dann doch mit dem positiven Aspekt, dass es den Machern von Pokémon offensichtlich doch nicht um Streit und Kampf, sondern allenfalls um friedlichen Wettstreit geht. Die Betonung von Freundschaft und Harmonie, von Teamgeist und Versöhnlichkeit, von Trainieren und Lernen, die es ermöglicht, selbst Hass und Streitsucht zu überwinden, ist gerade in der zerrissenen Welt von heute wichtig. Daher mildert sich der Blick auf die Geschäftemacherei ein wenig, die sich nicht zuletzt darin äußert, dass zum Titel Pokémon die Unterzeile „Schnapp sie dir alle!“ gehört. Zwar wird gewiss kaum ein Kind automatisch gut und lerneifrig, wenn es sich Pokémonfiguren oder -sticker kauft oder diesen Film ansieht. Aber vielleicht bleibt trotzdem irgendwo und irgendwie etwas von der gut gemeinten Message hängen, die latent immer mitgekauft wird. Zu hoffen wäre es jedenfalls. Wie lange das Pokémon-Fieber wohl vorhält? Wann kommt der nächste „letzte Schrei“? Noch werden Wetten angenommen.
Michael Bloech: Der Game Boy Color macht es möglich
Zum Jahresende 1998 präsentierte Nintendo mit „Pokémon“ ein neuartiges Videospiel und mit dem „Game Boy Color“ ein neues tragbares Videospielsystem. Das Videospiel wird unglaublich schnell zum absoluten Renner und die winzigen Konsolen finden reißenden Absatz.
Der Game Boy war eigentlich nach seiner Etablierung Anfang der 90er Jahre technisch ziemlich ausgereizt. Seine grafischen Darstellungsmöglichkeiten waren begrenzt und auf die Farbe Blaugrau eingeschränkt. Außerdem konnte man nur alleine spielen. Allerdings verdankte es die Minikonsole seinen kompakten handlichen Abmessungen, dass der Game Boy nicht völlig durch moderne PCs mit optisch positiv ansprechenden Spielen oder anderen Spielkonsolen verdrängt wurde. Jetzt ist aber mit dem „Game Boy Color“ ein Videospielgerät auf dem Markt, das in seinen Abmessungen mit denen des herkömmlichen Game Boys gleich geblieben ist, dafür aber einen farbigen Miniaturmonitor besitzt. Die Auflösung hat sich zwar kaum wesentlich verbessert, dennoch ist jetzt Farbe mit im Spiel. Außerdem verfügt das Gerät über eine Infrarotschnittstelle, über die ein Datentransfer prinzipiell möglich ist. Größere, überall erhältliche und preiswertere Batterien ermöglichen eine wesentlich kostengünstigere Nutzung. Ein weiterer Vorteil ist die bessere Animation. Nun ist es überhaupt erst möglich, bestimmte Spielzüge zu verfolgen, die bei den ursprünglichen monochromatischen Abbildungen nicht darstellbar waren. Die Software greift einDennoch dürfte wohl für den riesigen Erfolg eine bestimmte neue Software verantwortlich gewesen sein.
Mit dem Spiel Pokémon, das fast zeitgleich mit dem Game Boy Color startete, wurde ein für tragbare Videokonsolen völlig neuartiges Spielsystem angeboten, das nicht mehr in der Tradition einfacher „Logik“- oder „Jump and Run“-Spiele funktioniert, sondern auf die Leidenschaft von Kindern setzt, Dinge zu sammeln und zu tauschen. Geblieben ist zwar das für Videospiele typische Erreichen und Bewegen in Spielebenen, den sogenannten Levels, dennoch liegt der Sinn des Spiels beispielsweise nicht in der Vernichtung einen Feindes, sondern es geht um geisterähnliche Wesen (die Pokémon) und sie zu sammeln und zu zähmen. Die Pokémon haben keine festgelegte Identität, sondern können sich in ihren Eigenschaften und in ihrem Äußeren verändern und entwickeln. Zwar ist der kleine Held des Spiels, Ash, auf Waffen und Tricks angewiesen, um die Geister zu fangen und sie zu trainieren, dennoch wäre es zu kurz gegriffen, diesen Domestizierungsprozess auf einen Kampf im Sinne eines klassischen Computerspiels zu reduzieren. Das Spiel ist überraschend textlastig, der Held des Spiels Ash muss immer wieder Fragen beantworten oder wird mit Textbausteinen konfrontiert. Die Tatsache, dass es dabei auch das Böse gibt, hat für den Spielverlauf keine wirklich entscheidende Rolle.
Kompetente Kinder - unwissende Erwachsene
Um das Spiel in seiner Komplexität zu erfassen, ist ein Eintauchen in das System, in die virtuelle Welt der Pokémon notwendig. Mehr oder weniger sind die Spieler dabei gezwungen, viele neue sprachliche Begriffe zu lernen und haben nur dann eine Chance zu bestehen, wenn sie mit der Begrifflichkeit zurechtkommen. Uneingeweihte Erwachsene, die das Spiel von Kindern beobachten, haben kaum eine Möglichkeit, auch nur annähernd zu verstehen, was die Kinder mit ihrem Game Boy machen. Kinder entwickeln eine Kompetenz, die von den Erwachsenen, schon in Ermangelung von Zeit, nicht erreicht werden kann. Insgesamt existieren 150 Geister, die gesammelt werden müssen. Dabei ist es natürlich von Vorteil, dass über das Game-Link-Kabel die Pokémon mit anderen Spielern auch real getauscht werden können. Mit diesem Kabel kann auch ein realer Wettbewerb mit anderen Game Boy-Spielern ausgetragen werden. Da es zwei unterschiedliche Versionen, ein rotes und ein blaues Spiel mit teilweise unterschiedlichen Pokémon, gibt, ist der Tausch nur zwischen diesen beiden Spielen effektiv. D.h. um tauschen zu können, muss der Partner die jeweils andere Version spielen. Um das Geschäft anzukurbeln, hat Nintendo in jeder Edition lediglich 139 Pokémon versteckt. Um tatsächlich in den Besitz aller Geister zu kommen, sind beide Editionen notwendig. Auch entwickeln einige Pokémon nur in der anderen Spieledition überhaupt erst ihre Fähigkeiten.
Es kann Nintendo auch als Verdienst angerechnet werden, dass damit die Kommunikation nicht mehr nur auf das Geflecht zwischen Spieler und Konsole reduziert wird, sondern zur realen Interaktion zwischen mehreren Spielern erweitert wird.Mitte Juni wird mit der gelben Version ein weiteres Pokémonspiel am Markt sein. Nintendo hüllt sich jedoch zur Zeit noch in Schweigen bei der Frage nach der in dieser Edition enthaltenen Anzahl und Identität der Pokémon. Ob es nun Strategie ist oder einfach die hohe Nachfrage, zur Zeit herrscht auf dem gesamten Markt eine Situation, die gekennzeichnet ist durch hohe Preise und ein knappes Angebot. Das dürfte den Siegeszug der Pokémon-Geister aber kaum bremsen. Zu sehr ist die Sammel- und Tauschleidenschaft der Pokémon-Fans, vor allem Jungen im Alter von 8 bis 12 Jahren, geweckt worden.
Margret Köhler: Die 50. Berlinale im Jahr 2000
Fassbinder-Adaption
Aller Skepsis zum Trotz ging die Jubiläums-Berlinale in Berlins neuer Mitte am Potsdamer Platz relativ reibungslos über die Bühne. Es gab kaum logistische Probleme, das Festival bestand die Bewährungsprobe. Die mehr als 400.000 Besucher sollten als positives Zeichen gewertet werden. Altbewährt waren die meisten Namen im abgespeckten Wettbewerb - Zhang Yimou, Oliver Stone, Milos Forman, Norman Jewison, Stanley Kwan oder Anthony Minghella. Auf deutscher Seite komplettierten Volker Schlöndorff, Rudolf Thome und Wim Wenders die Altherrenriege. Etwas mehr Mut und ein Bekenntnis zum Nachwuchs, auch weiblichen und heimischen, hätte nicht geschadet. Nicht von ungefähr sorgten zwei Beiträge von Youngsters für Aufsehen: Der 33-jährige François Ozon präsentierte mit „Gouttes d´eau sur pierres brulantes“ eine provozierende Fassbinder-Adaption. Ozon, der schon in „Sitcom“ (1997) genüsslich die Institution Familie zerpflückte, hat ein Faible für Menschen in Grenzsituationen.
Und einen Hang zu Rainer Werner Fassbinder, dessen „gnadenlose Härte und Gewalt in menschlichen Beziehungen“ ihn fasziniert. Im Deutschland der 70er Jahre, irgendwo zwischen spießbürgerlichem Mief und Aufbruch lernt ein 50-jähriger Geschäftsmann (Bernard Giraudeau) einen 19-Jährigen (Malik Zidi) kennen und lieben. Während der junge Intellektuelle als Hausmann seine Identität verliert, verdient der Ältere den Lebensunterhalt, lässt den Partner die Abhängigkeit spüren. Das Zusammenleben wird zur Hölle, Routine erstickt die Gefühle, es geht nur noch um die Zerstörung des anderen.
Fassbinder schrieb dieses Stück im Alter von 19 Jahren, bei dem sich jetzt der 33-jährige Ozon auf die Psychologie der Figuren konzentrierte und den Machtkampf als düsteres Kammerspiel inszenierte. Spielerisch durchbricht er immer wieder die Struktur, präsentiert absurdes Theater mit Anspielungen auf Comics. So zeigt er das Täter/Opfer-Verhältnis mit aller Brutalität, wechselt dann urplötzlich in schräge Tanzeinlagen, lässt am Ende Trauer und Einsamkeit spüren. Zwar übertreibt der Pariser etwas die Germanisierung mit ständigem „Prost“ und zweimaligem Zitieren von Heines „Loreley“, aber man sollte sich über jeden Film freuen, der irritiert und provoziert.
Suche nach Liebe und Vergebung
Auch wenn militante Anhänger des europäischen Kinos Krokodilstränen weinen: Der Amerikaner Paul Thomas Anderson hat mit seinem dreistündigen Epos „Magnolia“ über die intensive Suche nach Wahrheit und Liebe den „Goldenen Bären“ verdient.
Zu dem fulminanten Werk gab es keine Alternative. Nach einem furiosen Epilog startet der 29-Jährige ein filmisches Feuerwerk über den Zynismus im Medienzeitalter und die Macht des Zufalls. Zu Beginn glaubt man sich in einem Irrenhaus, erst langsam regelt sich das Chaos, man befindet sich plötzlich mitten auf dem Magnolia-Boulevard, der das San Vernando Valley durchquert. Einen Tag und eine Nacht lang kreuzen sich hier die Wege von neun Menschen am Wendepunkt ihres Lebens, ihre Schicksale verbinden sich virtuos. Da liegt der krebskranke Fernsehmogul Big Earl Partridge (Jason Robards) im Sterben, seine viel jüngere Frau (Julianne Moore) jagt nach Psychopharmaka durch die Stadt und erkennt zu spät, dass sie den Mann, den sie nur wegen des Geldes geheiratet hat, doch liebt. Krankenpfleger Phil (Philip Seymour Hoffman) versucht derweil Partridges verlorenen Sohn Frank T.J. Mackey (Tom Cruise) aufzuspüren, der als Sex-Guru in TV-Seminaren tumbe Männer zu Mini-Casanovas umpolt. In einem weiteren Handlungsstrang erzählt Anderson von Game Show-Moderator und Saubermann Jimmy Gator (Philip Baker Hall), der an einer unheilbaren Krankheit leidet und die Aussöhnung mit seiner Tochter Claudia (Melora Walters) sucht, die - von ihm missbraucht - den Drogen verfallen ist und sich in einen kreuzbraven Polizisten (John C. Reilly) verliebt.
Und da sind noch zwei „Wunderkinder“: Der kleine Stanley (Jeremy Blackman), von seinem ehrgeizigen Vater auf Erfolg in Gators Game Show getrimmt und Donnie Smith (William H. Macy), einst als „Quiz Kid“ gefeiert und jetzt gefeuert und nun dem verblassten Ruhm nachhängt...In 189 aufregend kurzen Minuten entwirft Anderson eine bizarre und bewegende Cronik des Lebens, bei der die kleinen und großen Dramen zu einer grotesken Comédie Humaine verschmelzen. Seine Helden sind verzweifelt, verletzen und sind verletzbar, verdrängen Schmerz und Schuld, bis sich nach einem Naturphänomen biblischen Ausmaßes die verlorenen Seelen reinigen, verborgene Emotionen hervorbrechen, neue Hoffnung keimt. Auf der quälenden Suche nach Liebe und Vergebung (das zentrale Thema) ziehen die Menschen Bilanz, gestehen Fehler ein, zeigen Reue. Wie Altmans „Short Cuts“ bewegt sich dieses Meisterwerk zwischen tiefer Tragik und leichter Komik, zwischen Wahnsinn und Wahrheit. (Siehe dazu auch das Interview mit P.A. Anderson)
Preise: Für und wider
Das Wettbewerbsprogramm war solide, auch wenn man sich fragte, wie sich der russishe Kostümschinken „Russkij Bunt“, die betuliche jugoslawische Bombardementerinnerung „Nebeska Udica“ oder das unsägliche spanische Gewaltdrama „El Mar“ in den Wettbewerb verirren konnten. Wenn die Anti-Kriegs-Satire „Three Kings“ am zweiten Tag des Festivals mit dem Kinostart zusammenfällt, fehlt das richtige Timing. An die Berlinale als Startrampe für Hollywood-Produktionen hat man sich gewöhnt, in dem Fall lag die Schamfrist jedoch eindeutig zu kurz - trotz Stars wie George Clooney, Mark Wahlberg oder Ice Cube. Der Preisregen war flächendeckend. Der „Silberne Bär“ für die „Beste Regie“ an Milos Formans „Man on the Moon“ über den Stand-Up Comedian Andy Kaufman war wohl auch ein Geschenk zu Formans 68. Geburtstag. Das Biopic kratzt an Tabus wie auch schon „Larry Flynt - Die nackte Wahrheit“ (1996). Andy Kaufman, bei dessen Tod 1985 selbst die engsten Freunde an einen PR-Gag glaubten, schlüpfte nicht nur auf der Bühne in verschiedene Rollen, er war jeweils die dargestellte Person mit Haut und Haar. Sein größtes Geheimnis: Es gab ihn eigentlich nicht als Person, sondern nur als Maske. Jim Carrey mimt dieses Chamäleon mit allen Facetten.
Auf unterschiedliche Resonanz stieß der „Silberne Bär“ für Wim Wenders grandios fotografierten Ausflug in die Welt der Verrückten und Verlorenen Downtown L.A. „The Million Dollar Hotel“. Pikant war die Vergabe eines „Silbernen Bären“ an Zhang Yimou für die bewegende Liebesgeschichte „The Road Home“, schließlich war Jurypräsidentin Gong Li langjährige Lebensgefährtin des Regisseurs. Der deutsche Film, mit drei Wettbewerbsbeiträgen vertreten, fand eine zwiespältig einzuschätzende internationale Anerkennung. Der „Silberne Bär“ für eine herausragende Leistung an das Schauspielerensemble von Rudolf Thomes „Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen“ löste Kopfschütteln aus, hielten doch nicht nur Feministinnen dieses pseudo-ironische Werk über einen von Weibern umschwärmten 60-Jährigen für das Produkt feuchter Männerträume. Auch der „Silberne Bär“ für die „Beste Darstellerin“ ex aequo an Bibiana Beglau und Nadja Uhl in „Die Stille nach dem Schuss“ sollte man als galante Geste gegenüber dem Gastgeberland verstehen. Mehr als über den Film wurde über den Protest der Ex-Terroristin Inge Viett und die Klage der Edition Nautilus wegen Verletzung von Urheberrechten gegen Volker Schlöndorff diskutiert. Vorwürfe, die der genervte Regisseur, wiederholt strikt zurückwies.
Der mit Spannung erwartete Wettbewerbsbeitrag handelt von RAF-Terroristen, die in der DDR mit Billigung der dortigen Regierung untertauchten und ein Leben mit neuer Identität führten, dann durch die Wende enttarnt wurden. Die Utopien der jungen Leute, die die Welt mit Gewalt verändern wollten, bleiben nebulös. Im DDR-Mief ersticken die Wünsche, die Hauptfigur Rita Vogt (Bibiane Beglau) lässt trotz eines verpfuschten Lebens kaum Trauer erkennen, passt sich schnell den Umständen an. Dem solide inszenierten Film mangelt es an einer Vision. Diese deutsche Geschichte nach einem Drehbuh von Wolfgang Kohlhase ist typisch deutsch im negativen Sinne - bieder und brav. Was hätte man aus diesem brisanten Stoff machen können.
Heimspiele im „Panorama“
Neben dem künstlerisch nicht immer überzeugenden Wettbewerb zog das „Panorama“ mit 39 Spiel-, 13 Dokumentar- und 22 Kurzfilmen wiederum die Zuschauer an. Es war ein ausuferndes Programm, in dem aber die starken Dokumentarfilme beeindruckten. Zehn deutsche Beiträge suchte Wieland Speck in diesem Jahr aus, darunter Werner Schroeters Essay „Die Königin“ über die 90-jährige Grande Dame der deutschen Schauspielkunst Marianne Hoppe, von Panorama-Stammgast Lothar Lambert „Verdammt in alle Ewigkeit“ oder das respektable Regie-Debut von Pierre Sanoussi-Bliss „Zurück auf Los“ über ein Leben mit Aids.
Zwei deutsche Filme füllten den altehrwürdigen Zoo-Palast bis auf den letzten Platz. Als absolutes Highlight darf „Heimspiel“ gelten. Oscarpreisträger Pepe Danquart („Schwarzfahrer“) gelang ein formal und inhaltlich bestechendes Porträt des Eishockey-Clubs „EHC Eisbären“. Danquart zeichnet anhand des früheren ostdeutschen Clubs „Dynamo“ deutsch-deutsche Absurditäten nach. Der Wellblechpalast in der Berliner Plattenbaugegend Hohenschönhausen wirkt wie eine krude Mischung aus Tollhaus und Kultstätte. Die Fans („Ich bin gerne Ossi und stehe auch dazu“) glauben endlich wieder Zusammenhalt zu finden und Gemeinschaftsgefühl. Und manchmal kommt richtige Kalte-Kriegs-Stimmung auf, wenn es heißt „Wir sind stolz auf den Osten, weil er den Westen schlägt“. Danquart verbindet Fan-Aussagen und Histörchen mit dem Spielgeschehen, blickt hinter die Kulissen: Da zieht ein waschechter Bayer die Fäden als Manager, ein Wessi-Sponsor sorgt für Gelder, auf dem Eis tummeln sich Kanadier und Amerikaner, eine direkte Beziehung zwischen Fans und ihren Stars fehlt. Das tut aber der Begeisterung für den „Stasi-Club“ keinen Abbruch. Diese deutsch-deutsche Wirklichkeit beweist, dass die Mauer in den Köpfen noch nicht verschwunden ist. Ganz nebenbei erzählt der Film, der durch seine Realitätsnähe, durch die suggestive Kamera und die Musik überzeugt, auch noch ein Stück DDR-Geschichte.
Die Fans entrollten vor Begeisterung Transparente mit der Aufshrift „Danke, Pepe“. Weniger enthusiastisch dagegen die Reaktion auf „Fandango“. Matthias Glasner folgt dem Trend zu artifiziellen Welten. Seine drei Protagonisten tummeln sich in der Club-Szene, koksen, dealen und geben coole Sprüche von sich („Frauen müssen ab ‘nem bestimmten Alter Kinder kriegen, sonst drehen sie durch“). Nicole Krebitz als Möchtegern-Model, das es nur bis zum Cover von PopRocky schafft und sich vom Disco-Besitzer (Richy Müller) aushalten lässt, der als Dealer auf die Nase fällt, und Moritz Bleibtreu als Kult-DJ, der mit einer Sonnenbrille den Blinden mimt und sich aus der Realität ausklinken will, sind ein obskures Gespann, das sich hauptsächlich damit beschäftigt, Koffer mit Koks oder Kohle in der Gegend herumzukutschieren und tiefschürfende Platitüden von sich zu geben. Wenn dann noch Corinna Harfouch als glatzköpfige lesbische Rächerin auftritt, wähnt man sich in einem Gruselkabinett. Glasner setzt auf den Trend zur glatten Oberflächlichkeit. Sein auf Zelluloid gebanntes Lifestyle-Magazin beeindruckt zwar durch psychodelische Bilderwucht, aber die kann die inhaltliche Leere nicht verdecken.
Die Beständigkeit des Verbrechens
Nicht nur in Polen, sondern auch auf der Berlinale sorgte Krzysztof Krauzes ungeschminkter Blick auf die Auswüchse des Kapitalismus, „Dlug“ (Die Schuld), für Aufsehen. Zwei junge Akademiker geraten aus Mangel an seriösen Kreditgebern in die Fänge von mafiosen Geldeintreibern, werden erpresst und sehen keinen anderen Ausweg mehr als Mord. Krauze prangert die Verbindungen zwischen Polizei und Unterwelt an, die indifferente Haltung der Justiz, zeigt die Enttäuschung der Bürger am Staat. Der spannend inszenierte Spielfilm, der sich an Fakten orientiert, soll auch ein Spiegelbild gegenwärtiger Verhältnisse sein.
Rob Epstein und Jeffrey Friedman greifen in „Paragraph 175“ die Geschichte dieses diskriminierenden Paragraphen und die des „Rosa Winkels“ auf, der in den Konzentrationslagern der Nazis homosexuelle Gefangene kenntlich machte. Historiker Klaus Müller vom Holocaust Museum in Washington entwickelte die Idee zu diesem Film, stellte Kontakte zu Überlebenden her und führte die Interviews mit großer Sensibilität. Fünf der 100.000 Verfolgten sprechen vor der Kamera über das, was ihnen angetan wurde, ihre Aussagen kontrastieren die Filmemacher mit historischem Foto- und Filmmaterial, wobei der Einsatz des Propagandamaterials zu einer Gratwanderung wird. Viele der Opfer schwiegen jahrzehntelang aus Scham oder landeten nach dem Krieg sogar noch im Gefängnis. Keiner erhielt eine Entschädigung. Deutsche Förderinstitutionen, die scheinbar unbesehen jede noch so platte Komödie fördern, verweigerten diesem Film die notwendige finanzielle Unterstützung.„Mr. Death“ wirkt so, wie man sich einen ganz durchschnittlichen Mann vorstellt - langweilig und bürgerlich. Dabei verkörpert er die Banalität des Bösen. Fred A. Leuchter fasst schon in jungen Jahren den Entschluss, so etwas wie die „Florence Nightingale der Todeszellen“ zu werden. Er begann elektrische Stühle, giftige Injektionsvorrichtungen, Gaskammern und Galgen zu konstruieren und zu reparieren, wurde zu einem gefragten Fachmann des Todes. Mit seinen „Leuchter-Reports“ - er untersuchte in Auschwitz Ziegelsteine nach Gasspuren - lieferte er David Irving die Vorlage zur Verneinung des Holocausts. Errol Morris zeichnet das Porträt dieses Mannes, der sich als anständigen Menschen definiert. Für Morris, der seinen brisanten Film „eine Liebesgeschichte mit dem Tod“ nennt, ist Leuchter ein „Zufallsnazi“, dessen Gefährlichkeit unterschätzt werden darf. Stabangaben der ausführlicher vorgestellten Filme
Dlug
Regie und Buch: Krzysztof Krauze - Kamera: Bartek Prokopowicz - Musik: Michal Urbaniak - Darsteller: Robert Gonera, Joanna Szurmiej, Andrzej Chyra, Premyslaw Maliszewski - Produktion: Sudio Filmowe „Zebra“ (Polen) 1999 - Länge: 102 Minuten
Fandango
Regie und Buch: Matthias Glasner - Kamera: Sonja Rom - Musik: Fetisch/Meister - Darsteller: Nicolette Krebitz, Moritz Bleibtreu, Richy Müller, Corinna Harfouch - Produktion: Calypso Filmproduktion (Deutschland) 1999 - Länge: 103 Minuten - Verleih: Buena Vista
Gouttes d’eau sur pierres brulantes
Regie und Buch: François Ozon - Kamera: Jeanne Lapoirie - Darsteller: Bernard Giraudeau, Malik Zidi, Ludivine Sagnier, Anna Thomson - Produktion: Fidélité Productions (Frankreich/Japan) 1999 - Länge: 90 Minuten
Heimspiel
Regie und Buch: Pepe Danquart - Kamera: Michael Hammon - Musik: Steigeisen - Produktion: Quintefilm (Deutschland) 1999 - Länge: 95 Minuten
Magnolia
Regie und Buch: Paul Thomas Anderson - Kamera: Robert Elswit - Musik: Jon Brion - Darsteller: Jeremy Blackman, Tom Cruise, Melinda Dillon, April Grace, Luis Guzman - Produktion: Ghoulardi Film Company (USA) 1999 - Länge: 189 Minuten - Verleih: Kinowelt
Man on the Moon
Regie: Milos Forman - Buch: Scott Alexander, Larry Karaszewski - Kamera: Anastas Michos - Musik: Michael Stipe, Mike Mills, Peter Buck (R.E.M.) - Darsteller: Kim Carrey, Danny DeVito, Courtney Love, Paul Giamatti - Produktion: Jersey Films/Cinehaus (USA) 1999 - Länge: 102 Minuten - Verleih: Concorde
Mr. Death
Regie: Errol Morris - Kamera: Peter Donahue, Robert Richardson - Musik: Caleb Sampson - Produktion: Fourth Floor Productions (USA) 1999 - Länge: 91 MinutenParagraph 175Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman - Buch: Sharon Wood - Kamera: Bernd Meiners - Musik: Tibor Szemsö - Produktion: Telling Pictures (USA) 1999 - Länge: 81 Minuten
Die Stille nach dem Schuss
Regie: Volker Schlöndorff - Buch: Wolfgang Kohlhase - Kamera: Andreas Höfer - Darsteller: Bibiana Beglau, Martin Wuttke, Nadja Uhl, Harald Schrott - Produktion: Babelsberg Film (Deutschland) 1999 - Länge: 104 Minuten
Literatur:
Zum Jubiläum der Berlinale wurde von Wolfgang Jacobsen ein Geleitbuch durch die vergangenen Jahrzehnte herausgegeben: „50 Jahre Berlinale. Internationale Filmfestspiele Berlin 1951 - 2000“. Darin werden die filmischen und auch politischen Ereignisse - der Kalte Krieg, die 60er und 70er Jahre - mit vielen Erinnerungen von Regisseuren, Schauspielern und Politikern geschildert. Der Band ist im Nicolai Verlag, Berlin erschienen (564 S. mit 573 Abb., DM 88,-).
Beitrag aus Heft »2000/02: 50 Jahre JFF - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Margret Köhler
Beitrag als PDF
Reinhard Kleber: Überall Gewalt und Zynismus
Propaganda und Dokumentation
„Nato Killers“ steht in Großbuchstaben auf einer Mauer in Belgrad. Die bittere Anklage ist symptomatisch für die Geisteshaltung vieler befragter Jugoslawen in dem österreichischen Dokumentarfilm „The Punishment“ des Filmemachers Goran Rebic, der aus der Vojvodina stammt und in Wien lebt. In Interviews und impressionistischen Stadtbildern schildert er Stimmungslage und Lebensbedingungen der Bewohner Belgrads von der Zeit gleich nach dem Nato-Bombardement bis zur Milleniumsfeier am 31. Dezember 1999. Der Film lief auf der diesjährigen Berlinale im Forum-Programm, ist aber nicht der einzige Film, der sich gleichsam aus serbischer Perspektive mit dem Luftkrieg gegen Jugoslawien auseinandersetzt. Im Wettbewerb wurde der jugoslawisch-italienische Spielfilm „Nebeska Udica“ (Sky Hook) von Ljubisa Samardzic gezeigt, der die unmittelbaren physischen und psychischen Folgen des Bombenkrieges auf die Zivilbevölkerung in Belgrad zeigt.
In seinem Regiedebüt beschreibt der 1936 geborene Samardzic, der in seiner Heimat ein Schauspielstar ist und etwa auch in Rebics erstem Spielfilm „Jugofilm“ zu sehen war, wie einige Einwohner Belgrads im Mai 1999 versuchen, mit den nächtlichen Luftangriffen fertig zu werden. Manche flüchten sich in Alkohol oder Drogen, andere tun so, als gäbe es keine Bomben, wieder andere leiden unter Angstzuständen. Ein traumatisierter kleiner Junge hat die Sprache verloren, seine Mutter möchte mit ihm nach Italien ausreisen. Um wenigstens ein bißchen Normalität aufkommen zu lassen, schlägt ein ehemaliger Baseballspieler seinen Kumpels vor, ein zerbombtes Sportfeld wieder aufzubauen.
Beiden Filmen ist gemeinsam, dass sich die meisten Belgrader Bürger als ohnmächtige Opfer unerbittlicher westlicher Aggressoren darstellen. Die Tatsache, dass das Milosevic-Regime in zehn Jahren vier Kriege angezettelt und verloren hat, wird allenfalls gestreift. Samardzic erwähnt denn auch die Gründe für das militärische Einschreiten des Westens nie. Stattdessen verzichtet ein neureicher Schieber großzügig darauf, die Prämie einer Wette einzufordern, die er dem Nato-Bombardement verdankt: „Ich wollte nicht mit Hilfe der Mörderbande da oben gewinnen!“ Auf der anderen Seite zeigt „Nebeska Udica“, der in Berlin von vielen westlichen Kritikern als Propagandafilm geschmäht wurde, die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung.Sehr viel differenzierter kann der in Österreich lebende Rebic argumentieren. In seiner Dokumentation kommen vor allem Oppositionelle zu Wort, Dramatiker, Wissenschaftler, Menschenrechtler und Kriegsteilnehmer. Auch sie klagen über die Ungerechtigkeit der Nato-Angriffe und fühlen sich vom Westen kollektiv bestraft, ja, zurückgeworfen ins wirtschaftliche Chaos und in politische Lethargie. „Einen Film über das andere Serbien“ wollte Rebic drehen, „fern der Einheitsberichterstattung, die gern von Individuen absieht, um den Blick auf Massen, Massaker und Blut zu richten.“ Es sei ihm gerade darum gegangen, jene Leute zu Wort kommen zu lassen, die sonst keinen Platz in den TV-Berichten haben - Serben, die gegen das Milosevic-Regime sind, aber die die Strategie der Nato nicht akzeptieren. Rabic gelingen eindrucksvolle Szenen in einer Schule, in der Schülerinnen und Schüler über ihre Eindrücke und Erlebnisse berichten. Abgesehen von der verbreiteten Festungsmentalität tritt jedoch hier und in anderen Statements eine Flucht vor der Verantwortung für die Verbrechen zu Tage, die im serbischen Namen etwa im Kosovo begangen wurden.
Informationen nur für Festivalgäste
Einen Einblick in das jugoslawische Filmschaffen jenseits der Tagesaktualität vermittelte einige Wochen vor der Berlinale das Filmfestival „Max Ophüls-Preis“ in Saarbrücken mit seiner Reihe „Blick über die Grenzen“. Die acht ausgewählten Spielfilme, zwischen 1993 und 1999 entstanden, sollten seltene „Einblicke in die filmische Aufarbeitung der folgenschweren Ereignisse auf dem Balkan und die Befindlichkeit der Kulturschaffenden eines zerschlagenen Landes“ geben (Festivalleiterin Christel Drawer).
Die Saarbrücker Bestandsaufnahme ist allein schon deshalb wichtig, weil kaum einmal eine Produktion aus Ex-Jugoslawien einen deutschen Verleih findet. Ausnahmen wie zuletzt die slowenische Groteske „Express, Express“ oder die Filme von Emir Kusturica bilden nur die berühmten Ausnahmen von der Regel. Dabei stellte die marode serbische Filmindustrie auch in den vergangenen Jahren fünf bis acht Filme pro Jahr her. Vor allem eine Gemeinsamkeit sprang bei der Auswahl des Ophüls-Festivals gleich ins Auge: Fast überall Morde, Schießereien, Kämpfe und andere Gewalttaten. Das Phänomen Krieg ist allgegenwärtig, und sei es in Reminiszenzen an die antifaschistische Tradition des kommunistischen Partisanenfilms. Symptomatisch für die latente bis offene Brutalität in der serbischen Gesellschaft ist eine Schlüsselszene in „Wheels“ von Djordje Milosavljevic, einer Kombination aus kafkaesker Parabel und US-Krimis der Schwarzen Serie. Als der Student Nemanja in einem Motel mit einem Serienkiller verwechselt und von einem lynchgierigen Mob zum Tode verurteilt wird, dreht er den Spieß um und läßt die Motelgäste ihre Taschen leeren. Das frappierende Resultat: Jeder Bürger, auch der harmlos aussehende, trägt mindestens eine Schusswaffe.
Ein weiteres Charakteristikum prägt den jugoslawischen Nachwuchsfilm, die frappierende Kombination von bitterem Sarkasmus und unbeugsamem Überlebenswillen. Wie die beiden Seiten einer Medaille kommen sie immer zusammen vor. So etwa in dem ästhetisch ausgereiftesten Beitrag: „Das Pulverfaß“ von Goran Paskaljevic. Die absurde Untergangsballade über verzweifelte Menschen auf den wilden Straßen Belgrads, auf etlichen internationalen Festivals gewürdigt, wartet immer noch auf einen deutschen Verleiher.
Kulturpolitische Ventilfunktion?
Beschränkt sich die Sektion sonst auf den Nachwuchs, so machte man dieses Mal mit den jüngsten Arbeiten der ‘Altmeister’ Paskaljevic (Jahrgang 1947) und Zelimir Zilnik (Jahrgang 1942) zwei Ausnahmen. Zilniks „Wanderlust“ erzählt vordergründig die Odyssee eines Arbeiters, der aus Italien nach Istrien heimkehrt und auf der Suche nach der Frau für’s Leben durch mehrere Balkanländer irrt. Der einstige Dissident Zilnik, der in den neunziger Jahren Antikriegsdokumentationen für den unabhängigen Belgrader Radio- und TV-Sender B 92 drehte, bleibt seiner Linie treu. Im Schelmengewand kritisiert er nicht nur die Korruption und die Jagd nach der schnellen Mark, sondern lässt auch einen Serben auftreten, der lieber Italienisch als seine Muttersprache spricht: Er schämt sich für die Schlächterei in Serbien.Mirjana Vukomanovic skizziert in ihrem Debütfilm „Tri letnja dana“ (Three Summerdays) die skrupellose Ausbeutung von Kriegsflüchtlingen und anderen Deklassierten durch eine krakenhafte Unterwelt-Herrin so treffend, dass sich die Anspielung auf die Ehefrau des Slobodan Milosevic kaum übersehen läßt.
Mit desillusionierender Härte zeigt die 1967 geborene Regisseurin, übrigens die einzige Frau unter den ausgewählten Filmemachern, welche gravierenden politischen und wirtschaftlichen Folgen der Bosnienkrieg für das serbische Volk hat.Während das Milosevic-Regime in politischen Kernfragen mit Gegnern sehr rigide verfährt und in jüngster Zeit gerade gegen unabhängige oder oppositionelle Medien aggressiv vorgeht, gewähren die Zensoren dem fiktionalen Film anscheinend eine gewisse Freiheit
.Dass das jugoslawische Kino eine kulturpolitische Ventilfunktion erfüllt, darauf lassen gerade die Publikumserfolge einiger Filme schließen. So avancierte das „Pulverfaß“ trotz heftiger Attacken der staatlich gelenkten Belgrader Presse und eines regimekritischen Interviews des Regisseurs in einer italienischen Zeitung zum erfolgreichsten jugoslawischen Film der vergangenen Jahre. Und 1996 überflügelten die blutige Soldatentragödie „Pretty Village, Pretty Flames“ von Srdan Dragojevic und das defätistische Melodram „Premeditated Murder“ von Gorcin Stojanovic an den jugoslawischen Kinokassen sogar die US-Blockbuster „Mission Impossible“ und „Independence Day“. „Wir leben seit zehn Jahren in einer Kriegspsychose“, konstatierte im März 2000 Momcilo Perisic, ehemaliger Generalstabschef und jetzt der Anführer der oppositionellen Bewegung für ein demokratisches Serbien.
Dass angesichts der anhaltenden und tiefgreifenden innenpolitischen und ökonomischen Krise vielen Serben nicht nach Lachen zumute ist, lässt sich denken. Dennoch hat sich der erfahrene Schauspieler und Drehbuchautor Lazar Ristovski (Jahrgang 1952) mit „The White Suit“ an eine Burleske gewagt. In seinem Regiedebüt erzählt er von dem verträumten und ledigen Unteroffizier Savo, der von seinem Bruder Vuko die traurige Nachricht erhält, die Mutter sei gestorben. Zum Begräbnis solle er bitte den weißen Anzug mitbringen. Savo begibt sich auf die lange Heimreise und verliebt sich unterwegs in die Striptease-Tänzerin Carmen, die jedoch ebenso wie ihr Zuhälter erschossen wird. Zu Hause stellt Savo fest, dass die Mutter noch lebt und Vuko sich alles nur ausgedacht hat, um an den weißen Anzug heranzukommen. Mit dem will er nämlich in den Westen abhauen. Ristovskis geradezu surrealistische Tragikomödie schlägt mit ihrer drastischen Metaphorik und überbordenden Phantasie gleichsam die Brücke zu den Filmen eines Emir Kusturica, der seit langem im Westen lebt. Insofern wundert es nicht, dass „The White Suit“ von Jugoslawien für den fremdsprachigen Oscar eingereicht wurde.
Markus Achatz: Das Kinderfilmfest der Berlinale
Die 50. Internationalen Filmfestspiele standen anlässlich des Jubiläums und des Umzugs zum neuen Austragungsort am Potsdamer Platz ganz im Zeichen eines Neuanfangs. Auch das Kinderfilmfest schwamm mit der Wahl des Zoo-Palasts als Erstaufführungskino für die Kinderfilme auf einer leichten Welle der Erneuerung. Dies erwies sich als gute Entscheidung und das Kinderfilmfest gelangte zu einer längst verdienten, erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit. Die chinesische Präsidentin der Wettbewerbs-Jury Gong Li eröffnete neben Berlinale-Chef Moritz de Hadeln das Kinderfilmfest und Bundestagspräsident Thierse lud zur Gala des Kinderhilfswerks ins Reichstagsgebäude.
Die zwölf abend-, besser „nachmittagfüllenden“ Spielfilme, sechs Kurzfilme und fünf Animationsfilme des Kinderfilmfests bestachen wieder durch eine einzigartige Vorführ-Atmosphäre. Die Erstaufführungen wurden vom zahlreich erschienenen Kinder-Publikum gerne angenommen.Im stimmungsvollen Premierenkino lieferte bereits der Eröffnungsfilm „Tzatziki, Mama und der Polizist“ nicht nur beste Unterhaltung für Kinder und Erwachsene, sondern bot gleich von Anfang an hohes cineastisches Niveau.
Die Preischancen des Films standen von der ersten Minute an im Raum, denn der Humor und die Cleverness des achtjährigen Tsatsiki brachten das Publikum sogleich auf seine Seite. Situationskomik reihte sich an nicht weniger mitreißende Gefühlsmomente und wurde stellenweise mit stürmischem Szenenapplaus honoriert. Nicht mal Milos Formans Komödie „Man on the Moon“ im Wettbewerb konnte mit vergleichbaren Publikumsreaktionen aufwarten.
Von der Leichtigkeit des Werdens
Als schwedisch-norwegisch-dänische Co-Produktion konnte bei Ella Lemhagens „Tzatziki“ schon mit traditionell gutem Kinderkino gerechnet werden. Dass der Film die Erwartungen noch übertraf, war um so erfreulicher. Tobias wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. Alle nennen ihn Tsatsiki, worauf der Junge großen Wert legt, da sein Vater, den er niemals kennengelernt hat, Grieche ist. Tsatsiki wünscht sich sehnlichst mit seiner Mutter Tina einmal nach Griechenland zu fahren, um den Vater zu suchen. Tina und Tsatsiki verbindet eine liebevolle Mutter-Sohn-Beziehung. Die unkonventionelle Mutter spielt in einer Rockband Gitarre und stürmt schon mal mit ihrer energischen Art das Büro des Schuldirektors, weil ihr Sohn von einem älteren Mitschüler bedroht wurde. Tsatsiki freundet sich mit dem Motorradstreifen-Polizisten Göran an und da Tina aus finanziellen Gründen ein Zimmer vermieten will, zieht Göran kurzerhand bei Tsatsiki und seiner Mutter ein. Göran verliebt sich in Tina, und obwohl Tsatsiki lieber möchte, dass seine Mutter mit Göran als mit dem Bassisten der Band zusammen ist, hat er anfänglich Schwierigkeiten damit, seinen Freund mit seiner Mutter zu teilen. Tsatsiki als ein pfiffiger kleiner Bursche weiß sich im Großen und Ganzen durchzusetzen.
Als Tinas Träume, ein Livekonzert und ein Plattenvertrag, mit ihrer Band in Erfüllung gehen, gelingt es auch Tsatsiki sie von seinem Traum, der Reise nach Griechenland, zu überzeugen. Doch die Wirklichkeit ist anders als das idealisierte Vaterbild, das der Junge immer mit sich trug. Tsatsiki hat herausgefunden, daß er und Tina nicht mit dem Vater leben wollen, er ihn jedoch jederzeit besuchen kann. Sich seine Träume zu erfüllen kann manchmal sehr wichtig sein – vielleicht auch nur, um der Wahrheit ein bisschen mehr auf die Spur zu kommen.„Tsatsiki“ endet mit dieser stimmungsvollen Botschaft, die aber nicht mühelos erreicht werden konnte. Der Film strahlt trotz der Darstellung seiner realen, manchmal problembehafteten Alltagswelt in der Summe eine lebensfrohe Leichtigkeit aus, in der es auch in Zeiten neuerer Familien- und Lebenskonstellationen Raum für eine kindgemäße Umwelt gibt. Die Geschichte des achtjährigen Hauptprotagonisten rankt sich um verschiedene Stränge und Figuren seines kleinen Lebens und liefert den Zuschauerinnen und Zuschauern einen überschaubaren und dennoch verzweigten Mikrokosmos. Die Regisseurin beschränkt sich auf sparsame Bilder und gibt der Erzählung Zeit sich zu entwickeln. Die Filmlänge gibt dem Jungen Gelegenheit neben seinen Bindungen zur Mutter und zu Göran solche zu seinem Schulfreund, zur neuen Lehrerin, zu einer ihn umschwärmenden Klassenkameradin und letztlich zum fremden griechischen Vater aufzubauen, die alle auf ihre Weise den Zuschauer anrühren. Außer der Frische in der Darstellung wartet der Film mit Protagonisten auf, die ohne Anbiederung und ohne Klischeehaftigkeit als Menschen aus Fleisch und Blut auf ihre Weise mit den Nöten und Sorgen des Alltags konfrontiert und streckenweise bestens damit fertig werden. Ella Lemhagen ist es gelungen, auf der Basis des großartigen Drehbuchs von Ulf Stark gleichzeitig mehrere Facetten aus dem Leben eines achtjährigen Jungen in jeweils eigene Handlungsstränge einzubinden, die in außerordentlicher Weise zum Gesamtbild des Films beitragen. Die Filmemacherin beweist zudem Mut, die Geschichte mit unkonventionellen Protagonisten auszustatten, die bei aller Individualität keine Helden sein müssen, um etwas Besonderes sein zu können. Neben dem quirligen Samuel Haus in der Hauptrolle, spielt die wunderbare Alexandra Rapaport die Rolle der jungen Mutter. Beide transportieren glaubhaft die Freuden und Schlamassel einer „modernen“ Familie.
Im Gesamtfeld der Kinderfilmfest-Beiträge war die Überraschung nicht allzu groß, dass „Tsatsiki, Mama und der Polizist“ neben dem Gläsernen Bären der Kinderjury auch den großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks erhielt. Letzterer wurde ex aequo auch an den belgischen Kinderfilm „Mann aus Stahl“ vergeben.
Zeit zur Reife
Die belgische Produktion „Der Mann aus Stahl“ von Vincent Bal gehört zu den Filmen des Kinderfestivals, die sich – empfohlen ab 12 Jahren – eher an das jugendliche Publikum wenden. Victor ist 13 Jahre alt. Vor kurzem ist sein Vater gestorben und er fährt in den Ferien zu seinem Onkel und seiner Tante, die am Meer ein kleines Strandhotel führen. Der Aufenthalt dort erweist sich zur Überraschung Victors zunehmend als kurzweilig. Insbesondere die gleichaltrige Fania fasziniert ihn auf eine für ihn ganz neue Art und Weise. Victor weiß nicht so recht, wie er sich gegenüber dem sehr direkten Mädchen verhalten soll. In seinen tagtraumhaften Fantasien bewegt sich Victor als unverwundbarer „Mann aus Stahl“ durch eine imaginäre Weltraumwelt, in der er als Held allerlei Abenteuer besteht. Sein verstorbener Vater ist als Raumschiff-Commander stets an seiner Seite. Auch Fania taucht in den Träumen immer wieder auf. Der nahtlose Wechsel zwischen der Wirklichkeit und dem fantasierten Universum hilft Victor über den Tod seines Vaters ein wenig hinweg. Doch muss er auch feststellen, dass sich Probleme letztlich nicht durch Hinwegträumen lösen lassen. So beschließt er tatkräftig, seinem Onkel aus der Patsche zu helfen, der bei zwielichten Gangstern hohe Wettschulden hat. Und was er in der Realität herausfinden muss, kann Victor nur mit Fania zusammen durchführen: Wie es ist, wenn sich ein Junge und ein Mädchen küssen...Die Ästhetik der Fantasieabenteuer erinnert an alte Science Fiction-Serien. Die Kostüme und Gerätschaften wirken wie aus einer kindlichen Plastik-, Spiel- und Verkleidungswelt.
In Zeiten nahezu unbegrenzter tricktechnischer Möglichkeiten müssten die Abenteuervisionen des Jungen nicht unbedingt so simpel dargestellt sein. Doch zeigt sich im Verlauf des Films dieses scheinbare Manko als durchaus nachvollziehbares, dramaturgisches Mittel. Victor muss sich durch sein Heranreifen mehr und mehr aus dieser naiven, einfach gestrickten Spielzeugwelt lösen. Wie auch immer diese Darstellungsform entstanden sein mag, als Geniestreich oder aus einer Kompromissentscheidung heraus, wären die technischen Effekte zeitgemäß perfekt, sie würden - wie allzu häufig im Kino zu erleben ist - nur vom Fortgang der Erzählung ablenken.Der Film endet mit einer der schönsten Szenen des diesjährigen Kinderfilmfests: Fania und Victor stehen sich auf dem Bahnsteig gegenüber. Aus der Ferne werden sie vom Onkel und von Fanias Vater beobachtet. Schmunzelnd vereinbaren die beiden Erwachsenen eine Wette: Wer wird wen zuerst küssen?
Leben, Sterben und Magie
Kinderfilme, die sich mit Tod und Sterben beschäftigen, finden sich in den letzten Jahren insbesondere auf Festivals immer wieder. In diese Tradition - „Der ganze Mond“ (Kanada, Neuseeland 1995) von Ian Mune, „Ponette“ (Frankreich 1996) von Jacques Doillon oder „Danny’s Mutprobe“ (Frankreich, Neuseeland 1997) von Bob Swaim - lässt sich auch „Das Geheimnis des Mr. Rice“ von Nicholas Kendall einreihen. Der zwölfjährige Owen ist krebskrank und leidet stark unter der Angst vor dem Sterben. Die Freundschaft zu seinem geheimnisvollen Nachbarn Mr.Rice ist ihm eine große Hilfe, um gegen seine Ängste und die aufkommende Mutlosigkeit anzukämpfen. Als Mr.Rice (gespielt von Popstar David Bowie) plötzlich stirbt, fühlt sich Owen verlassen und verraten. Mr.Rice hatte viel von der Zukunft gesprochen und jetzt Aussagen wie „It’s what you do in life that counts“ eine positive Bedeutung zuzumessen, fällt dem Jungen nun schwerer denn je. Als Owen mit seinen Freunden heimlich Nachts im Haus von Mr.Rice stöbert, findet er einen an ihn gerichteten versiegelten Brief. Mit dieser verschlüsselten Botschaft beginnt ein spannendes und schwieriges Rätsel, dessen Lösung mit Owens Leben zu tun haben muss.
Mit Hilfe eines geheimnisvollen Zauberrings, den er vom Nachbarn einmal bekommen hatte und dem Videoband, das Owen von Mr. Rices Beerdigung gemacht hat, lüftet der Junge das „Geheimnis des Mr. Rice“. Dieser wurde dank eines rätselhaften Lebenselixiers (ein dampfender phosphoreszierender Zaubertrank) um die vierhundert Jahre alt. Dieser Heiltrunk steht nun Owen zur Verfügung. Doch wird dieser nicht unmittelbar zum Zaubermittel gegen die Krankheit. Die Tatsache, um die Wirkung der Flüssigkeit zu wissen, weckt in Owen den Lebensmut und er fühlt sich so gut wie nie zuvor. Allein dadurch werden seine Blut-Werte stetig besser und er verabreicht den Trank einem gleichaltrigen Leidensgenossen, dessen Kampf gegen die Krankheit verloren scheint.
Bei aller Realitätsbezogenheit von Owens schicksalhafter Krankheit überrascht der im Verlauf der Geschichte zunehmende Einsatz von Märchen- und Fantasy-Elementen. Mr.Rice scheint Owen mit seinem Rätselrennen mehr zu schikanieren als ihm wirklich eine Hilfestellung zu bieten. Und, dass Owen voller Selbstzweifel immer und immer wieder zu Mr.Rices Grab läuft und mit seinem Schicksal hadert ist zwar nachvollziehbar, aber lässt die Geschichte doch sehr auf der Stelle treten.
Nicholas Kendall hat sich mit seinem Film auf eine Gratwanderung begeben. Dabei rutscht sein Bild der Realität doch gelegentlich zu sehr ins Klischeehafte ab. Dennoch scheint er am Ende noch die Kurve zu kriegen und fängt den aus der Geschichte abdriftenden Zuschauer gerade nochmal auf. Er entlässt sein Publikum mit dem Gefühl, einen anrührenden und hoffnungsfrohen Film gesehen zu haben. Das Gelingen dieser Gratwanderung ist wohl der Grund, dass die elfköpfige Kinderjury den Film mit einer lobenden Erwähnung bedacht hat. Der Film ist demnach „eine ungewöhnliche und spannende Geschichte mit sehr guten Schauspielern, toller Musik und faszinierenden Schnitten“. Einen beträchtlichen Anteil an der Qualität des Films hat mit Sicherheit der junge Bill Switzer, der als Owen eine bewundernswerte schauspielerische Leistung abliefert und problemlos neben David Bowie besteht.
Das Geheimnis des Mr. Rice(Mr. Rice’s Secret)
Regie: Nicholas Kendall - Buch: J.H. Wyman - Kamera: Gregory Middleton - Musik: Simon Kendall, Al Rodger - Darsteller: David Bowie (Mr. Rice), Bill Switzer (Owen) - Produktion: Kanada (New City Productions) 1999 - Länge: 92 Minuten
Der Mann aus Stahl (Man van Staal)
Regie und Buch: Vincent Bal - Kamera: Glynn Speeckaert - Musik: Wim De Wilde - Darsteller: Ides Meire (Victor), Charlotte De Ruytter (Fania), Peter Gorissen (Onkel Rick), Katelijne Damen (Tante Jeanne) - Produktion: Belgien (Favourite Films) 1999 - Länge: 85 Minuten
Tzatziki, Mama und der Polizist (Tsatski, Morsan och Polisen)
Regie: Ella Lemhagen - Buch: Ulf Stark - Kamera: Anders Bohman - Musik: Popsicle - Darsteller: Samuel Haus (Tsatsiki), Alexandra Rapaport (Tina), Jacob Ericksson (Göran), George Nakas (Vater) - Produktion: Schweden, Norwegen, Dänemark (Felicia Film AB) 1999 - Länge: 91 Minuten
Beitrag aus Heft »2000/02: 50 Jahre JFF - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Markus Achatz
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Wolfgang J. Fuchs: Das Phänomen „Harry Potter“
Harry Potter ist ein Junge, der kurz vor seinem 11. Geburtstag erfährt, dass er von Zauberern abstammt, mithin selbst geborener Zauberer ist und von nun an ein Zauberinternat zu besuchen hat. Damit ändert sich schlagartig sein eher trübsinniges Leben bei Onkel Vernon und Tante Magda, wo er unter der Treppe in einer Abstellkammer hausen musste und unter den Launen seines fetten, verwöhnten Vetters zu leiden hatte.
Die Geschichte klingt nicht aufregend? Ist sie aber. Denn dahinter verbirgt sich ein Gedanke, der auch die Autorin der Harry-Potter-Bücher, Joanne K. Rowling, faszinierte: dass nämlich ein Kind der Enge der Erwachsenenwelt entflieht und an einen Ort gelangt, an dem es wörtlich wie bildlich Macht hat. Rowling nimmt die jugendlichen Allmachtsphantasien ernst und schafft in ihren Romanen eine Zwischenwelt außerhalb der Gesetzmäßigkeit der „normalen“ Welt.
Zu Beginn: eine Idee
Die Vorgeschichte des auf sieben Romane angesetzten Romanzyklus, der mit den ersten drei Bänden bereits international Furore gemacht hat, ist fast so sagenhaft wie der Inhalt der Bücher. Rowling hatte an der Exeter University für ihr Lehrerinnenexamen studiert. Sie hatte geheiratet und eine Tochter zur Welt gebracht, als ihre Ehe zerbrach. Alleinerziehend und arbeitslos, von der Sozialhilfe lebend, suchte sie eine Herausforderung, um nicht in Trübsinn zu verfallen. In einem Café bei einem Espresso und einem Glas Wasser begann sie handschriftlich ihren ersten Roman „Harry Potter and the Sorcerers’ Stone“ zu notieren, zu dem ihr die Idee während einer Bahnfahrt von Manchester nach London gekommen war. Sie arbeitete rund fünf Jahre am ersten Manuskript und tippte den Roman auf einer geliehenen Schreibmaschine zweimal ab, da sie nicht genug Geld hatte, um ihn zu fotokopieren. Schließlich erhielt sie vom Scottish Arts Council ein Stipendium, um das Buch fertigstellen zu können. Dann reichte sie das Manuskript bei einem Verlag ein, wurde aber prompt abgelehnt, weil die Lektoren befanden, das Buch sei für ein Kinder- respektive Jugendbuch zu umfangreich. Beim nächsten Versuch fand ihr Buch beim Verlag Bloomsbury (in England) sowie bei Scholastic Books (in USA) auf Anhieb Anklang. Nicht nur das. Auch der Gedanke, dass dies nur der erste Teil einer auf sieben Teile angelegten Buchreihe sei, zu dem sie schon das Handlungsgerüst fertig konzipiert hatte, gefiel den Lektoren.
Der erste Harry-Potter-Roman erschien, die Ehrungen häuften sich, ebenso die Nennungen in den Bestsellerlisten. Anfang Januar 2000 befanden sich die drei Potter-Romane seit Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times: „Harry Potter and the Sorcerer’s Stone“ seit 54 Wochen, „Harry Potter and the Chamber of Secrets“ seit 29 Wochen und „Harry Potter and the Prisoner of Azkaban“ seit 15 Wochen.
Das Potter-Virus
Harry Potter ist auch international ein Auflagenrenner. Es gibt die Romane bereits in 16 Ländern. Von den ersten drei Bänden wurden in England und USA zusammen über 5 Millionen Exemplare verkauft. In Deutschland hat der Carlsen Verlag von Band 1 und 2 im ersten Jahr immerhin 80 000 Exemplare abgesetzt und 1999 die Startauflage von Band 3 auf 70 000 erhöht. Die Romane haben inzwischen weltweit eine große Anhängerschaft. Verlage wie Fans haben Dutzende von Websites eingerichtet, auf denen man Auskünfte über die Autorin, die Bücher, aber auch über die gerüchteweise verlauteten Inhalte der Folgebände erfahren kann. So soll in Band 4 jemand zu Tode kommen, Harry seine Hormone entdecken und Band 7 mit dem Wort „Narbe“ enden! Beispiele für die Websites sind: www.scholastic. com/harrypotter/ oder harrypotter.freehosting.net oder harrypotter.iwarp.com und www.harrypotter. com sowie www.harrypotter.de. Natürlich hat auch der Carlsen Verlag eine eigene Harry Potter Webseite eingerichtet: hogwarts@carlsen.de. Lässt man Suchmaschinen nach Harry Potter forschen, findet man unzählige Sites. Und Hollywood hat auch schon angeklopft. 2001 will man sich bei Warner Brothers an eine Verfilmung von Joanne K. Rowlings Geschichten wagen.
Was es zu erzählen gibt
Um was genau geht es in diesen Romanen, die solchermaßen Furore gemacht haben, dass „Focus“ meinte: „Das Potter-Virus infiziert nun auch Deutschland“?
In Band 1, Harry Potter und der Stein der Weisen, steht wie schon erwähnt Harrys 11. Geburtstag bevor. Harry wohnt bei Familie Dursley, die aus seinem Onkel Vernon, seiner Tante Magda und seinem fetten, verwöhnten Cousin Dudley besteht. Da die Dursleys nichts von Zauberei wissen wollen, muß Harry in einer Kammer unter der Treppe hausen, bis eine erste Eule einen Brief für Harry bringt. Der Onkel vernichtet den Brief sofort. Daraufhin kommen weitere Briefe in sich steigernden Szenen der Groteske, die die Spannung steigen lassen, bis endlich auch für Harry klar ist, dass er ein besonderes Kind ist. Er stammt nicht nur von Zauberern ab, die von einem Bösewicht vernichtet wurden, dessen Namen (Voldemort) man in Zaubererkreisen nicht auszusprechen wagt. Nur Harry konnte er - außer einer Narbe auf der Stirn - nichts anhaben. Der Versuch, Harry zu töten, führte zum Verschwinden Voldemorts. Zauberer besuchen die Zauberschule im Alter von 11 bis 17 Jahren (Jeder Roman beinhaltet ein Jahr von Harrys Schulzeit, daher die Festlegung auf 7 Bände.). Deshalb darf auch Harry die Zauber-Internatsschule Hogwarts besuchen. Die Abfahrt beginnt um 11 Uhr am Bahnsteig 9 3/4 im Londoner Bahnhof King’s Cross, einem der Schnittpunkte zwischen der Welt der Zauberer und der Welt der Muggel (= Nichtzauberer). Was sich im ersten Schuljahr ereignet? Es zeigt sich, dass es auch in der Zauberwelt Parallelen zu den Schulen der Normalwelt gibt mit guten Freunden und neidischen Mitschülern, mit guten Lehrern und mit schlechten. Und mit so manchem Geheimnis, das bei nächtlichen Ausflügen lauert. Am Ende muss Harry sich noch einmal dem nicht endgültig geschlagenen Bösewicht stellen.
Der erste Band ist mit leichter Hand geschrieben. Er zieht einen sofort in seinen Bann, zumal er nicht nur geschickt Spannung aufbaut und konsequent mit den Unterschieden und Ähnlichkeiten der realen und der Anderwelt spielt, sondern weil er Witz und Charme hat und trotz der allgegenwärtigen Bedrohung durch das Böse nie Hoffnungslosigkeit aufkommen lässt. Die Erzählung ist brillant konstruiert und mit sicherem Stilgefühl geschrieben (und übersetzt). Sie sprüht vor Einfällen und köstlichen Dialogen.
Thomas Bodmer schrieb im „Magazin“ des „Tagesanzeigers“: „Die Bücher der 34-jährigen Joanne K. Rowling sind zwar für 9- bis 11-jährige gedacht, aber besser geschrieben als 92 Prozent der Erwachsenenliteratur.“Im zweiten Band wird ein unheimliches Geheimnis der Internatsschule Hogwarts aufgedeckt, das zunächst einigen Schülern Angst vor Harry macht, weil man ihn für einen Bösewicht hält. Trotz eines furchtbar aufgeblasenen Lehrers, der in Wirklichkeit nur ein Blender ist, gelingt es aber, alles wieder ins Lot zu richten. Nur Hagrid, mit dem sich Harry und seine Freunde Ron und Hermine angefreundet haben, gerät im Verlauf der Geschichte in einen bösen, aber unbegründeten Verdacht, dessentwegen er als Gefangener nach Askaban kommt, was den Anknüpfungspunkt für den dritten Band ergibt, von dem „Time“ meinte, man solle den Roman nicht zu spät am Abend anfangen, da man die letzten 80 Seiten nicht aus der Hand legen möchte, ohne sie zu Ende gelesen zu haben. Wenn man glaubt, dass die Harry-Potter-Romane nur unterhaltsam sind, greift man mit seinem Urteil daneben. Sie stecken nämlich so voller kluger Erkenntnisse und sind bei aller Fantasy doch Schlüsselromane über die Welt der Schulbildung und für die Erkenntnis unserer Realität und ihres dualistischen Wesens, das ständig zwischen Gut und Böse schwankt. Vielleicht ist es gerade die Schwebe zwischen realer Welt und Anderwelt, die über die vorhandenen unterhaltsamen Qualitäten hinausweist, da sie Wünsche und Hoffnungen der Leser befriedigt und ihnen eine eigene Welt eröffnet, die man mit Freude entdecken kann.
Ist es außerdem nicht erfreulich, dass ein Romanzyklus mit so umfangreichen Bänden selbst junge Leser dazu bringen kann, sich auf Bücher einzulassen und nicht nur elektronisch ein Weltbild zu entfalten? Man kann nur dazu raten, sich diese solide gemachten Schmöker nicht entgehen zu lassen, bevor sich Hollywood ihrer bemächtigt hat. Harry Potter hat es verdient, in unserer eigenen Phantasie Gestalt anzunehmen, ehe wir uns auf ein schnödes filmisches Abziehbild einstellen müssen. Die Harry-Potter-Romane sind im Carlsen Verlag, Hamburg erschienen und wurden von Klaus Fritz ins Deutsche übertragen.
Harry Potter und der Stein der Weisen, 1998, 336 S., DM 26,-
Harry Potter und die Kammer des Schreckens, 1999, 352 S., DM 26,-
Harry Potter und der Gefangene von Askaban, 1999, 448 S., DM 28,-
Beitrag aus Heft »2000/02: 50 Jahre JFF - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor:
Wofgang J. Fuchs
Beitrag als PDF
Margret Köhler : Das Ende des amerikanischen Traums
Das Kino als Zerstörer?„We are family“, diese beschwörende Mär wird zwar von den US-Medien, vor allem von Fernseh-Serien verbreitet, ist in Wirklichkeit jedoch schon lange Makulatur. Auch wenn einige Studiobosse immer noch das traditionelle Happy End für das Nonplusultra eines erfolgreichen Films halten. In „God’s own country“ ist die heile Welt auf dem Rückzug oder - wie in Peter Weirs „Die Truman Show“ nur noch für das TV inszeniertes Spektakel. Die Fassaden des Glücks zersplittern, nicht nur im Weissen Haus bei der „First Family“, sondern auch auf der Leinwand. Die Familie, einst Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft, stellt sich für viele inzwischen als Ort der Hölle dar. Auch Regiedebutant Sam Mendes zerpflückt in seinem Meisterwerk sarkastisch heimelige Klischees des american way of life.
Scheinlösungen und -freiheitenHübsche Häuschen, gepflegte Vorgärten, geräumige Garagen und mittendrin reizende Menschen, die vor Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit nur so strotzen. Doch der Eindruck täuscht. Nichts ist, wie es einmal war. Hinter den adretten Fassaden herrscht Frust statt Fröhlichkeit, kocht das Glück auf Sparflamme. Lester Burnham (Kevin Spacey) ist jenseits der 40 und ausgebrannt. Seine Frau Carolyn (Anette Bening), eine mäßig erfolgreiche Immobilienmaklerin, nervt und zetert den lieben Tag lang, die Liebe ist so kalt wie ein Eisbeutel. Auch intensivste Handarbeit bringt Lester nur wenig Erleichterung. Töchterchen Jane (Thora Birch) verachtet ihre Eltern und deren scheinheiliges Verhalten. Die Wende kommt, als der Familienvater ihre Freundin, die frühreife Angela (Mena Suvari) erblickt. Da überwältigen ihn Hormone, Phantasie und Erinnerungen an seine Jugendzeit. Und er realisiert: Das Leben ist zu kurz, um im Alltagstrott zu ersticken. Er kündigt seinen langweiligen Job, erpresst den Vorgesetzten um eine lukrative Abfindung, kauft sich einen flotten Sportwagen und malträtiert seinen nicht mehr ganz so straffen Körper mit Fitness-Übungen.
Erst einmal aber haut er mit der Faust auf den heimischen Tisch und sagt der verdutzten Weiblichkeit, wer der Herr im Haus ist. Gleichzeitig freundet sich der Mannin der Midlifecrisis mit dem liebenwürdigen Nachbarsjungen Ricky (Wes Bentley), Sohn eines Ex-Colonels an, der mit seiner Videokamera alles aufnimmt, was ihm in die Quere kommt. Und ganz nebenbei mit Drogen dealt. Bald raucht Lester mit dem Youngster Marihuana und entdeckt die Bierdose als Begleiter. Demontage und GenussDas muss böse enden, schon die ständig wiederkehrenden blutig roten Blätter der von Carolyn akribisch gepflegten Rosen künden Unheil an - zumal sich langsam die Strukturen auflösen. Der Konflikt zwischen dem in Jane verliebten Ricky und seinem autoritären Vater (der ihn und Lester für schwul hält und seine eigenen homoerotischen Neigungen unterdrückt) eskaliert, Carolyn legt sich einen Geliebten zu und Lester wird von heißen Sexträumen mit dem angebeteten Teenie verfolgt. Die einzig ‘Normalen’ scheinen zwei schwule Nachbarn zu sein. Der rasante Ritt durch seelische Abgründe ist alles andere als political correct. Die Demontage von zu Ritual erstarrten Konventionen zelebriert der Brite Mendes genussvoll und mit perfider Lust an Zerstörung bürgerlicher Ideale. Mittelschicht und Materialismus sind für ihn Boten des Untergangs.
Anständige Spießer
Wer immer noch puristisch gegen Hollywood wettert, wird bei dieser intelligenten und komplexen Tragikomödie über das Subversive im Alltag eines Besseren belehrt. Brillante Dialoge, rabenschwarzer Humor, beste schauspielerische Leistung von Kevin Spacey und Anette Bening im gnadenlosen Rosenkrieg - wie einst Michael Douglas und Katherine Turner, fast surreale Momente durch die Ich-Form der Erzählung machen „American Beauty“ zu perfekter und gleichzeitig anspruchsvoller Unterhaltung. Und wenn am Ende die Kamera über die scheinbar friedliche Vorstadtidylle schwebt, ahnt man was der wirkliche Horror ist: wohlanständige Spießbürgerlichkeit.
Der Titel ist bewusst mehrdeutig gehalten. Er könnte eine Anspielung auf Carolyns Rosenzucht „American Beauty“ sein, auf den Charakter der jungen Angela als Prototyp des amerikanischen Schönheitsideals oder ganz einfach auf die Ambivalenz des amerikanischen Traums. Für Drehbuchautor Alan Ball, auch Co-Produzent, geht es ebenfalls darum, „dass wir oft vorgefasste Meinungen über Dinge haben, die sich dann später als total konträr herausstellen und sich als wahre Schönheit erweisen, die wir so niemals erwartet hätten“. Wie es euch gefälltSam Mendes reiht sich mit seinem außergewöhnlichen Werk in die Reihe amerikanischer Filme über die Verunsicherung einer ganzen Generation ein, die sich in Aggressionen mit kathartischer Wirkung flüchtet und bei denen die Harmonie als Lebenslüge ausgedient hat.
Auch in Todd Solondz’ „Happiness“ sind die netten Zeitgenossen überhaupt nicht happy, sondern von düsteren Perversionen gequält, entlarvt sich in Mark Pellingtons „Arlington Road“ der charmante Nachbar Tim Robbins als Bombenleger und Brandstifter, beweist Kirstie Alley wie schrecklich es ist, „Gnadenlos schön“ zu sein, wirft Wayne Wang demnächst in „Anywhere but here“ einen skeptischen Blick auf die „Restfamilie“ Mutter und Tochter im wenig glamourösen Teil von Beverly Hills. Der Ausverkauf des amerikanischen Traums hat begonnen. Den Amerikanern gefällt die bittere Pille. „American Beauty“ spielte schon ein Vielfaches der nur 15 Mio Dollar Produktionskosten ein, erhielt sechs „Golden Globe“-Nominierungen und sollte auch beim „Oscar“ gute Chancen haben.
Tilmann P. Gangloff: Täglich grüßt der Mäusekopf
Pay TV, betonen Betreiber von Bezahlfernsehen immer wieder, habe nichts mit Angeboten zu tun, sondern mit Nachfrage: Natürlich biete nicht jeder Kanal rund um die Uhr neue Sendungen; entscheidend sei, dass die Sendungen zur Verfügung stehen, wenn das Publikum sie sehen will. Deswegen bestehen viele der Kanäle von Premiere World aus Wiederholungen. Das gilt auch für den Disney Channel: Das Programm ist eine Zusammenstellung von Serien, die anderswo schon zu sehen waren (oder noch zu sehen sind); ein „Best of“ aller Kaufserien im deutschen Kinderfernsehen der neunziger Jahre. Die Disney-Produktionen gab’s oder gibt’s sowieso fast alle bei RTL oder Super RTL. Für Disney-Channel-Geschäftsführer Hans Seger ist das aber gar nicht der Punkt. Er spricht von einem „völlig neuen Universum“: weil man im Pay TV sein Programm ohne Rücksicht auf Werbekunden oder Konkurrenzsender gestalten könne und allein die Bedürfnisse der Zuschauer entscheidend seien. Tatsächlich gibt es im Free TV gerade zur Lieblings-Fernsehzeit der Kinder - zwischen 18 und 21 Uhr - kaum Kinderfernsehen; der Disney Channel aber zeigt um 19 Uhr einen Film für die ganze Familie.
Das, so Seger, „ist völlig anders als bei jedem anderen Sender.“Allerdings ist beim Disney Channel nicht überall Disney drin, wo Disney draufsteht. Seger spricht in diesem Zusammenhang von Sendungen, die „Disney kompatibel“ sind: „gutes Programm, das auch von uns hätte stammen können“. Außerdem müsse ein deutscher Disney Channel auch „deutsche“ Produktionen anbieten, um eine lokale Identität zu entwickeln, Serien wie „Die Schlümpfe“ oder „Pippi Langstrumpf“, die „von der Attraktivität oder der Herkunft fürs Publikum interessant sind.“ Dass diese Serien auch anderswo laufen, schade dem Disney-Channel nicht. Die Fixierung auf die einzelnen Produktionen, so Seger, „verstellt die Sicht auf den Kanal als Ganzes: Der Disney Channel funktioniert, wenn Mischung und Programmplanung stimmen“. Es kommt also auf die Handschrift des Programms an: alles Disney oder ähnlich gut, und Hauptsache Cartoons. Bis auf wenige Ausnahmen besteht das Programm des Disney Channel tagsüber nur aus Zeichentrick. Das vereinfacht die Sache: Dieser Handschuh lässt sich beliebig von Amerika nach Europa exportieren. Informationssendungen gibt es außer dem Bastelmagazin „Art Attack“ überhaupt nicht. Auch die „deutschen“ Merkmale des Programms sind äußerst überschaubar. Zur Entstehung kultureller Identität tragen sie nichts bei, im Gegenteil: Das Programm könnte in exakt dieser Form auch in Holland oder Belgien laufen; selbst „deutsche“ Serien wie „Die Schlümpfe“ oder „Pippi Langstrumpf“ sind für den internationalen Markt produziert. Der Tag auf dem Disney Channel endet nie und hat demzufolge auch keinen Anfang.
Anders als etwa der Kinderkanal „altert“ das Programm kaum; es richtet sich rund um die Uhr an Menschen zwischen acht und zwölf. Am Vormittag werden allerdings hauptsächlich Vorschulkinder angesprochen, wenn auch nicht unbedingt mit den Höhepunkten des Programms; „Disneys Gummibären-Bande“ oder „Der Zauberschulbus“ zeichnen sich nicht gerade durch ein originelles Design aus. Schönste Vorschulserie ist „Der Bär im großen blauen Haus“ (seit Januar auch im Kinderkanal), eine Produktion von Jim Henson Television („Die Muppets Show“). Das Titeltier ist ein lebensgroßer liebenswerter Kuschelbär, der sich jedesmal einem neuen Thema (Tanzen, Farben etcetera) widmet. Einzige Eigenproduktion neben „Art Attack“ ist die Nachmittags-Show „live@five“. Das Rahmenprogramm rund um Serien wie „Hercules“ und „Aladdin“ kommt aus einem großen Studio voller Krimskrams und ist ganz auf die aktive Teilnahme des Publikums zugeschnitten. „Das Wichtigste bist Du“ heißt es im Trailer zu „live@five“. Ständig reden die Moderatoren auf ihr Publikum ein. Die Studiokameras schwanken und torkeln dabei wie zu besten Viva-Zeiten. Davon abgesehen ist „live@five“ mit den vielen optischen und akustischen Spielereien (ständig scheppert’s oder kracht’s vom Band) sehr „hip“ und macht den Kindern offenbar eine Menge Spaß: Die Zuschauerresonanz ist laut Seger „fantastisch“. Seit Sendebeginn am 16. Oktober habe es unzählige Anrufe gegeben, „wahnsinnig viele nette Briefe und unheimlich viele E-Mails“, auch von älteren Disney-Fans.
Die Begeisterung der Kinder dürfte dem kompletten Programm gelten. Trotzdem kam es für Disney nie in Frage, den deutschen Disney Channel als frei empfangbaren Sender zu starten. Das Schicksal von Nickelodeon und die unzureichende Kabelkapazität waren laut Seger Warnung genug. Außerdem seien die Werbeeinnahmen im frei empfangbaren Kinderfernsehen begrenzt, auch wenn er keine Sorge hätte, „dass wir uns davon ein gutes Stück abschneiden könnten“. Werbefreiheit sei aber ein ganz wichtiges Merkmal des Disney Channels, „speziell in Deutschland, wo Eltern einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Fernsehgewohnheiten ihrer Kinder haben als in anderen Ländern.“ Daher begnügt man sich mit den Einnahmen durch die Abonnement-Gebühren, über deren Höhe Seger schweigt. Der Preis der Exklusivität ist allerdings eine überschaubare Zuschauerzahl.
Nach dem Relaunch zum 1. Oktober konnte Premiere World zwar innerhalb eines Monats 110.000 neue Kunden gewinnen; doch für die digitalen Bouquets Movie World, Family World und Sports World interessieren sich nach wie vor bloß eine Million Abonnenten. Dass der Disney Channel, der eine eigenständige Lizenz hat, nicht einzeln bestellt werden kann, ist übrigens die Entscheidung der Premiere-World-Geschäftsführung gewesen. Offenbar soll das acht Kanäle umfassende Familienpaket (monatlich 19.90 Mark) - neben Disney unter anderem Discovery Channel (Dokumentationen), Krimi & Co und der Vorschulkanal Junior -, aufgewertet werden. Der Vorteil für Disney besteht laut Seger darin, frühzeitig „Teil einer sich entwickelnden, neuen Fernsehlandschaft“ zu sein.Am Engagement bei Super RTL und RTL werde sich, versichert Seger, in absehbarer Zeit nichts ändern. Die Gewinne dort kann Disney gut brauchen, um das Unternehmen Premiere World zu finanzieren.
Beitrag aus Heft »2000/01: Aufwachsen in Medienwelten II«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Kurt Oesterle: Körperlose Partisanen
Rechtsextremisten, sonst eher der Scholle verhaftet, sind im Internet längst heimisch geworden. Dem Verfassungsschutz bereitet es Kopfzerbrechen, dass die Zahl ihrer Webseiten sich seit 1996 verzehnfacht hat. „Befreite Zonen“ nennen sie ihre Netze, Sites und Homepages, doch wer ihrem Gesinnungsaustausch eine Weile beiwohnt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, an den altbekannten, nur ins Virtuelle gehobenen Stammtischen zu sitzen. Auch im Cyberspace möchte man unter sich sein und mit einer Zunge sprechen. Deshalb streitet ein „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ dort für die Entamerikanisierung des Computeridioms und fordert strengste Eindeutschungen: für „World wide web“ etwa „Weltwabergewebe“.
Doch im Internet agiert auch eine rechtsextreme Elite. Sie betreibt zum Beispiel die Webseite der „Vrij Historisch Onderzoek“ (VHO), eines belgischen Verlags, der nach England getürmt ist und in dem auch rechtmäßig verurteilte und darum abgetauchte deutsche Neonazis mittun. Die VHO ist schon länger mit einer „Link-List of banned literature“ im Internet vertreten, einer Aufstellung von rund hundert Büchern, die in einem oder mehreren europäischen Ländern verboten sind, vor allem weil sie in sämtlichen Varianten des sogenannten Revisionismus die planmäßige Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland leugnen. Die eingescannten Originale dieser Bücher - hinter jedem steht höhnisch der Gerichtsort und das Aktenzeichen - sind mit einem einfachen Link zu erreichen und können ohne großes Strafrisiko für Anbieter und Nutzer auf Diskette kopiert und ausgedruckt werden.Inzwischen fühlt sich die VHO offenbar auch für die Cyberspace-Ideologie der Rechten zuständig. Sie hat ein Strategie- oder besser Legitimationspapier in Umlauf gebracht, das die Globalisierungsfeinde und Technikphobiker in den eigenen Reihen fürs Internet weltanschaulich kompatibel machen soll.
Ein Dokument, das belegt, wie sehr der europäische Rechtsextremismus seinen bisweilen beträchtlichen Rückstand auf die schon immer fanatisch computergläubigen amerikanischen Neonazis aufgeholt hat. Die Rechte im Net hat sich einen mythischen Anstrich verpasst, der vor allem Jugendliche beeindrucken soll.Den alten Polit-Agitator, der von Podesten herab seine „Wortraketen“ abfeuert und im Verein mit Gleichgesinnten Flugblätter hinter die Scheibenwischer parkender Autos klemmt, erklärt sie für tot. An seine Stelle tritt der „Cyber-Aktivist“, der auf sich allein gestellt ist und keine Partei mehr braucht; den Zusammenhalt stiftet das Netz. Der Cyber-Aktivist hat weder Namen noch Gesicht - so kann er am leichtesten seiner Taktik folgen: zuschlagen und abtauchen. Er ähnelt Carl Schmitts „Partisan“ oder Ernst Jüngers „Waldgänger“, zwei Figuren aus der Typologie der Rechten, die nach 1945 aus dem Gefühl schmählicher Niederlage und Ächtung entstanden sind. Durch sie aber wird der virtuellen Realität, die den Anschein eines Kinderspiels nie ganz verlieren will, der kriegerische Ernst der Tradition eingeblasen. Der Cyber-Aktivist darf sich nun auch vor den Veteranen der Bewegung „ehrbar“ fühlen.
Was er tut, soll ihm das Gefühl des Erhabenen geben. Zwar sitzt er daheim vor seinem Bildschirm, dennoch überquert er „in Blitzesschnelle“ - ein alter Faschistentraum - den „Sprach-Ozean“. Zwar steckt seine Macht einzig und allein im Finger, die den Mausklick betätigt, dennoch befördert er eine „bislang ungehörte, ungeträumte Fracht“ zu weit entfernten „unverdorbenen Küsten“. Surfend verbindet er das fortschrittlichste Medium mit den kollektiven Archetypen, an denen das Herz der Rechten schon immer hing. Er soll den Cyberspace als Raum oder Landschaft erfahren, die er beherrschen kann. Ideologisch derart gerüstet, stürzt der Aktivist sich ins „letzte intellektuelle Abenteuer“ dieser Zeit: das Abstreiten des Holocaust.Wer glaubt, westliche Gesellschaften seien dagegen größtenteils immun, halte sich folgende Zahl vor Augen: Im Verlauf von nur zwei Jahren sollen von der Webseite des deutsch-kanadischen Auschwitzleugners Ernst Zündel über eine Million revisionistische Artikel abgerufen worden sein. Eine politisch unter Druck geratene Provider-Firma kündigte daraufhin zwar die „Zundelsite“, die Revisionisten in aller Welt meinten aber trotzdem, einen Sieg verbuchen zu dürfen. Jedenfalls sehen sie sich, wie das Beispiel der VHO-Webseite zeigt, zum Weitermachen ermutigt. Der Geschichts-Revisionismus - außer den Todeslagern leugnet er auch die deutsche Kriegsschuld - war und ist das Pilotprojekt der Rechtsextremisten im Internet. Und umgekehrt scheint ihnen das Net die ideale Waffe, die „Staatsreligion Holocaust“ gezielt in einzelnen Köpfen anzugreifen.
Noch bevor die „Zundelsite“ gekündigt war, brach um sie der „erste Cyberkrieg“ aus - folgt man der VHO-Webseite, kann es sich dabei nur um die jüngste Spielart des Weltbürgerkriegs handeln. Der Krieg begann Ende 1996 mit einem flächendeckenden „E-mail-bombing“ der Zündel-Gegner. Zweihundert Meldungen pro Sekunde schlugen vierzig Stunden lang im Rechner des Revisionisten ein und legten ihn lahm. Bald fanden sich die ersten Freiwilligen an Zündels Seite und boten ihm und seinen Machwerken Unterschlupf in ihren Speichern. Aber auch die Gegner ruhten nicht. Doch wer waren sie? Einmal, so wähnen die rechten Strategen, Betreiber der jüdisch-antinazistischen Webseite „Nizkor“. Dann irgendwelche mehr oder weniger gut organisierten Antifa-Gruppen. Schließlich auch etliche Cyberspace-Tramps, die zufällig den Daten-Highway entlang kamen. Minutiös wird aufgezählt, welcher Kriegsmittel sie sich bedienten. Dabei erhält der Cyber-Aktivist seine Grundausbildung. Er lernt, was „Spamming“ ist, nämlich das Versenden fingierter Presseerklärungen an Unbeteiligte, die den vermeintlichen Absender anschließend mit Beschwerden überziehen. Oder das „Sheltering“, bei dem ein gefährdetes Dokument in einen angeblich sicheren elektronischen Bunker gelockt wird, um dort festgehalten und seines Copyrights beraubt zu werden. Auch was „Cancelbots“ sind, muss der Kämpfer wissen: teils pornographische Bildretuschen, die feindliche Botschaften entstellen.
Für Rechtsextremisten sei das Internet nicht weniger bedeutsam als die Erfindung des Buchdrucks einst für die ganze Menschheit, so heißt es sinngemäß auf der VHO-Webseite. In der Tat weiß noch niemand, wie sehr das World Wide Web das historische Bewusstsein verändern und verbiegen kann. Befürchtungen haben zumindest so lange ihr Recht, wie die bei den Extremisten im Net äußerst beliebte Parole gilt: Wir drin, der Staat draußen. Die revisionistischen Cyber-Aktivisten sind mittlerweile auf Grund von Sicherheitsmängeln und einer verworrenen Rechtslage im Internet bester Dinge, dort auch weiterhin schalten und walten zu können. So werben sie nicht nur Freiwillige für ihren Krieg, sondern jagen auch eine „Unabhängigkeitserklärung“ um den Erdball, ein Gebräu aus Extrakten der Aufklärung wie auch der Gegenaufklärung, gewürzt mit einem Schuss Jugendrevolte. Genau besehen wird hier nichts anderes proklamiert als eine Art Naturrecht auf Unsichtbarkeit und Körperlosigkeit: „Ihr seid entsetzt über Eure Kinder. Der globale Transport von Gedanken bedarf nicht mehr der Unterstützung Eurer Fabriken. Wir werden uns über den Planeten verteilen. Wir schließen unseren eigenen Sozialvertrag. Unsere Welt ist überall und nirgendwo, aber nicht wo Körper leben. Unsere Wesen haben keine Körper...“.
Michael Bloech: Es muß nicht immer Disney sein!
Wenn Kinder an Trickfilme, präziser formuliert: an Animationsfilme denken, fallen ihnen oft nur die Disney-Klassiker ein. Disney (oder vielmehr Buena Vista) versteht es ja auch ausgezeichnet, seine Filme zu vermarkten und aus jedem Neustart ein Ereignis besonderer Art zu machen. Begleitet werden die Filme von bedruckten Mützen, Spielfiguren in Juniortüten amerikanischer Fastfood-Ketten oder Hörkassetten. Diese Marketing-Anstrengungen sind natürlich noch kein Indiz für die Qualität des Films, dennoch bewirken sie, dass die Konkurrenz, die nicht mit diesem Aufwand aufwarten kann, ins Trudeln gerät.
Käpt’n Blaubär
Deshalb hat sich wohl auch die Produktionsfirma von „Käpt’n Blaubär“ entschlossen, dem großen überseeischen Bruder ein wenig nachzueifern. Ungewöhnlich großflächige und großformatige Werbung, ein Blaubär-Chat im Internet und lustige Blaubär-Fotoapparate im Drogeriemarkt verdeutlichen nur bruchstückhaft die Bemühungen, den Anschluss im Kampf um die Popularität nicht zu verlieren. Geschickt wird dabei, ganz dem großen Vorbild nacheifernd, das Augenmerk nicht nur auf Kinder, sondern auch auf die gesamte Familie gerichtet. Die Story des Films von Walter Moers, dem Erfinder des „Kleinen Arschlochs“, hat zwei Ebenen: eine die auf Kinder zielt mit lustigen Krokodilpiraten, drolligen Maulwürfen mit einer urkomischen Pfurzsprache, dem Bösewicht Professor Dr. Feinfinger, der vor allem durch die unverschämt eindringliche Stimme von Helge Schneider Profil erhält. Und es existiert noch eine Ebene mit eminent vielen politischen Anspielungen, die vor allem auf eine ältere Kinoklientel zielt.
Doch zunächst zur Geschichte selbst: Der böse Professor Feinfinger bringt die drei Enkel von Käpt’n Blaubär in seine Gewalt. Sie werden in seiner finsteren Felsenburg, umspült vom tosenden Ozean, gefangen gehalten. Dort beginnt Feinfinger mit einer Orgie der Umerziehung der drei Bärchen. Er möchte sie in das Reich des Bösen einführen, doch da hat er nicht mit der Hartnäckigkeit und dem Einfallsreichtum von Blaubär und der Treue von dessen Schiffsmaat Hein Blöd gerechnet. Feinfinger ist gezwungen, alle intriganten Register zu ziehen. Er hetzt die gefürchteten Krokodilpiraten, die unerbittlichen Wellenzwerge und die teuflischen Maulwürfe auf die zwei Seeleute. Doch es kommt wie es kommen muss zur finalen Auseinandersetzung zwischen dem Käpt’n und dem Professor. Es wendet sich alles zum Guten und die Macht des Bösen wird zerschlagen.
Zeichnerische Glanzlichter
Die Story wird mit viel Witz, Klamauk und Seemannsgarn gestrickt, wobei die Spannung nie aus den Augen verloren wird. Doch die wahre Qualität der Produktion ergibt sich aus anderen Dimensionen. Zum einen ist die künstlerische Bildgestaltung zu erwähnen, für die vor allem Michael Schaacks Trickfilmcompany verantwortlich zeichnet. Die traditionell gezeichneten Figuren sind realistisch und natürlich animiert und ‘ihre’ Welt ist aufregend und beeindruckend in Szene gesetzt. Dabei wird eine ganz eigene und neue Ästhetik zu generieren versucht: das Meer, die Boote und das Schloss werden spektakulär eingefärbt und eröffnen so fast eine neue Seherfahrung. Ein Trick half, diese Wirkung zu verstärken. Bei Kamerabewegungen verschieben sich die Relationen des Raumes bewusst ins Unnatürliche. Diese Verschiebung der Perspektiven und Relationen erzeugt effektvolle Bildwelten.
Ein Beispiel dafür stellt die Attacke der Krokodilpiraten auf Blaubärs Boot dar. Je nach Intensität der von Hein Blöd, den Kindern und Käpt’n Blaubär empfundenen Angst verändert sich dynamisch die Größe des Piratenschiffs. An dessen Bootskörper prangt ein großes A, das von einem Kreis umgeben wird! Eine Erinnerung an die anarchistische Distanzierung vom sogenannten Establishment der 70er Jahre! Die zeichnerische Phantasie lässt Begriffe wiederaufleben, die in unserer aktuellen politischen Diskussion verschwunden zu sein scheinen. Kinder können sicher nichts damit anfangen, aber die älteren Zuseher dürfen schmunzelnd in ihrer politischen Sozialisation kramen.
Der Gigant aus dem All
Ein wenig nostalgisch und historisch geht es in „The Iron Giant“ zu. Die Story ist in der Ära des Kalten Krieges angesiedelt. In dieser Zeit fanden in den USA oberirdische Atombombentests statt und das Fernsehen fand massen-haft Verbreitung. Der Start des ersten Satelliten - der russische Sputnik - verbreitete die Angst vor sowjetischen Atomraketen. Die Handlung selbst hat die Kurzgeschichte für Kinder „The Iron Man“ des Briten Edward James ‘Ted’ Hughes aus dem Jahr 1968 zur Grundlage. Erzählt wird die Geschichte des zehnjährigen Hogarth, der im Wald einen riesigen Roboter aus Metall entdeckt, der geradewegs aus dem All heruntergepurzelt ist. Hogarth - dem seine alleinerziehende Mutter keine Haustiere erlaubt - freundet sich mit zwar Furcht einflößenden, aber dennoch sympathischen Riesen an. Doch wohin mit dem Ungetüm aus Stahl, das noch dazu unaufhörlichen Appetit auf Metall verspürt. Schließlich kann der Gigant doch nicht ständig unentdeckt Autos, Eisenbahnschienen und Traktoren verspeisen.
Hogarth versteckt den Roboter deshalb bei seinem Freund, dem jungen Künstler Dean, der nicht nur ausgesprochen nett ist, sondern noch dazu einen Schrottplatz besitzt. Da aber Fischer den Absturz des Giganten beobachtet haben und die Zerstörung der vielen Autos nicht geklärt wird, heftet sich der zynische und dumme FBI-Agent Kent Mansley an die Fersen des Riesen. Mansley ist geprägt von der Hysterie des Kalten Krieges, das heißt, er handelt so wie er nach seinem Doktrin handeln muss. Der Riese stellt eine Bedrohung dar, die zu vernichten ist. Schnell merkt aber der Ermittler, dass die Schlüsselfigur in diesem Spiel Hogarth ist und so macht er sich an diesen heran, setzt ihn unter Druck und hetzt die Armee mit Atomraketen auf den (sonst) friedlichen Roboter. Hogarth und seinem Giganten gelingt es aber, die Stadt und die Armee von der Friedfertigkeit zu überzeugen. Allerdings zu spät, denn die Atomrakete ist bereits gezündet. Die Stadt soll geopfert werden, um so Amerika vor der Bedrohung zu retten. In wahrer Selbstaufopferung und als Beweis seiner Freundschaft zu Hogarth steigt der Gigant in den Himmel auf, durchkreuzt die Flugbahn der Rakete und wird von der Bombe in tausend Teile zerfetzt.
Aufrichtige Botschaften
Das Ganze wird flott und emotional erzählt, kommt allerdings nicht ohne einige kitschige Kleinigkeiten aus. Dean und Hogarths Mutter verlieben sich überflüssigerweise ineinander und der General, der von Mansley zum Abschuß der Atomrakete genötigt wird, ist in seiner Besonnenheit doch zu positiv stilisiert. Aber die Spannung kommt niemals zu kurz und auch die Tricktechnik wird mehr als routiniert eingesetzt. Die Animationen sind perfekt - und so gesehen muss es wirklich nicht immer Disney sein. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass bei der Warner Brothers-Produktion Anklänge an bewährte Zeichentrick-Traditionen im Stile Disneys spürbar sind. Die Art der eher flächig wirkenden Figurenpräsentation und Zeichnung verwundert nicht, da die Produzentin Allison Abbate lange Jahre bei Disney arbeitete und Regisseur Brad Bird mit 14 Jahren von einem der Disney-Animatoren aufgrund seines eigenen ersten Zeichentrickfilms als Talent entdeckt und schließlich dort auch gefördert wurde.
Doch das entscheidende Qualitätsmoment entwickelt der Film auf einer ganz anderen als der zeichnerischen Ebene. „Der Gigant aus dem All“ beinhaltet eine entschiedene Absage an Waffen, Aggression und Krieg und an humanes Leben paralysierende Feindbilder. Kindern wird diese positive pazifistische Botschaft schnörkellos präsentiert und die Gefährlichkeit von Vorurteilen wird eindringlich gezeigt. Außerdem wirft der Film einen ironisch distanzierten Blick auf die spießige und verklemmte Welt der 50er Jahre Nordamerikas, die manchmal doch zu gerne verklärt werden. Damit entfernt sich auch diese Produktion mit einer frischen politischen Brise und mit Riesenschritten wohltuend von der Disneytradition, die ihre Ideologien immer verbrämt präsentiert und damit kein Risiko einzugehen gewillt ist.
Die Kinokassen melden, dass die beiden sympathischen Filme mit ihren unaufdringlichen und humorig vorgetragenen Botschaften sich mehr als nur behaupten können. Diese Information ist hoffentlich kein Seemannsgarn.
Käpt’ Blaubär
Regie: Hayo Freitag – Buch & Figuren: Walter Moers – Kamera: Graham Tiernan - Musik: Wolfgang v. Henko, Fred Timm & Joachim Schlüter - Sprecher: Wolfgang Völz, Edgar Hoppe, Helge Schneider – Produktion: Deutschland (Senator Film) 1999 – Länge: 80 Minuten – Verleih: Senator Film
Der Gigant aus dem All (The Iron Giant)
Regie: Brad Bird – Drehuch: Tim McCanlies nach der Kurzgeschichte „Der Eisenmann“ von Ted Hughes – Produzenten: Allison Abbate, Des McAnuff – Gesamtleitung: Pete Townshend - Musik: Michael Kamen – Sprecher: Till Völger, Jürgen Kluckert, Nadja Reichardt, Johannes Baasner – Produktion: USA (Warner Brothers) 1999 - Länge: 87 Minuten – Verleih: Warner Brothers
Tilmann P. Gangloff: Jenseits von Disney
Kinderfilm = Disney: eine Gleichung, die praktisch weltweit gilt. Gerade in diesem kleinen Segment ist die Dominanz von Hollywood erdrückend, zumal die Zielgruppe so überschaubar ist wie keine andere: Spätestens mit zwölf Jahren orientieren sich Kinder am Kino für Erwachsene, wollen Jungs Filme mit Arnold Schwarzenegger und Mädchen Romanzen mit Julia Roberts sehen. Der reine Kinderfilm, Produktionen also, die sich nicht an die ganze Familie, sondern tatsächlich an Menschen zwischen vier und zehn Jahren richten, hat kaum eine Chance, sich auf dem Kinomarkt zu behaupten: Kinos buchen Filme bevorzugt für sämtliche Vorstellungen eines Tages; Kinderfilme aber können nur mittags und nachmittags gezeigt werden. Doch selbst der Erfolg von Familienfilmen, die ja auch in den Abendvorstellungen laufen können, ist untrennbar mit hohen Investitionen in die Werbung verbunden.
Die erfolgreichsten deutschen Familienfilme der letzten Jahre - „Rennschwein Rudi Rüssel“, „Charlie & Louise - Das doppelte Lottchen“ und „Pünktchen und Anton“ - basierten zwar auf populären Buchvorlagen, aber ein Werbebudget in vermutlich siebenstelliger Höhe sorgte dafür, dass die Titel in aller Munde waren. Ebenfalls unabdingbar für einen finanziellen Erfolg ist die Anzahl der Kopien; Filme, die nicht mit 300 Kopien starten, haben von vornherein kaum Marktchancen. Zusätzlich verschärft wird die Situation gerade für kleine Verleiher, die nur eine Hand voll Filme pro Jahr in die Kinos bringen, durch die Blockbuchung: Kinozentren mieten Filme im Paket, so dass der ohnehin begrenzte Raum für unabhängige Verleiher noch kleiner wird. Da viele der großen deutschen Verleihfirmen mehr und mehr auch selbst produzieren, wird auch für unabhängige Produzenten der Spielraum enger.
Um wenigstens annähernd so etwas wie Chancengleichheit herzustellen, hat der Bundesverband Jugend und Film (BJF) zusammen mit der European Children’s Film Association (ECFA) im November 1999 in Konstanz die 1. Europäische Konferenz für den Verleih von Kinder- und Jugendfilmen veranstaltet. Ziel der Konferenz sollte eine Länder und Medien übergreifende Kooperation all jener Menschen sein, die sich für den Kinderfilm engagieren. Rund fünfzig Experten aus elf Ländern repräsentierten nahezu alle Kinderfilmbereiche: Verleiher (gewerblich und nichtgewerblich), Weltvertriebe, Produzenten, Kinobesitzer, Videoanbieter, Autoren und Regisseure, viele von ihnen schon seit Jahrzehnten um den Kinderfilm bemüht. Einzig die Fernsehanstalten, jedenfalls die Kinderredaktionen, waren trotz Zusage nicht vertreten, was als symptomatisch empfunden wurde: Vom Fernsehen hat die Kinderfilmbranche nur geringe Unterstützung zu erwarten.
Ein Überblick über die identischen Entwicklungen der letzten Jahre in verschiedenen europäischen Ländern zeigte die Parallelen zum Kino für Erwachsene auf: Auch die Hitlisten der Kinderfilme werden überall von Hollywood-Filmen dominiert. Erst mit deutlichem Abstand folgen jeweils einheimische Produktionen, während Filme aus europäischen Nachbarländern, geschweige denn von anderen Kontinenten, praktisch nicht vorkommen. In einigen Ländern liegt aber auch die einheimische Produktion mehr oder weniger brach. Auch das Bild der deutschen Kinderfilmszene, die von Friedemann Schuchardt, dem Geschäftsführer von Matthias-Film skizziert wurde, war düster. Schmerzlich sei vor allem der Verlust der ostdeutschen Kinderfilmtradition nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten: 25 Prozent der staatlich gelenkten Defa-Kinoproduktion in der DDR waren Kinderfilme. „Im Westen gab es so ein System nie“. Das stimmt allerdings nur für die Zeit nach 1957. In diesem Jahr trat in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Jugendschutzgesetz in Kraft, das Kinder unter sechs Jahren den Kinobesuch verbot. Dies war das Ende einer bis dahin florierenden Märchenfilmproduktion. Bei der Vereinigung sei nun versprochen worden, die Tradition der DDR zu bewahren, doch dieses Versprechen wurde nie eingelöst.
Schuchardt räumte zwar ein, dass in Deutschland viel für Kinder produziert werde, doch beschränke sich dies mit Soaps, Dokumentationen und Serien überwiegend auf den Fernsehmarkt. Ein aktuelles Beispiel für die Schwierigkeiten, eine anspruchsvolle Kinoproduktion zu realisieren, ist „Die grüne Wolke“, die Verfilmung des gleichnamigen Buches von A.S. Neill durch Denkmal-Film. Das Produktionsvolumen liegt bei 12 Millionen Mark; der Film entsteht als TV-Serie, die fürs Kino umgeschnitten und gekürzt wird. Als Produzent und Autor eines Kinderfilms müsse man seine Energien vor allem in finanzielle und weniger in kreative Fragen investieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund seien Regisseure wie Jan Schütte oder Hartmut Schoen nicht bereit, Kinderfilme zu inszenieren.
Breite Zustimmung erhielt Schuchardts Forderung nach einer engeren Kooperation zwischen Produzenten und Verleihern von Kinderfilmen. Gerade der Kinderfilm dürfe nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden, schließlich handele es sich um „Kultur für Kinder“. Deshalb müsse auch der Non-Profit-Bereich als förderungswürdig erachtet werden. Obwohl sich die Teilnehmer der Konferenz darin einig waren, dass der Kinderfilm jenseits von Disney ohne konzertierte Unterstützung chancenlos sei, fiel das Fazit der Tagung überraschend positiv aus. Gerade die Aktionen, mit denen es kleinen Verleihern aus Belgien, Holland und Skandinavien gelungen ist, dem Zeichentrickfilm „Kiriku und die Zauberin“ zu eindrucksvollen Zuschauerzahlen zu verhelfen, belegten, dass mit Engagement und strategischem Denken etwas bewegt werden kann. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass die Verleiher miteinander kaum in Kontakt stehen.
Die Konferenz endete mit dem festen Vorsatz, die verschiedenen Institutionen in ein Netzwerk einzubinden, damit sie von den Erfahrungen in anderen Ländern profitieren können. Diskutiert wurde auch die Einführung eines europäischen Gütesiegels, das zum Beispiel Festival-Siegern den Weg in die Kinos erleichtern soll. Wirksamer sei aber eine Erfolgsliste mit den in Europa verliehenen Kinderfilmen und ihren Zuschauerzahlen.
Beitrag aus Heft »2000/01: Aufwachsen in Medienwelten II«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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