Sei es das Gendersternchen, sei es die Flüchtlingsdebatte, sei es die Ökonomisierung weiter Bereiche der Gesellschaft: Die Medien transportieren ein Bündel von Vorstellungen, Bildern, Vorurteilen, Theorien in die Köpfe der Gesellschaftsmitglieder und tragen sie in unterschiedliche Diskurse und Diskursarenen. Obwohl die Visualität bzw. Ikonizität der Darstellungen in den öffentlichen Arenen auf dem Vormarsch ist, passiert der multisensorische Bedeutungstransport vornehmlich über Sprache. Die denunzierte Rede von der „Political Correctness“ (Degele 2020) ist hier ein, aber nicht das einzige wichtige Thema und es geht um Grundsätzliches: Wird von ‚Fremdbetreuung‘ im Umfeld der Kleinkindbetreuung gesprochen, werden andere Türen in unserem Bewusstsein aufgestoßen, als wenn wir von familienergänzender oder gar familienunterstützender institutioneller Betreuung sprechen. Ein ‚Konkubinat‘ mit seinem negativ konnotierten Bedeutungshorizont war noch in den 80er Jahren eine geläufige Bezeichnung für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, die heute semantisch ‚upgegraded‘ auch als ‚partnerschaftliche Verantwortungsgemeinschaft‘ läuft.
Die Beispiele sollen verdeutlichen: Sprache ist das Prädikat, welches immer wieder als das Merkmal genannt wird, welches den Menschen als solchen auszeichnet. Seit der antiken Rhetorik wird über die Wirkmächtigkeit dieses humanspezifischen Zeichensystems nachgedacht. Wenn auch unbestritten ist, dass die Medien über ihre je eigene Materialität und sonstigen Eigenschaften inhaltliche Botschaften mitformatieren, darf daher die sprachliche Formulierung nicht außen vor der medienwissenschaftlichen Debatte gelassen werden.
MÄCHTIGER EIGENSINN DER SPRACHE
Es gibt eine Reihe von Konstruktionsprinzipien der menschlichen Sprache, die in Wechselwirkung mit der auf Sozialität und Gegenseitigkeit hin angelegten Kognition des Menschen (Tomasello 2020) für die ‚Macht und Magie‘ sprachlicher Zeichen sorgen, wie unter anderem Schramm/Wüstenhagen (2015) auf der Basis einer breiten Forschungsliteratur rekonstruieren:
1) LAUTMALEREI UND KLANG DER SPRACHE LEGEN BESTIMMTE BEDEUTUNGEN NAHE
Eigentlich dürfte es einen solchen Zusammenhang gar nicht geben. Die klassisch-linguistische Theorie behauptet, dass der Klang der Worte völlig willkürlich, ohne Zusammenhang zur Wortbedeutung steht. Neuere Arbeiten und Positionen vor allem auch aus experimentiellen Arbeiten postulieren und weisen zumindest partiell nach, dass bestimmte Lautkonglomerate, sogenannte Phoneme, Bedeutungen von Worten mit festlegen. So wird behauptet, dass das I wie in Liebe, Paradies, Frieden gute Laune macht. Die Autorinnen sammeln dann Belege für die zumindest partielle Ikonizität: In der Sprache scheinen mehr ikonische Anteile zu stecken als bislang bekannt war: „Tatsächlich lassen sich in vielen Sprachen zumindest vereinzelt solche Zusammenhänge finden. Kleine Dinge etwa klingen erstaunlich oft auch klein. Als beliebte Beispiele dienen oft: ‚diminutive‘ oder ‚teeny-weeny‘ im Englischen, ‚klein‘ oder ‚winzig‘ im Deutschen, ‚mikros‘ im Griechischen oder ‚chico‘ im Spanischen. Schon die Wörter an sich scheinen dem Klang nach einen Hinweis auf die physische Eigenschaft der bezeichneten Sache zu geben. Alle diese Worte haben etwas gemeinsam: den i-Laut. Sie haben dies gemeinsam mit Spitznamen und anderen Verniedlichungsformen, die hierzulande häufig auf i enden, wie Hansi, Claudi oder Steffi, oder in Spanien auf ito/ita wie Señorita. So hat das schmale unscheinbare i offenbar erhebliche Ausdrucksstärke – weil es so gut als Signal für die kleinen Dinge fungiert.“ (Schramm/ Wüstenhagen 2015, S. 24). Umgekehrt verhält es sich dann mit Wörtern, die Großes indizieren. Diese beinhalten oftmals ein a oder o. Man denke an ‚grand‘ im Französischen, ‚makro‘ im Griechischen, und ‚groß‘ im Deutschen.
2) WORTE, KONZEPTE UND INSBESONDERE METAPHERN ‚SCHIEBEN‘ UNSER DENKEN IN BESTIMMTE RICHTUNGEN
Ein einziges Wort kann unser Urteil, Denken und Handeln signifikant beeinflussen, das zeigt die inzwischen umfängliche Forschung zu den Metaphern, also den Bedeutungsübertragungen von einer Quelle in ein Ziel: Elisabeth Wehling (2016), die hierzulande im Umfeld der Framingdebatte bekannt geworden ist, verdeutlicht die Wirkungskaskaden beim Wort- und insbesondere Metaphernverständnis: Um Worte zu begreifen, aktiviert das Gehirn große Wissensbestände – konkret motorische Schemata, Bewegungsabläufe, Emotionen, Gerüche und visuelle Eindrücke. Das tut es, um linguistischen Konzepten eine Bedeutung verleihen zu können. Bestimmte Worte bestimmen also nicht eine genau zugeschnittene Bedeutung, sondern einen mehr oder weniger großen Bedeutungsradius. Diese Macht der Metaphern wird in unterschiedlichen Forschungsrichtungen und von unterschiedlichen Autor*innen unterstrichen. Einer der renommiertesten unter ihnen ist George Lakoff, ein Linguist. Er geht sogar so weit zu sagen, dass Metaphern töten können. Dabei bezieht er sich auf die Rahmung der Regierung Bush nach dem 11. September 2001; zuerst wurde von Opfern gesprochen, dann von Verlusten – mit diesem Sprachwechsel wurde der Krieg gegen den Terror eingeläutet. Die Anschläge wurden vom Verbrechen zu einer Kriegshandlung, was dazu führt, dass die entsprechenden Gegenmittel eingesetzt wurden.
3) DIE REKURSIVE SYNTAX MENSCHLICHER SPRACHE ERMÖGLICHT MÄCHTIGE WEITERE SPRACHWERKZEUGE: NARRATIVE, GESCHICHTEN UND CO.
In einem fesselnden Sachbuch zum Thema ‚Wie Geschichten unser Leben bestimmen‘ zeigen El Ouassil/Karig (2021), dass die Möglichkeit, eine Rückbezüglichkeit innerhalb von Sätzen herzustellen, zum Beispiel durch Neben- oder Schachtelsätze, Grundlage dafür ist, dass wir entlang eines Zeitstrahls Ereignisse anordnen und wiederholen können. Grammatik ermöglicht es erst, zum einen die fiktiven Welten, die wir beim Lesen und Hören von Geschichten mental erschaffen, überhaupt zu entschlüsseln und auch selbstständig zu generieren. Syntax ermöglicht insbesondere den Ausdruck unseres linearen Zeitempfindens – also unserer Fähigkeit, chronologisch und in Kausalzusammenhängen zu denken. Im Gegensatz zu Tieren haben wir nicht nur eine Vorstellung davon, wie ein Zeitstrahl verläuft, sondern auch ein Konzept für zeitliche Koordination, für die ‚Wanns‘ auf diesem Zeitstrahl, sowie ein Gefühl für ein Davor und Danach. Unsere Kommunikation besteht in großen Teilen aus Aussagen darüber, wann Dinge passiert sind und/oder passieren werden.
Dieser kleine sprachwissenschaftliche Exkurs, der sicherlich noch um vielfältige Aspekte ergänzt werden könnte, zeigt, dass die Sprache eigensinnige Bedeutungsüberschüsse in sich trägt, die dann mit den Medienspezifika in eine Wechselwirkung treten. Besondere rhetorische Formeln und Sprachfiguren schmiegen sich organisch an bestimmte mediale Formate an, umgekehrt bilden neue Medien teilweise neue Sprachformen und -praktiken aus (Marx/ Weidacher 2020, S. 119 ff.): Es entstehen unter anderem neue Wörter und Abkürzungen, um die spezifische Temporalität des Mediums zu bedienen, hybride Kommunikationsformen zwischen mündlich und schriftlich und – besonders erwähnenswert: anders als es die Kulturkritik insinuiert, eine neue Form von Sprachsensibilität!
Vor dieser Folie haben wir einige ausgewählte Debattenbeiträge aus dem weitläufigen, noch systematischer und vor allem interdisziplinär zu beackernden Forschungsfeld versammelt: Den Anfang machen Andreas Lange und Nicole Svorc, die danach fragen, was eigentlich Familie ausmacht, wie Familie ‚hergestellt‘ wird? Sie stellen die These auf, dass Sprache hieran einen großen Anteil hat. Medien wiederum sind eine zentrale Quelle dafür, wie, also mit welcher Sprache und welchen (Sprach-)Bildern Familien sich ‚herstellen‘ und ihre familienbezogenen Wertvorstellungen entwickeln, beispielsweise, indem sie sich von medial diskutierten und mit bestimmten Begriffen konnotierten Familienbildern abgrenzen, sich diesen unterordnen oder zugehörig fühlen (wollen). Problematisch daran ist, dass die medial vermittelten Vorstellungen von Familie und ihre sprachliche Darstellung eine starke Komplexitätsreduktion bedeuten, die den vielfältigen Ausprägungen von Familie nicht gerecht wird, jedoch das Bild von Familie in der Gesellschaft beeinflusst. Vor diesem Hintergrund plädieren Lange und Svorc für eine „fürsorgliche Kommunikation“ in den Medien, durch die „Räume des Denkens und Handelns […] nicht beschränkt und eingeengt, sondern geöffnet werden“ (S. 22).
Kathrin Englert, Dagmar Hoffmann und David Waldecker nehmen sich der Frage an, ob eine gewissermaßen ‚wirkliche‘ sprachliche Interaktion mit Alexa und Co. möglich ist. Den vollmundigen Behauptungen der großen Techfirmen setzen sie die geballte Macht der theoretischen und empirischen Ressourcen der Forschung entgegen. Eine grundlegende Charakteristik der Interaktion ist dabei die großflächige Vermenschlichung, zumeist in Richtung weibliches Gattungsexemplar, die die Nutzenden vornehmen und den Sprachassistenzsystemen nicht zuletzt auch Persönlichkeitsmerkmale zuschreiben. In seinem eigenen Projekt geht das Siegener Team den subjektiven Zuschreibungen theorieanaloger Art nach, die die Menschen im alltäglichen Austausch mit Alexa und Co. entwickeln. Durchaus modifizieren demnach die Sprachsysteme den Interaktionshaushalt in vielerlei Hinsicht. Allerdings wird dieser Beitrag relativiert und es bilden sich durchaus unterschiedliche ‚Beziehungen‘ zu den Sprachgerätschaften heraus. Diese Beziehungen bedeuten auch zusätzliche Kommunikations- und Emotionsarbeit, die aber in mehr oder weniger unaufgeregtem Modus erbracht wird; schließlich sind die Geräte nicht essenziell für die alltägliche Lebensbewältigung, sondern, immerhin, ‚nice to have‘.
Auf der sprachlichen Ebene der Diskursaustragung lokalisiert Sebastian Zollner für die Gegenwart zahlreiche digitale invektive Konstellationen – womit die herabsetzende, entwürdigende Form von Kommentaren in Hate Speech, Verschwörungstheorien und Fake News gemeint ist. Als eine wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang gilt gemeinhin die Counter Speech, die Gegenrede. Der Autor zeigt auf der Basis linguistischer Überlegungen erstens die Vielschichtigkeit des Begriffs auf. Er macht unter anderem deutlich, dass die Gegenrede nicht zwingend von den Invektierten, also Betroffenen ausgehen muss, sondern es auch Fürsprache von Dritten geben kann – eine Einsicht, die nicht nur didaktisch, sondern auch zivilgesellschaftlich relevant ist. Zweitens breitet er den Fächer der Wissensbestände zu Counter Speech aus. Da ist zu nennen die sprachlich-kommunikative Realisierung in Praktiken, die auf etablierte Formeln zurückgreifen können und daher auch systematisch trainierbar sind. Ebenfalls weiterführend sind die Funktionen, die Counter Speech im Interaktionshaushalt von Gruppen, Organisationen und Gesellschaften einnehmen kann: Von der Positionierungs- über Irritationsarbeit bis hin zur Empathie und Verständnisarbeit reicht das Spektrum. Vor allem aber hat systematische, breit getragene Gegenrede das Potenzial zu verhindern, dass Vorurteile und Hassschablonen Teil des unhinterfragten, geteilten Alltagswissens, vulgo, des ‚gesunden Menschenverstandes‘ werden.
Drittens verweist Sebastian Zollner auf erfolgversprechende Möglichkeiten, sowohl in der außerschulischen Jugendarbeit, vor allem aber im Schulunterricht insbesondere sprachliche Mittel zu lehren, die einen kompetenten Umgang mit Hate Speech in der Lebenswelt der Schüler*innen ermöglichen. Guido Bröckling und Fabian Hellmuth schließlich setzen sich damit auseinander, welche Rolle Sprache in medienpädagogischen Projekten spielt. Eine Prämisse der aktiven Medienarbeit ist es, ihrer Zielgruppe, den Kindern und Jugendlichen, auf Augenhöhe zu begegnen, sich auf ihre Themen einzulassen und sie ernst zu nehmen. Das heißt auch, ihre Sprache zu akzeptieren und einen guten Weg der Kommunikation zu finden und dabei authentisch zu bleiben. In einem Kiez-Projekt in Neu-Kölln sollte mit Sprache gespielt und experimentiert werden – ‚spoken word poetry‘ sollte entstehen, wohl gewählte Worte, um sich kritisch zum Beispiel mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen und dafür Medien kompetent in Gebrauch zu nehmen. Die Jugendlichen aber wollten ein Rap-Projekt. Ihre Idole, denen sie hier nacheiferten, sprechen eine Sprache, die diskriminierend, beleidigend und grammatikalisch falsch ist. Für die Medienpädagogen bestand die Herausforderung darin, ohne erhobenen Zeigefinger mit den Jugendlichen über die Aussagen ins Gespräch zu kommen und sie zu einem kritischen Blick und zum Austausch mit anderen zu motivieren. Rückblickend reflektieren sie, inwieweit ihnen das gelungen ist und was ein medienpädagogisches Projekt ausmacht.
Die Aufsätze illustrieren, dass und inwiefern es sich zukünftig lohnt, den feinen und komplexen Wechselwirkungen zwischen Sprache als eigensinnigem System, Sprache als sozialer Praktik auf der einen Seite und den unterschiedlichen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Medien auf der anderen Seite näher unter die Lupe zu nehmen. Und das nicht nur in grundlagenwissenschaftlicher Manier, sondern mindestens ebenso intensiv in medienpädagogischer Hinsicht: im analytischen Sinne einer zu schulenden Dekodierungskompetenz für sprachliche Verführungen, Herabsetzungen und Diskriminierungen und in der Dimension der Gestaltungkompetenz als immer mitlaufende sprachliche Sensibilität bei der Produktion von Medieninhalten. Und auch hier ist Interdisziplinarität zu wünschen und produktiv. So könnten die Einsichten der kognitiven Medienlinguistik hierzu beigezogen werden. Bleibt zu hoffen, dass es in naher Zukunft zu intentional betriebenen, intensiven Verschränkungen medienwissenschaftlicher und sprachwissenschaftlicher Expertise kommt!
Dr. Susanne Eggert ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Forschung am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familie und Medien, Medien in der Frühen Kindheit, Inklusion und Medien sowie Medienwandel und Bildung.
Dr. Andreas Lange ist Professor für Soziologie an der RWU Ravensburg-Weingarten an der dortigen Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Soziologien der Kindheit, Jugend und Familie, Medienwissenschaften sowie Zeitdiagnose.
Literatur
Degele, Nina (2020). Political Correctness – Warum nicht alle alles sagen dürfen – Mit einem Vorwort von Renate Künast. Weinheim: Beltz Juventa.
El Ouassil, Samira El (2021). Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen. Berlin: Ullstein.
Marx, Konstanze/ Weidacher, Georg (2020). Internetlinguistik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Narr Francke Attempto.
mediensprache.net | Das Medienlinguistik-Portal (o.J.). www.mediensprache.net [Zugriff: 25.02.2022]
Schramm, Stefanie/ Wüstenhagen, Claudia (2015). Das Alphabet des Denkens. Wie Sprache unsere Gedanken und Gefühle prägt. Hamburg: Rowohlt.
Wehling, Elisabeth (2016). Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag.