Roman Auchter
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Roman Auchter: „Wir haben doch alles gesehen...“
Wer beruflich oder privat mit Kindererziehung zu tun hat, weiß, welche Bedeutung Fernsehen, Filme, Bildmedien allgemein für Kinder und Jugendliche haben. Er sollte deshalb nicht an Bernd B. Schmidts Die Macht der Bilder vorbeigehen.
Dieses ist ein Grundlagenbuch, das die Entwicklung der Theorie des „ganzheitlichen Ansatzes der Bildkommunikation“ zum Inhalt hat. Schmidt füllt damit eine in der Wissenschaft viel beklagte „Leerstelle“ einer nicht vorhandenen „Bildwissenschaft“ mit aus. Er beschreibt den Wahrnehmungsprozess als Bildproduktionsprozess: Jeder Mensch müsse von jeder Situation im Gehirn ein „Abbild“ derselben produzieren, welches anschließend im Gedächtnis gespeichert wird. Dieses bewusste Abbild würde dabei keineswegs vollständig die entsprechende Situation repräsentieren können, sondern sei als Verdichtung besonders bedeutungsvoller Details der unüberschaubaren Vielfalt der Gesamtsituation zu einem individuellen „Symbolbild“ dieser Situation zu verstehen. Dieses Symbolbild entstünde dabei nicht nur in Abhängigkeit von der aktuellen Situation, sondern werde auch vom „Vergleich“ mit im Gedächtnis gespeicherten Symbolbildern früherer, der aktuellen Situation ähnlichen Situationen beeinflusst. Im Weiteren erläutert Schmidt die Struktur und den Aufbau von Wahrnehmungsbildern, er legt offen, wie der Bildproduktionsprozess des Menschen und damit sein Verhalten von der Entstehung neuer Medien, insbesondere der Bildmedien, beeinflusst wird. Die neuen Bildmedien wirken nach Schmidt in erheblichem Maße beeinflussend auf menschliches Verhalten und Handeln, aber eben in erster Linie durch ihre Strukturen und nicht durch ihre Inhalte.
Das ließe für die seit „Erfurt“ aktuelle Debatte um Gewaltdarstellungen in den Medien den Schluss zu, dass das Konsumieren von Computerspielen oder Filmen nicht ursächlich für reale Gewalttaten ist. Im Gegenteil: Wer zu Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten neigt, auf den kann ein Film oder Spiel mit Gewaltszenen durchaus auch regulierend wirken. Ein Ansatz, der bewahrpädagogische Dekrete und Verbote hinter sich lässt. Die Publikation liefert Grundlagen, wie man die elterliche oder institutionelle Erziehung von Kindern und Jugendlichen auf dem neuesten Stand der Kommunikationswissenschaft anders denken könnte, die konkrete Umsetzung in Handlungskonzepte wird jedoch nicht vorweggenommen. Damit würde sich das Buch auch selbst widersprechen, denn wie sollte man in Buchform konkret interaktionelle Verfahrensabläufe vorzeichnen können, ohne die Bildlichkeiten der betreffenden Personen zu kennen?Die innovative Kraft der Publikation besteht in dem Versuch, menschliches Verhalten aus einem ganzheitlichen Verständnis der jeweiligen aktuellen Kommunikationssituation heraus zu bewerten, was eine permanente Neuordnung der personalen situativen Einstellung erfordert.
Das Buch versucht, aus der Synthese aller Verhältnisausprägungen zwischen Wahrnehmungs-, Gedächtnis-, Darstellungsvorgängen und der aktuellen Situation mit ihren unterschiedlichen Variablen die Strukturen, die Steuerungs- und Funktionsweisen des menschlichen Kommunikationsprozesses zu erklären und den ganzheitlichen Ansatz der Bildkommunikation als menschliche Fundamentalkommunikation abzuleiten.
Roman Auchter: Alle Macht den Bild-Medien?
Dass zwei oder mehr Menschen eine gemeinsam erlebte Situation niemals auf dieselbe Weise wahrnehmen , darin herrscht in den über 80 Theoremen zum Thema menschliche Wahrnehmung Einigkeit.
Umso ungeklärter ist in der Wissenschaft dagegen weitgehend die Frage, welche Bedingungen dieser Beobachtung unter Wahrnehmungsgesichtspunkten zugrunde liegen.
(merz 2004-04, S. 57-61)