Michael Bloech
Zur Person
Jahrgang 1954Studium der Soziologieseit 1982 medienpädagogischer Referent im Medienzentrum München des JFF, Ansprechpartner der FachberaterInnen für Medienpädagogik Schwerpunkte: Videoarbeit, Kinderfilm, TechnikAktuelle Projekte: In eigener Regie (Video)Aktuelle Veröffentlichung: Bloech, M./ Fiedler, F./Lutz K. (Hrsg.) (2005): Junges Radio - Kinder und Jugendliche machen Radio. kopaed MünchenAnfang, G. / Bloech, M. / Hültner, R. (2006): Vom Plot zur Premiere. Gestaltung und Technik für Videogruppen. kopaed MünchenBeiträge in merz
- Michael Bloech: Die 74. Berlinale
Michael Bloech: Die 74. Berlinale
Ein kritischer Blick auf Kunst und Kultur muss generell erlaubt sein, vielleicht scheint er im Fall der 74. Berlinale sogar gefordert. Es war die letzte Berlinale des eher glücklos agierenden Leitungs-Duos Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. Bei allem Glanz, Glamour und filmisch Gezeigtem gab es nämlich durchaus viele Kritikpunkte, die erwähnt werden sollten. Beginnen wir mit der Wahl der Sponsor*innen. Da fällt der kritische Blick auf die Firma Uber, welche die Veranstaltung angeblich mit über einer halben Million Euro gesponsert hat. Der Fahrdienstvermittler Uber fördert aktuell in Berlin massiv Kultur, obwohl Uber mit dem häufig formulierten Vorwurf der Selbstausbeutung der Lizenznehmer*innen in der öffentlichen Kritik steht und damit möglicherweise im Widerstreit zur politischen Ausrichtung der Berlinale. Bei kritischer Betrachtung könnten all diese Sponsoring-Aktivitäten Ubers als Whitewashing-Versuch gewertet werden.
Der zweite Punkt, der schon im Vorfeld ein wenig für Ratlosigkeit sorgte, war der Umgang mit Einladungen von fünf AfD-Abgeordneten zur Eröffnungsgala der Berlinale. Zwar erfolgte die Verschickung der Einladungen nicht direkt über die Berlinale, aber etwas blauäugig mutet es schon an, Politiker*innen eine Einladung zu schicken, die sich für die Auflösung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkstruktur in Deutschland massiv einsetzen. Verwunderlich ist dies vor allem, wenn berücksichtigt wird, dass viele der gezeigten Produktionen und das Festival selbst ohne die Förderung und Unterstützung öffentlich-rechtlicher Sender nicht hätten realisiert werden können. Auf Druck vieler Kulturschaffender* entschied sich die Festivalleitung schließlich, die eingeladenen AfD-Politiker*innen wieder auszuladen. Der dritte Punkt bezieht sich auf die inhaltliche Ausrichtung des Programms, die sich bekanntlich ausdrücklich als politisch begreift. Und in der Tat wurden viele Filme gezeigt, die aktuelle Themen, wie den Ukraine-Krieg, die Situation in Israel und Palästina oder die politische Situation im Iran widerspiegeln. Dennoch hat man ein mulmiges Gefühl, dass mit dem Film Die Ermittlung des Regisseurs Rolf Peter Kahl eine sehr aktuelle deutsche Produktion über den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt trotz intensiver Bemühungen des Filmteams leider nicht in das Programm genommen wurde. Gerade wegen des immer stärker werdenden Antisemitismus in Deutschland ist das bedauerlich und eine Teilnahme hätte dem Festival sicher einen positiven Impuls geben können.
Kommen wir nun zum vierten kritischen Punkt, dem der Preisverleihung. Juryentscheidungen sind sicher stets im Kern subjektiv, aber sie spiegeln auch immer ein wenig die Qualität der gezeigten Produktionen wider. Wenn ein kurzer, relativ schlichter und auch teilweise scharf kritisierter Dokumentarfilm wie Dahomey mit dem Goldenen Bären als bester Film ausgezeichnet wird, dann kann dies natürlich bedeuten, dass die anderen Produktionen weniger überzeugend waren oder aber, dass die Jury leider eine wenig kompetente Arbeit abgeliefert hat. Und tatsächlich bleiben viele der Entscheidungen unverständlich und vielleicht sogar problematisch. So kann der Preis für die ‚Beste Schauspielerische Leistung‘ für Sebastian Stan in dem Film A Different Man eigentlich nicht nachvollzogen werden, da es mit der Iranerin Lily Farhadpourin in My Favourite Cake oder mit Liv Lisa Fries in In Liebe, Eure Hilde oder auch mit Lars Eidinger in Sterben durchaus wesentlich ausdrucksstärkere Schauspieler*innen für eine Auszeichnung gegeben hätte. Zudem zeugt die Entscheidung für wenig Fingerspitzengefühl, denn der durch die Krankheit Neurofibromatose gezeichnete Schauspieler Adam Pearson sorgte mit einer fulminanten schauspielerischen Leistung in A Different Man für mehr Können als der dort prämierte Sebastian Stan. Der Silberne Bär für ‚Das Beste Drehbuch‘ wurde an den Film Sterben von Matthias Glasner vergeben. Dazu darf angemerkt werden, dass der Film zwar wirklich herausragend ist, allerdings gerade im Drehbuch durch unnötige Längen glänzt. Gänzlich unverständlich blieb der Preis der Jury für L’Empire des Franzosen Bruno Dumont, der mit einer missglückten, wenig unterhaltsamen und eher peinlichen Persiflage auf Science-Fiction Filme das Publikum und die Kritik langweilte. Allerdings verweist schon allein die Aufnahme eines Films wie L’Empire in das Wettbewerbsprogramm der Berlinale auf ein generelles Problem, denn Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter gelang es beispielsweise nicht, den Science-Fiction Film Dune: Part Two des Kanadiers Dennis Villeneuve auf die Berlinale zu holen, was für mehr internationalen Glanz gesorgt hätte.
Der letzte Punkt ist leider gravierender als alle anderen. Während der Preisverleihung kam es zu antiisraelischen Äußerungen und Genozid-Vorwürfen an Israel, die unkommentiert blieben und vom Publikum beklatscht wurden. Der Terror der Hamas gegen Israel und auch gegen die eigene palästinensische Bevölkerung blieb, bis auf ein kurzes Eingangsstatement von Mariette Rissenbeek, bedauerlicherweise unerwähnt. Dies erinnert in trauriger Weise an Probleme während der Documenta im Jahr 2022, bei denen antisemitische Ressentiments unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit zunächst unwidersprochen blieben. Für die Berlinale als Ort des Austauschs bildeten die antiisraelischen Aktionen während der Preisverleihung leider den traurigen Tiefpunkt. Die überfordert und oberflächlich wirkende Moderatorin Hadnet Tesfai hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, für eine entsprechende Einordnung der beklatschten Statements zu sorgen, aber das Programm wurde einfach weiter ‚abgespult‘. Ein Post unter dem Motto From the River to the Sea, ein paar Tage nach der Veranstaltung auf dem Instagram Account der Berlinale, wurde sofort gelöscht und hat jetzt ein juristisches Nachspiel. Fairerweise sollte ebenfalls erwähnt werden, dass die Berlinale während der gesamten Veranstaltung ein Tiny House am Potsdamer Platz zum Zweck der Verständigung angeboten hatte, um einen individuellen Dialog in der schwierigen Frage des Zusammenlebens der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung zu ermöglichen.
Kurz und knapp: Es war ein gut besuchtes Festival mit einigen, wenigen filmischen Höhepunkten, dafür jedoch mit vielen Problemen. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Leiterin der Berlinale, die gebürtige US-Amerikanerin Tricia Tuttle, eine glücklichere Hand bei der Auswahl der Filme, des Coachings der Moderator*innen und der Besetzung der Jury hat. Denn schließlich sollten interessante Filme, undogmatische Diskussionen und ein gleichberechtigter Austausch im Fokus der Berlinale stehen.
Einen Blick auf filmische Highlights der diesjährigen Berlinale geben Nicole Lohfink, Markus Achatz und Günther Anfang in den kommenden Beiträgen.
Michael Bloech ist Diplom Soziologe, Medienpädagoge und Autor verschiedener Fachpublikationen. Seine aktuellen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Film und Fotografie.
- Michael Bloech: Realität als pädagogische Herausforderung
Michael Bloech: Realität als pädagogische Herausforderung
Auf einer ärmlichen holländischen Schweinefarm in der Nähe von Utrecht verfolgt eine Kleinbauernfamilie gebannt am neuen Schwarzweiß-Fernsehgerät das aktuelle Geschehen: die erste bemannte Mondmission von Apollo 11. Die neunjährige Tochter Karo ist von diesem Vorhaben einerseits fasziniert, aber andererseits glaubt das streng katholisch erzogene und gottesfürchtige Mädchen, dass Gott eine Mondlandung nicht erlauben würde. Auch ihr Vater Mees ist von alldem und überhaupt von der gesamten neuen Technik wenig begeistert. Der alkoholkranke Mann hält das Fernsehen für Betrug und hat den Bezug zur Realität vollkommen verloren. Zwar versucht Mees verzweifelt, seine starke Alkoholabhängigkeit zu besiegen, aber immer wieder verliert er den Kampf gegen seine Dämonen. Die ganze Familie leidet unter seinen zahllosen, alkoholbedingten Abstürzen. Nur die Liebe zu ihren fünf Kindern hält Karos hochschwangere Mutter in dieser bedrückenden Situation vor einer Flucht zu ihrer in der Großstadt lebenden Schwester zurück.Alles scheint sich dennoch, dank Karos Entschlossenheit, zu einem glücklichen Ende zu fügen: Die wasserscheue Karo verspricht ihrem Vater, Schwimmen zu lernen, wenn Mees im Gegenzug mit dem Trinken aufhört. Doch ein dummer Zwischenfall während Karos Kommunionsfeier und der plötzliche Tod der Schweineherde stürzen den Vater in tiefste Depression, die im Alkoholrausch bis zur Besinnungslosigkeit endet, was wiederum bei Karo grenzenlose Wut und Verachtung hervorruft. Erst als durch die finanzielle Hilfe der reichen Tante eine neue Schweineherde gekauft werden kann, kommt der Vater zur Besinnung und will „noch einmal ganz von vorne anfangen“.
Doch das familiäre Glück währt nicht lange...„Weiter als der Mond“ ist damit zunächst vor allem ein wirklich bedrückendes, emotionales Drama. Regisseur Stijn Coninx hat einen traurig stimmenden Film realisiert, der in Punkto Wahrhaftigkeit in der Tradition der Dogmafilme steht. Allerdings dürfte gerade dies wohl Kontroversen auslösen: Kann das im Film Gezeigte Kindern überhaupt zugemutet werden, ist das alles nicht zu belastend? Doch das Schicksal, das die neunjährige Karo mit ihrer Familie durchleiden muss, mag vielleicht in der verkürzten Darstellung klischeehaft, konstruiert oder melodramatisch anmuten, dennoch ist das Gezeigte durchaus realitätsnah. Und dies erzeugt umso mehr eine nachdenklich stimmende Wirkung, als die geschilderten Problemlagen, die im Film in die 70er Jahre verlagert wurden, ohne weiteres auf die heutige Zeit übertragbar sind. Alkoholabhängigkeit, technischer Wandel, Armut und Intoleranz als negative Rahmenbedingungen familiärer Strukturen sind aktueller denn je. Das Wechselspiel widriger Bedingungen erzeugt gestern wie heute in Familien Hilflosigkeit und genau das ist der pädagogisch schwierige Kern an dieser Geschichte. Huub Stapel, der in der Rolle von Karos Vater alle Register schauspielerischer Professionalität zieht, macht nahezu körperlich spürbar, dass Alkoholabhängigkeit eine gefährliche Krankheit ist, die eine ganze Familie ins Chaos stürzen kann. Das als Craving in der Medizin bekannte Phänomen des ständigen körperlichen Verlangens nach Alkohol, das alle anderen Gedanken vollständig überlagert, wird überaus deutlich und wirklichkeitsnah filmisch in Szene gesetzt. Für Kinder ist dies beim Zuschauen natürlich eine extreme psychische Belastung. Zusammen mit der emphatischen Kamera, die stets distanzlos mitten im Geschehen ist, wird eine psychisch entlastende Distanzierung beim Zuschauen beinahe unmöglich.
Schon in der Anfangssequenz wird mit der Geburt eines Ferkels auf dieses Stilmittel eingestimmt. Nahezu dokumentarisch wird dieser Augenblick, in dem Karos Mutter mit ihren Händen den mühevollen Geburtsweg des Ferkels unterstützt, in drastischer Deutlichkeit eingefangen und verweist auf das, was nun folgt: auf die Wirklichkeit. In der Konsequenz bedeutet dies jedoch nicht, dass Kinder im Sinne einer behütenden Bewahrpädagogik vor diesem Film geschützt werden sollten. Vielmehr ist das Gegenteil richtig, ältere Kinder sollten diesen Film natürlich anschauen und diskutieren, allerdings müssen dabei die Rahmenbedingungen stimmen. Was MedienpädagogInnen schon seit langem nachdrücklich fordern, nämlich dass Kinder belastende Filme nicht alleine anschauen sollen, wird hier zur Verpflichtung. Denn nach Filmende dürften sich bei den Kindern nicht nur Fragen, sondern vor allem viele Anlässe für Diskussionen ergeben.
Weiter als der Mond
Niederlande, Belgien, Dänemark, Deutschland, 2003, 99 min
Regie: Stijn Coninx
Darsteller: Huub Stapel, Johanna Ter Steege, Neeltje de Vree u.a.
Verleih: Movienet
- Michael Bloech: Mit Vollgas auf dem Datenhighway
Michael Bloech: Mit Vollgas auf dem Datenhighway
Der gläserne Mensch?
Im Vorfeld der Expo 2000 präsentierte sich die CeBit in Hannover vor allem als innovativer Trendsetter in den Bereichen e-commerce, Internet und Telekommunikation. Bei aller Euphorie für neue Medien zeigten sich bei kritischer Betrachtung aber auch die Schwachstellen und technologischen Unzulänglichkeiten. Vor allem der vollmundig angekündigte Trend zum e-commerce, dem weltweiten Shopping im Internet, stellt sich bei näherer Betrachtung zwar durchaus als zukunftsfähig dar, aber hier von einem generellen Durchbruch zu sprechen ist wohl etwas verfrüht. So ist zur Zeit die Industrie damit beschäftigt, vor allem für mehr Datensicherheit und gute Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich zu sorgen. Das Einkaufen im Internet, seien es Konsumartikel, wie Autos, Bücher oder Unterwäsche oder eher Virtuelles wie Aktien, mag zwar trendy sein, aber dennoch besteht gerade in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit berechtigte Unsicherheit darüber, wer überhaupt was mit meinem Konsumverhalten und meinem Geld anstellt. Datensicherheit, Transparenz und weltweite Unabhängigkeit stehen sich dabei unversöhnlich gegenüber. Mehr Kontrolle des gesamten Datentransfers bedeutet natürlich auch eine Einschränkung individueller Rechte und eine Entwicklung hin zum gläsernen Menschen. Ohne Kontrolle stehen allerdings betrügerischen Manipulationen Tür und Tor offen. Es ist daher mehr als spannend zu beobachten, welche Interessen sich durchsetzen.
Fallende Preise
E-commerce ist nur dann für Verkäufer wie Käufer interessant, wenn das Medium Internet sich in technologischer Hinsicht weiterentwickelt und dabei auch noch die Kosten drastisch sinken. So kündigte beispielsweise die Deutsche Telekom für Schüler einen verbilligten Internettarif für die Nachmittagsstunden an. Arcor und andere Anbieter setzen demgegenüber auf die sogenannte flatrate, bei der dann gegen eine Monatsgebühr ohne zeitliche Einschränkungen gesurft werden kann. Das Preisgefüge ist im freien Fall, eine Entwicklung die vergleichbar der Situation auf dem Strommarkt ist.
Auswirkungen von Powerline
In technologischer Hinsicht wurden in Hannover gleich mehrere Alternativen zu der herkömmlichen Telefonleitung präsentiert. Bei diesen Varianten erreicht man den Anschluß an die Datenautobahn entweder via Satellit, z.B. mit ASTRA, oder mittels Powerline-Adapter über eine in jedem Haushalt vorhandene Steckdose. Der Satellitenanschluss ermöglicht gegenüber einer gewöhnlichen ISDN-Telefonleitung einen wesentlich schnelleren Bildaufbau und die Powerline-Variante macht einfach wesentlich unabhängiger, was den Anschluss und die Vernetzung von Rechnern anbetrifft. Powerline ist zur Zeit noch in der Entwicklung und Erprobungsphase, soll aber bereits Mitte des Jahres verfügbar sein und eine gegenüber ISDN 16-fache Geschwindigkeit besitzen. Neben einigen Stromanbietern wie RWE oder Preussen Elektra ist beispielsweise auch Siemens an dem Projekt beteiligt. Gelingt es der Powerline-Gruppe das System tatsächlich zu etablieren, dann ist sowohl das Telefonieren als auch die Intnernetnutzung über die Powerline-Adapter von jeder Steckdose aus prinzipiell möglich. Die Auswirkungen auf die Deutsche Telekom sind dabei erheblich, da das Monopol auf die sogenannte letzte Meile, den Anschluss im Haus durch die Telekom, dann ebenso elegant wie trickreich umgangen wird. In diesem Zusammenhang wird vielleicht auch verständlich, warum die Stromfirmen so intensiv um Kunden werben, es geht um die Märkte der Zukunft.
Mit Richtfunk ins Internet
Um aber eine gewisse Unabhängigkeit von der Telefondose zu gewährleisten und das lästige Kabelgewirr bei vernetzten Rechnern überflüssig zu machen, haben die klassischen Telefonfirmen sich auf einen, den drahtlosen Telefonen (DECT) angelehnten Standard geeinigt. Mit kleinen Sendeempfängern ist der Aufstellungsort eines Rechners einigermaßen flexibel und ein Arbeiten am Rechner im Internet noch in cirka 200 Meter Entfernung zur Telefondose möglich. Es gibt aber noch eine ganz andere Methode ins Internet zu gelangen, nämlich ähnlich der guten alten Richtfunk-Technik, die bei den Handys seit Jahren Verwendung findet. Damit aber der bei allen Handys gebräuchliche GSM-Standard (GSM = global system for mobile communications) überhaupt internetfähig wird, war eine Weiterentwicklung notwendig. Mit dem Namen GPRS (general packet radio service) präsentierten sehr viele Firmen eine dieser neuen Technologien. Nutznießer dieser Technik sind die WAP-Handys (WAP = wireless access protocol), die gerade aktuell angeboten werden und das Handygeschäft nochmals kräftig beleben sollen.
Jetzt ist das Handy endgültig zum Multimedia-Gerät geworden, neben Datenbank, Terminkalender, Telefonieren und Senden und Empfangen der SMS-Kurznachrichten (SMS = short message service) kann man sich mit einem WAP-Handy auch ins Netz der Netze einloggen. Dennoch kann zur Zeit keines der vorgestellten WAP-Handys tatsächlich überzeugen, zu umständlich und zeitraubend ist die Bedienung. Außerdem ist die Kostenseite noch völlig ungeklärt und die Internet-Seiten bauen sich sehr langsam auf. Diese Mini-Seiten sind natürlich auch vom Angebot und Umfang her ganz erheblich eingeschränkt, d.h. auf Kurztexte reduziert. Was allerdings noch gravierender sein dürfte, ist die Tatsache, dass wegen der langsamen Datenübertragung dieser Weg ins Internet nicht gerade eine kostengünstige Variante darstellt. Einige Anbieter versprechen daher ab Mitte des Jahres eine Änderung, bezahlt wird dann nicht nach der Dauer der WAP-Internetnutzung, sondern lediglich das jeweilige Einwählen auf eine WAP-Seite. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass diese Handys wohl kaum Zukunft haben werden. Die Möglichkeit allerdings, über Richtfunk sich ins Netz einzuwählen, wird bei konsequenter Weiterentwicklung besonders für Laptopbenutzer interessant werden.
Kino-Freuden
Neben den ein wenig umständlichen WAP-Handys gab es für die 750.000 Besucher jede Menge anderer technischer Kuriositäten und interessanter Weiterentwicklungen: U.a. miniaturisierte MP3-Player, mit denen kostenlos Musik aus dem Internet gezogen wird, extrem kleine oder lichtstarke Datenbeamer, digitale Videokameras mit integriertem Drucker für Standbilder des gerade aufgenommenen Videofilms, hochauflösende digitale Fotoapparate oder überaus funktionale Multimedia-Hard- und Software, mit der Videos unkompliziert bearbeitet werden können. (Mit der aktuellen digitalen Videoschnitt-Technik wird sich eine der nächsten Ausgaben von merz eingehender beschäftigen).
Neben all diesen digitalen Wunderwelten bildeten sich an einem Stand besonders große Menschentrauben. Hier gab es keinen digitalen Schnickschnack, sondern Kino, allerdings mit beweglichen Sitzen und dreidimensionalen Bildern. Und obwohl es sich bei dem Inhalt des Films lediglich um Produktwerbung handelte, konnte man fast den Eindruck gewinnen, dass die Besucher hier besonders zufrieden waren.
- Michael Bloech: Kurs in Schnitttechnik
Michael Bloech: Kurs in Schnitttechnik
Lernprogramm für digitale Tonbearbeitung am Cutmaster(WIN 95 - Produktion: Mediafant - KoPäd Verlag, München 2000 - Autor: Andreas Klug - Herausgeber: Medieninstitut der Pädagogischen Hochschule Freiburg - 39,- DM ISBN 3-934079-26-1)
Die Produktion von Audio- und Radiobeiträgen wird inzwischen am PC erledigt, die gute alte Tonbandmaschine hat ausgedient. Im vielfältigen Angebot der Computerprogramme für den Audioschnitt hat sich inzwischen im professionellen Radiobereich der sogenannte Cutmaster etablieren können. Mit einer speziellen Hardware, die in den Rechner eingebaut wird und einer dazugehörigen Software lassen sich professionelle Resultate im Audiobereich relativ einfach erzeugen. In vielen Radiostudios stehen deshalb mit Cutmaster-Technik bestückte Rechner.Für alle, die keine Lust haben, sich durch das nicht sehr benutzerfreundliche Cutmaster-Handbuch durchzuarbeiten, ist jetzt das Lernprogramm „Der Weg zum digitalen Schnitt“ auf einer CD-ROM erhältlich.
Mit dieser Lern-Software ist es möglich, auch ohne den Besitz eines Cutmaster-Rechners, sich über die Vorteile des Programms zu instruieren, die Handhabung im Selbststudium zu erproben und in gewissen Grenzen auch zu erlernen.Nach einem kleinen Test, der den Wissensstand des jeweiligen Anwenders prüft, wird von der Software ein individuelles Lernprogramm zusammengestellt. Dann hangelt man sich durch das Programm mit all seinen Möglichkeiten, Kniffen und Handicaps. Die Übungsbeispiele sind vorgegeben und können nicht mit eigenem Material variiert werden, was vor allem daran liegt, dass eben die dazu notwendige Technik in den meisten Fällen nicht vorhanden ist. Besonders interessant ist das integrierte Lexikon, das die entscheidenden Begriffe der digitalen Audiobearbeitung verständlich erläutert. Auch ist es möglich, den vorgeschlagenen Kursverlauf zu verlassen und sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Dennoch, aber das ist ja ein generelles Manko sämtlicher Lernsoftware, ist der Freiraum individueller kreativer Arbeit eingeschränkt. So lassen sich mit dem Lernprogramm sicherlich erste Erkenntnisse im Umgang mit der Cutmaster Technik gewinnen, doch ein intuitiver, kreativer und souveräner Umgang mit dem Programm ergibt sich erst dann, wenn an einem eigenen Produkt gearbeitet wird.Ein kleiner Trost am Rande für alle diejenigen, die sich den Cutmaster nicht leisten können oder wollen: im Audiobereich gibt es inzwischen viele günstige, leistungsfähige Audiobearbeitungsprogramme, mit denen Audiobeiträge über die im Rechner vorhandene normale Soundkarte ebenso problemlos in den Rechner geladen, dort geschnitten, mit anderen Sounds arrangiert und schließlich auch wiedergegeben werden können. Nur ist die Handhabung derartiger Software meist inkompatibel mit der des Cutmasters, so dass sich die Lernsoftware zwar dafür eignet, bestimmte Grundbegriffe zu erlernen, aber letztlich nur dem Anwender des Cutmasters nutzt.
- Michael Bloech: Jenseits von Eliten und PISA
Michael Bloech: Jenseits von Eliten und PISA
Berlin im morgendlichen, grauen Spätsommerlicht: Nach den langen Sommerferien beginnt wieder der Schulunterricht. So auch für Marvin, der die Grundschulklasse 5d der Berliner Fläming Schule im Stadtteil Friedenau besucht.Friedenau ist kein klassisches Problemviertel, aber eben auch kein Villenvorort. Und genau der Alltag in dieser Berliner Grundschulklasse steht im Zentrum des Dokumentarfilms „Klassenleben“ von Hubertus Siegert. In der Fläming Schule geht es nämlich darum, sowohl hochbegabte als auch schwerstbehinderte Kinder in einer gemeinsamen Klasse zusammenzuführen. Ein radikal integratives Konzept also, weit entfernt vom klassischen Sonderschulunterricht oder dem Modell von Eliteschulen mit leistungshomogenen Klassen. Im Zeitalter von PISA und Diskussionen um Eliteausbildung präsentiert der Film damit einen mutigen und konsequenten Gegenentwurf. So gesehen ist „Klassenleben“ in seinem Kern radikal, lehnt er doch das Prinzip der Selektion und individualisierter Leistungserbringung ab.
Der Film „Klassenleben“ ist vielmehr ein engagiertes Plädoyer für eine Schule, die das Experiment „Integration“ wagt. Dabei ist „Klassenleben“ bei weitem keine effekt-heischende, schnell abgedrehte Kurzdoku, sondern genau das Gegenteil. Wie schon beim preisgekrönten französischen Dokumentarfilm „Sein und Haben“ von Nicolas Philibert begleitete auch Hubertus Siegert „seine“ Klasse über ein gesamtes Schuljahr. Die Kamera ist dabei konsequent in Augenhöhe der Kinder, auf belehrende Kommentare und langweilige Statements der Lehrkräfte wird verzichtet. Schnell wird deutlich: Hier kommen die Kinder, wie die Schülerin Luca, selbst zu Wort: „Ich wünsche mir, dass ich morgens aufwache, und ich bin Lehrerin ... und Frau Haase (ihre Lehrerin, A. d. A.) wacht in ihrem Bett auf und ist eine Schülerin“. Immer wieder erzählen die Kinder von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und geben so einen lebendigen Einblick in ihren Schulalltag und auch in ihr Leben. Ganz allmählich entsteht so ein sensibles und sehr spannendes Portrait von fünf Kindern, wie z.B. vom lernbehinderten Marvin, der später einmal Feuerwehrmann werden möchte, um Menschleben zu retten oder von Christian, dem Klassenprimus, der bald feststellen muss, dass mit Überheblichkeit vieles einfach nicht zu lösen ist.Doch der Film zeigt auch, dass dieses Projekt harte Arbeit bedeutet. Meist ist neben der Lehrerin zumindest noch eine weitere Pädagogin in der Klasse anwesend, um die SchülerInnen zusätzlich zu betreuen, um auf sie einzugehen und ihnen Sicherheit zu geben. Allerdings ist nicht alles im Film frei von Konflikten, hier wird keine heile Welt vorgegaukelt. Es werden jedoch Wege aufgezeigt, mit Problemen fertig zu werden.
Am Beispiel von Christian, dem Neuen in der Klasse, der sich in die Rolle des Außenseiters drängen lässt, wird deutlich, wie wichtig es für Lehrkräfte ist, nicht vorbeizuschauen, wenn Kinder in der Klasse Probleme haben. Es wird deutlich, dass es sich lohnt, pädagogisch einzugreifen und mit den Kindern gemeinsam an einem Konflikt zu arbeiten. Alle Kinder erleben Höhen und Tiefen des Schulalltags, sie müssen erfahren, was es bedeutet in der Gruppe zu arbeiten und andere leistungsschwächere Kinder zu motivieren und zu unterstützen. Sie erfahren die Mühen des Lernens jedoch nicht als isolierte individuelle Leistung, sondern als kollektive Begegnung. Doch mit welchen Mitteln vermag der Film das Publikum zu fesseln? Was zunächst im Film sehr angenehm auffällt, ist der Mut, die Kamera nicht abzuschalten und die Kinder zu begleiten. Ohne jeglichen Voyeurismus bleibt die Kamera dicht am Geschehen: wenn Konflikte aufbrechen, wenn geschrien, geweint oder wenn ein Arm zärtlich berührt wird.
All dies sind emotionale Augenblicke, die deutlich machen, wie eng der Film mit dem Alltag der Kinder verwoben ist, wie sehr er das Thema Kinder und Schule ernst nimmt.Dann ist da die Perspektive der Kamera, die gleichsam mit den Augen der Kinder das Geschehen verfolgt. Insgesamt wirkt damit der Stil des Dokumentarfilms schlicht und fast ein wenig kühl, auch die Musik ist angenehm unaufgeregt. Einzig eine Szene setzt sich von dieser unaufdringlichen Ästhetik ab: Am Ende gibt es eine kleine Geburtstagsszene, bei der Jacqueline der im Rollstuhl sitzenden, schwerstbehinderten Mitschülerin Lena eine Musik-CD der Popgruppe ABBA schenkt. Der unbeschwerte, ein wenig naiv wirkende Song „Dancing Queen“ scheint so wenig zu dem sonst asketisch anmutenden Musik- und Toneinsatz zu passen, dennoch vermittelt diese spontan entstandene heitere Szene ein weiteres Mal, wie nah der Film den Kindern ge-kommen ist.
Offenbar völlig ohne die Kamera wahrzunehmen feiern die Kinder und schieben Lena im Takt des Songs durch den Raum. Die Kamera verweilt dabei sehr lang auf Lenas Gesicht: ein wirklich bewegender Moment augenblicklichen Glücks. Vielleicht macht diese Intimität, die Kameraperspektive und auch die Ehrlichkeit den Film für ein junges Publikum interessant und spannend, erfahren sie doch hautnah von der Utopie einer Lehrerin, die auch mal ihre Notengebung überdenkt, von der Utopie einer Klassengemeinschaft, bei der nicht jeder für sich, sondern alle zusammen lernen und von einer Utopie, bei der alle von der Klassengemeinschaft letztlich profitieren. So gesehen ist der Untertitel des Films exakt gewählt: Wir können auch anders!
Klassenleben – Wir können auch anders!
Deutschland 2005, 87 Min.
Regie: Hubertus Siegert
Produktion: S.U.M.O Film
Verleih: 35mm Piffl Medien
- Michael Bloech: Im Dschungel des Netzes
Michael Bloech: Im Dschungel des Netzes
Websites zu medienpädagogischen Projekten oder interessanten Internetangeboten für Kinder und Jugendliche zu finden ist zum einen mittels üblicher Suchmaschinen relativ einfach und zum anderen aber auch leider unendlich schwierig. Zum Beispiel finden sich bei der Metasuchmaschine www.google.de über 4000 Einträge zu dem Thema Medienpädagogik.
Die Vielfalt erschlägt einen dann förmlich, oder man stößt immer wieder auf dieselben Adressen. Auch ist es leicht möglich, dass wichtige Adresse übersehen werden. Deshalb bleiben die folgenden Webadressen selber letztlich zufällig und sollen eher als erste Anknüpfungsversuche für weitere eigene medienpädagogische Exkursionen durch das Netz gelten. (merz 2001-02, S. 104-106)
- Michael Bloech: Heidi - Johanna Spyris Evergreen
Michael Bloech: Heidi - Johanna Spyris Evergreen
Manche Filme haben es zunächst relativ leicht und dann doch unendlich schwer, so wohl auch der neue Versuch, Johanna Spyris weltberühmten Roman neu zu verfilmen. Im „Heidi-Jahr“ dürfte es angesichts des 100. Todestages der Schweizer Schriftstellerin für den renommierten eidgenössischen Filmemacher Markus Imboden relativ einfach gewesen sein, Fördermittel für die Produktion seines Films zu akquirieren. Schaut man ins Internet, dann finden sich prompt mannigfaltige Hinweise, dass die Schweizer Tourismusbranche zwar nicht direkt in Imbodens Film, aber dafür intensiv in das Gesamtprojekt „Heidi“ investiert hat: Unter www.myheidi.ch loggt man sich beispielsweise beim Tourismusverband Graubünden ein und kann sich über allerlei Touristisches im „Heidiland“ informieren. Nur sollte man es vermeiden, einfach nur den Begriff Heidi in Suchmaschinen einzugeben, weil man dann möglicherweise auf den Seiten eines weltbekannten Modells landet.Der filmische Heidi-KultWelche Großeltern oder Eltern erinnern sich nicht an Gustav Knuth mit seiner großartigen knorrigen Stimme in der Rolle des Alpöhis in einer mehr als populären deutsch-österreichischen Verfilmung von Werner Jacobs aus dem Jahr 1965. Die Verbreitung des Films erfolgte nach der erfolgreichen Kinoauswertung über das relativ neue Medium Fernsehen.
Der Film „Heidi“ wurde damit zu einem Sozialisationselement gleich mehrerer Generationen. Wobei er vor allem Mädchen und natürlich deren Eltern angesprochen hat. Der herzergreifende Film wurde zum Kultobjekt eines Massenpublikums im deutschsprachigen Raum und gleichzeitig zum Angriffspunkt der Filmkritik, die mit dem Begriff Kitsch den Heidi-Kult zu desavouieren versuchte. Dieser Kult ist aber nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern tatsächlich ein weltweites. Die ‘Globalisierung’ Heidis begann filmisch bereits 1920 in den USA mit einer Stummfilmproduktion und zieht sich heute bis nach Japan, wo Heidi-Zeichentrickserien im Fließbandverfahren produziert wurden und werden. Der erste der Heidi-Romane erschien 1880 und wurde in über 40 Sprachen mit einer Gesamtauflage von ebenso vielen Millionen übersetzt, und weltweit existieren über zehn Verfilmungen.Natur und EmanzipationAnkerpunkte des Erfolgs sind wohl hauptsächlich zum einen die Darstellung der Liebe zur Natur und zum anderen der Emanzipationsgedanke. Der modernen Technikgesellschaft mit all ihren bedrohlich wirkenden Veränderungen und Verunsicherungen wird die intakte Natur der Schweizer Bergwelt entgegengesetzt. Dieses Motiv besitzt auch nach 120 Jahren noch immer - unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt - Bedeutung.
Tschernobyl, BSE oder Aids bilden dabei die exponierten Schlaglichter, die eine Rückbesinnung auf eine unberührte Natur als Wunschgedanken fördern. Doch längst ist die Welt der Alpen von Autobahnen und Seilbahntrassen durchschnitten, BSE dringt selbst in die einsamsten Alpendörfer vor und der Fremdenverkehr ist zur Industrie mutiert. Und dann ist da noch der Emanzipationsgedanke, personifiziert durch ein Mädchen, das ihre psychische und auch existentielle Krise aus eigener Kraft überwindet. Motor in dieser Bewältigungsstrategie ist ihr ungebremster Optimismus, ihre absolute moralische Integrität und ihre Fähigkeit zur absoluten Liebe. Da es Heidi gelingt, das Herz ihres Großvaters durch ihre liebenswerte, unbekümmerte Art zu erweichen, löst sie auch ihre eigenen Probleme. Der Sprung in die JetztzeitAn diese ‘Ankerpunkte’ knüpft auch die Neuverfilmung an und versucht eine zeitgenössische Präsentation: Mountainbikes, SMS und E-mail werden von den Kids in dem Schweizer Bergdorf mit entwaffnender Selbstverständlichkeit genutzt. Schwer hat es daher der Film vor allem bei dem Publikum, die sich an das vermeintliche Original aus den 60er Jahren erinnert und die sanften Modernisierungen nicht verkraften oder akzeptieren will. Aber die Grundkonstellation ist selbstverständlich gleich geblieben: Heidi zieht nach dem Tod ihrer Mutter auf einen wildromantisch gelegenen Einödhof zu ihrem verbitterten, eigenbrötlerischen Großvater. Der ist nicht gerade begeistert, findet aber durch Heidi den Weg aus seiner Isolation. Doch das Glück währt nicht lange, denn die Tante holt das Mädchen zu sich in die hektische Großstadt. Dort ergeben sich massive Konflikte mit der von der Tante vernachlässigten Tochter, die eifersüchtig wird. Schließlich macht sich Heidi in einer Nacht heimlich auf den Weg zurück zu ihrem geliebten Großvater. ZwiespaltNatürlich sind die Berge beeindruckend, Heidi ist wirklich liebenswert, der Alpöhi störrisch und die Tante wunderbar modern, d.h. von Arbeitswelt und Familie überfordert. Alles funktioniert, dennoch hat es genau damit der Film nicht einfach. Zu sehr muss er mit den Klischees eines intakten Heimat- und Naturbegriffs kämpfen. Der Entwurf von Gegenwelten ist eben nicht unproblematisch, zumal er wie in diesem Fall rückwärtsgerichtet ist und sich die gewünschten Zustände wohl nicht mehr realisieren lassen.Imbodens Film behandelt natürlich auch das Hauptmotiv des Romans, das junge Mädchen, das aus eigener Kraft seine bedrückende Situation meistert. Hier wird deutlich, warum auch diese Neuverfilmung wohl Jungens nicht so gut gefallen wird: einmal geht es um ein starkes Mädchen, dessen Freund, der junge Peter, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Und dann wird wohl auch die immanente Technikangst die prämännlichen Phantasien einer perfekten modernen Gesellschaft etwas ins Wanken bringen. Schließlich ist da noch der emotionale Aspekt: in einer Zeit, in der es cool ist, als Mann oder Junge keinerlei Gefühlsregungen zu zeigen, kommen die Tränen, die auch diese Filmfassung beim Betrachten erzeugt, dieser Zielgruppe sicherlich nicht gelegen.
P.S.
Ein paar Surftipps mit Ernsthaftem und Kuriosem zur Autorin Johanna Spyri und deren Romanfigur Heidi:
www.graubuenden.ch/d/aktuell/heidi.php3
- Michael Bloech: Gute Laune und viel Gefühl
Michael Bloech: Gute Laune und viel Gefühl
Schickes StylingNach „Charlie & Louise – Das doppelte Lottchen“ von Joseph Vilsmaier und „Pünktchen und Anton“ von Caroline Link kommt jetzt die dritte Neuverfilmung eines Erich Kästner-Kinderbuch-Klassikers in die Kinos. Da der Produzent Peter Zenk auch noch die Rechte an „Das fliegende Klassenzimmer“ erworben hat, befindet sich der vierte Kästner-Film in Vorbereitung.
„Emil und die Detektive“ ist die wohl gelungenste Adaption in der aktuellen Reihe der Kästner-Verfilmungen. Ohne respektlos mit dem Kinderbuch aus dem Jahr 1928 umzugehen, hat die Drehbuchautorin und Regisseurin Franziska Buch die inzwischen nostalgisch anmutende Romanvorlage angenehm modernisiert. Der Film besitzt Tempo, Witz, Gefühl, Spannung und eine gehörige Portion Zeitgeist. Der inzwischen obligatorische Scooter (früher Tretroller genannt), das Handy oder der Laptop fehlen dabei ebenso wenig wie die Kreditkarte oder der Auftritt im schicken Restaurant. Geboten wird eine gehörige Portion Musik und coole action, die Kindern sicher gefallen wird. Geblieben ist das Ernsthafte der Vorlage, das Gefühl für Gerechtigkeit, das Engagement für die Belange der Kinder, das Streben nach Solidarität der Kinder untereinander und das Mitfühlen am Schicksal von Kindern aus gescheiterten Beziehungen.
Veränderte Details
Franziska Buch siedelt die Story in den bekannten klassischen Milieus Kästners an, deren Dynamik sich aus dem Zusammentreffen konträrer Lebenswelten entwickelt: sei es der Gegensatz Großstadt - Land, oder sei es das Aufeinanderprallen von Ost und West, oder seien es einfach nur die finanziellen Unterschiede. All diese Widersprüchlichkeiten treiben mit ihrer entsprechenden Dynamik die Geschichte von Emil und den Detektiven voran. Der Story verleiht das eine gewisse Realitätsnähe und macht das Zuschauen einfach interessant. Reichtum ist dann nicht per se verwerflich und Armut adelt dann eben nicht immer, von daher ist diese Kästnersche Welt in diesem Film eine mit Ecken und Kanten. Gänzlich anders als in der Vorlage sind die Rollen Gustavs mit der Hupe und Pony Hütchens gezeichnet. Ein Mädchen im 21. Jahrhundert hat einfach eine andere gesellschaftliche Rolle als eines in der ersten Hälfte des 20. In der großartigen UFA-Produktion von 1931 wird die Kinderbande noch von einem Jungen, dem frechen Gustav mit der Hupe geleitet - heute ist es Pony Hütchen, die burschikos und unangefochten die Kindergang anführt. Mit Berliner Schnauze, viel Einfühlungsvermögen und einer anständigen Dosis Mut gewinnt sie das Vertrauen und auch die Freundschaft von Emil, der ein Neuling in der großen Stadt ist. Deshalb muss Gustav konsequenterweise mit Pony Hütchen die Rollen tauschen, jetzt ist er der „Brave“, der in Berlin bei seiner überfürsorglichen Mutter (Maria Schrader) in einer repräsentativen Villa wohnt. Der Dieb wird gestelltIm Gegensatz dazu lebt der zwölfjährige Emil mit seinem arbeitslosen Vater in einem Provinzkaff an der Ostsee. Seit der Scheidung wird Emils Vater förmlich vom Pech verfolgt und das Geld ist mehr als knapp. Wie bei Kästner wird aber nicht auf die Mitleidsdrüse gedrückt, im Gegenteil.
Der Vater (Kai Wiesinger) ist mehr als sympathisch und irgendwie Lebenskünstler, der immer auch an sich selbst und natürlich an seinen, wie er sagt, großartigen Sohn glaubt. Als Emil nach einem selbstverschuldeten Autounfall des Vaters nach Berlin zur wohlhabenden Schwester seines Lehrers geschickt wird, entwendet der dubiose Max Grundeis (Jürgen Vogel) im Zugabteil dem vertrauensseligen Jungen mit einem gemeinen Trick sein mühsam gespartes Geld. Jürgen Vogel ist dabei, wen mag es verwundern, einfach umwerfend diabolisch. Er versteht es meisterhaft, neben all den bösen Seiten der Person auch leise selbstironische Züge zu verleihen.Emil hat das Ersparte deshalb mitgenommen, um in der Großstadt einen gefälschten Führerschein zu erwerben, da seinem Vater der Führerschein entzogen wurde, er aber für seinen zukünftigen neuen Job dringend auf diesen angewiesen ist. In Berlin angekommen, heftet der Junge sich an die Fersen von Max und erhält bald Unterstützung von der zwölfjährigen Pony Hütchen und ihrer Gang. Gemeinsam observieren sie den Dieb und verfolgen ihn bis zu dem noblen Hotel Adlon, wo sich der zwielichtige Halunke einmietet. Dann überschlagen sich förmlich die Ereignisse, eine dramatische Jagd nach dem Geld und nach einem mysteriösen Koffer voller Juwelen quer durch Berlin beginnt.
Am Ende zuviel GlückBesonders gelungen sind die Szenen, in denen Emil und Pony alleine agieren und dabei ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Tobias Retzlaff in der Rolle des Emil ist eine wahre Entdeckung. Sehr glaubwürdig und mit viel Natürlichkeit verkörpert er den netten sympathischen Jungen. Im Gegensatz dazu wirken die Szenen, in denen die Kindergang auftritt, seltsam konstruiert und ein wenig bemüht. Ihren Charme entwickeln die ‘Massenszenen’ immer nur dann, wenn sie videoclipartig montiert werden. Die temporeiche Jagd durch das mondäne und dann wieder ärmliche Berlin wird souverän von Kameramann Hannes Hubach in Szene gesetzt.
Bei aller Action kommt der Humor nicht zu kurz. Anders jedoch als bei „Pünktchen und Anton“ wird Humor für Kinder nicht mit Albernheit verwechselt. Mit augenzwinkerndem Witz wird die Geschichte erzählt und dabei wird auch das ‘Gefühl’ bedient. Vor allem die Szenen zwischen Vater und Sohn sind so voller Sentiment, dass sie gefährlich nah an den Kitsch kommen, die peinliche Grenze dann aber doch nicht überschreiten. Zu guter Letzt ist alles wieder im Lot, so wie es sich für einen Kinderfilm gehört. Der Dieb ist im Gefängnis, das Geld wieder da, der Vater bekommt einen lukrativen Job und eine Belohnung für die Juwelen im Koffer gibt es obendrein. Bei aller Freude über das glückliche und vorhersehbare Happy End wird die Story dann leider ein wenig überstrapaziert. Wie in der Anfangseinstellung sehen wir Emil in den romantischen Dünen der Ostsee beim Versteckspiel mit seinem Vater, doch jetzt findet er nicht nur ihn, sondern gleich die ganze Berliner Gang samt Pony Hütchen. Das wäre noch im Rahmen, wenn nicht auch noch Emils Vater die Mutter von Gustav verliebt im Arm hielte. Weniger ist bekanntlich oft mehr, dennoch bleibt beim Abspann das Gefühl, wieder einmal einen guten unterhaltsamen Kinderfilm gesehen zu haben. Und wer sich jetzt ärgern sollte, dass das Ende hier verraten wurde, dem sei zur Beruhigung gesagt, dass es bis zu dem überglücklichen Finale viel Überraschendes und Turbulentes zu erleben gibt.
- Michael Bloech: Freundschaften wider Willen
Michael Bloech: Freundschaften wider Willen
„Ice Age“ ist im nicht mehr ganz so jungen Kinojahr 2002 einer der bisher kommerziell erfolgreichsten Filme in Deutschland. Lag es an der peppigen Trailer-Werbung, die raffinierterweise vor Blockbustern wie „Herr der Ringe“ geschaltet wurde? Der zweite Marketing Schachzug war die Idee, dabei keinen inhaltsleeren Trailer mit Versatzstücken der besten Szenen des Film anzubieten, sondern einen witzigen Kurzfilm, einen Teaser, zu präsentieren, mit einer in sich abgeschlossenen Handlung. Der dritte, raffinierte Trick war die Veröffentlichung dieses Kurzfilms im Internet, der ein häufiges Downloaden nach sich zog. Erstaunlich ist dabei, dass der Held dieses Kurzfilms - eine überaus hektisch agierende Kreuzung aus Eichhörnchen und Ratte - in dem Film lediglich als ‚Running Gag’ eingesetzt wurde. Die Illusion der prähistorischen Welt in „Ice Age“ lehnt sich nicht an Bilder einer realistischen Fernsehdokumentation an, sondern baut optisch eher auf die Tradition des klassischen Zeichentrickfilms. „Oscar“-Preisträger Chris Wedge, Regisseur von „Ice Age“, setzt dabei auf eine Reduzierung der Bildelemente und eine Konzentration auf das Wesentliche. Seine Figuren verkörpern ihre jeweiligen Charaktereigenschaften. So besitzt einer der beiden Protagonisten, das Mammut Manfred, ein aufwändig animiertes Fell, das durch seine bulligen Körperbewegungen und das jeweilig einfallende Licht zum Streicheln verführen soll. Die Bildhintergründe sind dreidimensional gestaltet und bestechen durch eine perfekt durchkomponierte Lichtdramaturgie. Die extremen Hell-Dunkel-Kontraste dürften dabei einer Zweitauswertung auf Video oder DVD nicht gerade förderlich sein.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass hier eindeutig auf eine Kinoprojektion gesetzt wurde und keinerlei Kompromisse bei der Bildgestaltung eingegangen wurden. Ganz ähnliche Wege beschreiten - mit einer Verbeugung vor dem klassischen Zeichentrickfilm - Dreamworks und Produzent Jeffrey Katzenberg mit dem neusten Filmprojekt “Spirit – der wilde Mustang“. Werbewirksam bewegt sich „Spirit“ dabei im Fahrwasser des ebenfalls bei Dreamworks produzierten Oscarpreisträgers „Shrek“. Mutig wird versucht, die oft steril wirkende Computeranimation durch eine Verknüpfung der kalten Rechnerbilder mit Handzeichnungen aufzuweichen. Konkret wird dabei eine opulente computergenerierte, dreidimensional wirkende Hintergrundlandschaft mit seltsam flach wirkenden Handzeichnungen verschmolzen. Die Pferde und Menschen wirken merkwürdig zweidimensional und in ihren Bewegungen hölzern. Positiv gewendet könnte man dies als nostalgischen Effekt würdigen, dennoch passen die zwei Stilelemente, die jeweils die Handlungs- und Hintergrundebene miteinander verflechten, nicht harmonisch zusammen. Ein weiterer ziemlich mutiger Versuch bei „Spirit“ ist, die Filmwirkung permanent durch eine dominante, nahezu aufdringliche Musik zu untermauern. Im englischsprachigen Original ist das noch zu akzeptieren, denn hier verleiht Brian Adams rustikale und durchaus charismatische Rock-Stimme „Spirit“ eine gewisse ‚Power’. Bei der deutschen Synchronfassung misslingt dies vollends.
Zum einen wirken die Texte in ihrer Übersetzung rundweg platt, zum anderen ist Hartmut Engler, der Leadsänger der Rockgruppe PUR, mit seiner hohen Stimme hoffnungslos überfordert, die kernigen Durchhalteparolen des Films überzeugend zu transportieren. Ganz anders dagegen „Ice Age“: auf die bei Kindern meist so verhassten musicalartigen Tanz- und Gesangsszenen wird fast ganz verzichtet. Lediglich in einer Musikszene treten die tölpelhaften Dodo-Vögel auf; ihre mangelnde Intelligenz führte denn auch dazu, dass sie ausgestorben sind; ein feiner, intellektueller Seitenhieb auf Disneyproduktionen, die bekannterweise davon ausgehen, dass sich die Gesangszenen beim Publikum einer gewissen Beliebtheit erfreuen.Doch nicht nur die technische und ästhetische Machart, sondern die Story ist letzlich entscheidend für den Erfolg eines Films. „Ice Age“ erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen dem riesigen störrischen Mammut „Manny“ Manfred und dem trägen, schusseligen Faultier Sid. Während alle Tiere vor der drohenden Eiszeit in die Wärme flüchten, schlägt Manny trotzig die Gegenrichtung ein und trifft auf Sid, der von den anderen Tieren mutwillig vergessen wurde. Sid drängt sich Manny als Begleiter auf, um endlich einen großen starken Beschützer zu haben. D
och das riesige Ungetüm ist von Sids ständigem Gequassel genervt und will den Störenfried so schnell wie möglich los werden. Schließlich stoßen die beiden ungleichen Tiere auf ihrer Reise an einem Flussufer auf ein Neandertalbaby, das von seiner Mutter vor einer Gruppe Säbelzahntiger in Sicherheit gebracht werden sollte. Doch den Sturz in das eiskalte, reißende Wasser überlebte die Mutter nicht, so dass das Kleine allein auf sich gestellt den Gewalten der Natur ausgesetzt ist. Am Fluss nimmt aber auch der Säbelzahntiger Diego, der seinem Rudelführer Soto das Menschkind als Beute versprochen hat, dessen Witterung auf. Auf heimtückische Art überzeugt Diego das ungleiche Duo, dass er der ideale Fährtensucher sei, um das kleine Findelkind zurück zu dem neuen Lager der Menschen zu bringen. So ziehen die vier los, in eine Welt voller Abenteuer. Ganz nebenbei erfahren Kinder viel Wissenswertes über die katastrophalen Auswirkungen von gravierenden Störungen im Ökosystem Erde, die wie hier zu Klimaveränderungen führen.Einer der Höhepunkte des Films ist die Szene um Verrat und Läuterung, in der Diego erkennt, dass er sich zu entscheiden hat: entweder er führt seine neuen Gefährten ins Verderben oder aber er ändert seine Einstellung. Die gesamte Geschichte wird sehr warmherzig und emotional erzählt. Vergleichbar anderen Großproduktionen schlittert auch „Ice Age“ hier am schmalen Grat des Kitsches entlang.
Dennoch sind es genau die Themen des Films, die Kinder in ihrer Realität, ihrem Alltag bewegen: „Wer ist mein Freund, kann ich ihm vertrauen?“. Manny und Sid funktionieren dabei als ideale Projektionsflächen, sie haben Ecken und Kanten, sie sind nicht die perfekten Helden und bleiben dadurch sympathisch. Und auch Diego ist so angelegt, dass er eben nicht einfach nur der Böse ist, sondern sich durch Gruppendruck in seine negative Rolle drängen lässt. Dass sich die Geschichte zum Schluss ins Positive wendet, ist zwar absolut vorhersehbar, dennoch ist auch gerade diese Wendung für Kinder notwendig, denn wenn man sich nicht mehr auf seine Freunde verlassen kann, ihnen nicht trauen kann, wem dann? Aus der Erwachsenenperspektive lässt sich dies natürlich gar trefflich kritisieren, da komplexe „zwischenmenschliche“ Beziehungsstrukturen auf einfache Muster reduziert werden. Auch „Spirit“ bewegt sich am Rande des Kitsches. Schon die Zutaten der Filmstory deuten zumindest auf diese Gefahr hin. Ein stolzes Pferd, ein verständnisvoller, naturverbundener Indianer, eine liebevolle Stute, böse Soldaten und der Bau der Eisenbahn durch die unberührte Wildnis Amerikas, all dies sind Zutaten für die bewegenden Legenden und Mythen des wilden Westens. Erzählt wird die heldenhafte Geschichte des Mustangs Spirit, der im wilden Westen in die Gefangenschaft von weißen Soldaten gerät und sich dabei allen Zähmungsversuchen widersetzt.
Sein Antagonist ist ein Kavallerie Colonel, der mit aller Brutalität und Härte den Willen des Mustangs brechen will. Zusammen mit dem gefangengenommenen Indianer Little Creek gelingt ihnen schließlich die Flucht aus dem Fort. Im Indianerdorf angekommen versucht Little Creek, den stolzen Mustang zu zähmen - diesmal mit Liebe und einigen Tricks. Und dann ist da natürlich noch diese atemberaubende Stute Rain, die Spirit ein wenig aus dem Tritt bringt und in die er sich im Laufe der Geschichte unsterblich verlieben wird. Als das Indianerdorf schließlich von den Soldaten überfallen wird, nimmt der Film rasant Fahrt auf, denn der Mustang muss auf überaus dramatische Weise flüchten. Es folgen packende Situationen, bei denen „Spirit“ erkennt, dass es neben Freiheit und Unabhängigkeit auch Liebe, Freundschaft und Verantwortung gibt. In der Schlüsselszene des Films entscheidet sich Spirit seinen Freund Little Creek aufsitzen zu lassen, um so sein Leben zu retten. Dieses Plädoyer für Heldentum und der permanente unterschwellige Patriotismus wären dabei vielleicht ein wenig erträglicher, wenn wenigstens im Ansatz versucht worden wäre, diese Aussagen ironisch zu brechen. Zwar ist Spirit stellenweise amüsant, aber nur in kleinen winzigen Nebenhandlungen, z.B. dann, wenn der wilde Mustang in einer Koppel mit Gewalt gebändigt und gezähmt werden soll und sich trickreich dagegen wehrt. Dennoch und das ist wohl der eigentliche Mangel des Films, er glänzt nie durch selbstironische Momente.
So gesehen ist „Spirit“ ein etwas antiquierter Actionfilm, bei dem niemals über den Helden geschmunzelt werden darf. Ein raffinierteres Erzählmuster hätte dem Film durchaus gut getan, denn gegen sein Plädoyer für Freundschaft und Freiheit und gegen Unterdrückung ist nichts einzuwenden, aber in dieser pathetisch vorgetragenen Weise für Kinder letztlich unglaubwürdig.„Ice Age“ wirkt dagegen sehr viel moderner, zwar gibt es auch hier „knallharte“ Action, aber immer wieder findet sich dieser feine, hintersinnige Humor und ein Schuss Ironie. Beispielsweise dann, wenn die berühmte Bergwerkszene aus Steven Spielbergs „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ als Rutsch durch den Eisberg persifliert wird. Das Tempo des Films ist ansonsten nicht so dynamisch wie vielleicht erwartet. „Ice Age“ spielt eher mit Tempowechseln, auf langsame, nachdenklich machenden Stimmungen folgen lustige oder tempogeladene Actionszenen. Der Wortwitz zielt nicht auf ein erwachsenes Publikum, sondern ist im Umfeld präziser warmherziger Sprachkomik angesiedelt, die auch schon von älteren Kindern verstanden wird. Für intellektuelle Erwachsene mag das vielleicht zu wenig sein, aber hier ist „Ice Age“ ganz entschieden ein Film für Kinder.
Ice Age
Regie: Chris Wedge – Buch: Michael Berg, Michael J. Wilson und Peter Ackerman – Prdduction Design – Brian McEntee – Schnitt: John Carnochan – Musik: David Newman - Deutsche Stimmen: Arne Elsholtz, Otto Waalkes, Thomas Fritsch, Christian Brückner – Produktion: USA (Twentieth Century Fox) 2002 – Länge: 83 Minuten – FSK: ohne Altersbeschränkung – Prädikat: besonders wertvollSpirit – der wilde Mustang
Regie: Kelly Asbury & Lorna Cook – Buch: John Fusco – ProduzentInnen: Mireille Soria & Jeffrey Katzenberg - Musik: Hans Zimmer- Songs: Bryan Adams – Deutsche Stimmen: Steffen Wink, Gerrit Schmidt-Foß, Jürgen Heinrich – Produktion: USA (Dreamworks) 2002 – Länge 90 Minuten – FSK: ohne AltersbeschränkungBeitrag aus Heft »2002/04: Medienpädagogik heute - Eine Diskussionsrunde«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Science Fiction - Ein Horrorthriller für Kinder!
Michael Bloech: Science Fiction - Ein Horrorthriller für Kinder!
Ein Gänsehaut erzeugender Science-Fiction- Thriller für Kinder. Macht das pädagogisch Sinn, ist das überhaupt empfehlenswert? Möglicherweise schon, vor allem dann, wenn der Film sich mit der Frage beschäftigt, welche Geheimnisse Eltern vor ihren Kinder verbergen. Zugespitzt münden diese Zweifel in der Kardinalfrage, mit der sich wohl jedes Kind schon einmal auseinandergesetzt hat, ob seine Eltern wohl tatsächlich seine wirklichen leiblichen Eltern sind. Genau hier knüpft der Film Science Fiction an, wird doch der Held der Geschichte, der 10-jährige Andreas mit eben diesem Identitätsproblem konfrontiert. Wie schon so oft vorher kommt Andreas nach einem Umzug wieder einmal in eine neue Klasse in einer fremden Stadt. Nach den Turbulenzen des Eingewöhnens findet der willensstarke Junge intelligente und mutige Freunde unter seinen Schulkameraden. Eine besonders intensive Beziehung baut er mit der burschikosen Vero auf, die sich in ihrem ausrangierten alten Wohnwagen im Garten ihrer Eltern eine ganz eigene Welt eingerichtet hat. Hier werden nach Herzenslust auf einem bequemen Bett alte Horrorfilme angeschaut. Der Wohnwagen wird schnell zu einem beliebten Treffpunkt der Clique um Vero und Andreas. Bei ihren konspirativen Gesprächen über die Geheimnisse der Eltern offenbart sich nicht nur, dass Veros Vater eine heimliche Geliebte hat; es kristallisiert sich auch ein unheimlicher Verdacht heraus.
Vero vermutet, das sich hinter dem merkwürdigen Verhalten von Andreas Eltern, die auf alle einen überaus distanzierten und kühlen Eindruck machen, etwas Furchtbares verbirgt: Andreas Eltern müssen Außerirdische sein. Andreas glaubt Vero natürlich nicht und schiebt alles auf ihre Leidenschaft für Splattermovies mit Aliens. Doch allmählich häufen sich die Anzeichen, dass das Mädchen mit ihrer kühnen Vermutung durchaus Recht haben könnte. Andreas stellt seinen Eltern nach und durchforstet die ultramoderne und sehr sterile Wohnung des seltsamen Elternpaars, die in Keller und Garten geheimnisvolle, wissenschaftliche Experimente hinter verschlossenen Türen durchführen. Überhaupt herrscht in dem Haus generell eine bedrückende Stimmung, die gekennzeichnet ist durch das strenge Erziehungsverhalten der Eltern und den emotionslosen Umgang der Familie untereinander. Dramatisch wird die Situation jedoch, nachdem die Kinder verbotenerweise in das Labor der Eltern eindringen und jede Menge toter Vögel finden. Jetzt scheint für Andreas alles klar zu sein – Vero hat Recht ...Die Geschichte wird stimmungsvoll in düsteren Bildern erzählt, wobei die Grusel- und Schockeffekte des mehrfach international prämierten Films behutsam, d.h. kindgerecht eingesetzt werden.
Regisseur Dany Deprez verzichtet darauf, atemlose Spannung um ihrer selbst willen zu erzeugen, vielmehr konzentriert er sich auf die Psychologie von Andreas, der immer unsicherer zu werden scheint, seine Eltern misstrauisch beäugt und immer hartnäckiger versucht, hinter das Geheimnis seiner Eltern zu kommen. Der Film schildert einfühlsam und nachvollziehbar, wie Andreas sich allmählich von seinen Eltern ablöst, sie kritisch hinterfragt und sie damit vom Sockel der Unantastbarkeit stößt. Der Film jongliert geschickt mit Wahrheit und Phantasie, Einbildung und Gewissheit. Diese präzise, stimmige und ernsthafte Schilderung kindlicher Identitätsfindung kombiniert mit Science-Fiction- und Horrorelementen könnte jedoch bei Kindern Angst auslösen, wenn bei der Rezeption Parallelen zwischen dem Handlungsverlauf des Films und der eigenen Sozialisation und eigenen Erlebnissen gezogen werden. Der Film fungiert als perfekte Identifikationsplattform und gibt damit reichlich Gelegenheit, sich in das Gefühlsleben der Filmkinder hinein zu versetzen, was in der Folge überaus realistische Angstgefühle auslösen kann. So bewirbt die Verleihfirma Science Fiction auch nicht explizit als Kinderfilm, sondern als Film für die ganze Familie. Und das macht durchaus Sinn, denn der Film liefert genügend Gesprächsstoff für innerfamiliäre Diskussionen.
- Michael Bloech: Spannendes Erzählen hat auch seine Tücken
Michael Bloech: Spannendes Erzählen hat auch seine Tücken
Neills Vorlage
Neben klassischen, politisch engagierten Dokumentarfilmen wie „Spaltprozesse“ oder „Blue Eyed“ produziert DENKmal in München auch immer wieder interessante Kinder- und Jugendfilme. Ihr aktuellstes Projekt ist dieser Kinderfilm unter der Regie von Claus Striegel, einem Mitbegründer der Produktionsfirma. Die Vorlage für den Film bildete das bereits 1938 in England unter dem Titel „The Last Man Alive“ erschienene Buch von A.S. Neill, das inzwischen zum Kinderbuchklassiker geworden ist. In Deutschland gelangte das Buch erst 1971 unter dem Titel „Die grüne Wolke“ auf den Buchmarkt.A.S. Neill, einer der Begründer der antiautoritären Erziehung, sorgte mit seinem „Summerhill Experiment“, einem Schulversuch ohne die sonst üblichen autoritären Zwänge, nicht nur in England für Furore und Aufregung in der Erziehungswissenschaft. In „The Last Man Alive“ präsentierte er einen Erzähler, der nach seiner Theorie der antiautoritären Erziehung die Geschichte gänzlich nach den Vorgaben und dem Geschmack der Kinder weiterentwickelt. Die Geschichte ordnet sich damit keinem moralisch pädagogischen Grundmuster einer wie auch immer gearteten Erwachsenenperspektive unter, sondern sie hat einfach nur den Sinn spannend und komisch zu sein. Die endliche GeschichteClaus Striegel verlegt Alexander Sutherland Neills Geschichte in die Jetzt–Zeit und beginnt raffinierter Weise mit der Schwierigkeit des Geschichtenerzählens. Manchmal ist das eben nicht ganz einfach, das merkt auch der alte, kauzige Lehrer Birnenstiel der Klasse 5a des Internats Leuchtenberg, der acht Schülerinnen und Schüler am Abend mit packenden Erzählungen fesseln möchte.
Doch die Phantasie lässt den alten Mann zunächst einfach im Stich, seine Geschichten sind wenig originell und außerdem wollen die Kinder selber im Zentrum der Handlung stehen. Und es soll einfach spannender und abenteuerlicher werden. Ein Schüler schlägt schließlich als Thema „Der letzte Mensch auf der Erde“ vor. Die Idee des Endes der Menschheit auf unserem Planeten beflügelt förmlich die Phantasie des Lehrers. Er beginnt mit einer Erzählung, die alle Kinder zunächst in ihren Bann zieht: Eine mysteriöse Wolke verwandelt alle Menschen zu Stein. Nur eine kleine Gruppe Kinder, die zusammen mit einem Multimilliardär in einem Kürbisraumschiff im All unterwegs ist, bleibt davon verschont. Im Laufe des Geschehens stellt sich allerdings heraus, dass durchaus auch noch andere, zum Teil wesentlich unfreundlichere Zeitgenossen der Versteinerung entgangen sind. Und so müssen sich die kleinen Heldinnen und Helden tapfer gegen die Unbilden der Natur, gegen eine mutierte Umwelt, das atomare Chaos und natürlich auch gegen die Schurken stellen. Birnenstiel verfängt sich in seiner Geschichte immer mehr, doch die Kinder haben stets die passenden Änderungswünsche. Als sich alles zum dramatischen Finale ins Fiasko steigert, rebelliert das junge Publikum gegen Birnenstiel.Was wie und für wen erzählen?
Der Film bewegt sich stets souverän zwischen den beiden Ebenen: da ist zunächst einmal die Realität, in der Birnenstiel, angeregt durch die Anmerkungen seiner Schüler, die Abenteuergeschichte vorantreibt, und da ist das Abtauchen in die Erzählung selbst. Diese sorgt vor allem für Action und Spannung. Der Wechsel zwischen den beiden filmischen Welten gelingt Striegel problemlos und junge Zuschauerinnen und Zuschauer haben keine Probleme, diese zwei Ebenen auseinander zu halten. Allerdings wird auch spürbar, dass das Ganze durch den Episodencharakter ein wenig an erzählerischer Eleganz, Dichte und Eloquenz einbüßt. Immer wieder werden neue Handlungsstränge entwickelt und neue Personen eingeführt, ein notwendiges Zugeständnis an das Konzept des Films. Meist ist das zwar originell, dennoch verleiht es dem Film eine Inhomogenität, wodurch der rote Faden ein wenig aus dem Blick gerät. Dieser gebremste Erzählfluss ist möglicherweise auch ein Zugeständnis an das Fernsehen, in dem der Film nach seiner Kinoauswertung als Serie zu sehen sein wird. Das bedeutet, dass dann in appetitlichen Häppchen serviert wird. Der Film versucht ebenso wie das Buch von Neill, Humor, Witz und Spannung aus den Vorlieben der Kinder herzuleiten. Gruseliges und Albernes bilden den actiongeladenen Hintergrund, was Kindern sicherlich Spaß machen wird und manchen Erwachsenen vielleicht eher nicht. Kinder begeistern sich oft für Geisterbahnen, Grusel- und Horrorgeschichten und kommen hier voll auf ihre Kosten: Killertomaten, ein gefräßiger, mutierter Baum, dreiste Nazisoldaten oder dämliche Mafia-Typen mit Kampfhunden bevölkern die Leinwand. Dabei gehen diese Gesellen nicht gerade zimperlich mit ihren Opfern - den armen unschuldigen Kindern - um. Vermutlich dürfte diese Darstellung der Gewalt die Freiwillige Selbstkontrolle bewogen haben, den Film erst ab 12 Jahren freizugeben. Vielleicht eine überdenkenswerte Entscheidung, denn die ironisch überzeichneten Gewaltszenen sind sicher erst für 8- oder 9-jährige Kinder in ihrer Dramaturgie erkennbar und die Freigabe hätte in der nächsten Stufe schon ab 6 Jahren geschehen müssen. So verfehlt der Film mit der bisherigen Altersfreigabe leider klar seine Adressaten, die 8- bis 10-Jährigen und das ist wirklich mehr als schade.
- Michael Bloech/Nicole Lohfink: Schlaglichter der Berlinale 2019
Michael Bloech/Nicole Lohfink: Schlaglichter der Berlinale 2019
Stets blieb die Berlinale ihrem Anspruch treu, eine Plattform für politische und künstlerisch wertvolle Filme zu sein. Festivalleiter Kosslick gelang es, das Programm nicht nur für die internationale Fachkritik und Filmindustrie, sondern auch für das Berliner Kinopublikum zu öffnen. Zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Fachvorträge und Konferenzen sorgten zudem für ein internationales und professionelles Profil der Berlinale.
Berlinale 2019 – Die Ära Kosslick endet
Nach 18 Jahren verabschiedet sich Dieter Kosslick als Direktor der Berlinale: Und er kann eine beeindruckende Bilanz vorweisen. Positiv hervorzuheben sind auch seine Bemühungen um den deutschen Film. Zwar gab es schon vor Kosslick auf der Berlinale eine Plattform für den deutschen Film, unter anderem zunächst in der kleinen Filmbühneam Steinplatz, aber durch die Etablierung der Programmreihen Lola at Berlinale und Perspektive Deutsches Kino wurde dieses Angebot systematisch erweitert. Kosslicks besonderes Augenmerk lag dabei stets auf Filmen einer losen Gruppe von Filmschaffenden der sogenannten Berliner Schule, darunter bekannte Namen wie Christian Petzold, Thomas Arslan und Maren Ade. Gerade Filme der Berliner Schule stehen mit ihrem Anspruch in enger Beziehung zu dem politisch, ästhetischen Konzept der Berlinale: Jenseits vom Mainstream werden mit künstlerischem Anspruch alltägliche, persönliche Themen mit politischem Bezug bearbeitet. Unter Kosslick ist die Berlinale eine nicht zu unterschätzende Plattform für internationale Begegnung und Austausch geworden, was sich exemplarisch in der Sektion Generation beobachten lässt oder auch im Förderprogramm für Nachwuchsfilmschaffende Berlinale Talents. Erst kürzlich unterzeichnete Kosslick sogar mit dem 5050 x 2020 Festival Pledge eine internationale Vereinbarung zur „Geschlechtergerechtigkeit in der Filmindustrie“.
Unter Kosslick fand jedoch auch mit aktuell rund 400 präsentierten Filmen und 340.000 verkauften Tickets eine enorme Ausweitung des Programmangebots statt. Damit droht eine De-Strukturierung, De-Profilierung und Beliebigkeit der Zielgruppenorientierung. Zumindest im Ansatz besteht hier die Gefahr, den Kern des Festivals den Wettbewerb – aus den Augen zu verlieren. Ende 2017 forderten daher 79 deutsche Filmschaffende in einem offenen Brief über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachzudenken. Dennoch wird ein großer Verdienst Kosslicks bleiben: Einmal im Jahr dreht sich zehn Tage lang in Berlin alles nur um Kino und die Kunst des Films.
Systemsprenger – Vom Sprengen pädagogischer Konzepte
Filme, die sich mit grundlegenden, pädagogischen Problemen auseinandersetzen und dabei auch noch als Film ‚funktionieren‘, ohne dabei belehrend zu wirken, sind nicht allzu häufig zu finden. Das Spielfilmdebüt Systemsprenger von Nora Fingscheidt ist ein gutes Beispiel hierfür und zeigt ein wichtiges pädagogisches Thema durchaus spannend und emotional berührend umgesetzt werden kann.
Der Film stellt konkret die Frage, was passiert, wenn engagierte Pädagogik versagt, wenn es nicht gelingt, Kinder so zu stabilisieren, dass sie keine Gefahr für sich und andere mehr darstellen. Sollte sich herausstellen, wie im Film gezeigt, dass aktuelle pädagogische, pharmakologische und psychologische Konzepte versagen können, wo liegen dann die Konsequenzen? Vielleicht muss immer wieder schmerzlich diskutiert werden, bis zu welchem Grad offene Gesellschaften abweichendes Verhalten tolerieren sollten und wie Personen aufgefangen werden können, die sich außerhalb unseres Gesellschaftssystems bewegen.
Spontane Aggressivität
Konkret wird die Leidensgeschichte der neunjährigen Benni erzählt, die getrennt von ihrer alleinerziehenden Mutter und den Geschwistern übergangsweise in einer beschützenden Einrichtung leben muss. Ihr Verhalten ist gekennzeichnet durch exzessive Gewaltausbrüche, vor allem gegenüber anderen Kindern. Ein Auslöser könnte das Fehlen funktionierender, familiärer Bindungen sein, wobei die Ursache wohl vielmehr darin begründet liegt, dass Benni ständig mit widersprüchlichen emotionalen Signalen ihrer Mutter konfrontiert wird. Während sie in einem Moment von der Mutter geliebt wird, wird sie im nächsten von ihr verstoßen. Mit ihrer spontanen Aggressivität fällt das renitente Mädchen quasi durch alle Netze, die unser Gesellschaftssystem für abweichendes Verhalten von Kindern bereithält. Selbst die nette Dame vom Jugendamt und die Psychologin der Kinderpsychiatrie sind mit Bennis Gewaltausbrüchen völlig überfordert. Trotz aller Empathie gelingt es ihnen nicht, Benni in einen halbwegs normalen schulischen Alltag zu integrieren. Schließlich wird ihr der Schulwegbegleiter Micha zur Seite gestellt, der sie zu einem geregelten Schulbesuch hinführen soll. Als auch das misslingt, wird im Helferkreis beschlossen, es mit einer ungewöhnlichen Maßnahme zu versuchen. Micha soll mit Benni in einer abgeschiedenen Waldhütte ohne Strom, Telefon und Internet eine gewisse Zeit verbringen, damit Benni zur inneren Ruhe zurückfindet. Mit dieser Methode der Gewaltprävention hat Micha bei Jugendlichen bisher gute Erfolge gehabt. Doch nach einer Woche sieht Benni in Micha nur noch ihren ‚Papi‘ und versteht nicht, dass er eine eigene Familie hat und die Zeit im Wald lediglich eine pädagogische Maßnahme war. Es kommt zu einer drastischen Entscheidung. Benni soll nach Kenia in eine Einrichtung für besonders verhaltensauffällige Jugendliche geschickt werden. Damit würden jedoch alle Sozialkontakte, die Benni besitzt, auf einen Schlag enden.
Im Mittelpunkt ein Ausnahmetalent – Helena Zengel
In der Rolle der Benni spielt die sehr junge Helena Zengel mit einer atemberaubenden Authentizität und zwingt die Zuschauenden, trotz aller Aggressivität, Verständnis für das renitente Kind zu entwickeln. Sinnbildlich hierfür steht die Anfangsszene, bei der Benni im Innenhof der Klinik völlig ausrastet und Bobbycars an das Fenster schmettert, bis die Panzerglasscheibe schließlich bricht. Das Symbolhafte dieser Exposition macht deutlich, um welche fundamentale Auseinandersetzung es hier geht: Helena Zengel verkörpert ihren Widerstand gegen das „System“ derart glaubwürdig, dass einem der Atem stockt. Sie ist es, die den Film von der Wirkung her trägt und zu einem wirklichen Erlebnis werden lässt. Hervorzuheben ist auch der Rhythmus des Schnitts, der trotz einiger erzählerischer Längen, die Zuschauenden in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Systemsprenger erhielt mit einem Silbernen Bären den Alfred-Bauer-Preis, der für neue Perspektiven der Filmkunst vergeben wird sowie den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost.
Grâce à Dieu – Die befreite Sprache
Mit sexuellem Missbrauch und Pädophilie greift der französische Regisseur François Ozon in seinem Film Grâce à Dieu ein brisantes Thema auf. Unaufgeregt werden drei Schicksale von Männern erzählt, die verdeutlichen, welch gravierende psychische Verwerfungen die Übergriffe bei ihnen angerichtet haben. Zum einen ist da die Geschichte des katholischen Bankangestellten Alexandre, der als Kind bei einem Pfadfindertreffen von Pater Preynat missbraucht wurde. Alexandre setzt folglich alles daran, dass Pater Preynat generell der Umgang mit Minderjährigen untersagt und ihm die Priesterweihe entzogen wird. Als sein Unterfangen bei dem dafür zuständigen Kardinal Barbarin ins Leere läuft, beginnt er nach weiteren Missbrauchsopfern zu suchen. Dabei stößt Alexandre auf den ruppig wirkenden Atheisten François, der zunächst widerstrebend, dann umso vehementer, die Verbrechen des Paters anprangert. Zusammen mit Alexandre gründet er die Initiative La Parole Libérée und es kommt schließlich zu der Begegnung mit dem Missbrauchsopfer Emmanuel, einem labilen, gebrochenen jungen Mann. Der Fall Emmanuel erweist sich dabei als besonders wichtig, da die Straftaten an Emmanuel, im Gegensatz zu vielen anderen Fällen, noch nicht verjährt sind. Ein Strafverfahren gegen den Pater und den Kardinal scheint damit möglich.
La Parole Libérée – Stimme der Missbrauchsopfer
Ozon porträtiert einfühlsam die drei unterschiedlichen Männer, die das gleiche Schicksal in ihrer Kindheit erdulden mussten. Dramaturgisch gesehen interessieren jedoch weniger die Personen an sich, sondern es geht darum aufzuzeigen, dass der Missbrauch nicht auf Einzelfälle beschränkt ist und die Kirche diese als Machtapparat seit Jahrzehnten zu vertuschen sucht. Das Geschilderte selbst beruht auf Tatsachen. Die entsprechenden Gerichtsverfahren gegen Pater Preynat, der 70 Jungen mehrfach missbraucht haben soll, gegen Kardinal Barbarin und sechs seiner Mitarbeiter, die durch Mitwisserschaft selber zu Mittätern geworden sein sollen, spielt Anfang 2019 in Frankreich.
Die Unmöglichkeit, das Unfassbare zu zeigen
Bei aller aktuellen, politischen Brisanz erzeugt Ozon leider ein Gefühl der Distanz. Szenen, in denen der Pater mit den Jungen im Fotolabor oder in einem Zelt des Pfadfinderlagers verschwindet, um sich an ihnen zu vergehen, wirken deplatziert. Zu monströs sind die Verbrechen und es scheint nahezu unmöglich, sie angemessen zu visualisieren. Geschickter wäre es vermutlich gewesen, die Schilderungen der Missbrauchsopfer zu fokussieren, die bereits hohe emotionale Dichte besitzen. Darüber wirkt die Regie unentschlossen, auf welche der drei Protagonisten das Hauptaugenmerk gerichtet werden soll. Dennoch ist Grâce à Dieu ein politisch überaus wichtiger Film, da er einmal mehr zeigt, dass es sich lohnt, gemeinsam mit anderen für die eigenen Belange zu kämpfen. Der nahezu dokumentarisch wirkende Film erhielt mit dem Silbernen Bären den Großen Preis der Jury.
Une Colonie – Vom Grenzen überwinden
Eine absolute Entdeckung in der Kinderfilmsektion Generation Kplus war die kanadische Produktion Une Colonie (Eine Kolonie) der Franko-Kanadierin Geneviève Dulude-De Celles. Im Vordergrund des melancholisch ruhigen Films steht die Ambivalenz des Begriffes Kolonie. Bei einer Kolonisierung können bekanntlich herkömmliche Macht- und Herrschaftsstrukturen durch etwas Fremdes oder Neues durchbrochen, unterworfen oder auch völlig zerstört werden. Es kann sich dabei aber nicht nur um den Niedergang handeln, sondern auch im positiven Sinn um die Entfaltung von etwas völlig Neuem. Diese Widersprüchlichkeit kristallisiert sich in dem Film vor allem in der Geschichte der jungen Mylia, die neu in einer Vorortsiedlung in der Quebecer Provinz ihre Rolle, ihre Identität, erst finden muss, sich einleben muss in eine ihr fremde Situation. Sie hat keine Lust auf oberflächlichen Sex und Drogen, keine Lust auf die wilden Schmink-Orgien und Oberflächlichkeiten ihrer Schulkameradinnen. Damit wird sie sofort zur Außenseiterin, die sich aber in kühler Distanz hingezogen fühlt, zu ihrem Schulnachbarn Jimmy, einem Indianer, der weitab von ihrem Zuhause in einer Abenaki-Siedlung lebt. Jimmy ist völlig anders als all die anderen in ihrem Umfeld, ein sensibler Junge, der Souveränität, Beherrschtheit und völlige Ruhe ausstrahlt. Deutlich wird dies gleich zu Beginn des Films, als Jimmy ein totes Huhn aus dem Maul eines Hundes löst. Er zerrt und schreit nicht, vielmehr geht er ohne Angst beruhigend auf den fremden Hund zu und kann dadurch die knifflige Situation entschärfen. Eine weitere symbolhafte Situation zu Ende des Films zeigt die Verbundenheit von Mylia und Jimmy, als sie feststellen, dass sie in ihrer Kindheit beide beim Ausmalen von Bildern die vorgegebenen Umrisslinien stets missachteten. Erst das Durchbrechen der Linien ermöglichte ihnen das Einzigartige, das Persönliche und damit die Kolonisierung ihres Umfelds.
Die Entdeckung der Entschleunigung
Während andere Produktionen im Wettbewerb zum Beispiel auf grelle Farben, schnelle Schnitte, nahe Einstellungen und kompliziert verschachtelte Erzähltechniken setzten, besticht Une Colonie vor allem durch ruhige Bilder und entschleunigten Erzählfluss. Die Autorin und Regisseurin Geneviève Dulude-De Celles nimmt sich viel Zeit und erst allmählich entfaltet sie ihre symbolische Argumentation. Sie gibt damit glaubhafte Einblicke in die Gefühlswelt der heranwachsenden Heldin. Die Kolonisierung ist hier nicht ein eruptiver Überfall, der eine revolutionäre Entwicklung gebiert, sondern ein langsamer, evolutionärer Prozess des Erwachsenwerdens. Dabei ist es bewundernswert, mit welcher Nachdrücklichkeit der Film diesem ruhigen Erzählmuster treu bleibt. Émilie Bierre in der Rolle der Mylia verleiht mit ihrem faszinierenden, ruhigen Spiel dem Film eine fantastische Glaubwürdigkeit und schafft es überzeugend, das Symbolhafte ins Visuelle umzusetzen. Une Colonie erhielt von der Kplus Kinderjury den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm, wobei der Film einschränkend gesagt, erst ab zwölf Jahren wirklich zu verstehen und daher auch zu empfehlen ist.
Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied – vom Schmerz der ersten Trennung
Bei vielen Filmen auf der Berlinale war in diesem Jahr überraschend stark der dokumentarische Gedanke vertreten. So auch bei dem chinesisch-uigurischen Beitrag Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied. Zwei Jahre lang hat Regisseurin Lina Wang in ihrem Heimatdorf gefilmt, besonders die kindlichen Protagonisten mit der Kamera begleitet und in alltäglichen Situationen gefilmt. Weitere zwei Jahre lang hat sie dann aus dem Material eine Erzählung gebaut, in der es um das Leben in dem uigurischen Dorf inmitten Chinas geht. Dabei sind die Herausforderungen, zu einer sprachlichen Minderheit zu gehören, genauso angeschnitten, wie der Umgang mit einem Pflegefall in der Familie, wie auch die Wichtigkeit der Schulbildung, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Im Mittelpunkt des Films stehen der junge Isa und sein Alltag in dem Dorf weitab großer Städte. Isa erlebt zunächst unbeschwerte Tage, kümmert sich um seine kranke Mutter und hilft dem Vater auf dem kleinen Hof. Gemeinsam mit seiner Freundin Kalbinur zieht er mit viel Liebe und Hingabe ein Lämmchen auf. Doch schon bald stehen Veränderungen ins Haus und verlangen von Isa nicht nur äußerliche Anpassung, sondern auch erste emotionale Abschiede. Als Isas Mutter verwirrt aus dem Haus läuft, weil Isa aus Sehnsucht nach dem Lämmchen zur Freundin gelaufen ist, müssen sich sein älterer Bruder und er auf die Suche nach ihr machen. Die einsame Landschaft und Isas fruchtlose Suche vereinen sich, als die Dämmerung hereinbricht, in seinem schluchzenden Rufen nach der Mutter zu einem archaischen Wehklagen des Kindes. Hier deutet sich der erste Abschied an, denn, obwohl die Mutter wieder auftaucht, berät sich der Vater mit dem Dorfrat, weil er sich nicht mehr gleichzeitig um die Farmarbeit und seine Frau kümmern kann. Isa ist allerdings dagegen, die Mutter in einem Heim unterzubringen und will dafür lieber auf die Schule verzichten, als seine Mutter nicht mehr im Haus zu wissen. Doch die Abschiede ereignen sich dennoch. Sein Bruder geht zurück auf die entfernte Schule, sein Vater bringt seine Frau schweren Herzens in einem Pflegeheim unter und Isa muss sich auch noch von seiner Freundin Kalbinur verabschieden. Sie wird von ihrer Familie ebenfalls in einer weiter entfernten Schule untergebracht, da sie die chinesische Sprache zu schlecht beherrscht. In der uigurischen Gemeinde genügt es, uigurisch zu sprechen, doch den Eltern ist aus eigener Erfahrung schmerzhaft bewusst, wie schwierig es ist, sich ohne Chinesisch in der Stadt zurecht oder Arbeit zu finden. Dann verschwindet auch noch das kleine Lämmchen, um das sich Isa immer gekümmert hat. All diese Verluste sind unauffällig eingefangen und unspektakulär in das tägliche Leben des Jungen eingebettet, doch in dieser Unaufgeregtheit erscheint jeder Moment umso klarer. So berührt der Film Kinder wie Erwachsene gleichermaßen, die jungen Zuschauenden fühlen und durchleben jeden Verlust hautnah mit den Protagonistinnen und Protagonisten mit und die Erwachsenen erinnern sich an das Gefühl des ersten Abschieds im Leben. Dabei sind die individuellen Erlebnisse Isas trotz des spezifischen Hintergrundes durchaus Platzhalter für die universalen Themen, die unabhängig von Geografie greifen. Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied ist der diesjährige Gewinner des großen Preises der Internationalen Jury von Generation Kplus.
The body remembers when the world broke open – eine vielschichtige Momentaufnahme
Passend zur Unterzeichnung des 5050 x 2020 Festival Pledge umfasst die Sektion Generation erstmals einen Anteil an weiblichen Regisseurinnen von beinahe 50 Prozent. So stammt auch The body remembers when the world broke open aus der Feder zweier kanadischer Filmemacherinnen, die gemeinsam Regie geführt haben. Die kanadisch-norwegische Produktion liefert eine starke Geschichte über die Begegnung zweier Frauen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Sie wirkt dabei auf verschiedenen Ebenen, von einer allgemeingültigen über eine nahbare bis zum Besonderen, indem sie das Augenmerk auch auf die prekäre Situation indigener Frauen in Nordamerika richtet.
Regisseurin Elle-Máijá Tailfeathers ist Blackfoot von der Kainai First Nation (Blood Reserve) und Sami aus Norwegen und hat in ihrer Kultur bereits in der Kindheit den Wert des Geschichtenerzählens vermittelt bekommen, insbesondere als traditionelles Mittel, Erinnerung weiterzutragen. Das Drehbuch ist inspiriert von einer Geschichte, die Tailfeathers selbst erlebt hat und die sie nachhaltig geprägt hat. So entstand nun in Zusammenarbeit mit Kollegin Kathleen Hepburn ein Film, der die Zuschauenden ganz dicht an diese Erfahrung heranführt, unterstützt durch viele Nahaufnahmen und nahezu in Echtzeit gedreht.
Àila ist von einem Arztbesuch auf dem Weg nach Hause und begegnet in East Vancouver einer jungen Frau. Die 18-jährige Rosie steht sprichwörtlich barfuß und schwanger im Regen auf der Straße. Sie nimmt Rosie mit zu sich nach Hause und in einem vorsichtigen Annäherungsprozess entsteht eine Verbindung. Aber es prallen auch Realität und Wunschvorstellung aufeinander, als Àila versucht, Rosie zu helfen und ihre Probleme zu ‚richten´. Rosie ist vor ihrem gewalttätigen Freund geflüchtet, mit dem sie zusammenwohnte. Àila organisiert ihr daher einen Platz in einem Frauenhaus. Während sie ihre weibliche Selbstbestimmung ausüben kann, wenn sie mit ihrem Arzt darüber redet, ob und wann sie schwanger werden will, ist für Rosie das Baby ein Mensch, den sie um keinen Preis verlieren will und gleichzeitig eine Chance, endlich nie mehr allein zu sein. Daher ist ihr das Frauenhaus auch ein zu großes Risiko. Das soziale Gefälle ist augenscheinlich, dennoch erkennen beide in der anderen eine verwandte Seele. Am Ende sehen sich beide nie wieder. Einer der seltenen Momente im Leben, die an die Menschlichkeit erinnern und einen verändert zurücklassen. In dieser Eigenschaft spricht der Film ein internationales Publikum an, doch er bietet auch eine weitere Ebene, die das Brennglas auch auf unbequeme Fakten richtet:
So haben Frauen indigener Abstammung in Kanada laut einer laufenden nationalen Untersuchung eine fünfmal höhere Wahrscheinlichkeit, durch Gewalt zu sterben. 77 Prozent der Frauen, die durch einen intimen Partner ermordet wurden, starben, nachdem sie aus der Partnerschaft geflüchtet waren. Auch bei der Pflegeunterbringung von Kindern zeigt sich ein Ungleichgewicht, wenn beispielsweise in der kanadischen Provinz Manitoba rund 90 Prozent der Jugendlichen in den Pflegeeinrichtungen Angehörige von First Nations sind. Hier wirkt Kanadas Geschichte der politischen Assimilierungsversuche der Vergangenheit nach.
So gesehen erscheint Rosies Überzeugung, sicherer bei ihrem gewalttätigen Partner aufgehoben zu sein, plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Was bleibt: Facetten des internationalen Film-Festivals
Vor dem Hintergrund von Kosslicks Abschied zeichnete sich die diesjährige Berlinale vor allem durch qualitative Ambivalenz aus. So bot die mangelnde Qualität einiger Filme öffentlichen Diskussionsstoff. Und tatsächlich befanden sich diesmal, rein quantitativ gesehen, lediglich 16 Filme im Wettbewerb auf Bärenjagd. Ein chinesischer Wettbewerbsbeitrag, wie auch ein chinesischer Generation-Beitrag, wurden noch kurzfristig wegen technischer Probleme zurückgezogen. In Fachkreisen wurde daraufhin das Wirken chinesischer Zensurbehörden diskutiert, aber trotz naheliegendem Verdacht in den betreffenden Fällen bliebe das letztendlich zu beweisen. Anlass zur Verwunderung gab zudem, dass einige Filme überhaupt die Höhen des Wettbewerbs erklommen haben. So liegt Kunst natürlich auch immer im Auge des Betrachtenden, wie am Beispiel des deutschen Beitrags Ich war zu Hause, aber zu sehen von Angela Schanelec. Von der deutschen Presse einhellig bejubelt und von der Berlinale-Jury mit dem Preis für die beste Regie beglückt, wurde er vom internationalen und Berliner Publikum dagegen mit ausdauernden Buhrufen bedacht. Ebenfalls mehr als problematisch geriet Fatih Akins drastischer und verstörender Festivalbeitrag Der Goldene Handschuh über einen Hamburger Massenmörder. Der Länderschwerpunkt lag in diesem Jahr auf Norwegen, das mit Ut og stjæle hester (Pferde stehlen) von Hans Petter Moland zu Recht mit einem Silbernen Bären für die besteKameraarbeit des Dänen Rasmus Videbæk belohnt wurde.
Highlights außerhalb des Wettbewerbs
Jenseits des Wettbewerbs, in anderen Sektionen der Berlinale, hätten sich allerdings Film-Beispiele gefunden, die einem Regie-Film-Preis vielleicht eher entsprochen hätten. In der Sektion Generation KPlus, also dem Kinderfilmfest, manifestiert sich ein Dilemma, das sich schon seit Jahren wie ein roter Faden durch die Berlinale zieht: Filme für jüngere Kinder sind fast ausschließlich mit der Lupe zu finden, Filme für ältere Kinder und das Programm Generation 14plus, das sich an Jugendliche richtet, sind jedoch immer wieder für kleine Sensationsentdeckungen gut. So sollte beispielsweise Ausschau gehalten werden nach Filmen wie Kokdu – eine Geschichte von Schutzengeln aus Korea oder der schwedischen Perle Sune versus Sune. Der koreanische Beitrag Kokdu überzeugt zudem durch eine eindrucksvolle bildästhetische, formale sowie inhaltlich runde Erzählung über eine positive Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Verlust, die Einblicke in die koreanische Kulturgeschichte gewährt. In Sune versus Sune wird die Kraft der Fantasie in jeder Hinsicht beschworen, während die Protagonistinnen und Protagonisten die Tücken von Freundschaft und Identitätsfindung navigieren. Auch der deutsch-niederländische Film Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess ist sehenswert, ebenso, wie der amerikanische Beitrag Driveways der zwar ein wenig an Eastwoods Gran Torino erinnert, dafür jedoch auf persönlichen Erlebnissen der beiden Drehbuchautoren basiert.
Die Herausforderung für die Zukunft: Den Überblick finden
Es ist schon eine Herausforderung bei den vielen Programmen und Sektionen überhaupt einen Überblick zu gewinnen und so will das Entdecken unter 400 Filmen gelernt sein. Vielleicht liegt in diesem Punkt, nach der Ära Kosslick, eine der Hauptaufgaben des neuen Berlinale-Teams um Carlo Chatrian als künstlerischem Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin, hier eine stringentere Linie zu etablieren. Der Italiener Carlo Chatrian leitete sechs Jahre lang das renommierte, schweizerische Filmfest in Locarno und Mariette Rissenbeek, eine gebürtige Holländerin, war als Geschäftsführerin der Auslandsvertretung des deutschen Films German Films tätig. Genug Vorbereitungszeit bleibt dem neuen Zweigespann – mit der terminlichen Vorverlegung der Oscarverleihung rückt die nächste Berlinale das erste Mal hinter die US-Preisverleihung, an das Ende des Monats Februar 2020 – wir können gespannt sein!
- Bloech, Michael / Fiedler, Fabian / Lutz, Klaus: Junges Radio. Kinder und Jugendliche machen Radio
Bloech, Michael / Fiedler, Fabian / Lutz, Klaus: Junges Radio. Kinder und Jugendliche machen Radio
Bloech, Michael / Fiedler, Fabian / Lutz, Klaus (2005). Junges Radio. Kinder und Jugendliche machen Radio. Materialien zur Medienpädagogik Band 5. München: kopaed. 143 S., 12 €
Aktive Radioarbeit ist aus der Medienpädagogik nicht mehr wegzudenken. Überall in Deutschland produzieren Kinder und Jugendliche Radio- und Audiobeiträge, sei es in der Schule, in der Universität oder in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit.
Damit sich das nicht ändert, haben sich die Autoren das Ziel gesetzt, mit diesem Handbuch interessierten PädagogInnen, Studierenden und generell interessierten Menschen alles Wissenswerte für eine moderne medienpädagogische Arbeit mit dem Medium Audio – von der Theorie bis hin zur Praxis – anschaulich zu vermitteln. Das ist den Autoren auch gelungen.
Dieses Handbuch verschafft einen kompakten und gut strukturierten Überblick über die medienpädagogische Radioarbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Konkrete Beispiele aus der medienpädagogischen Praxis, in Verbindung mit fundierten theoretischen Kenntnissen, zeigen die vielfältigen Möglichkeiten der Radioarbeit auf und stellen diese in einen sinnvollen pädagogischen Kontext.
- Markus Achatz/Michael Bloech: Annäherung an die Wirklichkeit
Markus Achatz/Michael Bloech: Annäherung an die Wirklichkeit
Die diesjährige Berlinale hatte ein stark von deutschen Filmen geprägtes Profil. Immerhin waren gleich vier deutsche Produktionen im Wettbewerbsprogramm vertreten, darunter die vom Fachpublikum erstaunlich wohlwollend aufgenommene filmische Adaption des Michel Houllebecq Romans „Elementarteilchen“ von Oskar Roehler. Das mit überraschend viel Fördermitteln ausgestattete Werk verliert sich, trotz exquisitem Staraufgebot, in effekthascherischer Oberflächlich- und Belanglosigkeit. Ebenfalls hohe Beachtung fand „Der freie Wille“ von Matthias Glaser, der sich mit der bedrückenden Biografie eines Sexualstraftäters befasst. Hier beeindruckt und erschreckt vor allem das intensive Spiel von Jürgen Vogel in der Rolle des monströsen Gewaltverbrechers Theo, der die Zuschauenden ständig auf dem schmalen Grat zwischen Identifikation, Mitleid und Verachtung wandeln lässt.
Daneben gab es aber auch wesentlich „leisere“ Filme, die dafür aber einen intensiveren Blick in den aktuellen, bundesrepublikanischen Alltag gewährten, so zum Beispiel der Film „Sehnsucht“ von Valeska Grisebach. Nahezu dokumentarisch erzählt der Film eine bekannte und dennoch interessante, melodramatische Liebesgeschichte aus der Provinz. Unaufgeregt und in ruhigen, streng durchkomponierten Bildern erzählt der Film die Geschichte einer ganz normalen, durchschnittlichen Handwerkerfamilie in dem kleinen 200-Seelendorf Zühlen in Brandenburg. Von den Nachbarn beneidet und ebenso misstrauisch beäugt, entspricht das junge Paar äußerlich dem Idealbild einer liebevollen Beziehung, ihr privates Glück scheint unerschütterlich. Ella arbeitet tagsüber als Haushaltshilfe und singt abends im Gemeindechor, Markus betreibt einen kleinen Schlossereibetrieb und engagiert sich in seiner Freizeit im Dorf bei der freiwilligen Feuerwehr. In kleinen, unwillkürlich anmutenden Gesten spürt man die ungeheuere Nähe zwischen Markus und Ella. Hier wird nichts zerredet, die Kommunikation zwischen den beiden erschließt sich aus ihren Blicken oder sanften Berührungen. Als Markus jedoch mit seinen Freunden zu einer Weiterbildung der freiwilligen Feuerwehr in den nächsten größeren Ort fährt, nimmt die Tragödie ihren Lauf. Der junge Mann geht in einer, durch Alkohol geprägten Nacht, eine Affäre mit der Kellnerin Rose ein und bewegt sich danach zwischen beiden Frauen. Getrieben von Schuldgefühlen und in grenzloser Verzweiflung und Einsamkeit richtet Markus schließlich seine Schrotflinte auf seine Brust. Die mit Laiendarstellern besetzte Geschichte bezieht dabei ihre Stärke und emotionale Tiefe aus den glaubwürdigen Figuren und der spröden, dörflichen Umgebung, die eben nicht einer verkrampften Künstlichkeit oder einem hochglanzpolierten Setting entspringt. Valeska Grisebach scheint die Story direkt aus der Wirklichkeit Brandenburgs gerissen zu haben.
Mit einem ähnlich ästhetischen Anspruch zeigt der 37-jährige Regisseur Henner Winckler in „Lucy“ das Leben der 18-jährigen Berlinerin Maggy. Sie hat die Schule geschmissen und sich von dem Vater ihrer 8 Monate alten Tochter Lucy getrennt. In einer Disco lernt Maggy Gordon kennen, dem sie zunächst verschweigt, dass sie eine Tochter hat. Nach einem Streit mit ihrer Mutter, zieht Maggy samt Lucy zu Gordon, doch der kommt mit der kleinen „Familie“ nicht zurecht. Der Film ist langsam und in tristen Bildern erzählt. Wie auch im Leben von Maggy bleibt vieles fahl und selbst wenn die Sonne scheint, gibt es kaum Farben im Alltag. Mit dokumentarischem Auge führt Winckler einen unspektakulären aber authentischen Ausschnitt im Leben der 18-jährigen Mutter vor. Mittendrin steigen wir in das Portrait ein und ebenso abrupt endet der Film auch wieder. Doch wir wissen, da draußen geht alles genauso weiter. Ebenfalls durch Berlin, jedoch mit mehr Kinoeffekten, schickt uns Detlev Buck in „Knallhart“. Den 15-jährigen Michael und seine Mutter verschlägt es von Zehlendorf nach Neukölln, wo er die Härte des Lebens erfahren muss. Er wird von seinem Mitschüler Erol und dessen Gang abgezockt und schikaniert, bis ihn Drogenboss Hamal als Kurier anheuert und unter seinen Schutz stellt. „Opfer“ ist das schlimmste Schimpfwort der Gegend, doch das trifft im Laufe der Geschichte auch Erol selbst. Wie hoch das Risiko war, sich unter die Fittiche von Hamal zu begeben, wird Michael erst später klar. Detlev Buck hat den Film bestens recherchiert und zeigt eine Inszenierung, die sich nahe an seine Charaktere heranwagt. Trotzdem wird fleißig mit Klischees gespielt und einem ganzen Stadtteil der Ghetto-Stempel aufgedrückt. „Knallhart“ bleibt am Ende für das Publikum unbequem – und das ist vielleicht seine größte Leistung. Sei es dadurch, dass sich Bucks Hang zu Gags und der Anspruch „knallharte“ Kleinkriminellen-Reality darzubieten aneinander reiben oder sei es, weil nicht klar wird, warum er Jenny Elvers-Elbertzhagen als gar nicht mal schlecht gespielte Problemmutter besetzt hat. Der Blick des Intellektuellen auf die unbarmherzige Seite der Gesellschaft oder das Spiel mit der Lust am permanenten „Unterschätzt-Sein-Wollen“ derjenigen, die unterschätzt werden?
Elementarteilchen
Deutschland, 2005, 105 min
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Moritz Bleibtreu (Bruno), Christian Ulmen (Michael), Martina Gedeck (Christiane), Franka Potente (Anabelle), Nina Hoss (Jane), Uwe Ochsenknecht (Brunos Vater), Corinna Harfouch (Dr. Schäfer), Jasmin Tabatabai (Yogini)
Freier Wille
Deutschland, 2006, 163 min
Regie: Matthias Glasner
Darsteller: Jürgen Vogel (Theo), Sabine Timoteo (Nettie), André Hennicke (Sascha)
Sehnsucht
Deutschland, 2005, 90 min
Regie: Valeska Grisebach
Darsteller: Ilka Welz (Ella) , Annett Dornbusch (Rose), Andreas Müller (Markus)
Lucy
Deutschland 2006, 82 min
Regie: Henner Winckler
Darsteller: Kim Schnitzer (Maggy), Gordon Schmidt (Gordon), Feo Aladag (Maggys Mutter)
Knallhart
Deuschland 2005, 98 min
Regie: Detlef Buck
Darsteller: David Kross (Michael Polischka), Jenny Elvers-Elbertzhagen (Miriam Polischka), Erhan Emre (Hamal), Oktay Özdemir (Erol)
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor: Markus Achatz
Beitrag als PDF - Markus Achatz und Michael Bloech: Starke Kinder – Schwache Eltern
Markus Achatz und Michael Bloech: Starke Kinder – Schwache Eltern
Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Filme in der Sektion GENERATION der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele in Berlin bildete häufig ein aus den Fugen geratenes Verhältnis zwischen Kindern und Eltern. Konkret wurde in vielen Produktionen das Versagen der Eltern in den Vordergrund gestellt, auf das im Gegenzug die Kinder mit Stärke, Mut und anarchischer Selbstständigkeit reagieren mussten. In einigen Produktionen fehlten die Eltern sogar gänzlich, wie in der amerikanischen Produktion Golden Kingdomvon Brian Perkins, der das Leben von vier kleinen Jungen erzählt, die als burmesische Mönche eine Zeit lang völlig auf sich allein gestellt sind. Oder Im Spinnwebhaus von Mara Eibl-Eibesfeldt (gezeigt in der Berlinale Cross-Section), die Geschichte dreier Kinder, die nach dem Weggang ihrer Mutter ebenfalls ganz ohne Erwachsene ihren Alltag meistern müssen. Maryanne Redpath, die Leiterin der Berlinale Sektion GENERATION Kplus, also des Kinderfilmprogramms, hat Jahr für Jahr bei der Zusammenstellung der Filme mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Das Dilemma besteht zum einen darin, dem Unterhaltungsbedürfnis des jungen Kinopublikums gerecht zu werden und zum anderen anspruchsvolle Kinokost zu präsentieren, das heißt Kinder zur Rezeption differenzierter ästhetischer Formen, komplexer und oft eher emotional belastender Handlungsstränge zu animieren. Daneben gilt es, das gesamte Altersspektrum der Zielgruppe zu berücksichtigen. Kein leichtes Unterfangen, zumal viele Produktionsfirmen sich bei der Terminsetzung der Filmstarts nicht nach dem Terminplan der Berlinale richten beziehungsweise richten können. Einige deutsche Filme, die im Laufe des Jahres 2015 starteten, wie Rico, Oskar und das Herzgebreche von Wolfgang Groos oder Rettet Raffi!, der neue Film von Arend Agthe, waren daher schon allein aus diesem Grund nicht im Programm von Kplus. So hat Maryanne Redpath 2015 den Schwerpunkt auf formal anspruchsvolle Filme gelegt, ältere Kinder stärker in den Fokus gerückt und inhaltlich den Blick auf eher Bedrückendes gelegt.
Die Leichtigkeit eines Papierfliegers
Fulminant eröffnet wurde das Programm mit der farbenfrohen, australischen Produktion Paper Planes (Papierflieger) von Robert Conolly, einem warmherzigen, humorvollen, unterhaltsamen Film für die ganze Familie. Der elfjährige Dylon lebt nach dem Tod seiner Mutter zusammen mit dem depressiven Vater in einer Baracke im australischen Outback. Allerdings ist der Junge das genaue Gegenteil seines Vaters, er ist engagiert, optimistisch, mutig und auch überaus geschickt, wenn es darum geht Papierflieger zu basteln und diese über eine enorme Distanz segeln zu lassen. Mit seiner ausgeklügelten Papierfalttechnik, seiner enormen Beharrlichkeit und vielem Training gelingt es dem Jungen sogar, an den Weltmeisterschaften in Tokio teilzunehmen. Selbst den in völlige Lethargie versunkenen Vater kann er mit seiner ansteckenden Euphorie ein wenig aus der depressiven Situation reißen. Der wunderbare Film vermag gut zu unterhalten und ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit zu vermitteln. Die Grundaussage, wonach es nur darauf ankommt etwas Wunderbares zu schaffen, unabhängig vom Erreichen eines Sieges, verfolgtder Film allerdings ein wenig halbherzig, was zwar schade, insgesamt aber zu verschmerzen ist.
Schneepiraten – Kindheit im eisigen Faschismus
Wesentlich bedrückender ist die Situation der Kinder im türkisch/kurdischen Film Kar Korsanları (Schneepiraten) von Faruk Hacıhafızoğlu. Die Freunde Serhat, Gurbuz und Ibrahim erleben 1981 in der türkischen Kleinstadt Kars im armen Nordosten Anatoliens einen der grimmigsten Winter. Gemeinsam sausen sie tagsüber auf ihren Schlitten durch die bitterkalte Schneelandschaft, immer auch auf der Suche nach etwas Brennbarem, den Kohleresten aus achtlos entsorgten Aschenhaufen. Ihre Väter sind nicht präsent, arbeiten zumeist fern der Heimat im Ausland. Die totalitären Auswirkungen der Militärdiktatur erleben die Kinder dabei mehr und mehr, insbesondere als ihr älterer Freund entführt und schließlich gefoltert wird. Neben all diesem Grauen merken die Kinder, wie wichtig Freundschaft und Mut in einer solch beklemmenden Situation sind, um bestehen zu können. Mit der handlungsarmen Geschichte, den überaus ruhigen, sorgfältig gewählten Einstellungen und dem radikal zurückgenommenen Musikeinsatz, steht der Film den Rezeptionsgewohnheiten heutiger Kinder entgegen. Vielleicht ist aber gerade dies der Reiz der Schneepiraten, denn der Film zeigt aus dem unverstellten Blick von Kindern ein Stück aktueller Geschichte um Ohnmacht und Willkür.
So wie ich bin – You‘re Ugly Too
Ohne ihre Eltern muss auch die elfjährige Stacey im Film You’re Ugly Too (So wie ich bin) (Irland 2014) auskommen. Nachdem sie beide Eltern verloren hat, ist ihr Onkel Will der einzige nahe Verwandte und soll sich um das Mädchen kümmern. Stacey kennt ihn gar nicht richtig und bleibt ihm gegenüber skeptisch. Will möchte partout nicht erzählen, warum er im Gefängnis war. Die beiden ziehen in eine Trailerparksiedlung in den Midlands. Obwohl Staceys Mutter erst vor sechs Wochen gestorben ist und die Lebensbedingungen schwierig bleiben, bemüht sich Will, dass die Dinge möglichst normal laufen. Er muss sich bewähren, denn sonst droht die Rückkehr in den Knast. Stacey leidet überdies an Narkolepsie und schläft manchmal unvermittelt ein. Als sie schließlich herausfindet, warum Will im Gefängnis war, wird alles noch schwieriger. Das Langfilmdebüt von Mark Noonan ist ein lakonischer Film, der mit wunderbaren Dialogen und irischem Humor gleichermaßen anrührend und charmant wirkt. Stacey und Will sind zwei starke Figuren, deren Persönlichkeiten zwar aufgrund der schicksalhaften Erlebnisse Risse bekommen haben, sich aber dennoch ihrer jeweiligen Verantwortung stellen. Noonan, von dem auch das Drehbuch stammt, gelingt es dabei hervorragend, der Protagonistin und dem Protagonisten intelligente und witzige Texte auf den Leib zu schreiben. Das anfangs spröde Duo Stacey und Will – grandios dargestellt von Nachwuchstalent Lauren Kinsella und dem vor allem in Irland bekannten Aidan Gillen (u. a. Game of Thrones) – wächst dabei behutsam zusammen, obwohl die Zukunft der beiden alles andere als rosig erscheint. Mit seinem relativ offenen Ende gibt der Film keine eindeutige Auflösung, wie es mit Stacey und Will weitergehen wird, bietet aber auf berührende Weise eine hoffnungsvolle Perspektive zwischen feinsinnigem Humor und Pragmatik.
"Iss doch was" – Ess-Störung und Leistungssport
Mit dem Thema Ess-Störung greift der schwedisch/deutsche Beitrag Min Lilla Syster (Stella) von Sanna Lenken ebenfalls ein sehr ernstes und wichtiges Problem auf. Die etwas pummelige Stella merkt allmählich, wie ihre große Schwester Katja immer größere Schwierigkeiten hat, Essen zu sich zu nehmen. Schließlich überrascht sie bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch ihre Schwester, als diese sich in der Toilette den Finger in den Hals steckt, um sich zu übergeben. Zu all dem trainiert Katja mehr als hart, um eine erfolgreiche Eiskunstläuferin zu werden und bewegt sich durch die Nahrungsverweigerung mehr und mehr in eine katastrophale, lebensbedrohliche Krise. Stella will helfen, muss aber versprechen, den zunächst unwissenden Eltern nichts zu erzählen. Schließlich eskaliert die Lage, Stella bricht ihr Schweigen und informiert die Eltern, die von dieser Situation allerdings völlig überfordert sind. Mit den Stilmitteln des klassischen Fernsehspiels gibt der Film einen realistischen und oft sehr deprimierenden Blick in das Krankheitsbild von Ess-Störungen, die lebensbedrohliche Formen annehmen können und die ohne fremde, klinische Hilfe kaum zu bewältigen sind. Der Film ist ein Plädoyer dafür, Kindern Mut zu machen, Probleme mit ihren Eltern zu besprechen, aber auch dafür, dass Eltern sich im Umgang mit ihren Kindern Zeit nehmen und genau hinschauen sollten. Vor allem sollten sie den Mut haben, professionelle Hilfe anzunehmen. Die pädagogische Altersempfehlung im Rahmen der Berlinale ist daher mit der Eignung ab 12 Jahren passend. Der mit einem Gläsernen Bären der Kinderjury und einer lobenden Erwähnung der internationalen Jury prämierte Film kann eine gute Gesprächsgrundlage bilden, um eine Diskussion über den Umgang mit diesem Krankheitsbild zu beginnen.
Hermetisch abgeriegelte Welten Berlinale Filme in der Sektion GENERATION 14plus
In zahlreichen Filmen der 14plus-Reihe müssen sich die heranwachsenden Protagonistinnen und Protagonisten in hermetisch abgeriegelten Welten zurechtfinden oder sind in ihrer jeweiligen Umgebung stark auf sich alleine gestellt. Manchmal sind sie abgeschottet innerhalb von isolierten Dorfgemeinschaften oder Familien, werden Opfer religiöser oder kulturell motivierter Ausgrenzung oder leben mehr in virtuellen als realen Welten. Häufig sind sie Außenseiterinnen oder Außenseiter – von anderen ausgeschlossen, Verbannte, Flüchtlinge oder schlichtweg Gefangene.
Auf sich alleine gestellt – El Gurί
Der zehnjährige Gonzalo lebt in einem abgeschiedenen Dorf im Nirgendwo Argentiniens. Wer hier landet, heißt es einmal im Film, kommt nur schwer wieder weg. Der Junge muss sich alleine um seine kleine Schwester kümmern, die noch ein Baby ist und lebt in einem Haus mit der senilen Großmutter, die ebenfalls auf seine Hilfe angewiesen ist. Gonzalos Mutter ist vor einigen Tagen fortgegangen und er glaubt, dass sie schon bald zurück sein wird. Dennoch muss er immer wieder über die drei Dinge nachdenken, die ihm seine Mutter zuletzt gesagt hatte: "Dass sie mich sehr lieb hat, dass ich erwachsen werden soll und dass ich mich um meine Schwester kümmern muss." Erst nach und nach wird Gonzalo klar, was die anderen im Dorf längst wissen: Seine Mutter wird nicht zurückkehren. Doch wer wird sich um ihn und vor allem um seine kleine Schwester kümmern? Julio, der Tierarzt, der kinderlos mit seiner Frau in der Nähe wohnt, oder die junge Lorena, die zufällig aufgrund eines defekten Autos im Dorf gestrandet ist und nicht weiß, wann sie wieder wegkommt? El Gurί ist ein langsamer, ruhiger Film. Die Lethargie des Dorfes bestimmt das Tempo der Geschichte. Regisseur Sergio Mazza hat dies in einer verschachtelten und dadurch fesselnden Erzählweise inszeniert. Wie einzelne Puzzleteile fügt sich die Story nach und nach zusammen und wir erkennen stückweise die Verstrickungen der Dorfbewohner, erhalten Hinweise auf die Vergangenheit der Mutter und das Schicksal Gonzalos und seiner Familie. Die Programmierung von El Gurί in Generation 14plus könnte in Frage gestellt werden und einzelne junge Zuschauerinnen und Zuschauer waren mit diesem Film möglicherweise überfordert. Ein Eindruck, der sich verstärkte, als der zehnjährige Darsteller Maximiliano Garcίa am Ende der Vorführung mit Tränen in den Augen neben dem Regisseur auf die Bühne trat, nachdem er den Film in Berlin zum ersten Mal gesehen hatte. Wie seine Filmfigur Gonzalo erfuhr er erst allmählich die ganze Wahrheit der Geschichte und war davon tief ergriffen. Andererseits ist dies aber auch eine Bestätigung dafür, dass El Gurί in der Tat zu den bemerkenswertesten und beeindruckendsten Beiträgen des diesjährigen Festivals zählte.
Bruder und Schwester – Märchensymbolik mit Fantasy
Im US-amerikanischen Film One & Two ist das Modell der hermetisch abgeriegelten Welt wohl am drastischsten und plakativsten zu finden. Die Geschwister Eva und Zac leben mit ihren Eltern auf einem isolierten Bauernhof ohne Strom, Maschinen und moderne Technik. Alles mutet zuerst wie eine historische Geschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Die Familie bewirtschaftet Hof und Felder per Handarbeit, die Wägen werden von Pferden gezogen. Dass hier etwas nicht stimmt, wird nur langsam deutlicher: Hoch oben am Himmel fliegen Jets vorüber und der Vater versucht verbissen, permanent alles unter Kontrolle zu halten. Das naturalistische Ambiente wird zudem durch eine mystische Komponente durchbrochen, denn Eva und Zac haben die übernatürliche Fähigkeit, sich kurzzeitig in Staub zu verwandeln und in Sekundenbruchteilen an anderer Stelle wieder zu erscheinen. Von dieser Eigenschaft machen die beiden vor allem nachts Gebrauch, wenn sie heimlich das Elternhaus verlassen, um in der Natur zu toben oder in den Himmel zu schauen. Die Landschaft, in der die Familie lebt, ist von einer hohen, unüberwindbaren Holzmauer umgeben. Niemand scheint zu wissen, was sich hinter der mysteriösen Grenze verbirgt. Der vermeintlich romantische Ort wird zum Schauplatz dramatischer Ereignisse und zunehmender Tyrannei des Vaters. Die Situation eskaliert weiter, als der Vater hinter Evas und Zacs nächtliche Ausflüge kommt. Strenge Strafen für die beiden Kinder sind die Folge. Gleichzeitig leidet die Mutter an einer unerklärlichen Krankheit. Das bisherige Leben der Familie gerät völlig aus den Fugen, als die Mutter stirbt. Streckenweise hochspannend hat Regisseur Andrew Droz Palermo die Geschichte inszeniert. Die Story changiert dabei zwischen der ländlichen Idylle, den Gewaltexzessen des Vaters gegen die Kinder und der Fantasy-Ebene. Allerdings zeigt die Dramaturgie deutliche Schwächen, indem angedeutete Erzählstränge nicht hinreichend durchdacht sind, offene Fragen unbeantwortet bleiben und selbst die Märchensymbolik schablonenhaft bleibt. Umso mehr wirken die teils gewalthaltigen Szenen, in denen der Vater die Kinder bestraft, übertrieben und für das junge Publikum möglicherweise belastend. Als eine Botschaft des Films könnte gelten, dass vieles im Leben durch Zufall und Schicksal entschieden wird. Doch dies ist bei der komplexen Exposition der Geschichte am Ende zu wenig. Durchaus schade, denn es gibt zahlreiche Szenen, die visuell und akustisch ausgesprochen gelungen sind. Vor allem die Kamera von Autumn Cheyenne Durald und der Score von Nathan Halpern wissen insgesamt zu überzeugen. Leider zerfällt die Klimax im Showdown durch den Einsatz eines völlig aus dem Rahmen fallenden Popsongs.
Tristesse der Vororte – perfekte Kulisse für ein schrilles Jugenddrama
Eröffnet wurde die Jugendfilmreihe GENERATION 14plus mit Prins (Prinz), dem beeindruckenden Spielfilmdebüt des Niederländers Sam de Jong. In einem sich mehr und mehr beschleunigenden Erzähltempo und grellen, teilweise in Visionen eines beklemmenden Drogenrausches getauchten Bildern, wirft der Autor und Regisseur de Jong ein verstörendes Bild der Situationheutiger Jugendlicher in den vom Wohlstand abgekoppelten Vorstädten westlicher Industrienationen. Genauer gesagt, bilden die tristen Wohnfabriken am Ortsrand von Amsterdam die ideale Kulisse für seine mit Laiendarstellerinnen und -darstellern inszenierte Leidens- und Heldengeschichte des Jugendlichen Ayoub. Hier lebt er zusammen mit seiner Halbschwester Demi und seiner frustrierten, depressiven Mutter in einer kleinen Wohnung. Mit seinen halbwüchsigen Freunden hängt er oft im Viertel ab und besucht hin und wieder seinen drogenabhängigen, obdachlosen Vater, der ihn um Geld anbettelt. Die Situation eskaliert, als sich Ayoub mehr und mehr in die hübsche Laura verliebt, die jedoch mit dem älteren, gewalttätigen Franky liiert ist. Um aus der Geschichte heil herauszukommen, sucht Ayoub fatalerweise den Kontakt zu dem bizarren Schwerverbrecher Kalpa. Zwar streift der Film ironisch mit all diesen teils klischeehaften Story-Zutaten die Grenze zum Sozialkitsch, aber dennoch vermag de Jong durch die unsentimentale und packende, immer dichter und drastischer werdende Erzählweise zu fesseln und zunehmend Spannung zu erzeugen. Vielleicht gelingt es dem Film damit sogar, Verständnis für die soziale, finanzielle und emotionale Situation dieser Jugendlichen zu erzeugen, die aus den Verhaltensmustern behüteter Mittelschichtsjugendlicher herausfallen. Zu Recht erhielt Prins eine lobende Erwähnung der Jugendjury.
Paper Planes (Papierflieger)
Australien 2014, 97 Min.
Regie und Buch: Robert Connolly
Darsteller: Ed Oxenbould (Dylan), Sam Worthington
(Jack), Ena Imai (Kimi), Nicholas Bakopoulos-Cooke
(Jason), Julian Dennison (Kevin)
Produktion: Arenamedia (Melbourne), Weltvertrieb:
Arclight (Los Angeles)
Kar Korsanları (Schneepiraten)
Türkei 2014, 83 Min.
Regie und Buch: Faruk Hacıhafızoğlu
Darsteller: Taha Tegin Özdemir (Serhat), Yakup
Özgür Kurtaal (Gürbüz), Ömer Uluç (İbo), Yücel Can
(Deli Durdağı), Isa Mastar (Cesur Cello)
Produktion: Kars Film (Istanbul), Weltvertrieb: noch
offen
You’re Ugly Too (So wie ich bin)
Irland 2014, 81 Min.
Regie und Buch: Mark Noonan
Darsteller: Lauren Kinsella (Stacey), Aidan Gillen
(Will), Erika Sainte (Emilie), George Pistereanu
(Tibor)
Produktion: Savage Production (Dublin), Weltvertrieb:
Picture Tree International (Berlin)
Min Lilla Syster (Stella)
Schweden/Deutschland 2015, 95 Min.
Regie und Buch: Sanna Lenken
Darsteller: Rebecka Josephson (Stella), Amy Deasismont
(Katja), Annika Hallin (Karin), Henrik Norlén (Lasse),
Maxim Mehmet (Jacob), Ellen Lindbom (Iga)
Produktion: Tangy (Stockholm), Weltvertrieb: Wide
(Paris)
El Gurί (The Kid)
Argentinien 2015, 88 Min.
Regie und Buch: Sergio Mazza
Darsteller: Maximiliano Garcίa (Gonzalo), Sofίa Gala
Castiglione (Lorena), Daniel Aráoz (Julio), Susana
Hornos (Alicia)
Produktion: Masa Latina (Victoria, Entre Rίos),
Weltvertrieb: Fandango (Rom)
One & Two
USA 2015, 91 Min.
Regie und Buch: Andrew Droz Palermo
Darsteller: Kiernan Shipka (Eva), Timothée Chalamet
(Zac), Grant Bowler (Vater), Elizabeth Reaser
(Mutter)
Produktion: One & Two / Bow & Arrow (Los Angeles),
Weltvertrieb: Protagonist Pictures (London)
Prins (Prinz)
Niederlande 2015, 78 Min.
Regie und Buch: Sam de Jong
Darsteller: Ayoub Elasri (Ayoub), Jorik Scholten
(Franky), Achraf Meziani (Achraf ), Oussama Addi
(Oussama), Elsie De Brauw (Ayoubs Mutter), Sigrid
Ten Napel (Laura), Olivia Lonsdale (Demi), Chaib
Massaoudi (Ayoubs Vater)
Produktion: 100% Halal (Amsterdam), Weltvertrieb:
Mongrel International (Toronto) - Michael Bloech: Zwiespältige Schönheit
Michael Bloech: Zwiespältige Schönheit
Eine subtile ReligiositätDie Filme des iranischen Regisseurs Majid Majidi sind neben aller Dramatik auch anrührend und bestechen durch eine entwaffnende Herzlichkeit und Wärme. In den nahezu dokumentarisch inszenierten Filmen strahlen die Protagonisten der Geschichten, wie zum Beispiel auch bei dem 1997 entstandenen Film „Kinder des Himmels“ (merz 5/99), stets eine ungeheure Würde aus. Dieses Gefühl für menschliche Würde entstammt einer universalen Religiosität des Filmemachers. Damit ist die Frage nach Sinnerfüllung im Leben gemeint. Die Glaubensfrage wird nicht in konfessionell gebundener Weise gestellt und deshalb findet sich auch kein dezidiertes Bekenntnis zum Islam.Der Verzicht auf religiöse Ideologisierung macht daher Majidis Filme unabhängig vom Bekenntnis und Kulturkreis verständlich. Es sind die berührenden Geschichten aus dem Alltag, die unspektakulär und gefühlvoll entwickelt und unter ethischen Gesichtspunkten erzählt werden. Mit diesen Alltagsgeschichten ist Majidi wohl ein überzeugender und erfolgreicher Botschafter seines Landes. In seinen Filmen spürt man die Liebe zu Land und Menschen im Iran.Vom Erkennen der WeltAuch bei seinem neuen Film, einer poetischen Fabel, hat diese Würde eine zentrale Bedeutung für die Handlung. Erzählt wird das Schicksal des sehbehinderten kleinen Jungen Mohammad, der in Teheran eine Blindenschule besucht und um die Liebe seines verwitweten Vaters kämpft.
Die Sommerferien beginnen und die Internatsschüler werden von ihren Eltern abgeholt. Freudig schließen die Eltern ihre Kinder in die Arme. Mohammad aber muss sehr lange auf seinen geliebten Vater in tiefer Einsamkeit warten. Der verbitterte Vater schämt sich für seinen sehbehinderten Sohn und würde ihn am liebsten für immer und ewig abschieben, da er einer beabsichtigten Ehe im Weg zu stehen scheint.Während der Zeit des Wartens vor dem Internat bleiben dem kleinen Jungen als Trost und Inspiration nur die ihn umgebenden Geräusche. Das verängstigte Piepsen eines kleinen Vogels, der aus dem Nest gefallen ist, weckt sein Interesse und mit Zärtlichkeit nähert sich Mohammad dem Vogel, steckt ihn in die Jackentasche und klettert abenteuerlich auf einen Baum, um den Vogel ins Nest zurückzubringen. Diese Szene ist der Schlüssel zum Verständnis des Films. Mohammads Eingreifen dokumentiert seine Liebe zum Leben und zur Natur. Übertragen auf die Vater-Sohn-Beziehung heißt das, erst wenn der Vater die Behinderung seines Sohnes akzeptiert wird er auch seine Verbitterung überwinden. Zum anderen erkennen wir als Zuschauer mit dieser Szene die Welt des Hörens als einen bedeutenden Bestandteil unserer Erkenntnis. Mohammad erschließt sich seine Umgebung durch Töne, Stimmen und Geräusche, und natürllich auch durch Riechen und Tasten. Wenn Mohammad in einem gluckernden Fluss im Kiesbett nach den kleinen Steinen sucht, scheint er sich mit seinen Fingern die Welt zu öffnen.
Und wenn die Kamera das Kind bei seinen akustischen und haptischen Entdeckungsreisen begleitet, lernen wir ein wenig von der Farbe des Paradieses kennen, einer Farbe, die für jeden Menschen sich anders gestaltet.Die Dialektik der GestaltungDie Geschichte Mohammads - das Warten vor der Schule, seine Reise in das Dorf des Vaters, seine Arbeit bei einem blinden Tischler in einem für ihn fremden Dorf, das Werben des Vaters um seine Auserwählte, das Leiden der Großmutter an der Härte des Vaters - wird in überwältigend schönen Bildern und mit einer raffiniert dichten Toncollage erzählt, die im Widerspruch zu dem bedrückenden Schicksal des Kindes stehen. Aber gerade diese ästhetische Gestaltungsweise zwingt zum genauen Betrachten, zum exakten Hinschauen und konzentrierten Zuhören und lässt dem Zuschauer kein Entkommen. Jüngere Kinder werden aber genau daher Schwierigkeiten haben, diese Ambivalenz zwischen Schönheit und bedrückender Situation auszuhalten. Auch das tragisch anmutende Filmende birgt für die jungen Zuschauer ein Problem: zwar gelingt es in der packenden und dramatischen Schlusssequenz Mohammad schließlich doch noch, die Liebe seines Vaters zu erringen, allerdings erscheint der Preis, den er dafür zahlen muss zu hoch. Offen bleibt nämlich, ob die beiden in der realen Welt zueinander finden oder erst im Paradies.
- Michael Bloech: Über den Dächern...
Michael Bloech: Über den Dächern...
Im Kinderfilm gibt es bestimmte Dinge, die eigentlich immer direkt ins Chaos, sprich zu Verrissen der Presse und Enttäuschungen beim Publikum führen. Zum einen ist es ein ungeheueres Risiko, die Hauptrollen eines Kinderfilms nicht mit Kindern zu besetzen und zum anderen ist es ziemlich gefährlich, in einem Realfilm Tiere sprechen zu lassen. Dennoch geht Vincent Bal mit seinem Kinderfilm „Die geheimnisvolle Minusch“ ganz bewusst diese beiden Wagnisse ein: beide Protagonisten sind Erwachsene und dann unterhalten sich auch noch ungeniert die Katzen im Film. Zudem wird ein weibliches Rollenbild präsentiert, das quer zum politisch korrekten Frauenbild einer dynamischen Karrierefrau oder eines erotischen Weibchens des Fernsehserien-Mainstreams liegt. Das macht die Rezeption möglicherweise nicht gerade glatt oder erleichtert den Filmkonsum. Aber haben Kinder tatsächlich mit diesem Film Probleme, da er mit herkömmlichen Sehgewohnheiten, Erwartungen und Rollenbildern bricht?Die pädagogisch distanzierte Perspektive ist schnell vergessen, wenn man in die charmante Geschichte des Films abtaucht. Grundlage bildet ein Roman der in den Niederlanden sehr populären Kinderbuchautorin Anna Maria Geertruida Schmidt, der vor rund 30 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Vincent Bal übernimmt dabei die nostalgische Atmosphäre der Vorlage. Im Zentrum der Geschichte steht zunächst der erfolglose, verträumte oder vielleicht sogar ein bisschen trottelige junge Journalist Tibbe, der von seiner Chefredakteurin eine letzte Chance bekommt. Wenn es ihm nicht gelingt eine interessante Story für die Kleinstadtzeitung zu produzieren, verliert er endgültig seinen Job. Frustriert von dem Erfolgsdruck lernt er auf seinem Nachhauseweg eine junge Frau kennen, die sich vor einem bissigen Hund auf einen Baum geflüchtet hat.
Die geheimnisvolle Frau behauptet, die Katze Minusch zu sein, die nur durch einen seltsamen Zwischenfall von einer Katze in eine junge Frau verwandelt wurde. Ungläubig begibt sich Tibbe in seine kleine Dachwohnung und wagt sich an seinen Artikel. Währenddessen streift die junge Frau Minusch wie eine Katze über die regennassen Dächer. Wie es der Zufall bzw. Autor will, treffen die beiden am Fenster aufeinander und Tibbe hat Mitleid mit der armen, bedauernswerten Minusch. Die beiden werden bald ein Team, denn Minusch, als Dank für die trockene Bleibe, versorgt ab diesem Zeitpunkt Tibbe mit Informationen aus der Katzenwelt, die er wunderbar gebrauchen kann. Sei es der Fund von wertvollen Münzen auf dem Friedhof oder einem Unfall mit Fahrerflucht, nichts bleibt den umherstreunenden Katzen verborgen. Tibbe wird mit diesen Informationen schnell zum Starreporter und Minusch seine Assistentin. Doch als Minusch und Tibbe sich mit dem Unternehmer Ellemeet anlegen, der den Bürgermeister in eine Korruptionsaffäre hineinziehen will, muss der junge Journalist bald seine Grenzen erkennen. Der Fabrikant hat mächtige Verbindungen, die selbst bis in die Redaktion hineinreichen. Da er sich nicht lächerlich machen möchte, kann Tibbe auch nicht seine Informanten, die Katzen, preisgeben. Doch wieder ist es Minusch, die ihm hier raffiniert aus der Klemme hilft. Schließlich muss sich Minusch aber doch entscheiden, entweder für die Welt der Katzen oder für eine gemeinsame Zukunft mit Tibbe.VorbilderMinusch hat ihre weiblichen Vorbilder in Grace Kelly („Über den Dächern von Nizza“), Julie Andrews („Mary Poppins“) und natürlich vor allem in Audrey Hepburn („Frühstück bei Tiffany“, „Sabrina“). All diesen Frauen ist das Geheimnisvolle, Mysteriöse und auch Schutzbedürftige gemeinsam. Carice van Houten gelingt es in der Rolle der Minusch vorzüglich, die geheimnisvolle Fragilität mit dem Katzenhaften, Schreckhaften zu verbinden. In einer Szene, in der sie sich als Katze in Menschengestalt in die Enge getrieben fühlt, zeigt sie Tibbe buchstäblich ihre Krallen und verletzt ihn dabei.
Das dabei transportierte weibliche Rollenbild ist ähnlich faszinierend und facettenreich wie das in den frühen Rollen von Audrey Hepburn: ein Gegenentwurf zum platten und so oft tradierten Bild einer erotisch, sinnlichen aber dafür inkompetenten Frau, der kein eigener Handlungsspielraum weder zugetraut noch eingeräumt wird. Die Zierlichkeit, die sich dem Androgynen annähert, ist dabei kein Ausdruck von Koketterie sondern entspricht eher einer realistischen Einschätzung der Situation der Protagonistin. Zwar ist Minusch in gewisser Weise Opfer, aber sie ist es, die immer wieder die Initiative ergreift, die Zusammenhänge perfekt analysiert und dann entsprechend handelt. Sie reflektiert dabei ihre Wirkung auf andere und setzt ihre „zauberhafte“ Wirkung bewusst zur Durchsetzung ihrer Interessen ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass Minusch eine zynisch kalte berechnende Person ist, die sich hinter einer gespielten Zerbrechlichkeit verstecken muss, sondern hier ist es gerade die natürliche Ausstrahlung und die große Ehrlichkeit mit der Minusch agiert. Leider lässt die Strukturierung Tibbes diese Differenzierung vermissen, er ist zwar ein sympathischer aber eben dennoch nur ein klassischer Loosertyp, der ausschließlich durch die Klugheit Minuschs zum Erfolg kommt. Damit ist er quasi die Spiegelung des weiblichen Klischees, bei der die eigene Rollendefinition stets nur über den jeweiligen Partner erfolgt. Dieser Kritikpunkt findet sich leider auch bei den anderen im Film agierenden Personen. Der Unternehmer Ellemeet, der Bürgermeister, die Chefredakteurin, der Fischhändler, all diese Menschen sind sehr plakativ und flach angelegt, sie sind lediglich Karikaturen ihrer selbst. Das ist insbesondere in Anbetracht der differenziert angelegten Rolle Minuschs ein wenig schade. Allerdings ist dies möglicherweise ein Tribut, das der Regisseur seiner Adressatengruppe, den Kindern, zollen musste.
Vielleicht sind es gerade die Eindimensionalität der Nebenrollen und die recht stringente Story mit einem überaus schematischen Konflikt – Böser Unternehmer besticht Politiker - die helfen sollen, die Einzigartigkeit Minuschs für Kinder nachvollziehbar zu machen. Wenn dies zutrifft, dann überbrückt der Film damit vielleicht auch die Distanz zu den jungen ZuschauerInnen, denn das Agieren der Protagonistin bietet Kindern reichlich Raum für Identifikation und Projektion, das Sperrige und Kantige liefert dabei genügend Reibungsfläche um eigene Rollenbilder zu entwerfen oder zu überprüfen.Neben dem gesellschaftskritischen besitzt der Film noch einen weiteren Aspekt, der ihn wohltuend von anderen Kinderfilmen, oder auch von ganz normalen Kinofilmen unterscheidet. Dem Film gelingt es nämlich stellenweise eine völlig eigene ästhetische Welt aufzubauen, die manchmal an Marc Caros & Jean-Pierre Jeunets „Delicatessen“ erinnert, ohne dabei dessen pessimistisch düsteres Weltbild zu transportieren. Es sind dabei vor allem die nächtlichen Dachaufnahmen, bei denen Minusch im grünen Wollkostüm mit ihrem ebenso grünen Koffer katzengleich wie einst Grace Kelly über den Dächern von Nizza im Regen über die Kamine einer holländischen Kleinstadt balanciert. Diese phantastischen Aufnahmen verleihen dem ganzen Film eine atmosphärische Dichte, einen sehr eigenständigen Charakter. Neben der umwerfend geheimnisvollen Minusch ist es gerade diese absurd heitere Stimmung mit diesen beeindruckenden Bildern, die den Film zu einem wirklichen Ereignis machen, das einem lange im Gedächtnis bleiben dürfte. Da verschmerzt man es auch gerne, wenn sich im strömenden Regen auf dem Dach plötzlich eine Gruppe computeranimierter Katzen trifft und sich in menschlicher Sprache angeregt unterhält.
Die geheimnisvolle Minusch
Regie: Vincent Bal – Buch: Tamara Bos, Burny Bos & Vincent Bal nach dem gleichnamigen Roman von Annie M.G. Schmidt – Kamera: Walther Vanden Ende – Musik: Peter Vermeersch – Darsteller: Carice van Houten, Theo Maassen, Pierre Bokma, Sarah Bannier – Produktion: Holland, USA (Bos Bros., Warner Bros.) 2001 – Länge: 86 Minuten – Verleih: Warner Bros. Film GmbH - Michael Bloech: Videoschnitt: Alles ganz easy, oder?
Michael Bloech: Videoschnitt: Alles ganz easy, oder?
Im Videoschnittbereich gibt es für den Computer inzwischen eine Vielzahl von Programmen, die zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden. Von kostenloser Freeware bis hin zu Programmen zu mehr als 1000 Euro ist am Markt alles erhältlich. Welche Programme sind sinnvoll und überhaupt brauchbar? Das hängt einerseits von der Konfiguration des verwendeten Rechners und andererseits von dem Verwendungszweck ab. Soll über eine spezielle analoge Videoschnittkarte ein Videofilm geschnitten werden, dann empfiehlt es sich dringend, die mit der Karte zusammen gelieferte Software zu verwenden, da diese auf die eingebaute Hardware im Allgemeinen gut abgestimmt wurde. Ist aber beabsichtigt DV-Videos, über den speziellen Firewire Eingang des Rechners einzuspielen und zu schneiden, oder sollen über eine videotaugliche Grafikkarte (All-in-one-Wonder) Camcordermaterial oder digitalisierte Fernsehsendungen geschnitten werden, um beispielsweise die lästige Werbung zu verbannen, dann bietet sich inzwischen eine ganze Palette lohnender Programme an. Premiere von Adobe, Media Studio Pro von Ulead, XpressDV von Avid oder Final Cut Pro von Apple sind professionelle Videoschnittsoftware im Bereich des semiprofessionellen Videoschnitts und entsprechend kostspielig. Der Umgang mit diesen mächtigen Programmen ist zumindest gewöhnungsbedürftig und die Anforderungen an die Hardware des Rechners dabei nicht unerheblich. Die Einführung des DV-Formats hatte jedoch zur Folge, dass nicht mehr umständlich und kompliziert analoge Videodaten über einen Wandler digitalisiert werden müssen.
Heute können die digitalen Videodaten mehr oder weniger direkt im Rechner ohne großen technischen Aufwand abgespeichert werden, es erübrigt sich der Aufwand mit den diffizilen Videokarten. Entsprechend hat die Software reagiert, so dass endlich auch preiswerte und teilweise sogar kostenlose Software für den Videoschnitt erhältlich ist. So haben beispielsweise Benutzer des aktuellen Microsoft Betriebssystems Windows XP auf ihren Rechnern mit dem kostenlosen Windows Movie Maker 2.0 generell die Möglichkeit der Videobearbeitung. Allerdings bietet das sehr einfache Programm nur begrenzt Möglichkeiten Bilder zu schneiden, die Tonbearbeitung fiel zudem wirklich äußerst dürftig aus. Die Erstellung von Titeln ist zwar gegeben, aber einige Features beispielsweise zum Erstellen von Rolltiteln fehlen ganz. Zudem kann der fertige Film lediglich im AVI und WMV Format abgespeichert werden, was eine Ausspielung auf einen DV-Camcorder erlaubt, nicht aber das Brennen auf universell lesbare DVDs oder VideoCDs. So gesehen empfiehlt es sich, das Programm für aufwendige Videoprojekte vielleicht besser nicht zu benutzen. Allerdings eignet es sich durchaus gut um kleine Videos für die Veröffentlichung im Internet oder als kurzes Attachment für E-mails zu bearbeiten. Inzwischen existieren jedoch viele kostengünstige Alternativen, mit denen Schnitte und Ausspielungen durchaus möglich sind, wie zum Beispiel Video Edit Magic von DeskShare (www.deskshare.com), das selbst unter Win98 SE läuft. Entscheidender Nachteil des enorm umfangreichen und mit rund 40 Euro vergleichbar preiswerten downloadbaren Programms ist seine eigenwillige Bedienung. Präzise Schnitte exakt nach Bild sind zwar möglich, aber eben nur auf einem umständlich anmutendenden Weg. Im Gegensatz zu dem Windows Movie Maker bietet das Programm jedoch entscheidend kreativere und etwas komfortablere Audiobearbeitungsmöglichkeiten.
Gravierender Nachteil, wie schon beim Movie Maker 2.0, ist jedoch, dass der fertig bearbeitete Film lediglich über den Umweg eines zusätzlich notwendigen Programms auf ein Videoband oder eine DVD ausgegeben werden kann. Video Edit Magic selbst kann den Film lediglich als AVI oder WMF- File abspeichern. Beim Testrechner führte darüber hinaus der integrierte Titelgenerator unter Windows 98 zu Systemabstürzen. Dennoch bietet sich das Programm auf Grund der vielfältigen Trick- und Effektblenden als Alternative für all diejenigen an, die Videos fürs Internet herstellen möchten. In dieser Preisklasse gibt es mit EVE von der Firma Mainconcept (www. mainconcept.de) noch ein weiteres interessantes Videoschnittprogramm. EVE ist optisch recht ansprechend gestaltet, sehr einfach gehalten und übersichtlich zu bedienen. Weitere Vorteile dieses Programms sind vor allem die in der Lautstärke separat zu regelnden drei Stereotonspuren und die Möglichkeit den fertigen Film auch als DVD auszuspielen. Ähnlich wie schon bei Video Edit Magic kann die Montage des Films mittels einer sogenannten Timeline sehr übersichtlich kontrolliert werden. Auch die kleine Softwareschmiede Cyberlink (www.gocyberlink.de) hat Videoschnittsoftware für den Schnitt von DV Material lanciert. Für knapp unter 100 € wird von Cyberlink mit PowerDirector Pro 2.5 ein durchaus interessantes Konkurrenzprodukt angeboten, welches aber aufgrund der umfangreicheren Codierungs- und Abspeichermöglichkeiten in der Handhabung zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Keine Menüleiste am oberen Monitorbild wie sonst üblich, sondern ein großer runder Regler führt durch den gesamten Prozeß des Videoschnitts vom Capturen (d.h. Einspielen in den Rechner), dem Editieren (Schneiden) über das Authoring (Erstellung des DVD Menues) bis hin zum Brennvorgang.
Der Drehregler erinnert dabei eher an ein Dampfradio, als an ein modernes Schnittsystem. Vielleicht ist das eine Konzession an die Hauptnutzer des Programms, das aktuell als Softwarebundle zu einem Multimediacomputer in den Filialen eines großen Lebensmitteldiscounters vertrieben wurde. Insgesamt liegen die Stärken des Programms im Bereich der hohen Variabilität der Ausgabeformate und des bequemen Schnitts von Bildmaterial. Soll jedoch der Ton bearbeitet werden, stoßen die Benutzer dieses Programms sehr schnell an Grenzen.Ein wenig unkomplizierter in der Bedienung und mit 90 Euro auch nicht teurer ist das Video Studio 7 von Ulead (www. ulead.com). Intuitiv erschließt sich schnell die Bedienung und auch ein exakter Schnitt ist möglich. Das Programm erlaubt über eine voice-over-Funktion das Zumischen von Geräuschen oder Musik zum Originalton und bietet darüber hinaus noch eine weitere freie Tonspur. Leider ist das individuelle Abmischen der drei Tonspuren nicht möglich.
Ein Pluspunkt ist dagegen, dass das System keine Probleme beim Capturen aufweist und neben internetspezifischen Dateiformaten diverse Ausgabemöglichkeiten zum Beispiel auf DV oder DVD vorhanden sind. In recht ähnlicher Form zu einem vergleichbaren Preis bietet der Konkurrent Pinnacle (www.pinnaclesys.com) mit dem Studio DV 8.0 ein ebenfalls einfach zu bedienendes Programm an, welches gute Bearbeitungs- und Ausgabemöglichkeiten offeriert. Interessanterweise wird für Laptops sogar eine besonders abgestimmte Version von Studio DV angeboten Die Tonbearbeitung ist beim Studio DV recht elegant gelöst, sodass sich diese Software insgesamt als wirklich rundherum empfehlenswert erweist. Allerdings erwarten die Programme von Pinnacle und Ulead einen modernen Computer mit Firewire Anschluss. Ältere Rechner mit langsamer Festplatte, Grafik- oder Videokarte und ähnlichem haben generell wenig Freude mit diesen Softwareprodukten, die sich mit wackeligen Bildern und häufigen Systemabstürzen während der Arbeit bedanken.
Generell sollte daher vor der Anschaffung von Videosoftware die Gelegenheit des kostenlosen Downloads oder von Demoversionen genutzt werden, um die anvisierte Software mit dem eigenen Rechner ausgiebig zu testen und konkret auszuprobieren, ob sich die Rechnerhardware überhaupt mit dem anvisierten Programm verträgt. Wenn dann das gewählte Programm jedoch nicht über die Möglichkeit der Ausspielung auf DVD verfügt, besteht kein Grund zur Verzweiflung, denn Pinnacle bietet mit der Software Expression für unter 50 Euro all denjenigen, die Videos lediglich als AVI im Rechner speichern können, ein sehr interessantes Zusatzprogramm an, welches das Ausspielen eines AVI-Films auf CD in den Formaten VCD und SVCD und DVD zulässt. Das Abspielen des fertigen Films ist nachher mit nahezu allen üblichen DVD Abspielgeräten möglich. Natürlich lassen sich die Mängel der meisten Videoschnittprogramme durch das Koppeln mit zusätzlicher Audioschnittsoftware ausbügeln.
Zwar erfordert dies in der Praxis ein umständliches Hin- und Herwechseln zwischen Programmen, führt aber letztlich zu zufriedenstellenden hörbaren Resultaten. Um die Qual der Wahl noch zu steigern, oder einfach einen Grund zu haben noch ein wenig zu warten, sei folgendes hartnäckige Gerücht noch kurz angemerkt, demzufolge in der zweiten Jahreshälfte von der renommierten Firma Avid möglicherweise eine kostenlose und abgespeckte Version von DVXpress angeboten wird, die wahrscheinlich beim Gebrauch mit Windows PCs optimal arbeiten dürfte. Allerdings ist es wahrscheinlich auch hier so, dass ein entsprechend moderner Rechner vorausgesetzt wird, um das verwendete System für den Videoschnitt zu optimieren. Wer alldem grundsätzlich aus dem Weg gehen möchte, der kann sich die Anschaffung eines komplett integrierten Videoschnittsystems Casablanca Avio der Firma Macrosystem (www.macrosys tem.de) oder eines modernen Apple Computers (www.apple. com/de) überlegen. Die bei Apple problemlos zu bedienende mitgelieferte Software iMovie lässt dabei sogar eingefleischte Anhänger des Videoschnittsystems Casablanca ein wenig vor Neid erblassen. Die Stärken von Avio liegen in der unkomplizierten Einbindung von analogen Videosystemen.
- Michael Bloech: Starke Jugendliche bei 14plus
Michael Bloech: Starke Jugendliche bei 14plus
Bereits zum dritten Mal widmet sich mit „14plus“ eine Sektion der Berlinale ausdrücklich dem Jugendfilm. Dass dies von der Zielgruppe der Jugendlichen positiv angenommen wird, haben die gut besuchten Veranstaltungen nachdrücklich bewiesen. Mag die Qualität der Produktionen, bei denen Jugendliche im Mittelpunkt der Handlung stehen, zum Teil auch recht unterschiedlich sein, so gab doch es viele sehenswerte Produktionen. Einer der wirklich herausragenden Filme war „Kamataki“ von Claude Gagnon, der zwar leider keinen Gläsernen Bären erringen konnte, aber immerhin mit einer Lobenden Erwähnung ausgezeichnet wurde. Regisseur Claude Gagnon kann dies sicher verschmerzen, denn er hat im Jahr 2005 gleich fünf Hauptpreise beim renommierten Filmfestival in Montreal für „Kamataki“ eingeheimst und das zu Recht. Gagnon erzählt in atemberaubend schönen Bildern die Geschichte von Ken, einem 22-jährigen nordamerikanischen Medizinstudenten, der nach dem Tod seines Vaters in tiefe Depression stürzt. Nach einem misslungenen Selbstmordversuch wird er von seiner Mutter zu seinem eigenwilligen Onkel Takuma nach Japan geschickt. Takuma ist ein ebenso gefeierter wie eigenwilliger Töpfermeister, der die alte japanische Kunst des Kamataki beherrscht. Diese traditionelle Methode des Kunsthandwerks verlangt Ruhe, Konzentration und Kraft. Der alte Mann zieht all dies aus seiner unkonventionellen Lebensweise, die dennoch ganz im Zeichen des Zen steht, er liebt das Leben in seiner komplexen Fülle, er lebt den Augenblick und versteht zu genießen. Dann, nach seiner exzessiven Erholungsphase beginnt die konzentrierte und mühevolle Arbeit. Das Geschirr muss getöpfert und der riesige Ofen, ein Anagama Kiln, vorbereitet und akribisch die zu brennenden Töpfereien im Inneren des riesigen Ofens gruppiert werden. Erst danach beginnt der Prozess des Anschürens mit speziellem Holz. Mindestens acht Tage und Nächte muss der Anagama auf Temperatur gehalten werden. Nur wenige Meister brennen nach dieser alten Methode, die eine einzigartige Glasur auf das Geschirr zaubert. Ken hilft seinem Onkel – zunächst willenlos, dann mit kritischer Distanz und schließlich fasziniert. Takuma, der alte Mann, hat damit augenzwinkernd sein Ziel erreicht, das Geschirr ist perfekt, ein Kunstwerk ist gelungen und Ken hat endlich den Lebensmut wiedergefunden, der ihm auf tragische Weise entrissen wurde.
„Kamataki“ ist einer der wenigen Filme, die auf positive Weise Mut machen sich auf Fremdes einzulassen und etwas zu entdecken, was in unserer schnelllebigen Zeit oft verloren gegangen zu sein scheint: die Ruhe.
Ähnlich wie der Amerikaner Ken steckt auch Sandra im schwedischen Film „Fyra Veckor i Juni“ (Vier Wochen im Juni) in einer tiefen Lebenskrise. Nachdem Sandra ihren Freund mit einem anderen Mädchen erwischt hat, attackiert sie ihn mit einer Schere und verletzt ihn schwer. Wie auch Ken gibt sie ihren bisherigen Lebensmittelpunkt auf, um wieder ganz von vorne zu beginnen. Sie zieht in eine Bauruine, um fern von ihrer Heimat ihre Jugendstrafe in einem Altkleidersammlungsbetrieb anzutreten. Sandra nimmt kaum die Welt um sich herum wahr, bemerkt zunächst nicht Lilly, die alte Frau, die neben ihr wohnt. Und auch von Marek, dem sympathischen, polnischen Schwarzarbeiter, der auf dem Baugerüst vor ihrem Fenster arbeitet, nimmt sie kaum Notiz. Ihr Herz scheint aus Stein, doch dann öffnet sie sich allmählich, lernt Lilly näher kennen und bemerkt Parallelen zu ihrer eigenen Biografie. Wie auch Sandra ist die alte Dame in ihrer Jugendzeit von einem Mann schwer enttäuscht worden. Bald werden die beiden Freundinnen, sie sehen sich nahezu täglich und ihre Beziehung zueinander wird immer enger. Lilly vertraut Sandra schließlich ihre dramatische Lebensgeschichte an. In ihrer Jugend liebte Lilly einen Mann, dessen antisemitische Familie sie als Jüdin nicht akzeptierte. Als sie schwanger wurde, heiratete sie jedoch einen anderen Mann, der nie erfahren sollte, dass Rebecca nicht sein eigenes Kind ist. Und nach all den vielen Jahren hat Lilly immer noch nicht den Mut aufgebracht, Rebecca die Wahrheit über ihren leiblichen Vater zu erzählen. Parallel dazu versucht Marek beharrlich den Kontakt zu Sandra herzustellen. Regisseur Henry Meyer wurde für diese berührende Geschichte zwischen den Generationen und den Enttäuschungen einer großen Liebe von der Jugendjury mit einem Gläsernen Bären ausgezeichnet. Vor allem die beiden souverän agierenden Hauptdarstellerinnen Tuva Novotny (Sandra) und Ghita Nørby (Lilly) transportieren die Geschichte mit hoher Glaubwürdigkeit. Präzise Dialoge, eine schnörkellose Erzählweise und eine gehörige Portion feinen Humors sorgen dafür, dass die vielleicht in der Auflösung ein wenig zu glatt geratene Story letztendlich überzeugt. Wesentlich bedrückender präsentiert sich die russische Produktion „Lovitor“ (Fänger) des tadschikischen Regisseurs Farkhot Abdullaev, obwohl auch dieser Film letztlich positiven Lebenswillen vermittelt. Der Begriff Lovitor entspringt der russischen Zirkuswelt, er bezeichnet denjenigen Artisten, der bei einer Menschenpyramide alle anderen trägt. Der deutsche Titel Fänger ist daher nicht ganz zutreffend, denn ein Lovitor ist einer, auf den sich alle anderen verlassen müssen, einer der die gesamte Verantwortung trägt. Konkret wird hier mit Mitteln des Dokumentarfilms die Geschichte von Kolyan, einem Jugendlichen, erzählt, der nach einer Gasexplosion auf der Stra?e lebt und sich zunächst einer Gruppe von Straßenkindern anschließt. Sie alle leben am Rande eines Flughafens in einer ausrangierten Passagiermaschine und fühlen sich bei Alick wohl, einem Ex-Piloten, der im Krieg beide Beine verloren hat. Zusammen mit seiner Freundin Mara sorgt er für die Kinder und gibt ihnen Halt. Tagsüber schickt er sie zum nahegelegenen Bahnhof und einem Markt zum Arbeiten. Die Kinder bieten Reisenden Hilfe beim Koffertragen an, verkaufen Blumen oder singen Lieder und versuchen so, ein bisschen Geld zu erbetteln. Doch die vermeintliche Idylle trügt, denn als der drogenabhängige Alick an einer Überdosis stirbt, bricht das fragile System zusammen. Das wenige Geld, das die Kinder verdient haben, und das eigentlich für den Umzug in ein Haus gedacht war, ist längst im Drogenkonsum versickert. Mara kann zunächst alleine die Gruppe nicht stabilisieren, doch mit Hilfe von Kolyan gelingt es für kurze Zeit, die Situation zu meistern. Trotzdem ergeben sich bald Probleme mit der Polizei und die Lage eskaliert. Bei aller Trostlosigkeit, bei allem Elend, der Korruption und Gewalt strahlt der Film dennoch eine ungeheure Kraft und einen unglaublichen Optimismus aus. Kolyan trifft auf einen Liliputanerzirkus und die Artisten wollen dem kleinwüchsigen, kräftigen Jungen eine Chance in ihrem Zirkus als Lovitor geben. Und Mara muss neue Kraft finden, um sich aus dem Teufelskreis von Erpressung und Gewalt zu befreien. Denn im Kern geht es bei Lovitor, wie bei einer Menschenpyramide darum, gegenseitig Halt zu finden, einander zu vertrauen und die Probleme gemeinsam zu meistern.
Kamataki
Kanada/Japan 2005, 110 min
Regie: Claude Gagnon
Darsteller: Matt Smiley (Ken), Tatsuya Fuji (Takuma), Kazuko Yoshiyuki (Kariya Sensei)
Fyra Veckor i Juni / Vier Wochen im Juni
Schweden 2005, 116 min
Regie: Henry MeyerDarsteller: Tuva Novotny (Sandra), Ghita Nørby (Lilly), Lukasz Garlicki (Marek)Lovitor / Fänger
Russland 2005, 115 min
Regie: Farkhot Abdullaev
Darsteller: Oleg Koulaev (Kolyan), Alexander Naumot (Alick), Yevgeniya Dobrovolskaya (Mara)
Beitrag aus Heft »2006/02: Medien in Familien - Familie in den Medien«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Es muß nicht immer Disney sein!
Michael Bloech: Es muß nicht immer Disney sein!
Wenn Kinder an Trickfilme, präziser formuliert: an Animationsfilme denken, fallen ihnen oft nur die Disney-Klassiker ein. Disney (oder vielmehr Buena Vista) versteht es ja auch ausgezeichnet, seine Filme zu vermarkten und aus jedem Neustart ein Ereignis besonderer Art zu machen. Begleitet werden die Filme von bedruckten Mützen, Spielfiguren in Juniortüten amerikanischer Fastfood-Ketten oder Hörkassetten. Diese Marketing-Anstrengungen sind natürlich noch kein Indiz für die Qualität des Films, dennoch bewirken sie, dass die Konkurrenz, die nicht mit diesem Aufwand aufwarten kann, ins Trudeln gerät.
Käpt’n Blaubär
Deshalb hat sich wohl auch die Produktionsfirma von „Käpt’n Blaubär“ entschlossen, dem großen überseeischen Bruder ein wenig nachzueifern. Ungewöhnlich großflächige und großformatige Werbung, ein Blaubär-Chat im Internet und lustige Blaubär-Fotoapparate im Drogeriemarkt verdeutlichen nur bruchstückhaft die Bemühungen, den Anschluss im Kampf um die Popularität nicht zu verlieren. Geschickt wird dabei, ganz dem großen Vorbild nacheifernd, das Augenmerk nicht nur auf Kinder, sondern auch auf die gesamte Familie gerichtet. Die Story des Films von Walter Moers, dem Erfinder des „Kleinen Arschlochs“, hat zwei Ebenen: eine die auf Kinder zielt mit lustigen Krokodilpiraten, drolligen Maulwürfen mit einer urkomischen Pfurzsprache, dem Bösewicht Professor Dr. Feinfinger, der vor allem durch die unverschämt eindringliche Stimme von Helge Schneider Profil erhält. Und es existiert noch eine Ebene mit eminent vielen politischen Anspielungen, die vor allem auf eine ältere Kinoklientel zielt.
Doch zunächst zur Geschichte selbst: Der böse Professor Feinfinger bringt die drei Enkel von Käpt’n Blaubär in seine Gewalt. Sie werden in seiner finsteren Felsenburg, umspült vom tosenden Ozean, gefangen gehalten. Dort beginnt Feinfinger mit einer Orgie der Umerziehung der drei Bärchen. Er möchte sie in das Reich des Bösen einführen, doch da hat er nicht mit der Hartnäckigkeit und dem Einfallsreichtum von Blaubär und der Treue von dessen Schiffsmaat Hein Blöd gerechnet. Feinfinger ist gezwungen, alle intriganten Register zu ziehen. Er hetzt die gefürchteten Krokodilpiraten, die unerbittlichen Wellenzwerge und die teuflischen Maulwürfe auf die zwei Seeleute. Doch es kommt wie es kommen muss zur finalen Auseinandersetzung zwischen dem Käpt’n und dem Professor. Es wendet sich alles zum Guten und die Macht des Bösen wird zerschlagen.
Zeichnerische Glanzlichter
Die Story wird mit viel Witz, Klamauk und Seemannsgarn gestrickt, wobei die Spannung nie aus den Augen verloren wird. Doch die wahre Qualität der Produktion ergibt sich aus anderen Dimensionen. Zum einen ist die künstlerische Bildgestaltung zu erwähnen, für die vor allem Michael Schaacks Trickfilmcompany verantwortlich zeichnet. Die traditionell gezeichneten Figuren sind realistisch und natürlich animiert und ‘ihre’ Welt ist aufregend und beeindruckend in Szene gesetzt. Dabei wird eine ganz eigene und neue Ästhetik zu generieren versucht: das Meer, die Boote und das Schloss werden spektakulär eingefärbt und eröffnen so fast eine neue Seherfahrung. Ein Trick half, diese Wirkung zu verstärken. Bei Kamerabewegungen verschieben sich die Relationen des Raumes bewusst ins Unnatürliche. Diese Verschiebung der Perspektiven und Relationen erzeugt effektvolle Bildwelten.
Ein Beispiel dafür stellt die Attacke der Krokodilpiraten auf Blaubärs Boot dar. Je nach Intensität der von Hein Blöd, den Kindern und Käpt’n Blaubär empfundenen Angst verändert sich dynamisch die Größe des Piratenschiffs. An dessen Bootskörper prangt ein großes A, das von einem Kreis umgeben wird! Eine Erinnerung an die anarchistische Distanzierung vom sogenannten Establishment der 70er Jahre! Die zeichnerische Phantasie lässt Begriffe wiederaufleben, die in unserer aktuellen politischen Diskussion verschwunden zu sein scheinen. Kinder können sicher nichts damit anfangen, aber die älteren Zuseher dürfen schmunzelnd in ihrer politischen Sozialisation kramen.
Der Gigant aus dem All
Ein wenig nostalgisch und historisch geht es in „The Iron Giant“ zu. Die Story ist in der Ära des Kalten Krieges angesiedelt. In dieser Zeit fanden in den USA oberirdische Atombombentests statt und das Fernsehen fand massen-haft Verbreitung. Der Start des ersten Satelliten - der russische Sputnik - verbreitete die Angst vor sowjetischen Atomraketen. Die Handlung selbst hat die Kurzgeschichte für Kinder „The Iron Man“ des Briten Edward James ‘Ted’ Hughes aus dem Jahr 1968 zur Grundlage. Erzählt wird die Geschichte des zehnjährigen Hogarth, der im Wald einen riesigen Roboter aus Metall entdeckt, der geradewegs aus dem All heruntergepurzelt ist. Hogarth - dem seine alleinerziehende Mutter keine Haustiere erlaubt - freundet sich mit zwar Furcht einflößenden, aber dennoch sympathischen Riesen an. Doch wohin mit dem Ungetüm aus Stahl, das noch dazu unaufhörlichen Appetit auf Metall verspürt. Schließlich kann der Gigant doch nicht ständig unentdeckt Autos, Eisenbahnschienen und Traktoren verspeisen.
Hogarth versteckt den Roboter deshalb bei seinem Freund, dem jungen Künstler Dean, der nicht nur ausgesprochen nett ist, sondern noch dazu einen Schrottplatz besitzt. Da aber Fischer den Absturz des Giganten beobachtet haben und die Zerstörung der vielen Autos nicht geklärt wird, heftet sich der zynische und dumme FBI-Agent Kent Mansley an die Fersen des Riesen. Mansley ist geprägt von der Hysterie des Kalten Krieges, das heißt, er handelt so wie er nach seinem Doktrin handeln muss. Der Riese stellt eine Bedrohung dar, die zu vernichten ist. Schnell merkt aber der Ermittler, dass die Schlüsselfigur in diesem Spiel Hogarth ist und so macht er sich an diesen heran, setzt ihn unter Druck und hetzt die Armee mit Atomraketen auf den (sonst) friedlichen Roboter. Hogarth und seinem Giganten gelingt es aber, die Stadt und die Armee von der Friedfertigkeit zu überzeugen. Allerdings zu spät, denn die Atomrakete ist bereits gezündet. Die Stadt soll geopfert werden, um so Amerika vor der Bedrohung zu retten. In wahrer Selbstaufopferung und als Beweis seiner Freundschaft zu Hogarth steigt der Gigant in den Himmel auf, durchkreuzt die Flugbahn der Rakete und wird von der Bombe in tausend Teile zerfetzt.
Aufrichtige Botschaften
Das Ganze wird flott und emotional erzählt, kommt allerdings nicht ohne einige kitschige Kleinigkeiten aus. Dean und Hogarths Mutter verlieben sich überflüssigerweise ineinander und der General, der von Mansley zum Abschuß der Atomrakete genötigt wird, ist in seiner Besonnenheit doch zu positiv stilisiert. Aber die Spannung kommt niemals zu kurz und auch die Tricktechnik wird mehr als routiniert eingesetzt. Die Animationen sind perfekt - und so gesehen muss es wirklich nicht immer Disney sein. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass bei der Warner Brothers-Produktion Anklänge an bewährte Zeichentrick-Traditionen im Stile Disneys spürbar sind. Die Art der eher flächig wirkenden Figurenpräsentation und Zeichnung verwundert nicht, da die Produzentin Allison Abbate lange Jahre bei Disney arbeitete und Regisseur Brad Bird mit 14 Jahren von einem der Disney-Animatoren aufgrund seines eigenen ersten Zeichentrickfilms als Talent entdeckt und schließlich dort auch gefördert wurde.
Doch das entscheidende Qualitätsmoment entwickelt der Film auf einer ganz anderen als der zeichnerischen Ebene. „Der Gigant aus dem All“ beinhaltet eine entschiedene Absage an Waffen, Aggression und Krieg und an humanes Leben paralysierende Feindbilder. Kindern wird diese positive pazifistische Botschaft schnörkellos präsentiert und die Gefährlichkeit von Vorurteilen wird eindringlich gezeigt. Außerdem wirft der Film einen ironisch distanzierten Blick auf die spießige und verklemmte Welt der 50er Jahre Nordamerikas, die manchmal doch zu gerne verklärt werden. Damit entfernt sich auch diese Produktion mit einer frischen politischen Brise und mit Riesenschritten wohltuend von der Disneytradition, die ihre Ideologien immer verbrämt präsentiert und damit kein Risiko einzugehen gewillt ist.
Die Kinokassen melden, dass die beiden sympathischen Filme mit ihren unaufdringlichen und humorig vorgetragenen Botschaften sich mehr als nur behaupten können. Diese Information ist hoffentlich kein Seemannsgarn.
Käpt’ Blaubär
Regie: Hayo Freitag – Buch & Figuren: Walter Moers – Kamera: Graham Tiernan - Musik: Wolfgang v. Henko, Fred Timm & Joachim Schlüter - Sprecher: Wolfgang Völz, Edgar Hoppe, Helge Schneider – Produktion: Deutschland (Senator Film) 1999 – Länge: 80 Minuten – Verleih: Senator Film
Der Gigant aus dem All (The Iron Giant)
Regie: Brad Bird – Drehuch: Tim McCanlies nach der Kurzgeschichte „Der Eisenmann“ von Ted Hughes – Produzenten: Allison Abbate, Des McAnuff – Gesamtleitung: Pete Townshend - Musik: Michael Kamen – Sprecher: Till Völger, Jürgen Kluckert, Nadja Reichardt, Johannes Baasner – Produktion: USA (Warner Brothers) 1999 - Länge: 87 Minuten – Verleih: Warner Brothers
- Michael Bloech: Digitale Bidbearbeitung leicht gemacht
Michael Bloech: Digitale Bidbearbeitung leicht gemacht
Wer sich nicht zeitraubend in professionelle Bildbearbeitungssoftware wie Adobe Photoshop einarbeiten, aber dennoch verblüffend gute Bildresultate erzielen möchte, sollte sich von MGI hier zu einem erfreulich günstigen Preis eine interessante Alternative. Das Programm kommt mit allen gängigen Bildformaten zurecht und erlaubt problemlos auchdas freie Umwandeln der verschiedenen Speicherformate untereinander. Augenfällig ist bei dem Programm zunächst vor allem die benutzerfreundliche Bedienanleitung, die selbst Computerlaien Schritt für Schritt durch das mächtige Programm führt. Die Erklärungen sind knapp, verständlich und präzise. Bereits nach kurzer Einarbeitungszeit ermöglichen die Bearbeitungswerkzeuge dem Nutzer beispielsweise das Retouchieren von Fotos, das Freistellen von Objekten, lustiges Verfremden und VErzerren von Porträts, die Montage von mehreren Bildern zu einer Collage, das Anfertigen von Panoramafotos und vieles andere Mehr.
Absolutes Highlight des Programms ist das Anfertigen von Mosaiken, wobei über ein erstes Foto viele weitere gezgen werden. Durch das Zusammenschmelzen wird das ursprüngliche Foto dann mosaikartig durch die weiteren Fotos auf eine sehr ansprechende Weise aufgebaut. Natürlich bietet die Software auch die Möglichkeit auf ähnlich bequeme Weise Seiten für das Internet zu gestalten. Allerdings kann es nicht professionelle WEbgestaltungsprogramme wie Frontpage oder Netscape Composer völlig ersetzen, aber für erste Gehversuche ohne Kenntnisse in der html - Programmierung ist es geeignet, zumal Bilder und auch Audiodaten optimal und überraschend einfach in die Seiten eingepasst werden. Ausserdem lassen sich kleine animierte Sequenzen, Minitrickfilme erstellen, sogenannte "animgifs". Die Gestaltung der animgifs istzwar ähnlich einfach wie die übrige Bildbearbeitung aber letzlich ein wenig umständlich. Selbstverständlich können diese kleinen Trickfilme dann auch in die selbst erstellten Netzseiten eingefügt werden.
Vor allem für Schüler, Studenten und natürlich auch die Jugendarbeit empfiehlt sich damit diese Software, die nicht nur viel bietet, einfach zu bedienen ist, sondern auch für diesen Benutzerkreis interessante Rabatte anbietet. (Informationen über Bezugsmöglichkeiten und Preise zu den Schulversionen finden sich auf der Hompage www.logitbyte.de)Zu einem mächtigen Multimediapackage wird das Ganze, wenn es schliesslich als MGI Digital Media Suite geordert wird. Das umfangreiche Softwarepaket enthält dann neben der oben genannten Bildbearbeitungssoftware ein Programm zum Abspielen von DVD-Filmen und die Videoschnittsoftware MGI VideoWave, die allerdings eine entsprechende Videokarte und mindestens eien schnellen Pentium III Rechner als Voraussetung hat. Eine genaue Liste der Konfigurationsbedienugen, die beispielsweise passende Grafik- und Videokarten aufzeigt, findet sich im Internet unter www.mgisoft.de. Zum Trost für die Besitzer älterer Rechner sei gesagt, dass die Bildbearbeitungssoftware bereits mit einem Pentium2 Rechner unter Win98 mit 64 MB Ram Arbeitsspeicher stabil läuft.
Beitrag aus Heft »2002/01: Medienwirklichkeiten: der 11. September«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Der rote Elvis
Michael Bloech: Der rote Elvis
Dean Reed war eine der geheimnisvollsten Ikonen der globalen Popkultur zu Zeiten des Kalten Krieges. In Leopold Grüns Dokumentarfilm Der rote Elvis wird aus einer distanzierten, aber zu-gleich auch ambitionierten Perspektive die berufliche, ideologische wie auch die private Seite der Biografie des US-Amerikaners, der aus politischen Gründen 1973 in die damalige DDR immigrierte, beleuchtet. Der Sänger und Schauspieler verstand sich als Sozialrevolutionär und reiste unermüdlich mit seiner Gitarre durch die Welt, protestierte gegen Militätrregimes und den Vietmamkrieg und warb für seine Utopie.
Bekannt und beliebt war er vor allem in den sozialistischen Staaten, in Osteuropa und Südamerika. Und politische Persönlichkeiten wie Salvador Allende, Daniel Ortega und Yassir Arafat zählten zu seinem Bekanntenkreis. Als er in die DDR zog, konnte er dort zunächst die Menschen durch seine charismatische Ausstrahlung begeistern. Dean Reed gelang es jedoch im Verlauf der Jahre nicht, seine hochfliegenden sozialistischen Ideale in die eigene, private Lebensweise zu integrieren. Ausgenutzt von der DDR-Propaganda, vereinnahmt vom politischen Kalkül der Machthabenden, unfähig auf den Wandel der Zeit zu reagieren, desillusioniert und zermürbt von Beziehungskrisen beging der Künstler schließlich 1986 Selbstmord.
Akribisch verfolgt der Film mit Berichten von prominenten Zeitzeugen wie dem Schauspieler Armin Mueller-Stahl, DEFA- Regisseur Günter Reisch oder der Schriftstellerin Isabel Allende mehrere Stationen aus dem sprunghaften Leben von Dean Reed und zeigt, wie wichtig und motivierend Utopien einer-seits sind, macht aber auf der anderen Seite auch deutlich, welche menschliche Tragik sich aus der Desillusion entwickeln kann. Bemerkenswert an dem Film ist, wie pointiert und spannend ein Personenportrait sein kann, wenn nicht auf oberflächliche Effekte zurückgegriffen wird und Widersprüche nicht geglättet werden. Der rote ElvisDeutschland 2006, 90 minRegie: Leopold GrünDarsteller: (Mitwirkende) Chucho Fernandez, Isabel Allende, Peter Boyles, Armin Mueller-Stahl, Celino Bleiweiß, Egon Krenz, Wiebke Reed, Günther Reisch, Maren Zeidler Neue Visionen Film Verleih GmbH
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Bedrückende Kinderschicksale
Michael Bloech: Bedrückende Kinderschicksale
Generation Kplus ist der Titel des etablierten Kinderfilmfestivals innerhalb der Berlinale – eine Bezeichnung, die seit drei Jahren Fortschritt und Dynamik suggerieren möchte. Doch in diesem Jahr zeigte schon der erste Blick in das Programmheft des Festivals, dass sich leider etwas ganz anderes abzuzeichnen droht. Nur noch zehn Kinderfilme, anstatt der bisher üblichen 14 Filme wurden für den Wettbewerb ausgewählt, davon lediglich drei empfohlen für Kinder unter acht Jahre. Ein Trend, der sich bereits in den letzten Jahren andeutete: Die Adressaten, an die sich die Filme richten, werden zunehmend älter, Filme für die Kleinen befinden sich scheinbar im Rückzug. Auch die Themen sind zunehmend bedrückend – locker, leichte Filme bildeten eher die Ausnahme. Kein Wunder also, dass der recht konventionelle, aber lustige französische Animationsfilm Auf in den Westen, Lucky Luke von der Internationalen Jury mit dem Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks mit der Begründung ausgezeichnet wurde: „Der Film zelebriert die Freude, die uns das Kino bereiten kann.“ Der gesamte osteuropäische Raum, klassischer Kinderfilmlieferant bis weit in die 90er Jahre, war dagegen überhaupt nicht mehr vertreten. Eine deutsche Produktion war gar nicht erst angetreten. Lediglich in einer Cross-Section wurde aus dem Berlinale Wettbewerb der mehr als umstrittene deutsch-österreichische Film Feuerherz gezeigt, der das Schicksal einer Kindersoldatin erzählt. Diesen Beitrag jedoch als Kinderfilm zu bezeichnen, kann durchaus als gewagt gelten. Vielleicht wäre es wesentlich geschickter gewesen, den Wettbewerbsbeitrag The Song of Sparrows – Avaze Gonjeshk-ha von Majid Majidi in die Cross-Section aufzunehmen. Majid Majidi ist mit seinen wunderschönen Kinderfilmen Kinder des Himmels und Die Farben des Paradieses einer der renommiertesten Kinderfilmproduzenten Irans. Und auch bei The Song of Sparrows – Avaze Gonjeshk-ha hat Majid Majidi wieder Familien als Publikum im Visier. Poetisch einfühlsam wird hier die Geschichte des dreifachen Familienvaters Karim erzählt, der vor den Toren der Stadt Teheran auf einer Straußenfarm arbeitet. Das Leben scheint für ihn und seine Familie unkompliziert, doch als ein ihm anvertrauter Strauß aus seinem Gehege flieht, wird ihm gekündigt. Nun beginnt für Karim eine wahre Odyssee, um das Auskommen der Familie zu sichern. Mit seinem klapprigen Motorrad versucht er in Teheran Boten- und Taxidienste zu erledigen, doch dann passiert ihm schließlich ein weiteres Missgeschick. Auf seinem Hof wird Karim unter einer zusammenbrechenden Mauer begraben und muss mit gebrochenem Bein für lange Zeit das Bett hüten. Die Stunde seiner Frau und seiner Kinder ist gekommen: Zusammen mit Freunden und viel Fantasie gelingt es ihnen, für das notwendige Familieneinkommen zu sorgen. Mit viel Humor und Herzblut wird diese kleine Geschichte erzählt und eröffnet uns einen Einblick in eine für uns fremde Welt. Viele kleine, unterhaltsame Episoden münden schließlich in die sehr sympathische, politische Aussage, dass die patriarchale Lebensweise mit Charme und Humor aufgebrochen und überwunden werden kann. Vor allem der unglaubliche Reza Najie in der Rolle des unermüdlichen Karims sorgt mit seiner lakonischen Spielweise dafür, dass der Film glaubwürdig, authentisch und warmherzig seine Geschichte entfalten kann. Kein Wunder also, das Reza Najie einen goldenen Bären für seine überragende schauspielerische Leistung erhielt. In gewisser Weise thematisch vergleichbar, versuchte sich bei Generation Kplus der brasilianisch, französische Film Mutum von Sandra Kogut dem Leben einer Bauernfamilie im brasilianischen Hinterland zu nähern. Doch im Gegensatz zu dem iranischen Film wurden hier alle Register einer ‚Überdramatisierung’, einer Spirale des Elends gezogen. Immer bedrückender wird hier ein kleiner Junge mit seinem furchtbaren, unausweichlichen Schicksal konfrontiert. Ständig passieren neue Katastrophen, die Familie ist arm, die Böden trocken, der Vater gewalttätig, der sympathische Onkel aus dem Haus getrieben, der Bruder stirbt und schließlich wird der Junge von seiner Mutter in die ferne große Stadt geschickt. Nichts lässt der Film aus, um die Zuschauerinnen und Zuschauer in einen Sog tiefer Depression zu ziehen, die wirklich sprachlos macht. Der Film erhebt dabei den Anspruch auf dokumentarische Wirklichkeitsnähe und so erhielt Mutum auch eine lobende Erwähnung der internationalen Jury für seinen ‚Realismus’. Aber dennoch erzeugte der pessimistisch stimmende Film bei vielen Kindern Ratlosigkeit, da der Film völlig auf Erklärungen verzichtet und zu keiner Zeit positive Perspektiven aufzeigt. Ebenfalls ein Film, der sich mit einem ernsten Thema beschäftigte, war die amerikanische Produktion Chop Shop, die ein düsteres Bild des amerikanischen „Way of Life“ vermittelt. Der zwölfjährige Alejandro, ein Waisenkind aus New York, lebt mit seiner älteren Schwester auf dem Gelände eines gigantischen Autofriedhofs. Wüssten die Zuschauenden nicht, dass es hier um das Armenviertel des Stadteil Queens geht, dann könnte das Ganze auch in den Slums von Südamerika spielen. Schon F. Scott Fitzgerald bezeichnete vor einem dreiviertel Jahrhundert diese Gegend in Der große Gatsby als ‚Tal der Asche’. In dem ganzen Dreck und Müll haben sich in heutiger Zeit kleine, illegale Werkstätten angesiedelt, die mit gebrauchten Autoteilen handeln und kleine Reparaturen erledigen. Alejandro arbeitet als Einweiser, der wild gestikulierend potenziellen Kunden den Weg zum Chef der Werkstatt weist. Der Junge ist unglaublich fleißig und spart jeden Dollar, um zusammen mit seiner Schwester einen alten Imbisswagen zu kaufen, der den Weg aus dem Elend sicherstellen soll. Doch der Kauf erweist sich als übler Betrug, das Geld ist verloren und der Junge befindet sich schließlich wieder am Anfang. Dennoch verliert Alejandro niemals den Mut und seine Würde. Trotz aller Tristesse, gelingt es zu zeigen, dass Würde und Stolz, Verantwortung und Selbstachtung keine Frage des sozialen Status’ sind. Im Gegensatz zu Mutum erweist sich Alejandro dem scheinbar ausweglosen Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Chop Shop zeigt vielmehr, wie wichtig es trotz Rückschlägen ist, seine Ziele und die Hoffnung nicht aufzugeben. Damit ist Chop Shop einer der Filme, dessen Bilder einem nicht so schnell aus dem Kopf gehen. Ob jedoch all diese beeindruckend bedrückenden und ernsten Filme von Generation Kplus für Kinder geeignet scheinen, mag trotz ihrer jungen sympathischen Protagonisten und der soziopolitischen Relevanz der Themen zumindest in Frage gestellt werden.
- Michael Bloech: Virtuelle Helden im Film - Boxer 3D
Michael Bloech: Virtuelle Helden im Film - Boxer 3D
Ob Shrek oder Captain Buzz Lightyear aus dem Film Toy Story, computeranimierte Filmhelden sind aus der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Und wer wollte nicht schon einmal wissen, wie so ein Filmheld im Computer entsteht? In der 40-minütigen, technisch anspruchsvoll gestalteten Computeranimation Boxer 3D von Pierre Lachapelle versuchen die hypergestylte, schlangenhaft synthetische Moderatorin Maria und der korpulente, glatzköpfige Phil dieses komplexe Thema auf verständliche Weise den Zuschauerinnen und Zuschauern zu vermitteln. Ganz nach dem Motto „die Schöne und das Biest“ werden die beiden Moderations-Kunstfiguren präsentiert. Das Setting einer klassischen Fernsehshow wird zwar ironisch gebrochen, aber dennoch bleibt das Duo zu sehr den bekannten Medien-Vorbildern und entsprechenden Klischees verhaftet. Hier ist ein wenig zu spüren, dass sich Boxer 3D, wie viele actiongeladene, computergenerierte Animationsfilme, an ein vornehmlich männliches, technikbegeistertes Publikum wenden möchte. Ausgangspunkt der Erklärungen des virtuellen Moderationsduos bilden mit dem Computer gezeichnete Polygone, also Vielecke, die zusammen als Gitternetz über einen virtuellen Körper gelegt werden. Im nächsten Schritt wird das Gitterbild der Polygone geglättet, mit Farben und Strukturen überzogen, Bewegungen von realen Schauspielern über Messpunkte kopiert, auf die Polygonstruktur übertragen und schon ist eine Computer-Figur, ein kleiner junger Boxer, scheinbar zum Leben erweckt. All dies wird beeindruckend locker und unterhaltend für ältere Kinder bzw. Jugendliche erläutert.
Auf technischen Firlefanz wird dabei bewusst verzichtet, um vor allem das Prinzip der Computeranimation eines Darstellers und die Schritte von der Planung bis zur fertigen Animation durchschaubar zu machen. Im zweiten Teil von Boxer 3D wird dann ein amüsanter Kurzspielfilm präsentiert, der die zuvor konstruierte Person des Boxers in Aktion zeigt. Konkret wird eine Geschichte nach dem ‚David gegen Goliath’-Muster geboten, angesiedelt in einer Boxarena der 30er Jahre. Der vorlaute und schmächtige Slim muss beweisen, dass er gegen den bulligen und brutalen Boxer Killer im Ring bestehen kann. Klar ist natürlich, wer letztlich als Sieger aus dem Boxring steigt …Schließlich schlägt im dritten Teil der Produktion Boxer 3D wieder das Cyber-Moderationsduo zu und wirft launig die Frage auf, ob zukünftig Schauspielerinnen und Schauspieler überflüssig werden. Schon jetzt werden beispielsweise Stunts zunehmend von virtuellen Kolleginnen bzw. Kollegen erledigt, was das Verletzungsrisiko und natürlich auch Kosten erheblich mindert. Insgesamt bewegt sich Boxer 3D dennoch letztlich in einem eher medienkritisch oberflächlichen Rahmen. Was aber bleibt, ist ein ästhetisch überwältigender Eindruck der aktuellen Möglichkeiten professioneller dreidimensionaler Computeranimation. Das technisch anspruchsvolle Verfahren zur Präsentation, welches bei Boxer 3D – und ähnlich produzierten dreidimensionalen Filmen – Verwendung findet, erfordert eine gebogene, silbern bedampfte Leinwand, spezielle Brillen mit zwei unterschiedlich polarisierenden Gläsern und zwei parallel arbeitende Videoprojektoren, die von einem Computer bespielt werden. Entsprechend projizieren die Beamer jeweils ein Bild für das linke und das rechte Auge auf die Leinwand. Im Gehirn der Zuschauerinnen und Zuschauer werden dann diese zwei unterschiedlichen Bilder wieder zu einem dreidimensionalen Bildeindruck eines einzigen Bildes zusammengefügt. Anders als bei anderen, klassischen Verfahren ist der Farb-, Schärfe- und Tiefeneindruck natürlich auch durch die extrem dreidimensional im Computer entwickelten Räume ziemlich atemberaubend, allerdings darf der Kopf beim Betrachten des Leinwandbildes nicht bewegt werden, was nach längerer Zeit doch leicht ermüdend wird. In verschiedenen Sequenzen scheint Slim tatsächlich zum Greifen nahe, quasi schwebend vor der Leinwand über den anderen Zuschauenden. Da aber bundesweit nur wenige Kinos mit einer derartigen komplizierten Vorführtechnik aufwarten können, wird dieser, zwar nicht medienpädagogisch, aber zumindest ‚medien-kundlich’ interessante Film wahrscheinlich zusätzlich in einer herkömmlichen, klassischen 35mm Version zu sehen sein.
Boxer 3D
Kanada 2008, 40 min
Regie: Steven Bramson
Darsteller: Ronald Houle, Benoît Brière, Danniel Danniel
Verleih: Fantasia film
- Michael Bloech: Ansätze nachhaltiger Medienpädagogik in Bayern
Michael Bloech: Ansätze nachhaltiger Medienpädagogik in Bayern
Moderne Medienpädagogik in der Bundesrepublik hat ihre Wurzeln in den frühen Ansätzen rezeptiver Medienarbeit der Nachkriegsjahre. Nur durch gesellschaftlichen Wandel, technischen Fortschritt, Innovation, Vernetzung, medienwissenschaftliche Fundierung und finanzielle Absicherung gelang es, aus diesen ersten Ansätzen nachhaltige und moderne Modelle medienpädagogischer Praxis für die Kinder- und Jugendarbeit zu institutionalisieren.
Literatur
Hauff, Volker (Hrsg.) (1987). Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven: Eggenkamp-Verlag (vergriffen).
Schell, Fred/Stolzenburg, Elke/Theunert, Helga (Hrsg.) (1999). Medienkompetenz: Grundlagen und pädagogisches Handeln. München: kopaed (vergriffen).
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen, Theorie und Praxis. München: kopaed.
- Birgit Weichenrieder und Michael Bloech: Alles unter Kontrolle
Birgit Weichenrieder und Michael Bloech: Alles unter Kontrolle
Zur Bewährung hinter die Kamera – diese Idee wurde in jüngster Zeit gleich zweimal umgesetzt. Straffällig gewordene Jugendliche wurden dazu ‚verurteilt‘, sich mittels aktiver Medienarbeit mit ihren Vergehen auseinander zu setzen und diese in eigenen Filmen aufzuarbeiten. Dabei waren die Jugendlichen in der Umsetzung völlig frei, wurden aber von medienpädagogischer, juristischer und psychologischer Seite unterstützt – und verzeichneten überaus positive Ergebnisse.
Beitrag aus Heft »2009/04: Informationelle Selbstbestimmung?!«
Autor: Birgit Weichenrieder
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Die Games Convention Online
Michael Bloech: Die Games Convention Online
Zum ersten Mal startete in Leipzig vom 31.07 bis zum 2.08.09 unter dem Titel Games Convention Online, Europas erste Messe für sogenannte Online Computerspiele. Nach dem konfliktträchtigen Wegzug der Games Convention von Leipzig nach Köln war eine Neuausrichtung notwendig, zumal die Veranstalter in Leipzig den Computerspielemarkt nicht kampflos nach Nordrhein-Westfalen ziehen lassen wollten. Natürlich geschieht so ein Neuanfang nicht ohne Blessuren, und auch die ursprüngliche Games Convention hat bekanntlich erst klein angefangen und erlangte dann erst im Verlauf ihres Bestehens im Jahr 2008 mit über 200.000 Besuchern und über 500 Ausstellern Kultstatus. So verwundert es nicht, dass der Start der GCO mit 43.000 Besuchern und 74 Ausstellern eher überschaubar und vielleicht ein wenig enttäuschend geriet. Allerdings haben auch sehr viele große Computerspielanbieter und Hardwareproduzenten den Weg zur neuen, in Gamescom benannten Messe nach Köln eingeschlagen. Um daher zukünftig mit der GCO bestehen zu können, sind von den Veranstaltern in Sachsen sehr große Anstrengungen erforderlich, um interessante aber auch bekannte Aussteller wieder für sich zu gewinnen, um damit die Attraktivität für ihre Messegäste und damit die Besucherzahlen zu erhöhen.Doch was sind eigentlich Online Computerspiele und macht es überhaupt Sinn diesen Teil aus der virtuellen Spielwelt herauszulösen? In erster Linie geht es bei Online Computerspielen ja nicht um Spiele, die aus dem Internet einfach nur heruntergeladen werden und auf dem heimischen Rechner installiert werden.
Vielmehr drehte sich bei der GCO alles vornehmlich um Spiele, bei denen der Spielverlauf nicht direkt auf den Festplatten des Rechners zu Hause erfolgt, sondern auf den Servern der Spieleanbieter. Keine schlechte Idee, denn hier scheinen sich große Zukunftschancen zu ergeben, da sich die Gamer, vernetzt mit anderen, in ständiger Interaktion befinden. Ein isoliertes Spielen findet dann definitiv nicht statt und die Spielmöglichkeiten werden interessanter und komplexer. Außerdem entfallen auf der Nutzerseite hohe finanzielle Investitionen in teure Computertechnik. Für Microsoft ist diese Verlagerung von Software auf eigene Server bereits seit längerem selbstverständlicher Bestandteil künftiger Firmenstrategie. Um ihre teuren Büroanwendungen besser, und nicht zuletzt geschützt vor unerlaubtem Kopieren, auf den Markt zu bringen, verfolgt der Softwareriese ähnliche Taktiken wie der Suchmaschinengigant Google, der ebenfalls Softwareprodukte, wie zum Beispiel Bildbearbeitungsprogramme, Online zur Verfügung stellt. Auch ist es für die Anbieter dann wesentlich einfacher Hackerattacken zu begegnen, da nicht die unzähligen Rechner der Nutzer geschützt werden müssen, sondern nur die relativ gut gesicherten Firmenserver. Hier wie dort wird kommerzieller Gewinn dann vornehmlich über Abonnementgebühren oder Werbung angestrebt. Dementsprechend versuchen viele browserbasierte Online-Spiele sich durch klassische Bannerwerbung zu finanzieren. So gesehen, ist es durchaus sinnvoll sich gezielt mit dem Markt der Online Computerspiele zu beschäftigen. Doch in Leipzig wurde noch mehr geboten: Weitere Schwerpunkte der Messe waren das „Mobile Gaming“, also kleine Handyspiele für die immer größer und höher auflösenden Handydisplays und das sogenannte „Case-Modding“, bei dem Computergehäuse durch aufwändige Umrüstungen in technisch-künstlerische Meisterwerke verwandelt werden.Konsequent wurde aber auch in Leipzig der Versuch unternommen die Online Spiele Community, oft in virtuellen Clans und Gilden der Fantasy-Rollenspiele organisiert, nicht nur virtuell, sondern auch real in Kontakt treten zu lassen. Ein eigens geschaffener Campingplatz direkt neben der Messe, Bandauftritte und diverse Sportmöglichkeiten sollten den überwiegend jungen Gästen neben dem Kennenlernen neuer Spiele, auch Abwechslung und Unterhaltung mit Gleichgesinnten bieten. Für pädagogische Fachkräfte und Familien wurde mit „Online4Family“ ein eigener Messebereich geschaffen, der Informationen für den sinnvollen pädagogischen Umgang mit Computerspielen anbot. Wie wichtig gerade dieser Bereich war, zeigte sich gleich nach Messestart, denn Online Spiele, vor allem wenn sie im Ausland produziert werden, haben durchaus oft Kompatibilitätsprobleme mit den deutschen Rechtsvorschriften. Jugendschutz im Internet ist zwar ein bekannt heikles Problem, dennoch sollte sich niemand davor drücken.
So gesehen war es nur konsequent, dass einige Anbieter ihre Spiele für jüngere Gamer unzugänglich machten, allerdings und das ist das eigentlich Traurige, erst nachdem es Beanstandungen gab und die Messe bereits begonnen hatte. Im nächsten Jahr sollte besonders auf diesen Aspekt vermehrt geachtet und eindeutige, strenge Regelungen getroffen werden. Hersteller aus Südkorea, die den größten Anteil der Aussteller auf der Messe bildeten, handelten zwar sofort und bauten viele ihrer Messestände um oder entfernten Tastaturen und Mäuse, aber dennoch war gut erkennbar, wie sehr sich Rechtsauffassungen unterscheiden können. Ein weiterer zentraler Punkt bei den Online Computerspielen, der in dem pädagogischen Bereich vermehrt diskutiert werden sollte, sind Probleme im Umfeld mit der Spieldauer. Denn es wird vermehrt bei den sogenannten „Massively Multiplayer Online Role-Playing Games“, kurz den MMORPGs, wie zum Beispiel World of Warcraft, deutlich, dass mit klassischen pädagogischen Empfehlungen nicht mehr gearbeitet werden kann. Jugendlichen beispielsweise die tägliche Verweildauer am Rechner zu limitieren, entpuppt sich als völlig unsinnig, da sich ein individueller Spielerfolg bei gemeinschaftlichen Online Rollenspielen nur in der Gruppe nach zeitlich intensiver Spielphase ergibt. Hier sind dringend Diskussionen notwendig, um dieses Problem transparent zu machen. Ein weiteres Problemfeld, das sich zum wiederholten Mal zeigte, lag in den finanziellen Aspekten der Online Spiele selbst. Nicht nur Abogebühren oder kostenpflichtige Spielerweiterungen können nämlich das reale Budget der Jugendlichen einschmelzen, auch das vermehrte Benutzen von virtuellem Geld im Spiel selbst und der Transfer zwischen virtuellem und realem Geld im Spielverlauf, können möglicherweise das Gefühl für den Umgang mit realen Finanzmitteln in einigen Fällen bei jungen Menschen beeinträchtigen, so die vielfach gehörte kritische Meinung. Dieses als Mudflation bezeichnete Themenfeld sollte dennoch ebenso relativiert werden, denn viele Gamer umgehen geschickt durch illegale „Hacks“ die Vorgaben der Hersteller. Damit wird es ihnen zum Beispiel auch möglich virtuelles oder reales Geld in den Spielverlauf einzuspeisen. Bei Onlinespielen, bei denen das Spiel auf den Servern der Anbieter gehostet wird, ist dies zwar wesentlich schwieriger geworden und vielfach werden auch von Gilden und Clans diese Vorgehen als unfair geächtet, dennoch finden sich im Netz überaus viele dieser als „Cheats“ bezeichneten kleinen Applikationen, um den Spielverlauf zu manipulieren.
Weiter diskutierbar sind natürlich die Inhalte der Spiele selbst, denn eins ist in Leipzig deutlich geworden: Die meisten Computer Online Spiele besitzen neben allen spielerischen Aspekten mehr und mehr narrativen Charakter und eine hohe ästhetische Finesse. „Brennende Ölfässer, verfeindete Streetgangs und du bist mittendrin“, so könnte ein Gangsterfilm beginnen, doch bei „Poisonville“ der Firma Bigpoint handelt es sich um ein browserbasiertes Computerspiel, das sich stark an den Klassiker „Grand Theft Auto“ anlehnt und neben guter dreidimensionaler Grafik eine ähnliche, actionreiche Handlung offeriert. Klar ist auch, dass klassische „Shooter“ vor allem männliche Gamer in ihren Bann zogen. Doch bei allen jugendschützerischen Aspekten, eins hat auch wieder die Messe gezeigt, die größten Attraktionen waren nicht virtuell, sondern eher real: Gewinn- und Geschicklichkeitsspiele besitzen noch immer wirklich hohen Unterhaltungswert. Und das sollte schließlich alle Jugendschützer und Medienskeptiker der Welt wirklich glücklich machen: bei den Computerspielbegeisterten Gästen, ob alt oder jung, war ein moderner „Hau den Lukas“ Stand der heimliche Renner der Messe.
- Michael Bloech: Lansing ist überall!
Michael Bloech: Lansing ist überall!
Grüne Wiesen, blauweißer Himmel, fesche Buam und Madeln und süffiges Bier: Was wollen dieZuschauenden des Bayerischen Fernsehens mehr? Täglich grüßt hier nicht das Murmeltier sondern seit 2007 entfaltet werktäglich die Dokusoap „Dahaom is Dahaom“ ihre narkotisierende Wirkung. Angesiedelt im fiktiven bayerischen Dorf Lansing müssen dreißig quälend lange Minuten Protagonisten verschiedensten Alters in Oktoberfestverkleidungen agieren. Aus ihren Mündern quellen bedeutungsschwere Sätze, die man eigentlich bereits aus der Lindenstrasse seit Mitte der 80er-Jahre kennt. Vollends das Maß zum Überlaufen bringen die völlig uninspirierten und gnadenlos langweiligen Kameraeinstellungen. Was damit schon für die einen die Grenze der Unerträglichkeit sprengt, ist Balsam für die Seele der echten „Dahaom is Dahaom“-Fans. Für all die anderen bleibt nur der reflexartige Griff zur Fernbedienung, aber sogar das hilft manchmal nichts, denn bald stößt man vielleicht auf die „Rosenheimcops“ und scheinbar ist Rosenheim ähnlich gemütlich wie Lansing. Aber worin begründet sich die Faszination dieser Serien?
In der Story von „Dahaom is Dahaom“ bestimmt nicht, zu banal und durchschaubar wird die Handlung präsentiert, zu hölzern agiert das unbeholfen wirkende Schauspielerteam, zu scheinheilig mutet die Kulisse an, die im nächsten Moment umzustürzen droht. Also muss sich die Begeisterung für „Dahaom is Dahaom“, quasi das Lansing-Phänomen, aus etwas anderem heraus entwickeln. Vielleicht liegt es am nostalgischen Effekt der antiquiert anmutenden Dorfgeschichten, denn bekanntlich war früher grundsätzlich immer alles besser. Sicher richtig, doch zentraler dürfte etwas ganz anderes sein und jetzt kommt Mundart ins Spiel. Wobei Mundart streng genommen der falsche Begriff wäre, der Mund ist zwar involviert, aber bei Art, also Kunst, hört es schnell auf. Präziserer wäre das Phänomen daher als „künstlich“ zu bezeichnen, denn mit der kunstvollen Sprache „Bayerisch“ hat das wenig zu tun. Jetzt werden Sie sicher sagen: Unsinn, Bayerisch als Sprache gibt’s ja gar nicht! Und schon haben sie sich als unromantischer Realist geoutet, dem bekannt ist, dass in Bayern wirklich viele Dialekte existieren, die sich dummerweise auch noch von Region zu Region stark unterscheiden. Der künstliche Dialekt jedoch, der in Lansing gesprochen wird, ist ein geschickt angerührter Linguistikbrei aus einem stark eingedampften Oberbayrisch, das hochdeutsch eingefärbt und geglättet wurde.
Vielleicht wollten die Macher von „Dahaom is Dahaom“ gewährleisten, dass die oben bereits erwähnten, wichtigen Sätze auch über Landesgrenzen hinweg verstanden werden. Aber vermutlich geht es wirklich um etwas völlig anderes, genauer gesagt um Assimilation. Das synthetische Lansing-Bayerisch entspricht, wie gern von echten Münchnern abfällig geäußert wird, nämlich sprachlich am ehesten dem der sogenannten „Zugroasten“. Gemeint ist die Sprache der nach München Zugezogenen, die jahrelang qualvoll Sprachrhythmus und Klangfarbe des Bayerischen in ihren früheren Sprachhaushalt einarbeiteten und dann zum sogenannten „Münchnerisch“ veredelten. Dieser Minimalkonsens ermöglicht das Verstehen untereinander ungemein: Die alteingesessenen Dialektgewaltigen erkennen und verstehen die Zugroasten sofort und diese wiederum meinen naiv, jetzt vollständig dazuzugehören. Vielleicht ist es genau diese Assimilation, die den Reiz dieser und anderer bayerischen Mundartserien bei den Zuschauenden ausmacht. Ein bisserl dazugehören wäre ja nicht verkehrt, denn – hier bei uns in Lansing – sind die Wiesen grün, der Himmel blauweiß, die Buam und Madeln fesch und das Bier süffig.
- Michael Bloech: Ausbildung läuft? Kamera läuft!
Michael Bloech: Ausbildung läuft? Kamera läuft!
Gemeinsam mit dem Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Arbeitgeber führte das JFF – Institut für Medienpädagogik im Rahmen der AusbildungsOffensive-Bayern den Video-Wettbewerb „Ausbildung läuft? Kamera läuft!“ durch. In kurzen, von ihnen selbst realisierten Filmen gaben Auszubildende einen Einblick in ihre Ausbildungsberufe.
Internetquellen:
AusbildungsOffensive-Bayern – www.youtube.com/user/AOBayern [Zugriff: 21.01.2013].
Azubot – www.azubot.de [Zugriff: 21.01.2013]berufe.tv – www.berufe.tv [Zugriff: 21.01.2013].
daimlercareer – www.youtube.com/user/daimlercareer [Zugriff: 21.01.2013].
Ich mach‘s! Berufe im Überblick – www.br.de/fernsehen/bralpha/sendungen/ich-machs/index.html [Zugriff: 21.01.2013].
- Michael Bloech: Der Kinderfilm auf der Berlinale feiert Geburtstag!
Michael Bloech: Der Kinderfilm auf der Berlinale feiert Geburtstag!
Immer jünger: Die späten 1970er-Jahre!
Wenn das kein Grund zur Freude ist: Genau vor 40 Jahren wurde der Grundstein für eine neue Sektion auf der Berlinale gelegt. Bislang richteten sich die Internationalen Filmfestspiele Berlin ausschließlich an ein erwachsenes Publikum, doch 1977 entwickelte sich die Berlinale unter dem damalig neuen Leiter Wolf Donner weiter in Richtung ‚junges Publikum‘. Außerdem setzte er starke inhaltliche Akzente in Richtung ‚junger deutscher Film‘. Schließlich gelang es Donner im Februar 1978, ein eigenes Kinderfilmfest in die Berlinale – unter dem schlichten Titel Kino für Leute ab sechs – zu integrieren. Was dann begann, war ein allmählicher Wandel im Kinderfilm-Programm, ausgehend von hauptsächlich deutschen Produktionen und Filmen skandinavischer und osteuropäischer Länder, generell hin zu Produktionen aus aller Welt. Zwar wurden zunächst keine Kinderfilme mit Preisen bedacht, dennoch konnte 1985 der Kinderfilmklassiker Ronja Räubertochter überraschend einen Silbernen Bären für eine besondere künstlerische Leistung erringen. Allerdings lief diese Produktion im Wettbewerbsprogramm und nicht auf dem Kinderfilmfest. Vielleicht führte diese Preisvergabe, als generelle Anerkennung für einen Kinderfilm, jedoch dazu, schon im Jahr darauf eine eigene Jury – bestehend aus Berliner Kindern – einzurichten. Bald darauf erweiterte eine international zusammengesetzte Jury aus dem professionellen Filmbereich die Preisvergabe der Kinderjury.
Der Kinderfilm wird erwachsen!
Allmählich veränderten sich aber nicht nur die Zusammensetzung der im Programm vertretenen Länder und die offizielle Anerkennung für den Kinderfilm an sich, sondern das Altersspektrum der Protagonistinnen und Protagonisten in den Filmen, und damit auch das Alter des anvisierten Publikums. Immer mehr Produktionen für ältere Jugendliche rückten in den Fokus, sodass unter dem damalig neuen und bis heute amtierenden Leiter Dieter Kosslick eine völlig eigene Sektion mit dem Titel 14plus ins Leben gerufen wurde. Diese Sektion präsentiert Filme, die sich mit der Lebenswelt von Heranwachsenden ab 14 Jahren beschäftigen. Die letzte große Veränderung wurde 2007 durch die Zusammenlegung der Kinderfilme – unter dem neuen Titel Kplus – und der Jugendfilme – 14plus – in die gemeinsame Sektion GENERATION eingeleitet. Was damit auf den ersten Blick als Umbenennung erscheinen mag, deutet jedoch eine grundsätzliche Richtungsänderung des gesamten Kinder- und Jugendfilmteils der Berlinale an. Mit dem generellen Anspruch der gesamten Berlinale, ein vornehmlich politisches Festival zu sein, kommt ein weiterer programmbildender Faktor hinzu. Daher geht es bei 14plus vornehmlich um Coming-of-Age-Produktionen, die eingebettet sind in sozioökonomische und politische Strukturen. Dieser Umstand erweist sich damit für das gesamte Berlinale-Programm als besonders bereichernd.
Filme über Kinder? Oder Filme für Kinder?
Bei Kplus führt dies teilweise zu Verwerfungen, denn jetzt steht primär nicht mehr das junge Publikum an sich im Vordergrund. Vielmehr werden überwiegend Filme über Kinder in bedrückenden, existenziellen Schicksalslagen präsentiert. Daher verwundert es nicht, dass dieses Jahr mit Estiu 1993 zwar ein wirklich wunderbarer Film über ein berührendes Kinderschicksal gezeigt und vielfach ausgezeichnet wurde, der es aber, wegen seiner unendlich langsamen Erzählweise und an Höhepunkten armen Dramaturgie, sehr schwer haben dürfte, ein begeistertes Kinder- Publikum zu finden. Kurz: Diese bewusste und gewollte Schwerpunktsetzung macht deutlich, warum viele Kinder nach dem Berlinale-Besuch das Kino oft etwas irritiert verlassen. Naturgemäß wirkt sich diese Diskrepanz, zwischen Filmen für eine Zielgruppe und Filmen über eine Zielgruppe, besonders bei Kinderfilmen gravierend aus. Bei Jugendproduktionen schmilzt diese Kluft natürlich komplett. So gesehen wäre ein Abtrennen der genuinen Kinderfilme mit einer etwas stärkeren Ausrichtung hin zum Kino für Leute ab sechs und ein eigenständiges Coming-of-Age-Programm unter dem Titel Generation konsequent und durchaus eine interessante Option. Und bis zum 50. Geburtstag ist ja noch genügend Zeit für eine kleine Neujustierung. Ach ja: Das Kino für Leute ab sechs hätte es verdient!
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Markus Achatz/Michael Bloech: Auf der Suche nach einem Platz
Markus Achatz/Michael Bloech: Auf der Suche nach einem Platz
Mehr als 400 Filme liefen dieses Jahr auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Allein in der Sektion GENERATION für Kinder (Kplus) und Jugendliche (14plus) waren es 66 Filme aus 43 Nationen. In der 40. Ausgabe von GENERATION wurden 2017 mehr Dokumentarfilme ins Programm aufgenommen, was auch auf die anderen Berlinale-Sektionen zutraf. Ein Indiz dafür, dass viele Filmemacherinnen und -macher versuchen, näher an der Realität anzudocken. Die Berlinale versteht sich seit vielen Jahren auch als ein Anker für politische und gesellschaftliche Themen im Kino. Dokumentarischen Formen kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu, aber auch Fiktionales vermag den Blick auf gesellschaftliche und politische Prozesse zu schärfen und den Diskurs darüber zu befördern. Sowohl in den Filmen und ihren Storys als auch in den Kommentaren und Statements im Rahmen der Berlinale zeigte sich dieses Jahr politische Verunsicherung. Große Utopien sind gescheitert, die globalisierte Welt ist entzaubert. Festivaldirektor Dieter Kosslick bemerkte dazu, dass viele Filmkünstlerinnen und -künstler „versuchen, die verunsichernde Gegenwart vor dem Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Vielleicht sind es ja die Geschichten von starken Individuen und die Ideen herausragender Künstlerinnen und Künstler, die an die Stelle der großen Utopien treten.“
Leben im und nach dem Krieg
Im Dokumentarfilm Shkola nomer 3 (School Number 3) aus der Ukraine begegnen wir gleich 13 bemerkenswerten Persönlichkeiten: Es sind Jugendliche aus Mykolaivka (Slowjansk/Donbas), einer im Konflikt mit Russland 2014 zerstörten und teils wieder aufgebauten Stadt. Die Schülerinnen und Schüler berichten vor der Kamera jeweils eine persönliche Erinnerung aus ihrem jungen Leben. Mit Mut und deutlicher Emotion erzählen sie von ihren Gefühlen, von Erlebnissen, von Ängsten und Hoffnungen. Die Kamera bleibt während des Erzählens meist statisch. In Zwischenszenen sehen wir die Jugendlichen von einer bewegten Kamera begleitet, wie sie beispielsweise auf einer Anhöhe über der Stadt vor den Schornsteinen einer großen Fabrik herumstreunen oder mit dem geliebten Hund spielen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Jugendlichen sind geprägt von den Erlebnissen aus einem aktuellen Krieg. 13 Leben in einem Zwischenraum. Nicht mehr Krieg und auch kein Frieden, keine Resignation und keine reine Hoffnung, aber auf der Suche nach einem Platz in der Welt. Entstanden als Fortsetzung eines Theaterprojekts und erweitert mit den ästhetischen Mitteln eines Films erhielt Shkola nomer 3 den Großen Preis der Internationalen Jury in der Sektion GENERATION 14plus für den besten Film. Bemerkenswert am Gesamtkonzept ist vor allem die Intensität, mit der das Regie- Team einen Raum des Vertrauens zwischen der Kamerafrau und den jugendlichen Protagonistinnen und Protagonisten erzeugt hat. Zitat der Preisjury: „Dieser Film lässt dem Narrativ des Krieges keine Überhand gegenüber der emotionalen Welt seiner jungen Charaktere gewinnen, die uns erlauben, Zugang zu den innigsten und intimsten Details ihres Lebens zu erhalten.“
Vom Tod lernen
Innig und intensiv sind auch die Annäherungen an die Protagonistinnen und Protagonisten im ungewöhnlichen Dokumentarfilm Almost Heaven der britischen Regisseurin Carol Salter. Sie begleitet die 17-jährige Ying Ling bei ihrer Ausbildung zur Bestatterin in einem der größten Bestattungsunternehmen Chinas. Die Lehrlinge arbeiten in 24-Stunden-Schichten und kommen häufig aus weit entfernten Orten. Für Ying Ling ist der Umgang mit Toten anfangs schwierig und mit den anderen Lehrlingen gemeinsam übt sie zunächst an Puppen oder untereinander, bevor die Reinigungen an den Verstorbenen durchgeführt werden. Nach vorgebebenen Ritualen werden die Toten für das Begräbnis vorbereitet. Was Ying Ling erlebt, reicht von der Angst vor den Geistern der Toten in den kalten Gängen des Krematoriums bis zu den kindlichen Scherzen mit ihrem Teamkollegen. Zwischen ihr und dem gleichaltrigen Kollegen bahnt sich eine behutsame Freundschaft an. Carol Salter hat sich auf die Portraits besonderer Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen und auf ungewöhnliche Geschichten spezialisiert und nähert sich auch diesem Thema mit viel Sensibilität. Ein interessanter Einblick in eine uns sonst eher verborgene Welt.
Väter und Söhne auf Reisen
Jorge fährt mit seinem achtjährigen Sohn Valentino auf das Land. Primero enero (Anfang Januar) handelt im argentinischen Calamuchita-Tal, wo die Familie ein Ferienhaus besitzt, das aufgrund der Trennung der Eltern verkauft werden soll. In alter Tradition soll Valentino als Heranwachsender dort einige Aufgaben erfüllen: auf einen Berg wandern, einen Baum fällen, Fischen gehen oder im eiskalten Fluss tauchen. Der Junge beginnt zunehmend, den Sinn der Riten anzuzweifeln. Der Vater zeigt dafür aber wenig Verständnis. Das Spielfilmdebüt des 29-jährigen Regisseurs Darío Mascambroni, der in der Sektion GENERATION Kplus gezeigt wurde, ist ein schweigsamer Film und eine zähe Angelegenheit. Über weite Strecken bleibt das Zusammenspiel der beiden Figuren uninspiriert. Die Inszenierung ist hölzern und die Zuschauenden werden auf Distanz gehalten. In seltenen Augenblicken kommt die schöne Landschaft zur Geltung, wobei die Protagonistinnen und Protagonisten eher teilnahmslos bleiben. Bereits in der endlos wirkenden Eingangsszene blickt die Kamera in einer dialogfreien Autofahrt entweder von hinten starr auf Vater und Sohn, die durch das Gegenlicht der Windschutzscheibe unkenntlich bleiben, oder durch ein trübes Heckfenster, das die Umgebung kaum sichtbar macht. Das junge Publikum im Kino verhält sich mit Ausnahme einzelner Unmutsäußerungen überraschend ruhig, bis zu einer Szene, in der Valentino wohl erfahren muss, wie ein Lamm geschlachtet wird. Die Kamera rückt so nahe ans Geschehen, wie während der gesamten Zeit zuvor nicht, und zeigt das Abtrennen des Lammkopfes mit einem großen Messer. Wie die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer im Kino bleibt auch der kleine Valentino in der Geschichte nicht unbeeindruckt und verweigert am Abend den gegrillten Braten. Im Publikumsgespräch räumt der auf die Szene angesprochene Regisseur ein, dass das Lamm wirklich getötet wurde, und hinterlässt dennoch viele Fragen. Ein merkwürdiger Höhepunkt in einem Film, der das kindliche Publikum ‚ab 9 Jahren‘ irritiert und den erwachsenen Kinderfilmrezensenten ärgert.
Deutlich mehr Nähe zu seinen Hauptfiguren schafft Thomas Arslan im deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Helle Nächte. Auch hier wird die Reise eines Vaters mit seinem Sohn in die abgeschiedene Natur thematisiert: Der in Berlin lebende Österreicher Michael fährt zur Beerdigung seines Vaters nach Norwegen. Er nimmt seinen 15-jährigen Sohn Luis mit, zu dem er seit vielen Jahren kaum Kontakt hatte. So wie Michael mit seinem Vater jahrelang nicht gesprochen hatte, sind sich auch er und Luis fremd. Für Michael wird die Reise zu einem Versuch, Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten und an Luis wieder enger heranzurücken. Für Luis ist das Reiseziel Nordnorwegen zwar interessant, er weiß aber selbst nicht, was das alles überhaupt soll. Dem Vater gegenüber bleibt er reserviert bis ablehnend. Helle Nächte ist ebenfalls ausgesprochen langsam, beinahe träge. Nichtsdestotrotz ist Arslan ein emotional intensives Zusammenspiel von Vater und Sohn gelungen, das mit einigen dramaturgischen Finessen aufwartet. Die weite und karge Landschaft in der nordnorwegischen Provinz Troms trägt wesentlich zur Geschichte bei. Es gibt längere Passagen, die im Auto spielen. Für Vater und Sohn einerseits ein Schutzraum vor Wetter und Naturgewalt, andererseits ein Gefängnis, in dem sie zusammen eingepfercht sind – gleichsam in der Begrenzung des eigenen emotionalen Raums. Georg Friedrich hat den Silbernen Bären als bester Darsteller erhalten. Wenngleich sich die Art, wie er die Rolle des Vaters spielt, nicht so sehr von seinen anderen Auftritten unterscheidet, wirkt Friedrichs larmoyante, teils enervierende Sprechweise in diesem Film authentisch und macht das Unverständnis und die steigenden Aggressionen des Sohnes umso nachvollziehbarer. Tristan Göbel meistert dies in seiner Rolle als Luis ganz hervorragend und verleiht der Aura des schweigsamen, zuweilen geheimnisvollen Jungen, die er in Winnetous Sohn (2015) oder in den Rico und Oskar-Filmen zeigte, eine neue Facette. Im Verlauf der Geschichte tauchen die beiden Protagonisten immer tiefer in die Berg- und Nebelwelt ein. Das Tempo der Reise wird abermals gedrosselt und Worte werden gänzlich überflüssig. Am Ende steht eine große Offenheit für die Suche nach einem Platz in der Welt und vielleicht sogar für neue Utopien.
Das ‚schwache Geschlecht‘ auf der Berlinale ganz stark!
Generell glänzen im filmischen Mainstream primär männliche Helden, die ihre Probleme auch oft durch maskuline Autorität lösen. Daher scheint es legitim, Filme einmal genauer zu betrachten, die Heldinnen in den Mittelpunkt rücken.
Ein Mädchen im Kampf mit ihrer Krankheit
In der Sektion Kplus lief die turbulente deutschitalienische Produktion Amelie rennt von Tobias Wiemann, die den Kampf eines 13-jährigen Berliner Mädchens gegen ihre Asthmaerkrankung schildert. Eindringlich, aber ohne Betroffenheitsmelancholie, legt der humorvolle Film seinen Blick auf das Problem von Heranwachsenden, die vermeintlich keine eigenen Schwächen zeigen dürfen. Wie eine Drogenabhängige hängt das Mädchen an ihrem Asthmaspray, verheimlicht die ständige Benutzung und lehnt zunächst die für sie so dringend notwendige Behandlung in einer Südtiroler Klinik ab. All dies zeigt ihre innere Wut auf eine Krankheit, die ihr im wahrsten Sinne des Wortes den Atem abschnürt. Amelie isoliert sich immer mehr und verweigert alle Maßnahmen des Klinikteams. Schließlich reißt sie aus und muss dabei schmerzhaft lernen, sich ihren Dämonen zu stellen. So wird deutlich, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen und aktiv der Krankheit entgegen zu treten. Damit zeigt der sympathische Kinderfilm, dass es auch Chancen gibt, über sich selber hinaus zu wachsen.
Indigene Mystik
Wesentlich härter geht es in dem brasilianischen Beitrag Não devore meu coração! (Don‘t Swallow My Heart, Alligator Girl!) in der Sektion 14plus des Regisseurs Felipe Bragança zu. An der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay toben seit Jahrhunderten Konflikte zwischen der indigenen Landbevölkerung Paraguays und den weißen Farmern Brasiliens. Immer wieder treiben im Grenzfluss Apa Leichen und in mörderischen Straßenrennen bekämpfen sich Motorradgangs. Zwischen diesem Chaos müssen Kinder aus beiden Ländern ihren Alltag meistern und ihre kulturelle Identität sichern. Zunächst steht der kleine Junge Joca im Mittelpunkt, doch die wahre Heldin der Geschichte ist das starke Indio Mädchen Basano, das tätowierte ‚Alligator Girl‘, in das sich der Junge unsterblich verliebt hat. Das Alligator Girl hat durch ihre indigene Herkunft Macht, all diese Konflikte für einen Augenblick zu mildern. Doch der Preis dafür ist hoch, denn sie soll dafür die Liebe von Joca zu ihr opfern. Auf der Brücke über dem Apa kommt es schließlich zu einem dramatischen Showdown. Mittels symbolisch aufgeheizten Bildern wird eine ungeheure Spannung erzeugt, in der das Alligator Girl souverän ihre Entscheidung trifft. Zwar verfolgt der Film zu viele Handlungsstränge, präsentiert aber dennoch eine magische Persönlichkeit, die Zuschauende noch lange nach dem Kinobesuch beschäftigen wird.
Im Mumblecore-Märchen prügelnd durch Berlin
Noch drastischer erweist sich der deutsche Panorama- Beitrag Tiger Girl von Jakob Lass. In grellen Bildern wird die Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Frauen, der strebsamen Vanilla und der Nonkonformistin Tiger Girl geschildert. Schon in einer der ersten Szenen wird deutlich, dass hier ein etwas unübliches Frauenbild vorgestellt wird. Nachts im einsamen U-Bahnhof wird Vanilla von drei Halbstarken sexuell belästigt. Tiger Girl kommt hinzu, entwendet den Jungs den Baseballschläger und verdrischt sie: Der Beginn einer innigen Freundschaft zwischen den Frauen, die dann prügelnd ihren Alltag meistern. Was so alptraumhaft beginnt, wird leider nicht konsequent im Film durchgehalten. Immer mehr schleicht sich düstere Realität in die fiktionale Handlung. Improvisierte Dialoge, originelle Laiendarstellerinnen und -darsteller sowie eine Handkamera, die stets dicht am Geschehen ist, gaukeln Realitätsnähe vor. Diese Art des Filmemachens, quasi als Indie Subgenre, wird oft als Mumblecore bezeichnet und rückt dadurch den handelnden Personen ausgesprochen nah. Dennoch hält sich der Film nicht damit auf, psychologische Hintergründe für Handlungsmuster zu bemühen. Die beiden Frauen agieren aus sich heraus, das Ganze bleibt somit vornehmlich eine Situationsbeschreibung. Insgesamt büßt der Film damit leider ein wenig von seiner anarchistischen Haltung ein. Dennoch ist es interessant, wie traditionelle Rollenbilder systematisch im wahrsten Sinne gebrochen werden und Frauen sich in die männliche Domäne körperlicher Hoheit drängen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor: Markus Achatz
Beitrag als PDF - Michael Bloech und Markus Achatz: Perspektiven des Aufwachsens
Michael Bloech und Markus Achatz: Perspektiven des Aufwachsens
Die unterschiedlichen Facetten des Heranwachsens, die Suche nach Identität und Orientierung, das Erleben von Sehnsüchten und ersten Enttäuschungen – in allen Programmsparten der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin fanden sich herausragende Produktionen mit Hauptfiguren in dieser Lebensphase. Im Wettbewerb beispielsweise Richard Linklaters Langzeitstudie Boyhood oder der österreichische Beitrag Macondo von Sudabeh Mortezai. Zwölf Jahre hat Linklater an Boyhood gearbeitet und dabei jedes Jahr einige Sequenzen gedreht, so dass die zunächst kindlichen Hauptprotagonisten real beim Aufwachsen begleitet werden.
Ein gewagtes und in dieser Form einzigartiges Unterfangen. Im Zentrum der Familiengeschichte stehen der Junge Mason – anfangs sechs Jahre alt, am Schluss ist er mit der High-School fertig – sowie seine Schwester Samantha und die Eltern (dargestellt von Patricia Arquette und Ethan Hawke). Linklaters Experiment ist gelungen, denn der 164-Minuten-Film ist nicht nur kurzweilig und humorvoll, sondern auch eine feinsinnige Sozialstudie über das Leben der texanischen Mittelschicht. Die Auffangsiedlung Macondo liegt zwischen Autobahn, Flughafen und Donauufer im Wiener Stadtbezirk Simmering. Regisseurin Sudabeh Mortezai, geboren in Ludwigsburg, aufgewachsen in Teheran und Wien, portraitiert anhand des elfjährigen tschetschenischen Flüchtlingsjungen Ramasan das Leben in dieser eigenen Welt hinter Blechzäunen und Kasernenmauern. Etwa 3.000 Asylsuchende aus 22 Ländern sind hier untergebracht. Überfordert von der Aufgabe, den fehlenden Vater in der Familie zu ersetzen und im Konflikt zwischen den Idealen und der Realität, befindet sich der muslimische Junge auf der Suche nach Antworten für seine komplizierte Lebenssituation. Die Kamera bleibt dabei konsequent auf Augenhöhe des Kindes.
Kinderfilme bei Generation: Eine Frage der Perspektive
Im Programmbereich GENERATION hat diese Perspektive bereits Tradition und die Sektion hat sich inzwischen zu einem echten Geheimtipp für Berlinale-Besucherinnen und -Besucher entwickelt. In diesem Jahr traten zwölf abendfüllende Kinderfilme bei Generation Kplus und 17 Jugendfilme bei 14plus in den Wettstreit um die Gläsernen Bären. Mit dem neu renovierten Zoo-Palast stand auch wieder eine renommierte und repräsentative Spielstätte zur Verfügung. Also konnte in den insgesamt gut besuchten Veranstaltungen gespannt darauf geblickt werden, was die Festival-Leitung um Maryanne Redpath diesmal aus aller Welt ausgewählt hatte. In Kplus war es zunächst ein wenig bedauerlich, dass sich das Programm mit seiner Auswahl teilweise vom kognitiven Entwicklungsniveau vor allem jüngerer Kinder entfernte. Das ästhetische Niveau der Filme war dagegen erfreulich hoch, aber in der Summe waren es leider eher Filme über Kinder und für Erwachsene. Mögen die fünf gezeigten Animationsfilme zunächst formal den Genre-Geschmack der Kinder getroffen haben, die Mehrzahl dieser Produktionen war jedoch sowohl von der Machart als auch vom Thema nicht für Kinder angemessen, teilweise sogar emotional überfordernd. Symptomatisch dafür war bereits der Eröffnungsfilm Lolou, l’incroyable secret (Loulou, das unglaubliche Geheimnis), der in der Exposition seine Protagonisten, einen coolen Wolf und ein lustiges Kaninchen, für kleine Kinder passend einführt, aber dann in der szenischen Folge mit einer überflüssigen Härte aufwartet. Auch das Grundthema von Loulou, ob es Kindern gelingt, die genetisch geprägten Determinanten durch eine positive Sozialisation zu überwinden, ist durchaus relevant, kann aber in der bedrohlich präsentierten Art und Weise für kleinere Kinder verstörend wirken. Leider setzt sich dieser Trend bei den Realfilmen teilweise fort. Finn, eine holländisch belgische Produktion über einen Jungen, der in Kontakt mit seinem verstorbenen Großvater tritt, behandelt damit ein Thema, von dem viele Kinder betroffen sind. Die Geschichte wird hier jedoch für Kinder nur schwer nachvollziehbar, da Traumwelt und Realität so miteinander verschmolzen werden, dass Kinder die Ebenen kaum differenzieren können. Die türkisch-deutschfranzösische Produktion Were Dengê Min (Folge meiner Stimme) kämpft mit ähnlichen Rezeptions-Problemen. Konkret geht es um ein kleines Mädchen aus einem einsamen Dorf in der Bergwelt Kurdistans, die eine Schusswaffe für ihren inhaftierten Vater bei seinen Verwandten in der weit entfernten Stadt organisieren möchte, um ihn aus dem Gefängnis auszulösen. Das komplexe politische Geschehen im türkischen Teil Kurdistans bleibt dabei nicht nur für Kinder unverständlich und die Oma des kleinen Mädchens gerät im Verlauf der Geschichte zunehmend in den Fokus der Story, das Kind wird zusehends zum schmückenden Beiwerk.
Kamera in Augenhöhe – Die Welt aus den Augen von Kindern
Dass es auch anders geht, beweist der indische Film Killa (Das Fort) von Regisseur Avinash Arun. Zu Recht gewann er als erster indischer Feature-Film überhaupt den Gläsernen Bären für den besten Film im Generation Kplus-Wettbewerb. Killa erzählt die Geschichte des elfjährigen Chinu, der mit seiner Mutter an einen neuen Wohnort in der Provinz Maharashtra ziehen muss. Nachdem Chinus Vater gestorben war und die Mutter beruflich versetzt wurde, müssen die beiden einen Neuanfang machen. Andere Umgebung, neue Schule, fremde Mitschülerinnen und Mitschüler – alles Herausforderungen, die der Junge zu meistern hat. Chinu geht die Aufgabe mit großer Neugier und ohne Vorbehalte an. Er trifft dabei auf eine Gruppe Jungen, die für den einen oder anderen Streich aufgeschlossen sind. In der Schule wird der Neue als begabter Schüler vorgestellt, was ihm unter den Gleichaltrigen den Spitznamen Stipendium einbringt. Avinash Arun hat Regie und Kamera geführt sowie das Buch geschrieben. Die Story basiert auf seinen realen Erfahrungen, denn auch seine Familie zog häufiger um. Kaum hatte er sich an den neuen Ort gewöhnt und Freundschaften geschlossen, kam der nächste Umzug. Die Berlinale Kinderjury war vor allem von den Kameraeinstellungen und der Leistung der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler beeindruckt. Ebenfalls stark auf die Perspektive von Kindern fokussiert war auch der deutsche Wettbewerbsbeitrag Jack, der in der Cross-Section von Generation Kplus lief. Die Produktion weist aus, was möglich ist, wenn sich Geschichte und Kamera ganz auf die Erlebniswelt eines Kindes konzentrieren. Regisseur Edward Berger wagt sich an ein radikales Experiment, so präsentiert er mit vehementer Geradlinigkeit ausschließlich die Geschehnisse seiner Hauptperson Jack, einem zehnjährigen Jungen, der sich um seinen kleineren Bruder Manuel kümmern muss, da die alleinerziehende Mutter auf Grund von Beziehungsproblemen und ihrer Arbeitssituation hoffnungslos überfordert ist. Nachdem das Gericht der Mutter das Sorgerecht entzogen hat und Jack in einem Jugendheim landet, verschwindet die Mutter und lässt Manuel das Wochenende über bei einer Freundin. Als die Mutter dann jedoch nicht mehr auftaucht und Jack im Jugendheim zudem eine Dummheit begeht, reißt Jack aus und macht sich zusammen mit Manuel auf die Suche nach der geliebten Mutter. Der Film schildert auf sehr ernste Weise ihre Suche nach Liebe und Geborgenheit. Dass all dies letztlich zum Scheitern verurteilt ist, aber nicht unbedingt das unversöhnliche Ende darstellen muss, zeigt Jacks Entscheidung am Schluss. Er übernimmt mit einem mutigen Schritt nicht nur die Verantwortung für seinen Bruder, sondern auch für seine gänzlich überforderte Mutter. Den beeindruckenden, erfreulich unsentimentalen Film trägt nicht nur die besondere schauspielerische Leistung von Ivo Pietzcker in der Rolle des in der Großstadthölle taumelnden Jack sondern auch die teilweise entfesselte Hand-Kameraarbeit von Jens Marant, der einen ohne Betroffenheitsheischerei mitnimmt auf eine alptraumhafte Odyssee durch ein hartes Stück Berliner Realität und dies ausschließlich aus dem Blickwinkel eines Kindes. Was damit insgesamt nach einfältiger Rührseligkeitsdramaturgie aus der Sichtweise von abgeklärten Erwachsenen anmutet, dokumentiert vielmehr eine Verschiebung der Perspektive auf die Wahrnehmung eines zehnjährigen Jungen. So gesehen war es vielleicht sogar bezogen auf die Adressaten des Films ein wenig unpassend, Jack im ‚Erwachsenen‘-Wettbewerb zu präsentieren, da er sich ausschließlich auf die Gedankenwelt und Gefühle eines Kindes konzentriert.
Coming of Age – Einfühlsame Geschichten bei 14plus
Eine komplexe, schwierige Mutter-Kind Beziehung steht auch im Vordergrund des prämierten Generation 14plus-Beitrags 52 Tuesdays von Sophie Hyde. Was als rein formale Idee der Dokumentarfilmemacherin Sophie Hyde begann, nämlich ein Jahr lang jeden Dienstag mit Laiendarstellerinnen und -darstellern nachmittags bis in die späten Abendstunden zu filmen, gewinnt durch den von ihr erst anschließend gewählten Inhalt eine sehr gefühlvoll packende Wendung und Dichte. Erzählt werden emotionale Brüche und Entwicklungen im Verlauf eines Jahres aus der Sicht des Teenagers Billie, die mit einer komplexen und für sie überraschenden Situation konfrontiert wird. Konkret geraten die Beziehungsstrukturen innerhalb Billies Familie völlig durcheinander, als die Mutter ihre geplante Geschlechtsumwandlung eröffnet. Ihr Leben im falschen Körper möchte sie durch massive medizinische Eingriffe und Manipulationen in neue Bahnen lenken. Damit jedoch verändert sich nicht nur die Körperlichkeit der Mutter, sondern wandeln sich auch die Entwicklungsprozesse der Tochter und die emotionalen Bindungen untereinander. Nach der Aussprache über die Entscheidung der Mutter entschließt sich das Mädchen, ein Jahr lang nur noch jeden Dienstagnachmittag ihre Mutter zu besuchen, um aus der Distanz heraus die Entwicklung zu beobachten. Erzählt wird daher nicht nur die dramatische Geschichte einer Gender-Transformation sondern auch die exzessive Suche nach Identität und sexueller Orientierung der 16-jährigen Tochter mit allen Tiefen und Höhen. Der anrührende und formal eigenwillige Film erhielt damit zu Recht als bester Film den Gläsernen Bären der Jugendjury bei der Sektion Generation 14plus. Eher sachte und ruhig hat die 34-jährige Regisseurin Inés María Barrionuevo ihren Film Atlántida (ebenfalls 14plus) inszeniert und dabei die Themen jugendlicher Identitätsfindung und vorsichtiger sexueller Orientierung an einen kleinen Ort irgendwo im ländlichen Argentinien verlegt. Die Geschichte spielt an einem einzigen heißen Sommertag im Jahr 1987. Die Hitze gibt das schleppende Tempo vor. Lucía ist schon früh unterwegs, um im Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen, später sitzt sie zu Hause in der Küche schwitzend über ihren Büchern, denn sie möchte unbedingt nach Buenos Aires auf die Universität gehen. Das wäre schon anstrengend genug, doch ihre jüngere Schwester Elena liegt mit Gipsbein im Bett und kommandiert sie permanent herum. Alle anderen treffen sich am Pool und reden nur darüber, wer wen geknutscht hat. Fast alle, denn es gibt noch Ana, die gerne Bücher liest und eigentlich bei Elena zu Besuch ist. Als Lucía genug von allem hat, schnappt sie sich das Auto ihrer Eltern und fährt mit Ana ins Grüne. Die beiden lassen sich treiben und wissen, dass sie Außenseiterinnen sind, aber gleichzeitig – jede für sich – etwas Besonderes. Eben nicht wie all die anderen. Atlántida ist geprägt von der Lethargie und Last eines heißen Sommers, öffnet dabei aber Räume für Sehnsüchte und sanfte Leidenschaft. Obwohl nicht jede Figur ausgefeilt und jeder Handlungsstrang schlüssig erscheint, wird das Publikum in den zähen Rhythmus des Tages mitgenommen und durch kleine Begebenheiten in die Sehnsüchte der Charaktere gezogen. Ausgefallene Perspektiven sowie fantastische Lichtstimmungen machen Atlántida zu einem besonderen Film.
Beeindruckende Bildästhetik, bedrückende Geschichten
Den großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhielt die belgisch-niederländische Produktion Violet. Ein Film, der in seiner Intensität auffiel. Im dokumentarischen 4:3-Format und in einer stilsicher an Videoclips und Kunstfotos erinnernden Ästhetik inszenierte Regisseur und Autor Bas Devos ein eindringliches Drama, das gleichermaßen fasziniert und beklemmt. Der 15-jährige Jesse muss miterleben, wie in einer verlassenen Einkaufspassage sein bester Freund erstochen wird. Der Schock des Mordes lähmt Jesse vollends. Er kann nicht eingreifen, nicht die fliehenden Täter verfolgen, seinem Freund nicht sofort zu Hilfe eilen. Dieser Augenblick verändert für Jesse alles. Der Film begleitet den Jungen beim Versuch, zu verarbeiten und am restlichen Leben ansatzweise teilzunehmen. Doch er bleibt mit seinen Schuldgefühlen und seiner Einsamkeit allein, auch wenn die BMX-Clique wieder vor der Türe steht und Jesse mitfährt. Die aufgeräumte Vorortsiedlung liegt unter einem erdrückenden Teppich des Schweigens. Weder Jesses Eltern noch die BMX-Gruppe können mit der Tragödie umgehen. Am ehesten behält Jesses Vater noch Anschluss zu seinem Sohn. Regisseur Bas Devos spielt mit den Elementen: Die Kamera zeigt Unschärfen, dunkle Felder, einzelne Sequenzen fließen ineinander oder sind wie Farbspiele, die manchmal wie in einem Rätsel in einer Totalen oder Halbtotalen aufgelöst werden. In einer festen Einstellung sehen wir Bäume in einem Wald. Immer wieder springen die BMX-Biker von unten ins Bild und verschwinden wieder. Einer nach dem anderen. Monotonie und Flow, Routine und Nervenkitzel. Die Loops der Biker laufen immer weiter. Die Tonspur des Films spielt eine eigene Hauptrolle, mal mit purem Lärm, mal durch erdrückende Stille. Den Beginn der Mordszene am Anfang sehen wir nur über die Überwachungsmonitore des Einkaufszentrums. Rein akustisch nehmen wir wahr, dass der Wachmann den Raum verlässt, worauf das Drama tonlos seinen Lauf nimmt. Als später Jesse mit der Clique ein Black-Metal-Konzert besucht, hören wir einen kompletten Track in voller Lautstärke, sehen aber nur die wogende Menge des Publikums. In den Gesichtern spiegelt sich die Lightshow der Bühne und entgegen des rasenden Tempos der Drums fährt die Kamera langsam an die Menschen heran bis ganz nah in Jesses Gesicht.
Nichtsehen und gesehen werden
Aus dem Programm der Sektion PANORAMA ragte der brasilianische Film Hoje eu Quero Voltar Sozinho (The Way He Looks) heraus. Der jugendliche Drang nach Unabhängigkeit steht hier im Zentrum. Im Falle von Leonardo ist damit aber eine ganz besondere Komponente verbunden, denn er ist von Geburt an blind. Mit seinen 15 Jahren möchte er endlich selbständiger sein und leidet zunehmend unter dem Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis seiner Mutter. Ganz entgegen der Bedenken der Eltern bemüht sich Leonardo um Informationen für einen Schüleraufenthalt in den USA. Nur seine Klassenkameradin und Freundin Giovana unterstützt ihn in diesen Bestrebungen. Beide sind seit vielen Jahren ein eingespieltes Team und hängen wie zwei beste Freunde ständig zusammen. Der neue Mitschüler Gabriel bringt in der Beziehung von Leonardo und Giovana einiges durcheinander. Leonardo ist von Gabriel auf ungewohnte Art fasziniert. Schließlich vertraut Leonardo Giovana an, dass er sich in Gabriel verliebt hat. Daniel Ribeiro hat einen behutsamen Film gemacht, der ganz nah an Leonardos Alltag bleibt, mit den ganz speziellen Sorgen und Schwierigkeiten des Jungen, jedoch in keinem Moment auf Mitleid abzielend. Die Hauptfigur wird als facettenreicher Charakter gezeigt, auf dem Weg zur Selbstfindung und beim Entdecken seiner Gefühle. Unaufdringlich, aber dennoch intensiv setzt Ribeiro die Tonspur ein, mit leisen Geräuschen oder dem Atem der Protagonisten. Wir treten als Zuschauer im wahrsten Sinne zurück, wenn in einer Sequenz Leonardo spät nachts auf einer Decke im Freien sitzt. Die Kamera entfernt sich von der Szene, als Giovana den Platz verlässt und Leo allein auf einer Wiese zurückbleibt, während die Geräusche der umliegenden Partyaktivitäten unverändert präsent bleiben. In einer emotionalen Szene bringt Gabriel Leonardo zu einem Song der schottischen Band Belle & Sebastian das Tanzen bei. „I feel like dancing on my own, where no one knows me, and where I can cause offence just by the way I look” heißt es da.
- Michael Bloech: Der Lehrer als Vorbild
Michael Bloech: Der Lehrer als Vorbild
Warum wird der Lehrer von den Kindern respektiert, was verschafft ihm seine enorme Autorität? Er bringt den Kindern Respekt entgegen, zum Beispiel, wenn er ihnen zuhört, auf sie eingeht, oder wenn er einen nach dem Anderen bei starkem Regen vom klapprigen Schulbus mit dem Schirm abholt. Es ist genau dieses Spannungsfeld zwischen Vorbild, Wissen und Freundschaft, in dem Lopez agiert und so das Vertrauen der Kinder gewinnt.
Natürlich spielt auch die Klassengröße eine Rolle; würde er in einer Schule in einem sozialen Brennpunkt einer Großstadt eine Klasse mit 35 verhaltensauffälligen Schülern unterrichten, wäre seine ganz persönliche Art, auf Kinder einzugehen, einfach nicht möglich. In diesem Fall würde dann seine Autorität geradezu zwangsläufig autoritäre Züge annehmen. Diese Gratwanderung zeigt der Film ebenfalls auf. Die Schule entzieht sich dabei geschickt den in der Sozialpädagogik beliebten Qualitätssicherungsmaßnahmen und statistisch anzweifelbaren Messungen. Beim Lernen steht in dem kleinen französischen
Dorf nicht nur die Aneignung von mathematischen Grundrechenarten oder die Aneignung von Schreib- und Lesekenntnissen im Vordergrund pädagogischer Bemühungen, sondern auch die Vermittlung von Grundwerten des menschlichen Miteinanders. Respekt, Würde und Toleranz mögen abgegriffene Schlagworte sein, aber der Film gibt eine kleine Vorstellung davon, wie Lernen sein könnte. Wichtig ist dabei wohl, dass der Film kein flammendes Plädoyer für eine neue Schulform darstellt, vielmehr ging es dem Filmemacher Nicolas Philibert darum zu zeigen, wie man Kindern Respekt und Würde entgegenbringen sollte, dass man ihnen zuhören und auf sie eingehen muss. So gesehen wäre es wünschenswert, dass möglichst viele Kinder und Pädagogen diesen Film anschauen.
- Michael Bloech: Der Game Boy Color macht es möglich
Michael Bloech: Der Game Boy Color macht es möglich
Zum Jahresende 1998 präsentierte Nintendo mit „Pokémon“ ein neuartiges Videospiel und mit dem „Game Boy Color“ ein neues tragbares Videospielsystem. Das Videospiel wird unglaublich schnell zum absoluten Renner und die winzigen Konsolen finden reißenden Absatz.
Der Game Boy war eigentlich nach seiner Etablierung Anfang der 90er Jahre technisch ziemlich ausgereizt. Seine grafischen Darstellungsmöglichkeiten waren begrenzt und auf die Farbe Blaugrau eingeschränkt. Außerdem konnte man nur alleine spielen. Allerdings verdankte es die Minikonsole seinen kompakten handlichen Abmessungen, dass der Game Boy nicht völlig durch moderne PCs mit optisch positiv ansprechenden Spielen oder anderen Spielkonsolen verdrängt wurde. Jetzt ist aber mit dem „Game Boy Color“ ein Videospielgerät auf dem Markt, das in seinen Abmessungen mit denen des herkömmlichen Game Boys gleich geblieben ist, dafür aber einen farbigen Miniaturmonitor besitzt. Die Auflösung hat sich zwar kaum wesentlich verbessert, dennoch ist jetzt Farbe mit im Spiel. Außerdem verfügt das Gerät über eine Infrarotschnittstelle, über die ein Datentransfer prinzipiell möglich ist. Größere, überall erhältliche und preiswertere Batterien ermöglichen eine wesentlich kostengünstigere Nutzung. Ein weiterer Vorteil ist die bessere Animation. Nun ist es überhaupt erst möglich, bestimmte Spielzüge zu verfolgen, die bei den ursprünglichen monochromatischen Abbildungen nicht darstellbar waren. Die Software greift einDennoch dürfte wohl für den riesigen Erfolg eine bestimmte neue Software verantwortlich gewesen sein.
Mit dem Spiel Pokémon, das fast zeitgleich mit dem Game Boy Color startete, wurde ein für tragbare Videokonsolen völlig neuartiges Spielsystem angeboten, das nicht mehr in der Tradition einfacher „Logik“- oder „Jump and Run“-Spiele funktioniert, sondern auf die Leidenschaft von Kindern setzt, Dinge zu sammeln und zu tauschen. Geblieben ist zwar das für Videospiele typische Erreichen und Bewegen in Spielebenen, den sogenannten Levels, dennoch liegt der Sinn des Spiels beispielsweise nicht in der Vernichtung einen Feindes, sondern es geht um geisterähnliche Wesen (die Pokémon) und sie zu sammeln und zu zähmen. Die Pokémon haben keine festgelegte Identität, sondern können sich in ihren Eigenschaften und in ihrem Äußeren verändern und entwickeln. Zwar ist der kleine Held des Spiels, Ash, auf Waffen und Tricks angewiesen, um die Geister zu fangen und sie zu trainieren, dennoch wäre es zu kurz gegriffen, diesen Domestizierungsprozess auf einen Kampf im Sinne eines klassischen Computerspiels zu reduzieren. Das Spiel ist überraschend textlastig, der Held des Spiels Ash muss immer wieder Fragen beantworten oder wird mit Textbausteinen konfrontiert. Die Tatsache, dass es dabei auch das Böse gibt, hat für den Spielverlauf keine wirklich entscheidende Rolle.
Kompetente Kinder - unwissende Erwachsene
Um das Spiel in seiner Komplexität zu erfassen, ist ein Eintauchen in das System, in die virtuelle Welt der Pokémon notwendig. Mehr oder weniger sind die Spieler dabei gezwungen, viele neue sprachliche Begriffe zu lernen und haben nur dann eine Chance zu bestehen, wenn sie mit der Begrifflichkeit zurechtkommen. Uneingeweihte Erwachsene, die das Spiel von Kindern beobachten, haben kaum eine Möglichkeit, auch nur annähernd zu verstehen, was die Kinder mit ihrem Game Boy machen. Kinder entwickeln eine Kompetenz, die von den Erwachsenen, schon in Ermangelung von Zeit, nicht erreicht werden kann. Insgesamt existieren 150 Geister, die gesammelt werden müssen. Dabei ist es natürlich von Vorteil, dass über das Game-Link-Kabel die Pokémon mit anderen Spielern auch real getauscht werden können. Mit diesem Kabel kann auch ein realer Wettbewerb mit anderen Game Boy-Spielern ausgetragen werden. Da es zwei unterschiedliche Versionen, ein rotes und ein blaues Spiel mit teilweise unterschiedlichen Pokémon, gibt, ist der Tausch nur zwischen diesen beiden Spielen effektiv. D.h. um tauschen zu können, muss der Partner die jeweils andere Version spielen. Um das Geschäft anzukurbeln, hat Nintendo in jeder Edition lediglich 139 Pokémon versteckt. Um tatsächlich in den Besitz aller Geister zu kommen, sind beide Editionen notwendig. Auch entwickeln einige Pokémon nur in der anderen Spieledition überhaupt erst ihre Fähigkeiten.
Es kann Nintendo auch als Verdienst angerechnet werden, dass damit die Kommunikation nicht mehr nur auf das Geflecht zwischen Spieler und Konsole reduziert wird, sondern zur realen Interaktion zwischen mehreren Spielern erweitert wird.Mitte Juni wird mit der gelben Version ein weiteres Pokémonspiel am Markt sein. Nintendo hüllt sich jedoch zur Zeit noch in Schweigen bei der Frage nach der in dieser Edition enthaltenen Anzahl und Identität der Pokémon. Ob es nun Strategie ist oder einfach die hohe Nachfrage, zur Zeit herrscht auf dem gesamten Markt eine Situation, die gekennzeichnet ist durch hohe Preise und ein knappes Angebot. Das dürfte den Siegeszug der Pokémon-Geister aber kaum bremsen. Zu sehr ist die Sammel- und Tauschleidenschaft der Pokémon-Fans, vor allem Jungen im Alter von 8 bis 12 Jahren, geweckt worden.
- Michael Bloech: Das Spielzeug lebt
Michael Bloech: Das Spielzeug lebt
Marketingstrategie der Walt Disney/Buena Vista-Gruppe ist es nicht nur, Filme mit hohem Werbeaufwand ins Kino zu bringen, sondern den Film auf wesentlich breiterer Basis zu vermarkten. Millionen von Juniortüten einer sattsam bekannten Fastfood-Kette werden dabei nicht nur mit Spielfiguren aus dem gerade aktuellen Film bestückt, sondern zu dem Marketingkonzept gehören natürlich auch Hörkassetten, Spielkarten, Plüschtiere, Abziehbilder in Comic-Heften und vieles mehr. Natürlich dürfen dabei die neuen Medien auch nicht fehlen, deshalb wurde parallel zum Filmstart der Neuauflage des computeranimierten Kinderfilms „Toy Story“, eben „Toy Story 2“, gleich ein passendes Computergame und ein Druckstudio angeboten.
Das „Toy Story 2 Druckstudio“ ist schnell und einfach installiert, es stellt keine hohen Anforderungen an einen Rechner und bereitet vor allem Grundschülern zunächst einigen Spaß. Das Programm ermöglicht auf einfache Weise das Anfertigen von Spruchbändern, Türanhängern, Namensschildern, Grußkarten und ähnlichem. Als grafische Elemente - neudeutsch „Clip Arts“ - fungieren natürlich die aus dem Film bekannten Figuren, die allerdings mit eigenen Bildern, die als JPG- oder BMP-Dateien im Rechner vorliegen müssen, kombiniert werden können. Darüber hinaus bietet ein kleines, implementiertes Textverarbeitungsprogramm Kindern die Möglichkeit, eigene Texte einzufügen. Das gesamte Layout des Druckstudios ist durchaus peppig und spricht durch die harmonischen Farben und die drolligen Filmfiguren Kinder an. Das Druckstudio gibt Kindern durchaus einen guten Einblick in die Funktionsweise wesentlich komplexerer, professioneller Grafik- und Layoutprogramme, wie zum Beispiel Photoshop oder Photoimpact. Spielerisch können Kinder sich damit den generellen, digitalen grafischen Bearbeitungsmöglichkeiten nähern. Allerdings stoßen ältere Kinder bald an die Grenzen des Druckstudios, vor allem wenn professionelle Software auf dem Rechner installiert ist und zusätzlich noch ein Scanner angeschlossen ist. In diesem Fall kann natürlich jedes Kind wesentlich individueller mit grafischen Vorlagen umgehen und ohne kreative Einschränkungen und einengende Vorgaben eigene Vorstellungen realisieren.
Was bringt nun das neue Actiongame „Toy Story 2“?
Kleine und große Kinobesucher kennen das Spiel prinzipiell schon, weil es selber Bestandteil des Kinofilms ist. So gesehen wirbt der Film für das Spiel und umgekehrt. Allerdings fühlt man sich, wenn man das Spiel installieren möchte, ähnlich dem ständig frustrierten Dinosaurier Rex im Film. Denn die Ansprüche des Computerspiels an den Rechner sind wirklich nicht gerade gering. Deshalb empfiehlt es sich dringend auf die von „Disney Interactiv“ aufgestellten „Mindestsystemanforderungen“ zu achten. Ist das Spiel dann auf einem modernen Rechner jedoch erfolgreich installiert, geht es voller Elan darum, den Astronauten Buzz Lightyear auf seiner Rettungsaktion für seinen Freund, den Cowboy Woody, durch 15 gefährliche Levels zu manövrieren. Unterschiedliche Schwierigkeitsstufen sind leider nicht einzustellen und ein willkürliches Wechseln zu einem höheren Level ist ebenfalls nicht möglich. Es müssen alle Level von unten nach oben durchgespielt werden, wobei Gutscheine, Münzen, Laserschwerter, Turboschuhe und vieles mehr gesammelt und Geschicklichkeitsrennen gewonnen werden müssen. Aber auch diverse böse Roboter, gefährliche Rasenmäher, ein Doppeldecker-Kampfflugzeug, der dämonische Imperator Zurg und der durchtriebene Goldgräber Stinky Piet müssen bezwungen werden. Stellenweise sind die Konfrontationen auf einem slapstickartigen Niveau angesiedelt, zum Beispiel wenn Buzz dem gefährlichen Rasenmäher ausweicht. Andere Auseinandersetzungen sind demgegenüber durchaus bedrohlicher und erinnern in Machart und Aggressivität an Levels der bekannten und verpönten Endzeit-Computerspiele Duke Nukem oder Doom. Auch ist es nicht gerade lustig, wenn Buzz einen Laserschuss auf einen kleinen Springteufel abgibt, der dann in tausend Teile zerfällt und Buzz dabei widersprüchlich formuliert: „Mein Name ist Buzz Lightyear, ich komme in friedlicher Mission“.Überhaupt kann gerade die sprachliche Dimension des Spiels als wenig geglückt gelten, so irrt Buzz in einem Level ständig plappernd mit den Worten umher „Ich habe keine Zeit zu verlieren“.
In Kombination mit den sehr schnellen und effektvollen dreidimensionalen Bewegungen von Buzz entsteht eine ungeheure Dynamik, die durchaus als Hektik bezeichnet werden kann und die sich dann natürlich auch auf die Spieler überträgt. Der größte Schwachpunkt des Spiels ist allerdings ein rein technischer. Da es keine unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade gibt, mit denen das Computergame gespielt und erforscht werden kann, gelangen Kinder gerne an Punkte, an denen sie einfach überfordert sind und einfach nicht weiterkommen, Frustrationen sind dann die logische Folge. Die Programmierer des Spiels hätten sich vorher wohl besser den Film „Toy Story 2“ ein wenig genauer anschauen sollen. In einer Filmszene ist Rex mit seiner Computerspielkonsole völlig verzweifelt, immer wieder scheitert er. Der sympathische grüne Dinosaurier ist den Tränen nahe, er kann den bösen Zurg einfach nicht besiegen - und wer will schon jemanden weinen sehen, den man wirklich mag?
- Michael Bloech:
Michael Bloech:
Sanfter Schneefall, ein Feld inmitten der hügeligen Auvergne, Bauern treiben ihre Kühe geduldig ins Dorf. Im einzigen Klassenzimmer der kleinen französischen Dorfschule sind zwei Schildkröten bedächtig unterwegs. Ein klappriger Kleinbus mit Schülern zieht Spuren durch die leicht verschneite, kurvige Landstrasse. Langsam, unaufgeregt und unspektakulär beginnt der Dokumentarfilm „Sein und Haben“ von Nicolas Philibert. Diese ruhigen Bilder stimmen gefühlvoll in eine für uns fremde Welt ein und lassen die Betrachter tief darin eintauchen. Man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt, eine Zeit, in der Hektik keine Rolle zu spielen scheint, eine Welt in der jeder seinem Gegenüber noch zuhört und Respekt zollt, eine Zeit in der das Handeln von Takt und Würde bestimmt wird.
Es geht genau um diese Dorfschule, ihre Kinder und ihren Lehrer Lopez. All dies ist so weit entfernt von allen Pisa-Studien dieser Welt, dass es schon zu Beginn des Films wohl tut in diese nostalgisch anmutende Welt einzutauchen. Im Klassenzimmer befindet sich ein runder Tisch für die Vorschulkinder, davor die Schulbänke der Älteren. Alle Altersstufen sitzen im gleichen Raum und werden parallel unterrichtet. Lehrer Lopez ist niemals vor, sondern immer inmitten seiner Schüler, er sitzt unter ihnen, hört intensiv zu, erteilt Hilfen und schaut niemals weg, er reagiert. Als es einmal unter den Schülern zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt, bespricht er in aller Ruhe und Ernsthaftigkeit die Situation mit den beiden Schülern. Anders als üblich werden dabei keine Strafen angedroht oder gar erteilt. Dass dies alles so friktionslos funktioniert, liegt natürlich an der charismatischen Person des Lehrers. Dennoch ist dieser Mikrokosmos beileibe keine heile Welt. Deutlich wird dies zum Beispiel, wenn die Kinder zu Hause ihre Hausaufgaben machen müssen.
Dann wird einem Kind von einer genervten Mutter auch schon mal eine Backpfeife angedroht. Und auch die Schule selbst ist nicht frei von Konfliktstoff: Da gibt es einen kleinen Jungen, der einfach nicht lernen will, der die ganze Konzentration und das ganze pädagogische Geschick des Lehrers fordert. Die beeindruckendste Szene des Films ist vielleicht die Situation, in der der Lehrer einen Schüler, der seines kranken Vaters wegen weint, wirklich verständnisvoll tröstet. Hier findet ein Wechsel der Rolle statt, vom respektierten Lehrer hin zum einfühlsamen Freund. Sein und HabenRegie: Nicolas Philibert - Kamera: Katell Dijan, Laurent Didier - Ton: Julien Cloquet - Schnitt: Nicolas Philibert - Produktion: Canal + Centre National de la Cinématographie, Cimages 4 - Verleih: 35mm Ventura Film, VHS mit V+Ö Matthias Film
- Michael Bloech, Markus Achatz, Nicole Lohfink: Berlinale 2018 – Politik und Filmkunst
Michael Bloech, Markus Achatz, Nicole Lohfink: Berlinale 2018 – Politik und Filmkunst
Die Berlinale hat seit Jahren einen ausgesprochen politischen Anspruch. In diesem Jahr waren hier die Erwartungen allerdings besonders hoch: Ausgelöst durch die #MeToo-Debatte und aufgrund der geringen Frauenquote in nahezu allen Bereichen der Filmindustrie, wurde gespannt darauf gewartet, welche Schwerpunkte das Festival setzen würde. Doch vielleicht war die Berlinale von der Dynamik dieses Themas überrascht worden, denn es kam nur zu einzelnen, wichtigen Aktivitäten. Aus dem riesigen Programmangebot sind Michael Bloech, Markus Achatz und Nicole Lohfink einige bemerkenswerte Geschichten in Erinnerung geblie¬ben, die sie innerhalb von drei Schwerpunkten reflektieren.
Unterhaltung darf sein!
Neben der Setzung von relevanten Schwerpunkten möchte die Berlinale unbedingt ein attraktives Angebot für das breite Publikum bieten und bekanntlich ein Publikumsfestival sein. Zwar hat in punkto verkaufter Tickets das Filmfestival im kanadischen Toronto inzwischen die Nase vorne, doch das gesamte Filmangebot mit seinen vielfältigen Programmblöcken bedient auch auf der Berlinale ein sehr breites Publikum. Gewisse Zugeständnisse an das Unterhaltungsbedürfnis waren damit für eine positive Annahme des Angebots unumgänglich. Grund genug, sich unter dem Aspekt des Unterhaltungswertes die jeweiligen Eröffnungsfilme des Wettbewerbs und der Jugend- und Kinderfilm-Sektionen 14plus und Kplus anzuschauen.
Besonders „fabelhafte“ Eröffnung des Wettbewerbs
Eröffnet wurde der diesjährige Wettbewerb mit dem Puppentrick-Animationsfilm Isle of Dogs (Ataris Reise) von Wes Anderson, der seit 2001 bereits zum fünften Mal als Filmemacher bei einer Berlinale vertreten war. In der wunderbaren, moralischen Fabel geht es laut Wes Anderson in erster Linie um den Hund und erst in zweiter Linie um eine postmoderne, moralische Parabel: „Ich wollte unbedingt einen Film über Hunde machen“. Herausgekommen ist eine Dystopie über die Megacity Megasaki, die von dem omnipotenten, tyrannischen Bürgermeister Kobayashi regiert wird. Alle Hunde werden per Gesetz, wegen vorgeblich nicht behandelbarer Seuchengefahr, auf eine Insel deportiert. Die ferne Insel mit ihrer gigantischen Müllkippe und den monströsen Industrieruinen ist Heimat der streunenden, zotteligen Hunde, die zunehmend verwildern und vom Hungertod bedroht sind. Als sich Atari, der Pflegesohn des Despoten, auf den gefährlichen Weg dorthin macht, um seinen geliebten Hund Spots zu suchen, beginnt eine klassische Heldenreise. Allerdings ist es nicht Atari, der im Mittelpunkt der Geschichte steht, sondern die struppige und ungeheuer liebenswerte Hundemeute rund um Chief, Rex, King, Duke und Boss. Wes Anderson nimmt dabei Jung und Alt mit auf eine wunderbar altmodisch animierte Reise und transportiert dabei ganz nebenbei die wichtige Message, dass es im Leben immer Sinn macht, schier Unmögliches zu wagen, um gegen Missstände solidarisch organisierten Widerstand zu leisten. Anderson konnte mit Isle of Dogs, für einen Animationsfilm etwas überraschend, den Silbernen Bären für die Beste Regie gewinnen.
„Endlich erwachsen?“: Wiederkehrende Kernfrage im Eröffnungsfilm bei 14plus
Um eine Reise geht es auch in 303 von Hans Weingartner, dem Eröffnungsfilm der Jugendfilm- Sektion 14plus der Berlinale. Halb Europa bildet dabei den Hintergrund der gefühlsbetonten Geschichte zweier sehr unterschiedlicher, junger Menschen, die beide noch nicht zu sich selbst gefunden haben. Schon nach wenigen Minuten erinnert 303 an Richard Linklaters Independent- Filmklassiker Before Sunrise. Weingarnter hat 1995 bei dieser Produktion seine ersten Filmerfahrungen, sowohl als Nebendarsteller als auch Produktionsassistent gemacht. Hier wie dort sind es vor allem die pointierten, natürlich wirkenden Dialoge, die ein Zusehen spannend machen. Eine junge Frau und ein junger Mann treffen durch einen Zufall aufeinander und schon beginnt das spannende Sprachduell um Anziehung, Auseinandersetzung und Zurückweisung. Ort der Handlung bildet ein mehr als betagtes Mercedes Wohnmobil, dessen modifiziertes Typenschild für den Filmtitel verantwortlich zeichnet. Die Kombination von romantisch gefärbtem Dialogfilm und ästhetisch ansprechendem Roadmovie unterhält bestens, zumal dabei Themen diskutiert werden, die über den Austausch von Banalitäten weit hinausgehen.
Fantasievoll bunte Eröffnung des Kinderfilmprogramms bei Kplus
Das populäre Kinderbuch Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne von Jakob Martin Strid bildete die Vorlage für den gleichnamigen Auftaktfilm der Sektion Kplus: Den utrolige historie om den kæmpestore pære der Filmemacher Philip Einstein Lipski, Amalie Næsby Fick und Jørgen Lerdam. In diesem farbenfroh animierten Film wird die abenteuerliche Reise der wasserscheuen Katze Mika, dem ängstlichen Elefanten Sebastian und dem verschrobenen Professor Glykose erzählt. Gemeinsam machen sie sich, in einer als Boot umfunktionierten Riesenbirne, auf eine abenteuerliche Suche nach ihrem verschwundenen Bürgermeister. Dabei müssen sie auf hoher See mit diversen Widrigkeiten kämpfen, treffen auf vermeintlich böse Piraten und Seeungeheuer, bevor sie schließlich im Showdown auf den verbrecherischen, größenwahnsinnigen Stellvertreter des entführten Bürgermeisters treffen. Zwar mangelt es der Dramaturgie ein wenig an Eleganz, aber insgesamt wird die Geschichte für junge Zusehende durchaus fantasievoll und unterhaltsam präsentiert.
Michael Bloech arbeitete als Medienpädagoge am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinder- und Jugendfilm.
Das Gewicht von Verantwortung: Filme bei GENERATION der 68. Berlinale - Von den Sorgen um andere und den Grenzen des Lebens
Aus dem Programm der Berlinale-Sektion GENERATION ragten Filme heraus, die die jungen Hauptfiguren mit einer widersprüchlichen Welt und schwer verstehbaren Realitäten konfrontieren. Häufig ging es um die Übernahme von Verantwortung für andere und Fragen nach den Grenzen des Lebens.
Wenn Superhelden sterben
Ein berührendes Highlight im diesjährigen Berlinale-Programm der Sektion GENERATIONKplus war die kenianisch-deutsche Koproduktion Supa Modo. Die neunjährige Jo ist unheilbar an Krebs erkrankt. Jos Mutter Kathryn beschließt, ihr Kind für die verbleibende Zeit mit nach Hause zu nehmen. Kathryn ist eine starke Persönlichkeit, doch mit dem Wissen um das unaufhaltbare Sterben ihrer Tochter kann sie ihrer Arbeit als Hebamme nicht mehr nachkommen. In dieser Konstellation übernimmt Mwix, Jos ältere Schwester, mehr und mehr Verantwortung. Jo liebt Superhelden-Geschichten und Mwix erkennt in Jos Fantasie einen Schlüssel für glückliche Momente. Sie bestärkt das kranke Kind in der Vorstellung, selbst magische Superkräfte entwickeln zu können. Dabei gewinnt sie immer mehr Dorfbewohner, sich an dem Spiel zu beteiligen und gemeinsam erfüllen sie Jo den sehnlichen Wunsch, Superheldin in einem eigenen Film zu werden. Neben der herausragenden Darstellerleistung der drei Protagonistinnen liegt die Stärke von Supa Modo darin, aus dem todtraurigen Plot auch hoffnungsvolle Botschaften zu ziehen. Durch die Film-im-Film-Story schafft Regisseur Likarion Wainaina ein Element der Distanz, das Jos Familie (und letztlich auch den Zuschauenden) hilft, mit der Tragödie umzugehen. Supa Modo wurde durch das deutsch-kenianische Produktionskollektiv One Fine Day (gegründet von Marie Steinmann Tykwer und Tom Tykwer) realisiert und ist mit einem rein afrikanischen Team entstanden. Auf der Webseite von One Fine Day findet sich das mit Jugendlichen aus dem Kibera-Slum Nairobi gedrehte Tanzvideo „Ping“. Begrüßenswert wäre es, wenn es künftig mehr afrikanische Filme nach Europa schaffen würden. Supa Moda wurde unter anderem mit Zuschüssen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit gefördert. Über Bilder und Geschichten Emotionen zu wecken und den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern Wege zu mehr Empathie aufzuzeigen, sind gut angelegte Mittel zur Förderung der internationalen Gemeinschaft. Die Kplus-Kinderjury sprach dem Film eine Lobende Erwähnung aus.
Poetische Wege des Abschieds
Eine ungewöhnliche und bewegende Geschichte über das Abschiednehmen erzählt auch der balinesische Film Sekala Niskala (The Seen and Unseen). Auch hier bestimmt eine unheilvolle Diagnose den Verlauf des Geschehens. Tantris Zwillingsbruder Tantra wird schwerkrank. Im Hospiz wagt sich die zehnjährige Tantri nicht ans Krankenbett ihres Zwillingsbruders – außer, wenn sie völlig in magische Zwischenwelten abgleitet, in denen sie mit Tantra spielt und tanzt. Das Mädchen nutzt alles Mystische und Symbolhafte, was sich ihrer kindlichen Welt erschließt, um mit dem nahenden Verlust umzugehen. Mit Kostümen und Körperbemalungen beginnt sie der Trennung zu begegnen. Sekala Niskala – das Sichtbare und das Unsichtbare – spielt dabei auf einer hoch stilisierten Ebene mit langen Traumsequenzen, in denen sich Tantri mit der jenseitigen Welt befasst. Obwohl sie dies alles nicht wirklich begreifen kann, möchte sie mehr Verantwortung übernehmen. Sie äußert einmal, wie gerne sie mit Tantra tauschen würde, damit er weiterleben könnte. Eine Rückblende zeigt, wie sich die Kinder gekochte Eier teilen: Tantri das Eiweiß und Tantra das Eigelb. Eines Tages öffnet Tantri ein Ei, darin fehlt das Eigelb, so wie Tantra. Die indonesische Regisseurin Kamila Andini hat ebenso das Buch zum Film geschrieben. Ihr Regiedebüt The Mirror Never Lies lief 2012 bei Berlinale GENERATION. Mit Sekala Niskala hat sie 2018 den Großen Preis der Internationalen Jury Kplus gewonnen.
Fortuna – Moral und Verantwortung
Fortuna vom Schweizer Regisseur Germinal Roaux hat gleichzeitig den Gläsernen Bären der Jugendjury 14plus und den Großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhalten. Die 14-jährige Fortuna ist als Flüchtling aus Äthiopien in einem Kloster in den Schweizer Bergen gestrandet. Seit der Überquerung des Meeres in einem Boot fehlt von Fortunas Eltern jede Spur. Die Abgeschiedenheit und das rauhe Klima verstärken ihre Einsamkeit und Sehnsucht nach Geborgenheit. Auch andere Flüchtlinge haben vorübergehend im Kloster Zuflucht gefunden und dennoch kann sie nur mit den Tieren des Hofes über alles reden. Vor allem fürchtet sich Fortuna davor, Kabir die Wahrheit zu sagen: Sie ist schwanger von dem 26-Jährigen, der ebenfalls aus Äthiopien kommt. Als sie allen Mut zusammennimmt und es ihm erzählt, reagiert er schroff und gibt dem Mädchen die Schuld. Zunächst hofft das Mädchen auf eine gemeinsame Zukunft, doch bei einer unerwarteten Polizei-Razzia im Kloster verschwindet Kabir spurlos. Der Film besticht vor allem durch seine ästhetische Schärfe. In klaren Schwarz-Weiß-Bildern (im Format 4:3) erhält die Bergwelt eine eigene Hauptrolle. In den Rückblenden der Flucht fließen die tosenden Wellen des Meeres auf imposante Weise mit den Wolkenbewegungen über dem Gebirge ineinander. Fortunas Schwangerschaft kommt allmählich ans Licht und der Film wechselt den Blickwinkel auf andere Instanzen: Einerseits die Politik und Einwanderungsbehörden – repräsentiert in der Figur des Herrn Blanchet –, die auf Basis von Paragraphen Entscheidungen fällen. Er versucht, unbegleitete Minderjährige an Familien zu vermitteln und sieht in einer Abtreibung den einzigen Ausweg. Andererseits die Mönche des Klosters – allen voran Bruder Jean (dargestellt von Bruno Ganz) –, die ihr Haus als Zufluchtsort zur Verfügung stellen. Verantwortung richtet sich hier nach dem Prinzip von Nächstenliebe und göttlicher Weisung. Und es gibt noch eine dritte Ebene – in deren Perspektive wir am Ende zurückkehren: Was wünscht sich Fortuna selbst? Es ist ein Film über ein ergreifendes persönliches Schicksal vor dem Hintergrund der humanitären Katastrophe. Anhand von Fortunas jungem Leben stehen alle, die sich darauf einlassen, vor der Frage nach der Verantwortung. Roaux liefert am Ende keine Antwort, aber viele neue Fragen, die weit über das eine Leben hinausgehen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Die ‚persönliche‘ Seite der Berlinale - Die Attraktivität des Autobiographischen
Mit eindrücklichen Filmen quer durch die Sektionen rückten persönliche Lebensgeschichten in den Blickpunkt und verbanden zwei klassische Wahrheiten miteinander. Das Leben schreibt die interessantesten Geschichten – und Kunst, ob auf der Bühne, im Bild oder Film, bildet Leben ab, manchmal auch ‚larger than life'. Besonders beeindruckt dies, wenn es gelingt, diese Realität ganz nah an die Zuschauerin bzw. den Zuschauer heranzurücken. So erzählten folgende drei Beispiele aus dem diesjährigen Programm persönliche Geschichten von realen Menschen und schlagen eine Brücke zu anderen Lebenswelten, aber auch zu universalen Themen wie tiefe Freundschaft, der eigenen Verwundbarkeit und Stolpersteinen des Erwachsenwerdens.
Mut zur eigenen Schwäche – vom äußeren und inneren Terror
Ein bestechender Film aus der Sektion Panorama Special heißt Profile, ein Film von Timur Bekmambetov. Im Mittelpunkt steht die britische Journalistin Amy Whittaker und ihre Recherche über die Rekrutierung junger europäischer Frauen durch den IS. Die Journalistin nimmt über ein gefälschtes Facebook-Profil Kontakt zu einem IS-Kämpfer auf und gibt sich als junge Konvertitin aus. Hierauf folgt ein Katz-und-Maus-Spiel zweier Jäger. Der Film beginnt als Einblick in die Struktur des Terrors, legt aber später zunehmend Gewicht auf die verschwimmende Grenze zwischen sich einlassen und Distanz wahren, Zerbrechlichkeit der eigenen Persönlichkeit und emotionale Manipulationsmechanismen. Der gesamte Film verläuft dabei nur auf der Computer-Bildschirm-Oberfläche, auch das alltägliche Leben der Protagonistin wird über online geführte Unterhaltungen via diversen Web-Diensten gezeigt. Der Zuschauende wechselt zwischen Identifikation mit der Protagonistin und der Beobachterposition. Trotz Eile in der Erzählung, welche die Genauigkeit bestimmter Abläufe überholt, wird die gesamte Tragweite offenbar, wenn Protagonistin – und Zuschauende – mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen konfrontiert werden: Die französische Journalistin, auf deren Geschichte der Film basiert, lebt heute unter anderem Namen. Die Veröffentlichung ihres Berichts führte zu mehreren Verhaftungen und einer Todesdrohung durch den IS-Staat. Profile gewann den Publikums-Preis in der Sektion Panorama.
Spirituelle Begegnung mit einem Ausnahme-Musiker
Aus der Reihe Berlinale Special bewies der Dokumentarfilm Gurrumul aus down under erneut die verbindende Wirkung von Musik und macht mit der Persönlichkeit und Musiker Geoffrey Gurrumul Yunupingu, einem Aboriginal aus dem australischen Arnhemland, vertraut. Bewiesen als ein außerordentlich begabter Musiker von Kindheit an, aber blind geboren, bietet Gurrumuls Leben schon genug Stoff, um erzählt zu werden. Aber die Geschichte erlaubt der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer einen Einblick in die Würde einer Kultur mit deren Werten einer uns zunächst unvertrauten Gesellschaft. In persönlichen Bildern und Interviews erzählt Regisseur Paul Williams von der frühen Begabung des Musikers – der sich vier Instrumente selbst beibrachte –, von seinem Stammesleben, den Ängsten seiner Verwandten, dass er als blinder Mann keine Unabhängigkeit leben kann, aber auch von der Wertschätzung, die er in seinem Stamm erfährt. Der Zuschauende erfährt von der Begegnung Gurrumuls mit seinem langjährigen engen Freund und Wegbegleiter Michael Hohnen, einem Musiker und ‚baladan‘, das heißt ‚weißer Typ‘ auf Yolngu Matha. Hohnen wird zum Sprachrohr und Übersetzer für den extrem scheuen Musiker, der dennoch Konzerte vor vielen tausenden Menschen gibt. Vor dieser Hintergrundgeschichte schafft es der Film Gurrumul eine Geschichte von persönlicher Freiheit zu erzählen. Dazu kommen Momente, in denen mündlich überlieferte Lieder die Traditionen und Geschichten der früheren Generationen vermitteln und somit den kulturellen Reichtum erlebbar machen. Die Suche nach einer visuellen Entsprechung der Tiefgründigkeit der Musik gelingt durch intime Einblicke, die der Film in die Lebensumstände des Künstlers gewährt – Einblicke, die das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Musikern Michael und Gurrumul erst ermöglichen und welche so zwischen einem ‚baladan‘ und einem ‚yolnu‘ (schwarzer Typ) selten vorkommen. So findet sich der eigentliche Schatz des Films darin, dass ein ungewollter Star nicht nur Wissen über das kulturelle Erbe Australiens vermittelt, sondern auch die Universalität dieser Traditionen enthüllt. Geoffrey Gurrumul Yunupingu starb kurz vor Veröffentlichung des Films.
Erwachsenwerden – die Suche nach der Identität in turbulenten Bildern animiert
Der Animationsfilm Virus Tropical von Regisseur Santiago Caicedo ist die autobiographische Geschichte der kolumbianisch-ecuadorianischen Cartoonistin Paola Gaviria, basierend auf ihrem gleichnamigen Comic von 2014. Mit der eigenen Existenz als Ergebnis eines tropischen Virus startet der Film in eine humorvolle und bildgewaltige Reise zum Thema Stolpersteine der Kindheit und Jugend im Programm von GENERATION 14plus. Dabei geht es vordergründig um das Mädchen Paola und die Entwicklung ihrer Familienbeziehungen – insbesondere zur Mutter und zu den beiden Geschwistern. Es geht um den Umgang mit Veränderungen, den Umzug in eine andere Stadt, Zugehörigkeitsgefühle der Protagonistin und die eigene Definition. Es ist die Inventur eines Lebens und Konstruktion des eigenen Selbst, inklusive aller Elemente und Orte des Aufwachsens, die eine wichtige Rolle in der Kindheit und Jugendzeit der Autorin gespielt haben. Der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer bietet sich dadurch ein Spiegel der Erinnerung, während der Film mit Augenzwinkern und Rasanz die verschiedenen Stationen anläuft. Die Bedeutung von Familie, Erkundung von Sexualität und auch, was es bedeutet, eine Frau zu sein, samt der Entwicklung der persönlichen Identität als zentrale Themen des Erwachsenwerdens werden sowohl inhaltlich als auch stilistisch erfahrbar gemacht. Die turbulenten Wechsel der Kindheit und die Auseinandersetzung mit der Außenwelt spiegeln sich unentwegt in diversen graphischen Spielarten wider. Der Haupt-Charakter ist immer im Entwicklungszustand. Auch musikalisch wird handlungsorientiert gearbeitet – die Liedtexte stehen für die jeweilige Situation in Paolas Leben. Entstanden ist ein sehr ansprechendes und persönliches Werk, dem die Cartoonistin insgesamt neun Jahre ihres Lebens gewidmet hat. Vier Jahre für die Erarbeitung der Novelle und fünf Jahre für die Gestaltung des Films, für den sie über 1.000 Zeichnungen erstellt hat. Real existierende Menschen im Fokus der Filme schaffen so eine gelungene persönliche Begegnung zwischen Fremden und bieten in ihrer Vielseitigkeit noch lange Stoff zum Nachdenken und Nachspüren – und damit sicherlich eine Leistung von gesellschaftlicher Relevanz durch die Berlinale.
Nicole Lohfink ist freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin und medienpädagogische Referentin.Beitrag aus Heft »2018/02 Kita digital: Frühe Medienerziehung«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Nichts für Babys - BabyTV
Michael Bloech: Nichts für Babys - BabyTV
Babys lernen in ihren ersten Lebensmonaten rasend schnell, das Spektrum ihres Verstehens und ihrer Wissensaneignung ist dabei abhängig von ihrer jeweiligen Alters- beziehungsweise Entwicklungsstufe und natürlich auch von ihrer individuellen Förderung. Vor diesem Hintergrund wird das Angebot von BabyTV analysiert und besprochen, welche Angebote für welches Alter konkret gemacht werden. Darüber hinaus wird eine pädagogische Einschätzung des Senders vorgenommen.
(merz 2007-01, S. 37-38)
- Michael Bloech: Die Berlinale - Filme im Überfluss
Michael Bloech: Die Berlinale - Filme im Überfluss
Einen Überblick über das Angebot der 57. Berlinale zu bekommen, ist ob der immensen Vielfalt des Angebots ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist. Für die medienpädagogische Arbeit ist die Berlinale jedoch ein qualitativer Gradmesser, denn hier finden sich neben Blockbustern auch viele kleine Filmproduktionen, die engagiert und innovativ eigene Wege suchen. So war es im vorigen Jahr spannend zu beobachten, wie vielfältig und kreativ die deutsche Filmlandschaft sich entwickelt hatte, um dann in diesem Jahr ernüchternd festzustellen, dass dieser Trend offensichtlich nicht von langer Dauer war. Das Kinderfilmfest hat Geburtstag – es lebe Generation!Das Kinderfilmfest ist inzwischen einer der renommiertesten Bereiche der Berliner Filmfestspiele. In diesem Jahr firmierte diese Sektion zu ihrem 30. Geburtstag unter dem etwas unglücklichen Titel Generation. Darunter bezeichnen Kplus und 14plus ab sofort die beiden Unterprogramme für Kinder beziehungsweise Jugendliche. Thomas Hailer, der Leiter von Generation, möchte mit dem neuen Titel darauf aufmerksam machen, dass es bei der altersübergreifenden Sektion nicht primär um Kinderfilme, sondern auch um Filme für Jugendliche geht. Eine weitere Neuerung bildet das geplante Kooperationsprojekt zwischen der Berlinale und den beiden Vertriebspartnern absolut Medien und Matthias Film.
Einige der Preisträgerfilme werden in diesem Rahmen voraussichtlich ab Herbst 2007 auf DVD herausgebracht. Oft war ja ein Manko, dass viele interessante Kinder- oder Jugendfilme zwar in Berlin einen Preis erhielten, aber dennoch den Weg ins deutsche Kino oder Wohnzimmer nicht schafften.Außer dieser Umbenennung und dem interessanten DVD-Angebot ist es zu keiner nennenswerten Umstrukturierung gekommen. Allerdings erfreute sich vor allem der Bereich 14plus steigender Beliebtheit, aber auch das Programm für Kinder wurde wie schon in den vorangegangenen Jahren gut angenommen. Bot vor allem die Qualität der Filme im Wettbewerbsprogramm der Berlinale Anlass zu heftigen Diskussionen, so wurde im Gegensatz dazu, das Angebot bei Generation mehr als wohlwollend aufgenommen. Zu Recht, denn die 13 Jugend- und 15 Kinderfilme boten neben vielen netten Kurzfilmen, neben Qualität und Anspruch, auch viel Unterhaltung und Abwechslung. Kplus – hauptsächlich Kinderfilme für Ältere In der Sektion Kplus fiel vor allem auf, dass es einen Trend hin zu mutigen, dramaturgischen Wagnissen gab. Normalerweise war der Kinderfilm bislang dominiert von klassischer Sachlichkeit, einer geradlinigen Erzählweise, die vor allem Kinderfilme aus skandinavischen Ländern kennzeichnet.
Ein Vertreter dieser eher konventionell erzählten Filme ist Trigger, eine norwegisch schwedisch dänische Koproduktion von Gunnar Vikene. In unaufgeregten Bildern wird hier die Geschichte der kleinen Alise erzählt, die ihren Großvater auf seinem Weg ins Altenheim begleitet. Ihre große Liebe gilt den Pferden und als plötzlich der völlig verstörte, geflohene Hengst Trigger auftaucht, kann zunächst nur noch ihr Großvater helfen, das Pferd zu bändigen. Als dieser jedoch schwer erkrankt, ist das kleine Mädchen ganz auf sich und ihre beste Freundin gestellt. Der sehr sensibel gemachte Film richtet sich vor allem an jüngere Kinder, während der überwiegende Teil von Kplus Filmen diesmal vor allem auf ältere Kinder abzielt. Auch die einzige deutsche Produktion im Kplus-Wettbewerb Blöde Mütze von Johannes Schmid schielt eher auf ein etwas älteres Publikum. Erzählt wird hier die Geschichte des zwölfjährigen Martin, der in die Provinz zieht und sich seinen Platz in der neuen Umgebung erst noch erkämpfen muss. Seine Champion Baseballkappe, die blöde Mütze, ist mehr ein Schutz, ein virtueller Panzer, denn der schüchterne Martin gehört nicht gerade zu den ,Champions‘. Insgesamt ist Blöde Mütze eine sympathische Mischung von New Kid in Town und First Love, ein sensibles Portrait eines stillen Jungen, auf dem steinigen Weg des Älterwerdens. Erfrischenderweise sind bei Kplus zu diesen eher ruhigen Filmen ganz wagemutige, spektakuläre, freche Filme hinzugekommen, die von Kindern einiges an Konzentration aber auch an Wissen voraussetzen. Stellvertretend dafür sei hier Razzle Dazzle des Australiers Darren Ashton genannt.
In Form einer Fernseh-Dokusoap erzählt der sehr vergnügte und schrille Spielfilm die Geschichte einer Kindertanzschule. Im Zentrum der Story steht der einfühlsame und originelle Tanzlehrer Mr. Jonathan, der an ,seine‘ Kinder glaubt und sie nicht nur in den Bereichen des Tanzens fördert und fordert, sondern auch einen politischen Anspruch hat und diesen mit in seine Choreografie einbaut. Die junge Tanzgruppe fiebert einem Tanz-Wettkampf entgegen und hat es dabei mit einer anderen Kindergruppe zu tun, die von der überengagierten, konservativen, strengen Tanzlehrerin Miss Elisabeth geleitet wird. So stoßen permanent zwei Welten aufeinander, die eine geleitet von Jonathans Kreativität und politischem Engagement und die andere von Miss Elisabeths Drill und Traditionsbewusstsein. Kleine Kinder werden Probleme haben, beim Zuschauen das Fiktive der Handlung zu erkennen und herauszulösen. Zu wenige Hilfestellungen erteilt der Film, als dass jüngere Kinder das raffinierte Spiel mit filmischen Formen durchschauen können. Ganz in der Tradition eines Dokumentarfilms erläutert Mr. Jonathan in der Exposition des Films mit dem geraden Blick in die Kamera sein Verständnis von Tanz und lockt mit diesem Stilmittel trickreich die Zusehenden zunächst bewusst auf eine falsche Fährte. Ältere Kinder oder Jugendliche haben allerdings umso mehr Spaß an diesem Spiel, als dass die Machart des Films ihre Medienkompetenz herausfordert. Auch der stellenweise subtile Humor des Films setzt einiges an Seherfahrung voraus. Damit aber Razzle Dazzle nicht zu intellektuell anmutet, ist das Ganze immer wieder von derberen witzigen Szenen durchsetzt und mit fantastischen Musik- und Tanzeinlagen garniert.
Macht dieser australische Film den Zusehenden die Künstlichkeit des Mediums transparent, so setzt der Preisträgerfilm Das Internat des Thailänders Songyos Sugmakanan ganz auf die Klaviatur des klassischen Horror-Thrillers und lässt sein Publikum damit völlig distanzlos in die innere Welt seines Protagonisten zitternd eintauchen. Der Film ist wirklich nichts für zarte Gemüter und daher hat das Festival sich entschlossen, ihn erst ab zwölf Jahren zu empfehlen. Eine richtige Entscheidung, denn die vielen überraschenden und wirklich schockierenden Momente sowie der kaum zu ertragende Suspense beanspruchen die Nerven bis aufs Äußerste. Vor allem die klaustrophobisch wirkenden, düsteren Kamerabilder und die genial eingesetzte Spannungsmusik bewirken eine Tour-de-force für das Publikum. Im Gegensatz allerdings zu Hollywoodproduktionen à la Sixth Sense oder Splattermovies haben die gezeigten Bildwelten einen inhaltlich außerordentlich ernsthaften Hintergrund. Im Kern geht es in der Geschichte um den Jungen Ton, der von seinem Vater ins Internat geschickt wird. Hier muss Ton gegen seine eigenen Gespenster, seine Angst und Einsamkeit kämpfen. Tons Mitschüler erzählen sich gegenseitig nachts im Schein der Taschenlampen unter der Bettdecke düstere Gespenstergeschichten, die Tons Fantasie beflügeln. Das Internat vermittelt Gänsehautstimmung pur und knüpft dabei raffiniert an realen Ängsten von Kindern an. Die interessante Botschaft des Films lautet dabei, lass dich auf deine Wahrnehmungen, deine Fantasie und Ängste ein, und vertrau deiner eigenen Kraft und inneren Stärke.
Der Film erhielt von der Kinderjury mit einem gläsernen Bären zu Recht den Hauptpreis und vom Kinderhilfswerk eine lobende Erwähnung. Bei all der Euphorie, um die hohe Qualität des Kinderprogramms, darf allerdings kritisch angemerkt werden, dass zukünftig die jüngeren Kinder nicht aus dem Blickfeld verschwinden sollten.14plus – der steinige Weg des Erwachsenwerdens An die Probleme älterer Kinder, die im Fokus von Kplus standen, knüpfte das Jugendprogramm von 14plus nahtlos an. Hier ging es hauptsächlich um die beschwerlichen Prozesse des Erwachsenwerdens. So auch für den 14-jährigen Armin, der im gleichnamigen Film von Ognjen Svilicic mit seinem Vater Ibro von Bosnien nach Kroatien reist, um an einem Casting für einen Film teilzunehmen. Für den Jungen ist es aber die größte Herausforderung, sich von den Ansprüchen seines Vaters zu lösen ohne da-bei den Respekt, das Ansehen und die Liebe seines Vaters zu verlieren. In vielen kleinen Gesten werden die Versagensängste, das gegenseitige Nichtverstehen sowie der enorme Erwartungsdruck deutlich. Als schließlich Armin, trotz permanentem Kampf des Vaters, keine Chance bekommt, bei dem Film mitzumachen, spitzt sich der Konflikt zwischen den beiden zu. Das ungleiche Paar erhält jedoch überraschenderweise vom Filmteam die Chance, an einem anderen Filmprojekt mitzuwirken, eine Dokumentation über die Situation im Nachkriegsbosnien. Diese Chance hat aber einen zu hohen Preis: Vater und Sohn wollen zwar ihrem Elend in Bosnien entfliehen, doch ihre eigene Situation wollen sie nicht dem globalen Voyeurismus preisgeben. Diese kleine Vater-Sohn-Geschichte über Würde wird in ruhigen Bildern erzählt, die lakonischen Dialoge beweisen trotz grober Flüche des Vaters feinen Sinn für Humor und von dem stillen Duell der beiden Hauptdarsteller wird man unaufhaltsam in den Bann gezogen.
Der Film wendet sich in seiner Kritik aber auch an Pädagoginnen und Pädagogen bzw. Eltern die, vor lauter gutem Willen, Jugendliche in der schwierigen Phase des Erwachsenwerdens oft mit ihren Ansprüchen und Zielen überfordern. Hier vermittelt der Film zwischen den Generationen, denn Armin stellt am Ende stolz fest, dass sein Vater ihn liebt und akzeptiert. Und Ibro ist stolz auf seinen Sohn, auch wenn er sein offensichtliches Ziel nicht erreicht hat.Das Zerbrechen von UtopienÄhnlich wie Armin, steht der gleichaltrige Dvir in Sweet Mud von Dror Shaul vor einer unlösbaren Aufgabe. Zusammen mit seiner Mutter gefangen in einem isrealischen Kibuzz, sehnt er sich nach Freiheit und nach einem Vater, den er verloren hat. Das Kibuzz ein Ort, in Gleichheit und Gemeinschaft, regelt streng den Alltag. Was jedoch als sozialistische Utopie begann, ist längst einem korrupten Unterdrückungsapparat gewichen. Ohne familiäre Bindungen und ohne individuelle Freiheit ist das Leben für Dvir und seine Mutter zur Qual geworden. Die Mutter schöpft kurzfristig Hoffnung als ihr Freund Stephan, ein älterer schweizer Grandseigneur, sie besucht, doch dann gerät ihre Welt vollständig aus den Fugen. Stephan widersetzt sich den strengen Strukturen des Kibuzz, lehnt sich auf und muss schließlich das Kollektiv verlassen. Für Dvir ist Stephan, der lebenslustige Mann mit dem feinen Gespür für Situationen und Emotionen, in kurzer Zeit zu einer Vaterfigur geworden. Seine plötzliche, erzwungene Abreise lässt Dvirs Mutter noch tiefer in ihre Depression versinken, die im tiefen Alkoholdunst mündet. Dvir versucht der Mutter Brücken zu bauen, um sie aus ihrem emotionalen, selbstzerstörerischen Strudel zu reißen, aber schließlich muss er schmerzvoll erkennen, dass er nur alleine bestehen kann. In drastischen, nachdenklich stimmenden Bildern mit einer perfekt eingesetzten Musik zerstört der melancholische Film die Illusion des harmonischen Wechselspiels von Individualität und Gemeinschaft, von Freiheit und Gleichheit. Sweet Mud erhielt bereits viele nationale und internationale Preise und den gläsernen Bären der Jugendjury.
Michael Bloech
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
Autor: Michael Bloech
Beitrag als PDF - Michael Bloech: Der deutsche Kinderfilm lebt... im Osten!
Michael Bloech: Der deutsche Kinderfilm lebt... im Osten!
In der deutschen Kinderfilmszene bewegt sich etwas: Anknüpfend an die klassische und hoch geschätzte Tradition des Kinderfilms der DDR findet zur Zeit im Osten unserer Republik anscheinend unabhängig von großen Produktionsfirmen und Studios eine Wiederbelebung des oft schon totgesagten Kinderfilms statt. So wurde beispielsweise im Jahr 2000 in Erfurt die Produktionsfirma Kinderfilm GmbH gegründet, die sich ausschließlich auf die Produktion von Kinderfilmen für Fernsehen und Kino konzentriert. Ihr aktueller Titel ist Die Blindgänger von Bernd Sahling, der nach seiner Ausbildung bei der DEFA unter anderem als Regieassistent bei Helmut Dziuba und Rolf Losansky arbeitete, die bekanntlich als Ikonen des DDR-Kinderfilms gelten. Auch bei Sahlings neuester Produktion spürt man die Nähe zu der erzählerischen Tradition klassischer DDR-Regiearbeit, hier geht es eben nicht um eine von der Lebenswelt der Jugendlichen abkoppelte Story oder um die Präsentation platter Action. Ganz im Gegenteil, sofort spürt man die Ehrlichkeit, mit der unspektakulär, aber um so eindringlicher der Alltag junger Menschen geschildert wird.
Die Blindgänger erzählt die Geschichte der beiden 13-jährigen Mädchen Marie und Inga, die gemeinsam in einem Internat für Sehbehinderte leben. Für beide bildet die Musik die Brücke zur Wirklichkeit, Marie spielt Gitarre und Inga Saxophon. Als sie von einem Bandwettbewerb hören, wollen sie sich zunächst einer Band anschließen, die gerade Musiker sucht. Doch das misslingt gewaltig, denn die Bandmitglieder sind zwar von der Musikalität der Mädchen beeindruckt, doch die „Guckis“, wie Inga und Marie die Sehenden nennen, wollen eine „andere Bühnenpräsenz“. Die beiden Mädchen sind zunächst deprimiert, allerdings gerät ihr Alltag ziemlich bald aus den Fugen, als sie Herbert, einen jungen Russlanddeutschen, in einer alten Sternwarte vor der Polizei verstecken. Marie fühlt sich sofort zu dem Jungen hingezogen. Doch Herbert möchte unbedingt wieder nach Hause und so beschließen die drei, eine Straßenband zu gründen, um auf diese Weise das Geld für Herbert einzuspielen. Als dieser Versuch aber kläglich scheitert, ruht ihre letzte Hoffnung auf der Teilnahme an dem Bandwettbewerb. Glücklicherweise gibt es da in Herrn Karl aus dem Internat einen engagierten und feinfühligen Lehrer, der dem Trio mit Rat und Tat zur Seite steht.
Dominique Horwitz als Herr Karl ist einer der prominentesten in diesem Film. Dennoch sind die beiden sehbehinderten Mädchen die wahren Schauspielstars. Ihre Natürlichkeit gibt dem Film die notwendige Authentizität, die wohl bei einer Besetzung mit Sehenden niemals so eindringlich hätte realisiert werden können. Nahezu dokumentarisch muten vor allem die Szenen an, in denen sich die beiden Mädchen, ganz auf sich allein gestellt, in ihnen unbekannten Räumen zurechtfinden müssen. Hier ist auch die Kompetenz der Sehbehinderten zu spüren, auf Geräusche und Hell-Dunkel-Unterschiede zu reagieren. Überhaupt versteht es Sahling ganz wunderbar, die jungen Menschen nicht als Opfer ihrer Behinderung darzustellen, vielmehr präsentiert er sie als ganz normale Jugendliche, die die gleichen Probleme haben wie ihre nicht behinderten Altersgenossen: Pubertät, erste Liebe, Stress in der Schule, Geldnot und vieles mehr. Dennoch wird nicht der Versuch unternommen, ihre durch die Behinderung bedingten Schwierigkeiten zu ignorieren. Dieser Spagat, einerseits die Jugendlichen als kompetent und normal zu präsentieren, ohne dabei andererseits ihre Behinderung zu verleugnen, gelingt durch eine geschickte visuelle und akustische Inszenierung der geradlinigen Erzählung. Vor allem die Geschichte der beiden Mädchen transportiert „Normalität“, während die Sensibilisierung der ZuschauerInnen für die Sehbehinderung mittels beeindruckender Kameraarbeit gelingt. Mit gezielten Lichteffekten, atmosphärisch dichten Bildern und einer generell dunklen Lichtstimmung fokussiert der Kameramann Peter Ziesche den Blick der ZuschauerInnen konsequent auf die Probleme des Nicht-sehen-Könnens. Der präsente Ton und die ungeheuer wirkungsvoll eingesetzten akustischen Effekte verdichten diese Wirkung.
Allerdings hat der Film leider auch einige kleine dramaturgische Schwächen; vor allem die Szenen, in denen die Mädchen von dem Bandwettbewerb erfahren, wirken merkwürdig unbeholfen und konstruiert. Dennoch lassen einen die empfindsamen Dialoge zwischen Marie und Herbert und vor allem das melancholische Ende dies schnell vergessen. Der Film erhielt daher mehr als verdient viele nationale und internationale Preise, unter anderem den Deutschen Filmpreis 2004 als bester Kinder- und Jugendfilm.
Ein weiterer interessanter Kinderfilm, der jetzt im Herbst in Deutschland anläuft, kommt ebenfalls aus dem „Wilden Osten“. Das augenfälligste beim Kinderkrimi Der Dolch des Batu Khan von Günter Meyer ist vor allem die „Location“: Die Stadt Dresden spielt die heimliche Hauptrolle und besticht selbstbewusst mit unverbrauchten Schauplätzen. Sind wir inzwischen mit Berlin, Hamburg und München durchaus an vorzeigbare deutsche Drehorte gewohnt, so tut es doch gut, endlich einmal neue, frische Bilder zu Gesicht zu bekommen. Und auch die Handlung bewegt sich souverän und selbstbewusst in der Dresdner Kunst- und Museumsszene rund um das berühmte „Grüne Gewölbe“. Bei all diesem modernen Schick muten die bunt in den Film eingestreuten Szenen mit wilden mongolischen Reiterhorden dann aber doch auf den ersten Blick ein wenig antiquiert an. Allerdings wird schnell klar, dass mit mir ein Wessi im Kino sitzt, denn in der Kinderbuchlandschaft Ostdeutschlands hat der Kult um den furchtlosen Dschingis Khan und seinen nicht minder draufgängerischen Enkel Batu Khan eine lange Tradition. Die Abenteuer der wilden mongolischen Reiter sind in Ostdeutschland mindestens genauso beliebt wie im Westen die spannenden Winnetou-Geschichten und haben dementsprechend bei Kindern hohes Ansehen.
All dies ist natürlich nur schmückendes Beiwerk, viel wichtiger ist die spannende Geschichte des 12-jährigen Sebastian, der mit seinem verwitweten Vater, dem Chefkonservator des „Grünen Gewölbes“, in einer Gründerzeitvilla lebt. Es sind Ferien und dem jungen Burschen ist langweilig. Auch wird’s mit der vom Vater versprochenen Urlaubsreise nichts, denn bei Ausgrabungen tauchen merkwürdige Kisten auf: wertvolle Kunstschätze, die zum Ende des 2. Weltkriegs von den Nazis vergraben wurden. Die Suche nach dem kostbarsten Stück dieser Ausgrabung, dem Dolch des Batu Khan, beginnt. Denn die Kisten bergen zwar allerlei Kostbarkeiten, doch scheint der darin vermutete Dolch wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Spezialisten werden zur Suche hinzugezogen und auch Sebastian nimmt mit seinen Freunden Benni und Maria die Jagd auf. Allmählich wird jedoch klar, dass auch finstere Gestalten an dem wertvollen Kunstgegenstand interessiert sind, die offenbar einen Komplizen in das Mitarbeiterteam des Museums eingeschleust haben. Ein spannendes Katz- und Maus-Spiel beginnt, so dass der Film für Kinder bis zum Schluss echte Gänsehautspannung bietet: wer sich schließlich als Bösewicht herausstellt, kommt tatsächlich erst beim dramatischen Showdown heraus. Dabei geht es aber nicht um die platte Präsentation von actiongeladenen Gewaltszenen, sondern vielmehr um logisches Denken. So fordert der Film auf eine mehr als sympathische Weise die jungen ZuschauerInnen zu gedanklichen Spitzenleistungen auf. Jeder kann sich somit als kleiner Detektiv fühlen und muss ständig neue Hypothesen aufstellen, die dann immer wieder verworfen werden.
Der Regisseur Günter Meyer, der vor allem durch den Kinderfilmklassiker Kai aus der Kiste bekannt wurde, hat es damit geschafft, auf spannende und intelligent unterhaltsame Weise einen netten, im besten Sinne nostalgisch anmutenden Kinderkrimi zu produzieren, der dabei ganz nebenbei Werbung für eine sympathische Stadt macht. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass der Kinder-Publikumspreis „Fox Kids Award“ im Rahmen des diesjährigen Kinderfilmfests München trotz starker Konkurrenz an den Dolch des Batu Khan ging.
Michael Bloech
Der Dolch des Batu Khan
Regie: Günter Meyer - Buch: Günter und Katrin Meyer - Kamera: Sebastian Richter - Musik: Thomas Metschinski - Darsteller: Marian Lösch, Sarah Bellini, Benjamin Seidel, Babette Kuschel, Björn Casapietra und andere - Produktion: Deutschland (Mediopolis GmbH), 2004 - Länge: 98 Min. -Verleih: Atlas Intermedia
Die Blindgänger
Regie: Bernd Sahling - Buch: Helmut Dzuiba und Bernd Sahling - Musik: Christian Steyer - Kamera: Peter Ziesche - Darsteller: Ricarda Ramünke, Maria Rother, Dennis Ritter, Oleg Rabcuk, Dominique Horwitz und andere - Produktion: Deutschland (Kinderfilm GmbH), 2004 - Länge: 87 Min. - Verleih: MFA 35 mm
- Markus Achatz/Michael Bloech: Genre-Crossover und spannende Kinogeschichten aus Fernost
Markus Achatz/Michael Bloech: Genre-Crossover und spannende Kinogeschichten aus Fernost
Vier aktuelle Filme aus Fernost bieten spannende Einblicke in gesellschaftliche Veränderungsprozesse und zeigen frische Crossover-Qualität mit vielfältigen Genremischungen. Alle Neuerscheinungen liefen als Weltpremieren auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2017 und stellen heranwachsende Protagonistinnen und Protagonisten ins Zentrum ihrer unterschiedlichen Geschichten: Die internationale Großproduktion Mr. Long spielt mit Genres und überwindet mühelos die Grenzen zwischen Action-Thriller und Gefühlskino. Den Kern bilden dabei ein untergetauchter Profikiller, ein achtjähriger Junge, dessen drogenabhängige Mutter sowie eine Handvoll merkwürdiger Nachbarn. Neben zwei einsamen jungen Menschen spielt in The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue die Großstadt eine weitere Hauptrolle. Der chinesische Independent-Film Ben Niao (The Foolish Bird) schildert die verzweifelte Suche einer 16-Jährigen nach Glück und eigener Identität. Ein Coming-of-Age-Film mit einem nüchternen Blick auf Perspektivlosigkeit und Isolation im heutigen China. Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) führt eine ungewöhnliche Patchwork-Familie zusammen und ist ein warmherziges Plädoyer für Toleranz.
Strick-Kurs für neue Familienformen
Grob übersetzt heißt der Originaltitel des japanischen Films Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) von Naoko Ogigami in etwa ‚Wenn sie anfangen, ernsthaft zu stricken‘. Die elfjährige Tomo ist laufend allein. Nach der Schule isst sie jeden Tag abgepackte Reisbällchen aus dem Supermarkt. Ihre Mutter kümmert sich kaum um das Kind und kommt häufig spätnachts betrunken nach Hause. Als sie – nicht zum ersten Mal – längere Zeit wegbleibt, kontaktiert Tomo ihren Onkel Makio. Der nimmt sie bei sich auf, allerdings unter neuen Vorzeichen: Er lebt inzwischen mit seiner Freundin Rinko zusammen. Nach anfänglicher Überraschung, dass Rinko eine Transgenderfrau ist, wird bald klar, mit welch großer Fürsorge und Liebe sich alle um Tomo kümmern. Das Mädchen fühlt sich schnell wohl und die drei wachsen zu einer kleinen Familie zusammen. Doch diese Idylle wird von der Außenwelt nicht mitgetragen. Beispielsweise zeigt die Mutter eines Klassenkameraden Tomos offen ihre Abneigung gegenüber Rinko und ihrer Transsexualität. Dabei geht Rinko in ihrer Aufgabe als Ersatzmutter völlig auf und genießt auch als Altenpflegerin im Beruf Anerkennung. Dennoch muss sie immer wieder neuen Mut fassen. Die Zweifel an ihrer sexuellen Identität kanalisiert Rinko durch permanentes Stricken. Der Griff zu den Stricknadeln verleiht der Geschichte eine beinahe meditative Atmosphäre, die an asiatische Filme ganz anderer Genres anknüpft. Auch Tomo lernt hierdurch mit ihren Verunsicherungen umzugehen. In einer ungemein entspannten Sequenz sitzen Rinko, Tomo und Makio strickend unter Kirschblüten an einem Flussufer. So gewinnen glückliche Momente die Überhand gegen gesellschaftliche Normen und Repressalien. Regisseurin Naoko Ogigami setzt dabei nicht auf zu viel Melodramatik, vielmehr webt sie leichtfüßigen und auch skurrilen Humor in die Geschichte. Rinko strickt nämlich nicht irgendetwas, sondern exakt 108 wollene Penisse. Diese sollen sie auf dem Weg bis zur offiziellen Änderung des Geschlechts in ihrem Pass begleiten, um dann – in Anlehnung an 108 Glieder einer buddhistischen Gebetskette – feierlich verbrannt zu werden.
Der Film idealisiert einerseits ein eher klassisch-konservatives Familienbild, konterkariert dieses aber durch eine eigene Dynamik aus Rinkos Transsexualität und ihrem Wunsch nach einer stereotypen Frauenrolle sowie ihrer Beziehung zu Makio und Tomo: Makio mit seiner vorbehaltlosen Zuneigung und beeindruckenden Besonnenheit, Tomo mit ihrem kindlichen Gemüt und Bedürfnis nach Geborgenheit. Wie kompliziert die Welt in Wahrheit ist, verdeutlicht die ungeschnittene Schlussszene, als Tomos Mutter zurückkehrt, um ihr Kind wieder abzuholen.
Close-Knit nähert sich einem Tabu-Thema auf sensible Weise und verknüpft dies mit einer Coming-of-Age Geschichte, die mit Tomo sowie (anhand von Rückblenden) mit Rinko gleich zwei starke Hauptfiguren hat. Bereits mit dem Debütfilm Barber Yoshino (Yoshinos Frisörsalon), der 2004 auf dem Kinderfilmfest der Berlinale lief, bewies Ogigami viel Gespür für feinen Humor und die Welt von Heranwachsenden. Zuletzt kam ihre bunte Komödie Rentaneko (Rent-a-Cat; Berlinale Panorama 2012) über eine junge Frau, die Katzen an einsame Menschen vermietet, in die Kinos. Close-Knit spiegelt die Torheit von Vorurteilen und ist ein empathisches Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Perspektivlosigkeit in einer chinesischen Kleinstadt
Deutlich düsterer und drastischer geht es im Alltag der jungen Hauptprotagonistin Lynn im chinesischen Film Ben Niao (The Foolish Bird) zu. Die 16-Jährige ist ebenfalls von ihrer Mutter verlassen, allerdings aufgrund der in vielen Regionen Chinas weit verbreiteten Arbeitsmigration. Das Mädchen und ihre kleinen Geschwister leben bei den Großeltern während Lynns Mutter in einer weit entfernten Großstadt arbeitet. Auf Druck der Mutter bewirbt sich Lynn an der örtlichen Polizeiakademie. Sie ist eine fleißige Schülerin, verstrickt sich aber mit ihrer Freundin May in gefährliche Geschäfte mit geklauten Handys. Die Mädchen verkaufen Smartphones, die Mitschülerinnen an ihrer Schule abgenommen wurden und dort lagerten. Dabei geraten die beiden Mädchen an einen korrupten Hehler und in ein Netz aus Kriminalität und sexueller Gewalt. Als May eines Tages nicht mehr auf Lynns Nachrichten antwortet, muss sie das Schlimmste befürchten.
Regisseurin Huang Ji hat Ben Niao gemeinsam mit Kameramann Ryuji Otsuka inszeniert, der auch für ihren Debütfilm Jidan he Shitou (Egg and Stone, 2012) hinter der Kamera stand. Beide Filme porträtieren zurückgelassene Kinder. Im Interview betont Huang Ji die starken autobiografischen Züge der Geschichte. Sie hätte viele Ereignisse, die der Film zeigt, selbst erlebt – bis hin zur Isolation und negativen ersten sexuellen Erfahrungen. Sie sei eines von diesen Tausenden jungen Mädchen gewesen, die sich alle ähneln und im immer gleichen Trainingsanzug herumlaufen. Der Film spielt in der Stadt Meiching (Provinz Hunan), in der Huang Ji viele Jahre gelebt hat. Mit etwa 100.000 Einwohnern eine typische Kleinstadt, in der heute immer mehr Kinder und Jugendliche ohne Eltern aufwachsen, weil diese fernab in den Metropolen arbeiten. Huang Ji und Ryuji Otsuka haben die Story in die Jetztzeit verlagert. Das Streben der Heranwachsenden nach materiellem Glück mündet im Verkauf der gestohlenen Smartphones, was aber nur wenige hundert Yuan einbringt. Social Media-Kommunikation und die Anonymität der virtuellen Welt sind omnipräsent im Leben der Teenager – im Film wunderbar konterkariert durch Lynns lange Fahrradfahrten durch die Stadt, ein Sinnbild ihrer verlorenen Suche nach Individualität, Zuneigung und Wärme. Bis heute ist unklar, ob und wann der Film in China gezeigt werden kann. Die Zensurbehörden haben noch keine Freigabe erteilt. Vielleicht nützt es, dass Ben Niao eine ‚Lobende Erwähnung‘ der internationalen Jury in der Sektion Generation 14plus der Berlinale 2017 erhalten hat.
Einsame Herzen in Tokios Großstadtdschungel
Yozora ha itsu demo saikou mitsudo no aoiro da (The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue) – der poetische Titel passt gut zur Geschichte dieses Films, die inspiriert wurde von der Melancholie junger Erwachsener und vom ‚Sich-Verlieren‘ im Puls der Großstadt. Das Protagonisten-Duo Mika und Shinji braucht eine ganze Weile bis es sich gegenseitig wahrnimmt und erkennt, dass das Leben und die Liebe kein Zufall sind. Mika geht zwei Jobs nach und arbeitet tagsüber als Krankenschwester, nachts als Bardame. Shinji jobbt als Bauarbeiter. Beide begegnen sich auf wundersame Weise immer wieder, wohl wissend, dass die Einsamkeit ebenso Bestandteil ihres Lebens ist wie ihre Überzeugung, seltsame Außenseiter zu sein. Mika leidet unter der Leere nach dem Tod ihrer Mutter und einer gescheiterten Beziehung. Shinji fühlt sich als Freak, auch weil er auf einem Auge blind ist. Dennoch glaubt er, dass er gerade deswegen viele Dinge anders sehen kann. In Szenen mit Shinji und drei seiner Kollegen auf der Großbaustelle für die Olympischen Spiele 2020 entstehen immer wieder tragikomische Momente. Regisseur und Drehbuchautor Yuya Ishii verweist auf Gedichte über Tokio als eine wichtige Vorlage für den Film und schildert beinahe zärtlich die Verlorenheit inmitten der Riesenmetropole, die von verunsicherten Menschen bevölkert wird. Am Ende steht die Frage, ob man nicht auch gemeinsam einsam sein kann. Mit Poesie und märchenhaften Stimmungsbildern begleitet Ishii seine Figuren durch eine Stadt, dessen Nachthimmel so blaue Nuancen hat wie sie nur zwei sehen können, die die Liebe gefunden haben.
SABUs Genre-Mix über einen kochenden Samurai
Der japanische Regisseur Hiroyuki Tanaka, der nur unter seinem Künstlernamen SABU firmiert, ist ein gern gesehener Gast auf der Berlinale. Bereits 1997 wurde er in die Sektion Panorama mit D.A.N.G.A.N Runner eingeladen. Anschließend tauchte er in loser Folge immer wieder mit Filmen im Programmblock Forum oder im Panorama auf. So gewann er im Jahr 2000 mit seinem Film Monday den renommierten FIPRESCI Award, den Preis der internationalen Filmkritik. Im Zentrum seiner Filme stehen oft gebrochene Heldinnen und Helden, sympathische Außenseiterinnen und Außenseiter, die in abstruse Situationen geworfen werden und ihre Probleme meistern müssen. Herausragendes Moment der Erzählkunst von SABU ist dabei der kühne Genre-Mix aus Martial Arts, Film Noir, Slapstick, Liebesfilm und dieses Mal in seinem neuen Werk Mr. Long zusätzlich aus Elementen des ‚Koch-Films‘. Gekonnt stürzt SABU die Zusehenden dabei in eine permanente Achterbahn der Gefühle, auf harte Action folgen Szenen skurriler Komik oder Augenblicke anrührender Emotionen.
Zu Beginn von Mr. Long erleben wir eine Szene, die den Helden bei seiner anstrengenden Arbeit zeigt. Emotionslos und nahezu wortlos verrichtet Long, wie schon zuvor in den 1970er-Jahren Jeff (Alain Delon) in Melvilles Klassiker Le samouraï (Der eiskalte Engel), seine Arbeit als Auftragskiller. Dabei gerät Mr. Long – wie auch Jeff – anschließend in eine schier ausweglose Situation. Nach einem Mordauftrag in seiner Heimat Taiwan wird Long nach Japan geschickt, allerdings misslingt sein Auftrag und er muss sich schwer verletzt, ohne Sprachkenntnisse und völlig mittellos in einer Abbruchszenerie am Rande von Tokio zurechtfinden. Ein kleiner Junge und auch nette, aber naive Menschen aus der Nachbarschaft kümmern sich hingebungsvoll um ihn. Sie basteln sogar eine kleine fahrbare Suppenküche, mit der Long nun seinen Lebensunterhalt kochend bestreitet. Dann tritt Lily, eine drogenabhängige Prostituierte, in sein Leben und er findet mit ihr eine neue, schwere Aufgabe. Mit Entschlossenheit kümmert er sich um sie und ihren Sohn, die beiden verlieben sich, doch das scheinbare Glück währt nicht lange.
Im Gegensatz zu Melville verlässt SABU dabei das strenge ästhetische Korsett des Film Noir und spielt kühn und gekonnt mit unterschiedlichsten Stilelementen. Er bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. Dennoch besitzt gerade diese Mixtur etwas magisches, sie überhöht die Wirkung der einzelnen Elemente. So bleibt einem beispielsweise die drastische Szene, in der Lily von einem Zuhälter in die Drogenabhängigkeit gezwungen wird, besonders nachhaltig im Bewusstsein, da sie eingebettet wurde in emotional kontroverse Szenen. SABU ist mit Mr. Long nicht nur der Sprung in das erlauchte Programm des Wettbewerbs der Berlinale geglückt, sondern ihm ist tatsächlich ein berührendes, kleines Kunstwerk gelungen. Ein Kunstwerk insofern, als dass es bei Mr. Long nicht um das nackte Abbilden oder Bebildern von Wirklichkeiten oder der Präsentation von Fantastischem geht, sondern vielmehr um eine unterhaltsame Fabel. Das ‚Fabelhafte‘, die moralische Komponente, erschließt sich dabei vollends in der unerwarteten Schlusssequenz, die hier natürlich nicht verraten werden soll. Der Film Mr. Long kommt am 14. September in die deutschen Kinos.