Jürgen Bofinger
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- Jürgen Bofinger: Digitaler Hauseinbruch
Jürgen Bofinger: Digitaler Hauseinbruch
Digitale Medien bereichern unsere Arbeit und Freizeit. Sie werden jedoch zunehmend von Einzelnen und Institutionen missbraucht. Aber der Einsatz digitaler Technik ermöglicht auch Fahndern Datensammlungen in großem Maßstab „ohne Ansehen der Person“. Plötzlich stehen wir alle unter einem Generalverdacht als potenzielle Betrüger, Diebe, Bestechliche, Gewaltbereite. So ist es zumindest tröstlich, dass das Bundesverfassungsgericht behördliche Videoaufzeichnungen bei Demonstrationen im Bayerischen Versammlungsrecht ohne Tatverdacht ‚kippte’. Dass eine unbegrenzte Online-Überwachung von Computern ein Heer von Verdächtigen schaffen könnte, führte zu öffentlichem Protest. Auch digitalisierte Persönlichkeitsmerkmale auf Personaldokumenten, eine elektronische Patientenkarte und digitale Gesundheitsakten könnten neben allen Vorteilen auch Unbefugte, Arbeitgeber, Arbeitsagenturen und diverse Behörden brennend interessieren (Stichwort: Datenabgleich). Heiligt der Zweck alle (digitalen) Mittel? Wo liegen die Grenzen? Welcher Schutz vor Missbrauch der persönlichsten Daten ist eigentlich vorgesehen? Welche Verfügungsrechte bleiben mir?Das Recht auf digitale Selbstbestimmung wurde mehrfach und bedenkenlos verletzt. Das zeigen die Affären bei Lidl, der Telekom, der Deutschen Bahn, in Kommunen wie Stuttgart. Auch digitale Bankkundendaten erleichtern ihren Missbrauch, was zwar zum Aufspüren luxemburgischer Steuerhinterzieher führte, aber ebenso jeden anderen Kunden treffen könnte. Und jede Bank-, Kredit- und Bonuskarte enthält sensible Daten, die in falsche Hände geraten könnten. Die digitalisierte Welt hat in allen diesen Fällen nicht mehr Sicherheit für den Einzelnen gebracht, sondern neue Gefahren geschaffen. Auch im Internet habe ich zunehmend das ungute Gefühl, beobachtet und ausspioniert zu werden. Mehr Personen und Institutionen als gewollt kennen meinen Wohnsitz, mein Geburtsdatum, meine Musik- und Büchervorlieben. Woher zum Teufel? Ich war so vorsichtig bei der Weitergabe persönlicher Daten! Ich habe bewusst an keinem Online-Gewinnspiel teilgenommen. Ich meide Diskussionsforen und Internetcommunitys. Aber ich bin Online-Kunde und kann nur hoffen, dass die beteuerten Schutzmechanismen wirken und sich Lücken nur in Form unerwünschter Werbung zeigen.Schuld am Verlust der persönlichen Selbstbestimmung haben aber nicht nur ‚die anderen’. Heimliche Aufzeichnungen mit dem Handy zur Bloßstellung von Mitschülerinnen, Mitschülern und Lehrkräften (‚Cyberbullying, -mobbing oder -stalking’) sind ‚in’. Die schlimmsten Entgleisungen stellen Videoclips brutaler Gewalt dar, die für eine möglichst breite Veröffentlichung aufgenommen werden – entweder zur eigenen Glorifizierung oder zur Demütigung der Opfer (‚Happy Slapping’). Persönlichkeitsschutz? Besuchen Sie einmal die Internetplattform YouTube. Auch der wachsende Missbrauch von Online-Chats, von Bekanntschafts- und Freundschaftsbörsen führt letztlich zur Zerstörung ihrer Grundidee einer offenen und bürgernahen Gesellschaft.Ich reagiere inzwischen sensibel auf jegliche Überwachung. Angefangen bei der Taschenkontrolle an der Supermarktkasse. Verfolgungswahn? Der ausgespähte, gläserne Bürger und Patient hat inzwischen ein fast lückenloses digitales Profil bekommen, man verliert immer mehr an Selbstbestimmung und Intimität. Alles wird öffentlich und wohlfeil. Digitale Zurückhaltung, eine größere Sensibilität für Persönlichkeitsrechte, für zwischenmenschlichen Respekt und für die besondere Verletzbarkeit der Intimsphäre in einer digitalen Welt würde uns allen gut tun – zum eigenen Schutz und zum Schutz einer lebenswerten bürgerlichen Demokratie.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Jürgen Bofinger
Beitrag als PDF - Jürgen Bofinger: Medien in der Schule - Fehlanzeige?
Jürgen Bofinger: Medien in der Schule - Fehlanzeige?
Vor zwei Jahren wurden die Eindrücke von der didacta 2005 in Stuttgart mit den Worten zusammengefasst: „Eine Renaissance der Printmedien?“ (merz 2/2005). Schon damals war die Rede von einer „Rückbesinnung auf Tafel und Kreide“, von multimedialen „Zeitschluckern“ und von einem „Trend zum herkömmlichen Schulbuch“. Und das Fazit lautete: „Wie soll die weitere Implementation digitaler Medien in der Schule ge-lingen? Die Trends auf der didacta 2005, Bereich Schule/Hochschule, haben dafür erste (Warn-)Zeichen gesetzt.“Nun hat die didacta 2007 in Köln, die vom 28. Februar bis zum 3. März dauerte, ihre Pforten geschlossen. Die Veranstalter sprechen von einem exzellenten Ergebnis für die beteiligten 776 Anbieter aus 21 Ländern. Mehr als 95.800 Besucher wurden registriert. Das sind 42 Prozent mehr im Vergleich zur didacta 2006 in Hannover und übertrifft das Ergebnis der letzten Kölner didacta nochmals um rund zwei Prozent. Damit ist die Bildungsmesse 2007 in Köln die erfolgreichste Veranstaltung seit Bestehen der didacta.
Mit über 1.500 Veranstaltungen im Rahmenprogramm war die didacta 2007 gleichzeitig Europas größter Bildungskongress und pädagogische Fortbildungsveranstaltung.Nur: Die ‚neuen’ Medien spielten auch in diesem Jahr eine verdächtig geringe Rolle. Das Forum Multimedia wurde ersatzlos von einem Forum Unterrichtspraxis abgelöst. Und auch die neuen Zahlen des Dachverbandes aller Schulbuchverlage in Deutschland (VdS Bildungsmedien) über den Branchenumsatz geben zu denken: Konnte das klassische Schulbuch in den letzten fünf Jahren noch leichte Wachstumsraten erzielen, so war der Umsatz mit Lern- und Unterrichtssoftware von 15 Millionen Euro im Jahre 2002 auf circa acht Millionen Euro im Jahre 2006 deutlich rückläufig. Noch Mitte der 90er Jahre erwarteten die Verlage, dass sich der Anteil computergestützter Medien am Gesamtumsatz bis zum heutigen Tage auf 25 bis 30 Prozent entwickeln würde. Tatsächlich waren es gerade fünf Prozent. Ergänzt man diese Absatzzahlen mit Ergebnissen aus Studien über den tatsächlichen Einsatz digitaler Medien im alltäglichen Fachunterricht an unseren Schulen, dann wird die Kluft zwischen den Erwartungen und der Realität weiter sichtbar: In Bayern setzten 2006 rund 21 Prozent aller Lehrkräfte digitale Medien in ihrem Fachunterricht regelmäßig ein.
2002 waren es 17 Prozent – ein jährlicher Zuwachs um gerade einen Prozentpunkt. Und das angesichts enormer schulischer Ausstattungsinitiativen und der Entwicklung guter, unterrichtstauglicher Anwendungssoftware. Soweit die Bedeutung digitaler Medien als Unterrichtshilfen.Mit medienpädagogischen Aktivitäten sieht es an unseren Schulen noch schlechter aus – trotz vieler öffentlichkeitswirksamer Anlässe: 2002 hatten in einer bayerischen Studie rund sieben Prozent aller von Lehrkräften genannten Medienaktivitäten einen medienpädagogischen Hintergrund (Medien als Unterrichtsthema); 2006 berichteten acht Prozent aller befragten Lehrkräfte, dass sie medienpädagogische Themen mit ihren Schülerinnen und Schülern „regelmäßig“ behandelten.Quo vadis? Die Lage der Medien, als Unterrichtshilfen und als Unterrichtsthemen, ist so ungewiss wie nie zuvor. Darüber können auch die vielen erfolgreichen Einzelbeispiele und „Leuchtturmschulen“ nicht hinwegtäuschen, die bisher keine große Ausstrahlung haben.chen Distanz der meisten Lehrkräfte gegenüber Medien kann keine Rede mehr sein. Für die eigene Unterrichtsvorbereitung werden digitale Medien gerne angenommen. Es ist die Finanzsituation der Sachaufwandsträger, es sind die schul- und unterrichtsstrukturellen Bedingungen, die zunehmende Zeit- und Arbeitsbelastung in Zeiten von PISA, Vergleichsarbeiten, Evaluations- und Qualitätsanforderungen, die Lehrkräfte auf den Einsatz von Medien und auf eine intensivere Beschäftigung mit medienpädagogischen Themen verzichten lassen. Denn die Beschäftigung mit Medien hat immer noch den geringsten Verpflichtungsgrad in unseren Schulen.
Jürgen Bofinger
Beitrag aus Heft »2007/02: Männliche Identität(en) und Medien«
Autor: Jürgen Bofinger
Beitrag als PDF - Jürgen Bofinger: Nachhaltigkeit – ein frommer Wunsch?
Jürgen Bofinger: Nachhaltigkeit – ein frommer Wunsch?
Noch vor kurzem (und immer wieder in Wellen) waren jugendliches Medienverhalten, (gewaltfördernde) Medienwirkungen, übermäßiger Medienkonsum, Medien in der Schule und der Jugendarbeit, Mediendidaktik und -pädagogik Topthemen in der öffentlichen Diskussion, in Verwaltungen und Politik. Folgerichtig wurden Modellvorhaben mit beachtlicher finanzieller Ausstattung aufgelegt, aus denen man Schlüsse für das weitere Vorgehen ziehen wollte. Mit zeitlichem Abstand kommt man jedoch zu einem ernüchternden Urteil.
Ja, es stimmt: Viele Modellvorhaben sind heute noch vorzeigbare Glanzlichter. Aber ihre konsequente Weiterentwicklung und Breitenwirkung bleiben in der Regel hinter den Hoffnungen und Erwartungen zurück. Ihre Nachhaltigkeit ist begrenzt.Vielen Auftraggeberinnen und Auftraggebern – egal, ob aus Politik, Verwaltung oder Wirtschaft – sind schnelle, vorzeigbare und öffentlichkeitswirksame Erfolge wichtiger als sorgfältig geplante Projekte mit Langzeitwirkung. Die reflexartigen und kurzatmigen Reaktionen auf schulische Gewalttaten mit vermeintlichem Medienhintergrund sind nur ein Beispiel dafür. Die Finanzierung geht meist vom erhöhten Finanzbedarf eines Versuches, von begrenzten Teilnehmendenzahlen und Laufzeiten aus. Für längerfristige und umfassendere Wirksamkeit gewonnenener Erkenntnisse, für Übertragbarkeit und Nachhaltigkeit ist das ein sehr enges Korsett. Dabei spielen Wahl- und Haushaltsperioden keine unerhebliche Rolle. Viele Modellvorhaben lassen daher tragfähige Konzepte für die Zeit danach vermissen.
Das spiegelt sich auch bei den Macherinnen und Machern wider: Nicht wenige Modellvorhaben erschöpfen sich in umfänglichen Abschlussberichten, die Erfolge betonen (Financiers müssten sich sonst auch fragen, wie mit ihrem Geld umgegangen wurde). Weniger wird von eigenen Planungsfehlern, Erfolgs- und Irrwegen, von Anregungen für die Übertragbarkeit gesprochen. Und Modellvorhaben werden nicht nur aus Sachinteresse beantragt. Sie dienen dazu, die Existenz der Antragsinstitution zu begründen, die Zahl der Veröffentlichungen und das eigene Prestige in Fachkreisen zu vermehren, die Entlohnung von Beschäftigten und für die Sachausstattung zu sichern. (Das heißt nicht, dass die Produkte schlecht sind, aber sie werden durch solche Zwänge erheblich belastet.) Ist der Finanzrahmen des Modellvorhabens ausgeschöpft, der Abschlussbericht abgeliefert, stehen andere, politisch aktuellere und publikumswirksamere Themen an, ausgestattet mit neuen Geldtöpfen.
So bringt die zunehmende Drittmittelfinanzierung an den Universitäten nicht nur eine stärkere Praxisnähe mit sich, sie fördert auch ein solches Produktionskarussell. Kurzlebigkeit und relative Folgenlosigkeit von Modellvorhaben führen dazu, dass ihre Bedeutung kaum noch wahrgenommen wird. Parallelveranstaltungen und Neuauflagen zum gleichen Thema sind daher nicht selten. Nachhaltigkeit? In einer Zeit, da Aktionismus, äußere Form und öffentliches Aufsehen wichtiger sind als Sachbezogenheit und Wissenschaftlichkeit, systemisches Denken und Weitsicht? Wie ernsthaft gehen Entscheidungsträger mit wissenschaftlicher Arbeit um, wenn ihnen die naheliegenden, ja, zwingenden Folgerungen aus den gewonnenen Erkenntnissen nach einer Veröffentlichung der Endberichte als Tätigkeitsnachweis eigentlich nicht mehr so wichtig sind, getreu dem Motto: Es muss (immer) etwas geschehen, aber es darf nichts passieren?
- Jürgen Bofinger: Urlaubszeit - MedienFREIzeit?
Jürgen Bofinger: Urlaubszeit - MedienFREIzeit?
Wer mit seinen Kindern in den großen Urlaub fährt, kennt das. Der Mann: ICH brauche nicht viel (wird trotzdem mehr). Die Frau: Für den Abend brauche ICH schon noch etwas anderes – (wird dann auch mehr, wegen der passenden Accessoires). Und dann die Kinder: Mittel gegen Kopfweh und Übelkeit, gegen kleinere Verletzungen und gegen Mücken, gegen die Langeweile im Stau, in den Bergen, bei Kirchen-, Burg- und Stadtbesichtigungen. Und für den Strand braucht man auch die passende Bade-, Bau-, Bräunungs- und Bolzausrüstung – nimmt doch alles nicht viel Platz weg. Denn was hat man nicht alles NICHT mitgenommen!
„Ohne Playstation fahr ich nicht!“, „Geht mein Handy auch in Italien?“, „Ich habe Nessi versprochen, ihr jeden Tag eine SMS zu schicken“, „Ich stehe kurz davor, den schwierigsten Level zu knacken, und ausgerechnet jetzt muss ich weg!“, „Haben wir dort einen Fernseher mit deutschem Programm?“ (womit in ausländischen Hotels und Restaurants ganz gezielt geworben wird – auch eine Art Globalisierung!)
Und schon haben wir ein Problem. Suchtentzug und Verlustängste gegenüber gewohnten medialen Tagesrhythmen, Ritualen und Kommunikationsformen führen zu Protest und Widerstand bei den einen, Angst um das Verschwinden der teuren Geräte, die hohen Verbindungskosten aus dem Ausland, die zerstörerische Wirkung von Sand, Sonne, Sonnencreme, der Rückfall in den TV-Alltag sorgen die anderen. Appelle an die Vernunft? Vergiss es! Jeder kleinste Anlass am Urlaubsort ist geeignet, die Stimmung umschlagen zu lassen: „Du hast mir ja auch verboten, dass ….“, „Das hast Du jetzt davon, weil …!“
Es gibt keine Alternative: Alle Elektronik, so sie tragbar ist, muss kommentarlos mit oder der Familienurlaub ist ernsthaft gefährdet. Das heißt, dass man sich während der Urlaubsfahrt auf ein Dauerfeuer fremdartiger Geräusche aus elektronischen Geräten einstellen sollte, auf Exkursionen, am Strand, beim Essen eine ungewohnt (oder gewohnt) mitteilungsfreudige Tochter erlebt, bloß nicht gegenüber einem selber, sondern als SMS-Fließbandarbeiterin mit faszinierend flinken Fingerübungen. Die gemeinsamen Abende lassen einem die Wahl zwischen der Teilhabe am weltumspannenden musikalischen Allerlei aus einem iPod, CD-Spieler oder Handy, dem familiären Kollektiverlebnis deutscher TV-Programme oder der Flucht in die elterliche Ein- oder Zweisamkeit. Die Kinder sind ja mit ihren elektronischen Geräten beschäftigt. Warum sie also stören.So eine stille, laue, sternenerleuchtete, romantische südliche Nacht. Gemeinschaftserlebnis? Stimmung? Harmonie? Er/Sie: „Warum sind wir eigentlich weggefahren?“ Sie/Er: „Sag aber bloß nichts. Lass ihnen Zeit! Das legt sich nach den ersten Urlaubstagen.“Und seien wir gerecht: Vermissen Sie nicht auch Ihr Notebook, den treuen Freund? Haben Sie Ihr Handy wirklich ausgeschaltet und weit weg gelegt? Schauen Sie nicht heimlich mit schlechtem Gewissen nach, wer angerufen oder eine SMS geschickt hat? Könnte ja wichtig sein! War das TV-Gerät mit deutschem Programm nicht auch ein heimliches Auswahlkriterium für Ihr Urlaubsdomizil? Denken Sie nicht schon mit Grausen an die Kolonnen von E-Mails, die bei Ihrer Rückkunft warten? Haben Sie sich im Urlaub von den Segnungen der modernen Medientechnik wirklich gelöst, wie Sie das vor aller Welt im Brustton der Überzeugung angekündigt haben, und genießen die anderen Freiheiten, Eindrücke, Gerüche, Träume, Zeitlosigkeiten, Informationsdefizite? Schreiben Sie eigentlich noch Postkarten?
Wie schön der Rotwein im Glas funkelt! Aber vergessen Sie um Gottes Willen die diversen Ladegeräte nicht!
- Jürgen Bofinger: Laptops im Unterricht - Unnützes Zeug?
Jürgen Bofinger: Laptops im Unterricht - Unnützes Zeug?
In regelmäßigen Abständen wird in der Öffentlichkeit das Bild von der Wertlosigkeit eines computergestützten Unterrichts, speziell mit Schülerlaptops, heraufbeschworen. Das fing mit diversen nationalen Tests an, die fachliches Wissen abfragten und dadurch haarscharf am wichtigsten Nutzen von Laptops vorbei zielten, nämlich überfachliche Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, setzte sich fort mit Re-Analysen von PISA-Ergebnissen, die von einer Verdummung durch zu viel Computerumgang sprachen, ohne näher auf die Frage nach der Art des Umgangs mit Computern als Arbeits-, Lern- und Spielgerät einzugehen, und es endete (vorläufig) mit Meldungen aus den USA, nach denen Laptops an einigen Schulen wegen Erfolglosigkeit wieder abgeschafft wurden: „Seeing No Progress, Some Schools Drop Laptops“ lautete entsprechend die Schlagzeile der New York Times vom 4. Mai 2007. Abgesehen von der erstaunlichen Tatsache, dass bei der Würdigung dieses Ergebnisses die besonderen Verhältnisse an amerikanischen Schulen hierzulande keine große Rolle spielten, bedürfen diese Hiobsbotschaften zweier Klarstellungen:1. Schülerlaptops sind außerordentlich nützliche Lern- und Arbeitswerkzeuge in der Schule. Sie haben sich belegbar bewährt. Mehr jedenfalls als jede andere Medienkonfiguration, von den mobilen PC-Einheiten bis zum Computerraum.2. Wenn sich Einsatzprobleme ergeben, so keine laptopspezifischen. Hauptverantwortlich sind die vorherrschende Schul- und Unterrichtssituation (Zeit-, Arbeitsbelastung der Lehrkräfte), eine verbreitete Mehrwertskepsis, die durch solche Nachrichten neue Nahrung erhält, die geringe Verbindlichkeit des Medieneinsatzes und die desolate Finanzlage mancher Sachaufwandsträger.
Zu Punkt 1: Wie wird der Mehrwert von Schülerlaptops von Lehrkräften eingeschätzt? Eine repräsentative Lehrerbefragung aus dem Jahr 20061 gibt folgende Antwort (Grafik nur in Original-Version des Artikels im Heft):In der Grafik werden Laptop-Lehrkräfte mit jenen verglichen, die vorwiegend in anderen digitalen Medienumgebungen arbeiten. Das Ergebnis: In allen angesprochenen Mehrwertdimensionen mit Ausnahme der Lernmotivation (Gleichstand) sprechen Laptop-Lehrkräfte häufiger als ihre Kolleginnen und Kollegen von einem Mehrwert des Medieneinsatzes für ihre Schülerinnen und Schüler. Besonders deutlich heben sie sich in den Dimensionen Selbstbewusstsein ihrer Schülerinnen und Schüler („Stolz“), beim (fast selbstverständlichen) Erwerb technischer Kompetenz ab, interessanterweise aber auch beim Erwerb fachlicher Kompetenz und (auf insgesamt niedrigerem Niveau) bei der Ausdrucksfähigkeit der Mädchen und Jungen in Wort und Schrift – eine Folge der in Laptopklassen besten Möglichkeit, Heranwachsende selbsttätig recherchieren und Themen sachgerecht präsentieren zu lassen.
Zu Punkt 2: Unter welchen Bedingungen bringt der Einsatz digitaler Medien im Fachunterricht den größten Mehrwert? Die Studie zeigt, dass in einem offenen, schülerorientierten Unterricht, in dem Schülerlaptops dazu noch regelmäßig eingesetzt werden, nach Aussage der befragten Lehrkräfte der höchste unterrichtliche Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler erzielt wird, während ein eher lehrerzentrierter Unterricht, in dem gelegentlich eine mobile PC-Einheit (,Medienwagen‘) eingesetzt wird, den geringsten Mehrwert bringt (weil Medien hierbei eher der Zeitersparnis im Instruktionsunterricht einer Lehrkraft dienen). Um dieses Resultat auf die Füße zu stellen: Ein Unterricht, in dem die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Mädchen und Jungen im Vordergrund steht, profitiert in besonderer Weise von Schülerlaptops – aber eben in dieser Reihenfolge. Offensichtlich scheinen in amerikanischen Schulen solche schulischen und unterrichtlichen Voraussetzungen, zu denen auch eine gewisse Methodenkompetenz (an die viel zu wenig gedacht wird, weil dem Wollen (Schülerselbsttätigkeit) immer auch ein Können (eben die Methodenkompetenz) vorausgeht) und Lerndisziplin der Mädchen und Jungen gehört, für einen gewinnträchtigen Einsatz von Schülerlaptops zu fehlen trotz ihres technologischen Vorsprungs.Wie zunehmend wichtiger die schulischen und unterrichtlichen Rahmenbedingungen auch hierzulande für das Gelingen des schulischen Medieneinsatzes sind, belegen die Gründe, die Lehrkräfte trotz großer Bereitschaft (was sich bei ihrer wesentlich häufigeren Unterrichtsvorbereitung mit digitalen Medien zeigt) daran hindern, digitale Medien im Fachunterricht einzusetzen – hier in einem Zeitvergleich (vgl. Tabelle):
Während 2002 noch der Zweifel am Mehrwert digitaler Medien für einen Verzicht im Vordergrund stand, sind es 2006 besonders die schulischen und unterrichtlichen Rahmenbedingungen, die allgemeine Zeit- und Arbeitsbelastung, die Lehrkräfte am Einsatz digitaler Medien in ihrem Unterricht hindern. Insofern wächst auch bei uns die Gefahr, dass der Ausbau des Medieneinsatzes, speziell der Einsatz von Schülerlaptops, langfristig an den äußeren Bedingungen scheitern könnte. Aber so zu tun, als sei der Nutzen digitaler Medien, speziell von Laptops, erwiesenermaßen nicht gegeben, ist einfach unlauter. Die Folgerung aus den vorliegenden Erkenntnissen lautet anders: Eine moderne, schülerorientierte Schul- und Unterrichtsentwicklung ist zunächst das Hauptthema, mit allen organisatorischen, didaktischen und zeitschaffenden Konsequenzen bis hin zum Erwerb der nötigen Methodenkompetenz der Schülerinnen und Schüler für ein selbstständiges Lernen. Aber jede moderne Schul- und Unterrichtsentwicklung ist in einem zweiten Schritt ohne Einbezug digitaler Medien undenkbar, wobei speziell Schülerlaptops bei einer stärkeren Schülerorientierung ihre besondere Leistungsfähigkeit beweisen können (selbsttätiges Lernen, arbeitsteiliges Lernen, modernes Lernmanagement, Individualisierung und Differenzierung des Lernens, Vielfalt von Lernorten u. Ä.).
Es gibt ein weiteres schlagendes Argument für die Notwendigkeit einer intensiven Beschäftigung mit modernen Medien in der Schule, abgesehen von ihrem didaktischen Nutzen: Oft wiederholt und trotzdem richtig: Eine zeitgemäße Schule kann die Lebenswelt der Heranwachsenden und die Erfordernisse einer modernen Berufswelt nicht einfach ausblenden. Die Anknüpfung an die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen erfordert daher auch ein Anknüpfen an ihre Medienwelten. Und die auflebende Wertediskussion in der Schule bleibt ohne eine medienerzieherische Thematisierung auch unvollständig. Andernfalls wird die Schule weder den modernen Auffassungen vom Lernen noch ihrem allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrag gerecht. Worum geht es also letztlich? Es geht- nicht um noch mehr Produktion und Bereitstellung digitaler Materialien (wir erleben gegenwärtig eine Inflationierung einschlägiger ‚Portale’, die zu einer neuen Unübersichtlichkeit führt), sondern um die Entwicklung geeigneter Implementationsstrategien (wie gelangen die bestehenden Angebote am besten in die Unterrichtspraxis?),- um eine stärkere Anbindung medienpädagogischer Aktivitäten an die allgemeine Schul- und Unterrichtsentwicklung (weil ‚neue’ Medien noch nicht einen ‚neuen’ Unterricht bewirken, aber ein ‚neuer’ Unterricht durch ‚neue’ Medien erfolgreicher wird),- um eine koordinierte und zentrale Planung, Steuerung und Sicherung schulischer Medienumgebungen (weg von den üblichen Insellösungen und Leuchttürmen mit wenig Leuchtkraft),- um eine stärkere Verbindlichkeit der Medienbildung im Regelunterricht (Medien als Unterrichtsmittel, Medien als Unterrichtsthema), weil inzwischen alles andere als Medienarbeit ‚verpflichtender’ geworden ist – aber nicht als besondere Zusatzaufgabe, sondern als integraler Bestandteil des Unterrichts,- und nicht zuletzt um eine stärkere Förderung der Medienerziehung als besonders wichtiges Thema schulischer Werteerziehung (‚Ernst machen’ mit dem schulischem Erziehungs- und Bildungsauftrag).
- Jürgen Bofinger: Mobil(e)tainment – Ein nicht nur wohlwollender Ausblick
Jürgen Bofinger: Mobil(e)tainment – Ein nicht nur wohlwollender Ausblick
2006 war „Mobiletainment“ das Hauptthema auf der Messe der CTIA (Cellular Telecommuni-cations & Internet Association) in Las Vegas. Im Zentrum standen Anwendungen zur Unterhal-tung und zum Spielen für mobile Endgeräte vom Handy bis zu mobilen audiovisuellen Empfangsgeräten. Bekannt sind der iPod von Apple und diverse Plattformen für das (kostenpflichtige) Herunterladen von Musik, Videos, Hörbüchern, Podcasts und Spielen. Digitale Mobilität ist das Zauberwort, das nicht nur die Portabilität multimedialer Geräte (DVD-Player) oder ein zeitversetztes Abspielen von Downloads über das Internet (iPod) oder über Mobilfunk (Handy) meint, sondern auch den Lifeempfang von Unterhaltungssendungen und Online-Spielen auf Handys, Organizern, Laptops und Taschenfernsehern in bester audiovisueller Wiedergabequalität.„Sie wollen wissen, wie Sie Ihre Kinder auf langen Reisen zur Ruhe bringen? Mit dem richtigen Reisebegleiter natürlich. Glotze an, Klappe zu.“ „Die mitgelieferte Autositzbefestigung und der CarAdapter für den Zigarettenanzünder empfehlen besonders den Einsatz für das Auto. So können gerade Kinder auf der Rückbank lange Autofahrten genießen.“ Soweit zwei Werbetexte für DVD-Player.
Vorbei die Zeiten, als man noch die Landschaft betrachtete und Eltern dazu etwas erklärten? Vergessen die Spiele, mit denen man die Zeit verkürzte (Autokennzeichen, Automarken raten, Autofarben zählen usw.)? Szenenwechsel: Freunde treffen sich zum Essen in einem guten Restaurant. Die Insignien des Wohlstands sind sichtbar – auch beim Nachwuchs. Während die Erwachsenen speisen, sieht sich der kleine Sohn auf seinem DVD-Player einen Spielfilm an. Mobil(e)tainment als Beschäftigungstherapie für Kinder – überall und jederzeit.In der Bahn wird nicht mehr gelesen oder aus dem Fenster geschaut, sondern gesimst und laut telefoniert („Bin gerade am X-Bahnhof, werde in Y Minuten da sein – was gibt’s zu essen?“). Schon etwas lästig, aber Handys werden auch noch fernsehtauglich. Also nicht wundern, wenn jemand befiehlt: „Hände hoch, Geld her!“ Das muss nicht Ihnen gelten, es kommt aus dem Handy hinter Ihnen. Bleiben Sie locker. Schlimmer könnte es werden, wenn Ihr(e) Sitznachbar(in) eine Talkshow in voller Lautstärke anschaut. Das könnte die Stimmung stärker beeinträchtigen. Talkshows dauern länger, sind eine Geschmacksfrage und haben einen besonders hohen Unwohlsamkeitsfaktor.
Flucht – fast unmöglich.Sie fahren öfters mit dem Taxi? Vorsicht! Während der Fußballweltmeisterschaft war einem Taxifahrer das Fußballspiel auf seinem Taschenfernseher wichtiger als der fließende Verkehr. Mit Routine erreichten er und sein Fahrgast glück-licherweise wohlbehalten das Ziel.„Am See sehen! X’s Lösung für die WM: Mit dem portablen LCD-Fernseher von Y können Fußballfans irgendwo am Badesee liegen und dennoch WM-Spiele schauen.“ Mit dieser Steigerung hätten wir den Schritt getan, der uns nicht mehr von Äußerlichkeiten ablenkt. Gut, früher sorgten Kofferradio und Plattenspieler für Stimmung und Prestige am See. Aber sie hatten oft einen durchaus nichtmedialen Zweck. Bloß: Wozu ein Fernsehgerät im Grünen? Mit Ausnahme für Fernfahrer, um sich die Wartezeit im Stau mit einer der genannten Talkshows oder (anspruchsvoller) mit Kronzuckers Welt zu verkürzen, und für Campingfreunde, die auf ihr trautes Heim nicht verzichten können, fällt mir kein Mehrwert ein. Sind die Ideen für eine etwas andere Freizeitgestaltung schon so verkümmert?
Beitrag aus Heft »2007/03: mobil kommunizieren, spielen und lernen«
Autor: Jürgen Bofinger
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