Hans Hoff
Zur Person
Hans Hoff (49) verdient seine GEZ-Gebühren als freier Journalist für die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und den Rolling Stone.Beiträge in merz
- Hans Hoff: Voll supi-geil – das Bildungsfernsehen
Hans Hoff: Voll supi-geil – das Bildungsfernsehen
Es soll ja Kinder geben, die sich bei einem Bauernhofbesuch von der Tatsache enttäuschen lassen, dass Kühe gar nicht so lila sind wie sie auf der Schokoladenverpackung immer scheinen. Wer in Großstadtschluchten aufwächst, glaubt halt leicht mal, dass die Milch im Karton wächst. Da passt es hervorragend, dass gerade so etwas wie die große Rückkehr des Bildungsfernsehens vonstatten geht. Man muss nur in der Lage sein, das neue Klugmach-TV zu identifizieren.Bildungsfernsehen orientiert sich dieser Tage konsequent an der angestrebten Zielgruppe, also an jenen, die es zu qualifizieren gilt. Goethe, Kant und Nietzsche waren gestern und evozieren heutzutage höchstens noch die Frage, bei welchem Verein die denn bitteschön spielen. Bildungsfernsehen dieser Tage setzt dort an, wo die Menschen leben. Wer zu blöd ist, seine Wohnung so einzurichten, dass sie der als Nachfolgerin der Schrankwandverordnung von 1948 anzusehenden IKEA-Einrichtungsnorm entspricht, bekommt schnellen Beistand, wenn er bei Deutschlands größter Hilfsorganisation vorstellig wird, beim deutschen Fernsehen. Dort wird derzeit beraten, geholfen und gebildet, was das Zeug hält.
Wenn etwa junge Menschen nach den Sommerferien ihrer staunenden Lehrkraft berichten, dass eine Kuh rückwärtig mindestens genauso viel Mist eruptiert wie eine durchschnittliche VIVA-Moderatorin mit Wortdurchfall, dann ist diese Erkenntnis dem Bildungsunternehmen ProSieben zu verdanken, das mit der Reihe Gülcan und Collien ziehen aufs Land mindestens so viel für das Zusammenwachsen von urbaner und bäuerlicher Bevölkerung geleistet hat wie die werblich anerkannte Volkshochschulabteilung RTL, die sich mit der Reihe Bauer sucht Frau gegen die Versingelung gestandener Jungagronomen stemmt. Dank sei in diesem Zusammenhang auch SAT.1, dem Sender, der sich nach Kräften bemüht, vereinsamten Grafen frisches Blut zuzuführen. Auch wenn es böse Zungen gibt, die behaupten, das Fernsehen mache Quote, indem es Menschen in prekären Situationen erlaube, anderen Menschen in prekären Situation beim Doofsein zuzuschauen, geht es letztlich doch nur um eins: um die Praktizierung direkter Nächstenliebe. Hat nicht einst die große Philosophin Vera Int-Veen einen höchst klugen Satz auf die RTL-Zuschauer losgelassen? „Das ist das größte Abenteuer unserer Zeit: Menschen in Not eine neue Hoffnung zu geben.“ Wer da behauptet, Mitmenschlichkeit werde hier als Abenteuerspielplatz einer medial betäubten Gesellschaft missbraucht, verkennt die Chancen.
Seit es Schuldnerberater, Wohnungseinrichter und mediengeile Schönheitsoperateure gibt, die an abgetakelten Hollywood-Diven per Niveauabsaugung ihre persönliche Prominenz auftakeln, wissen manche Menschen erst, dass es durchaus sinnvoll sein kann, nicht jeden Tag Hamburger zu essen, dass es sinnvoll ist, regelmäßig die Post zu öffnen, auch wenn sie Rechnungen enthält. Als Allgemeingut darf aufgrund der massiven Hilfe der Sendeanstalten sicherlich schon bald die Erkenntnis angenommen werden, dass es sich schöner lebt, wenn man einmal in der Woche aufräumt und nicht mehr Geld ausgibt als man einnimmt. Wer also braucht noch Kant und Nietzsche, wenn doch die Ergebnisse purer Alltagsphilosophie weitaus lebensnäher klingen? Oder, um es mal in den Verbalstil der VIVA-Moderatorin Gülcan zu übertragen: „Bildung ist voll supi-geil.“
- Hans Hoff: Baby TV
Hans Hoff: Baby TV
Wenn man sich die Statistiken zum Fernsehkonsum anschaut, fällt auf, dass die Quotenauswertungen fürs Gesamtpublikum stets die Einschränkung enthalten „ab drei Jahre“. So ein Umstand spricht irgendwann wie die Stimme eines Unsichtbaren zu den so genannten Kreativen der Branche, und es musste da nur lange genug „ab drei Jahre“ stehen, bis diese Formulierung einen Suchenden überlaut anblaffte. „Marktlücke“ hallte der Schrei, der nicht ungehört verebbte. Es darf also niemanden verwundern, dass es nun Baby TV gibt, das Fernsehen fürs ganz, ganz junge Publikum. In Israel wurde der Sender für die Menschen unter drei gegründet und meldet aus dem dortigen Bezahlfernsehen Erfolge. Auch der baden-württembergische Kabelnetzbetreiber BW hat das Angebot in der englischen Version bereits getestet, und es sollen nicht mehr viele Quartale ins Land gehen, bis auch das deutsche Baby TV bundesweit an den Start geht. Wer nun die Frage stellt, ob irgendwer solch einen Sender braucht, stellt die falsche Frage, denn das Fernsehen hat noch nie gefragt, wer was braucht. Es geht immer nur darum, ob irgendwer dafür bezahlt oder ob man ein Bündel von Angeboten mit zusätzlicher Farbe aufpeppen kann. Das werbefreie Baby TV wird also nicht als Einzelprogramm ins Haus kommen, sondern sich fein verstecken als Pay-TV-Zugabe in einem Bündel, das abonnieren muss, wer beispielsweise den Sonderkanal für Angler, Golfer oder Ikebana-Enthusiasten bestellt. Oder es klemmt hinten dran an einem Bouquet mit vermeintlich wertvollen Kinderprogrammen, wenn es denn so etwas tatsächlich geben sollte. Die Versorgung mit Baby TV wird dabei genau jenen Regeln folgen, die auch Erotikprogrammen den Weg ins heimische Wohnzimmer ebnen. Sie sind halt irgendwie dabei, quasi fahrlässig mitbestellt, und es würde viel bürokratischen Aufwand erfordern, sie herauszufiltern.
Dahinter steckt das Wissen der Fernsehvermarkter, dass Angebote, die vorhanden sind, auch genutzt werden. Nicht gleich und auch nicht so, dass man mit dem entsprechenden Bildkonsum prahlt, sondern eher nebenbei.Man darf also getrost davon ausgehen, dass demnächst Kleinstkinder anzutreffen sind, die von lustig und lehrreich anmutenden quietschbunten Bildern und vom Glockenspiel-Soundtrack begleitet heranwachsen, obwohl sie niemals nach einem Fernsehangebot verlangt haben, weil das wahre Leben für sie immer noch das bessere Programm bereithält, so bald sie nur die Äuglein aufschlagen. Dann wird durchgehend echtes Erlebnis verarbeitet im Abenteuerkanal namens Leben. Säuglinge langweilen sich nämlich nicht so wie Senioren, deren täglicher Fernsehkonsum die Vierstundengrenze längst überschritten hat. Aber das kapieren naturgemäß just jene Eltern nicht, denen in langen Jahren vor der Flimmerkiste beigebracht wurde, ein Leben ohne flimmernde Tapete als sinnentleert zu empfinden.Leider werden die künftigen Zuschauer von Baby TV nicht gefragt, ob sie dieses Angebot wirklich nutzen möchten. Das entscheiden Eltern, die mit dem frühkindlichen Verlangen nach Aufmerksamkeit überfordert sind und so ungewollt zwar, nichtsdestotrotz aber doch fahrlässig den Boden bereiten für die spätere Medienkarriere ihrer Sprösslinge. Und genau darum geht es letztlich wirklich bei Baby TV. Das Fernsehen muss nämlich etwas tun, um sich ein junges Publikum zu sichern, denn immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene wenden sich vom klassischen Medium TV ab und verdaddeln ihre Zeit mit Handy, Telespiel oder Internet. Da wirkt es durchaus sinnvoll, auch an die ganz junge Zielgruppe zu denken, denn der brabbelnde Säugling von heute ist der Quotengarant von morgen.
- Hans Hoff: Der tägliche Fernsehkonsum oder „Kotz Kotz uuuuaah!“
Hans Hoff: Der tägliche Fernsehkonsum oder „Kotz Kotz uuuuaah!“
Ich glotz TV.“ Nina Hagen hat schön beschrieben, wohin ausufernder Missbrauch televisionärer Betäubungsmittel führen kann. „Meine Schaltstellen sind hinüber“, klagte sie und führte den Verfall ihrer Synapsen unter anderem auf eine Bücher-Allergie zurück: „Literatur?? Kotz Kotz uuuuaah!“ Das geschah 1979, fünf Jahre vor dem Start von RTL und Sat.1. Dem Normalbürger standen da gerade mal drei Programme zur Verfügung, die vergleichsweise vorsichtig genutzt wurden. Fortan steigerte sich die Lust auf die Glotze von Jahr zu Jahr. Waren es 1988 noch 144 Minuten, die der durchschnittliche Bürger vor dem Apparat mit dem Versprechen, in die Ferne sehen zu können, zubrachte, so standen 2004 unglaubliche 210 Minuten in der Bilanz der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Man male sich nur einmal aus, was sich mit 210 Minuten täglich anfangen ließe. Bei forschem Schritt könnte man durchaus 16 Kilometer weit gehen, wobei sich die Frage stellt, ob die Welt in 16 Kilometer Entfernung schöner ist als daheim. Man könnte aber in dreieinhalb Stunden auch einen veritablen Hausputz veranstalten. Was aber bleibt anzufangen mit dem Rest der Woche?
Nicht gemessen wurde übrigens, wie viele der 210 Minuten täglich mit Sprüchen wie „Geiz ist geil“ oder „Lass dich nicht verarschen“ ausgefüllt werden, also den ultimativen Erniedrigungsformeln einer rasant zerfallenden Gesellschaft. Man muss schon ziemlich frech sein, den Mittellosen mit „Geiz ist geil“ zu kommen und ausgerechnet jene zur Vorsicht vor Verarschung aufzufordern, die man just in diesem Moment hinters Licht führt. Dazu gehört schon ein gehöriger Schuss Zynismus.Nun wurde kürzlich ein Gerät erfunden, das auf den ersten Blick wirkt, als könne es so manches Problem lösen. Es handelt sich um eine Apparatur, mit der man sämtliche Fernsehgeräte der näheren Umgebung beeinflussen kann, wie man gerade mag. Das setzt natürlich Omnipotenzfantasien frei. Beispielweise würde man gerne mal ein ganzes Stadtviertel kollektiv auf Arte schalten. Einen ganzen Abend lang. So lange, bis auch der letzte merkt, dass die beim Kulturkanal sich viel zu oft nur auf den Lorbeeren ihres guten Rufs ausruhen und viel zu selten noch sorgfältig an ihrem Angebot arbeiten. Oder man würde minütlich zu einem anderen Sender zappen, so wie es viele Menschen jetzt schon tun. Der Unterschied wäre nur, dass dann das, was bislang besinnungsfrei geschieht, plötzlich in all seiner Zwanghaftigkeit vorgeführt würde.
Die größte Versuchung wäre aber, einmal dem ganzen Viertel den Fernsehsaft abzudrehen und dann zu schauen, was die Menschen wohl tun, ob sie sich möglicherweise unterhalten, ob manche gar ein Buch in die Hand nehmen oder wissen wollen, wie es in 16 Kilometer Entfernung aussieht. Es kann natürlich vorkommen, dass manche zu Ersatzhandlungen greifen und laut wie Nina Hagen singen „Ich glotz TV“. Damit ist zu rechnen. Aber was im Leben ist schon ohne Risiko?