Prof. Dr. Jürgen Hüther
Beiträge in merz
- Jürgen Hüther: Adolf Reichwein
Jürgen Hüther: Adolf Reichwein
In den letzten Jahren ist die Medienpädagogik zu einer gefragten Disziplin avanciert. Dass sie jedoch bereits eine lange Geschichte aufweisen kann, ist vielen nicht bewusst. Dies gibt Anlass, eine merz-Reihe über Medienpädagogen zu eröffnen, die in Vergessenheit zu geraten scheinen oder geraten sind, obwohl viele Grundsätze ihres Wirkens für die Entwicklung notwendig waren.
(merz 2004-01, S. 262-264)
- Jürgen Hüther: Fritz Stückrath (1902 - 1974)
Jürgen Hüther: Fritz Stückrath (1902 - 1974)
Kinosucht und Kinoschelte„Ich erwarte, dass unsere katholischen Männer und Frauen, erst recht unsere gesunde katholische Jugend in berechtigter Empörung und in christlicher Einmütigkeit die Lichtspieltheater meidet, die unter Missbrauch des Namens der Kunst eine Aufführung bringen, die auf eine Zersetzung der sittlichen Begriffe unseres christlichen Volkes hinauskommt.“ Worte purer Empörung des Kölner Kardinals Joseph Frings, zu Beginn der 50er Jahre als Hirtenbrief von den Kirchenkanzeln verkündet gegen das aus heutiger Sicht geradezu harmlose Filmmelodram Die Sünderin. Damit setzte der zornige Kardinal eine auf breiter Front ausgetragene Entrüstungskampagne in Gang, die keineswegs nur von kirchlicher Seite mit einer Verbissenheit geführt wurde, die den Eindruck erwecken konnte, 30 Jahre nach Oswald Spenglers düsterer Prognose stünde nun der Untergang des Abendlandes erneut bevor - diesmal verursacht durch den Film.
Die Kampagne war allerdings nur eine von vielen Manifestationsformen der insgesamt zutiefst konservativen Grundstimmung im adenauerschen Nachkriegsdeutschland.Im Grunde aber hatte dieser Film wie das damalige Kinoangebot überhaupt eine solche Aufregung gar nicht verdient, denn das Gros der deutschen Filme und gleichermaßen die US-amtlich auf Moral geprüften Hollywoodstreifen kamen anständig daher und wurden in Massen frequentiert. Nie wieder gab es so viele Kinos und Kinobesucher in Deutschland wie gegen Mitte der 50er Jahre. Das Publikum flüchtete aus der Realität der Nachkriegstrümmer in die Träume der Kinowelt. Die „Kinosucht“ in einer an anderen Unterhaltungsmöglichkeiten sonst noch armen Zeit machte auch vor der Jugend nicht halt. Es wird von Jugendlichen berichtet, die es in Situationen ausreichenden Taschengelds an Sonntagen beginnend mit der nachmittäglichen Jugendvorstellung bis zum Abend auf drei Kinobesuche brachten, wofür der Verfasser dieses Textes als authentischer Selbstbeleg dienen kann...
( merz 2002/06, S. 391 - 394 )
- Jürgen Hüther: Sergej Michailovic Tretjakov (1892 - 1939)
Jürgen Hüther: Sergej Michailovic Tretjakov (1892 - 1939)
Faktographische und operative Funktionen der MedienarbeitAusgehend von seiner beruflichen Tätigkeit als Schriftsteller und Journalist beschäftigte sich Tretjakov ontensiv mit dem Aufgaben und der Wirkung von Kunst und Medien in der Gesellschaft. Für ihne hatten z.B. Zeitung und Film nicht nur die Aufgabe, die Gegenwart in Worten und Bildern widerzuspiegeln, sondern er sprach ihnen aktiven Einfluss auf die Gegenwart und großes gesellschaftliches Veränderungspotential zu (Tretjakov 1932, S. 46).
Tretjakovs hauptsächlich in den 20er Jahren entwickelte und on ihm konsequentt in die eigene schriftstellerische und journalistische Praxis umgesetze Literatur- und Medientheorie fand im deutschen Sprachraum in zweifacher Beziehung Beachtung:- einmal im Zusammenhang mit der Diskussion linker literaturpolitischer Konzeptionen gegen Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, geführt u.a. von Benjamin, Brecht, Becher, Lukásc, Ottwalt;- zum anderen im Kontext der in den späten 60er Jahren von der Studentenbewegung ausgehenden und von der Kritischen Theorie beeinflussten medienpolitischen und medienpädagogischen Diskussion.
Für die theoretische Fundierung der sich in dieser Zeit entwickelnden politisch-emanzipatorischen, handlungsbezogenen Medienpädagogik und der sie wesentlich mitprägenden aktiven/ alternativen Medienarbeit gilt Tretjakov als wichtiger Bezugspunkt. Analysiert man den Einfluss, den er auf die konzeptionelle Fundierung dieses medienpädagogischen Ansatzes genommen hat, wird man auf sein Verständnis vom faktographischen und vor allem vom operativen Charakter der Medienarbeit verwiesen...(merz 2001/05, S.327-330)
- Jürgen Hüther: Pioniere und Wegbereiter der Medienpädagogik (12)
Jürgen Hüther: Pioniere und Wegbereiter der Medienpädagogik (12)
Mit diesem Beitrag über das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis wird die 2001 begonnene Reihe über Vordenker und Wegbereiter der Medienpädagogik abgeschlossen.
(merz 2004-01, S. 52-57)
- Jürgen Hüther: Medienbildung - Ein Begriff sucht seinen Sinn
Jürgen Hüther: Medienbildung - Ein Begriff sucht seinen Sinn
Medienbildung – ein neuer Begriff bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg in die Fachliteratur und Symposien. Seit Ende der 90er Jahre hat er Konjunktur, ohne bisher feste Konturen entwickelt zu haben. Ist Medienbildung das, was man braucht, um sich mit Medien zu bilden, oder das, was man hat, wenn man dies tut? Besitzt man Medienbildung oder betreibt man sie? Ist Medienbildung Prozess oder Produkt, der Weg oder das Ziel, Werden oder Sein? Oder jeweils beides? Ist also Medienbildung das Ergebnis von Medienbildung, mithin das Resultat ihrer selbst? Vertraut man den hierüber auf bildungsphilosophischer Metaebene wie im bildungspraktischen Handlungsbereich ernsthaft disputierenden Medienpädagogen, findet man diese Vermutung weitgehend bestätigt.Trotz dieses Konsenses steht aber Hans-Dieter Küblers Frage im Raum: „Welche Bildung meint nun Medienbildung eigentlich?“ „Bildung für Medien + Medien für Bildung“ lautet darauf Claudia de Witts verblüffend einfache, aber treffende Antwort, mit der sie sich von manch anderen Erklärungsversuchen absetzt, die mit wortgewaltiger Wucht Medienbildung u.a. als integralen Bestandteil von Allgemeinbildung, als wichtigen Aspekt der Persönlichkeits- und Menschenbildung, als Kompetenz für Weltaneignung oder als Habitus und persönlichkeitsbestimmende Haltung gegenüber den neuen Medien beschreiben. Sinnhaftigkeit und Innovationskraft des Begriffs Medienbildung erscheinen in der Argumentation seiner Protagonisten meist in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem allumfassenden Veränderungspotenzial der heutigen Kommunikationstechnologie.
Dahingegen lässt de Witts obige Zuschreibung bei historisch orientierten Medienpädagogen gar nicht mal so vage (und wohl auch tröstliche) Erinnerungen z.B. an Kösel / Brunners klassische Formel von der Erziehung zu und durch Medien als Hauptaufgabe der Medienpädagogik anklingen, und das spricht letztlich trotz des heute allseits beschworenen medienpädagogischem Wandels ja doch für eine gewisse Kontinuität in den grundlegenden Zielkategorien unseres Faches. Noch in einem weiteren Zusammenhang steht die Diskussion um den Begriff Medienbildung in historischer Verwurzelung, nämlich in seiner evidenten Verbundenheit mit dem fachsprachlich seit langem fest etablierten Terminus der Medienkompetenz, zu dem er neuerdings in ein fast schon verdrängungsartiges Konkurrenzverhältnis gerät. Die Versuche, Medienbildung als eigenständigen neuen Terminus zu etablieren, machen dessen fehlende Trennschärfe zu seinem gestandenen Pendant Medienkompetenz deutlich, und es stellen sich dabei immer wieder Erklärungsnöte und Abgrenzungsschwierigkeiten ein.
Gewiss haben neue Termini ihren Sinn, wenn sie in Bezug auf die bestehenden sinnerweiternd sind, einen Mehrwert an Klarheit und Information aufweisen und kein – bisweilen auch noch so wohlklingendes – Spiel mit Worten bleiben; sie machen Sinn, wenn ihre Propagierung nicht vordergründig dem Motto Neue Lables braucht das Fach folgt und sie damit lediglich einen belanglosen Etikettenwechsel bewirken. Der terminologische Aufschwung von Medienbildung in Konkurrenz zu Medienkompetenz ist deshalb so erstaunlich, weil hier kein erkennbarer innovativer Mehrwert sichtbar wird. So fragt man sich im Zusammenhang mit dieser zumindest teilweise auf höchst elaboriertem Niveau geführten Diskussion wie kürzlich Winfried Marotzki in seinem beachtenswerten Züricher DgfE-Vortrag: Medienkompetenz oder Medienbildung – Lohnt sich die Kontroverse?
- Jürgen Hüther: Martin Keilhacker (1894 - 1989)
Jürgen Hüther: Martin Keilhacker (1894 - 1989)
Medien und Medienpädagogik nach 19451945 und Nachkriegszeit: Im besiegten Deutschland bestimmen und kontrollieren die alliierten Besatzungsmächte das öffentliche Leben, vor allem auch den Neuaufbau des rasch erstarkenden Medienwesens. Dezentralisierung, Entstaatlichung, Demokratisierung und Umerziehung der Deutschen sind dabei die Leitziele. Über die Vergabe von Lizenzen an politisch unbelastete Journalisten und Verleger entwickelt sich ein reformiertes Pressewesen; es entsteht das föderalistisch strukturierte öffentlich-rechtliche Rundfunksystem; auch Produktion, Verleih und Vorführung von Filmen folgen den Kontrollvorschriften der Militärregierungen.Der Film erlebt bis Mitte der 50er Jahre im Nachkriegs-Deutschland als konkurrenzlos beliebtestes Unterhaltungsmedium und als „wichtige Einrichtung der Begegnung, der Entspannung und sozialen Kommunikation“ (Kahlenberg 1989, S. 466) mit bis zu 820 Millionen Kinogängen jährlich einen wahren Besucherboom (heute ca. 150 Mio.).
Als Unterrichtsmittel spielt er zunächst kaum eine Rolle, denn in der Aufbauphase nach 1945 ging es schlicht und einfach erst einmal um die Organisation und Durchführung des nackten Unterrichts. Es fehlte außerdem an technischem Gerät und vorhandenes Filmmaterial war von den Alliierten beschlagnahmt oder für den Unterricht nicht freigegeben. Auch die Lehrer selbst standen den Medien skeptisch gegenüber. In bewusster Absetzung von der Manipulationspotenz der Medien im Dritten Reich, geboren teilweise aus dem Erleben eigener Beeinflussbarkeit und aus Angst vor einer möglichen Wiederholbarkeit medienbewirkten Massenwahns, übten sich viele Pädagogen nach 1945 in kritischer Mediendistanz...
( merz 2002/02, S. 118 - 121 )
- Jürgen Hüther: Johann Amos Comenius/ Jan Amos Komenský (1592 - 1670)
Jürgen Hüther: Johann Amos Comenius/ Jan Amos Komenský (1592 - 1670)
Das Buch verändert die KommunikationVersuche, den Gegenstands- und Aufgabenbereich der Medienpädagogik zu systematisieren, haben zu der "klassischen2 Zweiteilung der Medienpädagogik in Mediendidaktik und Medienerziehung geführt, die auf eine viel zitierte, mittlerweile selbst historische Formel von Kösel/Brunner (1970) zurückgeht. Danach befasst sich Medienpädagogik mit allen unterrichtsrelevanten Fragen der Medienverwendung im Schul- und Ausbildungsbereich (Erziehung durch Medien) und mit der Kompetenzvermittlung zur Bewältigung des Medienalltags (Erziehung durch Medien).
Gegenstände der Medienpädagogik sind demnach Bildungsmedien sowie Informations- und Unterhaltungsmedien gleichermaßen, wobei der Beschäftigung mit den Medien als didaktische Insttrumente sicher die längere Tradition zukommt, denn die Geschichte der Bildungsmedien ist in ihrer zeitlichen Dimension weitgehend identisch mit der des Unterrichtens selbst, da die technischen Hilfsmittel zur Verbesserung der Alltagskommunikation immer schon nach ihrem Aufkommen bald auch zu Zwecken der Belehrung und des Unterrichtens genutzt werden.
Das gilt für die heutigen Medien Film, Fernsehen, und Internet, es gilt vor allem aber auch für das Buch, denn mit der Entwicklung beweglicher Metalllettern legte Gutenberg Mitte des 15.Jahrhunderts den Grundstein zur Entstehung dieses ersten Massenmediums als Informations-, Unterhaltungs- und Unterrichtsmittel...
( merz 2001/06, S. 401 - 403 )
- Jürgen Hüther: Ein vergessenes Schulhaus in Tiefensee
Jürgen Hüther: Ein vergessenes Schulhaus in Tiefensee
Adolf-Reichwein-Straße 13, ein unauffällig farbloses Haus, grauer Rauputz, stellenweise ausgebessert, rückwärtig einige Spielgeräte, Bäume, Sträucher, ein kleiner Garten. Das Gebäude fügt sich nahtlos ein in die Reihe seiner ebenso bescheidenen Nachbarn. Die Vorstellung fällt schwer, dass an diesem Platz in den 30er Jahren lebhafter Schulbetrieb herrschte und mit Adolf Reichwein ein Lehrer tätig war, der hier zu Zeiten finsterer Diktatur und ideologischer Unterdrückung seine Schüler zu mündigen Selbstdenkern erzog. Auf den Spuren dieses couragierten Pädagogen bin ich in Tiefensee, einem Straßendorf zwischen Berlin und Bad Freienwalde an der B 158, die im Ort seinen Namen trägt. Sechs Jahre unterrichtete Adolf Reichwein hier. Nach eigenem Bekunden lebte er gern, wenn auch beengt, im Tiefenseer Schulhaus, gleichzeitig seine Wohn- und Arbeitsstätte. „Tiefensee liegt 36 km von Berlin, hat 270 Einwohner und 30 Schulkinder. Landschaftlich sehr schön...an der Strausberger Seenkette, umgeben von großen Wäldern, in einer leicht beschwingten Hügellandschaft. Wir genießen die Stille“ (aus Reichwein-Briefen 1933).
Hier hat Reichwein sein reformpädagogisches Schulmodell entworfen und praktiziert, und hier hat er vor 65 Jahren an einer bemerkenswert modernen Filmdidaktik und an einer Schulung zum kritischen Sehen gearbeitet, die über die Stufen des betrachtenden Erfassens und der analysierenden Reflexion zu medienbezogenem und medieneinbeziehendem Handeln führen soll. Vom Schauen zum Gestalten, der Untertitel seiner 1938 erschienenen Veröffentlichung „Film in der Landschule“, bündelt gleichsam formelartig Reichweins medienpädagogisches Programm und darüber hinaus sicher auch seine grundlegende Zielsetzung, den Menschen vom kritischen Betrachten der Dinge zu deren Verstehen und aktiver Mitgestaltung zu führen. Das ehemalige Schulhaus, vor dem ich stehe, beherbergt heute eine Kindertagesstätte der Gemeinde Werneuchen, der Tiefensee verwaltungsmäßig angegliedert ist. Die Gedenktafel an der Vorderseite des Gebäudes teilt mit: Adolf Reichwein 1898 – 1944Hochschullehrer in Halle an der Saale1933 seines Amtes enthobenAngehöriger des Kreisauer Kreisesim Widerstand gegen den Nationalsozialismusam 20.10.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet,als Lehrer an diesem Ort 1933 – 1939 schuf er eine humane, lebendige Schule.
Ein Straßenname und eine Wandinschrift, ist das alles, was an den großen Pädagogen erinnert? Die Standesbeamtin von Werneuchen, selbst aus Tiefensee stammend, bejaht dies mit Bedauern. Die Stadt hat gegenwartsbezogene Sorgen, da zählt Vergangenheit nicht, erst recht nicht die einer wirtschaftlich schwachen Exklave, an der der Aufbau-Ost bisher vorbei ging. Blühende Landschaften nur während des ländlichen Sommers.Margot Hönsch wohnt direkt neben dem Schulhaus, sie war vor mehr als sechs Jahrzehnten Schülerin bei Reichwein: „Seit der Wende hat sich Tiefensee zum Nachteil verändert. Wir hatten früher mehrere Gaststätten, Schuster, Bäcker, Gärtner. Jetzt haben wir nichts. Die Geschäfte machen alle zu. Hier am See hat sich aus Westdeutschland einer alles gekauft und sich breit gemacht. Für uns ist das nicht mehr unser See. Wie schön Tiefensee früher war, ist fast schon vergessen. Auch Adolf Reichwein.“Vergessen jedenfalls von den regierenden Sozialdemokraten in Potsdam und Berlin, deren Friedrich-Ebert-Stiftung Adolf Reichwein in einer Festschrift als einen ihrer ganz Großen feiert: „Gerade in seinen letzten Lebensmonaten (vor der Hinrichtung durch die Nationalsozialisten, Anm. des Verf.) wurde deutlich, mit welcher Konsequenz sich das Leben dieses sozialdemokratischen Pädagogen und Regimegegners vollendete...Wegen seiner geistigen Offenheit und seines politischen Selbstbewusstseins wurde Reichwein nicht immer angemessen gewürdigt.“1 Hier vor Reichweins Wirkungsstätte wird klar, wie unverändert dies auch heute gilt. Gibt es in Brandenburgs Kultusetat keine Mittel für eine adäquate Gedenkstätte, für die Einrichtung einer schul- und medienpädagogischen Dokumentations- und Forschungsstelle etwa? Oder fehlt das Interesse, fehlt das Gespür für die Leistung, die Reichwein hier in Tiefensee vollbrachte? Reichweins ehemals lebendige Schule, Wirkungsraum seines schaffenden Schulvolks, zeigt sich gegenwärtig, trotz Kinderhort, als ein sträflich vernachlässigtes Gebäude, als deprimierend lebloser Ort. Die Vergesslichkeit heutiger Politik gegenüber einem der wenigen politisch und ethisch konsequent handelnden Pädagogen im Dritten Reich schmerzt.
1 Peter Steinbach: Für die Selbsterneuerung der Menschheit. Zum einhundertsten Geburtstag des sozialdemokratischen Widerstandkämpfers Adolf Reichwein. Bonn 1998, S. 42f.
- Jürgen Hüther: Dieter Baacke (1934 - 1999)
Jürgen Hüther: Dieter Baacke (1934 - 1999)
Medienpädagogik hat im Verlauf ihrer relativ kurzen Geschichte in Abhängigkeit von den jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Konstellationen, von erziehungswissenschaftlichen Strömungen und medientechnischen Entwicklungen unterschiedliche Zielkategorien herausgebildet. Als wissenschaftliche Disziplin mit einer tragfähigen theoretischen Fundierung und dem Erziehungsziel zum reflexiven und kompetenten Umgang mit Medien hat sie erst in den letzten drei Jahrzehnten festere Konturen angenommen.
Nach einer Phase beschützender Maßnahmen in den 50er Jahren, mit denen zunächst die Bewahrpädagogik Weimarer Tradition fortgesetzt wurde, führten seit etwa Mitte der sechziger Jahre Medienentwicklung und Neuorientierung im gesellschaftspolitischen und erziehungswissenschaftlichen Bereich zu einer Umorientierung der bis dahin vorwiegend auf Prävention ausgerichteten Medienpädagogik.
Die Weiterentwicklung dieses medienkritischen Ansatzes führte in den 70er Jahren zur politisch-emanzipatorischen Medienpädagogik, deren Hauptziel neben der Demokratisierung von Kommunikationsstrukturen der Aufbau kommunikativer Kompetenz bei den Mediennutzern war. Hierzu liefert Dieter Baacke mit seinen Anfang der 70er Jahre erschienenen grundlegenden Arbeiten zur gesellschaftlichen Funktion der Massenmedien und zur Partizipation des Medienkonsumenten am Kommunikationsprozess wesentliche Beiträge, die gleichzeitig das Fundament seiner pädagogisch ausgerichteten Kommunikationstheorie bilden...
( merz 2003/03, S. 182 - 185 )
- Jürgen Hüther: Die Schulfilmer
Jürgen Hüther: Die Schulfilmer
Der pädagogische Dreisprung: Wie Medien Bildungsmedien werdenMedien stehen und standen immer schon im Dienst von Unterricht und Ausbildung. Die Geschichte der Medienpädagogik ist stets auch ein Stück Geschichte der Bildungsmedien. Gerade die jüngste Entwicklung zeigt sehr deutlich, dass Medien für das Lehren und Lernen zunehmend unverzichtbarer werden. Allerdings erwies sich die Indienstnahme der Medien durch das Bildungswesen nie als selbstverständlich. Eigentlich immer bedurfte es bei der didaktischen Erschließung „neuer“ Medien intensiver Überzeugungsarbeit einiger Pioniere. Erziehungswissenschaft und Erzieher zeigten sich nämlich regelmäßig verunsichert und überfordert von den Möglichkeiten neuer Medientechnologien, sobald diese sich anschickten, die pädagogische Praxis ihrer Zeit zu verändern.
Die Innovationskraft neu aufkommender Medien wurde von Pädagogen zunächst einmal mit kulturpessimistischer Skepsis betrachtet. Die Forderung nach Präventivmaßnahmen gegen vermutete Mediengefahren ging stets der Erkenntnis voraus, dass sich Kommunikationstechnologien auch nutzbringend als Unterrichtsmedien einsetzen lassen.So sind Bildungsmedien meist eine nachträglich erkannte Nutzungsform publizistischer Medien, ein „Appendix der Massenkommunikation“. (Bachmair 1983, S. 4) Viele mediale Innovationen im Bildungsbereich sind nicht dem Boden der Pädagogik selbst entsprungen, sondern ihr durch Anpassung an didaktische Notwendigkeiten sozusagen zugewachsen. Medien haben sich nicht selten ihre Anerkennung als Bildungsmittel zunächst gegen den Widerstand von Lehrern und Ausbildern erkämpfen müssen, um dann schließlich doch zum unverzichtbaren Werkzeug der pädagogischen Praxis zu werden.
Dieser pädagogische Dreisprung von teilweise kategorischer Ablehnung über vorsichtige Annäherung bis hin zur allmählichen Akzeptanz lässt sich für die meisten Medien nachweisen. Das gilt für die verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen des gedruckten Wortes als zeichenhafte Fixierung der Sprache in Printmedien ebenso wie für die audiovisuellen Möglichkeiten der Vervielfältigung und Verbreitung von Informationen durch Film, Fernsehen und Computer. Dieses Grundschema im Entwicklungs- und Diskussionsverlauf lässt sich auch jetzt wieder bei den multimedialen E-Learning-Angeboten ausmachen, die nach einer Phase des Abwartens und der hilflosen Ambivalenz mittlerweile höchste Wertschätzung bei Pädagogen und Bildungspolitikern gefunden haben...
( merz 2002/05, S. 320 - 323 )
- Jürgen Hüther: Die Kinoreformer
Jürgen Hüther: Die Kinoreformer
Die Protagonisten der BewegungEtwas mehr als ein Jahrzehnt nachdem mit den Gebrüdern Skladanowsky und Lumière die Geschichte des Films als öffentliches Medium begann, setzte auch unter Erziehern eine Diskussion um das neue Kommunikationsmittel der “lebenden Photographien“ ein. Sie markiert als Kinoreformbewegung und Teil der breit gefächerten allgemeinen reformpädagogischen Bestrebungen jener Zeit den Beginn einer bis heute andauernden Auseinandersetzung um die Gefahren und Möglichkeiten des Films und gleichzeitig den Ausgangspunkt für erste medienpädagogische Handlungsansätze.
Diese wenig organisiert und koordiniert arbeitende pädagogisch-kinematographische „Bewegung“ bestand weitgehend aus der Summation von Einzelaktivitäten. Sie beginnt mit dem Einzug des Films in feste Lichtspielhäuser, erreicht ihren publizistisch-agitatorischen Höhepunkt in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg und verliert sich mit dem Erlass des Reichslichtspielgesetzes von 1920. Einige ihrer wichtigsten Protagonisten werden hier zunächst benannt, bevor auf die Kinoreformer als „Urväter der Bewahrpädagogik“ und Wegbereiter des Schulfilmgedankens näher eingegangen wird:...
( merz 2002/04, S. 248 - 251 )
- Jürgen Hüther: Die Arbeiterradiobewegung (1923 –1933)
Jürgen Hüther: Die Arbeiterradiobewegung (1923 –1933)
„Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß das im Rundfunkwesen liegende Beeinflussungsmittel sehr bald eine solche Bedeutung gewinnen wird, daß eine Regierung, die darauf keinen maßgeblichen Einfluss hat, überhaupt den Boden unter den Füßen verliert.“ Dies schreibt kurz nach der im Oktober 1923 erfolgten Deutschlandpremiere des Radios als öffentliches Medium der preußische Innenminister Carl Severing an Karl Jarres, seinen Amtskollegen auf Reichsebene (zit. nach Dahl 1978, S. 24). Eine solch hellsichtige Einschätzung der politischen Potenzen des Rundfunks bestimmte allerdings in Berlin schon seit längerem das ordnungspolitische Handeln in Bezug auf die Nutzung der drahtlosen Nachrichtentechnologie.
Das Recht, akustische Informationen in Form elektromagnetischer Wellen durch den Äther zu senden und für eine massenhafte Empfängerschar abhörbar zu machen – mithin Rundfunk zu betreiben – hatte sich der Weimarer Staat in Einklang mit der Wirtschaft von Beginn an gesichert. Schon Jahre bevor der Rundfunk öffentlich wurde, strahlte ein röhrenbestückter Sender der Hauptfunkstelle Königswusterhausen in militärischer Pilotfunktion erste Musik- und Wortsendungen zur kriegsmoralischen Unterstützung der Frontsoldaten aus. Nehmen wir diese Versuche mit Peter Dahl „als Vorläufer dessen, was wir heute unter Rundfunk verstehen“ (Dahl 1983, S.13), so beginnt die deutsche Radiogeschichte 1917 mit drahtloser Truppenbetreuung. Neben dem Staat nutzt vor allem die Wirtschaft das neue Medium, ehe es der Allgemeinheit zugänglich wird.
Ab 1920 etabliert sich mit dem Eildienst für amtliche und private Handelsnachrichten GmbH und dem 1922 folgenden Wirtschaftsrundspruch ein von Staat und Wirtschaft gemeinsam getragener Funkdienst für Börsen- und Warennotierungen. Für seinen Empfang müssen zunächst über die Reichspost entsprechende Abhörgeräte „geleast“ werden, bevor ihr Verkauf an jedermann gestattet wird und schließlich ab Mitte der 20er Jahre die Funkindustrie aufblühen lässt ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/02, S. 113-116)
- Jürgen Hüther: Bertolt Brecht (1898 - 1956)
Jürgen Hüther: Bertolt Brecht (1898 - 1956)
Die RadiotheorieBertolt Brecht, einer der streitbarsten und umstrittensten deutschsprachigen Dramatiker des 20. Jahrhunderts war keineswegs nur auf das Theater fixiert, sondern bezog Film und Rundfunk, die sich während seiner Lebenszeit als neue Kommunikations- und Unterhaltungsmittel zu Massenmedien entwickelten, in sein theoretisches und praktisches Schaffen ein. Brecht war vielseitig interessiert und engagiert: Dramatiker, Lyriker, Theater- und Kunsttheoretiker, Songtexter, Hörspiel- und Drehbuchautor – aber auch noch Medienpädagoge bzw. einer ihrer Vordenker und Wegbereiter?
Ein kurzer Blick in beliebige Einführungen zur Medienpädagogik bringt hier Bestätigung. Mit seinen Gedanken zum Rundfunk als Kommunikationsapparat, die heute als wesentlicher Teil seiner Radiotheorie gelten, und mit denen er 1932 in der Frühzeit des Radios dessen Nutzbarmachung als Rezipientenmedium forderte, reiht sich Brecht an prominenter Stelle in die Pionierliste der Medienpädagogik ein. Sein „radiotheoretischer“ Kernsatz, der Rundfunk müsse aus einem Distributions- in einen Kommunikationsapparat verwandelt werden (Brecht 1932, S. 129), der den Hörer eben nicht nur hören sondern auch sprechen lässt, zählt zu den meist zitierten medienpädagogischen Formeln.
Sie fehlt heute in kaum einer Veröffentlichung, die sich mit dem Selbstverständnis oder der Historie dieser Disziplin, besonders mit ihren handlungsorientierten Ansätzen zur aktiven Medienarbeit beschäftigt...
( merz 2002/03, 187 - 190 )
- Jürgen Hüther: Alfons Otto Schorb (1921 – 1983)
Jürgen Hüther: Alfons Otto Schorb (1921 – 1983)
Auch wenn die Versuche, sich aus pädagogischer Perspektive mit Medien zu beschäftigen, eine lange Tradition haben - was nicht zuletzt durch diese Reihe dokumentiert werden soll -, ist Medienpädagogik eine relativ junge wissenschaftliche Disziplin, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland festere Konturen entwickelt und vor allem über die Pädagogischen Hochschulen ihren Einzug in universitäre Forschung und Lehre gefunden hat. Der Begriff Medienpädagogik selbst taucht als Fachterminus in den 60er Jahren im erziehungswissenschaftlichen Sprachgebrauch auf. Der Pädagoge und Bildungsforscher Alfons Otto Schorb ist einer der ersten, der 1967 den neuen, anfangs noch recht diffus gebrauchten Terminus durch Aufnahme in sein Pädagogisches Taschenlexikon in den Kanon erziehungswissenschaftlicher Standardbegriffe einreiht.
Für ihn ist Medienpädagogik eine erziehungswissenschaftliche Teildisziplin, die „sich auf die theoretische Klärung und praktische Lösung aller Fragen bezieht, die im Zusammenhang mit den sog. Medien (Film, Fernsehen, Rundfunk, Tonband, Presse) auftauchen. Die Medienpädagogik richtet sich sowohl auf die in den modernen technischen Hilfsmitteln liegenden positiven Möglichkeiten als Un-terrichts- und Erziehungshilfen wie auch auf ihre unerwünschten Nebenwirkungen.“ (Schorb 1975 8. Aufl., S. 172) Schorb erwartet demnach von der Medienpädagogik vor allem zweierlei, dass sie Hilfen zur didaktischen Nutzung der Medien in Unterricht und Ausbildung bietet und die (Neben-)Wirkungen des ständig steigenden Medienkonsums in den Griff bekommt.
Medien werden für ihn in einer Doppelfunktion zum Gegenstand der Medienpädagogik:- als Bildungsmedien und Instrument unterrichtlicher Kommunikation, deren ausbildungserleichternde Möglichkeiten es zu nutzen gilt, und - als publizistische Medien und Instrumente öffentlicher Kommunikation, deren vielfältigen Einflüssen besonders auf die Jugend nachgegangen werden muss. Es überrascht nicht, dass sich der am Anfang seines beruflichen Werdegangs prakti-zierende Lehrer und später mit der akademischen Ausbildung von Lehrern befasste Erziehungswissenschaftler A.O. Schorb auf den ersten Aspekt der formulierten Auf-gabendualität konzentriert (und die Bearbeitung des zweiten Feldes der nachfolgen-den Generation überlässt, die diese Verpflichtung in der Person seines Sohnes Bernd Schorb konsequent übernommen hat) ...(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/01 S. 53-56)
- Jürgen Hüther: Weltbild als Zerrbild
Jürgen Hüther: Weltbild als Zerrbild
Lukesch, Helmut / Bauer, Christoph / Eisenhauer, Rüdiger / Schneider, Iris (2004). Das Weltbild des Fernsehens. Eine Untersuchung der Sendungsangebote öffentlich-rechtlicher und privater Sender in Deutschland, 2 Bde. Regensburg. S. Roderer Verlag. 319 S. u. 657 S., 36,00 € u. 48,00 €
In aller Deutlichkeit vorab: Nicht qualitative Eigenschaften dieser letztlich nur quantitativ auffälligen Untersuchung, nicht innovative Originalität oder ein besonderer wissenschaftlicher Erkenntniswert liefert Anlass für die Beschäftigung mit dieser durch Bayerns Sozialministerium geförderten Studie. Es ist vielmehr die begründete Befürchtung, dass ihre Ergebnisse in simplifizierender Weise bildungs- und medienpolitisch instrumentalisiert werden. Gegen eine solche Funktionalisierung kann sich Wissenschaft schlecht schützen, sie kann sie andererseits aber auch provozieren, indem sie Forschungsergebnisse für bestimmte Geschmacksrichtungen mundgerecht und leicht verdaulich serviert und dabei wichtige, aber den eigenen Geschmacksnerv störende Ingredienzien nicht mit in den Topf nimmt oder verfälscht. Es ist schon erstaunlich – um noch einmal im Bild zu bleiben –, mit welch selektivem Gespür die Zutaten zusammengestellt werden, die zum Gout dieser inhaltsanalytischen Rezeptur passen und wie ihr nicht zuträgliche Aromen vermieden oder als ungenießbar und minderwertig diskriminiert werden.
So weist Michael Kunczik an anderer Stelle in einer ausführlichen Rezension (tv diskurs 31 u. 32) den Autoren der Regensburger Studie eine ganze Reihe gravierender Auslassungen und Fehlinterpretationen nach. Und auch die zu befürchtende unreflektierte Indienstnahme solcherart aufbereiteter Ergebnisse stellt sich nach deren öffentlichkeitswirksamer Präsentation durch Bayerns Jugend- und Familienministerin Christa Stewens schlagzeilenträchtig ein: „Neue Studie beweist: Gewalt in den Medien steigert gewalttätiges Handeln von Kindern und Jugendlichen“ oder „Gewalt aus dem Fernsehen verbannen“ fordert z.B. die CDU Brandenburg unter direkter Berufung auf die Lukesch-Studie. Die Untersuchung gibt nach eigenem Bekunden vor, das vom Fernsehen vermittelte Weltbild mit innovativen Methoden zu analysieren. Wie groß die Diskrepanz zwischen erhobenem Anspruch und konkretem Ertrag ist, lässt sich u.a. an der wohl kaum bahnbrechend neuen Erkenntnis ablesen, das Fernsehen zeige kein Abbild der Wirklichkeit (wer hätte das übrigens behauptet?), sondern „einen Zerrspiegel einer wie auch immer gearteten Realität“. Gravierende FehlinterpretationenIm interpretativen ersten Teil der Studie wimmelt es von solchen Trivialitäten, der Ergebnisteil ist überschwemmt mit einer unüberschaubaren Flut von Schaubildern und Tabellen.
So hinterfragungswürdig gelegentlich Feststellungen im ersten Teil sind, so gewissenhaft und ausführlich werden im quantitativen Teil auch noch periphere Aussagen komplexen statistischen Prüfverfahren unterzogen. Der inhaltliche Erkenntnisgewinn bleibt deutlich hinter dem statistischen Aufwand zurück, so dass man geneigt ist, dies in den Bereich jener „statistischen Onanie“ zu verweisen, mit der Heckhausen einst die massive Überbetonung mathematischer Berechnung im Prozess empirischer Erkenntnisge- winnung bezeichnet hat. Über das Weltbild des Fernsehens gibt die Untersuchung wenig Auskunft, viel eher schon bestätigt sie das (Welt-)Bild, das die Verfasser seit je über das Fernsehen publizieren.