Wolfram Knorr
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- Wolfram Knorr: Leerlaufende Betriebsamkeit
Wolfram Knorr: Leerlaufende Betriebsamkeit
John Ford, der Homer des amerikanischen Kinos, wusste, dass seine epischen Reisen in die Vergangenheit mit der Realität wenig zu tun hatten. In seinen nationalen Legenden ging es ihm um eine höhere Wahrheit. Der Imperativ seines Oeuvres fällt in seinem Film „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ (1961): „Wenn die Legende Wirklichkeit wird, drucke die Legende.“Als er im Auftrag der US Navy einen Film über Pearl Harbor drehte, stellte er den japanischen Überfall in großen Teilen einfach nach. Dafür erhielt das Werk einen Oscar - als bester Dokumentarfilm. Ford war egal, ob amerikanische Flieger japanische vortäuschten und schon zu Wracks geschossene Schiffe noch einmal zur Explosion gebracht wurden. Die Bilder waren in dem Sinne ‘echt’, in dem sie einen wahren Eindruck des Überfalls vermittelten.Ford konnte nicht wissen, welche Entwicklung die „laufenden Bilder“ nehmen würden. Er glaubte noch, mit den Mitteln der Manipulation einer „höheren Wahrheit“ dienen zu können. Die neuen elektronischen Medien sind längst pervertiert, haben die Wahrhaftigkeit in Stücke geschlagen und in rein konsumistische Perspektiven aufgelöst. Hunderte von Fernsehprogrammen bieten zahllose Programme und Formate, auf der fieberhaften Suche nach der richtigen und gewinnbringenden Bedürfnis-Befriedigung. Die Folge: Überall der gleiche Kram. Der Computer mit seinem Internet ist noch besser und noch schneller und noch detaillierter. Um Wahrheit in partiellen oder gar komplexen Zusammenhängen gehts dabei freilich nicht mehr; es geht ausschließlich um Informationen, die ungeprüft durchs Netz flottieren und immer weniger mit der Wirklichkeit zu tun haben. Den Nutzern ist nur noch das Medium oder der Internet-Zugang gemeinsam. Die Interessen dagegen sind zersplittert und schließen sich einander aus. Die Sicht auf die Dinge ist rein egoistisch und produziert - grotesk genug - statt Öffnung Isolation.
Jugendliche ballern in düsteren Ruinen um ihr virtuelles Leben, Hacker knacken Codes, Musikfans bieten illegale Mitschnitte, Künstler basteln an neuen World Wide Web-Formen, Pornographen und andere Schmuddeltypen suchen sich ihre voyeuristischen Nischen und das Netz produziert seine eigenen Stars, die den real existierenden Kino- und Mattscheibenhelden schärfste Konkurrenz machen. Wie einst das Traumfabrik-Imperium auf erfolgreiche Comic-Helden wie Flash Gordon und Superman reagierte, indem es die Strich-Rivalen ganz machiavellistisch an die Brust drückte, so verfährt es auch mit den Kultfiguren aus dem Reich der Pixel.Lara Croft war erst der Anfang. Eine schwindelerregende neue Stufe erreichte der japanische Spieleerfinder Hironobu Sakaguchi mit der Kinoversion seines erfolgreichen Games „Final Fantasy“. Seine Stars, von Aki Ross bis Doktor Sid, sind allesamt rein virtuell. Wurde Lara Croft noch - wie einst die Comic-Helden - mit einer Schauspielerin besetzt (Angelina Jolie), haben Sakaguchi und seine zweihundert Mitarbeiter nicht einmal mehr mit Vorbildern aus dem Reich der Wirklichkeit gearbeitet. Die Figuren entstammen allesamt aus der Pixel-Welt - und sind gespenstisch echt. Die Haut der Heldin Aki wurde mit kleinen Haut-Unreinheiten und Sommersprossen versehen; 60. 000 Haare auf den Kopf so plaziert und einzeln bearbeitet, dass man glaubt, sie seien wie von Fotos hineinkopiert. Was den Menschenschöpfern allerdings noch nicht gelang, ist die Umsetzung von Emotion auf die Mimik. Konzentriert man sich allerdings auf die Augen, ist die Irritation perfekt.Dass bereits aus Hollwood beunruhigende Töne über diese Entwicklung zu hören sind, ist verständlich. Der Schritt zur perfekten Täuschung ist nurmehr ein kleiner. Die Medien befinden sich in einem besinnungslosen Taumel, fast blindwütig auf die technische Perfektion fixiert.Geschichten, die zu einer sinnstiftenden Wahrheit führen könnten, werden dabei ignoriert. Hier liegt das Dilemma der alles beherrschenden Bilderkultur. Die Fähigkeit zur bloßen Virtualität und zum Reality-Prinzip sind (vorläufig noch?) reine leerlaufende Betriebsamkeit.