Florian Rötzer
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- Florian Rötzer: Der Irakkrieg als Game
Florian Rötzer: Der Irakkrieg als Game
Die New Yorker Firma Kuma Reality Games geht mit Computerspielen auf den Markt, die Nachrichten von der Front möglichst schnell in Form eines Spiels "authentisch" aufbereiten wollen. Erste Mission: Die Liquidierung der Hussein-Söhne.Kuma Reality Games vollendet mit dem Konzept "Play the News" in gewissem Maße nur, was schon länger angelegt war: Infotainment im Computerspielformat. Wenn schon das Fernsehen Reality-Formate ohne Ende produziert und das Pentagon die Eroberung des Irak als televisionäres Live-Spektakel für ein weltweites Publikum angelegt hat, dann lassen sich wirkliche Geschehnisse gerade auf dem Schlachtfeld, das besser als alle anderen Arenen dokumentiert und überwacht wird, oft ziemlich detailgetreu rekonstruieren, um den Zuschauer die Bühne betreten zu lassen. Warum man bei Kuma als erste Folge ausgerechnet die mit kill-over-Mentalität vollzogene Tötung der beiden Hussein-Söhne im Juli 2003 ausgesucht hat, ist freilich nicht ganz nachzuvollziehen.
Foxnews hatte sie freilich als die "die erfolgreichste amerikanische Operation nach dem Ende der großen Kampfhandlungen" bezeichnet, was möglicherweise schon ein Grund sein könnte. Damals wurden gegen die vier Personen, darunter ein Jugendlicher, die sich in dem Haus in Mossul aufhielten, eine wirkliche Übermacht aufgeboten, nachdem beim ersten Betreten drei Soldaten verwundet wurden. Dann wurde das Haus mit Maschinengewehren und Raketen vom Boden und von Hubschraubern aus beschossen. Als noch immer nicht alle tot waren und die eindringenden Soldaten erneut beschossen wurden, setzte man schließlich TOW-Raketen ein. Gesagt wird, dass Kuma mit dem Pentagon zusammen arbeitet, möglicherweise ja auch über die Beschaffung der notwendigen Informationen und des Materials hinaus. Was einer sehr engen Kooperation entgegen stehen würde, wäre der Umstand, dass die Spieler angeblich auch die "Bösen" spielen dürfen, so wurde zumindest die Absicht von Kuma im August 2003 in einem Artikel des Hollywood Reporter geschildert . Beim erfolgreichen Pentagon-Werbespiel "America's Army" hat man diese Möglichkeit verhindert.
Allerdings kann man jetzt zumindest noch nicht in die Hussein-Brüder schlüpfen, um zurück zu schießen. Vielleicht war das also doch keine so gute Idee? Nach der Beschießung des Hauses in Mossul und Liquidierung der Hussein-Söhne werden bereits weitere Episoden angekündigt: die Gefangennahme von Saddam Hussein und die Operation Anaconda, die angeblich größte Schlacht in Afghanistan. Monatlich soll es für 6,95 Dollar weitere Missionen geben. Ist ein Spiel abgeschlossen, beträgt die monatliche Gebühr 9,95 Dollar. Die Kampfszenen will man "authentisch" darstellen: von den Teilnehmern und deren Positionen über die eingesetzten Waffen bis hin zum Kampfort. Benutzt werden dazu Informationen und Bilder aus den Medien, aber auch Satellitenbilder, Filme ("exclusive raw video shot by U.S. troops") und andere Dokumente des Pentagons".Wie es sich fürs Infotainment gehört, wird das Spiel durch einen Kommentar eingeleitet, der sich anlehnt an die Berichterstattung von TV-Nachrichten. Wirkliche Hintergründe, die über die militärische "Action" hinausgehen, gibt es allerdings nicht. Thomas Wilkerson, ein ehemaliger Offizier bei den Marines, dient als militärischer Experte. Was die erste Mission "Uday and Qusay's Last Stand" betrifft, so muss bezweifelt werden, wie authentisch das "Play the News" tatsächlich ist.
Der Spieler leitet ein vierköpfiges Team und muss erst einmal die Umgebung des Hauses sichern, wobei zahlreiche Hussein-Anhänger, die im Hinterhalt lauern, erschossen werden müssen. Davon hat man freilich in den News wenig gehört, so dass hier schon einmal die triste Wirklichkeit ein wenig aufgepeppt wurde. Allerdings sollen die vom Computerspiel geleiteten Soldaten auch anders vorgehen können als in Wirklichkeit, indem sie die Brüder ohne Raketenbeschuss bekämpfen können. Aber was beispielsweise an der Gefangennahme von Saddam Hussein für Computerspieler, die Aufregung und Spannung suchen, spannend sein soll, wird interessant zu beobachten sein, wenn diese Mission von Kuma angeboten wird. Angepriesen wird jedenfalls: "Experience the toughest fighting of the war." Bei der ganzen Aktion, deren Details überdies noch gar nicht genauer bekannt sind, fiel jedoch kein einziger Schuss, Hussein hatte sich ebenso wie zwei anwesende Männer ohne Gegenwehr ergeben. Ein Problem ist für dieses Konzept vermutlich zynischerweise, dass permanent militärische Kämpfe geschehen müssen, die sich zur Umsetzung in ein Computerspiel eignen - und die vermutlich auch aus amerikanischer Sicht letztlich erfolgreiche Einsätze sein sollten. An eher banalen Einsätzen wie gegenwärtig in Haiti ist man hingegen nicht interessiert - falls nicht doch noch etwas „Aufregendes“ passieren sollte.
- Florian Rötzer: Das terroristische Wettrüsten
Florian Rötzer: Das terroristische Wettrüsten
Die Terroranschläge haben wieder einmal die schrecklichen Seiten einer Mediengesellschaft offenbart, die nicht vornehmlich Wissen oder Information verarbeitet, sondern deren Fundament die Erzeugung und Akkumulation von Aufmerksamkeit und, wie man als Reaktion beobachten kann, der Ausbau von Überwachung als der meist weniger beachteten Kehrseite der Aufmerksamkeit ist. Die Anschläge zeigen, dass die Terroristen ebenso wie die Medien gefangen sind in einer Überbietungsspirale, also immer grössere und beeidruckendere Spektakel realisieren müssen, um noch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten. So liess sich in den 90er Jahren zwar beobachten, dass die Zahl der Anschläge welweit zurück gegangen ist, abrer die Zahl der Opfer kontinuierlich zunahm.Ob und was auch immer den Attentätern vom 11.9. an Dramaturgie vorgeschwebt haben mag, so haben sie jedenfalls versucht, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, ein möglichst einprägsames Spektakel zu inszenieren, das offenbar keiner Legitimation mehr bedarf. Das Attentat als l'art pour l'art hat sich zwar schon lange angekündigt, seitdem nicht mehr gezielt bestimmte Menschen i mVisier standen, sonedrn Anschläge seit der Verfügbarkeit von Dynamit ungerichtet nur möglichst viele zufällige Opfer finden sollten, um eine Desabilisierung mit unbekanntem Ende auszulösen, aber es ist mit dem Anschlag auf da World Trade Center sicherlich (vorerst) kulminiert.
Im Unterschied zu früheren Zeiten gibt es heute dank der elektronischen Medien Fernsehen und Internet tatsächlich eine globale Öffentlichkeit. Um deren Aufmerksamkeit zu erreichen, was in erster Linie bedeutet, den Blick der kollektiven Aufmerksamkeitsorgane der Medien als der vorgeschalteten gesellschaftlichen Selektionssysteme auf sich zu lenken, muss in der konkurrenz all der ebenfalls auf die Erzielung von Aufmerksamkeit gerichteten Ereignisse und Spektakel, die weltweit auf allen lokalen, regionalen, staatlichen, kontinentalen und globalen Ebenen stattfinden, etws Herausragendes vorfallen oder inszeniert werden. Terroristen sind in diesem schrecklichen Sinn seit jeher eine Art Medien- und Aufmerksamkeitskünstler gewesen. Die Wirksamkeit der Anschläge beruht nicht allein auf der Grösse des Schadens und der Menge der Opfer, sonern auch auf der Ästhetik der Bilder, die durch sie entstehen. In einer visuell geprägten Gesellschaft sind es vornehmlich die Bilder, die sich verbreiten, die die Aufmerksamkeit anlocken und die sich in die Speicher und Gehirne einbrennen. Die endlose Wiederholung der Bilder nach den Anschlägen auf den Bildschirmen, vor denen dieMenschen wie gebannt saßen, hat die Faszination an dem erhabenen-schaurigen Schauspiel deutlich werden lassen. Nicht allein, weil der Zerstörung am flachen Pentagon weniger eindrucksvoll als die Zerstörung der Türme war, sondern vor allem, weil es keine Live-Bilder vom Aufprall gab, liess die Berichterstattung über das Pentagon mehr in den Hintergrund treten.Die besondere Faszination oder das eingentümliche Grausen an den Bildern des Anschlags auf das World Trade Center war, dass sie nicht nur die hinterlassenen Spuren der Zerstörunng zeigten, sondern den Anschlag selbst - und das beim Crash des zweiten Flugzeugs in den Turm praktisch live.
Der Beobachter ist nicht mehr distanziert, sondern er sieht dem Ablauf der Geschehnisse überrscht zu, ohne zwar in diesen eingreifen zu können, aber ald jemand, der dennoch weiss, dass er i ndiesem Fall noch einmal davon gekommen, ein Überlebender ist. Auch das hat wohl die Wucht der Bilder für das globale Bewusstsein ausgezeichnet, das weniger betroffen oder gelähmt gewesen wäre, wen es sich um eine langsam sich vollziehende Katastrophe gehandelt hätte oder wenn er nur, wie so oft, Bilder der bereits geschehenen Katastrophe zu shen gewesen wären. Ob die Attentäter die Inszenierung aus aufmerksamkeitsstrategischen Gründen auch wirklich so geplant hatten, muss dahin gestellt werden, doch die Zeit zwischen dem Einschlag des ersten Flugzeugs und dem des zweiten hat erst die Live-Bilder aus einer distanzierten Perspekitve von der sich für den Zuschauer schicksalhaft abspielenden Katastrophe ermöglicht, wobei in einer teuflischen Strategie die nacheinander einstürzenden Türme den gesamten Ablauf noch stärker dramatisiert hatten.Ganz offensichtlich unter dem Bann der Bilder stehend, hat ein 15-Jähriger amerikanischer Schüler aus Tampa Anfang Januar versucht, die für ihn als Telebeobachter am Bildschirm virtuell bleibenden Bilder in die Realität umzusetzen, möglicherweise, um selbst im Augenblick des Untergangs zumindest kurz im Strahl einer möglichst großern Aufmerksamkeit zu stehen. Am 5.Januar flog Charles Bishop, offenbar ein exzellenter Schüler, aber ein Einzelgänger und verschlossener Jugendlicher, mit einer viersitzigen Cessna in den 28. Stock des 42-stöckigen Hochhauses der Bank of America, des Wahrzeichens von Tampa, Florida.
Ereignisse, die die kollektive Aufmerksamkeit auf sich lenken und daher medial wirksam sind, lösen einen Drang nach Nachahmung aus. Es sind vor-bildliche Ereignisse, die prominent werden und auch Täter oder Opfer prominent machen können. Aufmerksamkeit und Prominenz sind ni´cht erst in der Mediengesellschaft wertvolle Ressourcen, für den ERwerb vieles unternommen wird, aber Medien transportiernen die Informationen und Bilder zu einem immer grösseren, tendenziell globalen Publikum, so dass auch eher Menschen zur Nahcahmung durch diese Meme infiziert werden. Da Aufmerksamkeit ein begehrenswertes und wertvolles gesellschaftliches Gut zu sein scheint, schliesslich ist sie auch die Grundlage der Anerkennung und der zwischenmenschlichen Existenz, wirken Ereignisse, die in den Medien, den kollektiven Aufmerksamkeitsorganen, an primärer Stelle stehen, ansteckend. Sie fordern auf, die Prominenz nachzuahmen, um an deren Erfolg teilzuhaben, wodurch eine soziale Konformität hergestellt wird. Die Logik der Aufmerksamkeitsgewinnung ist hart. Wer über medienästhetisch beeindruckende Ereignisse wie Katastrophen oder Anschläge prominent werden will, weil er anderweitig vom Markt der kollektiven Aufmerksamkeit wie die meisten Menschen ausgeschlossen ist, muss mitunter selbst sein Leben aufs Spiel setzen, um das Spektakel zu inszenieren, oder zuminidest mit Strafe nach vollbrachter Tat rechnen, die ihn kurzzeitig ins Rampenlicht der Öffenlichkeit gebracht hat. Selbstmordanschläge bedürfen daher keineswegs, wie das in letzter Zeit so erscheinen mochte, einen religiösen Hintergrund. Möglicherweise sind die Selbstmordanschläge etwa der muslimischen Attentäter auch eher aus den aufmerksamkeitsökonomischen Grundlagen heraus zu verstehen, während die vorgeschobenen politischen und religiösen Motive sekundär sind.
Fast schon erstaunlich ist daher, dass die Anschläge auf das WTC erst so spät zu einer Nachahmung geführt haben. Auch wenn die Selbstmordtat im Gegensatz zu den Anschlägen auf das WTC in aller Hinsicht "lokale" Züge hatte, schaffte es Bishop unter Einsatz seines lebens die gesuchte Aufmerksamkeit zu finden und sich so buchstäblich aus seinem Leben als unbekannter und scheuer Einzelgänger heraus zu kapitulieren. Mit dem kleinen Flugzeug blieb der Schaden in dem am Wochenende nahezu leeren Hochhausgebäude allerdings gering. Außer Bishop gab es keine weiteren Opfer.Gefunden wurde bei Bishop eine Art Abschiedsbrief, in dem er seine Bewunderung für Usama bin Laden und die Anschläge vom 11.9. zum Ausdruck brachte. Einen irgendwie gearteten terroristischen Hintergrund gibt es nicht, abgesehen davon. DIe Nachahmung offenbart vielmehr die verführerische Kraft der Ästhetik des Terrors, der der Jugendliche erlegen ist. Der Abschiedsbrief lässt darauf schliessen, dass der Jugendliche den Selbstmordanschlag geplant und nur auf eine Möglichkeit gewartet hatte, ihn in der Nachfolge der Terroristen vom 11.9. auszuführen. Ob er das Hochhaus schon von Anfang an als Ziel im Auge hatte, ist nicht bekannt. Vor dem Sturz in das Hochhaus hatte Bishop die MacDill Air Force Base überflogen, das Hauptquartier des United States Central Command, von dem aus die militärischen Aktionen in Afghanistan aus der Ferne an Bildschirmen geleitet werden.
Beitrag aus Heft »2002/01: Medienwirklichkeiten: der 11. September«
Autor: Florian Rötzer
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