Jeanne Rubner
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- Jeanne Rubner: Warum Bildung und Online-Anschlüsse nicht viel miteinander zu tun haben
Jeanne Rubner: Warum Bildung und Online-Anschlüsse nicht viel miteinander zu tun haben
Arme kleine Niedersachsen. Ihnen droht, so haben Forscher der Hochschule Vechta herausgefunden, die digitale Spaltung. 14 Prozent der Dritt- und Viertklässler arbeiten nie mit dem PC in der Schule, ebenso unglückliche 15 Prozent besitzen zu Hause noch nicht einmal einen Computer. Was soll aus diesen Kindern werden?
Was hatten Netzprotagonisten nicht an Bildungsrevolutionen versprochen! Vor den Bildschirmen würden Menschen entstehen, die anders dächten, weil sie in ihren Hirnwindungen schon das Bildhafte, das Assoziative des Netzes gespeichert hätten. Die Welt unter ihren Fingerspitzen würden sie mühelos über den Ozean des Wissens surfen, hier Fremdsprachen, dort Formeln aufsaugen. Besser noch: Via Email-Austausch mit kleinen Afrikanern und Chinesen werde die Völkerverständigung gefestigt. Die Schulen würden sich in blühende Lernlandschaften verwandeln, in denen friedliche Kinder vor flachen Schirmen sitzen und statt harscher Worte freundliche Botschaften ihrer Lehrer empfangen.Nicht Bücher, sondern Laptops würden in den Ranzen stecken. Die Pädagogen selbst könnten den Frontalunterricht aus dem 19. Jahrhundert aufgeben und nur noch als Wissens- und Medienkompetenzvermittler arbeiten. Wer hatte das Diktum „Ich bin online, also lerne ich“ je in Frage gestellt?„Schulen ans Netz“ hieß das Motto der sozialdemokratischen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und des flugs zum Internet-Kanzler gekürten Gerhard Schröder
Andere verwiesen gerne auf die USA, wo bereits vor ein paar Jahren 85 Prozent der Schulen einen Internet-Anschluss bekamen, während es hierzulande nur ein Drittel war. Was im gelobten Land des Internet geschah, musste wegweisend für die Bildung sein.Dummerweise hatten die Apologeten des Netzes ein paar Fallstricke der Verkabelung übersehen. Etwa das Geld: Mindestens 40 Milliarden Euro, so eine Schätzung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 1998, würde es kosten, für jeden Schüler einen Computer bereitzustellen. Hinzu kämen noch einmal zwölf Milliarden Euro jährlich für dieWartung.Auch über die Datenflut im World Wide Web wurde wenig geredet. Wer eine Information sucht, muss sich durch mehrere Milliarden oft schlecht sortierter Seiten wühlen. Im dezentralen Netz ist mehr Text gespeichert als in der Library of Congress in Washington D.C.. Doch welcher Lehrer würde seine Schüler ohne Vorwissen zum Kapitol schicken? Beim Netz dagegen hegen viele die absurde Vorstellung, der Mausklick könnte Wissen ersetzen - als ob der Griff zur Enzyklopädie schon gebildet macht.Zwei Ereignisse beendeten die Träume der Netzeuphoriker.
Mit den zerplatzenden Hoffnungen der New Economy erhielt auch die „Schulen ans Netz“-Bewegung einen Dämpfer. Schließlich fehlten plötzlich eben jene Unternehmen, die die schöne neue Lernwelt propagiert hatten. Doch auch Pisa offenbarte, dass die deutschen Schulen andere Sorgen plagen als nur die Verkabelung der Klassenräume. Plötzlich wurde allen bewusst, dass der Bildungsgraben in Deutschland nicht zwischen Schulen mit und ohne Online-Zugang verläuft, sondern zwischen guten und schlechten.Überrascht waren die schlauen niedersächsischen Forscher übrigens von der Tatsache, dass ein Viertel der Grundschüler den PC im Klassenzimmer für Spiele nutzt. Sollte Lernen doch ein wenig mehr sein als Klicken?Der Beitrag ist die gekürzte Version eines Textes, der am 10.1.2003 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.