Burkhard Schäffer
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- Anja Hartung-Griemberg/Burkhard Schäffer/Bernd Schorb: Editorial: Generation. Perspektiven in Medienforschung und -Pädagogik
Anja Hartung-Griemberg/Burkhard Schäffer/Bernd Schorb: Editorial: Generation. Perspektiven in Medienforschung und -Pädagogik
Wenn in gegenwärtigen Debatten von Digitalisierung und gesellschaftlichem Wandel die Rede ist, dann ist auch der Generationenbegriff nicht weit. Er ordnet und sortiert, er interpretiert und erklärt. So überrascht es nicht, dass er sich hier und da großer Beliebtheit erfreut. Das mag einerseits an seiner großen Ladungsdichte liegen. Offen und unbefangen fügt er sich bejahend (Generationensolidarität) oder ablehnend (Generationenkonflikt) reibungslos in mannigfaltige Erzählungen, ohne auf Verwendungsformalität und Kriterien wissenschaftlicher Methodik angewiesen zu sein. Andererseits kommen ihm gewisse administrative Qualitäten darin zugute, eine vermeintliche Ordnung zu schaffen, wo keine ist. Neben derart kursierenden populären Verwendungsweisen des Generationenbegriffs treten inkommensurable wissenschaftliche Zugriffe, die jeweils unterschiedlichen Forschungsparadigmen folgend auf differenten Ordnungslogiken und Analysekategorien basieren. Die bezeichnete Gemengelage spiegelt sich auch im inhaltlichen Spektrum des vorliegenden Heftes wider. Grob umrissen lassen sich zwei Perspektiven konturieren, die im Spannungsfeld von erziehungstheoretisch-anthropologischen und sozialethischen Diskursen angesiedelt sind. In einem ersten mikrosoziologischen Zuschnitt geht es um die Frage pädagogischer Beziehungen unter den Bedingungen unterschiedlicher Medienerfahrungen und -praxen. Die Gedankengänge fußen hier unter anderem auf der Prämisse, dass durch die Erfahrungsdifferenzen der Vertreter*innen unterschiedlicher Alterskohorten tradierte LehrLern-Konstellationen brüchig werden und mithin neue Formen der pädagogischen Reziprozität erfordern. In einem zweiten Zuschnitt finden sich Beiträge, die ihren Blick auf ethische Fragen der Verantwortung und Gerechtigkeit der Generationen richten. Gefragt wird hier beispielsweise, welchen Stellenwert digitale Medienpraktiken für die kommunikative Selbstverständigung und Identitätsausformung sozialer Protestgemeinschaften im Kontext aktueller Klimadebatten haben und wie Fragen der Verantwortung und Gerechtigkeit über mediale Praktiken intergenerationell verhandelt werden.
Generationen und Medienpraxiskulturen in pädagogischen Beziehungen
Die Denkfigur, neue mediale und digital-mediale Entwicklungen an die Entstehung neuer Generationengestalten zu koppeln, hat sich nicht nur in populärwissenschaftlichen Diskursen hartnäckig etabliert. Generation@, Windows Generation, Generation SMS, Generation WEB 2.0, Generation Twitter... fortlaufend wächst die Innovationskette um ein neues Generationenglied. Solche Periodisierungen dienen gern als Modell, die Auswirkungen gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu erklären, indem gleichartige Wirkungen unterstellt und als kollektive Erfahrungen gedeutet werden; sie konstruieren aber auch Identitäts-und Verhältnismuster, die auf einen sehr willkürlich definierten Ursprung verweisen. Ein aktuelles Beispiel: Die sogenannte Generation Z der Geburtenjahrgänge zwischen 1995 und 2010, also die heute Zwölf- bis 29-Jährigen, weisen im Vergleich aller Kohorten die höchste Brutto-Nutzungsdauer für Video, Audio, Text und Internet auf. Bei der Geburtsdekade 2000 bis 2009 steigt die Videonutzung noch einmal an. Dieser interessante Kohorteneffekt wird von den Forscher*innen der ARD/ZDF-Massenkommunikation mit dem Schlagwort „Generation Video“ belegt (Egger et al., 2021, S. 290). Solche und ähnliche Begriffsstrategien sind typisch für „essayistische Generationenkonzepte“ (Schäffer, 2003). Dass der Generationenbegriff als analytische Kategorie im Rahmen dieser, auf sogenannten APCModellen (age period cohort) basierenden, quantitativen Mediennutzungsforschungsansätzen bewusst (und dort mit plausiblen Gründen) keine Verwendung findet, wird ausgeblendet. Eine solche essayistische Verwendungsweise des Generationenbegriffs begegnet aufmerksamen Beobachter*innen im Kontext der Mediennutzung allenthalben. Aus aktuellen Daten zu Nutzungsgewohnheiten und -präferenzen unterschiedlicher Alterskohorten werden nicht nur Generationenzugehörigkeiten und -ausgrenzungen definiert, sondern auch Medienkompetenzen und -inkompetenzen antizipiert und problematisiert. Unter den Vorzeichen des beschleunigten medialen Wandels erfahren Medienerfahrungen und ihre vermeintlich generationsspezifische Prägung seit den 1990er-Jahren eine zunehmende Problematisierung im Hinblick auf pädagogische Beziehungsverhältnisse. Angesichts der sich abzeichnenden Differenzen im Medienhandeln wird dabei hinterfragt, inwiefern Erziehungsverantwortliche den Herausforderungen der familialen Medienerziehung oder der Ausgestaltung des schulischen Lernalltags gewachsen sind. Eine empirisch fundierte Differenzierung der in diesem Zusammenhang oft holzschnittartig zugewiesenen Generationenprägungen bieten die Beiträge von Dertinger und Lieder. Zentral ist dabei einerseits der Rekurs auf den inzwischen als kanonisch geltenden Beitrag Karl Mannheims zum „Problem der Generationen“ (1928) und dessen (posthum veröffentlichte) kultursoziologischen Abhandlungen zu konjunktiven Erfahrungsräumen und andererseits die Weiterentwicklung dieser Überlegungen zum Konzept der generationsspezifischen Medienpraxiskulturen von Burkhard Schäffer (2003).
Anhand narrativ ausgerichteter, leitfadengestützter Interviews an bayerischen Sekundarstufen untersucht Andreas Dertinger, wie Lehrpersonen verschiedener Alterskohorten den digitalen Wandel erleben und welche Orientierungen damit im Kontext des eigenen professionellen Handelns verbunden sind. Seine Ergebnisse belegen zwar die Relevanz konjunktiver Erfahrungen; sie machen aber auch deutlich, dass diese nicht im Sinne einer damit einhergehenden einheitlichen pädagogischen Grundhaltung zu interpretieren sind. Vielmehr ist von einer fortwährenden Entwicklung pädagogischer Wertevorstellungen und Einstellungen über die pädagogische Laufbahn hinweg auszugehen, die nicht homogen verläuft, sondern biografisch variiert. Auch legen die Ergebnisse der explorativen Studie nahe, dass neben der Dimension Generation künftig auch weitere Differenzierungsdimensionen, beispielsweise kulturelle oder geschlechtsspezifische Aspekte konjunktiver Erfahrungen stärker forschungspraktisch zu berücksichtigen sind. Dass sich unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit (digitalen) Medien auch in den professionsbezogenen Einstellungen von Sozialwissenschaftler*innen niederschlagen, zeigt der gleichsam empirisch fundierte Beitrag von Fabio Lieder. Ausgehend von aktuellen methodischen und forschungsethischen Debatten in den Sozialwissenschaften geht er der Frage nach, wie ältere und jüngere Sozialwissenschaftler*innen den Einsatz von KI-basierten Sprachmodellen in der qualitativen Forschung wahrnehmen. Die dokumentarische Auswertung von Gruppendiskussionen mit Vertreter*innen unterschiedlicher Alterskohorten zeigt, dass jüngere, mit KI-gesteuerten Technologien eher vertraute Forscher*innen, eine größere Offenheit zeigen, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI neu zu definieren und der KI Handlungsfähigkeit zuzugestehen. Im Gegensatz dazu betonen ältere Forscher*innen die Wahrung der menschlichen Autonomie und Expertise und nähern sich der Integration von KI nur vorsichtig an. Neben seinem erkenntnistheoretischen Ertrag offenbart der durch die Reflexion in der Gruppe inspirierte Austausch, wie wichtig der Dialog unterschiedlicher Perspektiven auch für die Weiterentwicklung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden ist.
Damit wird der Blick auf solche medialen Lern- und Bildungsansätze der Vermittlung von Medienkompetenzen gelenkt, für die „der Bezug auf das Lebensalter bzw. die Generationenzugehörigkeit im Sinne von Altersdifferenz oder Altersgleichheit“ bedeutsam sind (Liegle & Lüscher, 2004, S. 38.). In der Erwachsenenbildung und mehr noch in der Alter(n)sbildung findet sich inzwischen eine Vielzahl von Projekten, die als „Generationenlernen“ (ebd.), als „intergenerative“ (z. B. Schmidt & Tippelt, 2009) oder „intergenerationelle“ (Franz, 2010) pädagogische Praxis das Lernen von-, mit- und übereinander in altersdifferenten Beteiligungskonstellationen anzuregen suchen. In diesen Zusammenhang sind auch die nachfolgenden Beiträge zu verorten.
Ausgehend von der Popularität, der sich Computerspiele heute in allen Altersgruppen erfreuen, beschäftigt sich Philip Dietrich in seinem Beitrag mit der Frage, inwiefern Videospiele Gelegenheiten des generationenübergreifenden moralischen Lernens bieten. Auf der Grundlage einer quantitativen Studie zu altersspezifischen Motiven des Spielens kommt er zu dem Ergebnis, dass sich die Vertreter*innen aller Alterskohorten für ihre Handlungen in Videospielen verantwortlich sehen, die jüngeren Befragten jedoch eher dazu neigen, moralische Dilemmata in virtuellen Handlungswelten in die Realität zu übertagen. In den je unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten sieht der Autor ein besonderes Potenzial für die pädagogische Förderung moralischer Handlungsfähigkeit (Moral Agency), insofern hierdurch ein lebensweltliches Erfahren andersartiger kultureller Strukturen der Weltwahrnehmung angeregt werden kann.
Dass der Austausch über differente mediale Erfahrungen zwar das Potenzial hat, Bildungsprozesse im Sinne eines Perspektiven- und Orientierungswechsels anzuregen, sich eine solche Dynamik aber nicht per se und selbstläufig vollzieht, zeigt der Beitrag von Friedrich Wolf, Miranda Leontowitsch und Natalie Merkel. Die Autor*innen referieren Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung eines intergenerationellen Praxisprojekts, in dem sich Jugendliche und ältere Menschen Wissen über Funktion und Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz angeeignet haben. In der Reflexion ihrer, aus teilnehmenden Beobachtungen und Gruppendiskussionen gewonnenen, Befunde kommen die Autor*innen zum Schluss, dass das gemeinschaftliche Arbeiten sowohl Partnerschaftlichkeit als auch Alteritätserfahrungen nach sich zog. So wurde das Lebensalter von den Teilnehmer*innen in unterschiedlichen Kontexten immer wieder selbst als zentrale Differenzkategorie reproduziert. Gleichzeitig beschreiben die Autor*innen aber auch eine durch Differenzerfahrungen angeregte Relationierung und Perspektivierung von Altersbildern, die sie in Anlehnung an Franz (2010) als nicht intendiertes Übereinander-Lernen fassen.
Essayistische Generationenkonzepte haben immer auch dort Konjunktur, wo sich gesellschaftliche Streitfragen an differenten Weltanschauungen, Gesellschaftsentwürfen und Lebensorientierungen entzünden. Besonders deutlich wird dies an den medialen Debatten um den globalen Klimawandel und den damit virulenten Fragen von Gerechtigkeit und Verantwortung. Bekanntermaßen sind diese Auseinandersetzungen auch durch kollektive Selbst- (Letzte Generation) und Fremdthematisierungsformeln (Generation Greta versus Baby-Boomer-Generation) geprägt, die vor allem in digitalen Räumen kursieren und hier verhandelt werden. Mirja Silkenbeumer, Julia Becher, Rhiannon Malter, Juliane Engel und Jakob Schreiber zeigen, dass Generationalität im Kontext des Klimaprotests eine doppelte Bedeutung innehat, einerseits als expliziter Aushandlungsgegenstand hinsichtlich einer kommunikativen Selbstverständigung und Identitätsausformung und anderseits hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Fragen der Verantwortung und Gerechtigkeit im Verhältnis der Generationen. Unter Einbezug der Analysedimension Generationalität untersuchen die Autor*innen am Beispiel eines TikTok-Videos von Fridays for Future, wie strukturelle Generationserfahrungen und Aushandlungsprozesse von generationaler Verantwortung in jugendkulturellen Räumen verarbeitet, bearbeitet und gestaltet werden. Dabei wird einerseits das Verhältnis der eigenen Lebensperspektiven in Abgrenzung zu vorherigen Generationen bestimmt, andererseits eine antizipierende Bezugnahme auf nachfolgende Generationen hergestellt.
Das Bewusstsein für die eigene generative Verantwortung ist nicht nur, so zeigen die Ausführungen von Jane Lia Jürgen, für junge Menschen ein gewichtiger Beweggrund, sich aktiv in Klimadebatten einzubringen und in einen altersübergreifenden Austausch zu treten. Im Rahmen ihrer explorativen Studie geht die Autorin der Frage nach, welchen Stellenwert die intergenerationelle Weitergabe von Nachhaltigkeit in Familien der for-Futur-Bewegung hat und inwiefern diese durch und in Medien (mit-)bestimmt ist. Dabei zeigt sich, dass sich die gemeinsame Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen immer auch im Modus eines biografischen Vergleichs als wichtiger Bezugshorizont der interaktiven Verständigung vollzieht. Familiale Medienpraktiken stehen auch im Zentrum der Ausführungen von Maja Michel. Die Autorin erörtert Fragen der Verantwortung in Auseinandersetzung mit einer Alltagspraxis, die in vielen Familien selbstverständlich ist – die bildmediale Dokumentation und Veröffentlichung familialer Alltagserfahrungen in Social-Media-Netzwerken (Sharenting). Inwiefern unterwandern digitale Praxen der fremdinitiierten Identitätsdarstellung das Recht des Kindes auf eine offene Zukunft? Inwieweit ist eine Mitbestimmung von Heranwachsenden an elterlichen Medienpraktiken notwendig und möglich? In ihrem Beitrag reflektiert die Autorin Facetten einer Ethik der Eltern-Kind-Beziehung im Spannungsfeld von kindlichem Schutz auf der einen und Autonomieermöglichung auf der anderen Seite.
Der Zusammenhang von Verantwortung, Missbrauch und Selbstbestimmung steht auch im Mittelpunkt der Ausführungen von Susanne Lang, Michelle Terschi und Nora Wunder. Erkenntnisleitend ist hier die Frage, welche Potenziale digitale Kommunikationsformen für die biografische Selbstreflexion und Selbstermächtigung von Betroffenen sexualisierter Gewalt haben (können) und wie diese über kollaborative Formen der verarbeitenden Auseinandersetzung vollzogen werden. Anders als in den häufig isolierten Settings der Traumaufarbeitung und -therapie ermöglichen Kommunikationsplattformen wie Foren und Blogs vielfältige und vielgestaltige Möglichkeiten der Artikulation und des Teilens erlittener Erfahrungen. Anhand exemplarischer Falldokumentationen ihrer Netzwerkanalyse zeigen die Autor*innen, dass sich Betroffene über den konjunktiven Erfahrungsraum digitaler Verständigungsformate nicht nur über ihre geteilten Erfahrungen austauschen; über neue bildsprachliche Codes der Artikulation vergewissern sie sich im Sinne eines „doing childhood“, „doing gender“ und „doing future“ ihrer Kindheitserfahrungen gleichsam neu.
Was bleibt?
Gibt es einen medienpädagogischen Generationenbegriff und wenn ja, wo ist dieser ideengeschichtlich und konzeptionell zu lokalisieren und wie ist es um seine theoretische Sinnhaftigkeit bestellt? Christian Swertz schlägt eine klare Antwort vor. In seinem Beitrag vertritt er die These, dass es keinen sinnvollen medienpädagogischen Generationenbegriff gibt und dass es auch nicht sinnvoll ist, einen medienpädagogischen Generationenbegriff zu bestimmen. Ob man so weit gehen will, seine Relevanz grundsätzlich in Frage zu stellen oder gar ad absurdum zu führen, sei dahingestellt. Nicht zu übersehen ist, dass es um seine theoretische Substanz ebenso wie seine methodologisch-methodische Operationalisierung nach wie vor eher schlecht bestellt ist. Die mangelnde theoretische Fundierung setzt sich nicht zuletzt in der (medien-)pädagogischen Praxis fort. Intergenerationelles Lernen folgt hier häufig einer sehr dichotomen Grundanlage: Schüler*innen erklären Senior*innen das Internet, Eltern spielen unter pädagogischer Anleitung ihrer Kinder Computerspiele, Senior*innen berichten in Filmprojekten über ihre Vergangenheit...
Zweifelsohne werfen die im Heft versammelten Beiträge grundlegende Fragen zur Debatte um den Generationenbegriff in Medienpädagogik und -forschung auf. Ob nebeneinander liegende Kohorten tatsächlich handlungsleitende kollektive Orientierungen hinsichtlich digitaler Medien und KI, das unterrichtliche Handeln mit Medien oder den Umgang mit gesellschaftspolitischen Fragen haben, wird sicher noch zu untersuchen sein. Immerhin vermögen es allenfalls Panelstudiendesigns mit hohen Laufzeiten (20 Jahre und mehr!), eine valide Auskunft über entsprechende generationale Orientierungen zu geben. Für Wissenschaftler*innen, die nicht in entsprechenden Panelprojekten arbeiten, stellt sich die Frage, inwiefern hier beispielsweise synchrone Querschnittsanalysen von Angehörigen unterschiedlicher Geburtsjahrgänge erfolgversprechend sind, die auf retrospektive, zum Beispiel medienbiografische Erzählungen rekurrieren. Oder wäre es erfolgversprechender, Gruppendiskussionen mit gemischten Altersgruppen zu realisieren, in denen etwaige generationale Differenzen im Diskursverlauf zur Sprache kommen? Dies sind nur zwei Beispiele für eine weiterführende Thematisierung methodisch-methodologischer Probleme. In der Mehrheit stimmen die Autor*innen dieses Heftes darin überein, dass die Generationendimension allein als hermeneutischer Schlüssel wenig geeignet ist, die sich stellenden Fragen unserer Zeit theoretisch und empirisch in den Griff zu bekommen. Nicht zuletzt besteht in einer vorschnellen Auslegung generationeller Zusammenhänge die Gefahr, die Vielschichtigkeit und Diversität soziokultureller Wirklichkeit und mithin die Interdependenz unterschiedlicher Analysekategorien zu nivellieren. In Mannheims Generationenmodell ist diese Interdependenz in der Differenzierung von Generationslagerungen, -einheiten und -zusammenhängen bereits angelegt: Zum Beispiel ist die eingangs genannte Generation Z in sich keineswegs homogen. Die Alterskohorten der 1995 bis 2010 Geborenen differieren etwa im Hinblick auf ethnische oder Geschlechterzugehörigkeiten oder hinsichtlich ihres Bildungs- und Herkunftsmilieus. So unterscheiden sich beispielsweise die generationalen Erfahrungen einer 25-jährigen Frau mit ‚Migrationsgeschichte‘, aufgewachsen in einem sogenannten sozialen Brennpunkt ohne Schulabschluss vermutlich maximal von jenen ihrer autochthonen Altersgenossin, die in einem bildungsbürgerlichen Milieu aufgewachsen ist und gerade ihren Masterabschluss absolviert. In Mannheims Modell generationaler Erfahrungssedimentation schlägt sich dies in verschiedenen Generationseinheiten nieder. Diese Einheiten können einen völlig konträren Blick auf Themen entwickeln, die in der Gesellschaft verhandelt werden. Aufeinander bezogen besteht die Möglichkeit, einen Generationszusammenhang auszubilden. Allerdings müssen diese Zusammenhänge freilich empirisch überprüft und dürfen nicht ex ante gesetzt werden. Welche Rolle hierbei differierende Medienpraxen und darauf fußende Erfahrungen innerhalb solchermaßen bestimmten Generationseinheiten spielen und wie mediale Repräsentationen zur Bildung von Generationen zusammenhängen beitragen können, steht unseres Erachtens noch aus. In dem vorliegenden Heft sind erste Analyseansätze zu erkennen. Vor diesem Hintergrund bleibt aus unserer Sicht jedoch die weitere grundlagen- und gegenstandstheoretische und vor allem empirisch fundierte (Neu-?) Vergewisserung des Generationenbegriffs weiterhin auf der Tagesordnung.
Literatur
Egger, A.; Gattringer, K. & Kupferschmitt, T. (2021). Generationenprofile der Mediennutzung im digitalen Umbruch. In Media Perspektiven 05/2021, S. 270–291.
Franz, J. (2010). Intergenerationelles Lernen ermöglichen: Orientierungen zum Lernen der Generationen in der Erwachsenenbildung. W. Bertelsmann.
Hurrelmann, K. & Albrecht, E. (2020). Generation Greta: Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist. Beltz.
Mannheim, K. (1928). Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7, S. 157–185, 309–330.
Liegle, L. & Lüscher, K. (2004). Das Konzept des „Generationenlernens“ – In Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004) 1, S. 38–55.
Schäffer, B. (2003). Generationen – Medien – Bildung. Medienpraxiskulturen im Generationenvergleich. Leske und Budrich.
Schäffer, B. (2009). Mediengenerationen, Medienkohorten und generationsspezifische Medienpraxiskulturen. Zum Generationenansatz in der Medienforschung. In B. Schorb, A. Hartung, W. Reißmann (Hrsg.), Medien und höheres Lebensalter. Theorie – Forschung – Praxis. VS-Verlag, S. 31–50.
Schmidt, B.; Tippelt, R. (2009). Bildung Älterer und intergeneratives Lernen. In: Zeitschrift für Pädagogik 1/55, S. 74–90.
Winkler, M. (1999). Erziehung und sozialer Wandel. Brennpunkte sozialpädagogischer Forschung, Theoriebildung und Praxis. Beltz 1999, S. 51–68
Beitrag aus Heft »2023/06: merzWissenschaft 2023 | Der Generationenbegriff in Medienforschung und Medienpädagogik«
Autor: Anja Hartung-Griemberg
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