Claudia Schmiderer
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- Claudia Schmiderer: Happy New Year!
Claudia Schmiderer: Happy New Year!
Trotz Sofi und Jahrtausendwechsel, der Weltuntergang und die befürchteten großen Katastrophen wie ein Y2K-Fiasko sind ausgeblieben. Der Dax und die Zuschauerzahlen der Teletubbies steigen weiter. Die Medien werden weiterhin verteufelt und den verlorenen moralischen und ethischen Werten wird verstärkt nachgetrauert.Der Verlust der Werte wird im neuen Millenium ein attraktives Thema bleiben, ein besonders beliebtes dazu für Weihnachts- und Neujahrsansprachen, auf die wir nun leider wieder fast ein ganzes Jahr warten müssen. Ebenso füllt es auch unzählige Spalten in der ZEIT, im Spiegel und in den Rückblicken prominenter Zeitzeugen wie Dönhoff, Schmidt & Co.Im Kampf um die Aufmerksamkeit ist die Story von der Entwicklung zu einer Wert-losen Gesellschaft gesellschaftsfähig geworden.
Der Zerfall von öffentlicher Moral, so wird uns nahegelegt, hat zutiefst verunsicherte, orientierungslose Bürger zur Folge, die ihre privaten ethischen Normen verloren haben. Sämtliche vorhandenen sittlichen Maßstäbe seien aus den Fugen geraten und dafür gäbe es nun wirklich genügend Beispiele: Die Familie, Jahrhunderte lang ein Hort der Vermittlung der wichtigsten Regeln für ein friedliches menschliches Zusammenleben, zerfällt. Versicherungen und Finanzämter werden betrogen. Die Moderatorinnen und Moderatoren überbieten sich in den Talkshows gegenseitig mit Provokationen, um ihren Gästen Intimitäten zu entlocken oder sie gegeneinander aufzubringen. Schmuddel ist in! Wer zeichnet dieses Bild der Welt und seiner Menschen? Zuallererst natürlich die Medien. Mir scheint, als riefen – selbstverständlich wieder über die Medien - diejenigen am lautesten nach der Einhaltung moralischer und ethischer Vorgaben, die sie stets nur von den anderen einfordern, sich selbst aber über den Dingen stehend betrachten. Die wahrlich schrecklichen Gewalttaten Jugendlicher sind die Taten Einzelner, denen ein familiärer Halt, ein fürsorgliches soziales Umfeld versagt geblieben ist, die Vorbilder suchen und sie möglicherweise auch in Gewaltvideos finden. Kaum vorstellbar, was in den Köpfen und Herzen dieser jungen Menschen vorgehen muss. Das Geschehene ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Dennoch, sind Lehrer, die immerhin auch Machtpositionen einnehmen, wirklich gänzlich unschuldig am möglichen Hass der Schüler auf die Institution Schule und ihre Vertreter?
Für die kriegführenden Erwachsenen auf der ganzen Welt gibt es andere Gründe, das Leben unzähliger Menschen auszulöschen. Wir haben es mit einem ausgesprochenen Problem der Menschen zu tun, die Macht besitzen – in den Regierungen, Parteien und Chefetagen der Unternehmen. Sie alle scheinen sich ihren eigenen Reim auf das zu machen, was political correct ist. Natürlich, sie rackern sich ab, Tag für Tag, Wochen- wie Sonntags, wie man hört 28 bis 32 Stunden am Tag – und das für einen Hungerlohn. Da hat es doch jeder Arbeitslose schöner, der sein Geld für nichts und wieder nichts bekommt und womöglich auch noch schwarz dazuverdient. Ein Flug mit dem Hubschrauber, eine Urlaubsreise, ein paar Peanuts...alles geschenkt beziehungsweise im wahrsten Sinne des Wortes umsonst, also ohne Gegenleistung. Aber stellen wir uns doch nicht so an. Das gab es immer schon, bei Kleopatra und Shakespeares „Ceasar“: „der Größe Missbrauch ist, wenn von der Macht sich das Gewissen trennt“. Und seien wir einmal ehrlich, alles wäre wirklich halb so schlimm, würde die Einhaltung der Werte, der christlichen oder humanistischen, nicht ständig von ‘oben’ eingefordert.Daher unsere Bitte für das taufrische Jahrtausend: gebt es auf, aus uns bessere Menschen machen zu wollen. Der Glaube an irgendetwas Wert-volles versetzt keine Berge mehr. Wir kennen nämlich – entgegen der gängigen Meinung - immer noch sehr genau den Unterschied zwischen Gut und Böse, und wir lassen uns dieses Wissen nicht nehmen. Lasst die Jugend in Ruhe, sie ist hochmotiviert und braucht am wenigsten gute Ratschläge für die Gestaltung ihres Lebens.
Es ist an der Zeit, Rechenschaft von denjenigen zu verlangen, die die Regeln für die menschliche Gemeinschaft meinen für ihre Bedürfnisse und nach eigenem Gusto modifizieren zu können. Doch dieses Vorhaben wird wie alle anderen sehr wahrscheinlich glimpflich für die Betroffenen ausgehen. Und mit den paar Mark unterm Kopfkissen – denn vor Bankkonten sei gewarnt - lässt es sich die nächsten Jahre ganz gut leben.
- Claudia Schmiderer: konkav - konvex - konkret?
Claudia Schmiderer: konkav - konvex - konkret?
Schneller als es mancher prominenten Körpersilhouette gelingt, sich von dem einen Zustand in den entgegengesetzten zu wölben und wieder zurück, schwanken Meinungen und Entschlüsse von bauchig nach hohl und vice versa. Der Faktor Zeit scheint dabei eine zentrale Rolle zu spielen. Nicht nur, dass „Projekte“ mit zum Teil unzumutbaren Kürzeln versehen werden, da die knappe Zeit es wohl nicht mehr zulässt, sie mit vollem Namen zu nennen, auch die Entschlussfreudigkeit, immer neue Projekte in die Welt zu setzen, scheint getrieben von einem rasanten Wind, der durch das Land zieht. Die Idee der Steigerung – von Tempo, Erlebnis, Effizienz, Hab und Gut, Glück – ist zwar keine Erfindung der Moderne, doch mit ihr hat sich die Geschwindigkeit in den Mach-Zahlen-Bereich hinein potenziert.
Das Prinzip der permanenten Steigerung sieht der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze nun stagnieren, was nicht seine völlige Aufgabe bedeutet, sondern lediglich die Abnahme seiner kulturellen Bedeutung. Die Schaffung „der besten aller Welten“, von der Leibniz 1710 meinte, sie immer schon vorgefunden zu haben, prägt nach wie vor die westliche Kultur, auch wenn mancher Fortschritts- und Technikglaube in Folge der Geschichte des 20. Jahrhunderts relativiert wurde. Die Schlüsselkompetenz der Zukunft liegt für Schulze demnach im Verstehen von Kultur, in der Fähigkeit, über Kultur zu reflektieren und der Beherrschung der Regeln, denen Diskurse über Kultur folgen sollen.
Das allerdings benötigt Zeit – Zeit für angemessene Bildung von der Schule bis zur Universität und darüber hinaus. Solange sich der Ehrgeiz jedoch – wie zum Welttag des Buches am 23. April geschehen – darauf richtet, das „schnellste Buch der Welt“ zu erschaffen, das in einem Tag, erdacht, geschrieben, lektoriert, gesetzt, gedruckt, gebunden und ausgeliefert wird, bleibt das Reden über Kultur auf der Strecke. Die Qualität übrigens auch. Das war zwar ein konkretes, aber ebenso überflüssiges Unterfangen. Oder doch nicht? „Sie wissen jetzt, dass wir ihre Sprache nicht verstehen. Darum reden sie absichtlich Unsinn und lachen darüber." (Sten Nadolny „Die Entdeckung der Langsamkeit“)
- Claudia Schmiderer: Enter
Claudia Schmiderer: Enter
ist die herkömmlichste aller Vorsilben im mittlerweile reichen Repertoire der ‚Tainments’. Unterhaltung oder kosmopolitisch bzw. korrekt ausgedrückt ‚Entertainment’, das die berufsmäßig gebotene Unterhaltung meint, hat sich inzwischen in allen gesellschaftlichen Bereichen unentbehrlich gemacht, und das obwohl das Ende der Erlebnis- und Spaßgesellschaft schon häufiger angekündigt und gar gefordert wurde. Und vielleicht gerade deshalb sucht sich das bloße, flüchtige Amüsement nun Bereiche, in denen Ernsthaftigkeit und Belustigung zueinander finden. Auf keinen Fall soll die Unterhaltung im Ruf stehen, oberflächlich zu sein. Insofern sind ihre bisherigen Verbindungen geglückt, paart sie sich in ihnen mit Seriosität. Info- und Edutainment gehören inzwischen zum Standardrepertoire der Medien, hinzu kommt nun ganz aktuell das Servicetainment.
#Den Service bietet Frau Dr. Breitenbach, die „in dieser orientierungslosen Zeit“ ihren gynäkologischen Rat allen zwischen 12- und 60-Jährigen zukommen lassen will, die nachmittäglich nicht ausschließlich Gerichtsshows genießen wollen. Da dieses momentan äußerst erfolgreiche Programm noch keinen Namen hat, sei hier ‚Justainment’ vorgeschlagen. Justitia sollte sich angesichts dieses Genres neben den Augen allerdings auch die Ohren zubinden; zum reden scheint sie ohnehin selten zu kommen. Ein weiteres Beispiel von Boulevardisierung ist mit Politainment betitelt, wobei noch nicht auszumachen ist, ob es sich hier nicht sogar um die Urform(el) aller weiteren ‚Tainments’ handelt. „Politainment“, so Andreas Dörner in seiner gleichnamigen Studie, „bezeichnet eine bestimmte Form der öffentlichen, massenmedial vermittelten Kommunikation, in der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnentwürfe im Modus der Unterhaltung zu einer neuen Realität des Politischen montiert werden“.
„Politik im Unterhaltungsformat“, so der Autor weiter, „ist an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert zu einer zentralen Bestimmungsgröße von politischer Kultur geworden.“ Wahlkampf, Political Correctness oder ziviler Ungehorsam sind nur einige Beispiele politischen Handelns, die in bekannten Sendungen wie „Big Brother“, „Die Lindenstraße“ oder „Forsthaus Falkenau“ thematisiert werden. Eine Erweiterung hat das Angebot kurzzeitig mit der inzwischen jedoch wieder eingestellten Reihe „Das Duell“ erfahren. Ähnlich wie in den Talk- oder Gerichtsshows, in denen die Unsicherheit, ob es sich um Wirklichkeit oder Spiel handelt, überwiegt, in denen manch einer die Schauspieler, die Pöbeleien und Fälle für echt und ‚echte’ Fälle für fingiert hält, bleibt zumindest für die nächsten dreieinhalb Jahre offen, inwieweit es sich bei den Kombattanten um Laien- oder professionelle Darsteller und bei den Versprechungen um Wahrheit oder Fälschung handelte.
- Claudia Schmiderer: Ein ganz normaler Tag in Amerika
Claudia Schmiderer: Ein ganz normaler Tag in Amerika
Michael Moore, 1954 in Flint, Michigan, geboren, dort, wo 1999 die 6-jährige Kayla Rolland von einem gleichaltrigen Jungen erschossen wird, begann als Journalist und wurde als Dokumentarfilmer 1989 mit „Roger & Me“ berühmt. In diesem preisgekrönten Dokumentarfilm griff er die Massenentlassungen bei General Motors in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf, die verheerende Konsequenzen für die Autostadt Flint hatten. Neben weiteren ausgezeichneten Dokumentarfilmen, produzierte er verschiedene Serien und schrieb mehrere Bestseller.„Bowling for Columbine“ beginnt an einem ganz normalen Tag in Amerika, an dem Farmer ihre Felder bestellen, Milchmänner die Milchflaschen ausliefern, der Präsident Bomben über einem Land abwerfen lässt, dessen Namen wir nicht einmal aussprechen können, Lehrerinnen und Lehrer im ganzen Land ihre Schüler zu einem neuen Schultag begrüßen und zwei Jungs in Littleton, Colorado, zum Bowlingskurs gehen. An diesem 20. April 1999 sterben einige Stunden später 12 Schüler und ein Lehrer, zahlreiche Kinder und Jugendliche werden verletzt. Das Columbine Highschoole Massaker findet am gleichen Tag statt, an dem die USA die meisten Bomben über dem Kosovo abwerfen.
Angst hat KonjunkturDamit ist auch schon der Kreis beschrieben und die Frage gestellt, die sich durch Michael Moores gesamte Dokumentation zieht. Warum werden in den USA jährlich durchschnittlich 11.000 Menschen erschossen, mehr als in allen anderen Ländern, in denen genauso viele Waffen in Umlauf sind und die zurückliegende Geschichte zumeist noch gewalttätiger war? Seine Antwort beschreibt eine „Theory of Fear“: „Es gefällt uns, wenn man uns Angst einjagt. Wir lieben Horrorfilme und Halloween ... Aber es gibt da einen großen Unterschied. Im Kino Angst zu bekommen, ist eine Sache. Manipuliert zu werden durch Nachrichtensendungen, Reality-TV oder einen Präsidenten, der dir sagt, dass es irgendwo einen federführenden Bösewicht gibt, der dich jederzeit töten kann, das ist ein ganz andere Sache.“ Ausgehend von der heute allgegenwärtig auch durch die Medien geschürten Angst vor dem Terror der Gewalt, wird ein Comicfilm eingespielt, der diesen Ursachen nachgeht – angefangen bei den ersten Pilgern, die aus Angst vor Verfolgung nach Amerika kamen. Diese Geschichte erzählt dann von der Angst der Weißen vor Indianern, Hexen, vor den Briten und natürlich bis heute vor den Schwarzen. Heute sind ca. eine Viertelmilliarde Waffen in den Händen vorwiegend Weißer, die in vorstädtischen Wohngebieten ohne besonders auffällige Kriminalitätsraten leben. Und hier geht Michael Moore mit seinen unschuldig anmutenden Fragen nah an die Menschen heran, an die freiwilligen Milizionäre, die bis an die Zähne bewaffnet, sich und ihre Familie vor den Feinden schützen müssen, da es sonst niemand tut. Der Waffenbesitz darf laut Artikel 2 der amerikanischen Verfassung nicht eingeschränkt werden und Serienmorde wie die des „Snipers von Washington“ bestärken nur diese Haltung. Nur aus seiner „kalten, toten Hand“ lasse er sich die Waffe winden, so der Schauspieler Charlton Heston in seiner Paraderolle als Präsident der National Rifle Association (NRA), wobei er in Moores Film, im direkten Interview mit ihm stetig an Souveränität verliert und am Ende die Filmszene verlässt. „Ohne Waffen“, so James Drury, der einstige Westernheld der Serie „The Virginian“ aus den 60er-Jahren, „wäre Amerika verloren“.
Genauso verloren wie wahrscheinlich Kanada, wo Michael Moore nach den Ängsten der Menschen sucht, nach dem Grund dafür, dass sie ihre Häuser Tag und Nacht unverschlossen lassen. Nicht überall ist Amerika! Und dennoch, auch hierzulande überbieten sich die Berichterstattungen der Medien mit bedrohlichen Szenarien, auch Deutschland blickt auf eine Geschichte mit massenhaften Morden zurück, und auch hier gibt es Amokläufe wie der von Erfurt. Dennoch kann auch hierbei nicht alles mit Video- und Computerspielen und mit gewalthaltigen Filmen erklärt werden. Auf die sozialen Ursachen macht Moore aufmerksam im Fall des 6-jährigen Jungen aus seiner Heimatstadt Flint, der eine Mitschülerin erschossen hat und so die Aufmerksamkeit erfahren hat, die ihm sonst nicht zuteil wurde. Nicht zuteil werden konnte aufgrund der familiären Situation, da die Mutter gezwungen war, den ganzen Tag unterwegs zu sein, um Geld zu verdienen, das dann noch nicht einmal für die Miete reichte.What a wonderful worldDie Diskussion in Deutschland nach der Tat von Erfurt schwoll an, und vor allem die politischen Aussagen gingen dahin, dass künftig Gewalt grundsätzlich geächtet werden müsse. Nicht davon ist geblieben. Auch die Geschichte hat gezeigt, dass dies nur Formeln sein können. Moore hat in „Bowling for Columbine“, untermalt vom bekannten Evergreen „What a wonderful world“, das aggressive militärische Vorgehen der USA in den letzten 50 Jahren vorgeführt – in Chile, Persien/Iran, Panama, Vietnam, etc.
Dass diese Gewalt nicht isoliert gesehen werden kann von der häuslichen Gewalt, von den sozialen Problemen dieser Welt und von den Machtansprüchen der westlichen Regierungen, ist eine der Aussagen dieses Films. Vieles hat Michael Moore in seine Dokumentation gepackt, manchmal vielleicht etwas zu viel, vor allem aber seinen sozialkritischen Standpunkt. Gelungen ist ihm eine Annäherung an Geschichte und an eine Problematik, die keine monokausalen Zusammenhänge zulässt. Michael Donovan, einer der Produzenten von „Bowling for Columbine“, hat Michael Moore sowohl einen führenden amerikanischen Sozialkritiker als auchn eine der größten Patrioten bezeichnet. Das, so ist zu vermuten, werden allerdings „Heroen“ wie Charlton Heston nicht so sehen.
- Claudia Schmiderer: Angst
Claudia Schmiderer: Angst
essen Seele auf – einen „Film über die Liebe, die eigentlich unmöglich ist, aber eben doch eine Möglichkeit", nannte ihn Rainer Werner Fassbinder. Er beschäftigt sich darin mit dem Fremden, dem nicht zu uns, in unsere Gesellschaft Gehörenden und er hat seit seiner Entstehung 1974 offenbar nichts an Aktualität verloren.Nach den ersten Ergebnissen einer bis 2011 angelegten Langzeitstudie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung sind Deutsche Zustände geprägt von Angst. Angst um den Arbeitsplatz, vor Außenseitern wie Obdachlosen, vor Fremden, ihren Kulturen und Religionen, vor wirtschaftlichem Ruin und vor Einsamkeit. Aktuell hinzuzufügen wären noch die Ängste vor der Staatspleite, vor Terroranschlägen und Krieg.Angst ist ein zerstörerisches Gefühl.
Sie gedeiht zusammen mit dem Urheber der Aggression, mit dem Fremden in uns (Arno Gruen), um sich im Hass gegen alles Fremde zu entladen. Treffen nun noch Unterwürfigkeit, Gehorsam und die Vereinnahmung durch heilsversprechende Lösungen hinzu, ist der Nährboden für Entdemokratisierung und Entliberalisierung bereitet.Liberalität scheint ohnehin auf dem Rückzug befindlich; da liegt die Frage nahe, was uns alle Aufklärungsversuche, der freie Zugang zu Informationen und weiterführendem Wissen, die Möglichkeit des Reisens in alle Teile dieser Welt und das Kennen lernen der Menschen anderer Kulturkreise gebracht haben? Nach wie vor begibt es sich so, wie es der Maler, Musiker und Literat Alberto Savinio in seiner Nuova Enciclopedia (entstanden 1943/44)) beschrieben hat: „In meinem Atelier habe ich drei Porträts und ein Phantasiebild. Vier Besucher treten ein.
Sie gehen auf die Porträts zu, zwei interessieren sie besonders, weil sie die dargestellten Personen kennen. Niemand sieht das Phantasiebild an. In dieser kleinen Episode ist der Keim des Nationalismus enthalten. Die Kriege werden erst aufhören, wenn die Leute lernen, sich nicht nur für die Porträts zu interessieren, und besonders für die Porträts der Leute, die sie selbst kennen, sondern auch für die Angelegenheiten und Dinge außerhalb ihres vertrauten und persönlichen Umkreises, das heißt, für die allgemeinen Ideen und, falls sie dazu fähig sind, für das Phantastische ...“
- Claudia Schmiderer: Sprachlos
Claudia Schmiderer: Sprachlos
Sprachlos bleiben oder nicht? Nachdem mittlerweile fast alles, auch zunächst zumindest für die Allgemeinheit Uninteressantes kommentiert oder dementiert, und damit interessant wird, um dann letztlich doch keine Geschichtsbücher zu füllen – auch wenn es mancher Stoff in die Bestsellerlisten schafft – stellt sich diese Frage im Hinblick darauf, ob es sich lohnt angesichts der Lebenserwartung von Eintagsfliegen. Da bei näherer Betrachtung das Staunen in Fragen übergeht, soll eine davon nun doch laut gestellt werden. Erfolg ist heute nach wie vor erstrebenswert und diejenigen, die es besonders gut machen, werden dafür ausgelobt. So wie der neueste Shooting-Star unter Deutschlands Fernsehverantwortlichen, die junge, gutaussehende Geschäftsführerin des Senders Neun Live. Seriöse Tages- und Wochenzeitungen widmen sich Frau zu Salm. Und im Gegensatz zu den Intendanten der großen deutschen Sender hat sie es geschafft, schwarze Zahlen zu schreiben. Und das ist natürlich in den heutigen Zeiten nicht so einfach.
Aber kann das alles sein? Ist dies das erklärte Ziel, was den nachkommenden Generationen als Lebensstreben und –inhalt vorgehalten wird? Um Geld geht es auch im abendlichen Mittmachfernsehen des Senders. Junge, taffe weibliche und männliche Moderatoren schwallen wie aufgedreht drauf los, als gelte es pro Wort einen Cent zu gewinnen. „Für 500 Euro kann man sich schon mal einen Abend hinsetzen und telefonieren ... Wahnsinn, 500 Euro, so schnell kann das gehen.“ Kann, wenn man denn telefonisch durchkommt, und dann auch noch die Intelligenz aufbringt, die losen Buchstaben, die in einem Kasten erscheinen, in die richtige Reihenfolge zu bringen. Gar nicht so einfach, auch wenn die Moderatorin noch Hilfestellung leistet, indem Sie uns darauf aufmerksam macht, dass das richtige Wort, in diesem Fall Lexikon, mit dem Großbuchstaben anfängt.
1000 Euro gab es übrigens für die Entdeckung einer wegretuschierten Falte von Uwe Ochsenknecht. Bei jedem Anruf wird kräftig abkasssiert und so zum Erfolg der jungen Frau und ihres Senders beigetragen. Der sei ihr gegönnt. Aber können nicht auch einmal diejenigen, die die mediale Welt auf ihre Tauglichkeit für die Jugendlichen hin überwachen, diese Art von Unterhaltung auf ihre Sprachpraxis hin anhören? Ebenso wie die momentan auf Pro Sieben so aktuellen Personal Help Shows, für die das Wort Trash in jeder Beziehung noch zu hochgegriffen ist. Sprachlosigkeit darüber kann doch nicht die Antwort sein.
- Claudia Schmiderer: Roberto Benignis Pinocchio
Claudia Schmiderer: Roberto Benignis Pinocchio
Klassiker der Kinderliteratur haben in vielen Kulturen Eingang in die Nationalliteratur gefunden. Und was für die Schweden „Pippi Langstrumpf“ und "Nils Holgersson", die Schweizer „Heidi“, die Engländer "Oliver Twist" und "Peter Pan", die Amerikaner "Tom Sawyer" ist, ist den Italienern "Pinocchio".Dass der hölzerne Hampelmann Pinocchio mit der langen Nase einmal zu einem italienischen Symbol, vor allem zu einem Verkaufsschlager rund um Collodi, einem kleinen Ort zwischen Lucca und Pistoia, wird, konnte sein Erfinder, der Journalist und Schriftsteller Carlo Lorenzini (1826 – 1890), nicht ahnen. Collodi, wie er sich nach dem Geburtsort seiner Mutter nannte, war in seiner Zeit ein verdienter Autor von Schulbüchern, in denen Literatur und Lehrstoff miteinander verbunden waren. Die Abenteuer des Pinocchio waren zunächst Geschichten, die 1881 in zahlreichen Folgen in der Kinderzeitschrift Il Giornale dei bambini erschienen. Doch das „Fine“, das Collodi unter die Szene geschrieben hatte, in der Pinocchio von zwei Banditen an einer Eiche aufgehängt wird, ließ der Verleger nicht gelten und Collodi daher Pinocchio mit Hilfe der gütigen Fee mit den blauen Haaren weiterleben. 1883 erschien dann die erste Buchausgabe von Pinocchio unter dem Titel Le Avventure di Pinocchio. Storia di un burattino.
Collodi hat hierfür den in die Zeitschrift aufgenommenen Lehrstoff herausgenommen. Und im Unterschied zum Volksmärchen verwendet Collodi die Alltagssprache, Elemente der Kindersprache wie Lautmalerei und „sprechende Namen“ und lässt seinen Protagonisten wie im Puppentheater seine Erkenntnisse und Gewissensbisse selbst zusammenfassen bzw. kommentieren.Ihr Überdauern verdankt die Geschichte vom Hampelmann Collodis Fähigkeit, vielfältige Traditionen und Motive zu verschmelzen. So enthält sie Elemente des Märchens (Feen und wundersame Länder) und der Fabel (Tiere wie die lehrmeisterliche Grille oder die beiden Gauner Fuchs und Katze mit menschlichem Gehabe), des Erziehungsromans (pädagogische Leitlinien), der Morallehre (analysierende Reflexionen) und der Sozialsatire (Karikaturen von Richtern und Ärzten).Ein Stoff zum TräumenEin idealer Filmstoff also und durchaus nachvollziehbar, dass es Fellini gewesen sein soll, der ihn mit Roberto Benigni, dem er bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film den Spitznamen Pinocchietto gegeben hat, in der Hauptrolle verfilmen wollte. In Italien ist Roberto Benignis Pinocchio, der teuerste italienische Film aller Zeiten, seit seinem Start im Oktober 2001 zu einem Kassenschlager geworden. Bei seiner Umsetzung konnte sich Regisseur und Darsteller Benigni auf Danilo Donati, den wenige Tage nach Abschluss der Dreharbeiten Ende 2001 gestorbenen Großen unter den Bühnen- und Kostümbildnern verlassen. Der vielfach ausgezeichnete Donati arbeitete mit Monicelli, Pasolini, Zeffirelli und hauptsächlich mit Fellini zu-sammen. Den italienischen Filmpreis erhielt er u.a. als bester Kostüm- und Bühnen-bildner für La vita è bella von Benigni (1997). Die Sorgfalt, die auf Kostüme (orientiert an Vorlagen des französischen Illustrators Honoré Daumier), Szenenbilder und Masken verwendet wurde, die Üppigkeit und technische Perfektion der Spezialeffekte, mit der die Szenen im Schlaraffenland – z.B. die Verwandlung der Jungen in Esel – und die im Haifischbauch ausgestattet wurden, sind hervorzuheben. Preiswürdig ist je-doch die Verbindung von digitaler Technik und der ästhetischen Umsetzung von Bildern, die gestern wie heute, nah und fern spielen können, eben zeit- und ortlos und wunderschön sind.Pinocchio ist BenigniPinocchio, der aus einem Pinienscheid geschnitzte Hampelmann, der kaum hat ihm Meister Geppetto einen Mund gegeben, auch schon mit dem Reden loslegt und dann, kaum fertig geschnitzt und mit einem schönen Anzug und dazupassender Kappe bekleidet, herumturnt und fast nicht mehr zu bremsen ist.
Los legt auch Roberto Benigni in dieser Rolle, der – im wirklichen Leben fünfzig Jahre alt - wie ein 14-Jähriger durch die Szene wirbelt.Benigni spielt nicht nur die Hauptrolle, er ist Pinocchio; und da wird er dann doch ein bisschen aufdringlich; denn der Hampelmann ist nicht ein aus Holz geschnitzter Burattino, dessen Material schon auf eine Distanz verweist, sondern er ist stets Benigni; aber möglicherweise ist dies in einer Geschichte mit einem solchen Protagonisten, in einer Geschichte, die nun mal vom Erwachsenwerden eines Jungen, vom Entdecken der Welt mit allen guten und schlechten Seiten handelt, nicht zu umgehen. Nicoletta Braschi als Fee mit den blauen Haaren bleibt unnahbar, aber wenig geheimnisvoll. Sie scheint nur für Pinocchio da zu sein; ihre in der literarischen Vorlage geschilderte mysthische Aura wird nicht vermittelt. Daneben kommen die Charaktere des Geppet-to, der in ständiger Sorge um seinen Sohn seine letzte warme Jacke hergibt, der schulmeisterlichen sprechenden Grille, die mit ihre guten Ratschlägen nie ernst genommen wird, das Gaunerpärchen Fuchs und Katze besser zur Geltung; vielleicht auch weil sie eindeutiger festgelegt sind.Und die Lehre?Benigni hat sich sehr nahe an der Vorlage orientiert, und dazu auch das Recht. Die nach Anlaufen des Films in Italien Anfang Oktober 2002 ausgelöste Debatte, in der es um Kritik an seiner Umsetzung, um die Vermarktungsstrategien, um die Verbindungen zu den Medienunternehmen von Berlusconi geht, zeigen die Nöte, vor allem der italienischen Linken. Man sollte jedoch aus eigenem Umgenügen heraus nicht alles in einen Topf werfen, und einen Künstler schon dafür verurteilen, dass er ein unpolitisches Thema aufgreift, zumal er sich bisher sehr eindeutig politisch geäußert hat. Und man sollte auch nicht die Aussagekraft von Kinderliteratur schmälern, und unterscheiden zwischen den kindlichen, im wahrsten Sinne noch unschuldigen Streichen und Lügen und denen, die aus Kalkül von Erwachsenen veranstaltet werden.
Sich damit auseinander zu setzen, ist nicht nur eine Aufgabe von Kulturschaffenden, sondern von allen.„Die linkische Holzfigur ist vom Schicksal dazu bestimmt, stets der „Andere“ zu sein, das andere Ich, das jeder von uns in sich trägt; sie steht für das verlorene Verlangen, die Doppeldeutigkeit der Erscheinung, die Illusion, das Phantasma – kurz: Pinocchio ist die Kehrseite unseres Ichs, seine andere Dimension, und darin liegt die überra-schende Modernität der Figur.“ (Antonio Tabucchi) Zwischen Magie und Entzauberung bewegt sich der Schluss; er hat nichts und alles, denn wenn Pinocchio als „richtiger“ Junge das Schulhaus betritt, bleibt sein Schatten vor der Tür und macht sich sogleich davon ... zu neuen Abenteuern?
- Claudia Schmiderer: Nichts ist
Claudia Schmiderer: Nichts ist
mehr so wie es war – wie oft wurde dieser alles und nichts sagende Spruch doch innerhalb des letzten Jahres immer wieder und in unterschiedlichen Zusammenhängen geradezu inflationär bemüht.Nachdem – wie BILD ihrem Niveau entsprechend titelte – die brennenden Kinder vom Himmel gefallen waren, nachdem ein Jugendlicher das Blutbad von Erfurt angerichtet hatte, nachdem zwei Boeings letzten September in das World Trade Center gerast waren. Und jedes Mal wurde dieser Satz – selbstverständlich mit dem entsprechenden Unterton der Betroffenheit – in den Nachrichten geäußert, so als erlebten wir nun eine komplett veränderte Welt, als hätten diese Geschehnisse tatsächlich irgendeine Auswirkung auf den Weltenreigen.
Es mag ja hie und da noch Hoffnung bestehen, dass der Mensch an sich lernfähig sei, dass im Kampf zwischen den Mächten der Dunkelheit und des Lichts, letztere obsiegen. Zumal es dazu eine Methode – oder besser: eine Zauberformel – zu geben scheint, die all dies gewährleistet. Kompetenz ist das Ziel, der Weg dorthin ist vielen dringlichste Aufgabe und verspricht Erfolg. Zum Beispiel wissen wir, dass Teamarbeit gut ist. Noch besseres verheißt allerdings die Kompetenzteamarbeit; mehr an Qualität kann man gar nicht erwarten.Competentia, die Eignung, Fähigkeit, das Vermögen, bildet sich aus durch ‚das Zusammentreffen’ von Wissen und Erfahrung, durch die Anhörung von Anerkennung ebenso wie von Kritik und schließlich durch Reflexion, durch prüfendes und vergleichendes Denken.
Dieses jedoch befindet sich im eher konjunkturellen Abwind, die Belebung des Mitgefühls dagegen voll im Trend. Und dies ist wohliges Behagen, ist man einerseits nicht direkt und hautnah betroffen, und doch ganz (Mit)Mensch. Deshalb stimmt der Satz nicht, denn es ist alles genauso wie immer und zudem zu fürchten, dass sich daran auch so schnell nichts ändern wird. Aber wollen wir das überhaupt?
- Claudia Schmiderer: Der Traum der Vernunft
Claudia Schmiderer: Der Traum der Vernunft
erzeugt Ungeheuer. - In Gestalt dunkler Vögel erscheinen die Ungeheuer in der Goya-Radierung aus dem Zyklus „Caprichos“, der Ende des 18. Jahrhunderts entsteht. Die Fantasie, von der Vernunft, die schläft, verlassen, gebiert Monstren, die ihr Unwesen treiben. Auch wenn dieses Bild den künstlerischen Schaffensprozess thematisiert, ist es eine heute aktuelle Allegorie, die wir auf die Entstehung unserer Gedanken- und Bildwelten übertragen können. Zumindest wenn wir davon ausgehen, dass „ein Platzwechsel zwischen Realität und Fiktion“ stattgefunden hat, dass eine Abstraktion der Bilder erreicht ist, „in der anstelle der Dinge und Menschen Bilder von Dingen und Menschen grassieren“ (Dietmar Kamper). Wenn wir zudem noch die Schlussfolgerungen aus den Experimenten der Hirnforschung unterstützen, dass letztendlich der freie Wille eine Illusion ist, bleibt die Frage zum Beispiel nach Schuldfähigkeit scheinbar offen. Der Täter wird zum Opfer und umgekehrt.Wieso steht das Thema „Simulation“ heute derart im Vordergrund, hat es die unterschiedlichsten Formen davon doch schon immer seit Beginn der Menschheitsgeschichte gegeben.
Die Antwort kann nur lauten, dass sie mittlerweile eine so deutliche „reale“ Bedeutung gewonnen hat, dass nach ihrem Einfluss auf Entscheidungsprozesse und gesellschaftspolitische Entwicklungen gefragt werden muss. Dennoch kann ihre zunehmende Bedeutung niemals als Rechtfertigung für abgetretene Verantwortlichkeiten herhalten. Gerade dies aber findet statt, nicht erst heute und nicht nur heute. Medien – schnell polarisieren sich die Meinungen, wenn es um ihre Beurteilung geht. Sie sind aber keine abstrakten Gebilde, sondern werden von Menschen geprägt und verändert. Menschen suchen die Bilder aus, die von ihnen ausgeschickt werden; Menschen machen die Bilder, die um die Welt gehen, und Menschen legen den Grundstein für die Tatsachen, die auf Bilder gebannt werden. Und die Tatsachen handeln eben auch von Gewalt und Krieg, Töten und Leiden.
Die Utopie eines „Sonnenstaates“, wie sie Campanella 1602 entwirft, ist eine trügerische, verbirgt sich doch dahinter die absolute Uniformität und Überwachung. Das Ideal eines funktionierenden Staates macht viele anderen Träume überflüssig. Und ohne ihn haben wir zumindest noch eine Ahnung von dem Gefühl zwischen „Uhren und Wolken“ zu sein. Dieser Titel eines Aufsatzes von Karl Popper „Zum Problem der Vernunft und der Freiheit des Menschen“ bezieht sich auf zwei physikalische Systeme, die unterschiedlicher nicht sein können: den ungeordneten, in der weiteren Entwicklung wenig voraussagbaren Zustand von Wolken und denjenigen von Uhren, die ein regelhaftes, geordnetes und ziemlich voraussagbares Verhalten zeigen. Hier gibt es noch Platz für Entscheidungen, allerdings nicht, ohne Verantwortungen zu übernehmen. Solange wir die Ungeheuer nicht entlassen, wird der Alb auch nicht über den Schlaf triumphieren.
- Claudia Schmiderer: Buddy
Claudia Schmiderer: Buddy
Buddy lebt nicht mehr. Wer ist Buddy?
An dieser Millionen-Frage wäre ich gescheitert, hätte ich das heute -Journal- in der ersten Januar-Woche verpasst, in der jenem berühmten Labrador-REtriever der Clintons, dem einstigen "FirstDog", sogar ein Filmbeitrag gewidmet wurde.Wahrscheinlich wäre diese Nachricht auch nicht so sehr in meiner Erinnerung haften geblieben, wenn sie am Ende der Sendung inmitten zwischen Bildreportagen aus Afghanistan und Kaschmir platziert gewesen wäre. Das gibt zu denken. Oder doch nicht?"Die Bürger der Moderne, Konsumenten des Ereignisses als Spektakel, sind darauf dressiert, auf "Lauterkeit" zynisch zu reagieren." Genau. Aber es gibt einfach zu viele Dinge, "denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken sollen, und es ist nur verständlich, das wir uns schlecht fühlen." ( Susan Sontag, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 296, 24. Dezember 2001)Dennoch können wir trotz der anschwellenden Bilderflut - und nach wie vor werden ja (siehe oben) immer die schlechten Nachrichten verkündet - nicht verlernt haben, die Botschaften zu unterscheiden und uns den Aussagen des Gezeigten zu stellen.
Susan Sontag bezeichnet ihre Meinung, dass wir aufgrund der von Bildern übersättigten Welt abstumpfen ( "Über Fptpgrafie"., 1972 ), inzwischen als konservativ, da die Realität durch ihre Repräsentation abgelöst wurde und gerade deshalb Bilder noch nie so mächtig waren.in der Tat werden die Welt und die Menschendieser Welt Repräsentiert, Medienbildern und darin sehr unterschiedlich. und so gibt es gute und böse Tote; bei letzteren werden bevorzugt die Schlechten ins Bild gerückt, vielleicht um damit dn vemeintlichen Abzug des Bösen aus der Welt zu signalisieren. In Greenways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihre Lienhaber" hat der Koch Richard beobachtet, dass die menschen besonders diejenigen Dinge schätzen, die schwarz und teuer sind, wie z.B. Trüffel. Sich das Kostbare einzuverleiben, heisst, sich ein Stück leben zu kaufen. So werden Biler wieder deckungsgleich.Zum Schluss aber doch noch ine gute nachricht: Socks lebt.
- Claudia Schmiderer: Eine runde Sache
Claudia Schmiderer: Eine runde Sache
Die Sache scheint, auch wenn Rückschlage immer wieder zu verzeichnen sind, klar: Money makes the world go round. Und die kleinen Ecken und Kanten, die ab und an auftauchen, Peanuts. Keinem soll ja verwehrt sein, sein hab und Gut so gut wie möglich zu mehren. Dabei helfen inzwischen auch die Öffentlich-REchtlichen. Und so warten wir fast Abend für Abend gespannt auf den netten Herrn Lehmann, der die Dax-, Nemax-, M-Dax-, Nasdaq-, Dow-Jones-, und Dollar-Prognosen für den oder die kommenden Tag(e) verkündet. Allerdings bin ich etwas verunsichert, denn seine Worte fallen häufig sehr herablassend und ironisch aus. Und ich frage mich, ob sich dieser Ton auf das Auf und ab der Kurse bezieht oder sich an diejenigen richtet, die ihm zusehen und -hören und von seinen Vorhersagen abhängig wie diejenigen, die auf Platz und Sieg gesetzt haben und nun den Kommentar vom Ziellauf eines Derbys verfolgen.
Na ja, Menschen und gestandene Männer wie Kirch oder Haffa - wenn sich noch jemand an ihn erinnern kann - kümmern diese paar Minuten vor der Tagesschau ohnehin recht wenig, haben sie doch ihre eigenen Berater und Förderer oder wissen zumindest, dass das Motto nur lauten kann: Lebe ehrlich, werde reich! Schön wär's ja schon. Aber wie? Mit Arbeit und Ehrlichkeit allein wird's wohl nicht klappen. Lotto, Toto, Jauch oder Glücksspirale - und dann auf Anraten des oben erwähnten Herrn gut anlegen. Oder gibt's nicht doch noch etwas anderes?Sie glauben es nicht, aber inzwischen und ohne dass es an die grosse Glocke gehängt wird, es gibt so viele Geldquellen wie nie. Dann nichts wie ran. Allerdings müssen sie schon in bestimmten Berufen arbeiten, und zwar unter anderem in solchen, die mal den guten Ruf hatten, im sozielen Ensemble tätig und erfolgrerich zu sein. Denn hier in den Bereichen Medizin, Pharmazie, Pflegetätigkeit, in Krankenhäusern wie Altenheimen geht bald mehr ohne 'Spenden'.
Um allerdings in den späten Jahren mal nicht an einem Ort zu landen, wo man sihc eines würdigen Menschenseins nicht mehr sicher ist, muss man rechtzeitig damit anfangen, sich das nötige Polster zu schaffen. Vielen wird dies nicht möglich sein. Und zu den vielen, die schon heute keine Arbeit haben, werden bald noch einige dazu kommen. "Sentimentalitäten", so Herr Lehmann am Montag "haben an der Börse keinen Platz. Sie ist herzlos. Eiskalt. Bis morgen". Nur wird das morgen diejenigen der heute noch Lohnempfangenden bei Kirch oder Holzmann nicht mehr interessieren.
- Claudia Schmiderer: Ich steckte meine Seele in diese Reise
Claudia Schmiderer: Ich steckte meine Seele in diese Reise
Eine fremde Kultur in einem fremden Land strahlt nach wie vor eine fast magische Anziehungskraft aus. Ob erzählte Geschichten oder sensibel in Film umgesetzte BIlder, je ästhetischer diese Umsetzung gelingt, umso weniger ist es möglich, sich ihrer Schönheit zu entziehen. So wird auch das sich Einlassen in die Geschichte der afghanischen Journalistin Nafas zu einer Gratwanderung zwischen einerseits der Hingabe an die Schönheit der Bilder des iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf in seinem Film "Kandahar" und andererseits der Erinnerung an die Schreckensbilder aus dem mit versteckter Kamera gedrehten Dokumentarfilm der britischen Journalistin Saira Shah, die als Tochter eines Afghanen in das Land des Vaters resit, um dort die von ihm beschriebenen blühenden Gärten zu suchen, aber Unterdrückung und Armut findet.Umsich nicht gänzlich von dem Fluss der betörenden Farben und der fremden Sprache in Makhmalbafs Film mitreißen zu lassen, muss man sich häufiger die Realität in Afghanistan vor Augen halten, sich auf die Internet-Seitee der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) (www.rawa.org) besinnen, auf denen das ganze Ausmaß der Unterdrückung in diesem Land deutlich wird.
Eine Reise ins UngewisseMakhmalbaf, 1957 in Teheran geboren, der als einer der bedeutendsten und auch populärsten iranischen FIlmemacher gilt, hat sich bereits 1998 in seinem Film "The Cyclist" mit dem Thema Afghanistan auseinander gesetzt. Sein Drehbuch für diesen Film nun geht auf eine wahre Begebenheit zurück. Danach hat eine junge Frau, die vor dem Terror aus Afghanistan nach Kandad geflüchtet war, ihn vor einiger Zeit gebeten, sie auf ihrer Reise dorthin zu begleiten. Sie hatte den Hilferuf einer Freundin erhalten, die drohte, sich aufgrund der unwürdigen Lebensbedingungen umzubringen. Makhmalbaf hat die jungeFrau damals zwar nicht nach Afghanistan begleitet, diese Geschichte aber aufgeriffen, um daraus das Drehbuch für "Kandahar" zu machen, das in einer Art Reisebericht abgefasst ist.So ist, und dies muss man sich während des Filmes immer wieder vergegenwärtigen, "Kandahar" kein dokumentarischer Film, sondern ein Spielfilm, in den Makhmalbaf sein ganzes Wissen über das Land einfließen lässt. Fast kommt das Gefühl auf, dass er durch seine Bildästhetik den Eindruck von Hoffnung vermitteln und auch die Schönheit der Frauen zum Ausdruck bringen will, die unter der Burka - dem von den Taliban verorneten Bewand, einem Baumwollgefängnis gleichend - vollständig verhüllt und eingeschlossen sind.Nafs, jene nach Kanada ausgewanderte junge Frau, deren Nama soviel wie !Atmung! bedeutet, macht sich auf den Weg nach Kandahar, um ihre Schwester ( nach der wahren Begenheit ist es die Freundin ) zu finden. Als Frau allein kann sie sich jedoch nicht weit bewegen, daher ist sie auf die Unterstützung von sie begleitenden "Ehe"männern angewiesen.
Bei jeder Gelegeheit lüftet sie die den Atem hemmende Burka, auch um die Welt nicht ständig als hinter Gittern wahrzunehmen, sondern in ihrer Gesamtheit. Diese befreiende Geste ist den anderen Frauen nicht möglich. Auf ihrer Reise nach Kandahar zeigt sich Nafas ("ich steckte meine Seele in diese Reise") die afghanische Wirklichkeit: die Unterdrückung der Frauen, unter anderem durch die Pflicht, sich in die Burka zu hüllen, unter der auch Pudrdose und Lippenstift zu verschwinden haben, anschaulich und begreifbar gemacht auch in der Szen beim Arzt (Hassan Tantai), der durch einen Vorhang von der Patientin getrennt nur über dritte mit ihr sprechen darf; die vielen Minenopfer, jeder Hoffnung entgegenhinkend - in diesem Fall sind es von Flugzeugen abgeworfene Beinprothesen; die traurigen Lieder zur Hochzeitsfeier; die Abhängigkeit von er Gunst der Mullahs, die über eine geregelte Zukunft eines Kindes entscheiden, deutlich gemacht an dem Jungen Khak (Sadou Teymouri), der nicht für widrig befunden wird, die Koranschule zu besuchen und so auf Geldverdienen angewiesen ist.Die Wirklichkeit hinter den BildernMakhmalbafs Aufsatz "The Buddah Was Not Demolished in Afghanistan; He collapsed Out Of Shame" (www.makhmalbaf.com) ist die realistische Ergänzung zu diesem anrührend schönen Film.
Hier beschreibt er die Ursachen für das Leid, das die afghanische Bevölkerung ertragen muss; die (Nicht-)Wahrnehmung dieses fremden Landes durch die restliche Welt; die Verminung des Landes durch die verschiedenen Stäme, eine Verminung gegen das eigene Volk; die Aufsplitterung des Landes in viele verschiedene Volksgruppen und die damit einhergehende fehlende afghanische Identität.Die einzigen modernen Dinge, so Makhmalbaf in seinen Ausführungen, die es in Afhanistan gibt, sind Waffen. Nach dieser nicht gerade optimistischen Feststellung ist sein Film möglicherweise umso mehr als ein Versuch zu sehen, diesem Land auf seine Art und Weise Anerkennung zu seigen und Hilfe zu bringen.Die Aufmerksamkeit hat 2Kandahar", der im Mai 2001 in Cannes den Preis der ökumenischen Jury erhielt, erst Ende des Jahres aufgrund der dem 11. September nachfolgenden ereignisse eingeholt. Ob Afghanistan inzwischen nach der Befreiung vom Taliban - Regime in eine hoffnungsvollere und freiheitliche Zukunft blicken kann, ist für uns heute wahrscheinlich noch genauso wenig vorherzusehen wie für die Einwohner selbst. Denn auch die Zeit vor den Taliban war von Repressionen und Armut geprägt, nur war es das land damals noch nicht wert, mit der heutigen Aufmerksamkeit bedacht zu werden.
Beitrag aus Heft »2002/01: Medienwirklichkeiten: der 11. September«
Autor: Claudia Schmiderer
Beitrag als PDF - Claudia Schmiderer: Loop - Alles auf Anfang
Claudia Schmiderer: Loop - Alles auf Anfang
lautete der Titel einer Austellung, in der sihc Künstler mit dem Phänomen "Zeit" befassten, in der die Zeit in kleine Teile zerlegt und durch ständige Wiedrholung in ihrem Fortschreiten angehalten wird. Die gezeigten, dem Alttagsleben entnommenen Filmschleifen lassen sich ebenso gut auf grössere Zusammenhänge, auf geschichtliche Zeitabschnitte übertragen."Der jetzige krieg hat gewisse Begriffe allgemein in Gang gebracht. Man kann nicht sagen, dass dieses schon oft geschehen sei. Nein, niemals so! nach der Erfindung der Buchdruckerei, nach der Reformation, nach dem Etablissement so vieler Zeitungen und Journale, nach so vielen Leihbibliotheken und nach der entstandenen Lesesucht, die gewiss nie so allgemein war..." Doch was hat uns der Zugang zu Wissenschaft, Literatur und Kunst, zu den guten wie schlechten nachrichten aus der ganzen Welt, was hat uns die Vielzahl der Medien und die (zeitliche) Ausführlichkeit der Berichterstattung gebracht? Viele Meinungen?
Ob Bundestag oder Presseclub, Christiansen oder Berlin Mitte, der Eindruck verhärtet sich, dass im Moment nur eine Meinung akzeptiert wird, will man als Mitglied der zivilisierten Welt behandelt werden. Dass wir zivilisiert sind, daran besteht kein Zweifel, und die Antwort dieser Weltseite kann nur eine politische sein, die sich in einem Krieg für menschenrechte und Freiheit äussert. Dies geht so weit, dass eine andere Meinung zu haben bedeuten könnte, aus der Geschichte auszusteigen. Als wäre das - zumal für ein Land wie Deutschland - möglich!Wie steht es um die Kritikfähigkeit in einem Land, in dem wieder zunehmend die Begriffe Bildung und Wissen auf breiter Ebene diskutiert werden? Ist nicht vielmehr das Bildungswissen einem Funktionswissen gewichen, und sind nicht Kritik und freie Meinungsäusserung verschwunden zugunsten dem sicheren Gefühl von Orientierung am Mainstream?
Das Aushalten von offenen Fragen, die Äusserung von Zweifeln, das Zugeben kognitiver Unsicherheit ist nicht angesagt in einem Teil der Welt, der für sich in Anspruch nimmt, alleiniger Garant der Freiheit zu sein. Nicht die Antworten sind entscheidened, sondern die Freiheit zur eigenen Meinung, sei sie auch mit noch so vielen Fragezeichen versehen. Aber die Freiheit gleichzusetzen mit der Aufgabe von Zweifeln am eigenen Tun, führt wieder - um die Klammer zu schiessen - zurück zu Lichtenberg in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, das von zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht nur in Europa erzählt. "... Es kommt so vieles zusammen, was nie vorher beisammen war, und nicht beisammen sein konnte, was unsere Zeiten zu den merkwürdigsten macht, die je gewesen sind. " Alles auf Anfang?
- Claudia Schmiderer: Im All
Claudia Schmiderer: Im All
„Es ist ein gutes Gefühl, im All zu sein“, sagte Yang Liwei, der gerade die Erde in der ersten bemannten chinesischen Raumkapsel 14 Mal umrundete. Ja, wahrscheinlich ist dieses ‚außerhalb der Welt sein’ eine einzigartige Erfahrung, die (noch) nicht als Pauschalangebot zu buchen ist. Doch gibt es daneben unzählige andere Wege, sich von dieser Welt zu distanzieren, ob mancher weltlichen Realitäten zu flüchten. Und sollten die Auswege nicht in der wirklichen Welt zu gehen sein, kann auf eine imaginäre, virtuelle wie die des Cyberspace zurückgegriffen werden. Der Ausbruch, das sich wieder Herauslösen aus der Immanenz des Imaginären jedoch wird nicht einfach werden. „Der Bildschirm bietet zwar Schutz vor der Realität, aber er stützt das Imaginäre als Verkehrsform.“ Das Medium wird, so Dietmar Kamper weiter, zu einem Gefängnis, in dem die Menschen „nicht mehr so sehr in Geschichten verstrickt als in Bildern und Situationen verfangen“ sind.
Die Wirklichkeit erscheint als freier Fall und es entsteht „eine ubiquitäre Bilderhöhle, die zur Hölle mutiert, indem sie dem Leitspruch folgte: Es gibt kein Jenseits der Medien.“ (Kamper. Bildstörungen, 1994)Der 12-jährige Cosimo Piovasco di Rondò wählte an einem sommerlichen Spätnachmittag des Jahres 1767 aus Verdruss über die penetrante autoritäre Haltung und die Unbeweglichkeit seiner aristokratischen Familie einen anderen Weg, um der Freiheit ein Stück näher zu kommen. Er lebte fortan – auf den Boden der harten Tatsachen herabblickend – auf den Bäumen. Und obwohl er und sein Hund Ottimo Massimo sich sehr von allen Menschen und Hunden auf der Welt unterschieden, „konnte man von ihnen sagen, dass sie als Mensch und als Hund glücklich waren“.
Am Ende seines Lebens machte der sterbende Cosimo dann noch einmal einen jener Sprünge, „die ihm in seiner Jugend keine Schwierigkeiten bereitet hatten.“ In dem Moment, als sich eine von einer Bö erfasste und vom Wind fortgetriebene, mit Fransen, Ornamenten und Schleiern geschmückte Montgolfiere über dem Wipfel seines Nussbaums befand, klammerte er sich an das lange Seil, an dem der silbrige Anker hing. „So sahen wir ihn fliegen, vom Winde fortgerissen und kaum den Flug des Ballons behindernd, bis er in Richtung des Meeres verschwand ...“ (Italo Calvino. Der Baron auf den Bäumen, 1984)
- Claudia Schmiderer: Helden
Claudia Schmiderer: Helden
Weltverbesserer scheinen sich, je älter die Welt wird, umso rasanter zu vermehren. Und damit davon auch die Welt Kenntnis bekommt, werden sie in glanzvollen Galen gefeiert. Christopher Reeve, Michael Douglas, Jan Ullrich und Siegfried & Roy: Sie stehen stellvertretend für die insgesamt 14 Wohltäter der Menschheit, denen in diesem Jahr ein ‚World Award’ verliehen wurde. Bei der Fernseh-Übertragung des Events beziehungsweise beim zufälligen Hineingeraten in die „Nacht der Weltstars“ überwog zunächst Ratlosigkeit, da nicht so ganz klar wurde, warum ausgerechnet jene Menschen diesen Preis erhielten. Also bei einer Oscar-Verleihung weiß man, worum es geht: natürlich um die Qualität oder auch häufig nur um den kommerziellen Erfolg eines Medienprodukts.
Dass gute Taten ebenfalls ausgezeichnet werden, hat indes eine ebenso lange Tradition und geht offenkundig auch wieder auf gerade diese Anfänge zurück. So waren denn die antiken Circenses den heute üblichen Ehrungen wohl recht ähnlich. Die Beziehung des Wohltäters zu seinem Publikum war physisch. Der Honoratior, der Plebs seines Dorfes überlegen, war in seiner Stadt deshalb groß, weil er sich in ihren Augen und zu ihrem Vorteil verdient gemacht hat. Oft genug jedoch ging das Publikum davon, ohne zu wissen, ob es von seinem Wohltäter geehrt oder gedemütigt worden war.Diese Unsicherheit ließe sich heute auf all diejenigen modernen Circenses anwenden, die – ob auf medialem oder wirklichem Boden – unter Mitwirkung sich produzierender Dilettanten stattfinden.
Unglücklich das Land, das keine Helden hat? Weit gefehlt. Denn das Gute liegt so nah. Sie umgeben uns ständig, die im besten Alter stehenden Helden des Alltags, die unsere Welt täglich und immer aufs Neue verbessern.Da wird in Seiten langen Interviews Auskunft gegeben über Bücher, die bereits geschrieben sind, da werden ständig neue Seiten bedruckt mit Buchstaben, die in jeder beliebig anderen Mischung schon hundert Mal versagt haben, Reden werden gehalten über beendete und künftige Projekte zum Wohle aller oder auch nur weniger. Nur eines wird nicht getan. Geschwiegen. Worte haben indes jedoch nur dann Sinn, „wenn noch niemand bemerkt hat, dass etwas schief läuft“. (Umberto Eco: Obwohl das Reden vergeblich ist. Glossen und Parodien 1963– 2000) Polemik? Glücklich das Land, das keine Helden braucht!
- Claudia Schmiderer: CD-ROM Medienpädagogik 2000
Claudia Schmiderer: CD-ROM Medienpädagogik 2000
Im Rahmen der medienpädagogischen Aufklärungskampagne „Kinder und Medien“ - ein Gesamtprojekt des Südwestrundfunks Baden-Baden und der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK) -, die als Langzeitprojekt 1997 gestartet wurde, ist nach der ersten CD-ROM eine zweite erweiterte Auflage der Text- und Materialiensammlung erschienen: „Medienpädagogik 2000“.
Nach dem digitalen Gang durch die angebotenen sechs Themenfelder liegt die Vermutung nahe, dass diese Fassung noch nicht die letzte sein dürfte. Der im Begleitheft formulierte Aufruf zur Mitarbeit an der Ergänzung und Verbesserung der immer eine work in progress bleibenden CD-ROM ist Beleg dafür und sei an dieser Stelle erst einmal unkommentiert erwähnt.
In der zweiten Auflage wurde das Hauptmenü erweitert und beinhaltet nun die Themenfelder: Sachgebiete, Software-Anwendungen, Basisdaten Medien, Institutionen/Anbieter, Projekte und Unterrichtsmaterialien. Zu den jeweiligen Sachgebieten Mediennutzung, -wirkung, -geschichte, -theorie, Neue Medien und Praxisfelder Medienpädagogik gibt es neben einem Einführungstext ausgewählte zum Teil als Volltext abrufbare Literatur und Links zu thematisch ähnlichen Texten. Unter „Bibliographie“ befindet sich eine Auflistung von Literaturhinweisen aus den Volltexten des jeweiligen Sachgebiets. Videoeinspielungen, die bereits aus den Jahren 1995/96 stammen, sind zu den Bereichen Mediennutzung, Medienwirkung und Neue Medien vorhanden.Der Menüpunkt „Software-Anwendungen“ enthält neben der Literaturdatenbank ISM-Light die Datenbank Search & Play Plus, in der u.a. Video- und Computerspiele beschrieben und beurteilt werden, und eine Demo-Version der CD-ROM Medienbildung, die die Bereiche Medienpädagogik, Kommunikation und Fernsehen behandelt und vom Pestalozzianum Zürich herausgegeben wurde.
Die Literaturdatenbank ISM-Light ist die verkleinerte Version (ca. 13.000 Nachweise) der Literaturdatenbank „Informationssystem Medienpädagogik“ des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), die 23.500 Einträge zum Thema Medienpädagogik und Medienforschung enthält. Warum hier die Light-Version enthalten ist, entbehrt jeder Logik.Für das Themenfeld Basisdaten Medien wurden Statistiken aus „Media Perspektiven“ und ausgewählte Mediengesetze zusammengestellt und die aktuellen (Stand 1999) Adressen der Bildstellen aller Bundesländer verzeichnet.Unter dem Menüpunkt „Institutionen/Anbieter“ finden wir dann die an der Produktion der CD-ROM beteiligten Einrichtungen sowie eine kleine Auswahl weiterer für den Anwendungsbereich zuständige Fachzeitschriften, Verlage und Institutionen. Zusätzliche Inhalte des Menüs sind Projekte, die von den CD-Produzenten initiiert wurden. Unterrichtsmaterialien zu den einzelnen Sachgebieten wurden unter dem gleichnamigen Menüpunkt zusammengestellt. Hier handelt es sich wohl auch erst um den Einstieg in das Thema, werden doch zum Bereich Mediengeschichte gerade einmal drei Titel aus dem Schulfernsehen SWR genannt: Mittelalterliche Buchkultur, Mensch und Technik, Geschichte der Medien. Auch dieser Punkt ist ausbaufähig.
Die CD-ROM „ISM 2000“ enthält Daten aus, wie es im Beiheft heißt, sechs der wichtigsten deutschen medienpädagogischen Informationsstellen. Recherchiert werden kann entweder über alle Datenbanken oder durch Verknüpfungen zum Beispiel zwischen den drei Literaturdatenbanken des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LfR).
Ein weiterer Bestandteil ist der „Grundbaukasten Medienkompetenz“ des ecmc (Europäisches Zentrum für Medienkompetenz GmbH), in dem nicht nur nach Literatur sondern auch nach einer kommentierten Auswahl an Materialien, Internet-Adressen, Institutionen zum Thema „Medienkompetenz und neue Medien“ gesucht werden kann.
Beide CD-ROMs sind nicht als Nachschlagewerke zu preisen. Dazu fehlt ihnen eine Konzeption, z.B. hinsichtlich der Kriterien für die Aufnahme und Systematisierung von Daten. Akzeptabel sind sie als erste Orientierungshilfe auf dem Gebiet der Medienpädagogik. Dennoch muss die Frage gestattet sein, warum überhaupt die „billigen“ Scheiben produziert werden müssen, die ja doch viel Geld und Material kosten? Es gibt bereits zahlreiche Datenbanken, die gefüllt sind mit wertvollem Material zur Medienpädagogik. Häufig fehlen dort jedoch die Mittel, um sie ständig zu aktualisieren und zu systematisieren. Hier würde sich der finanzielle Einsatz lohnen, und die Vernetzung dieser Datenbanken hätte auf Dauer gesehen die größeren Vorteile gegenüber den silbernen Scheiben, die bald der Mediengeschichte angehören werden.
- Claudia Schmiderer: Wenig öffentliche Resonanz
Claudia Schmiderer: Wenig öffentliche Resonanz
Die Woche vom 31. Mai bis zum 6. Juni verging für die teilnehmenden Gutachter und Beobachter mit viel Arbeit und wenig Begleitung durch die Öffentlichkeit und die Medien. Der Süddeutschen Zeitung z.B. war der internationale Wettbewerb für das Kinder- und Jugendfernsehen dieses Jahr nicht einmal einen kleinen Beitrag auf der Medienseite wert. Obwohl doch schon im Wirtschaftsteil über Kinderfernsehen berichtet wird, wenn entsprechende Händler einschlägiger Sendungen riesige Börsengewinne einfahren.Themen und PreiseIn der Endausscheidung für die öffentliche Vorführung standen 83 Finalisten, ausgewählt aus über 200 Programmen, die von 86 Produzenten aus 54 Ländern eingereicht wurden. Insgesamt wurden elf Preise (für fiktionale und dokumentarische Formen) verliehen, wobei auffallend viele der ausgezeichneten Produktionen aus Großbritannien, den Benelux- und skandinavischen Ländern kamen.In der Kategorie für Kinder bis zu sechs Jahren gewannen der BBC-Zeichentrickfilm „The first snow of winter“ und die Non-Fiction-Reihe „Blue’s Clues“ (Art Appreciation), produziert von Nickelodeon, New York, in der Kindern auf spielerische und phantasievolle Weise Kunstwerke und verschiedene Kunstformen erklärt werden. Aus dieser Kategorie wurde auch der namibische Beitrag „Tuli“, der einen Tag im Leben des Mädchens Tuli erzählt, ausgezeichnet und zwar mit dem BMW Special Prize für Low-Budget-Produktionen.Für die Altersklasse der 6- bis 11-Jährigen gewannen zwei niederländische Produktionen: „De Daltons“, eine Spielfilmreihe über das Großwerden unter Brüdern und „Groot Licht“, eine heitere, populärwissenschaftliche Informationsreihe, die nach dem Wie und Warum der Dinge, die uns umgeben, fragt.Die nominierten Filme für die Kategorie der 11- bis 15-Jährigen waren von Genre und Inhalt her sehr unterschiedlich.
So beschäftigten sich die Spielfilme mit Themen wie dem Verlust der Eltern durch Krieg, in „Devils of the mangosa tree“ aus Sri Lanka, oder durch Unfall: Im israelischen „The Secrets of Kineret“ geht das Mädchen Kineret den Ursachen des Unfalls ihres Vaters nach, seit dessen Tod sie nicht mehr gesprochen hat. Der Film strahlt etwas Geheimnisvolles aus, das auch die dieses Jahr erstmals tätige Kinderjury dazu bewogen hat, diesem Film ihren ersten Preis zuzuerkennen.Weitere Themen in der Kategorie Fiction waren die üblichen Probleme beim Erwachsenwerden, wie erster Liebeskummer oder Familienstreitigkeiten, wie sie auf der ganzen Welt auftauchen können. Hier wurden sie z.B. in einer iranischen Familie ausgetragen, in der ein kleiner Stein im Reis des Vaters den Konflikt auslöste, den die Kinder mit einer hinter geschlossenen Türen inszenierten Diskussion wieder schlichteten, oder in einer britischen Familie, in der sich Partner zusammenfanden, die Kinder aus früheren Beziehungen mitbrachten. Eine solche Geschichte erzählt die BBC-Reihe „Microsoap“, die 1998 und 1999 traumhafte Quoten erreichte. In der Episode geht es um ein ausgeliehenes und dabei beschädigtes T-Shirt eines Fußballclubs. Was sich die neuen Geschwister an Schikanen ausdenken und wie die Größeren ihre Macht gegenüber den Kleinen ausspielen – wie im richtigen Leben.Die Kategorie Non-Fiction für die 11- bis 15-Jährigen umspannte ebenfalls ein weites Feld: da gab es die traurige Geschichte von den Flüchtlingskindern aus dem Kosovo, „Vesa – Dew Children of Kosovo“, eine Produktion aus Bosnien-Herzegowina; „In the Mix: Teen Immigrants“, die Erzählungen von jugendlichen Einwanderern in Amerika, die sich in einem fremden Land und einer neuen Stadt orientieren müssen; die auf Platz zwei gewählte australische Reihe „Race around the Corner“, in der 12- bis 16-jährige Teenager Kurzdokumentationen über Inhalte drehen, die sie selbst berühren.Als Sieger ging die schwedische Produktion REA hervor, ein Verbrauchermagazin.
Da werden Daunenjacken von verschiedenen Herstellern auf ihre Tauglichkeit in luftiger Höhe, im Gefrierhaus bei 28 Grad minus oder auf ihre Daunenqualität hin geprüft, Outlets werden unter die Lupe genommen oder Computerspiele vorgestellt. Durch die Sendung führen Kinder im Alter von 10 bis 13, die diese Tests auch selbst durchführen und sich nicht scheuen, bei Ämtern oder Verbraucherschutzorganisationen um Rat nachzufragen.Die Kinder-Jury traf allerdings eine andere Wahl als die Erwachsenen: Ihr Favorit war der indische Beitrag „Big Treasure Chest for Future Kids“ über ein tibetanisches Kinderdorf am Fuße des Himalaya. Dort leben Kinder, die von ihren Eltern dorthin gebracht wurden, um nach tibetanischer Tradition und in ihrer Sprache erzogen zu werden. Die Kinder werden angehalten, alles was ihnen wert erscheint für spätere Generationen in eine Truhe zu geben, die erst in fünfzig Jahren wieder geöffnet werden wird. Alle machen sich also Gedanken, was für die tibetanische Kultur erhaltenswert ist. Und so finden sich in der Truhe Bücher und selbstgemalte Bilder über die Geschichte Tibets, über Tiere und Pflanzen, manche Kinder legen Kassetten dazu, auf denen sie Lieder singen oder musizieren.Neue KategorienNeu in diesem Jahr war die Rubrik Light Entertainment, deren Sinn allerdings etwas schwer nachzuvollziehen ist. Der Siegerfilm „My Sister’s World“ kommt aus Norwegen und hat die schon üblichen Sorgen beim Erwachsenwerden zum Thema.Ebenfalls neu im Programm war der Preis für die beste Web-Site eines Programms, wobei hier fünf zur Auswahl standen. Ausschlaggebend für die Entscheidung sollte sein, dass die Seiten ansprechbar für Kinder sind, auch für diejenigen, die noch nicht lesen können. Also wurden hier das Design der Zeichen und der gestaltete Ton bewertet. Die Kombination von High Tech und High Touch war denn auch das ausschlaggebende Kriterium der Web Prize-Jury für die Auszeichnung von „Zoom“ (www.pbskids.org/zoom).
Die Preise der UNESCO und von UNICEF gingen an „White Cap“, einem Film aus Sarajewo, der für Toleranz in der Gesellschaft wirbt, und an den britischen Beitrag „Off Limits – Strong Language“ über ein Mädchen, das für ihr Recht streitet, die Taubstummensprache zu benutzen. Kulturen im VergleichDas Resümee der Moderatoren der Diskussionen war überwiegend positiv, wobei sie vor allem die Beteiligung aus aller Welt und die technischen Fortschritte der Produktionen hervorhoben.Grundsätzlich wurde festgestellt, dass durch das Zapping, das auch den Filmschnitt beeinflusst, die Geschichten flacher werden. Überhaupt wurden Themen, die in vergangenen Jahren eine Rolle gespielt haben, vermisst, so zum Beispiel Politik und Nachrichten oder auch Ökologie.Etwas verwunderlich war die Feststellung, dass in den Spielfilmen zu wenig emotionale Geschichten Platz hatten, denn in vielen Geschichten gab es sehr wohl diese Komponente.Wahrscheinlich ist es schwierig, die Programme aus der ganzen Welt, die ja unterschiedliche Kulturen spiegeln, einheitlich zu beurteilen oder überhaupt eine einigermaßen homogene Meinung darüber zu erlangen.
- Claudia Schmiderer: Schwarze Welt
Claudia Schmiderer: Schwarze Welt
Als 1969 die Apollo-Astronauten nach der geglückten Mondlandung zurückkehrten, ordnete der Präsident der Vereinigten Staaten an, die Küstenstädte zu erleuchten und ehrte damit nicht nur „die Eroberer des Mondes, sondern den Aufschwung einer öffentlichen Beleuchtung, die fortan in der Lage sein wird, die Präsenz des Menschen bis an die äußerste Grenze der Atmosphäre zu offenbaren.“ (Paul Virilio. Rasender Stillstand, 1989). Die Präsenz des Menschen wird inzwischen auf fast jedem Quadratmeter dieses Planeten sichtbar, verstärkt noch durch die Bilder, die er von sich und anderen macht. Nach dem großen Blackout Mitte August, dem Zusammenbruch des Stromnetzes im Nordosten der Vereinigten Staaten und in Teilen Kanadas, der kein Anschlag, sondern „nur“ eine Alltagskatastrophe war, liegt die Frage nach weiteren „Ausfällen“ nicht fern.
Hat nicht gerade ein Student der Geografie in seiner Doktorarbeit aufgezeigt, wie (einfach) die Glasfasernetze, durch die sämtliche Datenmengen strömen, zu lokalisieren und zu zerstören sind. Seine Daten hat er übrigens aus frei zugänglichen Quellen wie dem Internet und Kartografie-Unternehmen gewonnen.Wie jedoch würde die Welt aussehen, wie würde sie sich anhören, sollten alle Bilder und Töne, auf ihrer medialen Reise von einem Ende zum anderen permanent unterwegs, auf einmal verschwunden sein? Und welche Bilder, welches Wissen wären dann noch im Archiv des kollektiven Gedächtnisses gespeichert? Gäbe es noch Erzählungen außerhalb der Bilder? Erinnern sich Menschen anhand von Fotos oder nur noch an Fotos?
Diese Fragen, insbesondere bezogen auf Bilder von Gewalt und Terror, hat Susan Sontag in ihrem jüngsten Essay „Regarding the Pain of Others“ aufgegriffen und dabei ihre Gedanken aus „On Photography“ (1977) neu gedacht. Denn, so die Revision ihrer, wie sie selbst sagt, ehemals „konservativen Kritik“, man muss sich heimsuchen lassen von Bildern, um davon erzählen zu können. „Wenn einer wie ich in den Krieg zieht“, sagt der Kriegsfotograf James Nachtwey, „um alle Welt wissen zu lassen, was da wirklich passiert, dann versucht er auf seine Weise, den Frieden auszuhandeln. Vielleicht haben die Kriegsführenden deshalb so ungern Fotografen dabei.“ Ohne die uns umgebende, sich ständig wechselnde und nicht immer „schöne“ Bildwelt wäre die Welt zweifelsohne farblos, ohne das Erzählen über Bilder wäre sie schwarz.