Prof. Dr. Helga Theunert
Zur Person
Vita
Prof. Dr. Helga Theunert war von 1994 bis 1998 Redakteurin der Zeitschrift merz | medien + erziehung. Sie ist Honorarprofessorin für Medienpädagogik an der Universität Leipzig und wurde für die 17. Legislaturperiode ins Bundesjugendkuratorium (BKJ) berufen, um die Bundesregierung bei der Kinder- und Jugendhilfe zu beraten. Außerdem arbeitete sie an Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Dialogforums Medien und Integration.
Aktivitäten
- ab 1977: wissenschaftliche Mitarbeiterin am JFF - Institut für Medienpädagogik
- 1980 - 2009: Leiterin der Abteilung Forschung des JFF - Institut für Medienpädagogik
- 1994 - 2009: wissenschaftliche Direktorin des JFF - Institut für Medienpädagogik
- 1995 - 2017: Mitherausgeberin der merz | medien + erziehung
- 2009 - 2010: Direktorin des JFF - Institut für Medienpädagogik
Schwerpunkte
- Forschungen zu Medienaneignung in Kindheit und Jugend
- Qualitative Forschungsmethoden
- Medienpädagogik im Bildungssystem
- Konzepte für die medienpädagogische Arbeit in Erziehungs- und Bildungsfeldern
Beiträge in merz
Helga Theunert, Andreas Lange und Kathrin Demmler: Editorial
Familie und Medien: Es ist keine Frage, dass diese Verbindung dauerhaft im Fokus der Medienpädagogik steht. Familie konstituiert in vielfacher und einflussreicher Weise den soziokulturellen und sozioökonomischen Bezugsrahmen für das Heranwachsen. In der Familie werden Kinder zuerst und nachhaltig in Wertesysteme und Lebensstile eingeführt, hier erhalten ihr Menschenbild und Weltverständnis Konturen, werden Bildungschancen und Bildungshemmnisse grundgelegt und vieles mehr. In diesen Bezugsrahmen sind die Prozesse der Medienaneignung in Kindheit und Jugend untrennbar eingebettet.
Die Familienmitglieder bieten dem Kind die ersten und wiederum nachhaltigen Vorbilder für den Gebrauch von Medien, es erfährt mediale Beschäftigungen als anregende, strukturierende, dominierende oder konfliktträchtige Größen des alltäglichen Familienlebens, lernt Medien als Unterhaltungs- und Wissensquelle, als Kommunikations- und Artikulationsmittel oder auch als Flucht- und Suchtmittel kennen. Doch die beiden Pole des Verhältnisses Familie und Medien sind keine stabilen Größen, beide unterliegen Wandlungsprozessen, die mit Veränderungen in gesellschaftlichen Strukturen, seien diese ökonomischer oder ideologischer Art, und mit medialen Entwicklungen, seien diese technischer oder inhaltlicher Natur, zusammenhängen. So ist Familie heute ein vielgestaltiger Sozialraum, der sehr unterschiedliche Konstellationen aufweist, in dem Brüche und Umbrüche zunehmend üblicher werden und in dem vielfältige Erwartungen und Belastungen zu bewältigen sind, die von außen, vor allem von der Arbeitswelt und dem Bildungssystem an den Sozialraum Familie und an seine Mitglieder herangetragen werden: Alleinerziehende, Lebenspartnerschaften, Patchwork-Familien, die Generationen und Zwischengenerationen umfassen, multilokal lebende Familien sind nur einige Stichworte, die auf spezifische Bewältigungsanforderungen im Alltag vieler Erwachsener und Heranwachsender verweisen. Das „Doing Family“ ist eine konstante Aufgabe und eine mit sehr unterschiedlichen Leistungen verbundene Größe heutigen Familienlebens. Als integrierter Bestandteil der Lebensvollzüge und des alltäglichen Gemeinschaftslebens spielen Medien in das „Doing Family“ hinein, in vielfältigen Funktionen und mit konstruktiven ebenso wie destruktiven Anteilen. Im Zuge der Digitalisierung hat die Medienwelt tiefgreifende Veränderungen erfahren: Der aneinandergereihte oder aufgeschichtete Konsum von Einzelmedien ist ergänzt und erweitert um den vernetzten multimedialen und multifunktionalen Zugang zu medialen Inhaltsuniversen und damit verbundenen oder separat in Dienst zu nehmenden Artikulations- und Interaktionsmöglichkeiten mit medialen Mitteln und in medialen Räumen. Das Subjekt ist nicht mehr beschränkt auf den Konsum von Medienangeboten, es kann sich selbsttätig medial zur Geltung bringen. Im Sozialraum Familie geht es entsprechend mittlerweile um weit mehr als um gemeinschaftsstiftende oder konfliktauslösende Medienrezeption. Die Vielzahl und Vielfalt der Angebote evozieren vielerlei divergente Vorlieben. Vorrangig dort, wo Artikulation und Interaktion in medialen Räumen möglich und gefordert sind, ist einerseits ein Auseinanderdriften des Medienhandelns der Generationen zu beobachten, das familiäre Medienerziehung behindern kann. Andererseits erlauben gerade die medialen Artikulations- und Interaktionsformen, räumliche Distanzen zu überwinden und medienbasierte Nähe zu schaffen. Sie können so beispielsweise für multilokal lebende Familien neue Möglichkeiten eröffnen, Familie zu leben. Den Veränderungen im Verhältnis Familie und Medien widmet sich der einführende Artikel von Helga Theunert und Andreas Lange. Im ersten Teil werden zentrale Wandlungslinien im Sozialsystem Familie und in den Strukturen der heutigen Medienwelt skizziert. Auf dieser Grundlage wird ein Thesentableau zum Verhältnis Familie und Medien entwickelt, das die Fragen, was leisten Familien in Medienaneignungsprozessen und umgekehrt, was leisten Medien in familiären Lebenswelten unter den veränderten Gegebenheit betrachtet, auf der Basis vorhandenen empirischen Wissens und – da dieses als lückenhaft zu qualifizieren ist – in Form von Fragestellungen, Problemaufrissen und Handlungsanforderungen.Christian Alt und Markus Teubner beleuchten einen oftmals in der Debatte vernachlässigten Aspekt von Familien – die Rede ist von den Geschwistern. Die über die Generationenachse in Familien hinausreichenden geschwisterlichen Einflüsse sind schon deshalb von Interesse, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie eventuell die generationsbedingten Defizite von Vätern und Müttern kompensieren können. Empirisch gestützt kann der Autor unter anderem nachweisen, dass ältere Geschwister in der Tat in der Familie hinsichtlich der PC- und vor allem Internetkenntnisse förderlich für ihre jüngeren Geschwister sein können.Der Artikel von Simone Bahr und Dorothee Falkenreck greift ein altes, aber unverändert relevantes ‚Familienmedium‘ auf: Das Fernsehen. An einem Fallbeispiel aus der pädagogischen Familienforschung wird die soziale Praxis des gemeinsamen Fernsehens anschaulich beschrieben.
Dabei geht es nicht alleine um die Details im Umgang mit dem Medium, wie beispielsweise der Zentralität des Themas Zeit, sondern der Fokus liegt überdies auf dem Vergemeinschaftungsprozess, der im Kontext der gemeinsamen Fernsehsituation durch Interaktion und Kommunikation, über inhaltliche und formale Elemente des Gesehenen, realisiert wird.Kathrin Demmler nimmt die pädagogischen Handlungsnotwendigkeiten in den Blick. Aufbauend auf der Erkenntnis, dass Familie heute als vielschichtiges Sozialsystem ebenso vielschichtige pädagogische Konzeptionen benötigt, betrachtet sie vorhandene Projekte und Erfahrungen und stellt Überlegungen für eine gelingende, ganzheitliche medienpädagogische Familienbildung an.Eingestreut in den Thementeil finden sich Kästen zu einem Aspekt, der im Verhältnis Familie und Medien zweifellos eine Rolle spielt, aber hier in keinem eigenen Text behandelt ist: Bilder und Vorstellungen von Familie in den Medien, die gerade von der heranwachsenden Generation vielfach als Vorbilder und Folie für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven herangezogen werden. Michael Gurt hat solche aktuell für Heranwachsende und Eltern relevanten Vorstellungen von Familie in unterschiedlichen Medien zusammengestellt und knapp beschrieben.
Hans Schiefele und Helga Theunert: Leben mit Medien
Medienentwicklung - bei diesem Wort denkt man an das Tempo, mit dem die Neuerungen sich jagen, und an die Atemlosigkeit derer, die ihnen zu folgen versuchen. Der Blick auf die Entwicklung der Bildmedien zeigt, dass das nicht immer so war. Weit über ein halbes Jahrhundert ging es recht gemächlich zu. Der Guckkasten auf dem Jahrmarkt, dann das Kino als Ort des filmischen Vergnügens, später gelegentlich der Film auch als Mittel der Unterrichtung - das alles ließ sich Zeit. Und so hatte auch der Mensch Zeit, die neue Errungenschaft Film in sein Leben einzuordnen.
Auch das Fernsehen kam nicht gerade im Galopp daher: Ein Erstes Programm, etliche Jahre später ein Zweites und die Dritten - und das war’s für ziemlich lange Zeit; glücklich die Bayern, denen die Österreicher zusätzlich was auf den Bildschirm lieferten. Das geruhsame Medienleben hatte in den 80er Jahren ein Ende: Kabel, Satellit, Video, Computer - mehr und immer mehr Medienangebote zum Vergnügen, zum Lernen - manchmal auch zum Davonlaufen. Aber: Die Weiterentwicklung der Medientechnik eröffnete auch andere Möglichkeiten, v.a. die, mit den Medien selbst etwas anzustellen.Leben mit Medien - in den letzten zwei Jahrzehnten blieb den Menschen wenig Zeit, sich mit den neuen Technologien vertraut zu machen, darüber nachzudenken, welchen Platz sie in ihrem Leben innehaben sollten. Die Medien haben Besitz ergriffen von Lebenszeiten und von Lebenswelten.
Leben mit Medien - das bedeutet heute etwas sehr anderes als zu Beginn des Jahrhunderts und auch etwas sehr anderes als vor 50 Jahren, als das JFF antrat, um das Leben mit Medien pädagogisch zu begleiten, um - was damals natürlich noch nicht so hieß - Medienpädagogik zu betreiben.
(merz 2000-02, S. 75-85)
Bernd Schorb und Helga Theunert: 60 Jahre merz. Eine Konstante in der Medienpädagogik
Bescheiden, aber mit amtlichem Anstrich kam die heutige merz in ihren Anfängen daher: Mitteilungen des Arbeitskreises Jugend und Film war das Faltblatt betitelt. 1957 wurde daraus Jugend und Film. Vierteljahreszeitschrift des wissenschaftlichen Instituts für Jugendfilmfragen und über eine Reihe von Titelvariationen (siehe Zeitstrahl) 1976 im Haupttitel die heutige merz | medien + erziehung.
Über 60 Jahrgänge hinweg hat merz bereits die Medienpädagogik im deutschsprachigen Raum gespiegelt und sich mit ihren Schwerpunkten weiterentwickelt bzw. zum Teil diese Schwer¬punkte mit entwickelt. Unabhängig von kommerziellen Interessen, getragen primär vom En¬gagement des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und seit 1976 unterstützt von den beiden Verlagen Leske + Budrich und kopaed, behauptet sie sich auf dem medienpädagogischen Feld und bietet ein Forum für Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. Problemlos verlief die Geschichte von merz nicht immer. Vor allem die ab Mitte der 1970er-Jahre stärker vertretene kritische Auseinandersetzung mit den Mediensystemen, dem Bildungswesen und den Sozialisationsinstanzen im Kontext aktueller gesellschaftlicher Gegebenheiten und das Insistieren auf den Subjektstatus aller Mediennutzender provozierte auch Gegenwind. Doch merz bot Raum für Streitkultur und initiierte ab 1976 regelmäßig Diskussionen über medienpädagogische Positionen.
Wie gelang es über so lange Zeit einen Leserstamm zu binden und stetig auszubauen? Auf einer ersten Ebene haben wir uns einer Antwort schon über die Entwicklung der Betitelung von merz genähert: Zunächst auf Film konzent-riert, dann auf Fernsehen ausgedehnt wurde ab 1976 der beständigen Erweiterung des Medienensembles Rechnung getragen und der Titel abstrakter und zugleich treffender gefasst: die Begriffe ‚Medien‘ und ‚Erziehung‘ sind offen für Entwicklungen auf Seiten der Medien ebenso wie auf Seiten der Subjekte sowie der Erziehungs- und Bildungssysteme. Der Haupttitel merz | medien + erziehung trägt seither. Printausgabe und Onlineauftritt sind seit 2003 mit dem Untertitel Zeitschrift für Medienpädagogik konsequent verortet. merz thematisiert das gesamte Medienspektrum, animiert zur Auseinandersetzung über medienpädagogische Praxismodelle, zur theoretischen Reflexion und seit 2003 als merzWissenschaft in einer eigenen Ausgabe einmal jährlich explizit zur wissenschaftlichen Fundierung medienpädagogischen Handelns.
Der Anspruch von merz, medienpädagogisches Handeln zu vermitteln und zu begleiten, realisiert sich darin, medienpädagogische Strömungen und Positionen aufzugreifen, sie kritisch zu befragen und zu bewerten sowie sie im gesellschaftlichen Kontext und vor dem Hintergrund lebensweltlicher Orientierungen der Zielgruppen medienpädagogischen Handelns sowie sozialwissenschaftlicher und pädagogischer Paradigma einzuordnen. Nun hat natürlich jede Redaktion ihre Vorlieben und setzt ihre Schwerpunkte. Damit die Breite medienpädagogischer Perspektiven gewährleistet bleibt, aber auch, damit sich nicht unreflektierter Zeitgeist Bahn bricht, gibt es seit 1999 einen Beirat aus dem deutschsprachigen Raum, der merz begleitet und ein breites Themenspektrum ebenso sichert wie eine Vielfalt von Autorinnen und Autoren, die nicht nur medienpädagogisch ausgewiesen sind, sondern interdisziplinäre Perspektiven einbringen.
Die Strömungen, die in den vergangenen 60 Jahren in der Medienpädagogik aufgegriffen wurden, wollen wir betrachten, nicht chronologisch (siehe dazu Hans-Dieter Kübler und Dagmar Hoffmann in dieser Ausgabe), sondern anhand aussagekräftiger Beispiele für die vergangenen 60 Jahre und anhand eigener Erinnerungen aus vier Jahrzehnten medienpädagogischer Arbeit, auch an und mit merz.
Vor dem Schlechten der Medien schützen
Für den Philosophen Anton Neuhäusler stand 1959 außer Frage,
"daß die spezielle Umwelt ‚Gewaltfilm‘ zur Gewaltliebe disponiert. Sie dient also nicht nur der ins Fiktive gebannten Abreaktion einer für allemal gegebene Roheit, sondern sie stiftet diese erst eigentlich. Sie formt den Zuschauer nach sich. Sie verroht ihn tat¬sächlich. Sie macht ihn schlecht oder schlechter, als er schon ist. Denn der Mensch ist nicht ein für allemal so oder so, er kann nun einmal verbessert oder verdorben werden. [...] Das ist gerade der Teufelskreis: Roheit im Gemüt verlangt nach Roheit im Spiel. Roheit im Spiel steigert Roheit im Gemüt. Deshalb muß es immer härter, immer ausgekochter werden. Und irgendwann, je nach der Labilität des Menschen – und sie ist am größten beim Jugendlichen, erst recht beim Jugendlichen über 16 – bricht diese gezüchtete Roheit aus, kann nicht mehr im sublimen Nacherleben bleiben. Das Nacherlebnis wird zum Vorerlebnis, zum Beispiel, zur akuten Anregung. Man kann die grobe Formel aufstellen: Gewaltfilme regen nicht nur von realen Gewalttaten ab, sie regen auch zu realen Gewalttaten an. [...] Die Gewalttätigkeiten vieler Jugendlicher von heute sind sicher zum Teil [...] auf die Selbstverständlichkeit zurückzuführen, mit der Gewalt, Tötung in sich überschlagendem Maß, in der Wucherung reinen Selbstzwecks, täglich auf der Lein¬wand praktiziert werden" (Neuhäusler 1959, S. 13 f.).
Bei der Lektüre früher merz-Ausgaben kann einem schon bang werden, vor allem im Hinblick auf die heranwachsende Generation, die sich für mediale Vergnügungen schon immer besonders begeisterte. Die Medienpädagogik der 1950er- und 1960er-Jahre rekurrierte wie Neuhäusler vorzugsweise auf Annahmen der monokausalen Wirkungsforschung, die Medienangebote primär als Stimulans für Abstumpfung und Verrohung und weitergehend als Vorbild für die Nachahmung von als problematisch bewertetem Verhalten postulierte. Gewalt und Sexualität standen dabei im Fokus und die Konsequenz lautete Verbot oder zumindest Schutz der Kinder und Jugendlichen vor diesem ‚Schmutz und Schund‘. Die Bewahrpädagogik beherrschte die Medienpädagogik lange Zeit: Im Kino gerieten insbesondere amerikanische Western in die Kritik. So wusste Werner Glogauer 1957 von männlichen Jugendlichen zu berichten,
"daß sie nach dem Film mitunter in größeren oder kleineren Gruppen meist planlos umherlaufen, zusammengehalten von der gleichen Gefühlsgestimmtheit, gleichen Vorstellungen, gleichem Ausdrucksbedürfnis usw. Von solchen spontanen Gruppenbildungen [...] vermag die Wirkung des Films zur Begründung strukturierter jugendlicher Bandengruppen führen" (Glogauer 1957, S. 5).
Glogauer hat solche Positionen unbeirrt bis zur Jahrtausendwende propagiert. Doch insgesamt setzten sich in der Medienpädagogik Differenzierungen durch. So stellen Helga Theunert und Fred Wimmer 1978 fest:
"Die Gewaltwirkungsforschung kann nur dann aus der Sackgasse herausfinden, wenn sie den gesellschaftlichen Bedingungsrahmen von Gewalt erkennt und an diesem ansetzt. Dies gilt auch für die Entwicklung pädagogischer Konsequenzen, die [...] vor allem an den alltäglichen Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Gewalt auszurichten sind" (Theunert/Wimmer 1978, S. 250).
Verschwunden sind die monokausalen Wirkungsapologetinnen und -apologeten jedoch bis heute nicht. Kaum machen neue Medienentwicklungen von sich reden, tauchen sie wieder auf und befürchten Schlimmes primär für Kinder und Jugendliche. So richtete sich die Besorgtheit nach dem Kino auf das sich schnell verbreitende Fernsehen und dort beispielsweise auf Zeichentrickserien wie Tom & Jerry. In den 1980er- Jahren sorgten die unsäglichen Metzeleien auf Videokassetten für Entsetzen, dann begannen gewalthaltige und kriegerische Computerspiele zu beunruhigen. Heute evozieren Internetangebote mit Hass und Rassismus, mit Sexismus und Pornografie oder mit der schamlosen Ausbeutung der Nutzenden eine neue Qualität von Sorgen. Doch heute kommen die simplen Wirkungsbehauptungen weniger aus der Medienpädagogik. Vor allem mit Rückgriff auf die Hirnforschung, die einige ihrer Apologetinnen und Apologeten gern als Welterklärungsinstanz sehen, werden sie – verbunden mit nachgerade schwarzer Pädagogik – beispielsweise von Manfred Spitzer in die Welt gesetzt. merz bietet für solchen Populismus bewusst keinen Raum, wohl aber initiiert sie den seriösen Diskurs über die Sorgen, die Medien in der Familie, in Erziehungs- und Bildungsinstitutionen und in der Gesellschaft bereiten.
Zweifellos bot und bietet die Medienwelt Zumutungen (siehe Roland Bader in dieser Ausgabe). Gerade mit Blick auf Kinder und Jugendliche ist Schutz entsprechend eine unverzichtbare pädagogische Handlungsstrategie. Allerdings kann diese Strategie nur greifen, wenn die Mediennutzenden als aktiver Part einbezogen werden. Jeder Mensch ist von klein auf Gestalterin bzw. Gestalter seines Lebens, auch seines Lebens mit Medien. Was er in den Medien wahrnimmt, wovon er sich anrühren und anregen lässt – das entscheidet sich zum geringeren Teil auf der Seite der Medien. Ausschlaggebend sind die Wechselprozesse zwischen der Aneignung der Medien und den eigenen Lebensvollzügen, die die Subjekte vor dem Hintergrund ihrer Alltagserfahrungen und ihrer Weltsicht mit Eigensinn gestalten.
Solche Positionen stellt merz verstärkt seit Ende der 1970er-Jahre in Theorie, Wissenschaft und Praxis zur Diskussion. Angesichts von Vernetzung und Globalisierung medialer Angebote und angesichts von individualisierter Nutzung und medialer Eigenproduktion muss Medienpädagogik heute dazu befähigen, die Zumutungen der Medienwelt zu meiden, und sie muss gegen sie öffentlich Partei ergreifen. Mit diesen Vorzeichen ist ‚Schutz vor dem Schlechten in den Medien‘ ein notwendiger Teil medienpädagogischen Handelns. Das beständig zu thematisieren ist gerade heute, wo die Selbstschutzfähigkeiten gern bemüht werden, um mediale Entwicklungen im ökonomischen Interesse ungebremst voranzutreiben, auch Auftrag der medienpädagogischen Zeitschrift merz.
Mit Medien belehren
Martin Keilhacker postulierte in den 1960er- Jahren, "daß die gegenwärtige und künftige Industriegesellschaft eine neue, eigene Schul- und Bildungskonzeption aus dem Wesen und den Bedürfnissen der Industriegesellschaft heraus braucht, eine Bildungskonzeption, die jeden Menschen, und zwar das ganze Leben hindurch, in die pädagogischen Überlegungen einbezieht. Wie die schon jetzt vorliegenden Beispiele zeigen, und erst recht für die weitere Entwicklung erwarten lassen, werden sich bei diesem künftigen Schul- und Bildungswesen die Grenzen zwischen Schule und freiem Bildungsraum, vor allem aufgrund der Entwicklung von Hörfunk und Fernsehen weitge-hend verwischen und Schul- und Bildungsfernsehen werden, im besonderen für die Bildung, Ausbildung und Weiterbildung im Erwachsenenalter, eine wichtige Rolle spielen, aber auch Schule und Schulunterricht im Kindes- und Jugendalter tiefgehend verändern" (Keilhacker 1967, S. 12).
Für die Pädagogik waren und sind die Medien ein Januskopf: Auf der einen Seite grinsen das Böse und das Schädliche und auf der anderen Seite schauen ernst das Gute und Belehrende. Gemeint sind die beiden historischen Pole der Medienpädagogik, die Medienerziehung und die Mediendidaktik. Während es das Ziel der Medienerziehung ist, Menschen vor den Gefahren der Massenmedien zu schützen und zu deren sinnvoller Nutzung zu erziehen, geht es der Mediendidaktik darum, Lernen mittels Medien zu optimieren und dafür eigens taugliche Medien zu produzieren. In diesem Sinne ist Mediendidaktik älter als die Medienpädagogik, denn Medien als Unterrichtsmittel wurden lange bevor es Massenmedien gab eingesetzt. Die Medienentwicklung wird von der Mediendidaktik insofern wahrgenommen, als die Adaption neuer technischer Medien eine verbesserte Nutzung zu Lehr- und Lernzwecken erlaubt. Die Medienerziehung ist hingegen auf die Medienentwicklung in der Weise eingegangen, als sie den weitgehend passiven Prozess der Erziehung zum Umgang mit Medien in einen aktiven des sozial gestaltenden Handelns mit Medien erweitert hat. Diese Erweiterung, Lehren, Lernen und Handeln mit den Medien als ein Ganzes zu verstehen und nicht künstlich in unterhaltende Massenmedien und belehrende Unterrichtsmedien zu trennen wurde der Mediendidaktik auch in merz immer wieder angetragen, bis heute allerdings ohne großen Erfolg.
Eine an der Effektivierung des Lernens orientierte Mediendidaktik verwendet, parallel zur Weiterentwicklung der Technik, zweckorientiert Medien als Vermittler, Strukturierer, Beschleuniger, Verbesserer und zunehmend auch als Organisator von Lehr- und Lernprozessen. Im Zentrum steht hier also nicht das Verhältnis der Subjekte zu den Medien, sondern die Funktion der Medien. In der Konsequenz rechnet sich die Mediendidaktik häufig auch nicht zur Medienpädagogik, hat eigene Berufsgesellschaften und Veröffentlichungsorgane. Auch die Exponentinnen und Exponenten, die sich der Medienpädagogik zuwenden, haben den schulischen Verwertungszusammenhang im Blick, wie etwa Gabi Reinmann (2008), wenn sie in ihrem Plädoyer für den Einbezug des Web 2.0 argumentiert:
"Nicht nur aus mediendidaktischen Gründen, sondern auch weil sich die Gesellschaft und das Informations-und Kommunikationsverhalten der nachwachsenden Generation ändern, wächst der Druck auf die Schu¬len, sich der Web 2.0-Herausforderungen zu stellen" (Reinmann 2008, S. 16).
Genau umgekehrt argumentiert die medien¬ädagogische Position: Die Mediatisierung des Lebens und die Tatsache, dass wir heute auch in medialen Räumen leben, erfordere es, dass sich die Mediendidaktik an der Wirklichkeit der Medienwelt ausrichtet, sich keine eigenen, meist auch noch unattraktiven funktionalen Lernwelten schafft, sondern didaktische Modelle des kritischen und reflektierten Lebens in der Medienwelt entwickelt, also das Postulat, dass wir für das Leben lernen, ernst nimmt. Die von Franz Dröge schon 1976 bemängelte "charakteristische und von der Sache her unsinnige Gegenstandstrennung in Mediendidaktik und Medienerziehung" (Dröge 1976, S. 90) aufzuheben bleibt eine vordringliche Aufgabe zukunftsorientierter Medienpädagogik. Für merz folgt daraus, dass sie nicht nur dem Bereich Lehren und Lernen mit Medien regelmäßig Raum geben muss, sondern dass sie auch Dis¬kussionen anzetteln sollte, die die Zersplitterung der Gegenstandsbereiche einer ganzheitlichen Medienpädagogik problematisieren.
Die Medienwelt durchdringen
"Die Medien lassen sich in explizit ökonomischen Kategorien als Produktivkräfte beschreiben [...], deren Wirkungsfeld primär das Bewußtsein der Rezipienten ist. Deshalb ist die Charakterisierung der Medien als ‚Bewußtseins-Industrie‘ oder ‚Ideologie-Fabriken‘ verständlich. Die Medien vermitteln nicht nur bestimmte Inhalte, sondern prägen auch die Wahrnehmungsstruktur der Konsumenten. [...] Andererseits bestimmen diese geprägten Wahrnehmungsstrukturen die Auswahlmechanismen, die die verschiedenen Inhalte überhaupt erst zum Bewußtsein vordringen lassen" (Kazda et al. 1971, S. 74 f.). "Ein [...] kritisches Bewußtsein weiß darum, dass Medien nicht das einzige Mittel, sondern nur ein Mittel unter anderen sind, diese Gesellschaft zu verändern. Voraussetzung [...] ist wiederum, daß die ‚Theorie die Massen ergreift‘, daß sie sensibel werden für die Widersprüche des Systems und sie begreifen. [...] Die Methode der Ideologie¬kritik könnte zu einer pädagogischen Produktivkraft werden; zu einer Produktivkraft, die den Menschen, die sie produzieren, auch gehört" (ebd., S. 88).
Mit dem Rekurs auf Kritische Theorie und Marxismus in der Studentenbewegung vollzog sich auch in der Medienpädagogik ein weitreichender Perspektivenwechsel: Massenmedien werden nun begriffen als in die gesellschaftlichen Strukturen eingebunden, die sie ihrerseits mit stabilisieren, aber – da sie im historisch-gesellschaftlichen Prozess geschaffen wurden – in Inhalt und Struktur auch wieder verändert werden können. Nach diesem ab den 1970er- Jahren verbreiteten kritisch-reflexiven Ansatz sind Medien und Subjekte gleichermaßen in die Gesellschaft eingebunden. Wirkung wird Massenmedien entsprechend nur im Verbund mit anderen gesellschaftlichen Gegebenheiten zugestanden, die auch die Lebensvollzüge der Subjekte gestalten.
Im Blick sind zunächst die Inhalte, die die herrschenden Ideologien transportieren. Die Manipulation durch Massenmedien gilt als Stabilisierungsfaktor der Gesellschaft. Ideologiekritik wird als pädagogische Strategie der Aufklärung postuliert und zugleich als Grundlage für die Gestaltung von Inhalten, die die Bedürfnisse und Interessen der Mediennutzenden integrieren. Bernward Wember hat diese Strategie am Beispiel des Dokumentarfilms Bergarbeiter im Hochland von Bolivien ausgearbeitet und 1971 in merz präsentiert (vgl. Wember 1971, S. 90 ff.) und später an der Fernsehberichterstattung über den Nordirlandkonflikt auch filmisch eindrücklich demonstriert.
Eine marxistische Variante des kritisch-reflexiven Ansatzes betrachtet Massenmedien als kapitalistische Produktionsstätten des geistigen Verkehrs einer Gesellschaft, die eine Doppelfunktion haben: Sie halten einen großen Werbe- und Absatzmarkt bereit und legitimieren die herrschenden Verhältnisse. Veränderungen erfordern neben alternativen Inhalten eine Demokratisierung des Mediensektors – eine Argumentation, die beispielsweise Horst Holzer 1976 in merz vertrat (vgl. Holzer 1976, S. 157 f.).
Eine dritte Variante teilt die ideologisch-manipulative wie die kapitalistische Funktionszuschreibung der Massenmedien und postuliert, dass die Massenmedien dazu beitragen, dass die Menschen von ihren authentischen Erfahrungen abgetrennt werden. In ihren Konsequenzen stellt diese Variante die Subjekte in den Mittelpunkt. Sie sollen nicht nur befähigt werden, die Medien zu durchschauen und Bewusstsein über ihre Funktionen zu erlangen, sondern sie für sich selbst als Mittel der Artikulation in Dienst nehmen und so Öffentlichkeit verändern.
Kritik der Medieninhalte und Aufklärung über die Verfasstheit unserer Mediensysteme sind etablierte und unverzichtbare pädagogische Strategien der Medienpädagogik. Auch wenn sie nicht mehr im Sprachduktus der Kritischen Theorie und des Marxismus präsentiert werden und hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Veränderungskraft Ernüchterung eingetreten ist, gilt weiterhin: Medienpädagogik, die Medieninhalte und Mediensysteme in ihrer gesellschaftlichen Relevanz und in ihrer Bedeutung für die Subjekte klären will, braucht Maßstäbe für ein wünschenswertes Leben mit Medien im gesellschaftlichen Kontext und sie muss diese Maßstäbe im politischen Raum vertreten.
Das Feld für diesen Zugang hat sich mit der Digitalisierung der Medien und mit der Mediatisierung der Gesellschaft erheblich geweitet: So erfordert zum Beispiel die Konvergenz medialer Angebote nicht nur die Analyse eines Mediums, sondern auch die Analyse der dazugehörigen Anschlussmedien und Medienverbünde, die die Nutzenden in ein dicht gewebtes Netz medialer Botschaften einweben. Die kommunikativen und präsentativen Möglichkeiten der heutigen Medienwelt erfordern darüber hinaus die Analyse subjektiv gestalteter Kommunikate, wie sie beispielsweise über YouTube oder Facebook verbreitet und insbesondere von der jungen Generation intensiv goutiert und bestückt werden. Gerade diese Kommunikate veräußern Privatheit und geben persönliche Daten für das Dabeisein in den sozialen Netzwerken preis. Schließlich ist die Organisations- und Funktionsanalyse der heutigen Medienwelt weiter zu fassen als dies zu Zeiten der Massenmedien der Fall war. Die heutigen Medienkonzerne agieren nicht nur über mehrere Medien hinweg, sondern über den Mediensektor und über nationale Grenzen hinaus. Die Verflechtungen der damit verbundenen ökonomischen Machtstrukturen und ideologischen Interessen sind kaum noch zu durchschauen. Bernd Schorb verdeutlicht das aktuell am Beispiel YouTube:
"YouTube ist im Besitz der Firma Google und wird täglich von Milliarden Menschen genutzt. [...] Man kann bei YouTube einen Kanal abonnieren und sich für das Programm eines sogenannten YouTubersentscheiden. [...] Um hier erfolgreich zu sein werden die YouTuber vermarktet und angeleitet durch spezielle Produktionsfirmen, die wie einer der Marktführer Divimove zu FreeMantle Media gehört, einer Tochter der RTL Group und damit des Bertels¬mann Konzerns" (Schorb 2016).
Gerade das Bewusstsein über die Interessensverflechtungen auf dem Medienmarkt ist notwendig, damit die Subjekte Souveräne ihres Medienhandelns bleiben. Für diesen Kontext Reflexion und Diskussion anzustoßen markiert eine weitere Aufgabe einer medienpädagogischen Fachzeitschrift wie merz.
Mit und in der Medienwelt handeln
"Die Verwendung von technischen Medien hat in dem Maße Emanzipationssinn, wie Gegen-Bewegungen und Gegen-Öffentlichkeit lebendig existieren, die Medien sinnvoll verwenden und damit Fragmentierungstendenzen aufheben. [...] Deswegen spreche ich auch vom ‚Werkzeugcharakter‘ dieser technischen Medien. [...] Eine sinnvolle Nutzung hat anderen gesellschaftlichen Charakter; hier kann kommunikative Kompetenz sinnvoll eingebracht werden auf der Grundlage gesellschaftlich-kommunikativer Prozesse, die auf Verständigung dringen" (Negt in Mohn 1990, S. 265 f.).
1972 brachten Oskar Negt und Alexander Kluge die Begriffe ‚Gegenöffentlichkeit‘ und ‚authentische Erfahrung‘ in die Diskussion. Massenmediengelten auch ihnen als Herrschaftsinstrumente bürgerlicher Öffentlichkeit, während Gegenöffentlichkeit auf den authentischen Erfahrungen und Interessen der Subjekte basiert. Die Medien, vor allem die nunmehr verfügbare tragbare Videotechnik, sehen sie als taugliche Instrumente zur Artikulation authentischer Erfahrungen. Insbesondere Oskar Negt verbindet damit auch ein pädagogisches Konzept: "‚Authentische Erfahrung‘ würde bedeuten, daß die Menschen nicht abgetrennt werden von dem, was sie wirklich erfahren. [...] Es gilt die gesamten Lebensinteressen der Menschen in den pädagogischen Alltag zu integrieren und bearbeitungsfähig zu machen" (ebd., S. 262 f.).
In alternativen politischen Bewegungen, wie der Anti-Atomkraftbewegung, fiel diese Vorstellung auf fruchtbaren Boden. Eine Szene mit Bürgerfernsehen, Piratensendern und – im Zuge der Einführung der kommerziellen Fernsehsender – Mitte der 1980er-Jahre den Offenen Kanälen entwickelte sich. Aber die Förderung dieser Offenen Kanäle beispielsweise durch die Landesmedienanstalten wurde mittlerweile so weit zurückgefahren, dass viele dieser Einrichtungen verschwunden sind oder marginalisiert wurden. Verbunden mit diesen Entwicklungen vollzog sich ein bis heute grundlegender Paradigmenwechsel in der Medienpädagogik. Dieter Baacke skizzierte ihn 1981 in merz so:
"Nur eine offensive Medienpädagogik kann deutlich machen, daß es sich hier [...] um eine pädagogische Spezialität (handelt), die die Allgemeinheit unseres öffentlichen Lebens mit zu bedenken hat. Die stagnierende Kommunikations- insbesondere Wirkungsforschung ist neu zu überdenken und zu verändern: Von Einschaltquoten, statistischen Übersichten hin zu Bewußtseins-Analysen, zum Aufweis des Zusammenhangs von Massenmedien und Biographie, zur Konkretheit von Rezeption und Wirkung. [...] Medienpädagogik muss sich als handlungsorientiert verstehen. Sie muß mit die Stimme erheben für übersehene Gruppen: Kinder, Jugendliche, Ausländer, alte Menschen und ihnen Beteiligungsmöglichkeiten erkämpfen" (Baacke 1981, S. 200).
Das mit Medien in seinem Lebenszusammenhang sozial handelnde Subjekt stand nun im Mittelpunkt. Subjekt- und Handlungsorientierung wurden zu Leitlinien von Forschungen, Praxismodellen und Materialien. Medienkompetenz als Teil Kommunikativer Kompetenz, ebenfalls von Dieter Baacke in die Diskussion gebracht, war und ist bis heute Leitziel der Medienpädagogik.
"Video wurde in der Jugendarbeit zunächst begeistert aufgenommen, da man glaubte, ein leicht handhabbares Medium zu besitzen. Die Realität hat jedoch gezeigt, daß die Annahme trog. Viele Videoprojekte mit Jugendgruppen kommen über das Anfangsstadium nicht hinaus, da sowohl technisches als auch inhaltliches Know-how fehlen" (Anfang 1984, S. 358). Um Abhilfe zu schaffen und Medienkompetenz realisieren zu können wurden Medieninitiativen und Medienzentren gegründet. Sie erprobten Modelle, die Heranwachsenden und ihren pädagogischen Bezugspersonen Medien als Artikula¬tionsmittel nahe brachten, sie beim Produzieren von Videofilmen oder Radiobeiträgen begleite-ten und ihnen Technik sowie Räume zur Veröffentlichung zur Verfügung stellten. Im Kontext solcher medienpädagogischer Anregungen und Unterstützungsleistungen, die vorrangig im Rahmen außerschulischer Jugendarbeit stattfanden, wurde die bis heute in der Medienpädagogik zentrale Methode der ‚aktiven Medienarbeit‘ entwickelt und für unterschiedliche Praxiszusammenhänge konturiert (siehe Fred Schell in dieser Ausgabe). merz bietet seither ausgiebig Raum für Praxisprojekte, die Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenslagen dazu ermutigen, die jeweils verfügbaren medialen Techniken aktiv in Gebrauch zu nehmen, um sich zu artikulieren und ihren Perspektiven auf alltägliche und gesellschaftliche Gegebenheiten Öffentlichkeit zu verschaffen.
"Medienpädagogik [muss sich] um die Intensivierung einer qualitativen Forschung des sozialen Bedingungsfeldes von Medienrezeption und Medienwirkung bemühen. Nicht Akzeptanzanalysen sind notwendig, sondern die Erforschung [...] der Lebensgestaltungsfunktion der Medien. [...] Pädagogische Strategien im Konnex von Medien und Alltagsbewußtsein zu entwickeln, scheint mir ein Aufgabengebiet zu sein, das für eine qualitative Schwerpunktsetzung der Medienpädagogik intensiv bearbeitet werden sollte!" (Schorb 1981, S. 228)
In der medienpädagogischen Forschung enttanden mit Beginn der 1980er-Jahre eine ganze Reihe qualitativer Untersuchungen zur Medienaneignung von Kindern und Jugendlichen. Kennzeichnend für das Gros war – über theoretische Differenzen hinweg – die Erforschung der Medienaneignung in den sozialen Lebenszusammenhängen und die Verwendung von Methoden, die alltagsübliche Artikulation ermöglichten und so die Perspektiven der Untersuchten auf die Medienangebote in authentischen Äußerungen zu Tage förderten. Themen wie der Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Gewaltdarstellungen, die Rezeption von Zeichentrick- und Fernsehserien, die Bedeutung von Fernsehinformation oder der Fernsehalltag in Familien wurden unter diesen Vorzeichen bearbeitet. Neben Untersuchungen aus dem JFF fanden hier beispielsweise Studien von Ben Bachmair, Michael Charlton oder Stefan Aufen¬anger Eingang in merz.
Die damit verbundene Konturierung der Medienpädagogik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin mündete schließlich in die Gründung von merzWissenschaft. Hier wurde und wird der medienpädagogischen Forschung und Theorie explizit Raum gegeben.
Handlungs- und subjektorientiertes Erforschen der Medienaneignung und aktives Arbeiten mit Medien sind bis heute grundlegend für die Medienpädagogik. Im Zuge der Medienentwicklung haben sich das Spektrum der Forschungsfragen, der zu untersuchenden Populationen und die Zielgruppen medienpädagogischen Handelns er-heblich erweitert. Kinder und Jugendliche sind nur noch eine Zielgruppe, weitere Alterssegmente wie ältere Menschen werden heute von der medienpädagogischen Forschung und Praxis ebenso in den Blick genommen wie unterschiedliche Herkunftsmilieus oder soziale Gruppen. Die Forschungsfragen umfassen das Spektrum des Medienensembles, wobei aktuell die digitale Medienwelt und ihre Auswirkungen auf die Subjekte und ihre Lebensvollzüge Vorrang haben, werfen sie doch viele und teilweise neuartige Fragen auf, deren wissenschaftliche und praktische Bearbeitung erhebliche Herausforderungen ethischer und methodologischer Natur beinhaltet. merz hat die Paradigmenwechsel nicht nur begleitet, indem sie qualitativen Studien und emanzipatorischen Praxismodellen Raum gegeben und damit für ihre Verbreitung gesorgt hat. Sie hat vor allem an wichtigen Einschnitten breit angelegte Diskussionen über grundlegende (medien-)pädagogische Fragen initiiert. Den Anfang machte 1976 die Diskussion unter dem Titel: ‚Medienpädagogik‘ – was ist das? Thesen zu einer umstrittenen Disziplin (merz 1/1976 bis 3/1976). Es folgten: Neue Medien und die Pädagogik (merz 2/1981 bis merz 4/1981), Hat die Medienpädagogik eine Chance, die neuen Medien in den Griff zu bekommen? (merz 6/1984, merz 1/1985) und Multimedia und Pädagogik (merz 4/1996). Mit solchen Diskussionen wird die Impulsfunktion einer Fachzeitschrift wie merz wirksam eingelöst, denn Positionen werden nicht nur dargestellt, sondern miteinander in Beziehung gesetzt.
merz in der Zukunft
"Zentrale Aufgabe von Erziehung und Bildung war und ist es, für das Leben unter zukünftigen Bedingungen zu befähigen und die Menschen zugleich in den Stand zu setzen, inhumanen, irrführenden, ausbeuterischen und verdummenden Zumutungen zu widerstehen" (Theunert 1996, S. 26).
Die Orientierung an diesem Kern der Humboldt‘schen Bildungsidee, der traditionelles Selbstverständnis der Pädagogik und Medienpädagogik ist, forderte Helga Theunert im Kontext der Debatte um die Vernetzung der Medienwelt und die damit verbundenen Herausforderungen für die Medienpädagogik.
"Es geht darum, herauszufinden, was die Menschen mit diesem Netz machen bzw. was sie damit machen könnten. Es geht darum zu eruieren, welche Kompetenzen sie brauchen, um mit diesem Netz Sinnvolles zu tun" (ebd.).
Das Medienspektrum hat sich mittlerweile er¬weitert und verändert (siehe Ulrike Wagner und Kathrin Demmler in dieser Ausgabe), einerseits durch die Vernetzungsstrategien, die über den Medienmarkt und über nationale Grenzen hinausreichen, und andererseits durch die Subjekte, die sich der Medien kommunikativ und produktiv bedienen und sich in vernetzten Räumen vergemeinschaften. Öffentlichkeit ist heute mehr denn je Medienöffentlichkeit, aber das ist nicht – wie historisch erhofft – unbedingt mit Emanzipation verbunden, sondern gerade mit der Gefahr, demokratische Errungenschaften wie informationelle Selbstbestimmung aufzugeben. Erweitert und verändert haben sich auch die Zielgruppen medienpädagogischen Handelns. Im Umgang mit dem undurchschaubaren Mediennetz, das sich längst über unsere privaten, sozialen und gesellschaftlichen Lebensbereiche gelegt hat, braucht nicht nur die heranwachsende Generation Begleitung. Eltern und Erziehende, aber auch Erwachsene in allen Lebensphasen benötigen sie genauso, um die Medienwelt im Griff zu behalten und in der mediatisierten Gesellschaft Teilhabe und Souveränität realisieren zu können. Schließlich hat sich das Themenfeld, mit dem Medienpädagogik sich befassen muss, ausgeweitet, mehr und mehr auch hin zu Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz wie etwa Datenschutz. Diese Themen zu beforschen und zum Nutzen der Subjekte in pädagogischen Prozessen bearbeitungsfähig zu machen und ihnen in Öffentlichkeit und Politik Gehör zu verschaffen, markiert eine Aufgabe, die die Medienpädagogik nicht allein bewältigen kann und will. Sie muss sich dazu in eine Allianz kritischer Human- und Sozialwissenschaften einbinden, der es darum getan ist, die Entwicklung der Medienwelt nicht dem Kalkül ökonomischer und ideologischer Interessen zu überlassen, sondern auf der Mitgestaltung der Subjekte zu beharren und die Mediatisierung der Gesellschaft in den Dienst konsequenter Demokratisierung zu stellen. Eine Fachzeitschrift wie merz kann hierbei Impulsfunktion übernehmen, sie muss aber auch den Finger in die Wunden legen, auf Versäumnisse in Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik hinweisen oder zur Prüfung und Reflexion fragwürdiger Positionen auffordern. Abgesehen davon, dass merz weiterhin ein Forum für den Diskurs über medienpädagogische Theorie, Forschung und Praxis sein muss, hängen die künftigen Aufgaben mit den Herausforderungen der skizzierten Entwicklung zusammen und erstrecken sich in unserer Sicht auf folgende Punkte:- Im Zuge der Mediatisierung der Gesellschaft steht für die Medienpädagogik mehr denn je die Frage im Mittelpunkt, wie sich Menschen in den verschiedenen Lebensphasen und in unterschiedlichen sozialen Lebensverhältnissen die Medienwelt aneignen, welchen Gewinn sie daraus für ihr Denken und Handeln ziehen können und welche gesellschaftliche Bedeu¬tung diese Medienaneignungsprozesse haben, seien dies Problemlagen oder Potenziale. Will merz Forum medienpädagogischer Reflexion sein, ist sie gefordert, diesen Zusammenhang von Medien, Subjekt und Gesellschaft kontinuierlich im Themenhorizont zu halten, dazu zu ermutigen, medienpädagogisches Handeln daran auszurichten und das Leugnen dieses Zusammenhangs zurückzuweisen. Damit kann sie dazu beitragen, Medienpädagogik im öffentlichen Raum zu positionieren und ihr im Kanon der ideologischen und ökonomischen Interessen der Mediendebatte Gewicht und Stimme zu sichern.
- Da die Medienwelt immer stärker mit gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen, Problemlagen und Potenzialen verquickt ist, muss Medienpädagogik zentraler Bestandteil einer ganzheitlichen Bildungsvorstellung sein, die darauf zielt, den Menschen im Gesamt seiner Lebensvollzüge, auch in denen, die mit Medien verwoben sind, Handlungskompetenz und Souveränität zu sichern. Weder eine nur problem-, noch eine nur funktionsorientierte oder eine nur euphorische Sicht taugen als Grundlage. Vielmehr ist die Medienwelt als ein Zusammenhang zu sehen, in dem die Menschen beeinflusst werden und selbst Einfluss nehmen. Die Abspaltung des didaktischen Einsatzes von Medien in den offiziellen Bildungsinstitutionen vom Umgang mit der Medienwelt in Alltagszusammenhängen ist vor diesem Hintergrund endgültig obsolet, ja kontraproduktiv. Die Medien sind heute mehr denn je Mittler und Mittel zugleich und sie sind das in ein- und demselben Kontext. Die mit der Separierung pädagogischer Verwendungszusammenhänge verbundenen Fehlentwicklungen müssen in merz thematisiert und im Licht der aktuellen Medienentwicklung reflektiert werden. Insbesondere ist merz gefordert, pädagogische Ansätze, Modelle und Materialien zu entdecken und solchen Unterfangen Öffentlichkeit zu verschaffen, die medienpädagogisches Handeln im Kontext ganzheitlicher Bildung umsetzen. Dadurch kann merz zur Breitenwirkung einer die Medienpädagogik einschließenden ganzheitlichen Bildung beitragen.
- Grundlage jeder medienpädagogischen Praxis ist Forschung, die auf einem humanitären Menschenbild gründet und davon ausgehend untersucht, in welcher Weise sich die Men¬schen Medien aneignen, welchen Einfluss dabei die Medien in ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit, die Sozialisationsinstanzen und personale Bedingungen wie Herkunft, Alter, Geschlecht et cetera und nicht zuletzt Politik und Ökonomie im globalen Kontext haben. Kurz: Forschung, die mit qualitativen Verfahren das Gesamt der Lebenszusammenhänge der Subjekte durchdringt und die Bedeutung der Medien darin klärt. Angesichts der Ausuferung medienbasierter Einflüsse und Tätigkeiten in die Lebensverhältnisse und Lebensvollzüge der Menschen muss medienpädagogische Forschung besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten richten, die die Subjekte selbst suchen bzw. finden, um sich gegenüber der Macht der Medien zu behaupten bzw. diese in demokratischer Weise zu beeinflussen. Pädagogisch ausgerichtete Medienforschung ist nicht akzeptanz- und verwertungsorientiert: sie strebt eine kritische Begleitung des Ist- Zustands an, mit dem Ziel dessen stetiger Verbesserung für die Subjekte, sie ist in ihren Fragestellungen und ihren Methoden qualitativer Forschung verpflichtet und sie liefert relevante Ergebnisse für diejenigen, die in (medien-) pädagogischen Zusammenhängen agieren und diejenigen, die in und mit Medien verantwortlich handeln wollen. In einem Fachforum, wie merz es gerade auch in der jährlichen Wissenschaftsausgabe bietet, ist dieser Anspruch medienpädagogischer Forschung regelmäßig zu thematisieren und durch den Diskurs über theoretische Ansätze und empirische Studien weiter zu entwickeln.
- Die Medienwelt wird nicht stagnieren, die technische Entwicklung und Vernetzung wird fortschreiten und weitere Bereiche unseres Lebens werden von Medien, besser von digitalen Gestaltungs- und Kommunikationstech-niken tangiert, durchdrungen und gesteuert werden. Medien werden immer weniger singulär betrachtet und bearbeitet werden können und sie werden sich immer weniger aus dem Gesamt gesellschaftlicher Gegebenheiten und Lebensvollzüge isolieren lassen. Die Entwicklung der Medien, die Mediatisierung der Gesellschaft und das Medienhandeln der Subjekte wirken in enger Verzahnung auf die gesellschaftliche Kommunikation und auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Die Medienpädagogik hat es schon seit gerau¬mer Zeit mit gesamtgesellschaftlichen Themen zu tun, die den pädagogischen Raum überschreiten. Sie tut gut daran, sich ihrer Grenzen hinsichtlich der Bearbeitung dieser Themen bewusst zu werden, sie öffentlich zu artikulieren und offensiv die Etablierung interdisziplinärer Verbünde einzufordern. Der Schulterschluss mit human- und sozialwis-senschaftlichen Disziplinen und zusätzlich die Vernetzung der Bildungsorte können sichern, dass die Mediatisierungsprozesse in der Gesellschaft die Subjekte nicht überrollen, sondern von ihnen als Souveräne mitgestaltet werden. merz kann den Sinn solch interdisziplinärer Zusammenschlüsse zur Bearbeitung ge-samtgesellschaftlicher Themen, Probleme und Potenziale, die mit Medien in Zusammenhang stehen, in den Horizont heben und sie kann unter Beteiligung einschlägiger Disziplinen initiieren, die Weiterentwicklung der Medien im gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhang konstruktiv und vorausschauend zu bearbeiten.
Literatur
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Wember, Bernward (1971). Filmische Fehlleistungen. In: Jugend Film Fernsehen, 15 (2–3), S. 90–116.Helga Theunert und Susanne Eggert: Virtuelle Lebenswelten
Der einführende Beitrag setzt sich damit auseinander, welche Rolle virtuelle Erfahrungswelten in der Lebenswelt von Individuen spielen. Die Möglichkeit der interaktiven Nutzung und die Realitätsnähe der virtuellen Welten werfen die Frage auf, ob diese Alternativen zur Realität darstellen können. Anonymität, Identitätsspiele und die damit verbundenen möglichen Grenzüberschreitungen und Tabubrüche machen den Reiz der Fantasiewelten aus. Je nachdem, wie sehr sich ein Individuum auf die virtuellen Angebote einlässt, kann dies zur Reflexion des eigenen Selbst, aber auch zu Risiken für das Individuum in seiner realen Lebenswelt führen. Für die Medienpädagogik gilt es, das Bewusstsein für die Unterscheidung realer und virtueller Welten zu schärfen und Konzepte für eine sichere und gewinnbringende Nutzung virtueller Räume zu erstellen.Der Artikel schließt mit einer Kurzdarstellung der folgenden Beiträge.
This introductory article discusses the role of virtual spaces for the everyday life of individuals: Do interactive and lifelike virtual worlds offer alternative realities? What makes imaginary worlds attractive, is the opportunity of being anonymous, of faking one’s identity and – related to that – of crossing borders and breaking taboos. Depending on how much the individual gets involved in virtual spaces, this involvement can lead to self-reflection, but also to problems concerning the handling of everyday reality. The task of media education is to make people aware of the differences between real and virtual worlds and to provide concepts for using virtual spaces in a safe and successful way.The article closes with an abstract of the following essays.
Helga Theunert und Andreas Lange: „Doing Family“ im Zeitalter von Mediatisierung und Pluralisierung
Bedingt durch Veränderungen in der Medienwelt und im Sozialsystem Familie ist auch das Verhältnis der beiden Instanzen zueinander ein anderes geworden. Dieses zu verstehen ist eine Herausforderung, der sich die medienpädagogische Forschung gemeinsam mit anderen Disziplinen wie der Jugend- oder Familienforschung stellen muss. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, Familien dabei zu unterstützen, einen souveränen Medienumgang auszubilden.
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Universität Leipzig: Medienkonvergenz-Monitoring (seit 2003). Überblick: www.medienkonvergenz-monitoring.de
Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (Hrsg.) (2006). Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. BLM-Schriftenreihe Band 85, München: VerlagReinhard Fischer
Wagner, Ulrike (Hrsg.) (2008). Medienhandeln in Hauptschulmilieus.Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München: kopaed.
Wagner, Ulrike (2011). Medienhandeln, Medienkonvergenz und Sozialisation. Empirie und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven. München: kopaed.
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Helga Theunert und Bernd Schorb: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik
Eine Fachzeitschrift wird 50 Jahre alt. Das ist des Nachdenkens wert, vor allem wenn es sich um ein Publikationsorgan handelt, dessen Gegenstand eine Disziplin ist, die seit ihren Anfängen um ein klares Profil ringt, die Medienpädagogik. Seit den 50er Jahren müht sich die Medienpädagogik mit einem immer dynamischer werdenden Medienmarkt Schritt zu halten und dessen Offerten pädagogisch und mit wissenschaftlicher Fundierung zu reflektieren, und zwar nicht nur reaktiv, sondern vorausschauend und vor allem unter Zugrundelegung der Sichtweisen, die Heranwachsende auf die Medienwelt haben. Ihre Möglichkeiten dazu hängen in starkem Maße von ökonomischen Bedingungen und gesellschaftspolitischen Strömungen ab, die nur zu oft Standort- und Profiterwägungen über pädagogische Notwendigkeiten setzen. Die Reparatur unliebsamer Folgeerscheinungen der Medienentwicklung wurde und wird der Medienpädagogik gern zugewiesen, die kritische Reflexion und Vorausschau weniger.
Der Name ist Programm
merz hat die Medienpädagogik seit ihren Anfängen begleitet. Hervorgegangen aus den Mitteilungen, die der Arbeitskreis Jugend und Film e. V. schon Anfang der 50er Jahren herausgab, erschien 1957 erstmals die Zeitschrift „Jugend und Film“ mit dem Untertitel „Vierteljahres-schrift des Wissenschaftlichen Instituts für Jugendfilmfragen“, einem Vorgänger des heutigen „JFF“. Bereits ein Jahr später wurde die Zeitschrift umbenannt in „Jugend Film Fernsehen“, womit dem neuen Medium Fernsehen Tribut gezollt wurde. Seit 1976 trägt sie den Titel „medien + erziehung | merz“ und erscheint sechsmal im Jahr. Seit 1999 gibt es merz zusätzlich online.Mit dem Titel „medien + erziehung“ wurde gleichfalls der Entwicklung der Medienwelt Rechnung getragen, zugleich aber der veränderten Bedeutung der Medien im individuellen und gesellschaftlichen Leben. Denn Medien sind längst nicht mehr nur wie das Kino als gelegentliche Freizeitvergnügungen zu betrachten.
Sie sind bestimmende Faktoren des Alltags, haben Funktionen als Informanten, Meinungsbildner, Werte- und Orientierungsquellen und sind Instrumente der Wissensvermittlung. Die wissenschaftliche und pädagogische Fixierung auf die negativen Wirkungen der Botschaften der Vergnügungsmedien wird aufgeweicht. Schulfernsehen, programmierte Unterweisung, kompensatorische Vorschulsendungen und Ähnliche rücken bereits in den 60er Jahren die Frage ins Blickfeld, inwiefern der gezielte Einsatz von Medien zur Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen beitragen kann. In den 70er Jahren eröffnen sich zudem ganz neue Möglichkeiten: Der bereits 1932 in Brechts Radiotheorie gesetzte Gedanke, dass das Radio geeignet sei, um aus Konsumenten Produzenten zu machen, ist mit der medientechnischen Entwicklung für auditive und audiovisuelle Medien realisierbar geworden. Videogruppen, Medienzentren, Schülerradios, Piratensender, Bürgerkanäle – die alternative Medienszene bekommt Ende der 70er Jahre Konturen. merz gab dieser Szene Raum, erstmals 1977 mit einer Dokumentation über die „medienoperative berlin e. V.“. Die Medienpädagogik weitet in der Folge ihr Gesichtsfeld von der rezeptiven zur aktiven Medienarbeit. Diese bildet bis heute einen zentralen Schwerpunkt medienpädago-gischer Praxis, mittlerweile erweitert um die Potenziale der digitalen Medientechnik und um multimediale Produktions- und Präsentationsmöglichkeiten. Mit dem produktiven Medien-gebrauch wird die Frage wichtig, inwiefern die Menschen die Medien beeinflussen bzw. sie in Dienst nehmen und so Selbstbestimmung und gesellschaftliche Partizipation gefördert werden können.Wissenschaft und Praxis als Impulsgeber
Neben die klassische Wirkungsfrage, was die Medien mit den Menschen machen, ist seit den 70er Jahren die Frage getreten: Was machen die Menschen mit den Medien? Diese Frage stellt sich im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen sowie der technischen und inhaltlichen Weiterentwicklung der Medien jeweils neu. Sie richtet den Blick auf das aktive Subjekt, das sein Medienhandeln eingebunden in seinen Lebenskontext gestaltet. Diese Frage markiert bis heute einen zentralen Fokus medienpädagogischer Forschung und Praxis. Ihre Beantwortung ist Voraussetzung für Medienerziehung, verstanden als Förderung der Möglichkeiten, gewinnbringend mit den Angeboten und Ressourcen der Medienwelt umzugehen und die Medien kompetent in die eigenen Lebensvollzüge zu integrieren. Das Konzept der Medienkompetenz als ein Bestandteil von Kommunikativer Kompetenz, wie Dieter Baacke es 1973 in die Diskussion eingebracht hat, markiert bis heute die Zielsetzung medienpädagogischer Praxis.
Die Reflexion, Konkretisierung und praktische Umsetzung dieses Ziels hat in merz einen festen Platz. Die theoretische Auseinandersetzung angesichts neuer Entwicklungen auf Seiten der Medien oder veränderter Lebensbedingungen auf Seiten der Adressatengruppen gehört dazu, ebenso wie die Darstellung und Reflexion medienpädagogischer Praxismodelle, deren Spektrum das verfügbare Medienensemble und alle Zielgruppen pädagogischen Handelns umfasst und schließlich die Information über die Entwicklungen und Angebote in den verschiedenen Sektoren der Medienwelt. Zu Film, Fernsehen und Hörfunk haben sich Computer und Internet, Computerspiele und Edutainmentangebote gesellt und vorausschauend werden neue Entwicklungen aufgegriffen, wie etwa aktuell die Bestrebungen mediale Kommunikation und Vergnügungen mobil zu machen.Auf der wissenschaftlichen Seite erfordert die Beantwortung der Frage, was machen die Menschen mit den Medien, neben der Analyse von Medienangeboten, der Aufklärung der subjektiven Medienaneignungsprozesse zentrales Gewicht zu geben, von der Wahl der Medien, über die Nutzung, Wahrnehmung und Bewertung ihrer Angebote, bis hin zur Integration in die eigenen Lebensvollzüge. Die Klärung dieser Prozesse ist ein Schwerpunkt medienpädagogischer Forschung.
In besonderer Weise wird er durch Ansätze realisiert und vorangetrieben, die die subjektiven Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen von Kindern und Jugendlichen in ihren Lebenskontexten aufdecken und so fundierte Grundlagen für medienpädagogisches Handeln schaffen. merz hat über die Jahre theoretischen, analytischen und empirischen Beiträgen aus der Medienforschung ausführlich Raum gegeben. Seit 2003 ist eine Nummer pro Jahr ausschließlich einem wissenschaftlichen Thema vorbehalten und die hier veröffentlichten Beiträge müssen ein Gutachterverfahren durchlaufen. Mit merzWissenschaft hat nunmehr auch der wissenschaftliche Zweig der Medienpädagogik ein eigenes Forum.Die Aufgabe ist die Förderung des medienpädagogischen Diskurses
„medien + erziehung“ – dieser Titel greift immer noch für die pädagogisch motivierte Ausei-nandersetzung mit theoretischen und praktischen Phänomenen der Medienwelt und deren Aneignung durch heranwachsende und erwachsene Menschen, die für merz im Zentrum stand und steht. 50 Jahre merz, das sind 50 Jahre Medienpädagogik. Den mit Medienpädagogik verbundenen Arbeiten Aufmerksamkeit zu verschaffen, war das erklärte Ziel bei der Gründung der Zeitschrift, als Medienpädagogik noch Filmpädagogik war. Im Vorwort zur ersten Ausgabe wird darauf verwiesen: „Die Herausgabe der Vierteljahreszeitschrift soll die fruchtbare Verbindung von Theorie und Praxis, besonders auch den Gedankenaustausch zwischen allen daran (an der Jugendfilmarbeit) Interessierten weiter fördern und vertiefen.“ Der Medienpädagogik, relevanten Themen, wissenschaftlichen Befunden, praktischen Ansätzen und theoretischen Positionen Raum zu geben und eine breit gefächerte fachliche und öffentliche Debatte darüber anzuregen, ist bis heute das erklärte Ziel von merz. An den Inhalten, die merz in den letzten 50 Jahren, in 261 Ausgaben thematisiert hat, lässt sich ein guter Teil der Geschichte der Medienpädagogik ablesen. Unverkennbar ist natürlich der Einfluss derjenigen, die die Zeitschrift über die Jahre verantwortet haben. Ihre Sichtweisen auf die Medienpädagogik, ihre Haltungen gegenüber theoretischen Positionen, wissenschaftlichen und pädagogischen Ansätzen, ihre Vorlieben für einzelne Medien und Medienereignisse u. Ä. finden ihren Niederschlag in den Schwerpunktsetzungen der vergangenen 50 Jahre. Trotz der individuellen Handschriften, die einer Zeitschrift erst ihr Gesicht geben, sind durchgängige Leitlinien erkennbar. Sie machen den Charakter von merz aus: merz bietet ein Forum für Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. Damit wird die Ganzheitlichkeit medienpädagogischen Handelns unterstrichen. merz integriert wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen aus einschlägigen Nachbardisziplinen. So wird der interdisziplinäre Charakter der Medienpädagogik betont.merz veröffentlicht internationale Erfahrungen, wissenschaftliche Befunde und praktische Ansätze. Angesichts des globalisierten Medienmarktes wird so auf die Notwendigkeit grenz-überschreitenden Austausches verwiesen. merz initiiert Diskussionen zu aktuellen medienpädagogischen und medienpolitischen Fragen. Dadurch wird der Austausch zwischen der Fachwelt und gesellschaftlichen Verantwortungsträgern angeregt.merz schätzt die Entwicklungen auf dem Medienmarkt unter medienpädagogischen Vorzeichen ein.
Das schafft Orientierung für unterschiedliche pädagogische Handlungsfelder. merz sortiert den medienpädagogisch relevanten Publikationsmarkt über alle Medienträger hinweg. Dadurch wird medienpädagogisch Interessierten die zielgruppen- und gegenstandsadäquate Auswahl erleichtert.In den letzten 50 Jahren hat merz die Medienpädagogik begleitet, hat ihre Strömungen und die relevanter Nachbardisziplinen, die Entwicklungen des Medienmarktes und einschlägige gesellschaftspolitische Veränderungen aufgegriffen und der Reflexion und Diskussion zugänglich gemacht. Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Positionen in der Medienpä-dagogik blieben dabei ebenso wenig aus, wie Versuche politischer Einflussnahme. Zu allen Zeiten gehörte der Umgang mit knappen Ressourcen zum Tagesgeschäft. Denn merz entsteht an einem Institut, das selbst von öffentlichen Zuschüssen lebt. Die Konjunkturen der Medien-pädagogik, ob sie gesellschaftlich hoch angesehen ist oder ein Randdasein führt, haben immer bestimmt, welche Ressourcen das JFF für merz erübrigen konnte. Dass es merz bis heute gibt, ist der Wertschätzung zu danken, die der Zeitschrift vom gesamten Institut entgegengebracht wird und dem Engagement, dieses Publikationsorgan der Medienpädagogik finanziell zu sichern und ideell zu unterstützen.
Als diejenigen, die merz aktuell verantworten und auch die Geschicke des JFF leiten, hoffen und wünschen wir, dass diese Haltung auch in Zukunft trägt. Die entscheidende Antriebskraft ist die Leserschaft von merz, deren Rückmeldungen uns immer wieder bestätigen, dass sich die Anstrengungen lohnen. Mit diesem Rückhalt und mit der tatkräftigen Unterstützung einer breit gefächerten und ausgewiesenen Autorenschaft sowie dem engagierten Redaktionsteam sollte es gelingen, dass merz auch künftig die Medienpädagogik in all ihren Handlungsfeldern begleitet, umfassend, kritisch reflektierend, mit Weit-blick, mit dem Anspruch, Orientierung zu geben und mit dem Bestreben, in die Gesellschaft hineinreichende Debatten anzuzetteln.Helga Theunert und Bernd Schorb: Nicht desinteressiert, aber eigene Interessen
Die Mehrzahl der Jugendlichen hat Interesse an alltagsnaher Information und an gesellschaftlich relevanten Themen.
Dieses Bedürfnis sollte in seriöser Weise befriedigt und nicht dem Infotainment überlassen werden.
(merz 2000-04, S. 219-228)
Helga Theunert und Bernd Schorb: Veränderungen bei merz
Seit neun Jahren prägt Dr. Susanne Eggert als Chefredakteurin das Gesicht von merz entscheidend mit. Als Herausgeberin und Herausgeber sind wir froh darüber, hat sie doch zu allen Zeiten kompetent und in angenehmer Form den Beirat, die ehrenamtliche Redaktion, und Autorinnen und Autoren dazu motiviert, merz als ihr Anliegen zu sehen. Nun aber zieht es Susanne Eggert dorthin zurück, wo sie damals hergekommen ist, in die Forschung des JFF. Erstmal für ein Jahr – vielleicht aber auch länger – wird sie dort unterstützen und mit ihren Erfahrungen vorrangig den Bereich Kinder und Familie mitgestalten. Für die JFF-Forschung ist das ein Glücksfall, was merz angeht, so sind wir natürlich gespalten.
Aber: Susanne Eggert war auch in diesem Zusammenhang konstruktiv und hat uns eine sehr erfolgversprechende Vertreterin empfohlen. Swenja Wütscher, seit 2013 Volontärin bei merz, hat in dieser Zeit auf sich aufmerksam gemacht, als zuverlässige und ideenreiche Mitdenkerin und Mitarbeiterin. Mit ihrem Studium der Medienpädagogik und Erfahrungen mit medienpädagogischen Praxisprojekten und Publikationen bringt Swenja Wütscher gute Voraussetzungen mit, um merz stabil und kreativ weiterzuführen. Susanne Eggert wird Swenja Wütscher inhaltlich unterstützen. Sie betreut darüber hinaus weiterhin merzWissenschaft und wird Mitglied der merz-Redaktion. Wir sind sicher, mit diesen Veränderungen gewährleisten zu können, dass merz seinen hohen Standard hält. Wir wünschen Susanne Eggert viel Erfolg in der Forschung und Swenja Wütscher viel Erfolg bei merz.
Helga Theunert und Ulrike Wagner: Neue Wege durch die konvergente Medienwelt
Vergnügen und Information, Kommunikation und Interaktion – all das suchen und finden Heranwachsende heutzutage in einer immer komplexer werdenden Medienwelt. Insbesondere Heranwachsende mit niedrigem Bildungshintergrund sehen die Medien eher als Konsumraum. Für Heranwachsende mit hohem Bildungshintergrund hingegen sind die Medien auch Gestaltungsraum.
Die Studie „Neue Wege durch die konvergente Medienwelt“ gewährt systematische und tiefgehende Einblicke, wie sich Jugendliche in der konvergenten Medienwelt bewegen. (merz 2007-01, S. 42-50)
Helga Theunert, Bernd Schrob: Praxis und Akzeptanz des Jugendmedienschutzes
Fragestellungund Konzeption der Untersuchung basieren auf der Überlegung, dass jede Jugendschutzmaßnahme im Fernsehen in die Autonomie der erwachsenen Zuschauer eingreift - egal, ob diese Kinder zu erziehen haben oder nicht. Wenn neue Maßnahmen erprobt werden, genügt es deshalb nicht, ihre Funktionalität zu prüfen. Es muss v.a. in Erfahrung gebracht werden, ob sich die maßnahmen in das Denken und Handeln aller betroffenen REzipienten einpassen und so die Chance auf breite Akzeptanz besteht.
Neben der Frage, ob doe Vorsperre einer Sendung ein funktionales Jugendschutzinstrument ist, befasste sich die Untersuchung deshalb mit drei Fragekomplexen:
1. Mit dem Jugendmedienschutz, konkret damit, wie Maßnahmen im digitalen Pay-TV und im Free-TV eingeschätzt und gehandhabt werden. Speziell interessierte die Vorsperre und der Umgang mit ihr in Abonnentenhaushalten.
2. Mit der Fernseherziehung, mit der dem Jugendmedienschutz in Familien praktisch Geltung verschafft werden kann.
3. mit dem Fernsehumgang, der ein wichtiger moderierender Faktor in Bezug auf Fernseherziehung und Jugendmedienschutz ist.Um die Haltung der Abonnenten des digitalen Pay-TV, die ja erst ein sher kleines Segment der Bevölkerung sind, einordnen zu können, wurden Abonnentenhaushalte und Bevölkerungshaushalte, jeweils mit und ohne Kinder befragt.Die Untersuchung basiert auf einer Methodenkombination aus repräsentativen und qualitativen Befragungsverfhren, ergänzt um eine standardisierten Funktionalitätstest der Vorsperre...
(merz 2001/05, S. 293 - 301)
Helga Theunert: Editorial
„In der vernetzten Gesellschaft gibt es keine Diskretion – für niemanden“, so untertitelt Kay Sokolowsky in der Konkret vom Dezember 2013 seinen Artikel Glasbürgerkunde. Ein globales Netz politischer und wirtschaftlicher Datensammelagenturen sorge dafür, dass jeder Mensch ausgespäht und vermarktet wird: „Was der BND nicht herausfindet, kann er bei Google erfragen; was der Otto-Versand nicht über uns weiß, verrät ihm das Einwohnermeldeamt; was die Bank besonders interessiert, findet sie bei Facebook.“ Was dann noch fehlt, steuern die Nutzerinnen und Nutzer der Medienwelt bereitwillig – mit oder ohne Wissen und Bewusstsein – selber bei: Sie „exhibitionieren sich nach Kräften – in sozialen Netzwerken und Weblogs, bei Twitter, Instagram oder Flickr. ... Die Nachrichtendienste müssen, was sie erfahren wollen, nicht mehr mühsam besorgen, sie bekommen es frei Haus geliefert.“ Was Solokowsky hier unverblümt anprangert, verweist auf ein Bündel von gesellschaftlich und individuell gleichermaßen geschaffenen und wirksamen Problemlagen: Die umfassenden technischen Möglichkeiten, über die wir heute verfügen können, um unser Leben bequem von zu Hause aus zu gestalten, uns miteinander in Beziehung zu setzen und unsere Meinung in kleineren oder größeren Öffentlichkeiten kundzutun, haben eine Kehrseite: Sie ermöglichen es auch, unsere Lebensführung auszuspionieren, unser Denken und Handeln auf alle Zeiten zu archivieren, unsere Geheimnisse und Intimitäten zu enthüllen, kurz: uns unsere Privatheit zu nehmen.
Nach dem Motto: „das Böse ist immer und überall“ stellen uns staatliche Agenturen unter Generalverdacht. Mit dem Versprechen, uns eine Win-Win-Strategie zu bieten, reduzieren uns die Wirtschaftsgiganten des Internets auf eine Vermarktungsfläche. Und wir selbst liefern bereitwillig Informationen über uns und unser Leben, schon lange in einschlägigen Massenmedien, die ihr Geschäft als Schlüssellochgucker machen und nunmehr potenziert im Internet. Weil wir die vielen Vorteile der digitalen Medienwelt genießen wollen, ‚ermächtigen‘ wir die Anbieter, über unsere Daten zu verfügen und strengen uns an, zu ‚Glasbürgern‘ zu werden. Im Gegenzug gibt es jedoch keine Transparenz. Das Datensammeln und die Verwertung des zusammengeschaufelten Wissens über uns geschehen im Verborgenen, vielfach ohne dass es in unser Bewusstsein dringt. Nach dem Motto: „Ich hab‘ nichts zu verbergen“, zeigen sich aber viele Menschen auch gleichgültig gegenüber der Aufweichung historisch errungener Persönlichkeitsrechte, wie das Recht auf Privatheit. Aber, so wird es aktuell in einem Aufruf von Akademikern aus der EU, den USA und Australien (www.academicsagainsturveillance.net) einmal mehr unterstrichen: „Without privacy people cannot freely express their opinions or seek and receive information. ... current secret und unfettered surveillance practices violate fundamental rights and the rule of law, and undermine democracy.”
Eine Gruppe, die aufgrund ihrer Begeisterung für die digitale Medienwelt besonders leicht zum Spielball wirtschaftlicher und politischer Machtstrategien werden kann, weil sie im Tausch für die spannenden Offerten des Internets auch bereit ist, ihre Privatheit zu veräußern bzw. schlimmer noch: sie unwissentlich abzugeben, sind Kinder und Jugendliche, also eine zentrale Zielgruppe der Medienpädagogik. Sie tummeln sich besonders intensiv in Online-Räumen und teilen dabei auch mit Erwachsenen Erfahrung und Handeln. Diese Entgrenzung von Kindheit und Jugend muss der (Medien-)Pädagogik Kopfzerbrechen bereiten. Was bedeuten die vorgezogenen Erfahrungen mit Erwachsenen, mit Erwachsenenthemen und -handeln für die Entwicklung und Identitätsbildung? Birgt es Potenzial oder bedarf es der Gegensteuerung? Forschung fehlt weitgehend und so ist die (Medien-)Pädagogik einmal mehr darauf zurückgeworfen, ohne fundiertes Wissen ‚am Kind zu arbeiten‘ – und das zum Teil wider besseres Wissen. Denn was nutzt es, Kindern und Jugendlichen Verhaltensregeln für den Umgang mit persönlichen Daten und den Daten der anderen einzutrichtern, wenn sie gleichzeitig erfahren, dass Erwachsene solche Regeln ebenso übertreten oder gering schätzen und sich staatliche Institutionen in grenzenloser Schnüffelei ergehen? Wie sollen Kinder und Jugendliche Respekt vor den Werken anderer entwickeln, wenn gleichzeitig Personen des öffentlichen Lebens sich schamlos bedienen? Wie sollen Kinder und Jugendliche lernen, Privatheit als einen Wert zu begreifen, wenn gleichzeitig die Massenmedien Privates und Intimes auf Titelseiten und Fernsehbildschirme zerren? Wie sollen Kinder und Jugendliche verstehen, dass Mobbing zu tiefen und nachhaltigen Verletzungen führt, wenn gleichzeitig das Übereinander-Herziehen als Unterhaltung verkauft wird?
Solche Widersprüche sind nicht durch pädagogische Arbeit am Kind zu lösen. Man muss zwar Kinder stark machen, um gegen die Zumutungen der Medienwelt widerständig sein zu können, man muss sie ermutigen in ihren Lebenskontexten für humane Werte und zivilisatorische Errungenschaften einzutreten, aber die skizzierten Widersprüche sind gesellschaftliche Widersprüche, Fehlentwicklungen im sozialen Leben. Die Medien sind die Mittel, doch erst die Bedeutung, die ihnen im sozialen Leben zuerkannt wird, und die Macht, die damit verbunden ist, machen sie zu Protagonisten dieser Widersprüche. Dahinter steht wirtschaftliches Kalkül, denn mit allem lässt sich Geld verdienen, mit den Daten von Menschen, mit ihrer Privatheit, mit ihrer Intimität, mit ihrer Verletzlichkeit. Die Wirtschaftsmacht Medien scheint grenzenlos; die Politik zeigt sich ihr gegenüber zumindest handlungsunwillig; und die (Medien-)Pädagogik ist machtlos. Sie soll bei der heranwachsenden Generation heilen, was ungezügeltes Gewinnstreben angerichtet hat – allerdings mit bescheidenen Mitteln und möglichst wirtschaftskompatibel. Schon das Bemühen, Kinder und Jugendliche zu souveräner Positionierung gegenüber der Medienwelt zu befähigen, wird vielfach misstrauisch beäugt. Das Anmahnen von Schutzbelangen gilt heute fast schon als ketzerisch. Und wenn es darum geht, sich öffentlich für die Belange von Kindern und Jugendlichen einzusetzen, dann gesteht man der Medienpädagogik selten eine Stimme zu – und oftmals hat sie auch keine. Doch ist und bleibt es eine pädagogische Aufgabe, öffentlich Stellung zu beziehen für die Belange der heranwachsenden Generation und für die Verbesserung der Bedingungen für ein souveränes Leben aller Menschen in der mediatisierten Gesellschaft. Dazu gehört es, einem Wertekanon Bedeutung zu verschaffen, der an Souveränität und sozialer Verantwortlichkeit ausgerichtet ist, Werte wie Privatheit und Selbstbestimmung als unveräußerlich begreift, Menschen, ihr Leben und ihre Werke respektiert und staatliche Sorge als Verpflichtung sieht, für alle, die selbst die Welt (noch) nicht gut verstehen und in ihren Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten (noch) beschränkt sind. Vor diesem Hintergrund ist souveränes Handeln in der mediatisierten Gesellschaft zu sichern und kontinuierlich zu fördern.
Das Konzept von Medienkompetenz, das sein Fundament in der kommunikativen Kompetenz hat, trägt dafür, denn es sind die kommunikativen Verhältnisse und Strukturen der Gesellschaft, aus denen die mit Medienhandeln verbundenen Risiken und gleichermaßen die darin liegenden Potenziale erwachsen. Eine Herausforderung für die Gestaltung von Medienkompetenzförderung, die zur Stärkung kommunikativer Kompetenz beiträgt, stellt die Dynamik der technischen Entwicklung dar, die auf Prozesse der Medienaneignung durchschlägt. Eine weitere Herausforderung ist die notwendige Erweiterung auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, denn in der mediatisierten Gesellschaft ist Medienkompetenz der Schlüssel zu Partizipation. Hier sei der Medienpädagogik anempfohlen, ihren Blick auch auf andere Bildungsfelder zu richten. So benennt etwa Oskar Negt in seinem Buch Der politische Mensch. Demokratie als Lernform Kompetenzen, die das politische Subjekt ausmachen. Einige dieser Kompetenzen sind deckungsgleich mit Dimensionen der Medienkompetenz als Teil kommunikativer Kompetenz, so beispielsweise reflexive Fähigkeiten wie Orientierungs- und Die Medienwelt sprießt ins Unendliche: Ist die Wirtschaftsmacht Medien daher grenzenlos? Urteilsvermögen, oder Wissensaneignung durch Erfahrung und Handeln.
Andere wären es wert, in Hinblick auf den selbstbestimmten Gebrauch medialer Möglichkeiten durchdacht zu werden, vor allem die historische Kompetenz, die Negt als Erinnerungs- und Utopiefähigkeit gleichzeitig fasst. Übertragen auf Medien könnte das bedeuten, Privatheit auch in der Medienwelt als historische Errungenschaft zu reflektieren und tragfähige Wege zu entwickeln, diese Errungenschaft gegen die Gier von Wirtschaft und Politik nach Informationen aus den Privatleben der Menschen zu verteidigen. Friedrich Krotz stellt in seinem Beitrag Forderungen dazu auf, warum und wie wir uns gegen eine Eingemeindung des Internets in ausschließlich von Profit und Markt getriebene Räume wehren sollen und wie das Internet als das Netz der Zivilgesellschaft zurückerobert werden kann. Er arbeitet am Beispiel der Einführung verschiedener Medien – von Print bis zum Internet – heraus, dass in jedem dieser Medien Potenziale stecken, um sie entweder in Richtung emanzipatorischen und selbstbestimmten Gebrauchs oder aber als Kontroll- und Manipulationsinstrument in Gebrauch zu nehmen. Tanja Thomas und Elke Grittmann diskutieren, wie Prozesse der Entmächtigung und Ermächtigung in alltäglichen mediatisierten Praktiken miteinander verknüpft sind. Sie richten dabei den Blick auf die Handlungsweisen der Subjekte und zeigen, dass nicht Technologien und mediale Strukturen Macht ausüben, sondern erst durch die Handlungsweisen der Subjekte sich Machtverhältnisse auf institutioneller, individueller und kollektiver Ebene konstituieren.
Ihre Beispiele zeigen, dass diese kommunikativen Praktiken nicht nur als repressive, sondern auch als produktive Macht zu verstehen sind. Niels Brüggen fragt danach, wie mit der Forderung zur Befähigung einer souveränen Lebensführung unter den aktuellen medialen und gesellschaftlichen Bedingungen aus medienpädagogischer Sicht umzugehen ist und welche Herausforderungen sich dabei für die Umsetzung stellen. Er nimmt dabei vor allem den Umgang mit Daten im Social Web in den Blick und argumentiert, dass die Herausforderungen für medienpädagogische Arbeit vor allem darin liegen, erstens Wissen über mediale Strukturen mit den Erfahrungen der Subjekte wieder stärker in Zusammenhang zu bringen und zweitens dass ein souveränes Leben in der mediatisierten Gesellschaft zu führen auch bedeutet, gesellschaftliche Rahmenbedingungen mitgestalten zu können. In Interviews mit Experten aus der Medienpädagogik, der politischen Jugendbildung und dem politischen Journalismus werden die zentralen Fragen und Thesen noch einmal aufgegriffen. Anhand von Erfahrungen und Beobachtungen setzen diese sich damit auseinander, welchen Part die Medienpädagogik bei den aktuellen Entwicklungen hat und an welchen Stellen sie gefordert ist.
Die Medienpädagogik ist in einer von ökonomischen Interessen weitgehend beherrschten (Medien-)Welt nicht ohnmächtig, aber sie muss Stellung beziehen sowie viel Ausdauer und Kraft aufbringen bei ihrem Auftrag, die Subjekte zu einem souveränen Leben mit Medien zu befähigen. Die vorliegende merz-Ausgabe will dafür Argumente liefern und Ansatzpunkte aufzeigen.
Susanne Eggert und Helga Theunert: Medien im Alltag von Heranwachsenden mit Migrationshintergrund
Ein beachtlicher Teil der in Deutschland lebenden Menschen, etwa 9% der Gesamtbevölkerung, hat eine nicht-deutsche Herkunft. Bunt und sehr heterogen sind die hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. „Arbeitsmigranten, ihre Kinder und Kindeskinder, deutsche Spätaussiedler aus den osteuropäischen Ländern, Asylanten, Asylsuchende und Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge und EU-Ausländer, die im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union nach Deutschland kommen, sie alle bilden eine heterogene Population, die als Deutsche oder Nicht-Deutsche, als lange hier Lebende, vielleicht hier Geborene oder gerade erst Eingewanderte sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, und die auch hinsichtlich ihres (ausländer-)rechtlichen Status nicht vergleichbar sind.“ (Stellungnahme der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung 2000, S. 149)
Balancieren zwischen den KulturenDie verschiedenen Migrantengruppen bringen – neben spezifischen individuellen und kollektiven Erfahrungen, die beispielsweise bei Kriegsflüchtlingen oder Asylsuchenden oftmals drastisch oder traumatisch sind – eine gewachsene kulturelle Identität mit. Auch wenn sie schon lange hier leben, auch wenn die Kinder und Enkelkinder schon hier geboren sind, Religion, Normen und Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuche der Herkunftskultur haben vielfach über Generationen Bestand und spielen auch im Alltag derjenigen eine – mehr oder weniger große – Rolle, die sie nur noch rudimentär oder gar nicht mehr aus eigener Anschauung und Erfahrung kennen. Je größer und vor allem je augenfälliger die Entfernung zur hiesigen Kultur und Lebensweise ist, desto fremder erscheinen die hier lebenden Migrantengruppen.
Ein 14-Jähriger bringt es treffend auf den Punkt: „Wenn ein Schwede nach Deutschland kommt, dann sagt man irgendwie ‚hallo’, und wenn jetzt irgendwie ein Türke oder ein Russe kommt, dann hat man natürlich schon so’n komischen Blick oder man denkt sich schon so’n bisschen was dabei.“ Auch die schwedische Kultur ist anders als die deutsche, aber die Unterschiede sind nicht so groß und nicht unmittelbar an Äußerlichkeiten ersichtlich. Die ‚kopftuchtragende Türkin’ hingegen fällt auf. Und ihre Herkunftskultur differiert erheblich von der deutschen Lebensweise, jedenfalls dann, wenn sie von moslemischer Religion und von traditionellen Familienstrukturen, Rollenverteilungen und Wertvorstellungen geprägt ist. Das jedoch gilt längst nicht mehr für alle Türkinnen, weder für die in der Türkei, noch für die in Deutschland lebenden. Die ‚kopftuchtragende Türkin’, die in einer von Männern dominierten Gesellschaft in Abhängigkeit lebt, ist nur ein Bild türkischer Kultur und Lebensweise, das sich jedoch – nicht zuletzt aufgrund häufiger medialer Präsenz – hartnäckig als das Bild des Ganzen zu behaupten versucht...( merz 2002/05, S. 289 - 300 )
Bernd Schorb und Helga Theunert: Er war ein Pädagoge
Hartmut Warkus, Professor für Medienpädagogik am Institut für Kommunikation und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und seit zwei Jahrzehnten engagiertes Mitglied und wichtiger Kooperationspartner des JFF – Institut für Medienpädagogik ist am 5. Dezember 2011 seiner heimtückischen Krankheit erlegen.Hartmut Warkus war mit seinem ganzen Können und all seinen Sinnen Pädagoge. Ihm lag daran, den Menschen etwas beizubringen, ihr Verständnis für die Medienwelt, deren Möglichkeiten und Risiken zu erweitern und ihren eigenen Medienumgang verantwortlich zu gestalten.Als Professor für Medienpädagogik sah er seine vorrangige Aufgabe in der Lehre (leider längst keine Selbstverständlichkeit mehr) und fühlte sich den Studierenden verpflichtet. Ihnen bot er Erfahrungsräume und schaffte Gelegenheiten für medienpädagogische Betätigung. Sie hatten sein Ohr, wenn sie Rat brauchten und konnten auf seine Hilfe vertrauen.Auch in seiner medienpädagogischen Arbeit stand das Pädagogische im Zentrum, nicht zuletzt wenn er sich der strittigen Angebote der Medienwelt und der Begeisterung von Kindern und Jugendlichen dafür annahm. Das Computerspielen in seinen vielfältigen Variationen steht exemplarisch dafür. Hartmut Warkus versuchte, die Begeisterung von Kindern und Jugendlichen für die Spiele zu ergründen und auch seine eigene, denn er spielte selbst gern. Aufbauend auf diesen Erfahrungen entwickelte er Modelle wie die Computerschule Leipzig, die Kinder und ihre Eltern animiert, sich gemeinsam mit Computerspielen zu befassen, praktisch und reflektierend. So erschließen sich den Eltern die geliebten Spiele ihrer Kinder und die Motive ihrer Spielbegeisterung.
Die Kinder werden zum Nachdenken über ihr Spielverhalten angeregt und müssen ihre Vorlieben argumentieren. Das ist handlungsorientierte Medienpädagogik. Hartmut Warkus‘ pädagogisches Bestreben machte auch vor der Politik nicht halt. Nach dem Motto: Die sollten wenigstens wissen, worüber sie reden, spielte er mit Regierungsmitgliedern. Wie tief die Einsichten in der Politik reichen, ist nicht abzusehen. Hartmut Warkus jedenfalls fand es spannend, Pädagoge für alle zu sein, er mochte seinen Beruf und hatte Spaß daran.Für das JFF war Hartmut Warkus zwei Jahrzehnte ein engagiertes und beliebtes Mitglied, das unsere Versammlungen solidarisch begleitet und bereichert hat. In vielen Forschungs- und Praxisprojekten war er zudem ein zuverlässiger und stets hilfsbereiter Kooperationspartner. Ob es um die Untersuchung von digitalen Jugendschutzinstrumenten, um den Aufbau eines virtuellen Umweltzentrums oder um die Organisation einer Großtagung ging – auf Hartmut Warkus konnten wir uns immer verlassen und er hat uns in diesem (immer noch) anderen Teil unseres Landes etliche Türen geöffnet, die wir selbst nicht gefunden hätten.
Wir verlieren mit Hartmut Warkus einen Medienpädagogen, der dieser Berufsbezeichnung alle Ehre gemacht hat, wir verlieren einen Kooperationspartner, für den solidarisches Handeln selbstverständlich war, wir verlieren einen Kollegen, der eine Lücke hinterlässt und wir verlieren einen Freund, der uns fehlen wird.
Helga Theunert/Bernd Schorb: Die Maschine KI - Herausforderung für eine subjektorientierte (Medien-)Pädagogik
Was kann KI und wie genau sehen ihre Unterstützungsleistungen aus? Wo-durch unterscheiden sich Maschinen bzw. das maschinelle Lernen von den generativen KI-Systemen, wie zum Beispiel ChatGPT? Warum ist die Vermenschlichung von KI problematisch und was sind die pädagogischen Implikationen ihres Einsatzes? Hierüber und über weitere Fragen sprechen Prof.Dr. Helga Theunert und Prof. Dr. Bernd Schorb mit Dr. Thomas Hickfang.
Helga Theunert/Bernd Schorb: Hans Schiefele zum 100. Geburtstag
Hans Schiefele, ein herausragender Pädagoge und Denker sowie ehemaliger Vorsitzender des JFF, feiert seinen 100. Geburtstag. Bekannt für seine scharfsinnigen Analysen und die Öffnung des Raums für die Diskussion unterschiedlicher Perspektiven, hat er Generationen von Studierenden inspiriert, sich mit den Herausforderungen der modernen Medienwelt auseinanderzusetzen. Seine Überzeugung, dass Bildung und Erziehung entscheidend sind, um junge Menschen zu mündigen und sozial verantwortlichen Individuen zu formen, prägt bis heute die Medienpädagogik. Der Beitrag von Bernd Schorb und Helga Theunert würdigt Schiefeles Lebenswerk und seinen Einfluss auf die Entwicklung von Medienkompetenz in der Gesellschaft.
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