Andrea Uehlein
Beiträge in merz
- Andrea Uehlein: Kein Wort ohne meinen Verleger
Andrea Uehlein: Kein Wort ohne meinen Verleger
Früher war alles besser: Die lieben Kinder setzten elterliche Anweisungen gewissenhaft und gründlich um, ohne nachzufragen. Heute tut das Kind nicht unbedingt etwas, um der Mama eine Freude zu machen oder fürs Leben zu lernen; auch fürstliche Entlohnung reicht als Ansporn kaum noch aus. Allenfalls die Aussicht „gedruckt und gesendet“ zu werden, sorgt für ein Mindestmaß an Motivation. So trug es sich unlängst zu im Kampf um die Hausaufgabe „schreibe eine schöne Nacherzählung in der ersten Vergangenheit, mit vielen Wiewörtern und direkter Rede“, dass ich mich – neben weitschweifigen Ausführungen zu Stilmitteln und innovativem Sprachgebrauch – plötzlich irrwitzige Versprechungen abgeben hörte: „Wenn du die Nacherzählung schön schreibst, dann drucken wir die als Buch – na, wäre das nicht toll? Dein erstes eigenes Buch!“ Zwei bis drei nölende „Nö“ später hat mir das Kind abgerungen, dass sein Buch auch als Hörspiel erscheint. Die dazu passende Kollektion von Merchandising-Artikeln wie Trinkflaschen, Radiergummis et cetera lasse ich mir allerdings nur gegen die Zusage abpressen, auch tatsächlich dieses komische Imperfekt zu verwenden und das Buch eigenhändig zu illustrieren.
Tief seufzend schmiert der Knabe nun eine Geschichte aufs Papier, die mich vor Mitleid fast weinen lässt: Handelt sie doch von einem kleinen Mädchen, das so gerne spielen möchte, aber von seiner sauertöpfischen Mutter gezwungen wird, sinnlose Einmaleins-Aufgaben zu rechnen. Die der traurigen Erzählung innewohnende Transferleistung lässt meine Tränen jedoch schnell wieder trocknen. Richtig ungemütlich wird es erst, als das Kind mich auffordert, still sitzen zu bleiben, denn „ich mal dich jetzt“. Zunächst beginnt er vielversprechend mit einem Kasten, der sich jedoch schnell zu einem Oberkörper à la Arnold Schwarzenegger auswächst. Dem fiktiven Leser seines noch nicht gedruckten ersten Buches mag dies durchaus verheißungsvoll erscheinen, mir indes nicht, denn erstens habe ich relativ wenig Ähnlichkeit mit einem Schrank und zweitens ahne ich, wie es weitergehen wird. Auf den Schrank kommt nämlich als Hals nun eine Art dicker Schlot, aufdem eine kümmerlich kleine, verschrumpelte Erbse platziert wird. Und nur weil der kleine Kreative dann versucht, Augen-Mund-Nase in diese Erbse zu pfriemeln, weiß ich: Das soll der Kopf sein! Als ich vorsichtigen Protest wage, wird beleidigt radiert, neu angesetzt und eine ähnlich kümmerliche Erbse produziert. Nach ausgiebigem Radiergummiverschleiß liegt dann ein zerknittertes Bild vor, das Erwachsene allenfalls als Zwischenergebnis werten würden, während die Kreativabteilung dies mit „Fertig. Krieg ich jetzt mein Hörbuch?“ kommentiert, so dass sich zwangsläufig folgender Ablauf anschließt: „Du, das hast du ganz toll gemacht. Hände wären aber auch nicht schlecht.“ Verächtlich packt der Künstler zwei unförmige Klumpen an die schlauchartigen Arme. „Und vielleicht Finger auch noch?!“ Gestöhne. Dann folgen vier bis sechs dicke Würste pro Klumpen. „Und wie wäre es mit ein paar Haaren?“ Wortlos wird etwas hingekritzelt, an dem Udo Walz nicht gerade seine Freude hätte. Danach herrscht beidseitserschöpftes Schweigen. Um größeres Unglück zu vermeiden gehe ich eine Runde Joggen und das Kind lässt sich vom ausgeleierten Kassettenrekorder Geschichten erzählen.
Als ich verschwitzt wieder zuhause erscheine, pirscht sich plötzlich der Knilch an und berichtet spitzbübisch „Ich hab’s nochmal gemacht“. Und dann erzählt er mir eine wirklich schöne Geschichte, die ein für-immer-als-Hörbuch Festhalten tatsächlich verdient hätte. So aber wird sie erzählt, verklingt – und wird noch lange in meiner Erinnerung bleiben.