Benedikt Hommann
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- Benedikt Hommann: Spec Ops: The Line
Benedikt Hommann: Spec Ops: The Line
Die First- und Third-Person-Shooter, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, unterscheiden sich voneinander häufig nur im Setting oder der grafischen Vollkommenheit. Die den Spielen zugrundeliegenden Geschichten sind oftmals die gleichen: Als heldenhafter Soldat rettet man Unschuldige oder gleich die ganze Welt, kämpft gegen Terroristen, Despoten oder Wahnsinnige. Aber was passiert, wenn man selbst nicht mehr erkennen kann, wer Held und wer Verbrecher ist, wo der Wahnsinn beginnt und wo er endet? Mit Spec Ops: The Line (2K Games) ist ein Third-Person-Shooter erschienen, der mit den gängigen Spieleklischees von Gute und Böse bricht – und dies auf eine für die Spielenden fast schon schmerzhafte Weise. Das Spiel des deutschen Entwicklerstudios Yager spielt in der von riesigen Sandstürmen heimgesuchten Metropole Dubai. Eine dreiköpfige Spezialeinheit um Captain Walker ist in der einst so prachtvollen Stadt eingetroffen, mit dem Ziel, das Schicksal des hochdekorierten Colonel Konrad und seiner Kompanie aufzuklären. Konrad, der Walker einst das Leben in Afghanistan gerettet hat, hatte sich mit seinen Soldaten aufgemacht, die Zivilbevölkerung aus Dubai zu evakuieren. Doch der Versuch misslang und der eintreffenden Spezialeinheit bietet sich ein Bild des Grauens: Abgeschlachtete Zivilisten, marodierende US-Soldaten.
Nicht ohne Grund orientiert sich das Spiel dabei dramaturgisch an dem Anti-Kriegsfilm Apocalypse Now (1979), der wiederum auf Joseph Conrads literarischem Werk Herz der Finsternis (1899) beruht. Als Captain Walker kämpft und schleicht sich der Spieler oder die Spielerin durch die verfallenen Ruinen Dubais, immer auf der Suche nach Konrad und der Wahrheit. Doch was ist die Wahrheit? Während andere Shooter an dieser Stelle eine Schwarz-Weiß-Dramaturgie vorgeben, verwischen in Spec Ops: The Line die Grenzen zwischen Gut und Böse. Nicht nur, dass der Spieler bzw. die Spielerin als amerikanischer Soldat gegen die einigen Landsleute kämpfen muss, die Legimitierung dieses Kampfes wird im Laufe des Spiels immer mehr aus den Angeln gehoben. So müssen immer wieder moralische Entscheidungen getroffen werden. In einer Mission soll sich Walker entscheiden, ob er lieber zwei Zivilisten retten will, oder einen Informanten. Auch wenn diese Entscheidungen im Spiel kaum einen Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte haben, sie erreichen etwas bei den Spielenden, das bisher in dieser Form bei keinem anderen Shooter erzeugt wurde: ein Schuld-Gefühl.
Denn wie man sich im Spiel auch entscheidet, Gewalt führt immer zu Leid und Opfern. Gleichsam zeigt Spec Ops: The Line noch etwas anderes: Es erlaubt den Spielerinnen und Spielern, mit der Figur eine Entwicklung durchzumachen. Walkers Vorgehen hat im Laufe des Spiels einen immensen Einfluss auf seine Psyche und die seiner beiden Kameraden. Die Soldaten werden zunehmend aggressiver und rücksichtloser. Dies kumuliert schließlich in der Frage, wer Schuld hat am Wahnsinn – der vermeintlich Böse oder der vermeintlich Gute?Spec Ops: The Line kann zu den gewalthaltigsten Spielen gezählt werden, die überhaupt in Deutschland unzensiert eine USK-Freigabe erhalten haben. Da werden Köpfe abgeschossen, Zivilisten niedergemetzelt und verwundete Soldaten können brutal exekutiert werden. Im Unterschied zu anderen Spielen stellt sich hier allerdings nicht die Frage, warum ein Spiel derart gewalttätig sein muss. Der Grund dafür liegt in der Inszenierung, in der Gewalt nicht einfach Mittel zum Zweck ist, sondern kritisch hinterfragt wird. Spec Ops: The Line gelingt es zwar nicht immer, diese Kritik aufrechtzuerhalten, beispielsweise werden bei geglückten Kopftreffern kurze Zeitlupensequenzen ausgelöst, allerdings korrespondiert dies damit, dass das Spiel auch ein gewisses Unterhaltungserleben ermöglichen will.
Trotz dieser fehlenden letzten Konsequenz lassen sich bei Spec Ops: The Line zwei Sachverhalte hervorheben: Zum einen zeigt der Titel, zu welchen narrativen Möglichkeiten das sonst dramaturgisch stagnierende Shooter-Genre imstand ist, indem bekannte Werke adaptiert und packend für das interaktive Medium Spiel inszeniert werden. Zum anderen gewinnt Spec Ops: The Line dem besonders in Deutschland stark umstrittenen Genre neue Facetten ab. Nun wird der Spieler oder die Spielerin am Ende einmal nicht als zufriedener Weltenretter zurückgelassen, sondern ernüchternd vor die Realität gestellt: Im Krieg gibt es keine Gewinner, nur Verlierer.
Spec Ops: The Line
Genre: Shooter
Plattform: PC, PlayStation 3, Xbox 360
Publisher: 2K Games
Entwickler: YAGER Development
Freigabe: USK 18
Beitrag aus Heft »2012/05: Medienkonjunkturen - Medienzukunft«
Autor: Benedikt Hommann
Beitrag als PDF - Benedikt Homman: Tomboy
Benedikt Homman: Tomboy
Wenn man die zehnjährige Laure zum ersten Mal sieht, könnte man sie fast für einen Jungen halten. Ihre Haare sind kurz, sie trägt Jeans und benimmt sich auch sonst nicht unbedingt wie ein Mädchen. Laure ist ein sogenannter ‚Tomboy‘; ein Mädchen, das sich wie ein Junge gibt und auch fühlt. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Jeanne ist sie in eine andere Stadt gezogen, in der sie auch bald eine neue Schule besuchen wird. Laure findet schnell Anschluss an eine Gruppe von gleichaltrigen Kindern. Den Sommer genießen die Kinder mit Fußballspielen und beim Baden am See. Doch während sie für ihre Eltern Laure ist, stellt sie sich ihren Freundinnen und Freunden als Mikael vor. Dass Mikael in Wirklichkeit ein Mädchen ist, wissen diese nicht und damit dies so bleibt, lässt Mikael sich einiges einfallen. Nur die kleine Jeanne weiß von Laures neuer Identität und erfreut sich an der Maskerade: „Ich habe einen großen Bruder und der ist viel besser.“
Dann verliebt sich Mikael in das Nachbarsmädchen Lisa und ihm wird immer bewusster, dass der Tag kommen wird, an dem das Geheimnis keines mehr sein wird. Die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Célina Sciamma zeichnet in ihrem Film Tomboy das Bild eines Mädchens an der Schwelle zur Pubertät, das versucht, sich einer biologisch und gesellschaftlich determinierten Herausbildung der Identität zu widersetzen. Zum Beweggrund, einen Film über dieses sensible Thema zu drehen, meint die Regisseurin: „Es scheint fast, als wäre die sexuelle Orientierung von Kindern mit einem Tabu behaftet. Und dies, obwohl doch gerade die Kindheit eine Zeit der großen Gefühle und intensiven sinnlichen Erlebens darstellt.“ Dabei inszeniert Céline Sciamma dieses Erleben auf eine zurückhaltende Art und Weise und lenkt den Blick der Zuschauerinnen und Zuschauer vor allem auf die Hauptfigur, die manchmal wie leichtfüßig zwischen ihren beiden Geschlechtern hin und her schwenkt und es scheinbar stets schafft, ihre Travestie aufrechtzuerhalten. Zoé Héran, die Darstellerin der Laure, verkörpert dies absolut glaubhaft. Statt auf große Emotionen zu setzen, zeigt die Regisseurin Laures inneren Gefühlszustand immer wieder in kleinen Gesten.So wie in der Szene, als Laure von ihrem Vater zum ersten Mal einen Schlüssel für die Wohnung bekommt, der an einem rosafarbenen Band hängt. Dieses tauscht sie aber gleich durch den weißen Schnürsenkel ihrer Sportschuhe aus.
Diese ruhige und unspektakuläre Erzählweise bedeutet zugleich, dass Tomboy seinem Publikum einen gewissen Anspruch abverlangt, weil keinerlei dramaturgische Möglichkeiten vorgegeben werden, zur Hauptfigur Position zu beziehen. Selbst auf den Einsatz von Musik verzichtet Céline Sciamma weitestgehend.Aufgrund dieser besonderen Erzählweise wird es Kindern unter zwölf Jahren nicht leicht fallen, dem Film aufmerksam zu folgen. Tomboy ist vor allem für Jugendliche geeignet, die sich in der Pubertät befinden oder diese bereits abgeschlossen haben und damit gegenwärtig oder rückblickend auf die Entwicklung einer eigenen Sexualität und Identität Stellung beziehen können. Besonders gut geeignet ist der Film für eine Einbindung in verschiedene Unterrichtsfächer. Für den Ethik- und Religionsunterricht bietet der Film Anregungen, um über Fragen nach Geschlechterrollen und Identitätsbildern in einer Gesellschaft zu diskutieren, und was es bedeutet kann, wenn eine Identitätsbildung unter Zwang geschieht.
Für den Deutschunterricht gibt der Film weiterhin Impulse, um sich mit der in der Literatur immer wieder anzutreffenden Identitätsdopplung auseinanderzusetzen. Darüber hinaus lässt sich im Biologieunterricht auch die Problematik der unterschiedlichen sexuellen und psychologischen Reifungsprozesse von Mädchen und Jungen ansprechen. Handelt es sich bei Laure nur um eine vorübergehende Wandlung der Identität, oder markiert ihre Travestie den weiteren Lebensweg? So wie in der Realität gibt auch der Film an diesem Punkt den Zuschauern keine einfache Antwort vor.
Tomboy
Frankreich 2011, 82 Minuten
Regie: Céline Sciamma
Darsteller: Zoé Héran, Malonn Lévana, Jeanne DissonVerleih: Alamode Film
Filmstart: 03.05.2012
Beitrag aus Heft »2012/03: Privatsphäre und Datenschutz im Netz«
Autor: Benedikt Hommann
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