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Mehr als nur kleine Hexe, Hörbe und Hotzenplotz

Zum 100. Geburtstag von Otfried Preußler

Generationen von Kindern sind mit Otfried Preußlers Büchern aufgewachsen, haben sie beim Einschlafen gehört, im Kino gesehen oder mit ihnen das Lesen gelernt. Da sind Der kleine Wassermann mit seiner roten Zipfelmütze oder Räuber Hotzenplotz mit seiner Schwäche für Kaffeemühlen und Gold. Hutzelmann Hörbe (Hörbe mit dem großen Hut) aus dem Siebengiebelwald nimmt selbst im Bett seinen Hut nicht ab, weil er vor bösen Träumen schützen soll und Das kleine Gespenst wird immer wieder von Niesattacken geplagt. Allein 22 Schulen sind in Deutschland nach Otfried Preußler benannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erneuerte Otfried Preußler die Kinderbuchliteratur und wurde einer der weltweit erfolgreichsten deutschen Autoren.

Preußlers Werke schafften es nicht nur als Bücher in die Kinderzimmer, sondern auch durch Hörspiele auf Langspielplatten und später Musikkassetten oder als Marionettenspiel ins Fernsehen. So wie der Räuber Hotzenplotz in der Augsburger Puppenkiste. Letzterer trieb mit dem österreichischen Schauspieler Nicholas Ofczarek als tollpatschiger Räuber in der Titelrolle 2022 auch auf der Kinoleinwand wieder sein Unwesen.

„Er [Anmerk. d. Red. Preußler] ist jemand, der sich mit unterschiedlichen Formen von Me-dien schon immer sehr intensiv auseinandergesetzt hat“, so die Literaturwissenschaftlerin Carola Pohlmann. Er habe die Medienvielfalt ganz bewusst bedient und habe sie benutzt, meint die Leiterin der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin in der sehenswerten und bewegenden arte-Dokumentation Otfried Preußler. Ich bin Krabat von Thomas von Steinacker. Dieser erzählt die Lebensgeschichte des Menschen hinter einem der größten Kinderbuchautoren des 20. Jahrhunderts. Zu Wort kommen darin unter anderem die Tochter von Otfried Preußler Susanne Preußler-Bitsch, Autorin Kirsten Boie oder der Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Tilmann Spreckelsen, dessen packende Preußler-Biographie (Ein Leben in Geschichten) jüngst erschienen ist.

Am 20. Oktober 1923 wurde der preisgekrönte Schriftsteller in Reichenberg, dem heutigen tschechischen Liberec geboren. Preußler glaubte an „die Kraft der Fantasie“, wie er in einem früheren Interview erzählte, das ebenfalls in Ausschnitten in dem Dokumentarfilm zu sehen ist. Und er glaubte an „seelische Kräfte, die sich in magische Wirkungen umsetzen können“: „Sei es zum Bösen oder sei es zum Guten.“ Sein Vorbild als Erzähler war seine Großmutter Dora — eine begnadete Geschichtenerzählerin. Von ihr lernte er, wie man Kindern Geschichten erzählt. Gehörten zu ihrem Repertoire doch Erzählungen von Hexen, Drachen, Gespenstern oder Räubern. Sie ließ ihn in spannende Welten eintauchen, die später das Werk Preußlers mit über dreißig Büchern prägen sollten. Manche Geschichten entsprangen auch ihrer Fantasie. Immer hatte sie eine Geschichte parat. Die habe sie alle aus einem Buch, flunkerte sie. Später begriff der Enkel, dass es dieses dicke alte Buch nur in ihrem Kopf gegeben hatte. Verstrickte sie sich doch immer mehr in Ausreden, als der Enkel einmal darin blättern wollte: „bald war es verlegt, bald verliehen; bald hatte sie keine Zeit, es aus ihrer Truhe hervorzukramen […].“ Viele der Figuren seiner 32 Bücher fand er in seiner nordböhmischen Kinderheimat.

Die unbekümmerten Jahre des jungen Otfried Preußler endeten, als er sich freiwillig zum Kriegsdienst meldete. Mit 19 Jahren kam er an die Ostfront und geriet 1944 für fünf Jahre in sowjetische Gefangenschaft. Dort rettete er sich – nicht zuletzt – durch das Schreiben: „Das erste Praktikum als Geschichtenerzähler habe ich den Lagern des großen Stalin absolviert, am östlichen Rand Europas.“ 1949 kam Preußler nach Oberbayern und lebte bis zu seinem Tod 2013 im Chiemgau. Zeitlebens kämpfte er gegen seine Kriegstraumata an. „Wenn ich jetzt im Rückblick weiß, was er eigentlich erlebt hat - mit was für einem irrsinnigen Optimismus […] er durch die Welt gegangen ist“, meint seine Tochter Susanne Preußler-Bitsch in dem Dokumentarfilm über ihren Vater. Seine traumatischen Erlebnisse versuchte er in seinem Buch über den Waisenjungen und Zauberlehrling Krabat zu verarbeiten. „Mein Krabat ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat“, schrieb Preußler 1992. Es sei zugleich seine Geschichte. „Die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.“

Schon als Jugendlicher begann Preußler zu schreiben und arbeitete schließlich als Lehrer, Maler, Zeichner, Lyriker, Reiseautor, verfasste Radiofeatures und wurde einer der beliebtesten Kinderbuchautoren. Sein Durchbruch gelang ihm 1956 mit Der kleine Wassermann. In jeder Geschichte stecke ein Stück seines gelebten Lebens, meinte Preußler einmal. Das gilt auch für Die kleine Hexe. Sie entstand, als sich seine Töchter vor bösen Hexen fürchteten. Leichthin versprach er, es gäbe keine mehr, sondern noch eine gute Hexe. „Die kleine Hexe ist durch und durch Charakter“, findet Literaturwissenschaftlerin Carola Pohlmann. Für viele Mädchen in der Nachkriegszeit sei sie eine wichtige Identifikationsfigur gewesen. Sie sei ein starker und ungebändigter Charakter.

In viele Kinderherzen schrieb sich Preußler mit seinen kleinen und großen Held*innen. Davon zeugen zahlreiche Briefe, die er von seiner begeisterten Leserschaft bekam, wie in Ich bin ein Geschichtenerzähler nachzulesen ist: „Das Buch vom kleinen Gespenst ist das beste Buch, das ich je gelesen habe. Ich bin 11 Jahre alt, und das heißt, dass ich schon sehr viele Bücher gelesen habe“, schrieb ihm ein Mädchen aus der Schweiz.

Die Kinderbriefe beantworte er immer sofort und bisweilen sehr zugewandt. Jeder Brief bekam eine persönliche Antwort des Autors. „Keine Leserzuschrift darf länger als 8 Tage unbeantwortet bleiben“, war seine Devise. Denn es lag ihm fern, seine kindlichen Leser enttäuschen zu müssen. Die Seele der Kinder hatte Preußler, der viele Jahre als Lehrer arbeitete, bei seinen Büchern immer im Blick: „Kinder sind eben nun mal Kinder. Der liebe Gott wird schon wissen, weshalb er sie nicht als fertige kleine Erwachsene auf die Welt kommen lässt.“

Der Dokumentarfilm ‚Otfried Preußler. Ich bin Krabat‘ ist bis zum 30.12.2023 auf arte.tv. zu sehen: https://www.arte.tv/de/videos/112328-000-A/otfried-preussler-ich-bin-krabat/ 

Lektüretipp: Tilmann Spreckelsen (2023): Otfried Preußler. Ein Leben in Geschichten, Stuttgart 2023, Thienemann Verlag, 29,00 €.

 

Zwei Tipps für kleine und große Preußler-Fans: Mitmach-Spaß mit kleiner Hexe und Hotzenplotz

Inklusive Ausstellung zur ‚Kleinen Hexe‘ für Kinder und Erwachsene

Das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zeigt die große Mitmach-Ausstellung Die kleine Hexe bis 2. Juni 2024. Dort können Kinder und Junggebliebene in die Handlung des beliebten Kinderbuches eintauchen. Die selbstbewusste junge Hexe und ihr treuer Rabe Abraxas, die missmutige Muhme Rumpumpel oder die strenge Oberhexe - die fantasievollen Charaktere bleiben in Erinnerung. Neben der kleinen Hexe widmet sich die Ausstellung auch Preußlers Gesamtwerk. Einige Originale aus dem Besitz der Familie Preußler ermöglichen es den Besucher*innen, den Autor als Persönlichkeit zu entdecken. „Sechs Orientierungsinseln unterstützen Besucher*innen mit und ohne Seh- oder Hörbeeinträchtigungen auf den Spuren der kleinen Hexe. Zudem wurde bei den einzelnen Stationen der Ausstellung noch konsequenter auf Erlebnismöglichkeiten mit unterschiedlichen Sinnen geachtet“, heißt es in einer Pressemitteilung des Museums.

Weitere Informationen: https://www.junges-schloss.de/ 

 

Räuberschmaus und andere Schleckereien vom Hotzenplotz

Ohne Kasperls Großmutter mit ihrer Alles neu macht der Mai spielenden Kaffemühle wären die vier Bücher vom Räuber Hotzenplotz (Der Räuberhotzenplotz, Neues vom Räuber Hotzenplotz, Schluss mit der Räuberei, Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete) nur halb so spannend. Mit so manchen Schleckereien überrascht sie Kasperl, Seppel, Wachtmeister Dimpfelmoser und natürlich den Hotzenplotz höchst persönlich. Insgesamt 39 Rezepte laden kleine Hotzenplotz-Fans und ihre Familien zum nachhaltigen Backen und Kochen ein. Zusammengestellt hat sie Pia Deges für Das große Räuber Hotzenplotz Koch- und Backbuch (Thiennemann Verlag, 128 S., 18,00 €.) „Hände hoch - jetzt wird’s lecker“, meint dazu der Hotzenplotz im Vorwort. Schritt für Schritt werden die Rezepte erklärt. Umrahmt sind sie von bunten Illustrationen, wie sie aus den Hotzenplotz-Büchern bekannt sind.

Der Erfinder des Räuber Hotzenplotz, Otfried Preußler, hätte an den Knallpilzen in Form von Muffins oder an der Vorsicht-Gold-Suppe, für die ein Hokkkaido-Kürbis im Suppentopf landet, bestimmt auch seine kulinarische Freude gehabt.

 

Heinrike Paulus


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