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Sehnsucht als Sucht

Roman „Nach einem Traum“ der Medienwissenschaftlerin Gina Schad über Liebe, Likes und Loslassen

 

Marie und Simon sind verliebt. Es sind Nachrichten über Alltägliches und Banales, mit denen sich die beiden schon bald sehr nahe kommen. Der digitale Raum wird für sie zum Ort der Begegnung, zum Ort ihrer Liebe und Beziehung. Nur bei wenigen Treffen begegnen sich beide außerhalb der digitalen Welt. Simon – der Mediziner, der eigentlich Fotograf werden wollte, verheiratet und Vater zweier Töchter ist – und Marie – eine passionierte Cellistin – sind die beiden Protagonisten in Gina Schads lesenswertem Debütroman „Nach einem Traum“ über Liebe, Beziehung, Liebeskummer und Stalking in digitalen Zeiten. 

Trotz aller Widerstände und Hindernisse führen Simon und Marie eine digitale Beziehung mit echten Gefühlen. Gleichzeitig taucht Marie über die Sozialen Medien immer mehr in Simons Familienleben ein. Sie schaut die Social-Media-Profile seiner Töchter ebenso an, wie über eine App Simons Haus. Doch wer sich hier immer mehr an wen klammert, ja bisweilen den anderen auch stalkt, ist im Lauf der Handlung nicht immer ersichtlich: Meint Simon doch gleich beim zweiten Treffen zu Marie: „Und darf ich dir noch eine App auf dein Handy laden? Lass uns doch bitte darüber kommunizieren. Das ist sicherer“.

Apps werden für Marie und Simon zum gegenseitigen Türöffner ins Leben des jeweils anderen. Sind manche Begegnungen danach also tatsächlich rein zufällig? „Berlin ist wirklich ein Dorf“, denkt Marie darüber und wundert sich auch nicht wirklich, als Simon ihr ein Paket schickt, obwohl er eigentlich ihre Adresse nicht hat: „Ich wusste nicht, wie du an meine Adresse gekommen bist. Aber ich hab mich gefreut!“

Vielleicht möchte Marie auch keinen Gedanken an die etwaigen Umstände verschwenden. Ihre Sehnsucht nach Simon wird immer größer, so dass sich eine regelrechte Sucht daraus entwickelt. Sie vernachlässigt ihre Freundschaften („Früher waren wir oft zusammen draußen, jetzt kneifst du fast immer. Beim Grillen warst du auch nicht dabei.“), ihren Berufseinstieg als Musikerin, sich selbst. Als Simon schließlich den Kontakt abbricht („Ich werde dich ab jetzt in Ruhe lassen“), ihr sogar „entfolgt“, fällt es ihr immer schwerer loszulassen. Sie sucht nach versteckten Botschaften in seinen Storys und Posts. Jedes Like von ihm macht den Liebeskummer noch größer, sorgt für emotionale Achterbahnfahrten. Sind diese Likes ein Impuls? Ein Lebenszeichen? Gar wieder eine Kontaktaufnahme? „Ein Like ist ein Signal. Man nimmt Kontakt auf, ohne wirklich Kontakt aufnehmen zu müssen“, sagt Gina Schad im Gespräch mit merz - medien+erziehung. „Durch die digitalen Medien bleibt man immer irgendwie in Beziehung“, so die Medienwissenschaftlerin und Autorin („Digitale Verrohung. Was die Kommunikation im Netz mit unserem Mitgefühl macht“). Die oder der Andere ist meist nur einen Klick entfernt. Egal ob eine Person verreist, ein Konzert besucht oder eine neue Beziehung eingeht, über die ständige Verfügbarkeit in den Sozialen Netzwerken, lässt sich bewusst und unbewusst davon Kenntnis zu nehmen. „Man ist immer dabei“, so Schad. Während sich im analogen Leben also Orte meiden lassen, um sich nicht begegnen zu müssen, ist das online schwieriger. „Um den Kontakt vollständig abzubrechen, müsste man schon zu harten Maßnahmen greifen, also jemanden blockieren oder jemandem entfolgen“, findet Schad. 

In ihrem Roman präsentiert sie keine Forschungsergebnisse. Aber Gedanken zu Medienthemen der Gegenwart, denen sie sich als Medienwissenschaftlerin widmet. Gleichzeitig hofft sie, dass die Leser*innen nach der Lektüre ein wenig ihr eigenes Medienverhalten hinterfragen. „So wie bei einem Film im Kino, der noch eine Weile nachhallt.“

 

Heinrike Paulus

 

Schad, Gina (2023): Nach einem Traum. Hamburg, Goya Verlag, 226 S., 22,00


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