SWIPE DES MONATS: Interaktives Fernsehen selber machen
Trotz meiner handwerklichen Ausbildung sind meine Fähigkeiten eher bescheiden ausgeprägt, Dinge des Alltags wie z.B. ein Regal für das Arbeitszimmer oder eine Blumenbank für den Balkon selbst zu basteln. Was aber nicht bedeutet, dass ich nicht in der Lage bin, Dinge Kraft meiner Fantasie zu erschaffen – beispielsweise interaktives Fernsehen.Ich brauche dazu einen TV-Sessel mit einem Knopf an der Seite, der mich in eine bequeme Liegeposition katapultiert, einen Film - am besten mit vielen Dialogen und dramatischen Beziehungsverwicklungen -, eine Decke sowie die beste Ehefrau von allen auf dem Sofa neben mir.
Zunächst sortiere ich das Personaltableau und bringe ich mich in Stimmung mit sinnfreien Fragen wie „ist das die Schwester oder die Schwägerin vom Bösewicht“, „der Dunkelhaarige war doch auch in der Arztpraxis dabei“ usw. Meine Frau bringe ich damit zum ersten Mal zur Verzweiflung und sie seufzt nur, dass ich doch erst einmal abwarten solle, bis mehr als der Vorspann gelaufen ist. Bei den ersten dramatischen Szenen (ein Kind wird überfahren und ins Krankenhaus eingeliefert; zur Silberhochzeit überrascht eine Frau ihren Mann mit dem Scheidungsantrag) ziehe ich mir die Decke über den Kopf und lasse mir von meiner Frau berichten, was passiert. Erst wenn sie mir mehrmals versichert, dass keine Bilder mehr aus dem Operationsaal oder vom bedröppelt dreinblickenden Ehemann zu sehen sind, steige ich wieder mit ein. Nach 20 Minuten sind diese Beschreibungen meiner Frau zum festen Bestandteil des Films geworden und somit schon die erste Stufe des interaktiven Fernsehens erreicht.
Nun gilt es die nächste Stufe zu zünden. Ich greife Fragen aus den Dialogen auf und stelle sie meiner Frau: Haben wir unseren Sohn auch zu sehr verwöhnt? Wolltest du dich auch einmal von mir trennen? Findest du deinen Arbeitskollegen auch interessanter als mich? Während meine Frau anfänglich noch die Fragen nebenbei beantwortete, stoppt sie jetzt immer häufiger den Film – inzwischen ersichtlich genervt - um mich darauf hinzuweisen, dass wir gemeinsam einen Film schauen und diese Geschichte nichts mit unserem Leben zu tun hat. Um weiteren Ärger zu vermeiden, lehne ich mich erst einmal zurück, wiege sie in Sicherheit und sage eine Zeitlang nichts mehr.
Jetzt beginnt die Stufe drei. Als überaktiver Mensch – zur Untätigkeit verdammt – begebe ich mich in ein Übergangsstadium zwischen Schlafen und Wachsein: Ich bin noch in der Lage, Gesprächsfetzen wahrzunehmen, habe aber die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Realität und Fantasie eingebüßt. Nun fast im Metaverse angekommen vermische ich TV, meine Fantasien und die Antworten meiner Frau zu einer ganz neuen Realität: Ich bin selbst im Krankenhaus, werde wegen einer Schussverletzung aus meinem (selbstverständlich siegreichen) Endkampf gegen die Schurken notoperiert und beschimpfe meine Frau, dass sie mich ausgerechnet am Tag unserer Silberhochzeit mit dem Assistenzarzt betrogen hat. Da reicht es dann auch der besten Ehefrau von allen und sie holt mich unsanft wieder aus dem Metaverse zurück. Eigentlich schade, wo ich mir gerade meine Heldenrolle zusammengebastelt und mich auf die Reise in die Welt der Fantasie gemacht hatte.
Klaus Lutz
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