Kati Struckmeyer
- Verantwortliche Redakteurin
Vita
Dipl.-Kulturpädagogin. Studium der Diplom-Kultur- und Medienpädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Hochschule Merseburg, Diplom 2003. Danach Tätigkeit als freiberufliche Medienpädagogin und Volontariat im kopaed-Verlag, München. Seit 2007 im JFF tätig mit dem Schwerpunkt Kinder und Medien.
Projektleiterin von erzählkultur – Sprachkompetenzförderung durch aktive Medienarbeit, das 2009 mit dem Dieter Baacke Preis ausgezeichnet wurde. Von 2009 bis 2012 Projektleiterin vom Kinderfotopreis, seit 2011 Projektleiterin vom Knipsclub, der Fotocommunity für Kinder. Lehrbeauftrage an der Hochschule München und der Katholischen Stiftungshochschule.
Aktivitäten
Derzeit verantwortliche Redakteurin von merz | medien + erziehung.
Schwerpunkte
Medienprojekte mit Kindern, Sprachkompetenzförderung durch aktive Medienarbeit, Internet- und App-Angebote für Kinder
Ausgewählte Veröffentlichungen
Anfang, G./ Demmler, K./ Lutz, K./ Struckmeyer, K. (Hrsg.) (2015): wischen klicken knipsen. Medienarbeit mit Kindern. München: kopaed
Struckmeyer, K. (2014): Eine App muss auch herausfordern. Interview mit Christine Feil. In: merz | medien + erziehung, H. 3, S. 53-56. München: kopaed
Struckmeyer, K. (2014): Kinderfotopreis. In: Schuster, Meike (Hrsg.): Stadt(t)räume - Ästhetisches Lernen im öffentlichen Raum. München: kopaed
Struckmeyer, K. (2014): Hier fühle ich mich wohl. In: Kindergarten heute, H. 4, S. 26-27. Freiburg: Herder
Gurt, M./ Struckmeyer, K. (2013): Von Fernsehlieblingen, Wortwuseln und interaktiven Stickeralben. Medien für Kinder von null bis sechs Jahren. In: merz | medien + erziehung, H. 2, S. 30-34. München: kopaed
Schneider, S./ Struckmeyer, K. (2012): Teilhabemedium Internet – für Vorschüler auch was dabei? In: Lutz/ Rösch/ Seitz (Hrsg.): Partizipation und Engagement im Netz. München: kopaed
Struckmeyer, K. (2012): Sprachkompetenzförderung. In: Rösch/ Demmler/ Jäcklein-Kreis/ Albers-Heinemann (Hrsg.): Medienpädagogik Praxis Handbuch. München: kopaed
Lutz, K./ Struckmeyer, K. (Hrsg.) (2010): erzählkultur. Sprachkompetenzförderung durch aktive Medienarbeit. München. Kopaed
Beiträge in merz
Kati Struckmeyer: Trauer und Turnschuh. Ein Podcast zur deutschen Erinnerungskultur
S. Fischer Verlag (2023). Trauer & Turnschuh. Podcast, kostenfrei, diverse Podcast-Plattformen
Die „emotionale Afterhour der Vergangenheit“, so nennen Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek im Trailer ihren Podcast Trauer und Turnschuh, in dem sie einmal im Monat darüber reden, was ihrer Meinung nach aus unserer Vergangenheit vergessen und verdrängt wurde, und was das mit unserer Gesellschaft macht. Sowohl Haruna-Oelker also auch Czollek sind Bestsellerautor*innen. Czollek brachte 2018 mit Desintegriert euch! eine Streitschrift heraus, die große Beachtung fand und viel diskutiert wurde. Haruna-Oelker zeichnet für Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken verantwortlich, das 2022 erschienen ist. In Trauer und Turnschuh reden die beiden über das Erinnern, vor allem aber auch über das Vergessen, nämlich das Vergessen der Geschichten, die nicht erzählt werden, weil sie nicht in die deutsche Erinnerungskultur ‚passen‘. Damit das Thema nicht zu schwer erscheint, reden Czollek und Haruna-Oelker sehr locker und meist leicht zugänglich darüber – dafür steht auch der Turnschuh im Titel. In der ersten Folge wird zu Beginn der sprachliche Unterschied zwischen Vergangenheit, Geschichte und Erinnerung ausdifferenziert, der eine der Grundlagen des Podcasts ist. Vergangenheit wird von Haruna-Oelker und Czollek als die Masse der Dinge, die passiert sind, verstanden. Geschichte wiederum als das, was wir davon auswählen und erzählen, verbunden mit einer bestimmten Dramaturgie. Erinnern schließlich ist sehr individuell und wird gleichzeitig gesellschaftlich verhandelt. Die beiden Podcast-Hosts machen es sich zur Aufgabe, das Erinnern ‚zu stören‘, indem sie den Fokus vor allem auf die Leerstellen des Erinnerns richten, und finden in weiteren Folgen verschiedene Antworten darauf, warum das Erinnern so wichtig ist.
Nachdem in der ersten Folge verschiedene Schlaglichter auf ganz unterschiedliche Themen und Begriffe gesetzt wurden, geht es in der zweiten Folge sehr konkret um das Sterben von Täter*innen. Der mediale Fokus liege immer auf den Opfern, so dass Haruna-Oelker und Czollek versuchen, die dadurch entstehende Lücke zu schließen, und die Frage der Täter*innen und ihrer Bestrafung zu beleuchten. Sie sehen in der Erzählung der Opfer eine Ersatzerzählung, die etabliert wurde, um die ausbleibende Strafe der Täter*innen nicht thematisieren zu müssen. Dazu befragen sie den Juristen und Philosophen Achim Dörfer, der die juristische Perspektive der Gerechtigkeit einbringt. Folge 3 und 4 widmen sich den Spezifika der ost- bzw. westdeutschen Erinnerungskultur. Dabei wird zum Beispiel auf den kommunistischen Widerstand und die DDR-Migrationsgesellschaft sowie bürgerlich-mittige Kulissen, postnationalsozialistische Befindlichkeiten und postmigrantische Aufbrüche in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. In Folge 5 widmen sich Haruna-Oelker und Czollek dem Kolonialismus und der Erinnerung daran. Sie wollen ein größeres Bild als allgemein üblich zeichnen, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Vorkapitel des Kolonialismus verbinden. An der Neuperspektivierung dieser Zusammenhänge wirkt die Historikerin Manuela Bauche mit. In Folge 6 mit dem Titel Was lernst du da? Unterricht und Gegenwartsbewältigung geht es darum, wie die bisher diskutierten Themen an Heranwachsende vermittelt werden können. Mit der Politikwissenschaftlerin und Gymnasiallehrerin Michal Schwartze sprechen Haruna-Oelker und Czollek über antisemitismus- und rassismuskritischen Lernstoff und Leerstellen dazu im Curriculum. Weiter diskutieren sie, was nötig ist, um Geschichte zu vermitteln und wie dabei kein rassistisches oder antisemitisches Framing reproduziert wird. Ein komplexes Thema, aus dem die Hörenden viel Wissen und neue Perspektiven gewinnen können. Hervorzuheben sind auch die Shownotes der jeweiligen Folgen. Wer sich weiter belesen, Wissen vertiefen und zusätzliche Perspektiven gewinnen möchte, findet hier viele Inspirationen. Haruna-Oelker und Czollek haben die Mission, mit ihrem Podcast viele Menschen zu erreichen, und wollen deshalb nicht elitär in der Sprache sein. Das gelingt leider nicht immer. Trotzdem ist der Podcast sehr hörenswert und man kann gespannt sein, welche Themen noch behandelt werden.
Trauer & Turnschuh ist Teil der Initiative Wissen Erinnern Fragen1 der S. Fischer Verlage.
Kati Struckmeyer: Feel the News – Was Deutschland bewegt
Studio bummens (2022). Feel the News – was Deutschland bewegt. Podcast, kostenlos, diverse Plattformen.
Nachrichten prasseln täglich auf uns ein, viele davon verstörend, Angst einflößend, verunsichernd, oder auch euphorisierend. Das löst natürlich Emotionen bei den Rezipient*innen aus. Es wird kommentiert, diskutiert, beleidigt, gecancelt, geblockt. In feel the news wird einmal wöchentlich eine Nachricht herausgegriffen, die aus Sicht von Sascha und Jule Lobo, die den Podcast moderieren, für die am meisten erhitzten Gemüter sorgt. Sascha Lobo ist vielen als Publizist vor allem im Themenbereich Digitalisierung bekannt. Jule Lobo ist Juristin und Redakteurin und hostet verschiedene Podcasts. Die beiden sind miteinander verheiratet. Ihr gemeinsames Interesse bei feel the news ist es nicht nur, die Hintergründe aktueller Nachrichten zu beleuchten und verschiedene Perspektiven zu präsentieren, sondern auch zu analysieren, warum uns manche Nachrichten so besonders aufregen und emotional herausfordern. Mit dieser Mischung wollen sie ein „Meinungsangebot machen“, wie es Sascha Lobo im Trailer formuliert.
Der Podcast ist Ende März diesen Jahres gestartet, jeden Donnerstag werden neue Folgen veröffentlicht. Sie dauern ungefähr eine Stunde. Von Corona über den Krieg in der Ukraine bis hin zum ‚Ansturm auf Sylt‘ durch das 9-Euro-Ticket – das Themenspektrum ist groß. Dabei ist sicher nicht alles für jede*n interessant, aber es lohnt sich, ab und an einen Blick auf neue Folgen zu werfen. So zum Beispiel auf die Folge zu ‚Toxic Wokeness‘, in der es darum geht, das unsere Diskussions- und Debattenkultur darunter leidet, wenn es nicht mehr um konstruktive Kritik geht, sondern um das Anprangern und Erniedrigen Einzelner im Namen der vermeintlich besseren und wahrhaftigeren Sicht auf die Welt und die Dinge.
Die Folge ‚Toxic Twitter und die Shitstorms‘ wurde live von der re:publica gesendet. Sie beinhaltet einen kurzen persönlichen Rückblick auf die Geschichte der Plattform Twitter und eine Analyse des Jetzt-Zustands. Sascha Lobo stellt fest, dass mittlerweile „ein kompetitives ‚Wer schreibt den krasseren Tweet gegen X‘ ein beliebtes Spiel“ [16:26] sei. Es geht auch in dieser Folge nicht nur um Sender*innen, sondern vor allem um Empfänger*innen – so wird zum Beispiel diskutiert, ob man als Nutzer*in zu weich sein kann für Twitter, warum Shitstorms dort besonders hart auszuhalten sind und ob sie überhaupt ausgehalten werden müssen. Einig sind sich die Lobos darin, dass trotz aller toxischen Entwicklungen nicht auf Twitter verzichtet werden kann, denn die Plattform trage nach wie vor stark zur Meinungsbildung in Deutschland bei. So hätten die wichtigsten öffentlichen Bewegungen der letzten Jahre MeToo, Black Lives Matter und Fridays for Future ohne Twitter ihren Druck nicht entfalten können.
Diese und andere Folgen – zum Beispiel zu Frauenhass, Kriegsverbrechen oder dem Recht auf Abtreibung – liefern jede Menge Material für anschließende Diskussionen und bringen oft Perspektiven ein, die man selbst noch nicht bedacht oder innerhalb der eigenen ‚Bubble‘ rezipiert hat. Die Haltung von Jule und Sascha Lobo ist immer Teil des Inhalts. So analysieren sie in der Folge ‚Ist Olaf Scholz ein guter Kanzler?‘ nicht nur Scholz‘ Politik, Verhalten und Kommunikation, sondern geben auch zum Besten, wie sie zum Kanzler stehen und wo sie Kritikpunkte bzw. Potenzial sehen.
Hörer*innen von Feel the News haben die Möglichkeit, sich selbst in kommende Folgen einzubringen: Mittwochs wird jeweils das kommende Thema auf Twitter bekanntgegeben, dann kann man unter www.feelthe-news.de/mitdiskutieren/ eine Sprachnachricht hochladen, die es eventuell bis in den Podcast schafft. Auch Prominente und Politiker*innen kommen in einzelnen Folgen zu Wort.
Feel the News bringt eine neue Nuance in den deutschen Podcast-Markt – und dabei geht es nicht darum, dass die Zuhörer*innen die Gefühle der Lobos teilen. Trotzdem ist es angenehm zu merken, nicht allein damit zu sein, dass bestimmte Nachrichten einen in Aufruhr versetzen. Mit Hilfe des Podcasts findet man vielleicht ab und an auch die Möglichkeit, diese Gefühle zu reflektieren und einzuordnen, bevor sie wütend in die (digitale) Welt hinausgeschossen werden.
Kati Struckmeyer: Bush, Annika/Birke, Jonas (Hrsg.) (2022). Nachhaltigkeit und Social Media. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der digitalen Welt. Cham: Springer VS. 285 S., 54,99 €.
Nachhaltigkeit ist besonders in den letzten Jahren eines der großen gesellschaftlichen Themen geworden. Auch auf Social-Media-Plattformen nutzen viele User*innen ihre Reichweite, um auf Klimaschutz, Artensterben et cetera aufmerksam zu machen. Gerade diese digitale Vernetzung bietet zusätzliche Chancen und hat dazu beigetragen, Nachhaltigkeit in einem weit gefassten öffentlichen Diskurs zu platzieren.
Der Sammelband verbindet die bisher oft getrennt betrachteten Schwerpunkte Nachhaltigkeit und Social Media in zwölf Artikeln aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Im ersten Teil ‚Nachhaltigkeit und Social Media‘ wird unter anderem folgenden Fragen nachgegangen: Welche nachhaltigen Themen dominieren in den Sozialen Netzwerken, und wie werden diese dargestellt, rezipiert und diskutiert? Welchen Einfluss hat die Darstellung ressourcenschonenden Verhaltens auf Social-Media-Plattformen auf den Alltag der Rezipient*innen? Auch die Lücke zwischen vorhandenem Wissen und einer tatsächlichen Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung wird beleuchtet, sowie der Frage nachgegangen, welche Rolle Social Media bei diesem Prozess spielen. In einem englischsprachigen Artikel wird darauf eingegangen, welche Rolle Influencer*innen als Vorbilder und Meinungsmacher*innen im Nachhaltigkeitsdiskurs zukommt, und wie ihr Geschäftsmodell, genau davon leben zu können, in diesem Kontext einzuordnen ist. Im zweiten Teil ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung durch Social Media‘ liegt der Fokus auf informellem Lernen zu Themen wie Partizipationsmöglichkeiten Heranwachsender im Nachhaltigkeitsdiskurs, Ernährungsbildung durch Social Media, Massive Open Online Courses (MOOCs) zu nachhaltiger Entwicklung und Social-Media-Beiträgen im Unterricht.
Die Autor*innen des Sammelbands Nachhaltigkeit und Social Media präsentieren interdisziplinär Ergebnisse von Untersuchungen und Studien dazu, wie verschiedene Social Media Nachhaltigkeitsthemen darstellen bzw. kommunizieren und zeigen, welche Chancen und Herausforderungen sich durch die Verbindung beider Komplexe ergeben.
Kati Struckmeyer: Pirner, Manfred L./Gläser-Zikuda, Michaela/Krennerich, Michael (Hrsg.) (2022). Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen im Kontext Schule. Frankfurt/ M.: Wochenschau Wissenschaft. 327 S., 34,90 €.
Kinderrechte sind die Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen und gehören natürlich nicht nur in den privaten, sondern auch in den öffentlichen Raum – und damit auch in die Schule. Dabei geht es nicht nur um die Beschäftigung mit Menschenrechten im Unterricht, sondern um die Gestaltung der Schul- und Unterrichtskultur. Diese Forderung wird im Herausgeber*innenband sowohl mit dem Aufmachen konkreter Problemstellungen als auch mit Beispielen aus der schulischen Praxis unterlegt. Dabei geht es zum Beispiel um die Prävention von Diskriminierung und Gewalt, aber auch um stärkere partizipative Möglichkeiten beim Thema Digitalisierung.
Besonders interessant für die Medienpädagogik ist der Teil der Partizipationsrechte. Hier beschreibt Ingrid Stapf Kinderrechte und digitale Mündigkeit im Kontext Schule. Jutta Croll zieht aus dem Themenkomplex Kinderrechte im Kontext der Digitalisierung Konsequenzen für die Bildungsarbeit. Sören Torrau beschäftigt sich in seinem Artikel mit Jugendlichen als gesellschaftliche Akteur*innen im sozialwissenschaftlichen Distanzunterricht. Abschließend ist eine Folge des FAU Human Rights Podcasts der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg abgedruckt, in der ein Moderator mit Claudia Kittel und Stephan Gerbig vom Deutschen Institut für Menschenrechte darüber spricht, was aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie und des Distance-Schoolings gelernt werden konnte und wie es aktuell um die Rechte von Kindern und Jugendlichen steht.
Die Beschäftigung mit den Rechten Heranwachsender sollte für alle pädagogisch Tätigen nicht nur zur Kür gehören – das Werk
Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen im Kontext Schule ist eine gute Grundlage für die Beschäftigung damit.Kati Struckmeyer: Misstrauen in journalistische Arbeit
Die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat kein Vertrauen in die Arbeit von Jounalist*innen und Zeitungen. Zu diesem Ergebnis kommt die Vertrauensstudie der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen Kinderförderung des Pharmakonzerns Bayer. Und wer zu viel Zeit in Sozialen Medien verbringt, neigt eher zu Verschwörungsdenken.
75,8 Prozent der Jugendlichen fehlt das Vertrauen in Zeitungen und 71,6 Prozent in Journalist*innen. Mehr als ein Drittel hat diese in Verdacht, bewusst Informationen zurückzuhalten und nur ihre eigene Meinung zu verbreiten (37,9 % bzw. 32,8 %). Auch das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen fehlt der heranwachsenden Generation laut Studie. So vertraue nur jede*r zweite Jugendliche der Bundesregierung (53,9 %) bzw. den Vereinten Nationen (54 %). Dafür genießen die Wissenschaft (76,1 %) und die Polizei (79,9 %) deutlich mehr Vertrauen. Auffällig ist der Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Verschwörungsneigung. Jugendliche, die sich vor allem in Sozialen Medien informieren, zeigen eher eine Verschwörungsneigung (37,6 %). Diese geht über eine normale und gesunde Skepsis hinaus. Für die Vertrauensstudie wurden mehr als 1.500 6- bis 16-Jährige befragt.
www.bayer.com/media
Kati Struckmeyer: Kinder Medien Monitor 2022
Lesen spielt in der Freizeit von 4- bis 13-Jährigen eine größere Rolle als TikTok oder YouTube. Fast drei Viertel aller Kinder dieser Altersklasse lesen häufig Bücher, Zeitschriften oder Comics. Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt der Kinder Medien Monitor, dessen Ergebnisse im Oktober 2022 veröffentlicht wurden. Die repräsentative Studie gibt Aufschluss über die Mediennutzung und Freizeitgestaltung Heranwachsender.
Weitere analoge Aktivitäten, wie Freund*innen treffen (86 %) und draußen spielen (80 %), sind bei Kindern nach wie vor beliebt. Im Medienbereich hat das lineare Fernsehen weiterhin einen hohen Stellenwert: 83 Prozent schauen Serien oder Filme, wenn diese im Fernsehen ausgestrahlt werden. Weiterhin nutzen 94 Prozent der befragten Kinder digitale Medien, um miteinander zu kommunizieren. Ab einem Alter von zehn Jahren erlangen Angebote wie TikTok und WhatsApp Beliebtheit. Über 40 Prozent der Befragten spielen zusammen mit ihren Eltern; ein Viertel der Kinder nutzt Games als Kommunikationsplattform – im Chat oder über das Headset. Der Kinder Medien Monitor wird bereitgestellt von Egmont Ehapa Media, Gruner + Jahr Deutschland, SUPER RTL, EDEKA Media und Panini Verlag.
Dafür wurden 2.055 Doppel-Interviews mit Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren und jeweils einem Elternteil geführt. Darüber hinaus wurden 548 Interviews mit einem Elternteil von Vorschulkindern geführt.
Kati Struckmeyer: Ironische Smileys
Neulich meinte mein Lebenspartner als Reaktion auf eine Textnachricht von mir, dass man mir die Gen X anmerke. Und zwar daran, wie ich meine Smileys verwende. Ich zückte eine Augenbraue. Zum einen natürlich, weil ich nicht Gen X bin (1980! Erster Jahrgang der Millenials oder der Gen Y!). Zum anderen aber auch, weil ich nicht wusste, dass die Verwendung von Smileys generationenabhängig ist. Die jüngeren Generationen verwendeten Smileys jedenfalls ironisch, wurde ich kurz danach aufgeklärt.
Ironische Smileys? Da ich zu den Über-40-Jährigen gehöre, deren Schuhregal in erster Linie aus weißen Turnschuhen besteht, musste ich mir das natürlich sofort genauer ansehen. Außerdem: Ich liebe Ironie, ich finde das Leben ohne Ironie fast unerträglich. Leider versteht das nicht immer jede*r, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen – Ironie ist für mich eine Bewältigungsstrategie, ohne die ich dieses Leben nur schwer auszuhalten finde.
Also, erster Versuch – ich schreibe etwas Lustiges und hänge statt des Tränen lachenden Smileys das vor Unglück heulende Smiley an. Leichtes Unwohlsein beim Abschicken der Nachricht. Meine Freundin antwortet direkt: „Haha, falscher Smiley, passiert mir auch manchmal!“. Offensichtlich Gen X. Kurz darauf, nächster Versuch. Ich probiere meine Begeisterung für etwas auszudrücken, indem ich das Totenkopf-Emoji hinzufüge. Kommt nicht gut an. Auch der Versuch, mein empathisches Bedauern für eine Sache mit einem freudig strahlenden Smiley auszudrücken, sorgt für Unverständnis. Ich diagnostiziere das Problem, dass mein Freundeskreis einfach zu alt für ironische Smileys ist. Außerdem werde ich selbst nicht warm mit der Umkehr der Smiley-Botschaften.
Aber wenn ich eines in 42 Jahren gelernt habe, dann, dass sich Trends irgendwann auch wieder umkehren. Genauso wie auf die
Rückkehr der Hüftjeans (nooooo!), der Postkarte (yeahhhh!) oder des Händeschüttelns (uahhhh!) kann man also auch seelenruhig darauf warten, dass Smileys wieder das bedeuten, wonach sie aussehen. Oder einfach zu seinem Alter stehen und den eigenen, unschlagbaren Witz mit einem Tränen lachenden Smiley verstärken, sicher ist sicher. Das, habe ich gelesen, ist laut der britischen Forschungsagentur Perspectus Globus sowieso das Emoji, das generationenübergreifende Beliebtheit genießt und mit 45 Prozent das meist genutzte Emoji überhaupt ist (zumindest bei den Brit*innen). Ab und an werde ich trotzdem auch zukünftig einen ironischen Smiley verschicken, vielleicht an den Tagen, an denen ich ein neues graues Haar entdecke.Kati Struckmeyer: Kinderrechtliche Potenziale der Digitalisierung
Wenn es um die Risiken der Mediennutzung Heranwachsender geht, wird in Diskussionen oft einseitig eine Schutzperspektive eingenommen. Zu wenig benannt und diskutiert werden die Bedeutung digitaler Technologien für Chancengerechtigkeit, (Demokratie-)Bildung, Mitbestimmung, Inklusion, Zugehörigkeit und Wohlbefinden, sowie für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und die Stärkung von Resilienz. Das Deutsche Kinderhilfswerk (DHKW) hat daher im Februar ein Positionspapier veröffentlicht, das auf den Fachbeiträgen des Online-Dossiers ‚Teilhaben! Kinderrechtliche Potenziale der Digitalisierung‘ basiert.
Im Papier wird in elf Handlungsempfehlungen beschrieben, welche Potenziale durch das digitale Umfeld für die Umsetzung von Kinderrechten entstehen und welche Maßnahmen notwendig sind, damit diese umgesetzt werden können. Zuerst wird geklärt, was (digitale) Teilhabe von Kindern und Jugendlichen überhaupt ist. In den folgenden Handlungsempfehlungen geht es zum Beispiel um die partizipative Weiterentwicklung der digitalen Medien- und Spielelandschaft, um Meinungsäußerung im digitalen Umfeld, Kinder- und Jugendmedienschutz sowie inklusive Zu-gänge und altersgerechte Teilhabeoptionen. Die Empfehlungen sollen – analog zum Dossier – laufend erweitert und überarbeitet werden.
Kati Struckmeyer: Betz, Joachim/Schluchter, Jan-René (Hrsg.) (2023). Schulische Medienbildung und Digitalisierung im Kontext von Behinderung und Benachteiligung. Weinheim/ Basel: Beltz Juventa. 414 S., 48,00 €
Mit diesem Werk setzen die Herausgeber Impulse für Konzepte und Modelle der Medienbildung mit Menschen mit Behinderungen im Kontext von Schule und Unterricht. Dabei stehen unter anderem die Verbindungslinien von medien-, sonder- und inklusionspädagogischen Ansätzen für das Handlungsfeld Schule im Fokus, die bisher wenig erschlossen sind. Der Band ist in vier Schwerpunkte aufgeteilt: Behinderung – Bildung – Wissenschaft, Orientierungen im Horizont einer Diversität von Behinderung, Übergreifende Perspektiven im Horizont einer Diversität von Behinderung und Professionalisierung auf Ebene der Lehrer*innenbildung. Mit dieser Ausrichtung legen die Herausgeber eine Bestandsaufnahme aktueller – und gewachsener – Diskurse im Schnittfeld von Digitalisierung, Medienbildung mit Menschen mit Behinderungen und Inklusion/Inklusiver Bildung dar und zeigen hierbei Perspektiven für Theorie und Praxis auf. Die Bearbeitung digitaler Ungleichheiten entlang von Behinderung und ihre Entfaltung in der Gesellschaft spielen dabei eine große Rolle. Hervorzuheben ist das erste Kapitel ‚Zwischen Klassismus und Ableismus – wie Wissenschaftssprache Ableismus produziert‘ von Andrea Schöne, Journalistin und Speakerin. Sie wirft grundlegende Fragen auf, welche Leser*innen nachhaltig beschäftigen dürften: „Wer darf forschen und wer nicht? Welche behinderten Menschen haben Zugang zu höherer Bildung? Wie stark sind Ableismus und Klassismus miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig sogar?“ (S. 14). Weitere interdisziplinäre Autor*innen zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht und ein Umdenken erforderlich ist, aber auch welche beispielhaften Projekte, Initiativen und Forschungsarbeiten es schon gibt. Der Band ist ein Grundlagenwerk für alle pädagogisch Tätigen, denn Inklusion ist in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Es muss aber noch viel getan werden, damit sich das auch im Alltag widerspiegelt.
Kati Struckmeyer: Jugendstudie zu Digitaler Bildung
Rund 70 Prozent der Berufseinsteigenden fühlen sich nicht fit für die digitale Arbeitswelt. Zu diesem Ergebnis kommt die Vodafone Jugendstudie zu digitaler Bildung, die im März 2023 veröffentlicht wurde. Insgesamt blickt die junge Generation (14 bis 24 Jahre) positiv in die digitale Zukunft, unabhängig von der sozialen Herkunft. 69 Prozent erwarten, dass die Digitalisierung positive gesellschaftliche Entwicklungen anstößt, 79 Prozent sehen Vorteile für ihre persönliche Entwicklung. Als unverzichtbar für die Zukunft schätzen 79 Prozent der Befragten digitale Kompetenzen ein.
Doch so wichtig den jungen Menschen die digitale Zukunft und die dafür nötigen Kompetenzen auch sind, sie fühlen sich vom Bildungssystem nicht gut unterstützt und begleitet. So bewertet über die Hälfte der Schüler*innen die digitale Ausstattung an Schulen als unzureichend. Dabei wird den Schulen und Universitäten von der jungen Generation die Aufgabe zugeschrieben, berufsvorbereitende Fähigkeiten wie den Umgang mit digitalen Technologien (76 %) und eigenverantwortliche Organisation (60 %) zu vermitteln. Nur 54 Prozent haben Informatik als Schulfach, 44 Prozent berichten von frei verfügbaren Tablets oder Computern für alle Schüler*innen.
Immerhin fühlen junge Menschen sich laut Studie für den Umgang mit Falschnachrichten vorbereitet. 70 Prozent gehen sehr sicher oder sicher davon aus, diese zu erkennen. Allerdings fühlt sich knapp die Hälfte der Befragten (48 %) bei Datenschutzfragen im Internet eher unsicher. Für die Erhebung wurden von Infratest dimap im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland 2.069 deutschsprachige junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren (1.037 14- bis 19-Jährige und 1.032 20- bis 24-Jährige) in Privathaushalten in Deutschland befragt.
Kati Struckmeyer: Nachrichten im Showformat. Deutschland 3000 – Die Woche mit Eva Schulz
Südwestrundfunk (2023). Deutschland 3000 - Die Woche mit Eva Schulz. Fernsehsendung, kostenfrei, ARD Mediathek.
„Hallo, das ist Deutschland 3000 und ich bin Eva Schulz. Unser Ziel ist, dass ihr nach der Sendung ein Stückchen schlauer seid, und vor allem, dass ihr euch besser ́ne eigene Meinung bilden könnt.“ So beginnt jeden Donnerstag die Sendung in der ARD Mediathek. Gastgeberin ist Journalistin und Podcasterin Eva Schulz, die jeweils mit zwei sehr gut informierten und vor allem meinungsstarken Gäst*innen Nachrichten der vergangenen Woche reflektiert. Ausführliche Recherchen, gute Fragen und teilweise ungewöhnliche Perspektiven sollen vor allem jüngere Zuschauer*innen erreichen und sie dabei unterstützen, sich in Zeiten von Polarisierung und Polemisierung eine fundierte eigene Meinung zu bilden.
So weit, so ambitioniert. Gleich in der ersten Sendung wartet Schulz mit zwei hochkarätigen Gäst*innen auf: Aline Abboud, Journalistin und Moderatorin, sowie Michel Abdollahi, Journalist und Entertainer. Die drei Themen, die vor Live-Publikum diskutiert und reflektiert werden, sind die Proteste im Iran, die Oscars für Im Westen nichts Neues sowie die deutsche Waffengesetzgebung. Jedem Thema sind ungefähr zehn Minuten vorbehalten. Drei Nachrichten für eine Woche – da stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden. Vor allem die iranischen Proteste geraten medial gerade etwas in den Hintergrund. Schulz und ihre Gäst*innen diskutieren deshalb unter anderem, wie wichtig es ist, bestimmte Nachrichten immer wieder in den Scheinwerfer zu holen, und welche Verantwortung Journalist*innen hierbei zukommt. Abboud und Abdollahi diskutieren nicht nur aus ihrer journalistischen Warte heraus, sondern lassen auch ihre persönliche Perspektive – mit Wurzeln im Libanon bzw. im Iran – einfließen. Dementsprechend wird die Diskussion auch emotional – teils berührend, teils aufbrausend, teils lustig.
Auch in den Folgesendungen schafft es Schulz, spannende Gäst*innen zu gewinnen, und eine gelungene Mischung aus Information, Diskussion und Unterhaltung zu bieten. Die Gäst*innen sind meist durch Fernsehen, Streaming oder Soziale Medien bekannt und sorgen für fundierte, abwechslungsreich präsentierte Informationen und Diskussionsbeiträge. Manchmal führt die Diskussion aktueller Themen auch zu grundsätzlichen Diskussionen. So diskutiert Schultz gemeinsam mit Ariana Baborie, Moderatorin und Podcasterin, und Hubertus Koch, Journalist und Filmemacher, in einer Sendung anhand der aktuell durchgeführten Streiks in Deutschland: „Sind Gewerkschaften noch sexy?“. Mit solchen Fragestellungen wird versucht, das Interesse junger Leute zu wecken – auch bei Themen, die jener Zielgruppe teilweise eher fremd oder angestaubt erscheinen. Mit Journalistin und Podcasterin Yasmine M’Barek und Autor und Journalist Friedemann Karig bekommen neben dem Streit in der Ampelkoalition sowie der Reichsbürger*innen-Problematik auch Themen wie Fußball und die Gästeliste der Met-Gala eine Bühne.
Insgesamt ist die Varianz bei Deutschland 3000 – die Woche mit Eva Schulz wirklich groß und dürfte viele junge (und natürlich auch ältere) Zuschauer*innen ansprechen. Abwechslungsreich sind zudem verschiedene Spiele, die im Laufe der Sendungen dazukommen. So müssen die Gäst*innen zum Beispiel schätzen, in welchem Bundesland es die meisten Reichsbürger*innen gibt, oder anhand von Twitter-Zitaten erraten, wer zuletzt aus welcher Redaktion oder von welcher Gäst*innenliste geflogen ist. Zusätzlich werden Videoumfragen in der Bevölkerung als auflockerndes Element eingespielt. Bei den Umfragen wird offensichtlich sehr darauf geachtet, eine große Bandbreite der Bevölkerung abzubilden, was (leider) immer noch nicht selbstverständlich für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ist. Auch der Look der Sendung ist zeitgemäß – Kameraführung, Beleuchtung, Bühnenbild –, alles ist auf ein junges Publikum und dessen Sehgewohnheiten ausrichtet. Denn gerade diese Zielgruppe ist momentan oft verunsichert von Falschnachrichten und hat das Vertrauen in die Medien teilweise verloren. Zu arbeiten wäre manchmal noch an einer einfacheren Sprache in der Sendung, um die Zielgruppe besser zu erreichen.
Zu wünschen wäre Deutschland 3000 nicht nur durchschlagender Erfolg in der Mediathek, sondern auch ein prominenter Platz im linearen Fernsehen. Das könnte ein wichtiger Schritt sein, um das jüngere Publikum nicht völlig daraus zu verlieren.
Kati Struckmeyer: Gemeinsam gegen Hass im Netz
Chebli, S. (2023). Laut. Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können. Goldmann. 236 S., 18,00 €.
Sawsan Chebli ist SPD-Politikerin und vielen aus der Zeit als stellvertretende Sprecherin des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt bekannt. Ihre aktuelle Publikation zu Hate Speech ist ihr erstes Buch und versteht sich als Aufruf an die Gesellschaft, sich sowohl im Netz als auch auf der Straße mit Demokratiefeind*innen auseinanderzusetzen, lauter zu sein, sich einzumischen und Stellung zu beziehen. Chebli hat das Buch mit der Kulturjournalistin Miriam Stein als Co-Autorin verfasst. Im Zentrum von Laut steht das Thema digitale Gewalt, das von Chebli intersektional angegangen wird. So beleuchtet sie die verschiedenen Motivationen, aus denen heraus digitale Gewalt in Form von Mehrfachdiskriminierung stattfindet: Vor allem Sexismus, Klassismus und Rassismus (in diesem Fall antimuslimischer Rassismus) spielen dabei eine Rolle. Chebli reflektiert dabei auch immer ihre eigene Biografie, beschreibt eindrucksvoll ihre Erfahrungen und verbindet sie mit Implikationen für die Gesellschaft. Außerdem lässt sie Erkenntnisse aus Interviews mit Expert*innen einfließen, so zum Beispiel mit der Publizistin und Politikerin Marina Weisband, mit der Geschäftsführerin von HateAid Anna-Lena von Hodenberg, dem Netzexperten Sascha Lobo, der EU-Abgeordneten Alexandra Geese, der Politikerin Renate Künast und dem Rechtsanwalt Chan-jo Jun. Weiterhin kann man Auszüge aus Interviews mit dem deutschen Team des US-Technologiekonzerns Meta lesen.
Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt, die sich jeweils in fünf Kapitel gliedern. Der erste Teil heißt Digitale Gewalt ist echte Gewalt – Was meine Shitstorms über den Zustand unseres Landes aussagen. Anhand eigener Erfahrungen geht die Autorin hier nacheinander auf Hate Speech in Form von Sexismus, Klassismus und Rassismus ein. Als Frau, Politikerin, Tochter palästinensischer Geflüchteter und Muslima steht Chebli quasi im Auge des Hate-Speech-Tornados. Das zeigt sich auf erschreckende Weise, wenn man als Leser*in nachvollzieht, wie und aus welchen Gründen sich ein Shitstorm über ihr zusammengebraut hat, und welche Auswirkungen das hatte. Vor allem die immer wiederkehrende Unterstellung, man habe als Opfer eines Shitstorms selbst übelste Beschimpfungen provoziert, ist verstörend. Der zweite Teil, Digitale Gewalt ist eine humanitäre Krise – was wir dagegen tun können, beschreibt die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft nun steht. Dass digitale Gewalt sich nicht auf den digitalen Raum beschränkt, sondern Gewalttaten im Alltagsleben der Betroffenen nach sich ziehen kann, dafür gibt es leider zahlreiche Beispiele aus den letzten Jahren. Der Mord an Walter Lübcke ist nur ein trauriges und katastrophales Beispiel dafür, dass Hass im Netz sehr leicht ins reale Leben übergeht, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, und die Problematik zu wenig ernst genommen wird.
Chebli plädiert deshalb zuallererst für das Lautsein und das Netzwerken aller am Netz beteiligten, um Demokratiefeind*innen und Gewalttäter*innen nicht den Raum zu überlassen. Darüber hinaus fordert sie aber auch klare politische Maßnahmen. „Social-Media-Unternehmen, die digitale Desinformationen in ihren Systemen stehen lassen, die Persönlichkeitsrechte verletzen oder sogar mit Gewalt, mit dem Tod drohen, sollten nicht länger Geld mit dem Traffic verdienen, den der Hass generiert“ (S. 178). Um das umzusetzen und den Hass besser unter Kontrolle zu bekommen, fordert Chebli unter anderem eine europäische digitale Plattformaufsicht, welche die Regeln des im Juli 2022 in Kraft getretenen europäischen Digital Services Act konsequent durchsetzt und eine unabhängige Prüfung von Plattformen beauftragt. Weiterhin fordert Chebli die schnellere Löschung von Hasskommentaren sowie eine effektive Strafverfolgung bei Verstößen gegen Persönlichkeitsrechte im Netz ein. Die Opfer digitaler Gewalt bräuchten darüber hinaus eine Stimme, ihnen müsse mehr Raum für ihre Erfahrungen gegeben werden, auf die dann natürlich auch von Gesetzesseite her entsprechend reagiert werden müsse.
Abschließend zeigt Chebli zehn ganz konkrete Schritte auf, was Menschen tun können, um das Internet für alle zugänglich zu machen und zu einem Ort zu gestalten, an dem diskutiert und debattiert werden kann, und wo Menschen einer friedlichen und freien Gesellschaft gerne zusammen kommen – vom simplen Eröffnen eines Kontos in einem Sozialen Netzwerk bis hin zu konkreten Anlaufstellen bei Hass und Hetze. Spannend ist das Buch für Medienpädagog*innen in Forschung und Praxis, da nicht nur Faktenwissen vermittelt wird, sondern durch die persönliche Geschichte Cheblis auch die Hintergründe der Opfer digitaler Gewalt sehr greifbar werden, woraus sich zahlreiche Handlungsbedarfe für die Medienpädagogik ergeben.
Kati Struckmeyer: Goschler, J. (2023). Sprachbildung für alle. Eine Streitschrift. Dudenverlag. 62 S., 10,00 €
Sprachliche Kompetenz ist eine der Voraussetzungen für gesellschaftliche Beteiligung und beruflichen Erfolg. Aber warum ist das überhaupt so und inwiefern ist das gerecht? Wie kann die sprachliche Bildung von Kindern und Jugendlichen gefördert werden und welche Voraussetzungen sind im Bildungswesen dafür vonnöten? Der schmale, aber gehaltvolle Band macht den Zusammenhang von sprachlicher Kompetenz und Partizipation am sowie Erfolg im Bildungssystem sehr deutlich. Er plädiert dabei vor allem für die Sensibilisierung für das Thema bei allen Beteiligten – pädagogischen Fachkräften genauso wie Eltern. Dabei kritisiert Goschler vor allem, dass Sprachbildung immer noch als Privatsache angesehen wird, wodurch Bildungsungerechtigkeit meist erst entsteht. Nach einem kurzen Exkurs in die Diskriminierung von mehrsprachigen Kindern und die (Bildungs-)Nachteile, die dadurch entstehen, widmet sich die Autorin den sprachlichen Varietäten mit dem Fokus auf Bildungssprache. Abschließend behandelt Goschler Sprachbildung als Aufgabe von Bildungsinstitutionen und wie sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Ihr Plädoyer ist dabei die Schaffung eines stärkeren Bewusstseins bei Lehrkräften für den Zusammenhang zwischen sprachlichem und fachlichem Lernen. Anhand von ganz konkreten Beispielen wird dieser sehr gut erklärt und in die Praxis transferiert. Medienpädagog*innen können viele Anregungen finden, sowohl für die Projektarbeit in der Praxis als auch für verschiedene Veröffentlichungsformen. Das Fazit der Publikation zeigt die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas auf: „Ohne eine durchgängige Sprachbildung für alle, die sich durch alle Bildungs- und Ausbildungswege hindurchzieht, werden wir viele Bildungsziele unserer Gesellschaft nicht erreichen“ (S. 61). Und damit wird auch die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Sprachbildung klar.
Goschler, J. (2023). Sprachbildung für alle. Eine Streitschrift. Dudenverlag. 62 S., 10,00 €
Kati Struckmeyer: Die Welt in acht Museen per Handy-Spiel erkunden
Die neue, kostenfreie App twiddle – the museum riddle ermöglicht es Besucher*innen, die acht Leibniz-Forschungsmuseen mit Hilfe ihrer Smartphones (Android und iOS) und einer interaktiven Entdeckungstour neu zu erkunden. Die Museen befinden sich in Berlin, Bochum, Bonn, Bremerhaven, Frankfurt am Main, Nürnberg, Mainz und München.
Die App richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. In den Museen müssen mit Hilfe der App Aufgaben zu bestimmten Objekten gelöst werden. Je nach Museum geht es dabei zum Beispiel um Schiffswracks oder Dinosaurier-Skelette. Nachdem eine Aufgabe gelöst wurde, kann das jeweilige Objekt dazu ‚eingesammelt‘ werden. Es gibt auch Querverbindungen zu anderen Museen beim Lösen der Aufgaben. Wer einen ersten Einblick in die App bekommen möchte, kann mit einem Homequest starten, also einer Aufgabe, die von zu Hause aus gelöst werden kann.
twiddle – the museum riddle bietet eine langfristige Erweiterung des Vermittlungsangebots der Forschungsmuseen. Die Entwicklung der App ist eine Aktivität des Kompetenzzentrums Bildung im Museum. Mitarbeitende aus den Bereichen Bildung und Vermittlung der Museen sowie dem Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen und dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel haben zudem eine Begleitforschung in die App integriert. Es gibt einen Fragenbogen am Ende des Spiels; außerdem wird zu Forschungszwecken anonym und datenschutzkonform das Spielverhalten nachverfolgt. Anhand dieser Auswertungen sollen die Bedürfnisse und das Nutzungsverhalten der Besuchenden erforscht werden.
www.leibniz-forschungsmuseen.de/twiddle
Kati Struckmeyer: Apraku, Josephine (2023). Mein Workbook zu Rassismus. Für eine alltägliche und tiefgehende Auseinandersetzung. Berlin: familiar faces. 160 S., 24,00 €.
Kurz nach Erscheinen des Kartensets Lasst uns über Rassismus reden! folgt nun Mein Workbook zu Rassismus der Autor*in und Trainer*in für intersektionale rassismuskritische Bildungsarbeit Josephine Apraku. Schon die Gestaltung – klar und bunt – macht große Lust hineinzublättern. Neben intensiven Reflexionsaufgaben bietet das Workbook wichtiges Hintergrundwissen zum Wirken von Rassismus sowie aus dem Forschungsbereich Racial Identity Development. Apraku fordert dazu auf, „radikale Verantwortung“ für den eigenen Lernprozess zu übernehmen und gibt Lesenden viel Wichtiges dafür an die Hand. Das Workbook kann auch als Notizbuch genutzt werden, weshalb es viel Platz für eigene Gedanken bietet. Apraku zeigt in Mein Workbook zu Rassismus Wege auf, wie Lesende – entsprechend ihrer Eigenschaften und ihrer durch Rassismus geschaffenen Position (je nachdem, ob man selbst Rassismus erfährt oder durch ihn Privilegien erhält) – aktiv gegen Rassismus eintreten können. Es richtet sich explizit an Persons of Color und weiße Menschen, und ist sowohl für die individuelle Weiterbildung zu Rassismus als auch zur Gruppenarbeit geeignet, zum Beispiel in Medienprojekten mit Jugendlichen ab 13 Jahren.
Kati Struckmeyer: JIM-Studie 2023
2023 waren Jugendliche im Durchschnitt 224 Minuten täglich online. Elementar war dabei vor allem die Nutzung von Messengern und Social Media. WhatsApp wird von 94 Prozent folgt von TikTok (59 %) und Snapchat (49 %). So lauten einige der Ergebnisse der Anfang Dezember 2023 veröffentlichten JIM-Studie. Weiterhin wurde ermittelt, dass jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge 2023 im Netz schon einmal sexuell belästigt worden sind. Besorgniserregend ist weiterhin, dass 23 Prozent der Jugendlichen im letzten Monat vor der Befragung ungewollt mit pornografischen Inhalten konfrontiert wurden. Zudem gaben 14 Prozent an, innerhalb des letzten Monats im Internet angefeindet oder beleidigt worden zu sein.
Wenn es um onlinebasierte Möglichkeiten geht, Serien, Sendungen und Filme anzusehen, ist die Nutzung von Netflix (63 %) gestiegen (2022: 50 %), während die Nutzung von YouTube (2023: 50 %, 2022: 53 %) fast gleich blieb. Es sind nach wie vor die beliebtesten Portale Jugendlicher.
Die JIM-Studie 2023 (Jugend, Information, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest ist eine Kooperation der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, in Zusammenarbeit mit dem Südwestrundfunk. Dafür wurden in ganz Deutschland im Zeitraum vom 30. Mai bis 9. Juli 2023 insgesamt 1.200 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren befragt.
Kristina Weber/Olaolu Fajembola/Tobias Weber/Fabian Wörtz: Interview. Blick in die Familien
So divers wie die gesellschaftliche Diskussion und die medienpädagogischen Ansätze, so unterschiedlich ist auch Familienleben mit Medien. Wir haben Einblicke in vier Familien bekommen, teils mit, teils ohne medienpädagogischen Hintergrund. Eine Herausforderung ist Medienerziehung als Teil des Familienalltags für alle. Die Interviews zeigen aber auch, welches Potenzial darin liegt und welche individuellen Modelle jede Familie für sich entwickelt hat. Wobei eines alle eint – Medienerziehung ist immer ein Aushandlungsprozess, der sich in ständiger Weiterentwicklung befindet und von Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist.
Kati Struckmeyer: Reichert, Ramón (2023). Selfies. Selbstthematisierung in der digitalen Bildkultur. Bielefeld: transcript. 200 S., 30,00 €.
Selfies sind aus dem alltäglichen Handeln mit Medien nicht mehr wegzudenken und omnipräsent in den Bildkulturen der Gegenwart. Der Kultur- und Medientheoretiker Ramón Reichert analysiert in seinem Werk die Selbstthematisierung im digitalen Zeitalter und verbindet dabei Plattformkritik mit einer Kritik an digitaler Subjektivität.
Selfies werden von Reichert aber auch als Ermöglichung einer kritischen Reflexion des Selbst und seiner Praktiken des Erzählens, Zeigens und Mitteilens in den Fokus gerückt. Dabei wird auch die innovative Dynamik einer kritisch-reflexiven Distanzierung des Selfie-Kults auf der Grundlage praktischer Mediennutzung sichtbar gemacht.
Anhand von Beispielen wie dem Hashtag #rkoi (Rich Kids of Instagram) werden jugendliche Medienpraktiken analysiert. Reichert zeigt hier die Komplexität der Inszenierungen sozialer Ungleichheit in Social Media nachvollziehbar auf. Auch „Selfie Wars“ (S. 66) ist ein Kapitel gewidmet: Reichert zeigt hier, wie hybride Kriegsführung, zum Beispiel in Syrien oder im Irak, auch medialisierte Formen militärischer Gewalt benutzt, um „den digitalen Informationskrieg im Internet für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu instrumentalisieren.“ (S. 67).
Diese und weitere Aspekte machen Selfies zu einer interessanten Lektüre für alle, die sich analytisch mit dem Phänomen Selfies auseinandersetzen wollen.
Reichert, Ramón (2023). Selfies. Selbstthematisierung in der digitalen Bildkultur. Bielefeld: transcript. 200 S., 30,00 €.
Kati Struckmeyer: TikTok Intifada – Analyse und Entwicklungen
Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023 spielen Soziale Netzwerke eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung von Terrorpropaganda, Falschinformationen, Israelhass, Antisemitismus und Verschwörungsnarrativen, die teilweise noch unterschätzt wird. Die Bildungsstätte Anne Frank (BSAF) fasst in einem Report, der im Februar 2024 veröffentlicht wurde, die Beobachtungen relevanter Plattformen aus den ersten drei Monaten nach dem Terroranschlag in einer Ad-hoc-Analyse zusammen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf TikTok. Geschildert werden die Auswirkungen des TikTok-Konsums auf die politische Meinungsbildung der Nutzer*innen.
Die Autorinnen Deborah Schnabel und Eva Berendsen analysieren im Report das seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel besorgniserregend hohe Ausmaß an (antisemitischer) Hetze und Desinformation auf TikTok und schlagen Alarm: „Eine Generation junger Menschen, die sich ihr Weltbild aus Videoschnipseln und Fetzen von Demagogie zusammengesetzt hat, wird bald in die Gesellschaft nachrücken, Einfluss nehmen, durch Wahlen und Abstimmungen Entscheidungen treffen. Eine Welle, auf die die Gesellschaft schlichtweg
nicht vorbereitet ist“ (S. 29).
Der Report schließt mit Best-Practice-Beispielen der politischen Bildungsarbeit und Forderungen an Politik und Gesellschaft, TikTok als Plattform der politischen Meinungsbildung ernst zu nehmen, Medien- und politische Bildung in Schulen sowie außerschulisch voranzutreiben sowie Tech-Konzerne in die Pflicht zu nehmen. Bei letzterem geht es vor allem darum, die Aufmerksamkeit auf Praktiken von TikTok als Unternehmen zu erhöhen, damit zum Beispiel Melde- und Kontrollfunktionen verlässlich funktionieren.
https:// bs-anne-frank.de/mediathek/publikationenKati Struckmeyer: miniKIM 2023: Mehr smarte Geräte bei kleinen Kindern
23 Prozent der Kinder zwischen zwei und fünf Jahren nutzen täglich mindestens ein smartes Gerät wie Handy, Tablet, Laptop oder Sprachassistent. Nimmt man Mediatheken, Streaming-Dienste, Computerspiele oder Apps dazu, sind es 44 Prozent der Kinder, die täglich digitale Angebote nutzen. Diese und weitere erste Ergebnisse der miniKIM 2023 wurden Ende April vorgestellt.
Die Studie liefert Basisdaten zur Mediennutzung von Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren. Die Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs) in Kooperation mit dem Südwestrundfunk (SWR) wurde nach 2012, 2014 und 2020 nun zum vierten Mal durchgeführt. Insgesamt wurden 600 Haupterziehende von Zwei- bis Fünfjährigen zur Mediennutzung ihrer Kinder befragt. Die Medienausstattung der Haushalte hat sich seit der letzten Befragung deutlich verändert. So sind in den Haushalten wesentlich mehr Sprachassistenten verfügbar. Weiterhin haben inzwischen vier von fünf Familien mit Kleinkindern ein Streaming-Abo. Auch der direkte Zugang der Kinder zu smarten Geräten hat seit der letzten Befragung erheblich zugenommen. Mit einer Steigerung um 50 Prozent hat nun jedes fünfte Kind zwischen zwei und fünf Jahren ein eigenes Tablet zur Verfügung, bei den Vier- bis Fünfjährigen sind es fast ein Drittel (28 %). Jedes zehnte Kind im Alter von zwei bis fünf Jahren hat nach Angaben der Eltern bereits ein eigenes Handy oder Smartphone.
Studienleiter Thomas Rathgeb betonte bei der Präsentation der ersten Ergebnisse, dass die Familien mittlerweile eine sehr umfangreiche Medienausstattung hätten. Durch den Zugang kleiner Kinder dazu wachse auch die Verantwortung der Eltern, die Mediennutzung der Kinder zu begleiten und altersgerecht zu gestalten.
Die kompletten Studienergebnisse werden in Kürze veröffentlicht.
Kati Struckmeyer: Fajembola, Olaolu; Nimindé-Dundadengar, Tebogo (2024). Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen. Weinheim Basel: Beltz. 284 S., 20,00 €.
Fajembola, Olaolu; Nimindé-Dundadengar, Tebogo (2024). Mit Kindern über Diskriminierungen sprechen. Weinheim Basel: Beltz. 284 S., 20,00 €.
Kinder werden aus unterschiedlichen Gründen diskriminiert. Zum Beispiel aufgrund von Queerness, Behinderung und Armut oder aus rassistischen bzw. antisemitischen Ideologien heraus – das Ergebnis ist meist, dass die betroffenen Kinder sich verletzt fühlen, ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstwirksamkeit untergraben werden und sie dadurch ihr Potenzial nicht ausschöpfen können.
Ziel von Fajembola (Kulturwissenschaftlerin) und Nimindé-Dundadengar (Psychologin), Autorinnen des Bestsellers ‚Gib mir mal die Hautfarbe – mit Kindern über Rassismus sprechen‘, ist es, mit ihrer neuen Publikation Heranwachsende und ihre Bezugspersonen für Vorurteile, Abwertung und Ausgrenzung zu sensibilisieren und sie davor zu schützen. „Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Diskriminierungsformen sollte zu den Kulturpraktiken gehören, die wir alle von Kindesbeinen an lernen.“ (S. 14) Lesende sollen ein umfassenderes Verständnis von Diskriminierung und deren Auswirkungen erlangen. Dieses Verständnis soll dazu beitragen, dass sie selbst in die Diskussion mit Kindern gehen und sich mit den Herausforderungen auseinandersetzen, „die sich bei der Vermittlung von Inklusivität und Gerechtigkeit ergeben können.“ (S. 17).
Aufgeteilt ist das Buch in zehn Kapitel. Im einführenden Kapitel zu Diskriminierung wird die Grundlage für den folgenden Inhalt gelegt und Diskriminierung in ihrer Komplexität erklärt, indem grundsätzliche Gedanken und Begrifflichkeiten eingeführt werden. Dabei geht es nicht nur darum, was Diskriminierung ist und welche Auswirkungen sie hat, sondern auch um die Rolle, die Erwachsenen zukommt, wenn sie Diskriminierung bei Kindern erleben bzw. wie wir sie davor schützen können. „Dieser Prozess des Empowerments zielt insbesondere darauf ab, die Selbstwirksamkeit der Kinder zu erhöhen und sie zum Zentrum ihrer eigenen Bewertung zu machen.“ Fajembola und Nimindé-Dunda-dengar zeigen auf, wo die Schnittstelle von elterlicher und pädagogischer Verantwortung liegt. „Kindermund tut Wahrheit kund – wer kenntsie nicht, die Sprüche, die Kinder von sich geben und in denen sich klar die Haltung der Eltern widerspiegelt. Damit Kinder so weit wie möglich frei sein können von diesem langen Arm der Erwachsenen(-meinungen) ist es in pädagogischen Räumen wichtig, diese Äußerungen aufzugreifen und sie gemeinsam mit den Kindern und in Elterngesprächen zu beleuchten.“ (S. 31)
In den folgenden Kapiteln wird auf verschiedene Formen und Momente von Diskriminierung im Detail eingegangen: Anti-Schwarzer, Antimuslimischer, Antiasiatischer Rassismus; Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, Antisemitismus, Anti-Gender-Diversity, Bodyshaming, Ableismus und Klassismus werden definiert, erklärt und anhand zahlreicher Beispielen aus der Alltagspraxis greifbarer. Bücher, Filme und Serien, Social-Media-Kanäle sowie Vereine und Initiativen als Anlaufstellen werden empfohlen sowie Fachbegriffe glossarartig erklärt. Als Grundlage für Gestaltung der einzelnen Kapitel haben die Autorinnen Expert*innen interviewt. Aufgrund von deren Erfahrungswissen, ihrer aktivistischen Arbeit und/oder ihrer akademischen Beschäftigung mit dem jeweiligen Thema konnte die Perspektive geweitet werden, was man der intensiven und authentischen Auseinandersetzung mit den einzelnen Diskriminierungsformen anmerkt. Die Biografien der Expert*innen schließen jeweils das Kapitel ab und geben zusätzlichen Einblick in das Leben sehr unterschiedlicher Menschen.
Beispielhaft hervorgehoben sei das Kapitel ‚Klassismus – Gedanken zur Klassenreise‘. Der persönliche Einstieg ins Thema zeigt bereits, wie stark die Herkunft aus einer bestimmten sozialen Klasse wirkt, selbst dann, wenn es nicht in erster Linie um materielle Armut geht. Im Vergleich zu beispielsweise Rassismus und Antisemitismus wird Klassismus aber längst nicht so im gesellschaftlichen Diskurs abgebildet, obwohl er sehr wirkmächtig ist. Nach einem kurzen Exkurs zur Problematik der Kinderarmut in Deutschland bzw. der kaum vorhandenen Aufmerksamkeit dafür wird Klassismus definiert und von einem Fragebogen ergänzt, der zum Reflektieren des eigenen Standpunkts anregen soll. Daraufhin werden
Denkanstöße gegeben, wie Armut in der Sprache benannt werden kann, ohne Menschen dabei klassistisch zu diskriminieren oder historisch negativ geprägte Begriffe zu verwenden. Weiter geht es mit Gedanken dazu, warum Geld in der deutschen Gesellschaft eigentlich so in-
transparent behandelt wird – und welche Beziehung wir (auch angesichts dessen) zu Geld haben. Nach einem kurzen Exkurs zum komplexen Thema Bildungsungerechtigkeit mündet das Kapitel in alltagsnahe Tipps für Familien und Pädagog*innen, wie eigenes klassistisches Verhalten im Alltag verhindert und das Bewusstsein dafür schon bei Kindern geschärft werden kann. In ihrem Schlusswort reflektieren die Autorinnen ihren Schreibprozess sowie die Entstehung des Buches und plädieren dafür, sich selbst immer wieder mit den eigenen Privilegien sowie mit Unsicherheiten, Wissenslücken und den Perspektiven und Meinungen anderer auseinanderzusetzen. Denn „wenn wir uns in unserer Menschlichkeit begreifen, in unseren Ungewissheiten und Fehlbarkeiten, dann entstehen Räume für Veränderung.“ (S. 268)- Kati Struckmeyer: Fit for news – Der Podcast (Verfügbar ab 15.10.2024)
Kati Struckmeyer: Trends, Strategien und Ästhetik der (extremen) Rechten auf TikTok
Ein erheblicher Teil der Erstwähler*innen hat bei der Europawahl 2024 die AfD gewählt. Das wird auch mit der hohen Präsenz rechtsextremer Akteur*innen auf Social Media in Zusammenhang gebracht, besonders auf der bei Jugendlichen beliebten Plattform TikTok. Rechte bis rechtsextreme Accounts beeinflussen hier seit Jahren relativ ungestört die Meinungsbildung junger Menschen gezielt. Deshalb analysiert die Bildungsstätte Anne Frank in ihrem im Juni erschienenen Report Trends, Strategien und Ästhetiken der (extremen) Rechten auf TikTok und gibt Hinweise zur öffentlichen Debatte sowie zur medienpädagogischen Intervention.
Die Autorinnen Deborah Schnabel und Eva Berendsen haben den Bericht in vier Schwerpunkte unterteilt: ‚TikTok und Politik‘, ‚Politik & Narrative der (extremen) Rechten auf TikTok‘, ‚Ästhetik & rechte Gegenöffentlichkeit zwischen Abgrenzung & Mainstreaming‘ und ‚Über TikTok lernen‘. Die ersten drei Teile liefern eine ins Detail gehende, aufschlussreiche Analyse über rechte Kommunikationsstrategien im Netz. Dabei werden einzelne Phänomene erklärt, wie Lipsync, rechte Narrative (z. B. völkisches Denken, Tradwifes und Männlichkeit) oder inszenierte Vaterfiguren. Auch prominente rechte TikTok-Accounts werden vorgestellt sowie rechte Abkürzungen, Umschreibungen und Zahlencodes erklärt.
In den Impulsen zur medienpädagogischen Intervention sticht vor allem hervor, dass weder allen Heranwachsenden und erst recht nicht ihren Bezugspersonen klar ist, welche Wirkung, Reichweite und soziale Sprengkraft TikTok hat. Aufklärungsarbeit und Information über Schutzmöglichkeiten auf der Plattform müssen deshalb intensiviert werden – und führen aus der Erfahrung von Sensibilisierungsworkshops der BSAF zu einem veränderten Nutzungsver-halten, zum Beispiel in Form von Gegenrede oder verstärktem Löschen, Blockieren und Melden problematischer Accounts bzw. Inhalte.
Kati Struckmeyer: Stichwort: Digitale Dienste Gesetz
Das Digitale Dienste Gesetz (DDG) ergänzt den Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union auf nationaler Ebene für Deutschland. Es wurde auf den Weg gebracht, um die europarechtlichen Vorgaben auf Bundes- und Länderebene anzupassen. Die Grundrechte von Internetnutzer*innen sollen damit besser geschützt und illegale Inhalte schneller entfernt werden. Das Gesetz ist am 14. Mai 2024 in Kraft getreten.
Vom DDG betroffen sind Online-Vermittler und -Plattformen wie Marktplätze, Soziale Netzwerke, Content-Sharing-Plattformen, App-Stores sowie Reise- und Unterkunftsportale. Es geht vor allem darum, illegale Online-Aktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation zu verhindern. Die Sicherheit der Nutzer*innen, die Wahrung der Grundrechte und eine faire und frei verfügbare Online-Umgebung sollen dabei im Fokus stehen. Während die EU-Kommission sehr große Plattformen und Suchmaschinen über 45 Millionen Nutzer*innen beaufsichtigt, gibt es nun auch nationale DSA-Koordinator*innen (Digital Service Coordinators, DSC) für kleinere Plattformen. Sie dienen als zentrale Beschwerdestelle für Bürger*innen. In Deutschland wird es künftig eine zentrale Koordinierungsstelle in der Bundesnetzagentur geben, die darüber wacht, dass Onlineplattformen und Suchmaschinen die Regeln einhalten und gegen illegale Inhalte vorgegangen werden kann. Sie wird ergänzt von der Bundeszentralefür Kinder- und Jugendmedienschutz und vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit und wird eng mit den Aufsichtsbehörden in Brüssel und den anderen EU-Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten.
Das DDG regelt auch Buß- und Zwangsgelder für Verstöße gegen den DSA bzw. zur Durchsetzung von Verpflichtungen. Kommen Online-Dienste ihren Verpflichtungen entsprechend des DSA nicht nach, können Nutzer*innen dies künftig bei der Bundesnetzagentur melden. Verstöße können für Plattformbetreibende mit bis zu sechs Prozent ihres Jahresumsatzes sanktioniert werden.
Kati Struckmeyer: Stichwort: Solarpunk
Solarpunk ist ein aktuelles utopisches Genre der Science-Fiction-Literatur, zu der auch eine Bewegung gehört, die versucht, die Ziele dieser Fiktion zu erreichen. Angelehnt ist der Begriff an den Cyberpunk, der wiederum eine dystopische Science-Fiction-Richtung ist, die mit der literarischen Bewegung um William Gibson, Bruce Sterling und weiteren Autor*innen in den 1980er-Jahren entstanden ist. Solar soll in diesem Fall für ökologische Nachhaltigkeit stehen, Punk für Rebellion, Inklusion, Diversität sowie ein Alternativmodell zum Kapitalismus.
Anhänger*innen des Solarpunk kommen zum Beispiel aus dem Umweltschutz, der Open-Source-Bewegung und der Softwareentwicklung. Ziel ist es, die Klimakrise und die Umweltverschmutzung zumindest teilweise zu überwinden, und eine inklusive und diverse Gesellschaft zu schaffen. Solarpunk hat einen optimistischen Blick auf die Zukunft und stellt sich dystopischen, postapokalyptischen Visionen und Geschichten (z. B. des Cyberpunk) entgegen. Ganz praktische Beispiele für die Bewegung des Solarpunk sind Menschen, die ihre Häuser oder Dörfer autark mit Solaranlagen versorgen oder sich zusammenfinden, um Community Gardening zu betreiben. Auch Kleidung, die dazu entwickelt wurde, um Strom zu erzeugen, oder Sonnenschirme mit eingewebten Solarzellen, an denen Geräte geladen werden können, zählen dazu. Es geht der Bewegung darum, Menschen zu aktivieren und zu motivieren, ins Handeln zu kommen. Damit soll einem durch Angst vor der Klimakrise entstandenen Ohnmachtsgefühl entgegengewirkt werden. Das Science-Fiction-Genre des Solarpunk liefert einen Teil der Vorstellungen und Narrative, die von der Bewegung aufgegriffen und umgesetzt werden.
Kathrin Demmler/Susanne Eggert/Kati Struckmeyer: Editorial: Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung
Wir sind noch mittendrin und wagen dennoch schon einen kleinen Rückblick. Wie einschneidend die durch die Corona-Pandemie bedingten Veränderungen im Bildungsbereich sind, wird sich sicher erst in den kommenden Jahren zeigen.
Schon jetzt kann aber gesagt werden, dass die Pandemie uns deutlich vor Augen führt, wie wichtig soziale Beziehungen für uns Menschen sind. Am stärksten betroffen haben uns die Einschränkungen unseres sozialen Lebens. Sowohl die realen, ganz formalen Einschränkungen in Form von Ausgangsbeschränkungen oder Schulschließungen, als auch die ebenso notwendigen, aber eher gefühlten Einschränkungen im Hinblick auf das Abstand halten. ‚Mit Abstand die Besten‘ war das Motto vieler junger Menschen, die im Schuljahr 2019/2020 ihre Abschlussprüfungen absolvierten oder von der Grundschule in eine weiterführende Schule wechselten.
Während jene, die grundsätzlich gut in ihrem sozialen Umfeld eingebunden sind, dies leichter aktzeptieren konnten, war es für alle, die aufgrund ihres familiären Umfelds oder ihres aktuellen Lebensabschnitts auf (neue) Kontakte nach außen angewiesen gewesen wären, bitterer Ernst. Zur Ausbildung oder zum Studium in eine neue Stadt zu gehen, gehört zu den Momenten im Leben, die Menschen lange prägen. Genau hier wurde aber deutlich, dass die Potenziale digitaler Technologien sich erschöpfen, wenn es nicht darum geht, Beziehungen zu pflegen, sondern neue Beziehungen aufzubauen. Eine Ausnahme sind jene Gruppen junger Menschen, die auch unabhängig von der Pandemie sowieso Kontakte via digitaler Technologien anbahnen. Sei es, weil sie sich als Gamer*innen in einer stark mediengeprägten jugendkulturellen Szene verorten oder weil sie Gleichgesinnte über weite Distanzen via Internet finden, wie es beispielsweise in der Manga-Kultur oft der Fall ist.
Wie ist es der Bildungspraxis aber bisher gelungen, diese Ansatzpunkte für medienvermittelte Kommunikation aufzugreifen? Wie können wir Kanäle nutzen und schaffen, um auch jene zu erreichen, die ganz einfach Kontakte oder Ansprache suchen? So sehr uns die Pandemie individuell betroffen hat, so stark hat sie auch das Bildungssystem auf die Probe gestellt. Dabei ging es sowohl um die Frage, wie die Pädagog*innen für den Einsatz digitaler Technologien vorbereitet sind, als auch ganz grundsätzlich um den Stellenwert formaler, nonformaler und informeller Lern- und Begegnungsräume. Sicher ist, die Hausaufgaben sind begonnen worden, aber noch nicht gemacht, es bleibt viel zu tun. Ebenso sicher ist aber auch: Es gibt viele gute Beispiele beeindruckenden Engagements.
Mit dieser Ausgabe der merz | medien + erziehung möchten wir einen Überblick über unterschiedliche Blickwinkel auf die aktuellen Herausforderungen bieten und zur weiteren Diskussion einladen. Einleitend befasst sich Michaela Pfadenhauer unter dem Titel ‚Wie leben wir morgen in der Mit-Corona-Gesellschaft?‘ mit den gesamtgesellschaftlichen, gar globalen Erfahrungen und Konsequenzen der Pandemie und konstatiert: „Die Erfahrung unseres Umgangs damit wird Teil unseres gesellschaftlichen Wissensbestands sein und sich auch tief ins Bewusstsein eingeschrieben haben.“
Ulrich Deinet und Christian Reutlinger stellen erste Ergebnisse einer Studie zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen vor. Unter dem Titel ‚Ist sozialräumliche Jugendarbeit auch digital? Forcierung digitaler Angebote der Jugendarbeit unter Covid-19-Bedingungen‘ befassen sie sich mit den Potenzialen klassischer Prinzipien der Jugendarbeit in Online-Räumen. „Die Nutzung virtueller Medien auch unter starker Beteiligung der Kinder und Jugendlichen hat sich in der Corona-Zeit enorm entwickelt und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Jugendarbeit spielen.“
Horst Niesyto beginnt seinen Beitrag zu ‚‚Digitale Bildung‘ wird zur Einflugschneise für die IT-Wirtschaft‘ mit der Aussage: „Medienpädagogik ist gefragt wie nie zuvor, dennoch steckt sie in der Krise“. Auf Basis einer umfassenden Bestandsaufnahme der aktuellen Situation bzw. der Reaktionen von Medienpädagogik und Bildungspolitik auf die aktuelle Situation, appelliert der Autor an die Medienpädagogik sich klarer zu positionieren und bildungsbezogene Konzepte, Zielsetzungen und Interessen im Hinblick auf Digitalisierung kritisch zu hinterfragen.
Die Perspektiven werden durch einen Artikel von Gerhard Fischer, dem Direktor am Center for LifeLong Learning & Design (L3D) an der Universität von Colorado, Boulder ergänzt. Sein Beitrag trägt den Titel ‚Challenges and Opportunities of COVID-19 for Rethinking and Reinventing Learning, Education, and Collaboration in the Digital Age‘. Fischer liefert darin Ideen und Überlegungen für ein Neudenken der schulischen Bildung, die für kulturelle Transformationen nötig sind, um eine Krisensituation als Chance für eine andere und hoffentlich bessere Zukunft zu untersuchen.
Sophia Mellitzer und Sina Stecher stellen unter dem Titel ‚Wir waren schon online, bevor es beliebt wurde!‘ ihren Erfahrungsbericht zu der Frage vor, wie soziales Lernen online gestaltet werden kann. Sie präsentieren ihre Erfahrungen und formulieren darauf aufbauend Handlungsanregungen für gelingendes Online-Lernen. Eine zentrale Rolle in diesen Settings kommt der Moderation zu: „Neben den Referent*innen ist die Rolle der Moderation für gelungene Online-Formate essenziell und vielfältig.“
Judith Ackermann und Frank Früchtel befassen sich mit der ‚Lehre im Lockdown. Corona als Reallabor digitaler Hochschule‘. Sie stellen die Potenziale der Distanz-Lehre dar, ohne dabei die problematischen Aspekte zu vernachlässigen. Auch in der Hochschule spielen die fehlenden persönlichen Treffen eine wesentliche Rolle. „Um sich digital zu treffen, brauchte es einen konkreten Versammlungsanlass, was ein Manko digitaler Kommunikation aufzeigt, nämlich den Mangel an umgebenden Räumen für Kopräsenz ohne Interaktionsverpflichtung.“ „Das Reallabor zeigt, dass sich die physische Lehreinheit nicht 1:1 ins Digitale übersetzen lässt: Die digitale Umsetzung MUSS anders sein als die physische, um ihre spezifischen Potenziale entfalten zu können.“
Abschließend veröffentlicht das JFF – Institut für Medienpädagogik ein Diskussionspapier, das gemeinsam mit dem Vorstand des Trägervereins JFF – Jugend Film Fernsehen e. V. entwickelt wurde. Entlang von sieben Leitfragen wird den zentralen Veränderungen in der Krise nachgegangen. Darüber hinaus werden spezifische Anforderungen an die Fachdisziplin Medienpädagogik formuliert. Unter anderem ist „eine Stärke der Medienpädagogik […] die Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungsorten. So können übergreifend Themen gesetzt, niedrigschwellige Konzepte umgesetzt und im Umgang mit neuen Technologien Erfahrungen gebündelt werden.“
Die interdisziplinären Betrachtungen von Bildung und Digitalisierung werden ergänzt durch Einblicke in internationale Perspektiven aus Belgien, Tschechien, Österreich und Rumänien. Länderübergreifend wird hier deutlich, dass die Entwicklungen im Hinblick auf Bildung und Digitalisierung in einem Tempo vonstattengehen, das vor Corona nie denkbar gewesen wäre. Gleichzeitig wird betont, dass die digitalen Technologien zwar eine wertvolle Ergänzung in der Bildung sind, reale Kontakte aber im Zentrum stehen müssen. Ebenfalls übergreifend findet eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Tools und der Frage nach spezifischen Angeboten für die Bildung und der Nutzung der Räume, die Jugendliche im Alltag nutzen, statt. So formuliert Anu Poeyskoe vom Medienzentrum Wien Xtra: „Auch für die Zeit danach gilt es, eine gute Balance zu finden zwischen der Nutzung empfehlenswerter Alternativen und Jugendliche dort abzuholen, wo sie sind.“ Die Suche nach dieser Balance stellt relativ hohe Anforderungen an die Pädagog*innen. Entsprechend werden Appelle sowohl an die Ausbildung im Bereich der schulischen und außerschulischen Bildung formuliert als auch die Notwendigkeit von Freiräumen zum Experimentieren und Selbstaneignen im Arbeitsalltag dargestellt. Von Freiräumen schreibt auch Nicoleta Fotiade aus Rumänien, Gründerin und Vorsitzende der Initiative Mediawise Society, die das einzige ‚media literacy education program‘ für Kinder und Jugendliche in Rumänien anbietet. Sie hat beobachtet, dass Lehrkräfte während Corona mehr Freiheit hatten, die Lehrpläne individuell zu erstellen und anzupassen. Dies sollte unbedingt erhalten bleiben.
Die Fülle an Erfahrungen und Reflexionen ist so groß, dass wir ergänzend zur Printausgabe weitere Texte online veröffentlichen können, zu denen hier im Heft kurze Interviews zu finden sind. In den exklusiv online erscheinenden Texten geht es zum Beispiel um neue Entwicklungen beim digitalen Vorlesen, die digitale Lehre aus Sicht der Lehrenden und der Lernenden in Corona-Zeiten sowie den Versuch die Frage zu beantworten, was von der Organisation Schule übrig bleibt, wenn Schüler*innen und Lehrer*innen nicht mehr an einem Ort zusammenkommen.
Auch in unserem neuen Podcast mehr merz – der Medienpädagogik-Podcast geht es in kurzen Interviews um Fragen rund um das Thema: Bildung und Digitalisierung – was war, was kommt und was kann gerne wieder weg. Sie finden den Podcast auf allen gängigen Podcast-Plattformen.
Alle Autor*innen und Interviewpartner*innen sehen große Entwicklungspotenziale hinsichtlich des Lehrens, Lernens und der Beziehungspflege mit digitalen Medien. Gleichzeitig wird deutlich, dass leider erneut die Kinder und Jugendlichen aus weniger privilegierten Verhältnissen zu den Verlierer*innen gehören. Ihnen mangelt es manchmal an technischer Ausstattung, oft an Unterstützung und leider ebenfalls oft an Angeboten, die sie mit ihren Bedürfnissen und Problemlagen gezielt adressieren. Auf sie gilt es ein besonderes Augenmerk zu legen, sowohl in den kommenden Monaten als auch bei der generellen Weiterentwicklung von Bildungsangeboten, in Präsenz, online oder hybrid.
Kathrin Demmler ist Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik und gemeinsam mit Prof. Dr. Bernd Schorb Herausgeberin von merz | medien + erziehung. Ihre Schwerpunkte sind Medien in Bezug auf die Förderung eines Wertebewusstseins, verschiedene Bildungsorte, Veranstaltungen und Netzwerke.
Dr. Susanne Eggert ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Forschung am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis München. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Familie und Medien, Medien in der frühen Kindheit, Medienaneignung Heranwachsender sowie Inklusion und Medien.
Kati Struckmeyer ist verantwortliche Redakteurin der merz | medien + erziehung.
Kati Struckmeyer: Eine App muss auch herausfordern
Im März 2014 ging die Datenbank des Deutschen Jugendinstituts (DJI) www.datenbank-apps-fuer-kinder.de online, in der Apps für Kinder besprochen und bewertet werden. Die Rezensionen von über 150 Apps haben zum Ziel, Eltern und pädagogisches Fachpersonal über die Vielfalt und Qualität der Angebote zu informieren. Die Datenbank wird im DJI-Projekt „Digitale Medien in der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern“ in Kooperation mit dem Blickwechsel e. V., klick-tipps.net und der Stiftung Lesen erstellt und kontinuierlich erweitert. Im Interview beantwortete Dr. Christine Feil, Projektleiterin der Datenbank, verschiedene Fragen zum Hintergrund des Projekts und Apps im Allgemeinen.
Kati Struckmeyer: „Erste Regel: Mein Passwort bleibt geheim!“
„Hallo, ich bin Stefan und ich bin 9 Jahre alt. Ich bin seit zwei Jahren in der Medien-AG. Ich spiele gerne Computerspiele und erkläre euch jetzt mal, wie unser Blog funktioniert. Aber Achtung, der hat ein Pass¬wort, und das schützt uns und unsere Produkte. (…)“ Im Rahmen des Projekts Schulpartnerschaft fand im Juni 2013 ein Modellversuch statt: ein Elternabend, zu dem die Eltern mit ihren Kindern erscheinen sollten und der teilweise auch von Kindern moderiert wurde. Die Schulpartnerschaft ist ein Projekt des JFF – Institut für Medienpädagogik, unterstützt von der Castringius Kinder- und Jugendstiftung München. Im Rahmen des Projekts fanden innerhalb der letzten zwei Jahre an einer Münchner Grundschule eine kontinuierliche Medien-AG mit zehn Kindern, Fortbildungen für das Lehrpersonal und ein Eltern-Kinder-Abend statt, zu dem knapp 80 Eltern und Kinder kamen. Ziel dieses Abends war es, die Familien untereinander ins Gespräch über Medien, insbesondere das Internet, zu bringen, Diskussionsanlässe zu schaffen und das Wissen der Kinder, das sie sich innerhalb der AG angeeignet hatten, zu präsentieren. Den Einstieg in den Abend übernahm eine medienpädagogische Referentin des JFF, die Statistiken zur Mediennutzung von Kindern aus der aktuellen KIM-Studie präsentierte.
Bevor die Statistiken gezeigt wurden, mussten sich jedoch immer erst einmal alle anwesenden Kinder Fragen wie zum Beispiel, „Wie oft seid ihr im Internet?“ und „Wer hat einen Computer bei sich im Zimmer stehen?“, stellen – teilweise mit für die Eltern unangenehmem Ergebnis. Unangenehm, weil es doch oft mehr und anders war, als es vielleicht sein sollte. Damit waren sie auch schon mitten in der Diskussion: „Warum sollten Kinder im Grundschulalter noch keinen eigenen Internetzugang haben?“ „Wie kann man sie vor gefährdenden Inhalten schützen?“ und so weiter. Die Kinder bekamen die Gelegenheit, ihre Sicht und Bedürfnisse zu schildern, mussten aber auch damit leben, dass Reglementierungen nötig sind. Interessiert wurde von den Familien das vorgestellte Modell der Mediengutscheine aufgenommen. In diesem Modell erhalten die Kinder pro Woche eine bestimmte Medienzeit, die sie frei auf verschiedene Medien verteilen können. So können sie sich individuell in ein bestimmtes Medium vertiefen und lernen, mit der Zeit hauszuhalten und zu reflektieren, was ihnen am wichtigsten ist. Außerdem bietet die gemeinsame Reflexion viele Möglichkeiten für die Eltern, mit ihren Kindern über deren Medienvorlieben und -gewohnheiten ins Gespräch zu kommen. Als nächstes kamen die Kinder der Medien-AG an die Reihe. Sie präsentierten zuerst einmal die wichtigsten Regeln, die für das Internet gelten, umgesetzt in verschiedenen Medienprodukten.
Ein Comic zum Thema Passwörter, ein Puppet-Pals-Film über Beleidigungen im Netz und Trickfilme über das Urheberrecht und das Recht am eigenen Bild – auf unterhaltsame und kurzweilige Weise konnten hier auch die meisten Eltern noch etwas dazulernen. Dann wurden selbst erstellte Webseiten-Tutorials gezeigt: die Vor- und Nachteile von kommerziellen Spieleseiten spielaffe.de, der Sinn des Netzwerks seitenstark.de und die Funktionsweisen von Kindersuchmaschinen wie zum Beispiel blinde-kuh.de. Die Eltern notierten sich viele Seiten, von denen sie noch nie gehört hatten. Gemeinsam mit den Kindern wurden dann noch Kriterien für gute Internetseiten für Kinder diskutiert. Abschließend ging es um das Thema Apps: Zuerst wurden Nutzungszahlen und -gewohnheiten abgefragt, dann empfehlenswerte Apps von den Kindern der Medien-AG vorgestellt und über die Risiken von In-App-Käufen und Datenmissbrauch aufgeklärt. Auch hier zeigten sich die Eltern erstaunt über, aber auch sehr offen für die Erfahrungen der Kinder. Wichtig für das Gelingen eines Eltern-Kinder-Abends ist es vor allem, eine geradlinige Moderation zu gewährleisten, die dem roten Faden durch das Programm konsequent folgt und an den nötigen Stellen medienpädagogisches Fachwissen einbringt. Vor allem die Moderation zwischen Kindern und Eltern braucht Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
So muss beispielsweise darauf geachtet werden, dass Familien, bei denen ein hoher und relativ unreflektierter Medienkonsum deutlich wird, nicht bloßgestellt werden. Eltern, die eher bewahrpädagogisch vorgehen und sich provokant in einem solchen Setting zeigen, sollte man nicht ebenso begegnen. Stattdessen ist es klug, die Kinder in Antworten auf solche Verbotsparolen einzubeziehen, denn dann wird schnell deutlich, dass diese einfach an der Realität vorbei gehen. Lohnenswert an diesem Eltern-Kind-Modell war vor allem der aktive Part der Kinder, die ihre Medienprodukte präsentierten, in denen es um genau die zu diskutierenden Dinge ging. Das brachte noch einmal zusätzliche Lebendigkeit und Anschaulichkeit in die teilweise schwierigen und trockenen Sachverhalte. Wichtig war es hier, die Kinder sehr gut auf ihre Präsentation vorzubereiten, denn der Auftritt vor der eigenen Familie bedeutete noch einmal eine besondere Herausforderung.
Abschließend lässt sich sagen, dass es für alle Beteiligten ein sehr kurzweiliger, abwechslungsreicher und trotzdem informationsintensiver Abend war, im Gegensatz zu vielen Elternabenden, während derer nicht nur in der letzten Reihe ein schlafendes Gesicht zu entdecken ist.
Kati Struckmeyer und Michael Gurt: Von Fernsehlieblingen, Wortwuseln und interaktiven Stickeralben
Der Medienmarkt für die Kleinsten steht dem für die Größeren in nichts nach, was die kontinuierliche Erweiterung betrifft. Neue Serien, neue Apps, neue Angebote im Bereich des Edutainments – es ist schwer, einen Überblick zu behalten – vor allem was die Qualität betrifft. Es gibt zahlreiche neue Entwicklungen hinsichtlich des Fernsehens, aber auch auf YouTube, in der Kinderseiten-Landschaft sowie in der Welt der Apps, die einem kritischen Blick aus medienpädagogischer Perspektive unterzogen werden.
Kati Struckmeyer: Apps für Kinder
Sommerzeit – Urlaubszeit – Zeit zum Kofferpacken … Wer mit Kindern in den Urlaub fährt, steht jetzt vor der Frage: Wie viele Bücher und Spiele müssen in den Umfang und das Gewicht des Koffers mit eingeplant werden? Nicht nur für diese Familien sind Apps für Smartphones oder iPads eine willkommene Alternative oder Ergänzung. Auch für medienpädagogisch Tätige lohnt sich ein Blick in die sich rasch entwickelnde Welt des Edutainments für die Kleinen. Es gibt mittlerweile eine Menge lehrreicher, unterhaltsamer und auch ansprechend gestalteter Apps für Kinder. Man muss nicht pädagogisch tätig sein, um in Praxistests mit Kindern herauszufinden, dass die meisten Apps so intuitiv gestaltet sind, dass bereits Zweijährige sich mühelos damit beschäftigen können, ohne dabei große Unterstützung zu benötigen. Hier werden nun einige Apps vorgestellt, die im App Store Dschungel Orientierung geben sollen, wenn es um Angebote geht, die Kindern nicht nur Inhalte vermitteln, sondern dabei auch noch ansprechend und unterhaltsam gestaltet sind. Außerdem sind die vorgestellten Apps so strukturiert, dass immer wieder Zwischenergebnisse erreicht werden, an denen das Spiel der Kinder gut beendet werden kann. Im Gegensatz dazu gibt es auch Apps, die darauf angelegt sind, immer weiter zu spielen, und die Ansage „Jetzt ist Schluss!“ viel schwieriger zu argumentieren ist.
Conni und die Zahlen/Conni und die Buchstaben
Conni ist vielen Familien schon bekannt durch ihre Abenteuer, die vom Carlsen Verlag verlegt werden. Ob beim Zelten, beim Umzug oder auf dem Reiterhof, Conni hat immer etwas zu erzählen, das der Lebenswelt von Vor- und Grundschulkindern entspricht. Außerdem kann man mit Conni eine Menge lernen – zum Beispiel auch Zahlen und Buchstaben. Im Zahlen App haben Kinder im Vor- und Grundschulalter die Möglichkeit, sich auf verschiedenen Wegen mit den Zahlen von eins bis zehn zu beschäftigen. Beim Lernspiel Zahlen von 1 bis 10 lernen legt zum Beispiel ein Huhn jedes Mal ein Ei und gackert, wenn die Kinder es berühren. Wenn die Anzahl der gelegten Eier stimmt, schlüpft aus dem letzten Ei eine Überraschung. Dieses Spiel ist besonders für Kindergartenkinder geeignet, die die Welt der Zahlen zu entdecken beginnen. Bei den Rechenspielen werden Grundschulkinder für richtige Lösungen mit Sternen belohnt. Ab einer bestimmten Anzahl Sterne gibt es dann eine kleine Conni-Geschichte zur Belohnung. Ähnlich ist das Conni Buchstaben App aufgebaut. Zum einen kann man das ABC samt richtiger Aussprache und Reihenfolge lernen. Darüber hinaus geht es aber auch um die phonologische Bewusstheit – welches Wort fängt mit welchem Anfangsbuchstaben an? Die richtigen Antworten werden in fünf Conni-Bilderalben gesammelt. Wie viele richtige Antworten man hat, wird mit magisch wachsenden Wollfäden gezeigt, so dass die Kinder ihren Lernerfolg auch überprüfen können.
Tom und seine Freunde
Tom ist eine vielen bereits bekannte Figur aus dem SWR Kindernetz. Gesprochen von Dirk Bach, überzeugt Tom sowohl durch einfache und liebevolle Grafiken als auch durch originelle Geschichten mit witzigen Wendungen. Denn das Besondere ist, dass man Toms Abenteuer im App Tom und seine Freunde selbst steuern kann. Nach jedem Handlungsstrang hat man drei Möglichkeiten, wie die Geschichte weitergeht – Ziel ist es, Tom gegen seinen knurrenden Magen ein Erdbeermarmeladenbrot mit Honig zu verschaffen. Dabei kann man skurrile Wendungen erleben, die nicht nur Kindern Spaß machen. Nach circa 20 Minuten hat man die Geschichte spätestens durchgespielt, wobei die Verlockung natürlich groß ist, gleich noch einmal zu beginnen und dieses Mal andere Wege auszuprobieren.
MyPuzzle Ritter Rost/ MyPuzzle Fritz und Fertig
„Potz Wellenblech und Stacheldraht!“, hier werden Ritter Rost und seine Freunde in Einzelteilen verlegt. Mit diesem Puzzle, das man in verschiedenen Schwierigkeitsgraden spielen kann, bietet der terzio Verlag eine Ergänzung zu seinen erfolgreichen Produktlinien Ritter Rost und der Schachlernsoftware Fritz und Fertig an. Dabei gibt es tolle Extras – zum einen können sich Puzzleanfänger verschiedene Hilfen einblenden lassen, um schneller zum Erfolg zu kommen. Zum anderen kann man die fertigen Bilder natürlich auf dem Smartphone oder iPad speichern und sogar per E-Mail verschicken. Kinder ab vier Jahren können dabei sogar zwischen Englisch und Deutsch als Sprachen wechseln. Bei diesem App ist zu beachten, dass die einfachen Puzzles mit wenigen Teilen kostenlos im App Store herunter zu laden sind. Sobald man die Schwierigkeitsstufe erhöhen will, muss man die kostenpflichtigen Apps dazu kaufen. Das sich permanent erweiternde Feld der Apps für Kinder ist auf jeden Fall weiter im Auge zu behalten. Ihr medienpädagogischer Nutzen ist in keinem Fall abzustreiten, dennoch birgt auch dieses Angebot Gefahren und Risiken. Zum einen ist es wie mit anderen digitalen Lernangeboten auch – Kinder profitieren in erster Linie davon, wenn diese Angebote gemeinsam mit den Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen genutzt werden. Erst durch die Gespräche darüber werden die Inhalte vertieft und eventuell auftauchende Schwierigkeiten und Fragen gelöst und beantwortet. Deshalb sollten auch die wert- und gehaltvollsten App-Angebote nicht als Babysitter eingesetzt, sondern im familiären Kontext genutzt werden. Nur dann haben die Eltern auch im Blick, wie das Kind sich das Angebot aneignet und wie viel Zeit es in die Nutzung investiert. Hier gilt es, Eltern zu informieren – nicht nur über die Potenziale, sondern auch über die Nachteile digitaler Lernangebote bzw. über eine sinnvolle Nutzung, von der Kinder profitieren, statt nur damit ruhiggestellt zu werden. Ein weiteres Risiko ist die selbstständige Nutzung des App Stores durch Kinder. Da dieser viele Verlockungen bereithält und man mit zwei Klicks schnell etwas gekauft hat, sollten Kinder im Grundschulalter nur mit Begleitung der Eltern dort unterwegs sein. Für Vorschulkinder eignet sich der selbständige Einkauf noch gar nicht. Für Grundschulkinder gehört es natürlich dazu, mit dem eigenen Taschengeld zu haushalten. Doch um in keine Kostenfalle zu geraten und nicht auf für Kinder ungeeignete Inhalte (Pornografie, Gewalt etc.) zu stoßen, empfiehlt sich die Begleitung durch die Eltern auf jeden Fall.
Sebastian Ring und Kati Struckmeyer: Mitmachen im Web 2.0
Das Mitmach-Netz ist aus dem Alltag Jugendlicher längst nicht mehr wegzudenken. Dass Web 2.0-Plattformen für die Heranwachsenden aber nicht nur Risiken bergen, sondern durchaus auch medienpädagogische Potenziale, zeigen zwei Projekte des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Neben der nötigen Aufklärung der Jugendlichen steht dabei vor allem die kompetente und selbstbestimmte Nutzung der Vorteile von Web2.0-Angeboten im Vordergrund.
Literatur
Grimm, Petra/Rhein, Stefanie/Clausen-Muradian, Elisabeth (2008). Gewalt im Web 2.0. Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik. Berlin: Vistas.
Grimm, Petra/Rhein, Stefanie (2007). Slapping, Bullying, Snuffing! – Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen. Berlin: Vistas.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2008). JIM – Jugend, Information, (Multi-)Media. Stuttgart.
Schorb, Bernd/Theunert, Helga (Hrsg.). merz – medien + erziehung: Zeitschrift für Medienpädagogik. Ausgabe 02/2009. Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien. München: kopaed.
Wagner, Ulrike (2009). Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher. München. www.jff.de/index.php?BEITRAG_ID=5809 [Zugriff: 14.06.2009]
Wagner, Ulrike (Hrsg.) (2008). Medienhandeln in Hauptschulmilieus. Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München: kopaed.
Kati Struckmeyer: Eine behutsame Erkundung des Wesens der Liebe und ihrer Grenzen
Was passiert, wenn sich eine junge Frau, die geistig behindert ist und ihr Zivi ineinander verlieben? Die Frage, die Regisseur Leo Hiemer in seinem Film „Komm, wir träumen!“ stellt, ist umso spannender, als die Auseinandersetzung damit fast keine Öffentlichkeit hat.Nach einem autobiografischen Roman von Volker Jehle erzählt Hiemer von Ulrike, die sich nicht in die „normale“ Welt einzuordnen vermag und den Alltag durch ihre unbändige Emotionalität „stört“, was in wilden Anfällen zum Ausdruck kommt.
Eckart, der die Werkstattgruppe, zu deren Beschäftigten auch Ulrike gehört, als Zivildienstleistender übernimmt, wird von genau dieser inneren Absolutheit fasziniert. Dabei kommt er Ulrike so nah, dass die Grenzen zwischen professioneller Zuwendung, Freundschaft und Liebe langsam verschwimmen. Während Eckart unablässig mit sich und seinen Emotionen kämpft, konzentriert Ulrike ihre Gefühle mit der ihr eigenen Leidenschaft ganz auf ihn. Doch bevor sich aus der gegenseitigen Faszination tiefere Gefühle entwickeln, kündigt sich mit dem Einfluss der gesellschaftlichen Konventionen und Eckarts eigenem Zweifeln bereits das Ende dieser entstehenden Liebe an. Ein Ausgang, der den Erwartungen unserer Gesellschaft entspricht.
Aus Nähe wird wieder Distanz, und was übrig bleibt, ist der Zweifel, sich selbst und den ei-genen Gefühlen im Weg zu stehen.Leider vermag „Komm, wir träumen!“ auf der filmästhetischen Seite weniger zu überzeugen. Die episodenhafte Erzählstruktur bremst die Liebesgeschichte zuweilen eher, anstatt sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Zu gewollt poetisch sind einige Dialoge, die dadurch an Authentizität verlieren. Dennoch, unvergesslich bleiben einzelne Szenen der wortlosen, behutsam erkundenden Zärt-lichkeit zwischen dem mit sich und seinen Grenzen kämpfenden Paar. Augenblicke, deren Hitze und Intensität man auch als Zuschauer spürt. Das Potential des Films liegt in diesen Momenten, in denen jeder Zuschauer seine eigenen Grenzen in der Auseinandersetzung zwischen Normalität und Konvention wiederfindet.
Komm, wir träumen!
D 2004, 93 Min.
Regie: Leo HiemerBuch: Volker Jehle
Darsteller: Anna Brüggemann, Julian Hackenberg, Jockel Thiersch, Beata Lehmann
Verleih: Leo Hiemer
Kati Struckmeyer: Hayali, Dunja (2018). Haymatland. Wie wollen wir zusammen leben? Berlin: Ullstein. 160 S., 16,00 €.
Gemeinsam mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit führt das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis seit mehreren Jahren Projekte zum Thema ‚Werte in der digitalen Welt‘ durch. Ziel der Projekte ist es, mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch über Hass im Netz, Werte und Regeln für ein Zusammenleben – digital wie analog – zu kommen. Den Medienprojekten, in denen diese Diskussionen durch selbsterstellte Medienproduktionen umgesetzt werden, sind Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte vorangestellt. In diesen Fortbildungen erhalten die Lehrer*innen zusätzlich zur Möglichkeit medienpraktische Erfahrungen zu sammeln, auch viele Informationen zum Thema ‚Werte in der digitalen Welt‘. Dazu gehören auch Literaturtipps, die sowohl Grundlagenwissen, als auch Inspiration und Denkanstöße sowie Beiträge zu aktuellen Debatten liefern. Hayalis Haymatland gehört seit dem Erscheinen 2018 zu diesen Tipps dazu. Hayali, die in einem kleinen Ort im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen ist, kennen viele durch ihre Funktion als Moderatorin im ZDF Morgenmagazin und im ZDF Sportstudio. Auch durch ihr Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, wofür sie 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, hat sie viel öffentliche Beachtung gefunden. In ihrem Buch Haymatland schreibt sie zu Beginn über ihre Kindheit und Jugend in Nordrhein-Westfalen, als Kind irakischer Eltern, die über unterschiedliche Wege nach Deutschland gekommen waren. Sie selbst beschreibt mehrere Orte als „Heimaten“, sowohl in Deutschland, als auch – geografisch nicht festgelegt – den Orten, an denen Freunde und Familie zusammenkommen und zusammen sind. Das ist ein schöner Ansatz, um auch mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. ‚Wie viele Heimaten hast du? Was macht eine Heimat aus? Wie kann ein Ort zur Heimat werden?‘ sind Fragen, die sehr gut und kreativ in Medienproduktionen behandelt und veranschaulicht werden können, z. B. in Podcasts, kleinen Trickfilmen oder Foto-Storys. Ebenso geeignet ist Hayalis Unterscheidung nach Heimat im Kleinen (Zuhause, Schule, Sportverein) und Heimat im Großen (Stadt, Region, Land). „Das wäre eine Chance für alle, die bereit sind, eine Einladung auszusprechen: Hier, in unserer kleinen Heimat, könnt ihr eine neue finden“, und damit vielleicht auch Stück für Stück eine große Heimat. Im zweiten Kapitel geht es um den Hass, der sich in den letzten Jahren vor allem digital, aber auch in der Politik und im täglichen Umgang der Menschen miteinander breitgemacht hat. Hayali begegnet dieser Hass nicht nur digital in vielen sehr grenzüberschreitenden Nachrichten über soziale Medien und andere Kanäle, sondern auch ganz offen auf der Straße. Sie geht offensiv damit um, versucht Kontakt zu den Menschen herzustellen und mit ihnen zu reden. Auch Hayali hat dabei ihre Grenzen, wenn ihr z. B. mit Vergewaltigung, dem Tode oder Deportation gedroht wird. Gegen diese Art von Hassrede, gegen die es klare Gesetze gibt, geht auch sie auf juristischem Wege vor oder/ und blockiert die Absender*innen auf ihren Profilen. Trotzdem lässt sie die Frage nicht los, was genau solch starken Hass bei Menschen auslöst. Warum Menschen, die sich für andere und ihre Rechte engagieren, als „Gutmenschen“ verhöhnt werden, während die Hater*innen, die meist nichts tun, außer zu kritisieren und Angst zu erzeugen, immer größeren Zuspruch erfahren. In den Perspektiven-Projekten des JFF geht es immer wieder auch um die Frage, wo die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung bzw. Hassrede verläuft. Hayali bezieht hier klar Stellung, und ihre Argumentation kann man gut mit Jugendlichen diskutieren. „Aber wer sich rassistisch äußert, ist – verdammt noch mal – ein Rassist. (…) Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber nun mal kein Alibi für menschenfeindliche Äußerungen, rassistische Beleidigungen, persönliche Verunglimpfungen und pure Lügen.“
Ihre Strategie gegen diese Entwicklungen ist der lange Weg des Einander Zuhörens, Diskutierens, des Perspektivwechsels und der Empathie. Auch bei radikalen Meinungen interessiert sie: Wie kam es dazu, dass diese Meinung sich bilden konnte? Nicht, um etwas zu entschuldigen, sondern um einen Austausch untereinander anzuregen, der im besten Falle dem Hass den Wind aus den Segeln nimmt, denn je mehr Hassrede es gebe, umso normaler werde sie und umso etablierter die Parteien und Menschen, die mit ihr argumentierten. Im dritten Kapitel „Tatsachen“ führt Hayalinoch einmal verschiedene Fakten zu Migration und Flucht zusammen. Die mehr als 19 Millionen Menschen mit Migrationskontext, die in Deutschland leben, stehen im Kontrast zu der Vorstellung vieler, die sich hartnäckig hält und sogar wächst, dass ‚fremde‘ Menschen nicht zu uns passen und wenn überhaupt, dann nur eine begrenzte Zeit hier sein sollten. Im abschließenden Kapitel „Hoffnung“ stellt Hayali fest, dass eine geschlossene Gesellschaft, wie viele, die sich um ‚ihre Heimat‘ sorgen, sie fordern, nicht mit Demokratie und Rechtsgleichheit vereinbar ist. Stattdessen spricht sie sich dafür aus, in Migrant*innen und Geflüchteten auch einen Teil der Lösung unserer Probleme – wie z. B. des Fachkräftemangels in vielen Bereichen – zu sehen. Das Problem sei dabei folgendes: „Wir haben einen großen Bedarf an ins Land kommenden Arbeitskräften, aber zu wenig legale Zuwanderungswege für Nicht-EU-Bürger.“ Noch ein anderer Punkt ist Hayali dabei sehr wichtig: „Das heißt natürlich auch, dass wir von denen, die zu uns kommen, verlangen können und müssen, dass sie sich mit uns, unseren Gepflogenheiten, unserer Geschichte, unserer Kultur, unseren Regeln auseinandersetzen. Ich erwarte von niemandem, dass er sich einfach nur assimiliert, dass er seine Religion oder seine Kultur aufgibt – warum auch? Es geht hier nicht um ‚Entweder-oder‘, es geht vielmehr um ‚Sowohl-als-auch‘.“
Das Buch bringt viele Gedanken bei den Lesenden in Gang und kommt mit einem starken Aufruf zum Haltung-Haben zum Abschluss. Haltung als grundsätzliche Sicht auf die Dinge, als „Geländer“, also auch als Hilfe, kritisch auf sich selbst zu sehen. Auch hierin zeigt sich ein sehr guter Ansatzpunkt, um mit Heranwachsenden ins Gespräch zu kommen – was ist eine Haltung, wofür brauchen wir sie, wie gehen wir mit der Haltung anderer um und wie äußern wir unsere eigene? Zusammengefasst ist Hayalis Buch für jede*n geeignet, die*der in Deutschland lebt, und noch mehr für jene, die inhaltlich mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Werte (digital und analog) arbeiten.
Kati Struckmeyer: Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien
Haus Eins (2020). Nur 30 Minuten? Podcast, kostenlos verfügbar bei diversen Podcast Apps.
„Darf ich TikTok haben? Darf ich YouTube? Mama, ich will Instagram! Darf ich ZOCKEN???" „Na gut, aber nur 30 Minuten. Und dann machst du aus, ja?“ Der Trailer des Podcasts macht gleich das große Thema auf, das Patricia Cammarata, Speakerin, Autorin und Podcasterin und Marcus Richter, Journalist und Moderator, in ihrem Podcast bearbeiten. Es wird über relevante Themen in Sachen Medienerziehung gesprochen, und das sehr fundiert, sehr sympathisch und auch sehr unterhaltsam.
Der von Ende 2019 bis März 2020 erschienene Podcast widmet sich dabei in jeweils einzelnen Folgen à circa 45 Minuten folgenden Themen: Wie gelingt Medienerziehung? YouTube, WhatsApp, Cyber-Mobbing, wie schätze ich neue Medienphänomene ein? Computerspiele, Sucht, Internetpornografie, Kinderfotos im Netz sowie individuelle Hörer*innenfragen in der letzten Folge.
Cammarata und Richter sehen Eltern in der Rolle als Lernbegleiter*innen, die nicht alles wissen, aber den (medialen) Weg ihrer Kinder mitgehen müssen. Wichtigste Voraussetzung für diesen Weg sei eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kind. Wobei Medien hier sogar helfen können. Gespräche über Medien bzw. gemeinsame Nutzung von Medien können und sollten auch Teil der Beziehungsarbeit innerhalb einer Familie sein. Hierfür liefern die Podcaster*innen auch konkrete Tipps – zum Beispiel Apps, Computerspiele sowie YouTube-Kanäle, die sie aus Sicht der Kinder und der Eltern sowie auch auf ihr Potenzial für eine gemeinsame Nutzung beleuchten. Eine weitere wichtige Grundsäule Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien ist für Cammarata und Richter die künstliche Trennung von analoger und digitaler Welt, die es aufzuheben gelte. Medien seien Teil der Wirklichkeit fast aller Heranwachsenden und müssten auch so behandelt werden, statt sie in eine Parallelwelt zu verschieben, was viele Probleme mit sich bringe.
Wenn die Podcaster*innen Medienangebote genauer beleuchten und erklären, dann immer aus der Sicht von zwei Kulturoptimist*innen. Diese Sicht müsste sich aufgrund der sachlichfundierten, angenehm unaufgeregten Art und Weise auch auf eher kulturpessimistisch angehauchte Hörer*innen übertragen.
Besonders hervorgehoben seien die Folgen zu Computerspielen und Sucht – zwei Themen, die auch auf medienpädagogischen Elternabenden regelmäßig heiß diskutiert werden. Die Folge ‚Ist alles Sucht, was wir Sucht nennen?‘ macht dieses sehr polarisierende Thema ganz sachlich und ruhig auf. Was ist laut dem Internationalen Klassifizierungssystem für Krankheiten (ICD 11) überhaupt Sucht? Beim Blick auf die Definition wird schnell klar, dass vieles, was gerade von Medienkritiker*innen als Sucht bezeichnet wird, eher Phänomene sind, die in diesem Zusammenhang falsch diskutiert werden. Gerade das Phänomen der exzessiven Mediennutzung entsteht wiederum oft im Zusammenhang mit Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden und muss individuell betrachtet werden. Professionelle Hilfe sei dabei immer ratsam, sind Cammarata und Richter sich einig, und nennen auch gleich mehrere Anlaufstellen für Eltern, deren Kinder zu viele Medien (welcher Art auch immer) nutzen. Außerdem folgen Tipps, wie man mit Kindern Strategien einüben kann, ihre Impulse in Bezug auf Mediennutzung zu kontrollieren, was eine wichtige Entwicklungsaufgabe Heranwachsender sei. Auch dem Zustand des Flows in Bezug auf Medien wird genau auf den Grund gegangen. In der Folge zu Computerspielen wird vor allem Eltern Hilfestellung gegeben, die selbst wenig Erfahrung damit haben. Es geht um die Frage, wie man in das Thema eintauchen kann (auch, wenn man nicht selbst spielen will), wie man mit Kindern ins Gespräch darüber kommt, was man beim Thema Kommunikation in Online-Spielen beachten muss, wie es in Spielen um Datenschutz und Werbung steht sowie, wann es ein Zuviel an Spielen wird. Auch hier wird die Folge von konkreten Spiele- und Ratgebertipps abgerundet.
Zwei Regeln geben die Podcaster*innen den Zuhörenden immer wieder mit:
1. Redet miteinander!
2. Ohne Aufwand geht es nicht!
Gerade die zweite Regel beinhaltet die dringende Aufforderung, sich mit den Medienvorlieben und der Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen, was mühsam sein kann, aber unabdingbar und fast immer auch lohnenswert ist. Ziel sei es dabei immer, bei den Heranwachsenden das Bewusstsein zu schaffen bzw. zu schärfen, dass auch sie die Welt in ihren Händen halten und mitgestalten können und sollen.
Der Podcast ist eine Inspirations- und Wissensquelle für alle, die in der medienpädagogischen Elternarbeit unterwegs sind. Sowohl, um den eigenen Wissens- und Erfahrungshorizont zu erweitern, als auch als Handreichung, die Eltern mitgegeben werden kann. Unterstützt wurde die Produktion der ersten Staffel des Podcasts vom Elternratgeber SCHAU HIN!. Nach den Sommerferien erscheinen noch zwei Folgen, dann ist das Projekt beendet. Eltern können ihre Fragen zu digitalen Medien ab August aber auf SCHAU HIN! in der Rubrik #fragdasNuf stellen, die dann von Patricia Cammarata
beanwortet werden.Ebenfalls verfügbar sind die Inhalte des Podcasts in dem 2020 im Eichborn Verlag erschienen Buch ‚Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss! Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel' von Patricia Cammarata (16,60 €).
Kati Struckmeyer: Über Architektur und Macht der Sprache
Gümüşay, Kübra (2020). Sprache und Sein. Berlin: Hanser, 207 S., 18,50 €.
Kübra Gümüşay hat ein Buch geschrieben, das in den Kanon jetziger und kommender Generationen gehört. Es geht um Sprache – ihren Aufbau, ihre Macht, ihre Kategorisierungen und ihren Facettenreichtum. Ziel von Gümüşays essayartigem Werk ist ein gemeinschaftliches und menschliches Denken und Sprechen in einer sich polarisierenden Welt.
Grundkonstrukt dabei ist die Sprache als ein Ort; Gümüşay denkt ihn sich als ein sehr großes Museum. In diesem Museum gibt es zwei Arten von Menschen – die ‚Benannten‘ und die ‚Unbenannten‘. Letztere sind Menschen, die die Norm bzw. den Maßstab darstellen. Für sie ist das Museum gemacht und von ihnen wird es auch kuratiert. Dadurch erfasst das Museum aber auch nur das, was die ‚Unbenannten‘, die somit zugleich die ‚Benennenden‘ sind, selbst erfassen bzw. was innerhalb ihres Horizonts liegt. Die ‚Benannten‘ wiederum, die von der Norm abweichen, die fremd und anders sind, erzeugen Irritationen. Das Museum ist dazu da, sie zu analysieren und zu kategorisieren. Damit geht eine Entmenschlichung einher, denn es geht nicht mehr um Individuen, sondern nur noch um ‚die Flüchtlinge‘, ‚die Schwulen‘, ‚die Muslime‘, ‚die Schwarzen‘ et cetera.
Dabei lehnt Gümüşay Kategorisierungen nicht grundsätzlich ab. Sie weiß, dass Menschen Kategorien brauchen, um sich zu orientieren, Muster zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und zu reagieren. Was sie kritisiert, ist der mit Kategorisierungen einhergehende Absolutheitsglaube, der aus Kategorien Käfige für die ‚Benannten‘ mache; in der (vermessenen) Vorstellung, die eigene begrenzte, limitierte Perspektive auf die Welt als komplett, vollständig und universal zu empfinden. Wenn diese Perspektive – etwa die weißer Europäer*innen oder Nordamerikaner*innen – privilegiert würden über andere, dann verlören die anderen Perspektiven und Erfahrungen ihren Geltungsanspruch.
Gümüşay berichtet immer wieder auch aus ihrer persönlichen Erfahrung. Als ‚Vertreterin‘ für die Kategorie ‚die Muslima‘ bzw. ‚die kopftuchtragende Frau‘ habe sie sich fast immer zu entscheiden, welche ihr von den Benennenden zugedachte Rolle sie einnimmt – die des Opfers, das durch das islamisch begründete Patriarchat bedroht werde, oder die der Gefahr selbst, indem sie als Wegbereiterin der Islamisierung Deutschlands wahrgenommen werde. Gerade dem Kopftuch, auf das Frauen oft reduziert werden, widmet Gümüşay eine ausführliche Betrachtung, die viele Vorstellungen der Lesenden gründlich umkrempeln und zurechtrücken dürfte. Nach der Lektüre dieses Buches wird niemand mehr unbedarft fragen: „Und warum trägst du das Kopftuch nun eigentlich?“, zumal einen Menschen, den sie*er vielleicht erst seit Kurzem kennt.
In einem Kapitel kommt Gümüşay auch auf die Verantwortung der Medien gegenüber den ‚Benannten‘ zu sprechen. Sie klagt an, dass Redaktionen ihre journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigen, wenn sie die ‚Benannten‘ damit beauftragen, den falschen, bewusst provozierenden und menschenfeindlichen Statements ihrer Gäste etwas entgegen zu setzen. Lügen, Manipulationen und Provokationen zu entlarven sei nicht ihre Aufgabe, sondern die der Redaktionen, sonst würden Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus et cetera zu Meinungen geadelt. Zumal diese ‚Funktion‘ des Erklärens zu vergleichen sei mit der ‚Funktion‘ von Rassismus, nämlich Ablenkung. Immer und immer wieder die Gründe der Existenz zu erklären, Absurditäten und ‚Expert*innenmeinungen‘ zu widerlegen, halte Gümüşay und andere davon ab, sich mit anderen zukunftsweisenden Themen zu beschäftigen. Ihre Kraft werde damit verschwendet, Teil eines sinnlosen Kampfes zu sein, um dafür zu sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird.
Abschließend entwirft Gümüşay die Vision eines neuen Sprechens. Dazu sei ein Kulturwandel nötig. Solange der nicht stattfinde, blieben Personen, die von der Norm abweichen, auch weiterhin die Feigenblätter einer vermeintlich inklusiven Gesellschaft. Denn deren Teilhabe an Positionen in der gesellschaftlichen Mitte sei erst der allererste Schritt. Eine wirklich inklusive Gesellschaft müsse vor allem die Angst vor dem Wandel verlieren. Die Ungewissheit, wohin dieser Wandel führe, eint alle. Die einzige Gewissheit ist, sagt Gümüşay, dass eine gerechtere, inklusive Gesellschaft nicht von selbst kommt. Für sie brauche es konstante Wachsamkeit und konstantes Lernen. Und Orte, an denen gedacht werden kann – zögernd, zweifelnd, hinterfragend, dabei aber immer wohlwollend denen gegenüber, die kritisiert werden, ohne sich dabei über sie zu erheben. „Eine Welt, in der alle gleichberechtigt sprechen und sein können.“
Sprache und Sein eignet sich als Lektüre für alle Menschen, für pädagogisch Tätige gibt das Buch zusätzlich viele Denkanstöße und Impulse für die praktische Arbeit – sowohl für die eigene Sprache, als auch für eine Sprache, deren Entwicklung gemeinsam mit Heranwachsenden in Projekten angestoßen werden kann und muss.
Wer sich mehr mit Kübra Gümüşay beschäftigen möchte, der*dem sei der Podcast Hotel Matze vom 26. Februar 2020 empfohlen. Auch in diesem Podcast wird über Sprache, Ausgrenzung, die Verunsicherung unserer Zeit, Rassismus sowie den Stellenwert von Glauben und Hoffnung gesprochen.
Jounas Al Maana/Kati Struckmeyer: #blackouttuesday
ks Als teilzeitarbeitende Mutter von zwei Kindern – und neuerdings verantwortlich für eine Fachzeitschrift – läuft mein Leben oft in sehr gleichförmigen Bahnen ab. Instagram ist für mich ein Fenster in die Welt, wenn meine eigene Welt zum Hamsterrad wird. Mal kurz gucken, was andere machen, denken, lesen, anziehen, essen – das ist Entspannung, Ablenkung und vor allem Inspiration. Am #blackouttuesday bin ich beim Raus- bzw. Reingucken gestolpert. (Fast) alles schwarz. Das war zuerst: berührend und aufrüttelnd. Dann aber auch: verunsichernd. Wie geht das weiter? Wie viel antirassistisches Engagement bleibt übrig, wenn die schwarzen Kacheln wieder weg sind? Was mache ich jetzt damit? Diese Fragen kann mir keiner beantworten, aber folgende Instagram-Kanäle haben mir dabei geholfen, es nicht bei einem schwarzen Quadrat zu belassen, sondern (zumindest im Kopf, resultierend aber sicher auch im Handeln) weiter zu kommen und den ersten Schritt in Richtung Veränderung zu gehen:
@tupoka.o | @alice_haruko | @aminajmina | @noahsow | @wasihrnichtseht
ja Der #blackouttuesday hat Anfang Juni auch meine Timeline mit schwarzen Quadraten übersät. Instagram war in den letzten Jahren für mich ein enorm wichtiges Medium, um mich mit meiner Identität und meinen Erfahrungen auseinanderzusetzen, aber auch, um neue Perspektiven und Lebensrealitäten kennenzulernen. Am #blackouttuesday beschäftigten sich scheinbar alle meine (Insta-)Freund*innen mit Rassismus. Einerseits freute es mich, dass so viele Menschen wohl ein Bewusstsein für diese Ungerechtigkeiten haben. Aber ist das wirklich so, frage ich mich. Wieso muss erst wieder ein schwarzer Mann in den USA sterben, damit auch Menschen in Deutschland verstehen, dass Rassismus ein Problem ist? Haben Oury Jalloh, NSU, Halle oder Hanau nicht gereicht für diese Einsicht?
Ich hoffe, dass der #blackouttuesday den Blackout, den Deutschland zu Rassismus im eigenen Land hat, beenden konnte und die Erinnerungen an die grausame deutsche Kolonialgeschichte und rassistisch motivierte Gewalt zurückbringt. Der #blackouttuesday hat mir zu keinen neuen Erkenntnissen verholfen. Ich weiß, dass Rassismus in Deutschland alltäglich ist. Alle Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, wissen das. Wir müssen den Blackout zu Rassismus in der deutschen Politik, in der Justiz, in der Polizei und in den Medien hinter uns lassen. Auf dem Weg dahin gilt es für jede*n Einzelne*n von uns, sich weiter aktiv mit Rassismus, Antirassismus und der eigenen Positionierung auseinanderzusetzen. Die Inhalte auf Instagram können dabei sowohl für Betroffene eine empowernde Funktion einnehmen als auch für alle anderen eine enorme Perspektiven- und Wissenserweiterung bieten, etwa die von:
Kati Struckmeyer: Agarwala, Anant (2020). Das Integrationsexperiment. Flüchtlinge an der Schule – eine Bilanz nach fünf Jahren. Berlin: Dudenverlag. 127 S., 15,50 €.
Die Publikation widmet sich der großen Frage: Haben die Schu-len es geschafft? Es geht um das ‚Bildungsschicksal‘ der circa 300.000 Kinder und Jugendlichen, die 2015 Deutschland und damit auch seine Schulen erreichten. Da niemand darauf vorbereitet war, gab es kein großes Konzept, sondern jede Schule experimentierte für sich, und kam somit auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bildungsjournalist Agarwala hat genau hingeschaut und liefert damit einen spannenden Einblick in unser Bildungssystem. Schnell wird klar, dass jedes Schicksal ein individuelles ist und einiges der Bildungskarrieren der Heranwachsenden davon abhing, wann sie wo gelandet sind und wie die ersten Monate sich gestaltet haben. Dabei weist Agarwala vor allem auf den Missstand hin, dass die Geflüchteten zu oft in sogenannten Brennpunktschulen gelandet seien, in denen der Anteil der Heranwachsenden mit Migrationshintergrund besonders hoch war und die meisten aus „sozial schwachen Milieus“ kamen. Ein weiterer Missstand sei das „Abschulen“ der Heranwachsenden wegen fehlender Sprachkenntnisse, obwohl dies sogar den Schulgesetzen widerspreche. Aber die Auf gabe, herauszufinden, was die Geflüchteten wirklich konnten, abseits der Sprachkenntnisse, wurde laut Agarwala fast überall sträflich vernachlässigt. Aktionen wie die Potenzialanalyse 2P (Potenzial und Perspektive), die z.B. von Baden-Württemberg schon 2016 eingeführt wurde, seien leider weiterhin die Ausnahmen. Das führte dazu, dass in vielen Übergangs- bzw. Vorbereitungsklassen regelmäßig 16-jährige Analphabet*innen neben 12-jährigen Gymnasiast*innen säßen. Agarwala geht immer wieder auf individuelle Schicksale ein, berührende Geschichten, die vor allem eines verdeutlichen: Ob Integration und Bildungskarriere in Deutschland gelingen, hängt von individuellen Faktoren ab (den Schüler*innen selbst, den Lehrer*innen, den Schulleitungen, Ehrenamtlichen ...), und nicht von einem funktionierenden System. „Das Integrationsexperiment wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, die Lehrerzimmer der Republik in einer überfälligen, konzentrierten Fortbildungsoffensive nach bindenden Standards für die Einwanderungsgesellschaft fit zu machen. Man hat sie verstreichen lassen.“ (S. 119)
Kati Struckmeyer/Anna-Clara Pentz: nachgefragt: Noch ein Podcast? Zum Start von 'mehr merz - Der Medienpädagogik Podcast'
Ende letzten Jahres ist auch die merz ins Podcast-Geschäft eingestiegen. Bereits seit Dezember werden die Ausgaben der merz auditiv durch das Format mehr merz begleitet bzw. ergänzt. Hier erzählen Anna-Clara Pentz und Kati Struckmeyer aus der merz-Redaktion, warum es sich lohnt, diesen Podcast zu abonnieren.
merz Wie kam es zu der Entscheidung, begleitend zur Zeitschrift einen Podcast herauszubringen?
Struckmeyer Ich höre selbst gerne Podcasts. Mir gefällt, dass ich sie unabhängig von Ort und Zeit hören kann, wenn es für mich gerade passt. Zum Beispiel im Bus, beim Aufräumen oder auf langen Zug- oder Autofahrten. Gerade, wenn ich lange am Stück höre, kann ich gut in Themen eintauchen und alles andere ausblenden. Dieses Eintauchen in Themen bietet sich auch für die merz an – wir können ja im Thementeil immer nur einen Ausschnitt des gewählten Themas beleuchten. Durch den Podcast können wir nochmal mehr Menschen zu Wort kommen lassen und das Themenfeld somit erweitern. Außerdem habe ich durch mehr merz die Möglichkeit, Menschen, die ich toll finde, Löcher in den Bauch zu fragen.
Pentz Ich selbst bin erst seit Oktober in der Redaktion der merz und komme aus dem Bereich Radio und der Audio-Arbeit mit Kindern und Jugendlichen; da habe ich mich natürlich riesig gefreut als wir beschlossen haben, einen begleitenden Podcast zu unserer Zeitschrift zu starten. Ich finde es einfach super spannend, mich mit ganz verschiedenen Akteur*innen über die Themen der merz zu unterhalten – gerade im Gespräch entwickeln sich einfach doch nochmal ganz andere Perspektiven.merz Die merz erscheint alle zwei Monate mit einem Themenschwerpunkt. Wie häufig wird denn der Podcast herauskommen und wird es sich im Podcast nur um den jeweiligen Themenschwerpunkt drehen?
Pentz Hauptgedanke war erst einmal, mit den Fachredakteur*innen der jeweiligen Ausgabe über ihr Thema zu sprechen. Nachdem aber noch so viele andere interessante Personen zu den einzelnen Themen etwas zu sagen haben, wird der Podcast auch immer die zwei Monate zwischen den Heften überbrücken. Der Plan ist, begleitend zu jedem Heft immer zwei bis vier Podcast-Folgen zu veröffentlichen.
Struckmeyer Wir haben noch viele Ideen, wen wir wozu interviewen möchten. Die Podcast-Abonnent*innen können sich also auch abseits der kommenden Themen auf interessante Einblicke in die Welt der Medienpädagogik freuen.merz Habt ihr auch Podcast-Vorbilder?
Struckmeyer Also aus dem medienpädagogischen Bereich auf jeden Fall medially, die mit die ersten waren, die dieses Format für die unterhaltsame Aufbereitung medienpädagogischer Themen genutzt haben und bis heute erfrischend und tiefgründig sind. Privat liebe ich den Podcast Zeit – alles gesagt sehr, mal gucken, ob wir auch mal einen Marathon von sieben oder acht Stunden Interview schaffen – wenn es freiwillige Interviewpartner*innen dafür gibt, bitte melden!
Pentz Für mich privat gibt es nichts Spannenderes als den Podcast Zeit – Verbrechen. Ich wünsche mir sehr, dass unsere Gäste und Gespräche die Leser*innen genauso fesseln können!merz Wie funktioniert das denn mit der Technik in Corona-Zeiten, wo ihr nicht mit euren Gästen zusammen im Studio sitzen könnt?
PentzWir haben die Interviews bisher größtenteils per Online-Konferenz-Tool geführt und aufgezeichnet. Das klappt ja zum Glück heutzutage alles sogar mit recht guter Qualität auch online.
StruckmeyerDie einzige Ausnahme war unser Interview mit Kathrin Demmler und Susanne Eggert. Da haben wir mit Abstand im großen Sitzungssaal gesessen und geredet. Das war eine schöne Abwechslung, weil die Athmosphäre im Raum und die kleinen nonverbalen Kommunikationswege bei einem Interview schon wirklich wichtig sind.Folge 1: Christiane Schwinge von der ComputerSpielSchule Hamburg und Sabine Sonnenschein vom jfc Medienzentrum in Köln
Folge 2: Professorin Julia Knopf von der Initiative School to Go und Markus Fink vom Kreisjugendring München Land
Folge 3: Interview mit den Fachredakteurinnen von merz 21-1 Kathrin Demmler und Susanne Eggert
Folge 4: Kristin Narr, freie Medienpädagogin und Teil des Vorstands der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur und Caroline Münch von der Initiative Raum 2.4. für eine zeitgemäße Bildung
Kati Struckmeyer: Kinder-Fotocommunity knipsclub ist wieder online
Spiel, Spaß und Informationen rund um Fotografie, all das gibt es für Kinder von acht bis zwölf Jahren auf knipsclub.de wieder zu entdecken. Nach einer längeren Umbaupause, in der der knipsclub ein neues Gewand und viele neue Funktionen erhalten hat, tummeln sich nun erneut zahlreiche fotobegeisterte Kinder in der Community und lernen dabei auch einiges über sicheres Verhalten im Internet. Der knipsclub bietet einen sicheren Rahmen, um erste Community-Erfahrungen zu sammeln, die später bei der Nutzung kommerzieller Communitys von Nutzen sind: Beispielsweise finden sich dort Informationen über das Recht am eigenen Bild und das Urheberrecht, aufbereitet in einfachen, verständlichen Trickfilmen, die von Kindern für Kinder produziert worden sind. Neu sind im knipsclub vereinfachte Abläufe, ein farbenfrohes Design sowie drei Fotospiele. Kinder können mit ihren Fotos puzzeln, Memo spielen und ihre visuelle Wahrnehmung schärfen, indem sie versuchen, auf Wimmelbildern versteckte Gegenstände zu finden.
Verantwortlich für den knipsclub ist das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, unterstützt vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Kati Struckmeyer: Jeder Mensch – für neue Grundrechte in Europa. Ein Interview mit Bijan Moini
Die Initiative ‚Jeder Mensch‘ will Lücken in den europäischen Verfassungen schließen, bei denen es um folgende Themen geht: Umweltzerstörung, Digitalisierung, Macht der Algorithmen, systematische Lügen in der Politik, ungehemmte Globalisierung und Bedrohungen für den Rechtsstaat. Sechs neue Grundrechte für Europa sollen helfen, eine Verbesserung herbeizuführen. Wir haben mit Bijan Moini, Jurist, Schriftsteller und Mitorganisator von ‚Jeder Mensch‘, über die Initiative und ihre Ziele gesprochen.
Kati Struckmeyer: Das wilde Medienpädagog*innen-Leben (prä- und post-Corona)
Als ich im Mai 2020 verantwortliche Redakteurin der merz wurde, bedeutete das nicht nur, dass ich eine komplett neue Aufgabe bekam. Es bedeutete auch, dass ich dem Schicksal entging, mit dem meine ‚alten‘ Kolleg*innen aus der medienpädagogischen Praxis seitdem tagtäglich kämpfen: von morgens bis abends vor dem Bildschirm zu sitzen, um Online-Projekte, Online-Seminare, Online-Fortbildungen und Online-Elternabende durchzuführen, unterbrochen von Online-Kaffees, Online-Drinks und Online-Yoga. Euch allen ist diese Kolumne gewidmet, denn ich weiß, wie sehr euch die wilden Geschichten fehlen, die man ‚live‘ in der medienpädagogischen Arbeit erlebt, und deshalb habe ich hier meine vier besten aufgeschrieben.
Get away, get away, the crocodiles! – Medienpädagogik international.
2008 war ich mit einer Kollegin in Indien, um dort mit Kindern Handyclips zu produzieren. Zum Programm gehörte auch eine Dschungeltour per Boot. In einer Pause standen wir zu zweit auf einem Steg und probierten verschiedene Blenden aus, um den Sonnenuntergang zu fotografieren, als plötzlich ein Mann auf uns zulief, der laut schrie: „Get away, get away, the crocodiles!“ Kurz danach teilte man uns mit, dass wir nur knapp dem Schicksal entkommen waren, von Krokodilen gefressen zu werden, die gerne an diesen Steg kamen.
Wärmflasche im Hotel zur Post, irgendwo im Bayerischen Wald – Medienpädagogik in der Provinz.
Ich war als Medienpädagogin an Orten in Deutschland, die noch in einer anderen Zeit zu stecken schienen. Das Hotel zur Post, irgendwo im Bayerischen Wald, hatte bei unserer Ankunft geschätzte acht Grad Celsius, so dass wir die erste Nacht nur mit Wärmflaschen (Life-Hack!) überlebten. Wir waren die ersten Gäste seit langem, was wir auch daran merkten, dass die Müslimischungen am Buffet beim Frühstück am nächsten Morgen ziemlich eingestaubt waren.
Sammeln für den Elternabend zwischen Porsche und SUV – Medienpädagogik mit Eltern.
Mit Elternabenden allein könnte ich die Kolumnen für das nächste Jahr füllen. Ein Highlight: ein Elternabend in einem sehr angesehenen Gymnasium in einem sehr reichen Münchner Vorort, zu dem alle mit sehr teuren Autos kamen (außer uns). Am Ende ging der Organisator mit einer Klingelkasse herum, um für unser Honorar zu sammeln, wobei erstaunliche 87,90 Euro zusammenkamen. Es erforderte einige unfreundliche E-Mails, bis wir über Umwege unser ausgemachtes Honorar bekamen.
‚Bruder Jakob‘ auf afghanisch – Medienpädagogik mit geflüchteten Jugendlichen.
In einem Projekt mit geflüchteten Jugendlichen hatten wir zum einen außer Händen und Füßen kaum einen Weg, uns miteinander zu verständigen. Zum anderen waren die Jugendlichen morgens immer unheimlich müde und schwer zu motivieren. Bis wir begannen (selbst völlig übermüdet, weil wir immer schon um 5 Uhr in München losfahren mussten), den Tag mit Kanons zu starten, ‚Bruder Jakob‘ war der erste. Die Jugendlichen liebten das und wir kamen uns zwar anfangs etwas komisch vor, hatten aber letztendlich jede Menge Spaß dabei.
Diese Geschichten zeigen, dass das Leben eines*er Medienpädagogen*in wild und wunderbar sein kann, oft nervenaufreibend, nie langweilig und manchmal sogar abenteuerlich. Also, liebe Kolleg*innen, haltet die Ohren steif, denn bald seid ihr wieder unterwegs, und dann will ich eure Geschichten hier sehen!
Kati Struckmeyer: Zwei Podcasts zur sexuellen Aufklärung und Bildung
Im Jahr 2021 könnte man denken, dass die sexuelle Revolution ‚durch‘ und die Gesellschaft eine aufgeklärte ist. Aber allein die Tatsache, dass ein nicht zu kleiner Teil der Bevölkerung immer noch nicht weiß, ob es nun Vulva, Scheide oder Vagina heißt und worin überhaupt der Unterschied liegt, zeigt, dass es da noch etwas zu tun gibt.
Der sexuellen Aufklärung und Bildung widmen sich schon seit 2017 zwei Podcasts: ‚Ist das normal?‘ und ‚Im Namen der Hose‘.
Ist das normal? – der Sexpodcast der ZEIT
Die Frage im Titel des Podcasts macht bereits das Spektrum auf, um das es hier geht – es geht um Vielfalt, vor allem in der Sexualität, letztendlich aber auch in der Gesellschaft, in der diese stattfindet. Der Wissenschaftsjournalist Sven Stockrahm und die Sexualtherapeutin und Ärztin Melanie Büttner sprechen über Themen wie ‚Wie oft, wie lang, wie gut?‘, ‚BDSM und das Spiel von Dominanz und Unterwerfung‘, ‚Sexuelle Traumata‘, ‚Sober Sex‘ oder ‚Analsex‘. Es werden darüber hinaus auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt, was an Folgen wie ‚Corona und die Beziehung – wie drehen wir nicht durch?‘ oder ‚Es ist krass zu denken, Mütter hätten keine Zeit für Sex‘ deutlich wird. Auch sehr komplexe Sachverhalte wie pädophile Präferenzstörungen werden (meist mit externen Expert*innen) erklärt, diskutiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auch klassische sexuelle Aufklärung findet ihren Platz: Bei Folgen zum männlichen bzw. weiblichen Orgasmus zum Beispiel haben sowohl biologische Grundlagen als auch Mythen sowie das Spannungsfeld zwischen Erwartung und Realität ihren Platz.
Der Podcast eignet sich sowohl für die eigene sexuelle Bildung, also auch für die Weitergabe des Wissens an Heranwachsende. Der Aufklärung der eigenen Kinder widmen sich Folgen wie ‚Sexualität fängt nicht erst mit 13 an‘ und ‚Wenn es um Sex geht, sollten wir Kinder nicht für dumm halten‘. Dabei wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch die Rolle der Sozialen Medien analysiert. In ‚Ist das normal?‘ dominiert ein ruhiger, sachlicher, teils therapeutischer Ton.
Für Jugendliche und junge Erwachsene wird der folgende Podcast attraktiver sein:
Im Namen der Hose – der Sexpodcast von PULS „Sex kann so schön sein – und scheiße. Wie können wir das ändern? Wir müssen drüber reden.“ So lautet das Motto des Podcasts ‚Im Namen der Hose‘ von PULS. Die Moderator*innen Ariane Alter und Kevin Ebert pflegen dabei einen sehr lockeren Ton, sprechen auch von eigenen Erfahrungen und funktionieren sehr gut als Identifikationsfiguren für ein jüngeres Publikum. Das Themenspektrum ähnelt dem von ‚Ist das normal?‘, wobei sich hier immer eine ‚Shorts‘-Folge von circa 15 Minuten Länge mit einer ausführlichen, einstündigen Folge abwechselt. In den ‚Shorts‘ wird eher Faktenwissen vermittelt, zum Beispiel zu Krankheiten und Verletzungen, aber auch um Organe wie die Klitoris oder die Prostata. Die einstündigen Folgen beschäftigen sich ausführlicher mit den gesetzten Themen, zu denen auch externe Expert*innen eingeladen werden.
Beide Podcasts beantworten regelmäßig auch Hörer*innenfragen, die das von der Redaktion gesetzte Spektrum noch einmal um alltagsnahe Fragen und Erfahrungen erweitern.
ZEIT online (seit 2017). Ist das normal? Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.
Bayerischer Rundfunk (seit 2017). Im Namen der Hose. Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.Kati Struckmeyer: Freitagnacht Jews – die erste jüdische Talkshow in Deutschland
„Diese Show ist ein Versuch, eine neue Perspektive zueinander einzunehmen. Nein, wir sind nicht alle gleich, also lasst uns unsere Unterschiedlichkeiten feiern.“ (Daniel Donskoy, Gastgeber von ‚Freitagnacht Jews‘ auf Instagram). Im April hat der WDR die erste jüdische Talkshow im deutschen Fernsehen gestartet. In der ersten, acht Folgen umfassenden Staffel gelingt genau das: jüdische Menschen in Deutschland nicht als homogene Minderheit, sondern in einer großen Vielfalt abzubilden. Von Autor*innen über Schauspieler*innen, Journalist*innen, Psycholog*innen und Rabbiner*innen bis hin zu Aktivist*innen kann man ganz unterschiedlichen Menschen beim Essen, Diskutieren, Lachen und Erzählen zuschauen und hat dabei fast das Gefühl, mit am reich gedeckten Shabbat-Tisch zu sitzen. Hebräische Begriffe und Bräuche werden dabei dezent durch Einblendungen erklärt.
Moderator Donskoy hat für jede Folge und die entsprechenden Gäste eine These parat, die im Zentrum der 25-minütigen Sendung steht. Dabei geht es mal um Identität, mal um den tief in der deutschen Gesellschaft verankerten Antisemitismus und mal um Community-Bubbles versus Mehrheitsgesellschaft. Die Thesen sind aber meist nur die Startrampe für leidenschaftliche Diskussionen, in denen mit viel Selbstironie und einem Augenzwinkern auch mal die Richtung um 180 Grad geändert wird. Donskoy durchbricht dabei ab und an die vierte Wand und wendet sich mit einem Blick nach oben direkt an das Publikum vor dem Bildschirm, um Hintergründe zu erklären oder die laufende Diskussion zu kommentieren.
Die Schnitte sind schnell, die Effekte erinnern an die Clips erfolgreicher YouTuber*innen, was für ein öffentlich-rechtliches Format ungewöhnlich, aber gerade für jüngere Zuschauende ansprechend ist. Als roter Faden zieht sich die Idee durch die Sendung, sich als Jude*Jüdin nicht deutschen Erwartungen und Empfindlichkeiten auszuliefern. Zuschauende werden dadurch immer wieder mit eigenen Vorurteilen und Annahmen konfrontiert, was in der Erkenntnis münden sollte, dass es ‚die Juden‘ eben einfach nicht gibt und Identität nie eindimensional ist. Vielfalt, Offenheit und Menschlichkeit sind stattdessen die Schlagworte, auf die es hinausläuft – auch in der Folge zum Nahostkonflikt, in welcher der arabische Israeli Ahmad Mansour einen Einblick in die Komplexität des Konflikts gibt und von seiner eigenen Identitätsentwicklung berichtet. Donskoy und Mansour geben den Zuschauenden durch ihr Gespräch die Möglichkeit, die ‚westliche Brille‘ abzusetzen und eine Idee der Vielschichtigkeit dieses Konflikts zu bekommen, die zurzeit in vielen Diskussionen zu kurz kommt. Das Aushalten unterschiedlicher Meinungen, die Normalität des Streitens und die Anerkennung von Unterschiedlichkeit sind der andere rote Faden der Sendung, der einer sich zunehmend spaltenden und polarisierenden Gesellschaft entgegenwirken soll. Egal wie viele Menschen sich mit unterschiedlichen (demokratischen) Ansichten in einem Raum begegnen, so Donskoy, es sei möglich, friedlich miteinander umzugehen und gleichberechtigt nebeneinander zu existieren.
Mit seiner Show und den Diskussionen mit seinen Gästen will er dazu beitragen. Diskussionen zu ‚Freitagnacht Jews‘ können auf Twitter und Instagram unter dem Hashtag #freitagnachtjews verfolgt und mitgestaltet werden.
WDR (2020). Freitagnacht Jews. Verfügbar in der ARD-Mediathek und auf YouTube, kostenlos.
Kati Struckmeyer: Ingold, Selina/Maurer, Björn (2021). Making im Schulalltag. Konzeptionelle Grundlagen und Entwicklungsschritte. München: kopaed. 454 S. 24,80 €.
Selina Ingold und Björn Maurer haben einen umfassenden Aufschlag zum Thema Making im Schulalltag gemacht. Nicht erst seit dem teilweise unfreiwilligen, coronabedingten Digitalisierungsschub ist das kreative Tüfteln und Erfinden mit analogen und digitalen Verfahren auch in der Schule angekommen. Hier werden immer häufiger MakerSpaces als Lernumgebungen eingerichtet, wo Schüler*innen Ideen entwickeln und mithilfe von digitalen Werkstoffen und Fabrikationstechnologien Produkte designen können. Neben dem Erwerb von Fachwissen geht es dabei insbesondere um überfachliche Kompetenzen wie Kreativität und Kollaboration. Außerdem sollen zukunftsrelevante persönliche Eigenschaften wie Offenheit, Beharrlichkeit, Improvisationsfähigkeit und Risikobereitschaft entwickelt werden.
Das Buch beschreibt am Beispiel einer Primarschule in der Schweiz, wie Making im Rahmen eines partizipativen Prozesses in Zusammenarbeit mit Lehrpersonen und Schüler*innen in den Schulalltag integriert werden kann. Die Basis hierfür bildet ein dreijähriges Design-Based Research Projekt, innerhalb dessen zunächst die konzeptionellen Grundlagen für kreatives und mündiges Making erarbeitet werden. Anschließend wird entlang der neun Handlungsfelder Making-Kompetenzen, Maker Mindset, Didaktik, Lernbegleitung, Making-Curriculum, Raumgestaltung, Raumausstattung, Weiterbildung, Organisatorische Einbindung aufgezeigt, welche Entwicklungsschritte hin zum schulischen MakerSpace durchlaufen und welche Designentscheidungen von den Akteur*innen getroffen wurden.
Neben den detailreichen Ausführungen und Grundlagen machen auch vielfältige Grafiken, Bilder und Zitate der Projektbeteiligten allen, die kreativ mit Kindern und digitalen Geräten arbeiten, Lust, direkt mit dem Making zu starten. Auch ein Blick auf die projektbegleitende Website lohnt: https://makerspace-schule.ch/.
Kati Struckmeyer: SIM Studie 2021
Die ältere Generation ab 60 Jahren spaltet sich beim Thema Mediennutzung. Zu diesem und weiteren Ergebnissen kommt die ‚SIM Studie 2021‘ (Senior*innen, Information, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, der Arbeitsgruppe Gerontologie der Katholischen Hochschule Freiburg und der Universität Heidelberg. Die Studie wurde erstmals durchgeführt und bildet als Querschnittsuntersuchung den aktuellen Medienumgang der älteren Generation unter gerontologischen Aspekten in Deutschland ab.
Zu den Ergebnissen der Studie gehört, dass 81 Prozent der Personen ab 60 Jahren zumindest selten online sind. Der Anteil der Menschen, die online gehen, sinkt deutlich mit steigendem Alter. Bei Personen ab 80 Jahren ist jede*r Zweite online, in der Altersgruppe ab 85 Jahren sind knapp zwei Drittel nicht oder zumindest nicht selbstständig digital unterwegs.
Die ältere Generation informiert sich bei tagesaktuellen Themen wie Corona bedingt durch ihre Sozialisation eher in klassischen Medien wie Fernsehen und Tageszeitung. Die Tageszeitung ist auch bei regionalen Themen die beliebteste Informationsquelle. Das Internet entwickelt sich aber zur Alternative bei der Suche nach Informationen und liegt bei allen abgefragten Themengebieten unter den Top 3 der relevanten Informationsquellen. Wenn es um die Recherche zu neuen Produkten oder persönlichen Problemen geht, ist das Internet bereits die Quelle der Wahl älterer Menschen. Trotz dieser Entwicklung gibt es weiterhin große Defizite und Unsicherheiten im Umgang mit digitalen Geräten. Nur etwa jede vierte Person attestiert sich gute oder sehr gute Kenntnisse im Umgang mit einem Computer bzw. Laptop oder dem Internet. Für die repräsentative Studie wurden im Frühjahr 2021 insgesamt 3.005 Personen ab 60 Jahren, ohne Altersgrenze nach oben, deutschlandweit telefonisch befragt.
https://www.mpfs.de/studien/sim-studie/2021/
Kati Struckmeyer: Stichwort: Sensitivity Reading
Sensitivity Reading ist ein ergänzender Vorgang zum Lektorat eines literarischen Werkes bzw. eines Werkes der akademischen Forschungsliteratur. Ziel ist es, einen sensiblen, diskriminierungs- und klischeefreien Umgang in der Darstellung marginalisierter Personen(gruppen) zu gewährleisten. Das können zum Beispiel BIPOC, queere Menschen oder Menschen mit körperlichen oder psychischen Krankheiten sein. Beim Sensitivity Reading gilt es, die Reproduktion von -ismen, Stereotypen, Vorurteilen und Stigmatisierungen aus den Texten zu entfernen bzw. diese dahingehend umzuschreiben. Das Produkt sollte die betroffenen Personengruppen sensibel repräsentieren und damit zum Abbau von Diskriminierung und Klischees beitragen.
Sensitivity Reader sind nahezu immer selbst Teil einer marginalisierten Personengruppe und kennen sich auch sehr gut mit aktuellen (medialen) Diskursen zum Thema aus. Da Teil der Qualifikation somit die eigene Lebenswelt ist, wird oft auch mit verschiedenen Sensitivity Readern zusammen gearbeitet. Dadurch sollen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven eingebracht werden.
Von der Beratung vor dem Schreiben, über den punktuellen Blick bei einzelnen Textpassagen bis hin zum kompletten Sensitivity Reading eines fertigen Werkes gibt es unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten von Sensitivity Readern.
Die Idee kommt aus den USA und wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Kritiker*innen sehen die Gefahr von Zensur und Einschränkungen der Freiheit der Literatur. Befürworter*innen sehen Sensitivity Reading als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem diskriminierungsfreien und sensiblen Sprachgebrauch.
Kati Struckmeyer: Mini-Handbuch Digitale Resilienz. Herausforderungen einer (hoch)-dynamischen Arbeitswelt
Dreier, Rolf/Kelle-Gilles, Nina Charlotte/Keller, Katrin/Kindt, Angelika/Scheufele, Ines (Hrsg.) (2022). Mini-Handbuch Digitale Resilienz. Herausforderungen in einer (hoch-) dynamischen Arbeitswelt. Weinheim: Beltz. 190 S., 29,95 €.
Was passiert in Zeiten der Krise, Zeiten von Veränderung und in Zeiten der Verflechtung von beruflichen und privaten Aktivitäten? Wie lässt sich mit den Herausforderungen dieser Phänomene umgehen? Bei diesen Herausforderungen, die meist eine Entscheidungs- und Handlungsnotwendigkeit mit sich ziehen, wird oft von ‚digitaler Resilienz‘ gesprochen. Um diesen noch recht neuen Begriff der digitalen Resilienz greifbarer zu machen, betrachten die Autor*nnen des ‚mini-handbuch Digitale Resilienz‘ einige Themengebiete rund um diese Thematik intensiv.
Gegliedert ist der Band in fünf Themengebiete: ‚Auf in eine neue Welt – Herausforderung und Gelegenheit zugleich‘; ‚Wenn das Leben Zitronen reicht, mache Limonade daraus – Annäherungen an Resilienz‘; ‚Herausforderung Führung – weg von der Hierarchie hin zu einer zukunftsorientierten Arbeitskultur 4.0‘; ‚Permanente Veränderung nachhaltig meistern‘ und ‚Wie ich lernte, die Veränderung zu lieben!‘ Gleich zu Beginn des Buches beleuchtet Personalentwicklerin Ines Scheuffele die Veränderungen, die das 21. Jahrhundert für das Arbeitsleben mit sich bringt, kombiniert mit einer Betrachtung der unterschiedlichen Generationen auf dem Arbeitsmarkt und einem Blick auf das, was es mit Krisen im digitalen Zeitalter auf sich hat. Am Ende dieses Kapitels taucht auch die Definition ‚digitaler Resilienz‘ aus Sicht der Autor*innen auf, welche die Basis für das Buch bildet: „Unter digitaler Resilienz werden die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit von Menschen und Organisationen verstanden, sich digitalen Entwicklungsprozessen anzupassen und digitalen Krisen widerstandsfähig entgegenzutreten, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu erweitern sowie das eigene Krisenmanagement daran orientiert auszurichten.“ (S. 46). Im zweiten Teil des Buches werden von Katrin Keller (Professorin für Gesundheitspädagogik und Personalentwicklung) verschiedene Facetten von Resilienz vorgestellt und erklärt, wieso Haltung in diesem Kontext von hoher Bedeutung ist. Auch Teamentwicklung und teambasierte bzw. organisationale Resilienz werden erläutert. Im folgenden Kapitel widmet sich Nina Charlotte Kelle-Gilles, Projektmanagerin und Gründerin, den Herausforderungen, denen sich Führungskräfte in einer digitalen Arbeitswelt stellen müssen. Weiterhin gibt sie einen Einblick in die Begrifflichkeit der ‚New Work‘, auch in Bezug auf Digitalisierung und belegt die These: „Resilienz + Führung = zukunftsorientierte Arbeitskultur“ (S. 112). Im vierten Teil des Bandes setzt sich Rolf Dreier, Führungskraft für Hochschuldigitalisierung, damit auseinander, welche Wechselwirkung zwischen Widerstandsfähigkeit und Widerstandstätigkeit herrscht und wieso eine Berücksichtigung beider Begrifflichkeiten so wichtig ist. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie durch die Kombination von Widerstandsfähigkeit und -tätigkeit sowie Anpassungsfähigkeit und -tätigkeit die gewünschte Wirksamkeit erzielt wird. Beraterin und Coach Angelika Kindt legt im letzten Kapitel dar, wie man (digitalen) Veränderungen positiv begegnet und sie dadurch leichter annehmen und in das eigene Leben integrieren kann.
Viele grafisch abgesetzte Übungen, Zusammenfassungen, Beispiele und vor allem zahlreiche Literatur- und Linktipps ergänzen die jeweiligen Kapitel und regen dazu an, sich mit dem einen oder anderen Thema noch intensiver zu beschäftigen. Dem interdisziplinären und intergenerationellen Autor*innenteam ist es gelungen, den Begriff ‚digitale Resilienz‘ greifbar zu machen und ihn aus ganz verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Anregungen dürften alle Menschen finden, die in sich verändernde (digitale) Prozesse eingebunden sind, sowie Führungskräfte, die diese Prozesse sinnvoll und nachhaltig in ihren Einrichtungen gestalten wollen.
Kati Struckmeyer: Gegenrede funktioniert – unter Umständen
Gegenrede bzw. Counterspeech kann die Häufigkeit von rassistischer Hassrede reduzieren – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen. Forscher*innen der Technischen Hochschule Zürich haben dazu eine Studie auf Twitter durchgeführt. Wer Gegenrede nutzt, muss dazu empathisch argumentieren, also zum Beispiel darauf hinweisen, wie sich Menschen fühlen, die rassistisch oder anders diskriminierend angegriffen werden.
Hassrede, die für die betroffenen Personen weitreichende Folgen haben kann, ist nach wie vor ein prägendes Phänomen in Sozialen Medien. Eine Methode, dagegen vorzugehen, ist die sogenannte Gegenrede, deren Ziel es ist, Hass zu entkräften und zu zeigen, dass er nur geringen Rückhalt in der Gesellschaft hat.
Bisher konnte in Studien nur der Zusammenhang zwischen mehr Gegenrede und dem Rückgang von Hassrede hergestellt werden, die Kausalität blieb aber unbewiesen. Diese Forschungslücke wurde nun gefüllt. Dabei stellte sich in drei Versuchen mit unterschiedlichen Arten der Gegenrede die auf Empathie mit den Opfern beruhende als die erfolgreichste heraus. In den vier Wochen nach dem Versuch verfassten Nutzer*innen, die damit konfrontiert wurden, circa 44 Prozent weniger Hass-Tweets als die der Kontrollgruppe. Außerdem löschten sie ihre vorherigen Hass-Tweets circa acht Prozent häufiger.
Für die Studie wurde das Verhalten von 1350 Twitter Nutzer*innen analysiert.
www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2116310118
Kati Struckmeyer: Stichwort: doomscrolling
Doomscrolling bezeichnet das exzessive Suchen nach und Konsumieren von negativen Nachrichten im Netz. Das englische Wort doom kann mit Verhängnis oder Unglück übersetzt werden, während es beim Scrollen um die Bewegung auf einer Internetseite oder um das Durchgehen eines Feeds in Sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok geht. Gerade akute Krisen wie der Beginn der Corona-Pandemie 2020, der Sturm auf das Kapitol in Washington 2021 oder der Krieg in der Ukraine 2022 verunsichern viele Menschen und lassen sie in Sorge oder in einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Das darauffolgende ständige Suchen nach neuen Nachrichten bzw. Aktualisieren von Feeds und Apps hat mehrere Ursachen: Es gibt Rezipient*innen das Gefühl, auf der Mikroebene etwas zu tun, auch wenn sie auf der Makroebene ohnmächtig sind. Dazu kommt das Bedürfnis, ein gewisses Maß der Kontrolle über die Situation zu erreichen, in diesem Fall mit Informationen. Doch mehr Informationen bringen nicht immer mehr Sicherheit. Außerdem spielt das weit verbreitete Phänomen des Negativity Bias eine Rolle, also der Effekt, dass die meisten Menschen sich von negativen Ereignissen und Emotionen stärker beeinflussen lassen als von positiven. Manche Menschen vernachlässigen darüber ihren Alltag bzw. lassen ihn von schlechten Nachrichten dominieren, was der mentalen Gesundheit schaden kann. Deshalb wird von Psycholog*innen empfohlen, sich in Krisensituationen auch Auszeiten von Nachrichten zu nehmen oder sich ganz auszuklinken, wenn man merkt, dass man zu sehr darunter leidet.
Kati Struckmeyer: Freitagnacht Jews – der Podcast
Neben der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Talkshow Freitagnacht Jews (besprochen in merz 21-3) präsentiert Multitalent Daniel Donskoy nun auch den thematisch weiterführenden Podcast. Im Stil bleibt sich das Format treu – unkonventionell, schnell und kontrovers – und ist damit eine Bereicherung auf verschiedenen Ebenen.
Vier 45-minütige Folgen wurden seit Anfang April veröffentlicht und erweitern das Talkshowformat, dem es gelang, einen neuen, frischen Blick auf jüdische Lebenswirklichkeiten zu werfen. Im Podcast geht es nun um „die großen Judenthemen“ unserer Zeit: das Festjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘, die öffentliche Berichterstattung, Framing sowie die deutsche Erinnerungskultur.
In den sehr gut und vielfältig recherchierten Folgen kommen ganz unterschiedliche Expert*innen zu Wort, so zum Beispiel Sozialpsychologin Pia Lamberty, Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Thomas Kasper, Politikerin Marina Weisband oder auch Autorin Mirna Funk. Diese und noch weitere verschiedene Akteur*innen aus Kultur, Wissenschaft und Politik unterhalten sich inhaltlich unheimlich dicht, dabei kontrovers und oft auch provokant mit Donskoy. Es wird zu jedem Thema ein Meinungsspektrum aufgemacht, das unterschiedliche Meinungen auch für sich stehen lässt – daraus Schlüsse für sich selbst zu ziehen, bleibt den Zuhörenden überlassen. So ist Freitagnacht Jews auch eine sehr gute Grundlage, um weiter zu denken und zu diskutieren.
Auf der ästhetischen Ebene sticht vor allem die Folge ‚Jew Noir! Who framed the Jew?‘ heraus, die auditive Umsetzung eines Film noirs. Hier werden zwei Fälle abgearbeitet, die einen Teil der deutschen Öffentlichkeit zuletzt stark beschäftigten: Die Antisemitismusvorwürfe gegen die Journalistin Nemi El-Hassan sowie die Vaterjudendebatte um Autor und Publizist Max Czollek. Donskoy, den man beim Hören förmlich im schwarz-weiß-getünchten, kalten Berlin umherstreifen sieht, begibt sich hier in Manier eines Privatdetektivs auf Spuren- bzw. Meinungssuche und bringt dabei wirkliche Denkanstöße zu Tage.
Insgesamt sticht Freitagnacht Jews – der Podcast sehr aus der deutschen Podcast Landschaft heraus, indem er die Zuhörenden nicht in eine angenehm-kuschelige Zuhörwolke einlullt, sondern provoziert, überrascht, vor allem aber Lust macht, weiter zu diskutieren und zu denken und dabei auch Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Also genau das, was wir gerade brauchen.
ARD (2022). Freitagnacht Jews – der Podcast. Podcast, kostenlos, verfügbar auf diversen Podcast-Plattformen.