Rezensionen
Antonia Giebisch: Podcast für alle
Nora Henker (Hrsg.) (2024). Zeitlupe – Geschichten zum Sehen und Hören. Podcast, kostenlos, verfügbar auf diversen
Podcast-Plattformen und auf YouTube.
Informationen stehen heute jederzeit und überall in vielfältigen Formen zur Verfügung. Sei es durch den Konsum der Nachrichten im Fernsehen, in den Sozialen Medien oder durch Podcasts. Für Letztere gibt es für gehörlose Personen jedoch kaum Optionen. Dieser Lücke nimmt sich der Podcast Zeitlupe – Geschichten zum Sehen und Hören an, welcher vom Kirchenbezirk Freiberg der Evangelischen Landeskirche in Sachsen initiiert wird. Das Projekt wird von neun Personen getragen, die sich in unterschiedlichen Arbeitsbereichen für den Podcast engagieren.
Der Podcast adressiert Kinder und Erwachsene und vermittelt Geschichten sowohl in Laut- als auch in Gebärdensprache. Zuhörer*innen haben die Möglichkeit, die Geschichten on- oder offline anzuhören oder anzuschauen. Die Erzählungen handeln von Personen, die sich für Gutes und gegen Unrecht einsetzen, zum Beispiel Malala, Albert Schweitzer oder Desmond Tutu. Es werden auch Geschichten von Kindern erzählt, die selbst von Gehörlosigkeit und/oder Diskriminierung betroffen sind. Die Held*innen der Geschichten setzen sich gegen Diskriminierung ein und arbeiten hart dafür, bedeutende Ziele in ihrem Leben zu verwirklichen. Zusätzlich gewähren die Erzählungen Einblicke in die Vergangenheit und thematisieren zum Beispiel die Entwicklung der Bildung in Gebärdensprache.
Bislang gibt es insgesamt 15 Podcastfolgen, je 9 bis 15 Minuten lang, auf Spotify und Apple Music als Audioformat sowie auf YouTube und der Website in Laut- und Gebärdensprache. Neben Gebärdensprachdolmetscher*innen werden die Geschichten auch mit Hilfe ansprechender Illustrationen unterstützt.
Der Podcast spricht insbesondere gehörlose Kinder und Erwachsene an. Die Geschichten dienen als Inspiration und machen Mut, die eigenen Ziele und Träume trotz gesellschaftlicher Einschränkungen nicht aufzugeben. Zudem trägt der Podcast dazu bei, Kinder (erstmalig) mit Gebärdensprache in Berührung zu bringen.
Zeitlupe bietet eine Plattform für Bildung, Inklusion und soziale Veränderung. Der Podcast betont die Bedeutung von Barrierefreiheit in den Medien und zeigt, dass kreative Lösungen zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen können. Durch die Zusammenarbeit von Fachkräften aus unterschiedlichen Bereichen sowie die innovative Herangehensweise setzt Zeitlupe ein inspirierendes Beispiel für inklusiveMedienproduktionen.
Anna-Clara Pentz: Kabu - die Infoapp für Kinder
SIN – Studio im Netz e. V. (2017). KABU – die Info-App für Kinder. App für iOS und Android, kostenfrei.
Was ist Künstliche Intelligenz? Grundsätzlich ist das inzwischen vielen sicherlich klar, doch ganz genau zu erklären, was es damit auf sich hat und
wie KI funktioniert, fällt dann doch schwer – insbesondere, wenn solche komplexen Themen gut für Kinder aufbereitet sein sollen. Das übernimmt KABU, eine Info-App für Kinder, die gemeinsam mit einer Kinderredaktion unter Anleitung der medienpädagogischen Facheinrichtung SIN – Studio im Netz e. V. mit Informationen, Spielen oder auch kreativen Ideen befüllt wird. Die App ist kosten- und werbefrei und wird aus Mitteln der Auerbach-Stiftung und des Sozialreferats/Stadtjugendamts der Landeshauptstadt München finanziert.
In der App werden aktuelle Medienthemen wie KI für Kinder im Grundschulalter unterhaltsam und lehrreich aufbereitet. Durch die App begleitet das Fabelwesen Kabu, ein lustiger Wolpertinger, der hilfreiche Tipps oder Denkanstöße gibt. Die App vermittelt unter anderem Wissen zum sicheren Umgang mit digitalen Medien und informiert kindgerecht über Themen außerhalb von Medieninhalten. Dazu ist die Startseite in sechs Bereiche gegliedert: ‚Tipps & Tricks‘, Spiel & Quiz‘, ‚Mach mit‘, ‚Wissenswertes‘, ‚Medientipps‘ und ‚Kreatives‘. In kurzweiligen Rätselspielen können sie so etwa spielerisch neue Sachen lernen, informative Artikel lesen oder mit bebilderten Anleitungen kreativ werden. Darüber hinaus finden sich in ‚Spiel & Quiz‘ oder ‚Kreatives‘ zahlreiche analoge Spielideen und Anregungen für Offline-Aktivitäten. Im Bereich ‚Mach mit‘ finden sich Umfragen oder Abstimmungen, die Kinder zu Beteiligung anregen. Die Kinder können immer wieder direkt zu verschiedenen Themen über einen Button mit der KABU-Redaktion in Kontakt treten, wobei hier immer die Erlaubnis durch Eltern abgefragt wird. ‚Von Kindern für Kinder‘: In München-Großhadern
finden regelmäßige Treffen der Kinderredaktion statt, aber auch digital können Kinder eigene Ideen und Beiträge einsenden. Monatlich gibt es
neue Inhalte in der App, weswegen es sich lohnt, regelmäßig hineinzuschauen.
Die schön aufbereiteten Inhalte, wie etwa die Erklärvideos zu TikTok oder KI, lassen sich hervorragend im (medien-)pädagogischen Kontext nutzen. Diese sind außerhalb der App auch auf YouTube im Kanal von SIN – Studio im Netz zufinden. Auch einzelne Spiele und Quiz eignen sich für den Einsatz im Schulkontext oder in Projekten. Einzige Kritikpunkte: Für Kinder könnte die App teilweise zu textlastig sein und die simpel programmierte Oberfläche nutzt Interaktionsmöglichkeiten, die teils nicht sehr intuitiv sind. Anna-Clara Pentz ist medienpädagogische Referentin in der MSA – Medienstelle Augsburg des JFF, einer medienpädagogischen Praxiseinrichtung des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Nicole Lohfink: New Generation - New Ideas
In Sarvnaz Alambeigis Dokumentarfilm Maydegol steht das Mädchen Maydegol im Zentrum. Sie ist eine junge Frau aus der im Iran lebenden afghanischen Minderheit, die zusammen mit ihren Freundinnen Muai Thai-Boxen betreibt und ohne Papiere lebt. Dabei stehen ihr Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, die Chance, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen und ihr eiserner Wille, ihre eigene Identität zu leben im Mittelpunkt. Im Wettbewerb Generation 14plus des Berlinale Filmfestivals vergab die Internationale Jury eine Lobende Erwähnung an diesen Langfilm, dessen Existenz an sich schon ein politischer Akt sei.
MERZ Maydegol belongs to a group of people who live in Iran as part of a minority. Was that of special interest to you or how did this project come about?
ALAMBEIGI It is always fascinating for me to learn more about the young generation, but especially about the Afghan minority in Iran. I first met Mohadesseh (Maydegols friend) and was talking to her about this idea I had, to learn more about their community. Fact is, because this generation is born in Iran – and some of them have never even travelled to Afghanistan –, they are neither Iranian nor Afghanian people. They‘re living in our country, go to the same school as we do, have the same experiences but my society generally doesn‘t accept them as part of the Iranian identity. And they also don‘t know to which country they belong to. They have parents, who live the Afghan culture, and are themselves something in between. I think this contrast is really interesting regarding identity, and as a cultural crisis too. So when I first met Mohadesseh, she was really generous and connected me to her friends. And after one year, I met Maydegol –Mohadesseh said „there is a girl in my club I think you would like to meet“. When I did meet her, I knew immediately, she was a good representative for this community, and for the young generation of Afghans who live in Iran. MERZ In this documentary there are existential topics like human rights, identity and domestic violence – you accompany Maydegol in her life, and she is generously open with her story and herself. How did you establish this kind of trust?
ALAMBEIGI It was a long process, of course, this does not happen through one night, but we have been working together for more than three years. And I also share my personal experiences with them – so it wasn‘t just like I was listening and they were talking. We helped each other. I had difficult times, they had difficult times. You should have a distance as a professional person when doing a documentary as I understand it. But I also think it‘s very important that they know you are a human; you also have problems. Maybe that’s the key.
MERZ The distance is necessary because you are still working on a movie. For that matter, how was the filming process and how do you choose what to show and what not?
ALAMBEIGI For me it‘s very good to work with non-actors, because they bring something new to the film. They say the dialogue in front of the camera just the way they are as persons. It‘s documentary, so I don‘t want to tell them what to do. And if I touch it or if I move it then the result would be a disaster. That‘s their movie and they should feel that this is their film. They are a young generation, they have their own, new ideas. And I was open to their ideas, so maybe that‘s also a reason for the deep trust we shared.
MERZ So what was important for you with regard to the content of the film – and what was important for Maydegol to show?
ALAMBEIGI For Maydegol it‘s very important to make aware of several things: One is the silence about domestic violence. She said that we shouldn‘t be silent. And that we shouldn’t blame ourselves. It‘s not our fault if our father, or mother, or one member of our family is beating us. It rather means that we are victims of domestic violence. We should say that out loud and we shouldn‘t wait for that one day when they will be better. Because this is not happening. Another thing is that Maydegol wants to just tell the world that all these obstacles exist but she continues. She has her goal. She doesn‘t want to quit. And I think that‘s beautiful.
MERZ You mentioned the new generation has new ideas – can you elaborate on that
ALAMBEIGI They know what they want from life. I think they are aware of the world because they grow up with Social Media. And there they don‘t have any privacy, they just share everything with the world. That‘s maybe one of the reasons Maydegol so generously shares her personal private life with everybody. Because that‘s equality for the new generation. It amazes me a lot. It‘s their culture not mine, but it‘s very important to them that everybody knows what‘s happening to them. They are somehow connected to each other, not separated like my generation. I don‘t want to say I want to do that because I am not a Social Media person, to be honest, but I really like these differences. Because within this generation - they know everything about each other, and these days it doesn‘t matter if they live in Iran, in Afghanistan, or in Europe.
MERZ There were scenes with black screen and solely audio depicting the situation in the family of Maydegol that she decided to record. Those must have been a special challenge considering it is a real life situation?
ALAMBEIGI One day Maydegol told me about the situation at her home and had this idea to bring out this material. And I said while her safety and security is a priority for me if she thinks it‘s okay, then yes, she can record the voices. And since this is a recurring thing in her family she knew how to do that in the middle of the situation. As soon as I had this material I realized, yes, we cannot go to her house, we cannot show her father but we can show what is happening inside the house . And her house is not only her house – it‘s a country.
MERZ Maydegol herself decided to take the risk and document her regular experience of domestic violence. What about the rest of her family – did she follow a role model in doing that?
ALAMBEIGI Maydegol is not like her mother. Her mother is in the same situation. But after heavy violence she leaves the house to stay with a sister. Then she comes back and life continues, it‘s like nothing happened to her. And it‘s not only in Afghanistan or Iran, I mean, there are many women around who don‘t tell that those things happened to them.And Maydegol doesn‘t want to repeat this circle of silence. When Maydegol spoke up and said out loud what happened, Farsane and Mohadese said: „We had the same probem“. There is a pattern that is repeating itself and no one is talking about it. But this generation – they are talking about it – and that is really precious.
MERZ There are only a few grown ups so to speak, more experienced adults, for example her trainer, but they are rare and barely seen. Was there a special reason for that?
ALAMBEIGI The coach is the only visible man in the film. I really like his figure and his behaviour towards them because of the positive possibilities. They don‘t have a very good male figure whom they could trust. He is a famous Muai Thai coach in Iran and he isn‘t only training them in the physical side of the sport but is also helping them to mentally be strong. I liked that there is someone talking with them about that. And it matters that we should trust another gender. It‘s very important because in her society and in her country seemingly nearly all the men are not really trustworthy and it‘s good that they know that the kind people also exist.
MERZ Maydegol also struggled with the problem of not being able to get a passport and be a documented citizen, and the risks of going to Afghanistan for that purpose. Did she actually manage to get an official passport?
ALAMBEIGI She went to Afghanistan in January (2024), crossed illegally the border between Afghanistan and Iran. She finally got her passport there which was very, very difficult and with a big portion of luck. If you followed the news it was interesting to notice it was only for three or four days that they actually gave passports to people. And Maydegol was sleeping for 3 days at the same organisation and finally got her passport and then travelled back to Iran. But the point is: We thought when she has a passport the situation would be better for her. But is it? I don‘t think so.
MERZ Why?
ALAMBEIGI Because she is Afghan and she can‘t get a visa. We wanted to bring her here to Germany to the Berlinale Film Festival. We tried very hard for that but even in the visa evaluation they didn‘t accept her documents. It‘s a dilemma. But hope still exists, Maydegol continues every day, she goes to the gym even if she is not sure if she can participate in any international competition.
MERZ There are strong symbolic gestures in the film where Maydegol deals with her many roadblocks in order to keep going. Were there moments where she couldn‘t keep going and how were you two dealing with that?
ALAMBEIGI There was a night, that was the darkest night for her, where she wanted to kill her father. She called me and was crying a lot. I was really worried about the whole situation. So we talked for several hours. That was a difficult time in the whole process. I mean, yes, we show that she is brave but we know she is sensitive at the same time. She is a human and I don‘t want to make a hero out of her because we‘re talking about a normal life. I think that’s the beauty of her life: She is a hero but she has a normal life, and this is honest and true. This is what it is. Life continues yet the darkness is there but also affection, and love, and kindness between these girls. I love that. If Mohadesseh and Farzaneh wouldn‘t be in the film it wouldn‘t be my film. Maybe that‘s one of the reason these young people want to capture themselves in Instagram and Social Media – because that gives them some sort of voice, even reputation.Everybody knows their lives are important. And even if they don‘t have an important life they believe that our lives are important. That‘s a beautiful message.
MAYDEGOL
Iran / Deutschland / Frankreich 2024
73 Minuten
Regie: Sarvnaz Alambeigi
Darstellende: Maydegol, Mohadesseh, Farzaneh
Nicole Lohfink: The Outrun
„Ich bleibe nur kurz“, mit diesem Satz und Abwandlungen davon will Rona ihrer Umgebung und vor allem sich selbst versichern, dass alles normal ist und ein normales Leben in London auf sie wartet. Aber sie ist wieder zu Hause,im Norden Schottlands, in einsamer, ländlicher Gegend und im Grunde ist Rona sich über gar nichts mehr sicher. Vor allem nicht darüber, wer sie selbst eigentlich ist, wenn sie nüchtern bleibt.
DER WEG ZU SICH SELBST
Bei The Outrun handelt es sich um eine Adaption von Amy Liptons Buch mit dem gleichen Titel von 2016, in dem Lipton ihren eigenen Weg aus dem Alkoholismus beschreibt und verarbeitet. Alles beginnt mit einer jungen Frau, die frisch aus der Entzugsklinik in ihr elterliches Heimatdorf zurückkehrt, um dort Abstand von der Großstadt zu finden und sich neu zu definieren. Sie wirkt innerlich aufgewühlt und hin- und hergerissen.
Durchsetzt von episodenhaften Erinnerungen und Ronas Stimme geht es mit Rona zusammen auf die Reise. Von der jungen Frau, die sich in der Hauptstadt des Landes ein Le-ben aufbaut, studiert, mit ihrem Freund zusammenzieht und auch gern mal Party feiert. Über den Griff zur Flasche als Ventil, bis die Kontrolle über das Leben und ihre Beziehungen ein Scheinbild wird und die Wahrnehmung zerbrechlich. Nach einem Schlüsselerlebnis begibt sich Rona schließlich auf Entzug.Und nun ist sie hier, auf den Orkney Islands, am äußersten Rand von Zivilisation, und ganz alleine mit sich selbst. Was wie schwere Kost klingt, ist in The Outrun eine anrührende Mischung; ein fein ausbalancierter Akt von stilistischen Mitteln, Erzählebenen und einer bewegenden Geschichte einer Frau aus dem hohen Norden Schottlands, der der Schwere auch eine Leichtigkeit entgegensetzt. Ronas Blick balanciert zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung – das Publikum hat stets eine enge Verbindung zu ihrer Perspektive und das erzeugt ein ambivalentes Gefühl der Distanzierung und des Mitfühlens der Situationen, in denen Rona sich findet – ganz so, wie es Rona selbst zuweilen geht. Zum Beispiel, wenn sie sich inmitten einer feiernden Gruppe von Menschen distanziert und abgeschnitten fühlt, und kurz vor die Tür geht; und im nächsten Moment durch ein Gespräch mit einem Nachbarn aus dem Ort, der sich ihr öffnet, schlagartig wieder mit dem Hier und Jetzt verbunden ist. Ronas Innenwelt ist transparent, genauso wie ihre Suche nach einer Brücke. So wechselt sie zwischen Überforderung, dem Sog der Sucht, echten zwischenmenschlichen Begegnungen und Einsamkeit. Dabei wirkt das Bewegen in diesem Spannungsfeld der Kindheits-Erlebnisse und den Rückblicken in die Großstadt, sowie die Befreiung von elterlichen Vorstellungen wie ein zweites Coming-of-Age. Denn auch der Vater hat eine Geschichte von psychischer Instabilität, die letztendlich zur Trennung der Eltern geführt hatte, und die Mutter fand Trost im wieder entdeckten Glauben und im Kreis der Bibelfreunde, mit denen Rona nichts anfangen kann.
NATUR ALS AKTIVES SPIEGELBILD
Die ungestüme Natur der Orkney Islands spielt eine eigene Hauptrolle. Wie eine äußere Entsprechung toben Sturm und Wellen oder geben kleine Schätze in ruhiger Brandung preis. Dabei wirkt jede Geste Ronas, jedes Gespräch wie unter einem Brennglas. Ein langsamer Prozess entfaltet sich und die erzählerischen Mittel und der Heilungsprozess von Rona nähern sich immer weiter aneinander an. Ihre Gedanken bleiben nicht losgelöst aus dem Off gesprochen, sie verbinden sich wieder mit Ronas Situationen. Zum Beispiel besucht die Mutter sie auf der einsamen Insel, auf der Rona für eine Naturschutz-Organisation ein Praktikum absolviert. Hier zeigt Rona wieder Begeisterungsfähigkeit für die Meeresbiologie, und erzählt ihrer Mutter von dem, was sie fasziniert, und wie es sich verbindet, mit dem, was sie im Studium mal interessiert hatte.Was lange verdeckt war vom existentiellen Ringen mit der Sucht und deren Folgen, taucht langsam wieder auf.
ALTE UND NEUE ERZÄHLFORMEN BEGEGNEN SICH
Die leise und feine Leistung des Films ist die Verbindung von modernen, filmischen Mitteln
mit der klassischen Katharsis der griechischen Tragödie. An deren Ende steht ein seltener, vielschichtiger und einfühlsamer Einblick in die Mechanismen von Sucht und der Befreiung daraus.So ist The Outrun ein ehrlicher Film, mit starker schauspielerischer Leistung, viel Feingefühl und poetischen Momenten, aber auch schonungsloser Augenblicke, der sich unter dieHaut schleicht.
AUS DEM LEBEN GEGRIFFEN
Umso beeindruckender ist auch die Tatsache, dass der Film tatsächlich inmitten der Familie und Freund*innen von Buchautorin Amy Lipton gedreht wurde. Sogar der Wohnwagen im Film, in dem Ronas Vater wohnt und beide Gespräche miteinander führen, ist der reale Wohnort von Amys Vater, in dem das Film-Team drehen durfte. So war Regisseurin Nora Fingscheidt auch die ganze Zeit mit ihr im Gespräch und nennt als eine der besonderen Herausforderungen bei der filmischen Realisierung die Verantwortung, der Geschichte gerecht zu werden – und die Verantwortung gegenüber dem noch lebenden Menschen, respektvoll mit dessen persönlichen Erfahrungen umzugehen, sowie dessen Umfeld zu berücksichtigen.
ANTI-HELD*INNEN SEHEN
Filmemacherin Nora Fingscheidt hat schon früher bewiesen, dass sie mit herausfordernden Themen umgehen kann. Sie schlug erstmals Wellen mit ihrem Langfilm-Debüt „Systemsprenger“, der 2019 auf der Berlinale Premiere feierte. Mittlerweile ist eine amerikanische Neuverfilmung von System Crasher in Arbeit, was durchaus als Kompliment gewertet werden kann. Für Fingscheidt war der große Erfolg von Systemsprenger ein Sprungbrett, das unter anderem die nächsten beiden großen Projekte zu ihr brachte. Die Netflix-Produktion The Unforgivable mit Sandra Bullock war eines davon. The Outrun ist nun ihr dritter Film und begann zuerst mit dem autobiografischen Buch, das ihr von Produzentin Sarah Brocklehurst zugeschickt wurde, während Fingscheidt noch in Los Angeles am Schnitt ihres zweiten Films arbeitete. Inmitten der Pandemie, auf einem anderen Kontinent, in eine Geschichte über Heilung an einem einsamen Ort am Rande von Europa einzutauchen, traf bei Fingscheidt ins Schwarze und sie übernahm die Regie. The Outrun feierte seine Premiere auf dem Sundance Film Festival im Januar 2024, bevor der Film im Februar dann auf der Berlinale erschien.
THE OUTRUN
Vereinigtes Königreich/ Deutschland 2024, 117 min.
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: Nora Fingscheidt, Amy Liptrot, Daisy Lewis
Darstellende: Paapa Essiedu , Saoirse Ronan, Saskia Reeves, Stephen Dillane, Lauren Lyle
Antonia Giebisch: App zur Hilfe bei Cybermobbing
Klicksafe. (2024). Cyber-Mobbing Leichte Hilfe. App, iOS, kostenfrei.
Die Cyber-Mobbing Leichte Hilfe App soll Menschen mit Behinderung helfen, die Opfer von Hass und Gewalt im Netz werden. Außerdem
werden Informationen zum Thema zielgruppengerecht in einfacher Sprache aufbereitet. Entwickelt wurde die App von klicksafe und der
Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Berlin e. V.
Die Vielfalt innerhalb des Entwicklungsteams, bestehend aus Menschen mit Behinderung, Fachkräften aus Sozialdiensten Berliner Werkstätten, einem Gebärdensprachendolmetscher und einer Medienpädagogin von klicksafe, ermöglicht, dass die Zielgruppe der App besonders effektiv angesprochen wird. Dem voran ging ein partizipativer Prozess von zwei Jahren, in denen die Arbeitsgruppe sich das Thema aneignete.
Die App behandelt das Thema sehr vielfältig, der Fokus liegt auf einem verantwortungsbewussten Umgang sowie Aufklärungs- und Verhinderungsarbeit gegen Cybermobbing. In der Kategorie Mobbing im Internet wird zunächst erklärt, was Mobbing überhaupt ist, wo es auftreten kann und wie Cybermobbing und Mobbing im analogen Leben zusammenhängen können. Auch das Thema Sexuelle Gewalt im Internet wird behandelt, inklusive Tipps zum Selbstschutz und zur Selbstreflexion. In der Kategorie Hilf anderen! werden den Nutzer*innen Tipps gegeben, wie sie Mobbingopfern helfen und sie unterstützen können. Zudem wird im Themenbereich Gesetze aufgezeigt, welche Handlungen verboten sind und angezeigt werden können. Ebenfalls interessant ist die Kategorie Tipps und Beratung, in der eine Vielzahl von Anlaufstellen mit Telefonnummern und Websites bereitgestellt werden. Die Rubrik Anleitungen zeigt anhand von Bildern, wie man Personen auf Plattformen wie WhatsApp oder
Instagram blockieren, melden oder löschen kann. Zudem gibt es auch eine Erklärung, wie man eine Onlineanzeige erstellen kann. Die Ru-
brik Videos enthält Bewegtbildformate in Lautoder Gebärdensprache mit Untertiteln zu verschiedenen Themen.
Die Vorgänger-App Cyber-Mobbing Erste Hilfe App, ebenfalls von klicksafe und auf Kinder und Jugendliche spezialisiert, diente als Grundlage für die Cyber-Mobbing leichte Hilfe App. Letztere steht als kostenlose iOS-Version zur Verfügung; bald auch für Android.
Die App ist eine große Bereicherung für Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung, die Unterstützung im Bereich Cybermobbing
benötigen. Die Barrieren werden innerhalb der App möglichst gering gehalten und es wird in einfacher Sprache kommuniziert, damit alle
Personen unabhängig ihrer kognitiven Kompetenzen und ihres Bildungsstandes Zugang zu den Informationen haben.
Michael Bloech: Die 74. Berlinale
Ein kritischer Blick auf Kunst und Kultur muss generell erlaubt sein, vielleicht scheint er im Fall der 74. Berlinale sogar gefordert. Es war die letzte Berlinale des eher glücklos agierenden Leitungs-Duos Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. Bei allem Glanz, Glamour und filmisch Gezeigtem gab es nämlich durchaus viele Kritikpunkte, die erwähnt werden sollten. Beginnen wir mit der Wahl der Sponsor*innen. Da fällt der kritische Blick auf die Firma Uber, welche die Veranstaltung angeblich mit über einer halben Million Euro gesponsert hat. Der Fahrdienstvermittler Uber fördert aktuell in Berlin massiv Kultur, obwohl Uber mit dem häufig formulierten Vorwurf der Selbstausbeutung der Lizenznehmer*innen in der öffentlichen Kritik steht und damit möglicherweise im Widerstreit zur politischen Ausrichtung der Berlinale. Bei kritischer Betrachtung könnten all diese Sponsoring-Aktivitäten Ubers als Whitewashing-Versuch gewertet werden.
Der zweite Punkt, der schon im Vorfeld ein wenig für Ratlosigkeit sorgte, war der Umgang mit Einladungen von fünf AfD-Abgeordneten zur Eröffnungsgala der Berlinale. Zwar erfolgte die Verschickung der Einladungen nicht direkt über die Berlinale, aber etwas blauäugig mutet es schon an, Politiker*innen eine Einladung zu schicken, die sich für die Auflösung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkstruktur in Deutschland massiv einsetzen. Verwunderlich ist dies vor allem, wenn berücksichtigt wird, dass viele der gezeigten Produktionen und das Festival selbst ohne die Förderung und Unterstützung öffentlich-rechtlicher Sender nicht hätten realisiert werden können. Auf Druck vieler Kulturschaffender* entschied sich die Festivalleitung schließlich, die eingeladenen AfD-Politiker*innen wieder auszuladen. Der dritte Punkt bezieht sich auf die inhaltliche Ausrichtung des Programms, die sich bekanntlich ausdrücklich als politisch begreift. Und in der Tat wurden viele Filme gezeigt, die aktuelle Themen, wie den Ukraine-Krieg, die Situation in Israel und Palästina oder die politische Situation im Iran widerspiegeln. Dennoch hat man ein mulmiges Gefühl, dass mit dem Film Die Ermittlung des Regisseurs Rolf Peter Kahl eine sehr aktuelle deutsche Produktion über den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt trotz intensiver Bemühungen des Filmteams leider nicht in das Programm genommen wurde. Gerade wegen des immer stärker werdenden Antisemitismus in Deutschland ist das bedauerlich und eine Teilnahme hätte dem Festival sicher einen positiven Impuls geben können.
Kommen wir nun zum vierten kritischen Punkt, dem der Preisverleihung. Juryentscheidungen sind sicher stets im Kern subjektiv, aber sie spiegeln auch immer ein wenig die Qualität der gezeigten Produktionen wider. Wenn ein kurzer, relativ schlichter und auch teilweise scharf kritisierter Dokumentarfilm wie Dahomey mit dem Goldenen Bären als bester Film ausgezeichnet wird, dann kann dies natürlich bedeuten, dass die anderen Produktionen weniger überzeugend waren oder aber, dass die Jury leider eine wenig kompetente Arbeit abgeliefert hat. Und tatsächlich bleiben viele der Entscheidungen unverständlich und vielleicht sogar problematisch. So kann der Preis für die ‚Beste Schauspielerische Leistung‘ für Sebastian Stan in dem Film A Different Man eigentlich nicht nachvollzogen werden, da es mit der Iranerin Lily Farhadpourin in My Favourite Cake oder mit Liv Lisa Fries in In Liebe, Eure Hilde oder auch mit Lars Eidinger in Sterben durchaus wesentlich ausdrucksstärkere Schauspieler*innen für eine Auszeichnung gegeben hätte. Zudem zeugt die Entscheidung für wenig Fingerspitzengefühl, denn der durch die Krankheit Neurofibromatose gezeichnete Schauspieler Adam Pearson sorgte mit einer fulminanten schauspielerischen Leistung in A Different Man für mehr Können als der dort prämierte Sebastian Stan. Der Silberne Bär für ‚Das Beste Drehbuch‘ wurde an den Film Sterben von Matthias Glasner vergeben. Dazu darf angemerkt werden, dass der Film zwar wirklich herausragend ist, allerdings gerade im Drehbuch durch unnötige Längen glänzt. Gänzlich unverständlich blieb der Preis der Jury für L’Empire des Franzosen Bruno Dumont, der mit einer missglückten, wenig unterhaltsamen und eher peinlichen Persiflage auf Science-Fiction Filme das Publikum und die Kritik langweilte. Allerdings verweist schon allein die Aufnahme eines Films wie L’Empire in das Wettbewerbsprogramm der Berlinale auf ein generelles Problem, denn Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter gelang es beispielsweise nicht, den Science-Fiction Film Dune: Part Two des Kanadiers Dennis Villeneuve auf die Berlinale zu holen, was für mehr internationalen Glanz gesorgt hätte.
Der letzte Punkt ist leider gravierender als alle anderen. Während der Preisverleihung kam es zu antiisraelischen Äußerungen und Genozid-Vorwürfen an Israel, die unkommentiert blieben und vom Publikum beklatscht wurden. Der Terror der Hamas gegen Israel und auch gegen die eigene palästinensische Bevölkerung blieb, bis auf ein kurzes Eingangsstatement von Mariette Rissenbeek, bedauerlicherweise unerwähnt. Dies erinnert in trauriger Weise an Probleme während der Documenta im Jahr 2022, bei denen antisemitische Ressentiments unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit zunächst unwidersprochen blieben. Für die Berlinale als Ort des Austauschs bildeten die antiisraelischen Aktionen während der Preisverleihung leider den traurigen Tiefpunkt. Die überfordert und oberflächlich wirkende Moderatorin Hadnet Tesfai hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, für eine entsprechende Einordnung der beklatschten Statements zu sorgen, aber das Programm wurde einfach weiter ‚abgespult‘. Ein Post unter dem Motto From the River to the Sea, ein paar Tage nach der Veranstaltung auf dem Instagram Account der Berlinale, wurde sofort gelöscht und hat jetzt ein juristisches Nachspiel. Fairerweise sollte ebenfalls erwähnt werden, dass die Berlinale während der gesamten Veranstaltung ein Tiny House am Potsdamer Platz zum Zweck der Verständigung angeboten hatte, um einen individuellen Dialog in der schwierigen Frage des Zusammenlebens der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung zu ermöglichen.
Kurz und knapp: Es war ein gut besuchtes Festival mit einigen, wenigen filmischen Höhepunkten, dafür jedoch mit vielen Problemen. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Leiterin der Berlinale, die gebürtige US-Amerikanerin Tricia Tuttle, eine glücklichere Hand bei der Auswahl der Filme, des Coachings der Moderator*innen und der Besetzung der Jury hat. Denn schließlich sollten interessante Filme, undogmatische Diskussionen und ein gleichberechtigter Austausch im Fokus der Berlinale stehen.
Einen Blick auf filmische Highlights der diesjährigen Berlinale geben Nicole Lohfink, Markus Achatz und Günther Anfang in den kommenden Beiträgen.
Michael Bloech ist Diplom Soziologe, Medienpädagoge und Autor verschiedener Fachpublikationen. Seine aktuellen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Film und Fotografie.
Nicole Lohfink: Last Swim
Die Berlinale hat sich selbst wiederholt als ein politisches Festival deklariert, auch das Festival an sich ist hin und wieder ein Politikum und der Ablauf oft ein turbulenter Spiegel unruhiger Zeiten.
Doch hinter der Politik stehen Menschen und persönliche Blicke – die Filme spiegeln das Leben wider und so ist die Berlinale auch ein Film-Festival, das Politik auf sehr menschliche Weise nahbar machen kann.
Ein erstes Beispiel dafür ist der britische Film Last Swim, der als Eröffnungsfilm der Sektion Generation 14 Plus lief. Hinter Last Swim stehen exemplarisch Filmschaffende, die persönliche Berührungspunkte mit den Krisenherden der Welt haben und eine Geschichte erzählen, die sich weit davon entfernt abspielt und dennoch davon beeinflusst wird.
Für die junge Hauptdarstellerin Deba Hekmat sind aufgrund ihrer Herkunft die Geschehnisse im Iran und der Nahost-Konflikt ganz nah, auch wenn sie in London lebt. Nach der erfolgreichen Eröffnungs-Premiere und dem Beifall des Publikums dankte sie tief gerührt dafür, dass es, angesichts der Herausforderungen für die vielen Zivilist*innen anderenorts, überhaupt möglich ist, frei Filme zu drehen und damit bewegende Geschichten zu erzählen. Auch der Regisseur Sahsa Nathwani griff das Thema auf und wies mit seiner persönlichen Erfahrung als Sohn einer iranischen Mutter auf die Situation der Frauen im Iran hin. Er erzählte, die Frauen in seiner Familie seien vielseitig begabt, alle spielten beispielsweise ein Musikinstrument, sprechen mehrere Sprachen – „Doch was machst du, wenn du deine Talente nicht zur Geltung bringen darfst?“, so die Frage des Regisseurs an das Publikum.
Und hier verbindet sich das große Weltgeschehen mit dem persönlichen Mikrokosmos der Hauptfigur des Films, Ziba.
Im Film hat die junge Ziba zielstrebig alles dafür getan, dass ihre Leistung einfach zu gut ist, als dass sie übergangen werden könnte und hat dabei einen klar definierten Weg vor Augen – doch alles wird plötzlich in Frage gestellt.
Es ist der Tag der Zeugnisübergabe, für Ziba und ihre Mitschüler*innen ist die Schulzeit zu Ende, sie erhalten ihr Abschlusszeugnis und wollen den Tag gemeinsam feiern.
In einem ausgewogenen Wechsel zwischen Rückblenden und dem Tag der Zeugnisübergabe entwickelt sich nach und nach die persönliche Innenwelt Zibas. Das Publikum erfährt von ihren Wünschen und Vorhaben, erlebt den Schock, als ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird, sowie die Sorgen, die sie nun wie ein Schatten begleiten. Ihre sorgfältig erarbeiteten Pläne für ihr weiteres Leben sind völlig über den Haufen geworfen, daher möchte sie den Schulabschluss mit ihren besten Freund*innen feiern und einen sorgenfreien Tag in vollen Zügen genießen. Sie möchte das Leben ganz bewusst noch einmal perfekt erleben. Organisiert, wie sie bisher war, ist auch dieser Tag durchdacht und sie bringt allen einen Ablaufplan dafür mit, der lachend akzeptiert wird.
Bei aller Unbeschwertheit, die die Beteiligten an den Tag legen, sind die Zukunftsfragen aller spürbar – genauso wie das gegenseitige Wohlwollen. Es wird ein Freundschaftsbild entworfen, in dem echte Entspannung genauso möglich ist, wie kurzer Jähzorn, Streit und auch Raum für Zweifel.
Der Film arbeitet mit sanftem Schnitt und gezielten Rhythmus-Wechseln und entwirft so ein Tempo, das der inneren emotionalen Achterbahnfahrt Zibas entspricht.
Wenn am Ende des Tages dieser völlig entgegen alle Erwartungen verlaufen ist, bricht mit der Morgendämmerung nicht nur neue Hoffnung durch die Wolken der Endzeitstimmung Zibas. Nach einem innigen Moment mit ihrer Mutter bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass die Zukunft ungewiss ist – und dass das auch etwas Gutes sein kann.
Last Swim erhielt mit seiner Balance zwischen der Schönheit des Lebens und Träumen, die eventuell nicht in Erfüllung gehen, den Gläsernen Bären von der Kinderjury für den besten Film in der Kategorie Generation 14Plus.
Nicole Lohfink arbeitet als freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin und medienpädagogische Referentin.
Last Swim
Vereinigtes Königreich 2024, 100 Minuten, Regie: Sasha Nathwani, Drehbuch: Sasha Nathwani, Helen Simmons, Darstellende: Deba Hekmat, Narges Rashidi, Jay Lycurgo, Solly McLeod, Lydia Fleming
Markus Achatz: It's Okay!
In diesem Jahr liefen in der Sektion Generation deutlich weniger Filme als noch im Vorjahr. Jedoch war das GENERATION-Programm mit jeweils 17 Lang- und 17 Kurzfilmen vielfältig und ermöglichte spannende Exkursionen in die unterschiedlichsten Länder. Zu sehen waren Produktionen unter anderem aus Peru, Kanada, Madagaskar, Iran, den Philippinen, China, Südkorea und Deutschland. Neben teils schwächeren Beiträgen gab es auch ein paar Highlights, die das Niveau der diesjährigen BERLINALE insgesamt durchaus heben konnten. Beispielsweise der Debütfilm der südkoreanischen Regisseurin Kim Hye-young.
In starken Bildern und mit einem überzeugenden Cast erzählt It’s Okay! von der Schülerin In-young, die in der Seoul International Arts Company tanzt. Das Ensemble ist eine Elitetruppe des Landes und nur, wer den höchsten Ansprüchen der Trainer*innen gerecht wird, bleibt dabei. Zeitgleich mit einer Tanzaufführung verunglückt In-youngs alleinerziehende Mutter tödlich bei einem Verkehrsunfall. Mit dieser Exposition beginnt die Story um ein völlig verändertes Leben. In-young schafft es eine Weile, den Mitarbeiter*innen des Jugendamts aus dem Weg zu gehen und sich mit Verkäufen von Haushaltsgegenständen über Wasser zu halten. Als sie aber die Wohnung nicht mehr bezahlen kann, sucht sie im Gebäude der Tanzschule heimlich Unterschlupf. Dort wird sie ausgerechnet von der strengen Chefchoreographin Seol-ah entdeckt. Die anspruchsvolle und eigenwillige Künstlerin, die selbst einmal Star des Tanzensembles war, nimmt In-young widerwillig bei sich auf. Der Druck für die Choreographin und die jungen Tänzerinnen steigt, da eine Sonderaufführung zum 60-jährigen Jubiläum der Truppe bevorsteht. In-young wird indessen zur Zielscheibe ihrer Mitschüler*innen und erlebt Missgunst und Schikane. Die Zweckgemeinschaft des Mädchens mit ihrer Tanzleiterin stellt beide auf eine harte Probe. Allmählich profitieren sie aber von ihrer Unterschiedlichkeit und die gemeinsame Faszination für die Tanzkunst bringt ein unerwartetes Miteinander ins Spiel. In-young findet Wege und Gelegenheiten, offener mit der Trauer um ihre Mutter umzugehen, Seol-ah lernt zögernd Abstand von der Härte und Disziplin zu finden, die sie von sich selbst und anderen fordert.
Geschichten über Jugendliche, die den Tod von Eltern bewältigen müssen oder über die Konkurrenz in Leistungssportgruppen gibt es viele. Dennoch sticht der Film durch ein fein austariertes Verhältnis von Tragik und Humor sowie überzeugende Schauspieler*innen hervor. Gleichzeitig gibt er interessante Einblicke in die koreanische Gesellschaft. Der Story kann man vielleicht vorwerfen, dass es Inyoung nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter eigentlich viel schwerer haben müsste und sie sich erstaunlich besonnen und beinahe fröhlich den Schwierigkeiten in ihrem Leben stellt. Doch genauer betrachtet ist die Inszenierung sehr konsequent: Die Hauptfigur wird als unglaublich stark charakterisiert, obwohl auch gezeigt wird, wie In-young hadert und immer wieder neu Kraft tanken muss. Das Mädchen tritt mit einer beneidenswert offenen und positiven Grundhaltung auf und hat einen ‚eisernen‘ Willen. Wie sonst könnte sie sich in der Elitekompanie der staatlichen Tanzschule behaupten und die Energie für die harten Proben und Trainingseinheiten aufbringen. Inyoung ist eine Identifikationsfigur, die auch Rückschläge erleidet, wenn sie beispielsweise in ihrem nächtlichen Versteck in der Tanzakademie entdeckt wird oder den Mobbingattacken der Mittänzerinnen ausgeliefert ist. Der Plot spielt dabei behutsam auch mit märchenhaften Momenten, die den Film besonders machen. Jede*r kann sich ein Beispiel an diesem fröhlichen und starken Mädchen nehmen. Die Intensität der Geschichte wird durch eine gradlinige Fokussierung auf wenige Hauptprotagonist*innen verstärkt. Neben In-young und Seol-ah sind dies die beiden einzigen Vertrauenspersonen des Mädchens: ihr gleichaltriger Schulfreund aus Kindertagen, Do-yoon, der ein großer Fan von In-young ist, aber auch den Neid der anderen Tänzerinnen auf In-young zieht. Und der junge Apotheker Dong-wook, der In-young immer wieder aufzuheitern vermag und in einem entscheidenden Moment ihrer Einsamkeit für sie Unterstützung holt. In einer Szene, als sich Dong-wook und die Tanzchoreographin Seol-ah begegnen, kann er Inyoungs innere Verfassung in wenigen Worten beschreiben: „Parting is quick for those who leave, but it never ends for the ones left behind.
Nicht nur die fulminanten Tanz- und Akrobatikszenen sorgen für spannende Unterhaltung, sondern auch die Achterbahnfahrten im Gefühlsleben der Hauptfiguren. Vor diesem Hintergrund begründete die Kinderjury der BERLINALE auch die Vergabe des Gläsernen Bären an It’s Okay! als besten Film in der Kategorie Kplus.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk Landesverband Bayern und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
It’s Okay
Südkorea 2023, 102 min, Regie: Kim Hye-young, Buch: Kim Hye-Young und Cho Hong-jun, Darstellende: Lee Re (In-young), Jin Seo-yeon (Seol-ah), Chung Su-bin (Na-ri), Son Suk-ku (Dong-wook), Lee Jung-ha (Do-yoon)
Günther Anfang: In Liebe, Eure Hilde
Berlin Tegel, September 1942: Hilde Coppi wird beim Erdbeerpflücken festgenommen. „Wie lange wird es dauern?“, fragt sie und folgt angsterfüllt, aber ruhig den Männern, die kurz zuvor das Laubengrundstück betreten haben, wo sie mit ihrem Mann Hans Coppi lebt. Mit diesen letzten Minuten in Freiheit beginnt im Film In Liebe, Eure Hilde die Geschichte Hilde Coppis, die in Rückblenden aus ihrer Haft im Frauengefängnis Barnimstraße erzählt wird. Es ist eine leise, aber umso eindringlichere Geschichte der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, die in der DDR zum Kanon gehörte, im Westen aber aus ideologischen Gründen eher unbekannt ist: Hilde Coppi und die Rote Kapelle, eine nach Moskau funkende kommunistische Widerstandsgruppe gegen Hitler. In zwei Linien erzählen der Regisseur Andreas Dresen und die Drehbuchautorin Laila Stieler die Geschichte einer Frau, die sehr bewusst Widerstand gegen die Nazis geleistet hat. Hilde Coppi (1909–1943) klebte Flugblätter, hörte Radio Moskau und gab Informationen weiter, setzte zusammen mit ihrem Mann Funksprüche in die Sowjetunion ab. Das Regime ahndete das mit der Todesstrafe. Liv Lisa Fries, bekannt aus Babylon Berlin, spielt Hilde, eine kluge junge Frau mit Brille, die sich in Hans (Johannes Hegemann) verliebt, der der Roten Kapelle angehört. Der Film beginnt mit ihrer Verhaftung, die sich mit Erinnerungen vermischt, die bis zur ersten Begegnung mit ihrem Mann reichen. Es ist eine Geschichte von jungen Menschen, die die Freiheit lieben und ganz normal leben wollen. Sie gehen baden, machen Ausflüge und verbringen ihre Freizeit beim Zelten.
Viele Geschichten von Nazi-Gegner*innen sind fürs Kino dramatisiert worden, Filme über Sophie Scholl von der Weißen Rose, oder über die so unterschiedlichen Hitler-Attentäter Georg Elser und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Andreas Dresen beschäftigt sich mit einer beinahe vergessenen Widerstandskämpferin, die sich seiner Ansicht nach selbst wohl gar nicht so verstanden hat. Einer der Erzählstränge führt durch die Haftzeit, die für Hilde bedeutet, dass sie in einer dramatischen Geburt, unterstützt von einer mitfühlenden Hebamme (Fritzi Haberlandt), ihren Sohn zur Welt bringt, und daraufhin das zuerst schwächliche Kind versorgt und andere Mütter unterstützt.
Am Ende hat Coppi Angst vor dem Sterben, so wie die rund ein Dutzend Frauen, die im Gefängnishof Berlin-Plötzensee in grauen Kitteln und Holzschuhen Schlange stehen für ihre eigene Hinrichtung. Angst vor dem Leben hat sie nicht mehr. Sie lehnt den Kopf zurück in die Sonne, die an diesem Augustabend 1943 gerade noch über die Mauer scheint. Die Geburt ihres Sohnes Hans gibt Coppi Stärke. „Bitte vergiss mich nicht. Und werd’ glücklich. Unbedingt“, sagt sie, als sie sich von dem acht Monate alten Kind verabschieden und es ihrer Gefängniswärterin in den Arm drücken muss. Von nun an werden sich die Großeltern um Hans kümmern. Die Gefangene bittet ihre Wärterin, unbedingt auszurichten, dass ihre Schwiegermutter die Regentonnen abdecken solle. Damit Hans nicht versehentlich hineinfällt. Diese Aufforderung ist überliefert wie so vieles in diesem genau recherchierten Film.
Die Gefängniswärterin Kühn (Lisa Wagner) ist eine ambivalente Filmfigur. Zunächst ist sie ihrem Häftling gegenüber feindlich gestimmt. Dann lässt sie sich von Coppi anrühren. Nicht nur ihr geht das so: Ein Gestapomann offeriert Coppi ein Leberwurstbrot. Kein einziger schreiender Nazi weit und breit in diesem Film. Aber alle dienen, ohne zu zögern, dem Unterdrückungsapparat. „Es geht schnell“, hat der Pfarrer Harald Poelchau (Alexander Scheer) im Gefängnis gesagt. So schnell haben wir im Kino aber noch keine Hinrichtung ablaufen gesehen. Töten im Akkord: Mehr als 50 Mitglieder der Roten Kapelle wurden in Berlin-Plötzensee ermordet. Am Ende hören wir die Stimme von Hans Coppi Junior, dem im Gefängnis geborenen Sohn. Der heute 81 Jahre alte Historiker hat sich sein Leben lang mit dem Schicksal seiner Eltern beschäftigt. Nur ein einziger Funkspruch aus Berlin, so sagt er, sei damals nach Moskau durchgekommen: „1000 Grüße an alle Freunde.“ Aber schmälert das den Mut seiner Eltern?
Günther Anfang ist freiberuflicher Medienpädagoge.
In Liebe, Eure Hilde
Deutschland 2024, 124 Minuten, Regie: Andreas Dresen, Buch: Laila Stieler, Darstellende: Lisa Fries, Johannes Hegemann
Katharina Halo: Dr. Stone - New World
Die drei Freund*innen Senku, Taiju und Yuzuhira befinden sich gerade in der Schule, als sie plötzlich ein grünes Licht am Himmel sehen. Dieses Licht verwandelt die gesamte Menschheit zu Stein genau in dem Moment, als Taiju seiner Freundin Yuzuhira seine Liebe gestehen will. 3700 Jahre vergehen, bis Taiju sich aus der Versteinerung löst und feststellt, dass die Welt, wie er sie kannte, nicht mehr existiert. Die Natur hat weite Teile der Erde zurückerobert und von der einstigen Zivilisation sind nur noch Wälder, Berge und Flüsse übrig geblieben. Nach seinem Erwachen entdeckt Taiju, dass seine Liebe Yuzuhira noch immer unter der Wirkung der Versteinerung steht, während sein wissensdurstiger Freund Senku bereits seit geraumer Zeit wieder aktiv ist. Senku forscht intensiv, um die Ursache für die Versteinerung ausfindig zu machen und ein Gegenmittel zu finden. Durch Experimente und seine hervorragende Beobachtungsgabe gelingt ihm schließlich die erfolgreiche Herstellung eines Gegenmittels. Die ge-meinsame Freundin Yuzuhira soll die Erste sein, welche aus der Versteinerung gelöst wird. Doch ihre Pläne werden durchkreuzt, als die Begegnung mit mehreren Löwen sie zwingt, das Gegenmittel an Tsukasa, einem bekannten und erfahrenen Kämpfer aus der Schule, anzuwenden. Tsukasa schafft es, die Löwen auszuschalten und das Leben der Freunde zu retten. Er schließt sich ihnen an und gemeinsam setzen sie sich das Ziel, die Zivilisation durch Wissenschaft und Technologie wieder aufzubauen. Mit dem Wissen des genialen Wissenschaftlers Senku kann dieses Vorgehen zur Realität werden.
Bald jedoch erkennt Senku, dass Tsukasa andere Pläne verfolgt. Tsukasas moralischer Kodex sieht vor, nur die ‚reinherzigen‘ Menschen in der Steinwelt wiederzubeleben. In dieser Situation sieht er die Chance, eine neue Weltordnung zu schaffen, indem er Steinstatuen ‚unreinherziger‘ Menschen zerstört und ihnen damit die Chance auf eine Wiederbelebung nimmt. Er entwickelt sich damit zum Hauptantagonisten der Serie. So beginnen der Kampf und das Abenteuer der Freunde um die Wiederherstellung der Zivilisation.
Dr. Stone ist eine japanische Manga-Serie des Autors Riichiro Inagaki und des Illustrators Park Mu-jik, die seit August 2019 in deutscher Sprache verfügbar ist. Die erste Staffel der Anime-Serie wurde unter der Hauptautorenschaft von Yuichiro Kido und der Regie von Shinya Lino am 15. Juli 2020 in Deutschland auf TNT Comedy veröffentlicht.
Die Serie behandelt die Themen Wissenschaft, Geschichte sowie die Beziehung zwischen Fortschritt und Natur und vermittelt diese Bildungs-aspekte auf unterhaltsame Weise. Dr. Stone ist daher sowohl für Kinder als auch für Erwachsene geeignet, um gemeinsam vor dem Fernseher eine schöne Zeit zu verbringen und sich dabei eine Portion Wissen auf spannende, lustige und unterhaltsame Weise anzueignen.
Besonders interessant ist die Einbindung der Wissenschaft. Der Protagonist Senku teilt seine Leidenschaft zur Wissenschaft anschaulich, ohne dabei zu langweilen. Es werden verschiedene Methoden und Experimente gezeigt, die wichtige Erfindungen unserer Zeit erklären. Durch die an-schaulichen Darstellungen kann es der Serie gelingen, eine Leidenschaft für die Wissenschaft zu entfachen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass einige dargestellte Experimente zwar wissenschaftlich korrekt sind, aber die realen Auswirkungen in der Praxis nicht aufrechterhalten werden könnten. Vieles wird in Dr. Stone vereinfacht erklärt und dargestellt, um es verständlich und für alle zugänglich zu machen.
Dr. Stone überzeugt nicht nur mit seinem Bildungsanspruch und bester Unterhaltung, zusätzlich hervorzuheben ist auch der ganze Aufbau der Anime Welt. Die mysteriösen Umstände der Geschichte harmonieren gut mit dem World Building. Für die Zuschauenden gestaltet sich ein span-nendes Gedankenexperiment daraus, wie unsere Welt nach einersolchen Katastrophe aussehen könnte. Diese Mysterien und Entwicklungen halten kontinuierlich die Spannung und lassen einen tief in die Geschichte eintauchen.
Die Serie behandelt nicht nur Wissenschaft und Technologie, sondern auch Themen wie Freundschaft und Liebe. Die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Freunden Senku, der immer logisch und wissenschaftlich denkt und Taiju, der das Herz in dieser Freundschaft ist, macht sie zu einem einzigartigen Duo und unersetzlich für die Geschichte. Der Respekt und die Wertschätzung der beiden füreinander verleiht der Serie eine besondere Tiefe.
Daher ist der Anime Dr. Stone eine sehr gelungene Geschichte, die tief ins Herz geht und Zuschauende auch mit ethischen Fragen konfrontiert, die in der Serie immer wieder reflektiert werden. Was wäre, wenn plötzlich alle Gegenstände noch einmal neu hergestellt werden müssten und man-ches gar nicht erst zu einer Entdeckung führen würde? Oder wie würde eine Welt aussehen, wenn es jemanden wie den Hauptantagonisten Tsukasa gibt, der über Leben und Tod von Menschen bestimmen will? Es wird eine Welt gezeigt, die fernab von unserer Realität und doch gar nicht so weit weg ist.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Katharina Halo
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Katharina Stengl: An allem Schuld
Laut Bundeskriminalamt ist die Zahl der antisemitischen Strafen in Deutschland seit dem Überfall der Hamas auf Israel gestiegen. Umso wichtiger ist es, über Antisemitismus zu sprechen und aufzuklären. Es muss präventiv gegen Vorurteile und Stereotype vorgegangen werden, um selbst ver-stecktem Antisemitismus keinen Raum zu bieten. Die Website AN ALLEM SCHULD widmet sich auf eindrucksvolle Weise diesem sensiblen Thema. Bereits der gewählte Name reflektiert treffend die tief verwurzelte Schuldzuweisung an Jüd*innen, die ein zentraler Bestandteil antisemi-tischen Denkens ist. Häufig werden Jüd*innen fälschlicherweise für gesellschaftliche Ereignisse, wirtschaftliche Krisen und Ungerechtigkeiten verantwortlich gemacht. Diese Form der Schuldzuweisung dient dazu, auf komplexe soziale Probleme einfache Antworten zu liefern und stellt für manche Menschen einen simplen Ausweg dar. Durch die Identifikation konkreter Personen als Schuldige erhalten sie ein Ziel, an dem sie ihre Wut und ihren Frust auslassen können.
Die Website ist ein Projekt des BIW – Bildung in Widerspruch e. V. und präsentiert sich als umfassende Informationsplattform, die darauf abzielt, antisemitische Vorurteile zu durchbrechen und ein tieferes Verständnis für deren Ursprünge zu schaffen. Sie bietet Antworten auf zahlreiche Fragen, die man sich so noch nie gestellt hat. Gleichzeitig kann man sein Wissen über Antisemitismus vertiefen, um auch verdeckten Antisemitismus zu erkennen und etwas dagegen zu tun.
Strukturiert wird das Portal durch verschiedene Themenbereiche. In der Rubrik Antisemi…Was? dreht sich alles um das Wort Antisemitismus. Was versteht man darunter? Woher kommt Antisemitismus und wie kann man ihn erkennen? Wem nützt das antisemitische Denken und welche Aus-wirkungen hat das auf andere? Erschreckend ist zum Beispiel, dass jede*r vierte Deutsche antisemitische Ansichten teilt. Dieser Fakt und viele weitere können in den verschiedenen Tools recherchiert werden. Dazu zählen unter anderem Quiz, Expert*innenenvideos und diverse Audioinhalte. Individuelle Erfahrungsberichte junger Jüd*innen ergänzen die vielen Fakten.
Gerüchte, welche oft die Ursprünge von festgefahrenen Stereotypen und Vorurteilen sind, werden ebenfalls in einer eigenen Rubrik thematisiert. Besonders interessant ist hier die geschichtliche Auseinandersetzung mit weitverbreiteten Gerüchten und Vorurteilen gegenüber Jüd*innen. Auch Verschwörungen und Verschwörungstheorien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle und bilden einen eigenen Themenbereich. In Verschwörungstheorien wird Antisemitismus oft verdeckt geäußert. Auf der Website wird über Begriffe und Schlagwörter aufgeklärt, die dafür benutzt werden. Ein Highlight in der Rubrik Verschwörung ist der Verschwörungsgenerator, bei dem eigene Verschwörungstheorien aufgestellt werden können und die elementaren Bestandteile einer Verschwörungstheorie erklärt werden. Hinzu kommt, dass man auch selbst in die Rolle des*der Verschwörungstheoretiker*in schlüpfen und in einem virtuellen Chat versuchen kann, andere von einer Verschwörungstheorie zu überzeugen.
Ebenfalls bieten die Themenbereiche Israel und Nazi-Vergangenheit interessante Einblicke und helfen beispielsweise, zwischen Kritik und (verstecktem) Hass zu unterscheiden und so Israel bezogenen Antisemitismus zu erkennen. In der Rubrik Jüdisches geht es um die Vielfalt jüdischen Lebens und jüdischer Kultur. Sie bietet einen positiven Gegenpol zu den negativen Stereotypen und trägt dazu bei, Klischees und Vorurteile zu durchbrechen.
Die geplante Veröffentlichung von Begleitmaterial und pädagogischen Handreichungen im Verlauf des Jahres 2024 unterstreicht die pädagogische Ausrichtung der Website. Die Materialien sollen die Möglichkeit bieten, das Thema Antisemitismus auch im schulischen Kontext zu behandeln und Schüler*innen eine vertiefte Auseinandersetzung zu ermöglichen. AN ALLEM SCHULD ist eine herausragende Initiative im Kampf gegen Antisemi-tismus. Es werden nicht nur fundierte Informationen vermittelt, sondern es wird auch zur aktiven Auseinandersetzung damit angeregt. Die interakti-ven Elemente wie Quiz, Videos, Audioaufnahmen und Erfahrungsberichte bieten nicht nur eine abwechslungsreiche Darstellung, sondern ermöglichen auch eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema.
Ausbaufähig ist sicher noch das Glossar, das bisher nur wenige Begriffe enthält. Eine Erweiterung könnte dazu beitragen, ein breiteres Verständnis für die verschiedenen Facetten von Antisemitismus zu fördern. Weiterhin wurde die FAQ-Sektion bisher noch nicht umgesetzt. Sie soll aber zeitnah ergänzt werden, um den Nutzer*innen eine umfassendere Informationsgrundlage zu bieten.
Besonders hervorzuheben ist die Einbindung praxisorientierter Ansätze. Die Rubrik Was tun gibt konkrete Handlungsempfehlungen für den Alltag, indem sie exemplarische Situationen vorstellt und den Nutzenden die Möglichkeit gibt, ihre Reaktionen zu reflektieren. Dies fördert ein proaktives Engagement gegen Antisemitismus. Durch die gelungene Kombination von inhaltlicher Tiefe, interaktiven Elementen und einer bedienfreundlichen Gestaltung erschafft das Projekt eine ansprechende Platt- form, um das Bewusstsein für Antisemitismus zu schärfen und konkrete Handlungs-impulse zu setzen.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Katharina Stengl
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Lisa Melzer: KI – und jetzt?
In einer Welt, die zunehmend von Technologie und Algorithmen geprägt wird, erleben wir eine Vielzahl von Phänomenen, die unsere Neugier wecken und unser Denken anregen. Ein Bereich, der in den letzten Jahren besonders an Bedeutung gewonnen hat, ist die Künstliche Intelligenz (KI). Die rasante Entwicklung von KI-Algorithmen und die undurchsichtigen Entscheidungsprozesse von KI-Systemen haben zu Unsicherheiten und Misstrauen in Bezug auf deren Anwendung geführt.
Dem entgegenwirken möchte der Podcast KI – und jetzt? Wie wir Künstliche Intelligenz leben wollen. Als Ko-Produktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFK) soll er das Thema KI aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und endlich Klarheit schaffen: sei es hinsichtlich technologischer Trends, Entwicklungen in Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft oder praktischer KI-Anwendungen im Alltag. Die Aufgabe, sich dem abstrakten und komplexen Thema anzunähern, übernehmen ARD-Journalistin und Moderatorin Nadia Kailouli und Aljoscha Burchardt, Forscher am DFKI, einem der weltweit größten gemeinnützigen Forschungszentren für Künst-liche Intelligenz.
Acht 30-minütige Folgen wurden seit Oktober 2023 veröffentlicht. Darin wird Zuhörenden ein Zusammenspiel aus journalistischer Exper- tise und wissenschaftlichem Know-How zum Thema KI geboten. Das Ergebnis sind spannende und gut recherchierte Folgen, die nicht nur eine fundierte Einordnung von Trends, Entwicklungen und technischen Fortschritten in dem umfangreichen und unübersichtlichen Feld der KI-Technologien bieten, sondern auch eine große Portion Unterhaltung.
Auf abwechslungsreiche, verständliche und unterhaltsame Weise zeigt der Podcast auf, wie wir als Gesellschaft KI so gestalten können, dass sie unseren Zwecken dient und an welchen Stellen kritische Haltungen ihr gegenüber durchaus begründet sind. Unterlegt werden alle Folgen mit spannenden Fallbeispielen, die aufzeigen, welche Auswirkungen KI-Tools auf Gesellschaft, Politik und Medienlandschaft langfristig nach sich ziehen können. Beleuchtet werden dabei immer sowohl Chancen und Potenziale als auch Risiken von KI – von Formen der Manipulation von Inhalten durch derartige Tools bis hin zum Einsatz intelligenter Technologien zur Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit.
Abgerundet werden die einzelnen Folgendurch interessante Gastbeiträge, die sowohl Einblicke in die Erforschung von Künstlicher Intelligenz als auch in die praktische Arbeit gewähren. Dabei kommen unterschiedliche Expert*innen zu Wort, so zum Beispiel Dr. Corina Apachiţe, Leiterin der KI-Abteilung von Contential Automotive Technologies, Lajla Fetic, Expertin für Tech Governance und Digital Policy der Bertelsmann Stiftung oder Prof. Dr. Benjamin Paaßen, Juniorprofessor für Wissensrepräsentation und Maschinelles Lernen an der Universität Bielefeld. Das Ergebnis sind spannende Diskussionen über technologische Neuheiten wie KI-generierte Influencer*innen, die zur Vermarktung von Brands wie Calvin Klein oder Prada eingesetzt werden oder intelligente Tools, die bei der Aufklärung von Verbrechen unterstützen können. Durch diese Perspektivenvielfalt bietet jede Folge Raum für unterschiedliche Standpunkte und ermöglicht es den Zuhörenden, eigene Schlussfolgerungen aus den Gesprächen zu ziehen und diese zur weiterführenden Auseinandersetzung und Reflexion zu nutzen.
Auch die absurden oder unterhaltsamen Seiten von KI-Anwendungen kommen nichtzu kurz. In der Rubrik What the KI?! geht es um verblüffende Geschichten, in denen KI menschliche Emotionen imitiert, kuriose Reiseempfehlungen gibt oder sich als lukratives Geschäftsmodell erweist. Diese Beispiele demonstrieren auf eindrückliche Weise, welche kreativen Potenziale KI-Systeme besitzen und wie diese eingesetzt werden können, um menschenähnliche Interaktionen nachzuahmen, zeitaufwändige Aufgaben zu automatisieren oder Verwaltungsprozesse zu optimieren. Gleichzeitig machen die amüsanten Geschichten darauf aufmerksam, welche ethischen oder rechtlichen Herausforderungen die Anwendung solcher Technologien mit sich bringt, ohne dabei einen belehrenden Unterton anzunehmen.
Insgesamt reflektiert der Podcast nicht nur die breiten Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz, sondern zeigt auch auf, wie diese Technologien unterschiedliche Sektoren und Berufsfelder transformieren und welche Aufgaben und Spannungsfelder sich daraus auf gesellschaft-licher Ebene ergeben, die es zukünftig noch stärker in den Blick zu nehmen gilt. Von den Grundlagen der KI-Forschung bis hin zu innovativen Anwendungen im Bildungs- und Marketingbereich bietet der Podcast facettenreiche Perspektiven, aus denen sich spannende Anregungen und Impulse für Forschung und Praxis ableiten lassen.
Beitrag aus Heft »2024/01: Kleinkinder und Medien – Zwischen Verunsicherung und Verantwortung«
Autor:
Lisa Melzer
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Katharina Stengl: Shelter - der Schwarze Schmetterling. Jugendserie nach der Romanvorlage von Harlan Coben
Prime Video (2023). Shelter – der schwarze Schmetterling. Staffel 1. Kostenlos für Mitglieder von Amazon Prime.
Shelter – Der schwarze Schmetterling ist eine neue US-Serie, die Drama-, Thriller- und Mystery-Elemente geschickt miteinander verbindet. Zugrunde liegt der Serie der 2011 veröffentlichte Roman Shelter des erfolgreichen Autors Harlan Coben, der bekannt ist für seine packenden Thriller und die Schaffung fesselnder Charaktere und Handlungsstränge. Es handelt sich um ein Spin-Off der Romane um Myron Bolitar, des Onkels von Mickey Bolitar, welcher der Protagonist in Shelter ist. Der charismatische Jaden Michael übernimmt die Hauptrolle von Mickey Bolitar, eines jungen High-School-Schülers, der sich in einem turbulenten neuen Leben in New Jersey zurechtfinden muss, nachdem sein Vater bei einem Autounfall gestorben ist. Da seine Mutter in einer Klinik ist, muss er bei seiner nervigen Tante einziehen und wird an einer neuen Schule vor einige Herausforderungen gestellt. Die Spannung lässt nicht lange auf sich warten. Denn die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, als eine mysteriöse alte Dame auftaucht und behauptet, Mickeys Vater sei gar nicht tot. In der Schule lernt der junge Bolitar die neue Schülerin Ashley Kent kennen und fühlt sich direkt mit ihr verbunden, da auch sie scheinbar Tragisches erlebt hat. Doch dann verschwindet Ashley unter rätselhaften Umständen, und Mickey ist fest entschlossen, sie zu finden. Dabei stößt er auf ein Netz aus Verschwörungen, Lügen und dunklen Geheimnissen, das die düstersten Seiten der Menschheit offenbart. Zusammen mit Mickeys neuen Freund*innen Arthur, einem fürsorglichen Jungen, der Mickey bereits am ersten Schultag unter seine Fittiche nimmt und Emma, einem etwas sonderbaren Mädchen, ist das Trio komplett. Bald schon stellt sich heraus, dass doch mehr hinter dem Autounfall von Mickeys Vater steckt, als ursprünglich gedacht. Die Rätsel führen die Freund*innen tief in dunkle Geschichten der Vergangenheit. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gruselhaus, in dem die alte Dame wohnt, Ashleys Verschwinden und dem Tod von Mickeys Vater? Und welche Rolle spielt der Schmetterling, der als mysteriöses Symbol immer wieder auftaucht? Die Serie fesselt mit ihrer Story bereits in den ersten Folgen. Die Kombination aus Drama-, Mystery- und Thriller-Elementen sorgt dafür, dass eine breite Zielgruppe angesprochen wird, die auf der Suche nach einer spannenden und emotional ansprechenden Geschichte ist. Insbesondere Jugendliche, die Fans dieser Genres sind, können sich mit den jungen Protagonist*innen gut identifizieren. Im Zentrum des Plots stehen die Stärke von Familienbanden und Freund*innenschaft, Selbstfindung sowie der Übergang zum Erwachsenwerden. Die Charaktere sind vielschichtig und gut entwickelt, und die Darstellenden, insbesondere Jaden Michael in der Hauptrolle des Mickey Bolitar, liefern beeindruckende Leistungen ab. Auch die visuelle Gestaltung und düstere Inszenierung der Serie sind hervorzuheben. Die Erwartungen an Shelter waren mit der erfolgreichen Buchvorlage hoch, und es wird interessant sein zu sehen, welche Überraschungen und Wendungen für die Zuschauer*innen in den kommenden Staffeln noch bereitgehalten werden. Im Großen und Ganzen liefert die Serie bisher genau das, was man von einer Harlan Coben Verfilmung erwartet: einen Mystery-Thriller mit einem rastlosen Plot voll unvorhersehbarer Wendungen und Überraschungen.
Beitrag aus Heft »2023/05: Streaming. Die digitale Transformation des Bewegtbildes«
Autor:
Katharina Stengl
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Rebecca Wienhold: Weite Wege, viele Spiele, volle Gänge. Ein pädagogischer (Rück-)Blick auf die Gamescom 2023
Mit rund 320.000 Besuchenden kamen auch in diesem Jahr immer noch weniger Menschen zur Computer- und Videospielemesse nach Köln als vor der Pandemie (zum Vergleich: 2019 waren es 373.000 Besucher*innen), aber 55 000 mehr als im Vorjahr. Rekordverdächtig war dafür die Anzahl der Ausstellenden: Über 1220 Stände, davon 76 Prozent aus dem Ausland, verteilten sich auf 230.000 Quadratmetern in den Hallen der Koelnmesse. Parallel zu den umfangreichen Aktivitäten vor Ort wurden viele Events per Livestream übertragen.
Eine Messe für alle oder für Nerds? Cosplay und Kommerz
In den thematisch angelegten Hallen war für alle etwas dabei: Von einer Retro Area mit alten Konsolenspielen, über eine Indie Area bis hin zu der Halle mit den großen Blockbustern. In Halle 7 wurde ein Cosplay Village eingerichtet, obwohl auf dem gesamten Messegelände Cosplayer*innen in aufwendigen Kostümen herumliefen, die sich stolz und bereitwillig fotografieren ließen. Als am Freitagmorgen um 10 Uhr die Messehalle für die Besucher*innen öffnete, konnte man eine Reihe von Menschen (eher jüngere Generation) beobachten, die zielstrebig vom Osteingang quer Richtung Westen in Halle 1 rannten: Die Social Area Halle war ein leerer Raum mit einem Essenswagen, einer Bühne und ein paar Absperrungen. In ein paar Stunden würde sie mit Fans gefüllt sein, die auf Autogramme und Fotos ‚ihrer‘ Influencer*innen hofften. Gronkh, das Gnu, Honey Puh und eine große Anzahl andere beliebter Stars aus der Gaming Branche ließen sich auch in diesem Jahr sehen. Besonders voll war die Halle beim Auftritt von Montana Black am Donnerstag, der gemeinsam mit seinem Freund Marc Gebauer Geschenke im Wert von 10.000 Euro verteilte. Nachdem sein Besuch in Vorjahr stark kritisiert wurde, lief er in diesem Jahr deutlich strukturierter ab: Seine ungenierten Rülpser nach einem Schluck seines selbst kreierten Energiedrinks waren vergleichsweise harmlos. Während es aus Sicht der Veranstaltenden sicherlich ein Gewinn ist, ist es aus pädagogischer Sicht eher fragwürdig, warum der Influencer und Streamer, der in der Vergangenheit negativ durch sein Verhalten auffiel, bei so einer Messe überhaupt eine derartige Bühne bekommt. Einige große Gaming-Anbieter waren dieses Jahr nur mit sehr kleinen oder gar keinen Ständen vertreten. Dafür waren Unternehmen dabei, die viele auf dem ersten Blick nicht mit Gaming in Verbindung brachten, wie der Streaminganbieter Netflix. Seit Ende 2021 bietet er mit Netflix Games auch Videospiele für mobile Geräte an. Auf der Messe präsentiert er aber vor allem seine Serienklassiker: Figuren aus (der medienpädagogisch vieldiskutierten) Serie Squid Game schossen T-Shirts in die Menschenmenge. Am Wednesday Stand konnten sich die Fans der beliebten Serie entsprechend schminken lassen. Und auch die erfolgreichen Serien Stranger Things und The Witcher waren mit Ständen vertreten. In der Merchandise Halle konnte alles, was das Fanherz begehrt, käuflich erworben werden – natürlich zu stolzen Preisen. Mehrere Eltern bestätigten unabhängig voneinander, dass diese Halle mit Kindern möglichst gemieden werden sollte. Doch auch ältere Besuchende gaben fleißig ihr (Taschen-)Geld für Merch-Artikel aus – oft mit dem Bewusstsein, dass sie das gleiche Produkt woanders günstiger bekommen hätten. „Es geht um das Erlebnis“ antwortete eine 17-jährige Jugendliche aus Berlin auf die Frage nach dem Warum. Zum Erlebnis gehörte auch, lange Wartezeiten auf sich nehmen – und das, obwohl die meisten Spieleneuheiten auf der Messe gar nicht spielbar waren. Bei großen kommerziellen und beliebten Spielen wie Path of Exile gehörten etwa zwei Stunden Wartezeit dazu. Wer nicht so lange warten, aber trotzdem zocken wollte,
kam in der Indie Area mit den weniger renommierten, aber dafür teilweise innovativeren Spielen schneller zum Zuge.
Und die Kleinsten...?
Offiziell dürfen Kinder ab vier Jahren die Messe besuchen und tatsächlich waren eine Menge Familien mit kleineren Kindern zu sehen. Neben einem ‚Gamescom-Kindergarten‘ mit Kinderbetreuung in Halle 10 befand sich der Family and
Friends Bereich – beides gesponsert von LEGO. Hier war die Zielgruppe vornehmlich die der jüngeren Gamer*innen. Dort gab es neben Bereichen, an denen ganz analog mit Legosteinen gebaut werden konnte, auch mehrere Nintendo-Stände, an denen von Klein und Groß Klassiker wie Super Mario oder Kirby gespielt wurden. Bei den meisten Ständen war eine minimale technische, aber keine pädagogische Betreuung vorhanden. Erstbesuchende mit geringer Gaming-Erfahrung standen daher vor der Herausforderung, im ersten Schritt die Bedienung und das Spieleprinzip zu verstehen, ohne sich
von den Wartenden unter Druck setzen zu lassen. Bei den (wenigen) ungeübten Kindern, die beobachtet werden konnten, gab es am Nintendo Switch Stand einen schönen Effekt zu beobachten: Die wartenden Nachwuchs-Gamer*innen nutzten die Zeit, um den Neulingen Tipps zur Steuerung und Spielstrategie zu geben, oder um einfach mitzufiebern. Dadurch
entstanden während der Spielzeit kurze, verbindende Momente und kleine Spielgemeinschaften von Kindern, die sich nach der Runde genauso schnell wieder auflösten. Sehr großer Beliebtheit erfreuten sich im gleichen Bereich die Let’s Dance Booths. Hier wurde mit viel Freunde und Engagement getanzt – mit und von allen Geschlechtern und Altersgruppen, unabhängig vom tänzerischen Talent. Das Vorurteil, dass diese Spiele sich überwiegend an weiblich sozialisierte Menschen richten, ließ sich hier nicht bestätigen. Eine Ausnahme hinsichtlich der pädagogischen Standbetreuung bildete der Hochschulbereich direkt nebenan. Der Andrang dort war meist überschaubar, die Betreuung durch motivierte Studierende umso umfassender. Am Stand der Hochschule Bonn Rhein-Sieg gab es gleich zwei
beeindruckende Eigenkreationen Studierender: Man konnte gegen einen Roboter Drei gewinnt (auch bekannt als TicTacToe) spielen. Wer seine Fähigkeiten als Musiker*in ausprobieren wollte, konnte sich an ein Schlagzeug setzen und
sich mit Hilfe einer VR-Brille auf die virtuelle Bühne einer Konzerthalle versetzen lassen. Das virtuelle Publikum reagierte je nach Talent mit steigerungsfähiger Begeisterung auf die spielerischen Aktivitäten an den Trommelstöcken. Wer als Medienpädagog*in auf der Suche nach Alternativen für Bitsy, Bloxels und Co war, wurde leider enttäuscht. Deutlich sichtbar war lediglich das Tool Game Maker. Die entstanden Spiele waren beeindruckend, der Erstellungsprozess ist allerdings weniger niederschwellig und eignet sich eher für ältere Kinder und Menschen mit ersten Programmierkenntnissen.
Gesellschaftliche Verantwortung: Jugendschutz, Lebensrettung und Antidiskriminierung
Auch die Gamescom muss ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, was mehrfach deutlich wurde. Beispielsweise hat die Initiative Gaming ohne Grenzen gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter Congstar einen Award für inklusive Spiele verliehen. Am Stand der Amadeu Antonio Stiftung fand ein Austausch mit Spieleentwickler*innen und anderen Interessierten zu Hass und Diversität in der Gaming Branche statt. Außerdem machte sie auf ihr Projekt Good Gaming aufmerksam, das an der Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Gaming toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys aufgreift. Schließlich gab es nur ein paar hundert Meter weiter noch den Stand von Edelgard Mobil, einer Anlaufstelle zur Beratung von Frauen* und Mädchen* nach sexuellen Übergriffen. Auch wenn es dort leider kaum Publikumsverkehr gab. „Es ist einfach gut, Präsenz zu zeigen“, sagte eine Mitarbeiterin am USK-Stand. Interessierte, vornehmlich Eltern und Bezugspersonen von Kindern, konnten sich dort zu jugendschutzrelevanten Themen informieren, Fachgesprächen lauschen und Broschüren mitnehmen. Kinder und Erwachsene konnten außerdem an einem Quiz im Stil von Wer wird Millionär teilnehmen.
Mit der USK als langjährige offizielle Partnerin der Gamescom setzt die Messe auch für den Jugendschutz ein klares Zeichen. Alle im Ausstellungsbereich offen zugänglichen Spiele und Trailer wurden vorab von der USK geprüft.
Der überwiegende Teil der Ausstellungfläche war für alle Besucher*innen frei zugänglich. Die Inhalte, die in der USK-Prüfung erst ‚ab 16‘ oder ‚ab 18‘ freigegeben wurden, waren entsprechend gekennzeichnet. In diesen Bereichen wurde der Zugang mithilfe von farbigen Altersbändchen kontrolliert. Diese konnten vorab an einer der Ausgabestellen nach Vorlage eines gültigen Lichtbildausweises für die entsprechende Altersstufe ausgegeben werden. Die Relevanz von Präsenz lässt sich sicherlich auf einige Ausstellende übertragen, deren Anwesenheit bei der Messe nicht unbedingt erwartet wurde, im Hinblick auf gesellschaftliche Verantwortung dafür umso wichtiger ist.
Wie die DKMS: Weil Gamer*innen potenzielle Stammzellenspender*innen sind, war sie wieder mit einem verhältnismäßig großen Stand dabei und wurde dabei von Figuren aus Star Wars unterstützt. Während im Bezug auf den virtuellen Jugendschutz mitgedacht wurde, wurde das physische Wohlbefinden der (jüngeren) Besucher*innen weniger berücksichtigt. Nicht nur für die Kleinsten war der Lautstärkepegel, verstärkt durch laute Musik, (E-)Sportevents und Bühnenperformances sehr hoch.
Fazit: Für Gaming-Fans ist diese Messe sicherlich Pflicht. Für diejenigen, die es werden wollen, erscheint es empfehlenswert, mit einer kompetenten Begleitung zu kommen. Das umfangreiche Angebot ist beeindruckend, kann aber auch leicht zur Überforderung werden. Daher gilt für alle: Wenn es darum geht, möglichst viel mitzunehmen, reicht ein Tag nicht aus – allein schon, weil sich ein Spaziergang durch Köln ebenfalls lohnt.
Beitrag aus Heft »2023/05: Streaming. Die digitale Transformation des Bewegtbildes«
Autor:
Rebecca Wienhold
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Kerstin Heinemann: re:publica 2023
Sommerzeit ist Festivalzeit. Aber wie lässt sich ein Festival mit einem ernsthaften Nachdenken über komplexe digitale und gesellschaftspolitische Transformationsideen verbinden? Die re:publica zeigt Jahr um Jahr, dass das geht. Unter dem plakativen Motto Cash – schließlich lässt sich selbst die beste Idee selten ohne Geld verwirklichen – fand vom 5. bis 7. Juni 2023 die 17. re:publica in Berlin statt. Auf 26 Stages und einem weitläufigen Areal wurde drei Tage lang in Kreuzberg diskutiert, gerungen, gelacht und der Atem angehalten. Die Vielfalt der Themen, die in zehn verschiedenen Tracks aufbereitet waren, beeindruckte nicht nur den*die Erstbesucher*in. Auch unter langjährigen Konferenztreuen war man sich einig, dass die Mischung gelungen war: Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Verantwortung, Technolo - gie und Wissenschaft, Medien, Arbeitswelten, Stadt und Land, Lernen und Wissen waren nur ein paar Themenfelder, die reichlich Stoff für spannende Vorträge und Diskussionen boten. So sprach die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über Cash, Gender Gap und gesellschaftliche Ungleichheiten. Dabei machte sie anhand von einschlägigen Studien eindrücklich deutlich, dass wir von einer Erwerbstätigkeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft kommen müssen. Wenn wir nicht Cash gegen Care, Care gegen Health, Väter gegen Mütter ausspielen wollen, dann brauchen wir eine Gleichstellungspolitik, die die tatsächlichen Realitäten anerkennt und ihr politisches Handeln daran ausrichtet, so Allmendinger. Gleichstellungspolitik dürfe sich dann nicht mehr primär auf Frauen beziehen, sondern müsse die Menschen an sich in den Blick nehmen. Für eine funktionierende Gesellschaft müssen Erwerb, Care-Arbeit und Ehrenamt in eine flexible Balance gebracht werden. Um Frauen als revolutionärer Stein des Anstoßes ging es auch in weiteren beeindruckenden Keynotes. Gilda Sahebi und Natalie Amiri schilderten unter dem Titel Frau, Leben, Freiheit – dem politischen Slogan der iranischen Freiheitsbewegung – eindrücklich die dramatische Lage der Menschen im Iran. Wer glaubt, es seien Proteste der Frauen, irre, machten die beiden Journalistinnen deutlich. Die Bewegung ging von Frauen aus, mittlerweile ist sie zu einer geschlechts- und milieuübergreifenden Revolution geworden, bei der nichts Geringeres als die Frage der Demokratisierung des Irans auf dem Spiel steht. Mahsa Alimardani, die als Forscherin seit mehr als zehn Jahren Fragen zu Menschenrechten, Technologie und der freien Meinungsäußerung untersucht, widmete sich im selben Themenfeld der Perspektive, wie Technologie dabei helfen kann, die Menschenrechte im Iran zu stärken und den Stimmen der Bevölkerung Gehör zu verschaffen. Mit exit RACISM.Rassismuskritisch denken lernen übernahm Tupoka Ogette das Mikrophon und gab sehr emotionale Einblicke in Lebensrealitäten, Perspektiven und Herausforderungen Schwarzer Frauen in Deutschland. Die Notwendigkeit und gleichzeitige Erschöpfung Betroffener, immer wieder vom erlittenen Alltagsrassismus zu erzählen, war im vollbesetzten Auditorium mit Händen zu greifen. People of colour in einer weißen Mehrheitsgesellschaft sind wichtige Laut-Sprecher*innen, die zeigen, dass Rassismus nur dekonstruiert werden kann, wenn er als gesamtgesellschaftliches Problem begriffen wird, das zum Handeln herausfordert. Natürlich gaben sich auf einer gesellschaftspolitischen Konferenz dieser Art auch diverse Bundesminister*innen das Mikrophon in die Hand. So durfte Volker Wissing Fragen zum aktuellen Stand der Digitalstrategie beantworten, Robert Habeck widmete sich der ökologischen Transformation, Claudia Roth entwickelte Ideen zur Kulturpolitik nach Corona und Christian Lindner musste ein Gespräch zur Finanzierung unserer Zukunft überstehen. So weit, so erwartbar – auch in den politisch vorhersehbaren Antworten. Deutlich spannender waren die politischen Gespräche abseits der großen Bühnen. Gute Tradition auf diesem Digitalfestival ist es von Anfang an, sich in einem der zahlreichen Spaces auf Augenhöhe zu begegnen und jenseits hier - archischer Unterschiede die Diskurse der Bühnen fortzusetzen. Hier wird diskutiert, gerungen und gelacht, hier werden Kontakte geknüpft, Ideen weitergesponnen und Visionen vorangetrieben. Und so beginnen nicht selten viele Mails und Textnachrichten nach der Konferenz mit den Worten „bezugnehmend auf unser Gespräch auf der re:publica …“ Zwei Specials hatte die re:publica auch in diesem Jahr wieder zu bieten: Mit dem Media Summit wurde ein inhaltlicher Bereich geschaffen, der alles rund um Bewegtbild bündelte. Hier wachsen Content Creation und gesellschaftspolitische Diskurse zusammen, denn gerade letztere kommen nicht ohne ein gutes Storytelling aus. Auf der einen Tag überlappenden Tincon stand die junge Generation im Zentrum. Bei der Konferenz für digitale Jugendkultur ging es um Interessen und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen. Und dass sie etwas zu sagen haben, machten sie auf unschlagbare Weise deutlich: In Maker - spaces, Hands-ons, Diskussionsrunden und auf Podien. Dabei waren die thematische Vielfalt, die Komplexität und Professionalität, mit der Menschen zwischen 13 und 25 Jahren ihre Themen präsentierten, hoch beeindruckend. Bleibt zu guter Letzt nur die Frage, wie man ein Digitalfestival mit 25.000 Besucher*innen und 608 Sessions im Sommer 2023 ohne ChatGPT gestalten kann? Die Antwort dürfte nicht überraschen: Gar nicht! Denn natürlich kam kaum ein Talk ohne den Bezug zu digitalen Trendthemen wie KI aus. So wichtig diese Perspektive ist, so wohltuend war es aber auch, dass die fortschreitende Digitalisierung als ein Element gesamtgesellschaftlicher Transformationsaufgaben gesehen wurde. Auf der re:publica stand die Gesellschaft im Zentrum und nicht die KI.
Viele Vorträge sind als Videomitschnitt abrufbar.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Kerstin Heinemann
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Nicole Lohfink/Axel Danielson/Maximilien Van Aertryck: Humor-Ein machtvolles Instrument, um Ernstes zu thematisieren. Ein Gespräch mit Maximilien Van Aertryck und Axel Danielson, Plattform Produktion
In ihrem neuesten Film ‚And the king said what a fantastic machine‘ setzen sich Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck mit unserer von Medien durchdrungenen Welt auseinander. Was passiert, wenn die Selbstverliebtheit der Menschheit und ein ungezügelter Markt auf 45 Milliarden Kameras treffen? Es ist eine Chronik darüber, wie in nur 200 Jahren über das erste Einfangen des Bildes eines Hinterhofs eine Multi-Millionen Content Industrie entstanden ist, sowie ein humorvolles medienpädagogisches Lehrstück.
MERZ Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Projekt über die Medienwirksamkeit von Bildern zu verwirklichen?
DANIELSON Wir alle in Plattform Produktion arbeiten eng zusammen, wie in einer Art Filmkollektiv, unser Produzent, Ruben Östlund, ist auch Regisseur (Triangle of sadness, 2022). Wir waren alle zu unterschiedlichen Zeiten auf der gleichen kleinen Filmschule in Gotheburg. Und als ich als Lehrer dort war und Max als Student, haben wir gleich entdeckt, wie ähnlich wir die Kamera nutzen. Die Kamera hat die fantastische Eigenschaft, soziale Interaktion einzufangen – wie wir uns zueinander verhalten, wie wir uns gegenüber der Kamera verhalten, und unser jeweiliger Weg, Wirklichkeit zu transportieren.
VAN AERTRYCK Wir glauben, dass die Bilder, die wir konsumieren, beeinflussen, wie wir die Welt sehen und dementsprechend auch unser Verhalten.
MERZ Die Kamera als soziale Funktion also?
VAN AERTRYCK Ja, das ist eine Passion von uns allen in der Firma, der Einfluss des fotografischen Bildes und des bewegten Bildes auf die Gesellschaft als Ganzes. MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
VAN AERTRYCK Mindestens seit zehn Jahren – es war ein Stück weit an den Aufstieg von YouTube geknüpft: Plötzlich war es möglich, kurze Filmclips herunterzuladen und wir wollten zusammen darüber diskutieren, sie unseren Freund*innen und Familien zeigen, Vorlesungen darüber halten. Uns fiel dabei auf, dass zuerst die Clips kamen, wie Menschen imitieren, was sie gesehen haben, im TV zum Beispiel.
MERZ Spätestens seit der Nutzung von Social Media für politischen Einfluss, sowie dem Anstieg von autokratischen Tendenzen ist der mediale Einfluss mehr ins Rampenlicht gerückt. War das der auschlaggebende Moment, diesen Film zu realisieren?
VAN AERTRYCK Das war mehr oder weniger vor fünf Jahren: unsere Wahrnehmung, dass die Welt mehr und mehr polarisiert ist, dass die Demokratie in der Welt tatsächlich auf dem Rückzug ist. Was in uns ein Gefühl der Dringlichkeit ausgelöst hat, war die Analyse, dass diese Tendenzen durch bestimmte Faktoren noch zugespitzt werden: Und zwar die Art und Weise, wie wir das bewegte Bild in der Gesellschaft nutzen in Verbindung mit dem fehlenden Wissen darüber, wie wir gut informiert bleiben und nicht in diese individualistischen Blasen rutschen; Blasen, die von den Algorithmen noch gefördert werden. Also sagten wir: Lass uns einen Film zu Medienkompetenz machen – aber es soll wirklich lustig und unterhaltsam sein.
MERZ Der Wunsch, Medienkompetenz zu stärken war also besonders im Fokus des Films?
DANIELSON Ja, Medienkompetenz wird zunehmend wichtiger. Zum Beispiel die Fragen, was sollte Basis-Wissen in einer Demokratie sein oder was sollten alle wissen, wenn wir nach demokratischen Prinzipien leben wollen. Wie wir dieses gemeinsame Wissen vermitteln, ist eng verwoben mit dem demokratischen System, das wir haben. Aus unserer Sicht werden dieses Bedürfnis und daraus entstehende Konsequenzen selten mitgedacht, sobald Bilder entstehen. Wir als Filmemacher haben das Interesse und praktisches Wissen darüber, daher wollten wir gewisse Konzepte auf den Tisch bringen. Zum Beispiel die Perspektive – es gibt immer eine Perspektive – und, dass man wahrscheinlich mehrere Perspektiven braucht, um umfängliches Verständnis für eine Sache zu bewirken. Es gibt immer einen Bildausschnitt – und es gibt immer etwas außerhalb eines Ausschnitts. Zum Beispiel der Clip, in dem der ISIS-Krieger ein Propaganda-Video drehen will und dabei über seinen Text stolpert – dieses Material haben wir in einem 10-Sekunden-Clip in den Nachrichten gefunden. Es war sehr kurz geschnitten, damit Zuschauer*innen darüber lachen können, wie über einen Patzer. Bei solchem Material wollten wir sofort die Quelle finden und nach sehr langer Recherche ist uns das gelungen und wir haben den 25-minütigen Original Clip gefunden.
MERZ Es gibt sehr viel Material in dem Film, das nicht einfach zu finden gewesen sein kann. Wie seid ihr vorgegangen, wie habt ihr zum Beispiel dieses Material recherchiert?
VAN AERTRYCK Das ist ähnlich wie beim Filmdreh. Wir fühlen uns wie Jäger, die nach dem perfekten Moment suchen, den wir einfangen oder der schon eingefangen wurde. Daher suchen wir immer nach dem Rohmaterial, meistens über sehr viele Netzwerke und über Gespräche mit vielen Menschen. In diesem Beispiel fanden wir einen amerikanischen Forscher, der eine ganze Datenbank mit Terroristen-Videos hatte. Hintergrund des ISIS-Videos ist, dass der Clip im Jemen gedreht wurde. Im Jemen sind ISIS und Al Quaida stark verfeindet. Al Quaida hat ein ISIS-Camp überfallen, einen ganzen Haufen Festplatten von den geflohenen ISIS-Soldaten gefunden und da war dieses Rohmaterial drauf. Dann hat Al Quaida das Material ins Internet hochgeladen, um die ISIS-Soldaten zu diskreditieren. Das alles ist geradezu absurd, aber es fängt auch die gesamte Schönheit und die tragisch-komischen Aspekte des Lebens ein. Wenn du etwas in einem anderen Rhythmus ansiehst, als in Schlagzeilen oder in einem TikTok-Rhythmus, in das so vieles heutzutage gepresst wird, dann erhältst du eine ganz andere Deutung davon, was sich vor der Kamera abspielt. Das ist das Schöne, das Publikum tatsächlich über die Komplexität des Lebens und der menschlichen Natur nachdenken zu lassen. Indem wir gegen die Art und Weise angehen, in der so vieles in den Massenmedien dargestellt wird, fördern wir Medienkompetenz.
MERZ Wie war eure Perspektive auf den Gestaltungsprozess für so viel unterschiedlichen Inhalt?
DANIELSON Natürlich ist es ein Ziel, ein Projekt künstlerisch auf hohem Niveau zu gestalten – es wird eine Komposition, erhält eine Dramaturgie. Dabei wollten wir unbedingt Humor als wichtiges Stilmittel einsetzen. Wenn man ernste Dinge thematisiert, ist Humor ein machtvolles Instrument. Der humanistische Blickwinkel war ebenso wichtig: Wir wollten die Menschen nicht vom gezeigten Verhalten entfremden und sagen „diese Leute verhalten sich falsch“, sondern realistischer sein. Wir sind alle Teil eines stark wirtschaftlich ausgerichteten Systems, indem unser Verhalten sehr intensiv von Algorithmen getrieben wird – sowohl, wie wir sie gestalten, als auch wie wir sie konsumieren. Und natürlich wollten wir auf lange Sicht mit dem Film darauf aufmerksam machen, dass dieses Instrument Kamera so mächtig ist, dass wir nicht glauben, die Ethik im Umgang damit kann nur von fünf großen Konzernen entschieden werden. Es ist mehr eine Frage für die Bürger*innen.
MERZ Ihr habt euch dafür entschieden, diesen Film für den Kinosaal zu kreieren. Warum dieses Format?
DANIELSON Der Kinosaal ist ein großartiger Platz für uns Bürger*innen, um fotografische Bilder und die Reaktionen darauf gemeinsam zu erleben. Diese Bilder werden produziert und verbreitet mit der Absicht, dass sie individuell konsumiert werden. Von Anfang an wollten wir diese Bilder auf eine große Leinwand in einem Raum bringen, um eine gemeinsame Sprache dafür zu entwickeln, was wir sehen. Was bedeuten diese Bilder? Darauf haben wir keine Antwort, aber wir wollen sie nutzen, um eine Diskussion über die Antworten anzuregen.
VAN AERTRYCK Es gibt einen Unterschied, ob du Bilder auf deinem Smartphone oder im Kino konsumierst, und das hat nicht nur mit großer Leinwand und gutem Sound zu tun. Es geht um die gemeinsame Erfahrung. Der Raum und der große Bildschirm sind Teil der Erfahrung. Es ist zusätzlich auch unsere Wertschätzung gegenüber diesem Raum, den wir lieben, und ein Vorschlag dazu, was wir denken, das dort gezeigt werden sollte.
MERZ Was wollt ihr bei euren Zuschauer*innen bewirken?
DANIELSON Reflexion – wir wollen kritisches Denken inspirieren; nicht das kritische Denken, das zu Dogmen führt oder zur Verbannung von Medien. Wir glauben an Bildung, Erziehung und an Inspiration. Wenn wir diese polarisierte Welt ändern wollen, diese Welt von richtig oder falsch, wahr oder unwahr, dann benötigen wir mehr Wissen darüber, wie jedes Bild entsteht. Wir wissen aus Erfahrung, dass jeder Mensch Anteile von Gut und Böse in sich trägt, aber bei Bildern tendieren wir zu einer radikalen Idee von Wahrheit über die Welt. Wir wollen auf humorvolle Weise das Bewusstsein darüber erweitern.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Nicole Lohfink,
Axel Danielson,
Maximilien Van Aertryck
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Katharina Stengl: The Legend of Zelda
Nintendo (2023). The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Game für die Nintendo Switch. 69,99 €.
Nach The Legend of Zelda: Breath of the Wild geht das Abenteuer von Prinzessin Zelda und dem Helden Link nun weiter. Die Geschichte beginnt in einem alten Gewölbe unter dem Schloss Hyrule. Bei seiner Erkundung finden die beiden Protagonist*innen Überbleibsel einer antiken, technologischen Zivilisation, den sogenannten Sonau. Als Prinzessin Zelda und Link jedoch tiefer in den Untergrund vordringen, erwartet sie eine böse Überraschung. Die Mumie des Dämonenkönigs Ganondorf ist zu neuem Leben erwacht. Bei dem Versuch Prinzessin Zelda zu beschützen, wird Links rechter Arm durch eine giftige Substanz namens Miasma schwer verletzt und selbst das Master-Schwert kann dem Bösen nicht standhalten. Es wird zerstört. Eine ungeheure Macht lässt Schloss Hyrule in den Himmel schweben und die Held*innen Link und Zelda stürzen in die Tiefe. Das Abenteuer startet, als Link allein auf einer der zahlreichen Himmelsinseln erwacht. Er wurde von einem alten Geist der Sonau, welcher den Namen Rauru trägt, gerettet. Jener Geist hilft den Spielenden im Tutorial auf der gefährlichen Reise durch die Himmelsinseln, gibt Ratschläge und navigiert durch die Welt. Auf der Suche nach der verschwundenen Prinzessin und der Wahrheit, die hinter dem katastrophalen Ereignis steckt und das Königreich ins Chaos stürzte, ist es den Spielenden selbst überlassen, ihren eigenen Weg durch die weitläufigen Landschaften Hyrules und über die geheimnisvollen Himmelsinseln zu finden. Es handelt sich demnach um ein Spiel aus dem Genre Open-World-Action-Adventure. Die bunte, detailreiche Grafik und insbesondere die atmosphärischen Soundeffekte tragen dazu bei, dass Spieler*innen vollständig in die Welt von Zelda und Link eintauchen können. In einem circa zweistündigen Tutorial werden die Steuerung und Spielmechanismen einfach erklärt. Auf der Reise begegnet man dann den Dienerkonstrukten der Sonau, welche den Spielenden nützliches Wissen über erlernbare Fähigkeiten und Kenntnisse, wie beispielsweise das Holzhacken, Jagen und Kochen vermitteln. Allgemein dreht sich das Gameplay stark um die Nutzung spezieller Fähigkeiten, welche in uralten Schreinen freigeschaltet werden können. Dazu zählt zum Beispiel die neue Ultrahand- sowie die Synthese-Fähigkeit, mithilfe derer eigenständig Waffen, Flöße oder andere Fahrzeuge gecraftet werden können. Neben einem großen Anteil an Abenteuerlust werden nun auch Erfindungsmut und Kreativität gefordert und auch belohnt. Dies spiegelt sich zum Beispiel in den Kampfszenen wider. Je ausgefallener die Waffen, umso mehr Schaden kann verursacht werden. Es lohnt sich verschiedene Synthesekombinationen von Gegenständen und Waffen zu erforschen. Doch Vorsicht, die Waffen können kaputt gehen. Man sollte stets darauf achten, genügend Materialien bei den Bosskämpfen mit sich zu führen. Auch die Bedeutung von Medizin und Essen sollte nicht unterschätzt werden. Mit einer überschaubaren Spielzeit von 35 Stunden für das Vollenden der Hauptstory hat das Spiel eine angenehme Länge. Für diejenigen, die jeden Winkel der fantastischen Welt erkunden, alle Geheimnisse lüften und Nebenquests lösen wollen, sind ca. 150 Spielstunden1 realistisch, um die 100 Prozent zu erreichen. Bei The Legend of Zelda: Tears of the kingdom handelt es sich um ein Spiel, welches sowohl für geübte Gamer*innen als auch Anfänger*innen geeignet ist. Das lange Tutorial erlaubt es Anfänger*innen und jüngeren Spieler*innen sich im eigenen Tempo an die Steuerung und das Gameplay zu gewöhnen, während erfahrene Spieler*innen bereits zu Beginn die ersten Bosse herausfordern können. Insgesamt ist Nintendo mit The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom ein hervorragendes Spiel und gebührender Nachfolger von The Legend of Zelda: Breath of the Wild gelungen. Das Spiel hält sowohl stundenlange Unterhaltung, also auch Abenteuer mit teils kniffligen Rätseln und Craftingelementen bereit. Gerade diese Vielfalt macht das Spiel zu einem besonderen Erlebnis. Die zahlreichen Rätsel fördern wichtige Fähigkeiten wie strategisches Denken, Problemlösung und Kreativität. Die Spielenden tauchen ein in eine Welt der Geheimnisse. Daher eignet sich das Spiel besonders für Entdeckerfreund*innen, Abenteuerlustige und Personen mit einer gesunden Portion an Neugier und Erfindungsdrang.
1 Zelda: Tears of the Kingdom – Spielzeit für jeden Spielstil - CHIP
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Katharina Stengl
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Kati Struckmeyer: Trauer und Turnschuh. Ein Podcast zur deutschen Erinnerungskultur
S. Fischer Verlag (2023). Trauer & Turnschuh. Podcast, kostenfrei, diverse Podcast-Plattformen
Die „emotionale Afterhour der Vergangenheit“, so nennen Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek im Trailer ihren Podcast Trauer und Turnschuh, in dem sie einmal im Monat darüber reden, was ihrer Meinung nach aus unserer Vergangenheit vergessen und verdrängt wurde, und was das mit unserer Gesellschaft macht. Sowohl Haruna-Oelker also auch Czollek sind Bestsellerautor*innen. Czollek brachte 2018 mit Desintegriert euch! eine Streitschrift heraus, die große Beachtung fand und viel diskutiert wurde. Haruna-Oelker zeichnet für Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken verantwortlich, das 2022 erschienen ist. In Trauer und Turnschuh reden die beiden über das Erinnern, vor allem aber auch über das Vergessen, nämlich das Vergessen der Geschichten, die nicht erzählt werden, weil sie nicht in die deutsche Erinnerungskultur ‚passen‘. Damit das Thema nicht zu schwer erscheint, reden Czollek und Haruna-Oelker sehr locker und meist leicht zugänglich darüber – dafür steht auch der Turnschuh im Titel. In der ersten Folge wird zu Beginn der sprachliche Unterschied zwischen Vergangenheit, Geschichte und Erinnerung ausdifferenziert, der eine der Grundlagen des Podcasts ist. Vergangenheit wird von Haruna-Oelker und Czollek als die Masse der Dinge, die passiert sind, verstanden. Geschichte wiederum als das, was wir davon auswählen und erzählen, verbunden mit einer bestimmten Dramaturgie. Erinnern schließlich ist sehr individuell und wird gleichzeitig gesellschaftlich verhandelt. Die beiden Podcast-Hosts machen es sich zur Aufgabe, das Erinnern ‚zu stören‘, indem sie den Fokus vor allem auf die Leerstellen des Erinnerns richten, und finden in weiteren Folgen verschiedene Antworten darauf, warum das Erinnern so wichtig ist.
Nachdem in der ersten Folge verschiedene Schlaglichter auf ganz unterschiedliche Themen und Begriffe gesetzt wurden, geht es in der zweiten Folge sehr konkret um das Sterben von Täter*innen. Der mediale Fokus liege immer auf den Opfern, so dass Haruna-Oelker und Czollek versuchen, die dadurch entstehende Lücke zu schließen, und die Frage der Täter*innen und ihrer Bestrafung zu beleuchten. Sie sehen in der Erzählung der Opfer eine Ersatzerzählung, die etabliert wurde, um die ausbleibende Strafe der Täter*innen nicht thematisieren zu müssen. Dazu befragen sie den Juristen und Philosophen Achim Dörfer, der die juristische Perspektive der Gerechtigkeit einbringt. Folge 3 und 4 widmen sich den Spezifika der ost- bzw. westdeutschen Erinnerungskultur. Dabei wird zum Beispiel auf den kommunistischen Widerstand und die DDR-Migrationsgesellschaft sowie bürgerlich-mittige Kulissen, postnationalsozialistische Befindlichkeiten und postmigrantische Aufbrüche in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. In Folge 5 widmen sich Haruna-Oelker und Czollek dem Kolonialismus und der Erinnerung daran. Sie wollen ein größeres Bild als allgemein üblich zeichnen, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Vorkapitel des Kolonialismus verbinden. An der Neuperspektivierung dieser Zusammenhänge wirkt die Historikerin Manuela Bauche mit. In Folge 6 mit dem Titel Was lernst du da? Unterricht und Gegenwartsbewältigung geht es darum, wie die bisher diskutierten Themen an Heranwachsende vermittelt werden können. Mit der Politikwissenschaftlerin und Gymnasiallehrerin Michal Schwartze sprechen Haruna-Oelker und Czollek über antisemitismus- und rassismuskritischen Lernstoff und Leerstellen dazu im Curriculum. Weiter diskutieren sie, was nötig ist, um Geschichte zu vermitteln und wie dabei kein rassistisches oder antisemitisches Framing reproduziert wird. Ein komplexes Thema, aus dem die Hörenden viel Wissen und neue Perspektiven gewinnen können. Hervorzuheben sind auch die Shownotes der jeweiligen Folgen. Wer sich weiter belesen, Wissen vertiefen und zusätzliche Perspektiven gewinnen möchte, findet hier viele Inspirationen. Haruna-Oelker und Czollek haben die Mission, mit ihrem Podcast viele Menschen zu erreichen, und wollen deshalb nicht elitär in der Sprache sein. Das gelingt leider nicht immer. Trotzdem ist der Podcast sehr hörenswert und man kann gespannt sein, welche Themen noch behandelt werden.
Trauer & Turnschuh ist Teil der Initiative Wissen Erinnern Fragen1 der S. Fischer Verlage.
Beitrag aus Heft »2023/04: Ökonomie und Medien. Entwicklungen - Zusammenhänge - Herausforderungen«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Kati Struckmeyer: Nachrichten im Showformat. Deutschland 3000 – Die Woche mit Eva Schulz
Südwestrundfunk (2023). Deutschland 3000 - Die Woche mit Eva Schulz. Fernsehsendung, kostenfrei, ARD Mediathek.
„Hallo, das ist Deutschland 3000 und ich bin Eva Schulz. Unser Ziel ist, dass ihr nach der Sendung ein Stückchen schlauer seid, und vor allem, dass ihr euch besser ́ne eigene Meinung bilden könnt.“ So beginnt jeden Donnerstag die Sendung in der ARD Mediathek. Gastgeberin ist Journalistin und Podcasterin Eva Schulz, die jeweils mit zwei sehr gut informierten und vor allem meinungsstarken Gäst*innen Nachrichten der vergangenen Woche reflektiert. Ausführliche Recherchen, gute Fragen und teilweise ungewöhnliche Perspektiven sollen vor allem jüngere Zuschauer*innen erreichen und sie dabei unterstützen, sich in Zeiten von Polarisierung und Polemisierung eine fundierte eigene Meinung zu bilden.
So weit, so ambitioniert. Gleich in der ersten Sendung wartet Schulz mit zwei hochkarätigen Gäst*innen auf: Aline Abboud, Journalistin und Moderatorin, sowie Michel Abdollahi, Journalist und Entertainer. Die drei Themen, die vor Live-Publikum diskutiert und reflektiert werden, sind die Proteste im Iran, die Oscars für Im Westen nichts Neues sowie die deutsche Waffengesetzgebung. Jedem Thema sind ungefähr zehn Minuten vorbehalten. Drei Nachrichten für eine Woche – da stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden. Vor allem die iranischen Proteste geraten medial gerade etwas in den Hintergrund. Schulz und ihre Gäst*innen diskutieren deshalb unter anderem, wie wichtig es ist, bestimmte Nachrichten immer wieder in den Scheinwerfer zu holen, und welche Verantwortung Journalist*innen hierbei zukommt. Abboud und Abdollahi diskutieren nicht nur aus ihrer journalistischen Warte heraus, sondern lassen auch ihre persönliche Perspektive – mit Wurzeln im Libanon bzw. im Iran – einfließen. Dementsprechend wird die Diskussion auch emotional – teils berührend, teils aufbrausend, teils lustig.
Auch in den Folgesendungen schafft es Schulz, spannende Gäst*innen zu gewinnen, und eine gelungene Mischung aus Information, Diskussion und Unterhaltung zu bieten. Die Gäst*innen sind meist durch Fernsehen, Streaming oder Soziale Medien bekannt und sorgen für fundierte, abwechslungsreich präsentierte Informationen und Diskussionsbeiträge. Manchmal führt die Diskussion aktueller Themen auch zu grundsätzlichen Diskussionen. So diskutiert Schultz gemeinsam mit Ariana Baborie, Moderatorin und Podcasterin, und Hubertus Koch, Journalist und Filmemacher, in einer Sendung anhand der aktuell durchgeführten Streiks in Deutschland: „Sind Gewerkschaften noch sexy?“. Mit solchen Fragestellungen wird versucht, das Interesse junger Leute zu wecken – auch bei Themen, die jener Zielgruppe teilweise eher fremd oder angestaubt erscheinen. Mit Journalistin und Podcasterin Yasmine M’Barek und Autor und Journalist Friedemann Karig bekommen neben dem Streit in der Ampelkoalition sowie der Reichsbürger*innen-Problematik auch Themen wie Fußball und die Gästeliste der Met-Gala eine Bühne.
Insgesamt ist die Varianz bei Deutschland 3000 – die Woche mit Eva Schulz wirklich groß und dürfte viele junge (und natürlich auch ältere) Zuschauer*innen ansprechen. Abwechslungsreich sind zudem verschiedene Spiele, die im Laufe der Sendungen dazukommen. So müssen die Gäst*innen zum Beispiel schätzen, in welchem Bundesland es die meisten Reichsbürger*innen gibt, oder anhand von Twitter-Zitaten erraten, wer zuletzt aus welcher Redaktion oder von welcher Gäst*innenliste geflogen ist. Zusätzlich werden Videoumfragen in der Bevölkerung als auflockerndes Element eingespielt. Bei den Umfragen wird offensichtlich sehr darauf geachtet, eine große Bandbreite der Bevölkerung abzubilden, was (leider) immer noch nicht selbstverständlich für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ist. Auch der Look der Sendung ist zeitgemäß – Kameraführung, Beleuchtung, Bühnenbild –, alles ist auf ein junges Publikum und dessen Sehgewohnheiten ausrichtet. Denn gerade diese Zielgruppe ist momentan oft verunsichert von Falschnachrichten und hat das Vertrauen in die Medien teilweise verloren. Zu arbeiten wäre manchmal noch an einer einfacheren Sprache in der Sendung, um die Zielgruppe besser zu erreichen.
Zu wünschen wäre Deutschland 3000 nicht nur durchschlagender Erfolg in der Mediathek, sondern auch ein prominenter Platz im linearen Fernsehen. Das könnte ein wichtiger Schritt sein, um das jüngere Publikum nicht völlig daraus zu verlieren.
Lisa Melzer: Serious Game auf den Spuren der Klimaforschung
Südwestrundfunk (2023). Die große Klima-Challenge – Reise zu den Hotspots der Klimaforschung. Bildungssoftware, Serious Game, kostenfrei, www.planet-schule.de/mm/klima-challenge
Der Klimawandel schreitet täglich voran, drängt zum Handeln und könnte in wenigen Jahrzehnten viele Regionen auf diesem Planeten für uns unbewohnbar machen. Vor allem junge Menschen auf der ganzen Welt engagieren sich gegen die globale Erwärmung und setzen sich intensiv mit der drohenden Klimakatastrophe auseinander. Daraus ergibt sich für pädagogische Fachkräfte der Auftrag, junge Menschen darauf vorzubereiten, was sie erwartet und sie zu befähigen, an der Entwicklung von Zukunftsstrategien zur Bearbeitung dieser komplexen Problemlagen mitzuwirken.
Gemeinsam mit Autorin Susanne Blech und Redakteur*innen des SWR bringt Planet Schule mit der interaktiven Klima-Challenge ein Lernspiel heraus, welches Schüler*innen auf eine spannende Reise zu vier Hotspots der Klimaforschung mitnimmt – darunter etwa das Mauna Loa Observatory auf Hawaii oder die Neumayer-Station in der Antarktis. Insgesamt werden Spieler*innen 16 Lerneinheiten geboten, die auf unterschiedliche Art und Weise komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse aufbereiten und Wissen zu komplexen Zusammenhängen des Klimawandels vermitteln. Wurden alle Aufgaben erfolgreich gemeistert, erhalten Spieler*innen am Ende die ‚Lizenz zum Mitreden‘, die es ihnen ermöglichen soll, sich als kompetente und kritische Diskussionspartner*innen im Kontext der Klimadiskussion zu verstehen.
Begleitet werden die Reisen von renommierten Wissenschaftler*innen wie Dr. Stefanie Arndt (Antarktis) oder Aidan Colton (Hawaii), welche das Spielgeschehen kommentieren, die Spieler*innen durch die einzelnen Aufgaben führen und sie durch Rückmeldungen bei der Lösungsfindung unterstützen. Die Spieler*innen können über einen Chat direkt mit den Wissenschaftler*innen interagieren, wodurch die Wirkungsweise von Spielentscheidungen visuell erlebbar wird. Verstärkt wird dies durch die grafische Gestaltung des Spiels: Im Stil einer Graphic Novel werden 3D-Szenen und 2D-Illustrationen miteinander verbunden, um eine eindrucksvolle Welt zu erzeugen, welche die Spieler*innen vollständig in das virtuelle Lernabenteuer eintauchen lässt. Das atmosphärische Design trägt wesentlich dazu bei, visuell die Weite und Einsamkeit der einzelnen Spiellocations zu betonen. Das interaktive Lernabenteuer soll nicht nur bereits informierte oder engagierte Spieler*innen ansprechen, sondern auch diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die Dringlichkeit einer klimaschonenden Lebensweise noch nicht verspüren und durch das Spielerlebnis erste Anregungen zur Auseinandersetzung mit der Thematik erhalten können.
Insgesamt eignet sich das Spiel sowohl für den Einsatz in schulischen als auch außerschulischen Lernumgebungen, da es pädagogischen Fachkräften vielfältige inhaltliche Anregungen zur Besprechung und Diskussion von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimathematik an die Hand gibt. So können Schüler*innen im Rahmen der spielerisch aufbereiteten Übungen Wasserproben entnehmen, Bohrkerne aus der antarktischen Eislandschaft entfernen oder Solarsegel reparieren, um die Stromversorgung im Weltraum wiederherzustellen. Die Inhalte können dabei als Unterstützung dienen, um komplexe und abstrakte Themen wie Klima- und Umweltschutz für Lernende greifbar zu machen – etwa mithilfe von Rätseln oder Erklärvideos, die zum Nachdenken, Diskutieren und Reflektieren anregen. Somit kann das Spiel Lehrkräfte dabei unterstützen, gemeinsam mit Schüler*innen digitale Werkzeuge zu erforschen und diese im Rahmen des Unterrichts zur Vermittlung von Kompetenzen für ein nachhaltiges Denken und Handeln einzubinden.
Mithilfe des liebevollen Designs und der interaktiven Gestaltung wird eine Atmosphäre erzeugt, die Spieler*innen das Gefühl gibt, in die Rolle von Klimaforschenden einzutauchen. Das Lernspiel leistet einen wichtigen Beitrag, um Lernende für gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen zu wappnen, die ihnen in der Zukunft bevorstehen und ihnen notwendige Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung zu vermitteln. Das Lernspiel eignet sich vor allem für den Einsatz im Unterricht, aber auch für außerschulische Bildungssettings, um das Interesse und Engagement von jungen Menschen für klimawissenschaftliche Fragestellungen und Lösungsansätze zu fördern und ein Bewusstsein für bestehende Handlungsbedarfe im Hinblick auf Auswirkungen und Folgewirkungen des Klimawandels herzustellen. Schulische und außerschulische BNE-Aktivitäten1 und Angebote können allerdings nicht durch Serious Games ersetzt werden, sondern sollten nur ergänzend zur Vertiefung oder Reflektion des Gelernten herangezogen werden. Das Lernspiel entstand in Zusammenarbeit mit den für Bildung zuständigen Ministerien der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland.
1BNE: Bildung für nachhaltige Entwicklung
Nicole Lohfink/Markus Achatz: Filmfestival inmitten gesellschaftlicher Krisen - Berlinale 2023
Nach zwei coronabedingt veränderten Jahren wollten die Internationalen Filmfestspiele in Berlin wieder durchstarten und mit dem Motto ‚Let’s get together‘ zu alter bzw. neuer Form finden. Filmteams reisten aus aller Welt an und waren bei den Premieren anwesend. Besonders politisch wollte die Leitung unter Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian deutliche Zeichen setzen und insbesondere die Kunst – und den Film als Mittel der Kunst – in ihrer gesellschaftlich wichtigen Rolle hervorheben. Politische Krisen spiegelten sich sowohl in der Eröffnung als auch im Programm der Sektionen wider: beginnend mit dem Krieg in der Ukraine, über die schwierige Situation im Iran, bis hin zum Schicksal der Kurd*innen und der Belagerung von Sarajewo im Balkankrieg der 1990er-Jahre. Das aktuelle Zeitgeschehen kam bereits zum Festivalauftakt mit einer Live-Video-Zuschaltung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi direkt in die Kinosäle. Kriegsgeschehen und gesellschaftliche Umbrüche sowie grundlegende gesellschaftliche Fragen dominierten das Festival. Das Angebot zeigte vielfach Widersprüchlichkeiten, Brüche und harte Realitäten auf. Geradezu als ‚Gegenbilder‘ zum Gewohnten waren einige Filme eine Demonstration von Sprachlosigkeit, indem sie Botschaften mal gänzlich und mal in Passagen ohne Worte transportierten.
SPRACHLOSIGKEIT ALS MITTEL DER KOMMUNIKATION
Survival of Kindness von Rolf de Heer
„Nach dem Verlust der Vernunft kommt das Überleben der Freundlichkeit“ titelt der Film aus dem BERLINALE WETTBEWERB. Stille und Sprache als etwas Befremdliches dominieren hier. Eine absurd anmutende Welt, in der gesprochene Worte nicht verständlich, Geräusche jedoch wichtige Orientierungspunkte für das Überleben sind und ganz offenkundig Feindschaft vorherrscht. Die Protagonistin beginnt ihre Reise in Gefangenschaft und das Publikum folgt ihr bei ihrem Ringen um Freiheit auf ihrem Weg zurück in ihre Heimat, zu einer Zukunft, in der die Freundlichkeit noch existiert. In langen, intensiven Bildern durchwandert die Figur dabei die Umgebung, erlebt kurze zwischenmenschliche Begegnungen, entwickelt Achtsamkeit und Überlebenskunst. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, ihre Hautfarbe ist der Verräter und kann nur mit Schminke und einer Gasmaske oberflächlich verborgen werden. Nur kurz erleben die Zuschauenden mit ihr so etwas wie eine Idylle, wenn sie etwa inmitten unberührter Natur an einem See sitzend ihr Gesicht in die Sonne hält. Das Ziel entpuppt sich als eine in eine Industrie-Wüste verwandelte Stadt in Feindeshand, die Heimat ist verloren und symbolisch verbrennt die Protagonistin eine Spielzeug-Flagge – ein Abschied. Erneut entkommt sie und macht sich auf den Weg. Nur einmal im Film kommt es zu einem echten Austausch von Worten zwischen der Protagonistin und einem anderen Mädchen. Beide sprechen unterschiedliche Sprachen, es gibt keine Untertitel für die Zuschauenden; somit sitzen alle im gleichen Boot. Es wird in dieser Szene deutlich, dass es auch ein Verständnis über Worte hinaus gibt. Der Rückweg der Protagonistin wird nicht mehr von steter Wachsamkeit überschattet. Am Ende sind es die unerfüllten Sehnsüchte und Vorstellungen, die das Geschehen steuern und noch ein letztes Mal Widerstand leisten. Survival of Kindness ist ein bildgewaltiger Film, der durch die Kameraführung und den Umgang mit Audio eine magnetisierende Dystopie entwirft und gleichzeitig den Fokus auf das Ungesagte und dessen ungeahnte Möglichkeiten lenkt.
Im toten Winkel von Ayşe Polat
Der Film der kurdisch-deutschen Regisseurin Ayşe Polat (aus dem Nebenwettbewerb ENCOUNTERS) macht die sechsjährige Melek, die kaum spricht, deren Blick aber durch Mark und Bein geht, zu einer Schlüsselfigur einer Geschichte über Schicksal und Traumata kurdischer Familien in der Türkei. Im Thrillerformat erzeugt Polat mehrere filmische Ebenen: zum einen als Actionkrimi zwischen wütenden Attentaten, geheimnisvollen Überwachungen und Mystery-Elementen. Melek scheint hellseherische Fähigkeiten zu besitzen und weiß Dinge, die sie mit ihren sechs Jahren eigentlich nicht wissen kann. Zum anderen der Film-im-Film durch das Drehen einer Dokumentation der deutschen Filmemacherin Simone im Nordosten der Türkei. Drittens das Doku-Material, das Portrait der kurdischen Frau Hatice, die ihren Sohn verloren hat. Seit dieser vor rund 25 Jahren nicht mehr nach Hause gekommen ist, kocht Hatice jeden Freitag eine Suppe für ihn und verteilt sie im Dorf. Die Schaffung ‚imaginärer Denkmäler‘ ist der Antrieb für Simones Dokumentation und basiert gleichzeitig auf der wahren Begebenheit, dass insbesondere in den 1990er-Jahren eine Vielzahl an jungen Kurd*innen spurlos verschwand. Bis heute demonstrieren die sogenannten ‚Samstagsmütter‘ in Istanbul, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Mit komplexen Perspektivwechseln zwischen den Fronten, geisterhaften Szenarien und nüchternen Überwachungsaufnahmen im ‚Blickwechsel‘ mit Melek, die als einzige die Kameras schon längst entdeckt hat, ist Ayşe Polat ein raffinierter Film gelungen. Sie schildert die Paranoia von Überwachung und Verfolgung und präsentiert gleichzeitig ein authentisches Sozialdrama.
VERLUST UND MEER
Sica von Carla Subirana
Die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion interessiert auch die spanische Regisseurin Carla Subirana. Ihr Spielfilm Sica (Weltpremiere bei GENERATION 14plus) wurde an der Küste Galiciens mit Lai*innen aus der Region gedreht. Die 14-jährige Sica hat ihren Vater verloren, der mit einer Fischer-Crew im Meer ertrunken ist. Ständig sucht sie das Meeresufer nach ihm ab. Es heißt, es blieben sieben Tage, bis das Meer seine Opfer zurückbringe. Wenn sie bis dahin nicht kämen, tot oder lebendig, behalte das Meer sie für immer. Nach dem tragischen Ereignis muss Sica sich im Ort auf neue Art behaupten und ein schwerer Zyklon steht bevor. Die Story bewegt sich zwischen der Naturgewalt der Costa del Morte und dem Mikrokosmos eines ärmlichen Fischerdorfs. Ein ruhiger, teils poetischer Film mit beeindruckenden Hauptdarstellerinnen (Sica und ihre Mutter), der streckenweise die zwischenmenschlichen Beziehungen Sicas tiefer hätte inszenieren können.
Zeevonk von Domien Huyghe
Die Symbolhaftigkeit des Meeres durchzieht auch Zeevonk (Meeresleuchten), den Eröffnungsfilm und ein Highlight im GENERATION Programmsegment Kplus des belgischen Filme-
machers Domien Huyghe. Auch hier ist ein Fischerboot auf dem Meer verschollen und die 12-jährige Lena und ihre beste Freundin Kaz haben ihre Väter darin verloren. In den ersten
Minuten werden Lenas unbeschwerte Kindheit und ihre Liebe zum Meer und zu ihrem Vater eingeführt, ehe in einem jähen Szenenwechsel die Trauerfeier auf See den tragischen Tod der Seeleute ins Zentrum rückt. Lena sieht einen riesigen schwarzen Schatten unter dem Boot tauchen und ist überzeugt, dass ein Seeungeheuer für den Tod des Vaters verantwortlich ist. Auf dem Grat zwischen Kindheit und Erwachsenwerden erscheint Lena die mystische Variante des Monsters greifbarer, als den realen Tod des Vaters zu akzeptieren. Der Film konzentriert sich stark auf die Hauptprotagonistin, die beinahe wie im Wahn an der Idee der bösen Kreatur festhält. In diesem Sinne wird Zeevonk zu einer Fabel. Lenas Handeln wird egozentrischer und ungerecht gegenüber anderen, die ebenfalls mit Trauer und Verlust umgehen müssen. Dabei behält die Inszenierung Lenas Mutter, Geschwister sowie auch die beste Freundin Kaz und deren Familie immer im Auge. Das Meer in seiner Symbolik bleibt die unergründliche Konstante: mächtig, unbezähmbar, aber auch Lebensgrundlage der Fischerfamilien. Das Drehbuch haben Regisseur Domien Huyghe und seine Schwester Wendy gemeinsam geschrieben und den Verlust des eigenen Vaters in jungen Jahren autobiographisch einfließen lassen. Zeevonk ist ein eindrücklicher Jugendfilm, der verstärkt wird durch die schauspielerische Leistung von Saar Rogiers (Lena), den Soundtrack und die tolle Kameraarbeit von Anton Mertens.
TRAUERBEWÄLTIGUNG UND SINNSUCHE
Samsara von Lois Patiño
Der Abschied von geliebten Menschen, das Leben nach dem Tod, was passiert mit der Seele des Menschen ... In Samsara sind diese Fragen zentral und das Publikum darf das Sterben und die Wiedergeburt auf ungewöhnliche Weise begleiten. Eine alte Frau bereitet sich auf ihren Tod vor und ein Junge liest ihr gemäß eines Ritus’ aus einem Buch mit buddhistischen Lehren vor. In Gesprächen zwischen den beiden erfahren die Zusehenden etwas über den buddhistischen Übertritt, wie er in Laos verstanden wird; über den Weg sowie über die Wünsche der alten Frau für ihre Wiedergeburt. Als es soweit ist, kommt der Übertritt und für die Kinobesucher*innen ist es eine ungewöhnliche, experimentelle auditiv-visuelle Erfahrung. Ein spiritueller Film, der zugleich die Seh-
gewohnheiten und die spirituelle Erwartung und Erfahrung des Publikums nutzt und damit spielt.
Dancing Queen von Aurora Gossé
Mina hat Spaß am Lernen, einen besten Freund, eine coole Großmutter und verständnisvolle Eltern. Als ein neuer, tanzbegeisterter Schüler auftaucht, ist sie voller Aufregung. Sie beginnt ebenfalls zu tanzen, koste es, was es wolle und wird dabei immer von ihrer Großmutter bestätigt. In ihrer Begeisterung weckt Mina auch bei ihrem besten Freund die Tanzfreude, verliert sich aber auch in ihren und den Ansprüchen anderer an sie. Auch hier ist ihre Großmutter diejenige, die Orientierung gibt. Am Ende macht Mina das Beste aus den Erfahrungen und gewinnt an Vielfalt, Nähe, Freundschaft und der Liebe zum Tanz. Der Film beleuchtet Themen des Erwachsenwerdens wie Eigen- und Fremd-Wahrnehmung, die Suche nach den eigenen Wünschen, das Streben nach äußerlichen Idealen, aber auch das Überwinden von Schwächen und Ängsten und die Wichtigkeit von Bezugspersonen, die Halt geben können. IhreOma hilft Mina beim Ausprobieren ihrer heimlichen Leidenschaft, bestärkt sie im Scheitern und im Dazugewinnen. Vor allem bestärkt sie Minas Weg der Selbstfindung. In klarer Erzählstruktur und mit viel Situationskomik entwickelt sich Minas Geschichte und die Liebe zur Großmutter kommt in einer bodenständigen Poetik zum Ausdruck. Ein Wohlfühl-Film mit glaubwürdiger Botschaft.
KAMMERSPIEL MIT KAKTUS
Adolfo von Sofía Auza
Ein Kaktus ist nicht schön, aber sehr robust. Anders als die beiden jungen Filmfiguren, die sich an einer abgelegenen Bushaltestelle irgendwo im Nirgendwo begegnen. Momo sitzt mit ihrem Skateboard auf der einen Straßenseite. Am Bushäuschen auf der anderen Seite zischt ein Bus vorbei – der letzte für heute. Hugo hat ihn verpasst. Damit beginnt die Story von Adolfo der mexikanischen Regisseurin Sofía Auza. Die beiden unterhalten sich – zunächst über die Straße hinweg. Momo will zu einer Geburtstagsparty und ist gerade aus einer Rehaklinik zurück. Hugo hat einen Kaktus in der Hand und ist auf dem Weg zur Beerdigung seines Vaters. Alles, was er ihm vermacht hat, ist ein Zettel mit der Bitte, für Adolfo ein neues zu Hause zu finden: Adolfo ist der Kaktus. Wir begleiten Momo und Hugo durch die Nacht bis zum ersten Bus. Sofía Auza hat großartige Dialoge geschaffen. Die Ästhetik aus Licht, Farben und dem quadratischen Bildformat ist faszinierend. Ein Kammerspiel mit zwei sehr starken Charakteren und einer heimlichen Hauptrolle: dem Kaktus Adolfo. Die Geschichte ist warmherzig, manchmal sehr lustig und im nächsten Moment wieder nachdenklich und traurig. Sie könnte überall auf der Welt spielen. Im Zentrum stehen die Gefühle, Gedanken und Sehnsüchte der beiden Jugendlichen und die global gültige Sensibilität macht Adolfo zu einem ganz besonderen Film. Verdient erhielt er den Gläsernen Bären für den besten Film der 14plus-Jugendjury.
LEBEN(S)GESCHICHTE
Ha'mishlahat (Delegation) von Asaf Saban
Auf Klassenfahrt – Freundschaften werden erforscht, neu gebildet, Grenzen ausgetestet. Nur geht es auch darum, Gedenkstätten des Holocaust zu besuchen und in geschichtliche Gräuel einzutauchen, die beinahe unvorstellbar sind. Ein Zeitzeuge reist mit, um aus erster Hand zu berichten, die Lehrer*innen haben klare Vorstellungen, wie sich dem Thema genähert werden soll; auch, welche Wirkung bei den Schüler*innen erwünscht ist. Die persönlichen Themen der Jugendlichen finden dazwischen statt. Ein Thema, das zunächst schwere Erwartungen weckt, wird hier mit der Unmittelbarkeit der Erfahrungen Jugendlicher verknüpft. Ein Freundes-Trio steht dabei im Mittelpunkt. Aus verschiedenen Perspektiven werden erste Liebe, Facetten von Freundschaft und die Auseinandersetzung mit einer zutiefst persönlichen Verfolgungsgeschichte thematisiert. Dabei suchen die Jugendlichen nach ihrer eigenen Weise, mit dem Geschehen umzugehen. So werden mit einem dramaturgischen Kniff Erwartungshaltungen unterlaufen und ein anderer Blickwinkel eröffnet sich. Der verwunderte Blick auf politisches Gebaren eines der Protagonisten, als er Verursacher und alleiniger Ehrengast einer Impromptu-Gedenkfeier wird, lässt auch das Publikum neu hinsehen und seine Suche besser nachvollziehen. Schauspielerisch stark zeichnen sich die Erfahrungsschritte in den Gesichtern der Protagonist*innen ab. Ein einfühlsamer Film über die jugendliche Welt und die Orientierungssuche unabhängig von den Erwartungen Erwachsener. Ein nachdrücklicher Film auch angesichts dessen, dass der israelische Produzent Yoav Roeh beim Screening auf die aktuelle, prekäre politische Lage in Israel hingewiesen hat.
Beitrag aus Heft »2023/02: Social Media in der Beratung«
Autor:
Nicole Lohfink,
Markus Achatz
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Lisa Melzer: Exit the Fake
Brockhaus (2023). Exit the Fake. Serious Game zum Thema ‚Fake News‘, kostenpflichtig1 (nur auf Nachfrage).
www.brockhaus.de/info/schulen/escape-game
Fake-Profile, Propaganda, Gerüchte und Verschwörungen: Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge scheint im digitalen Zeitalter immer undurchsichtiger zu werden. In welchem Ausmaß besonders junge Menschen von Desinformationen im Netz betroffen sind, legt eine Studie der Vodafone Stiftung von 2020 nahe: So begegnen etwa 76 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland mindestens einmal pro Woche Falschnachrichten über Websites, Soziale Netzwerke oder Messenger-Dienste. Das ist ein Anstieg von 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Alarmierend ist außerdem, dass mehr als die Hälfte der Befragten Fake News nicht nur mit dem Internet, sondern zunehmend auch mit klassischen Medien wie Presse, Radio oder Fernsehen in Verbindung bringt. Doch wie können junge Menschen dabei unterstützt werden, Desinformationen zu erkennen und richtig einzuordnen? An dieser Stelle setzt das neue Serious Game Exit the Fake von Brockhaus an. Den Rahmen des Spiels bildet die Geschichte rund um Marie und Kemal, die als Content-Creator mit ihrem Kanal Die Wahrsager über die Auswirkungen des Klimawandels aufklären und Umweltskandale aufdecken. Als sie schließlich Opfer eines Hacker-Angriffs werden und ihnen die Veröffentlichung eines gefälschten Deepfake-Videos angedroht wird, sind sie auf die Unterstützung ihrer Community angewiesen, um ihren Kanal zu retten. Jede Spieleinheit umfasst verschiedene Rätsel und Aufgaben, mit denen die Spieler*innen schrittweise einen vierstelligen Code erarbeiten, den sie benötigen, um die Sicherheitsschleusen zu knacken und die Veröffentlichung des gefälschten Videos zu verhindern. Im Laufe des Spiels werden die Spieler*innen schrittweise darüber aufgeklärt, wie sie Fake News, Verschwörungstheorien und Troll-Kommentare leichter identifizieren und zuverlässig von seriösen, vertrauenswürdigen Informationen unterscheiden können. Außerdem werden ihnen konkrete Werkzeuge und Instrumente an die Hand gegeben, mit denen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur kritischen Einordnung,
Überprüfung und Bewertung von Quellen geschult werden können. Untermalt werden die Lerneinheiten durch animierte Erklärvideos, in denen die Protagonist*innen Marie und Kemal das Spielgeschehen kommentieren, Wissen über Absichten, Mechanismen und Wirkungen von Desinformationen vermitteln und die Spieler*innen zur Erprobung kreativer Strategien und Umgangsweisen mit Falschmeldungen anregen. Zu jedem Themenkapitel werden zudem Erklärtexte zu den in der Geschichte verwendeten Schlüsselbegriffen zur Verfügung gestellt, die ein differenziertes Verständnis der verschiedenen Formen von Fake News und deren Risikopotenzial ermöglichen. Mit diesem Zusatzmaterial können sich Spieler*innen intensiver mit einzelnen Thematiken und Interessensschwerpunkten befassen, was zur Reflexion des Gelernten anregt. Exit the Fake ist in erster Linie für Schüler*innen der siebten bis zehnten Klasse konzipiert und eignet sich vor allem für den Einsatz in Unterrichtsfächern wie Deutsch, Politik oder Sozialkunde. Vorausgesetzt werden lediglich Grundkenntnisse im Umgang mit digitalen Medien und dem Internet. Aufgrund der einfachen Bedienung und intuitiven Spielmechanik bietet das Game auch außerhalb schulischer Settings vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, um bei Jugendlichen ein Verständnis für komplexe Phänomene wie den Klimawandel zu schaffen und ein kritisches Bewusstsein für die damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen herzustellen. Eine wesentliche Besonderheit von Exit the Fake ist die gelungene Kombination aus Lern- oder Unterhaltungssoftware, da es Spieler*innen sowohl Möglichkeiten zum Wissens- bzw. Kompetenzerwerb als auch zum Erfahren von Selbstwirksamkeit bietet. Damit stellt es eine geeignete Ergänzung zu traditionellen Lehr- bzw. Unterrichtsmethoden dar, um unterschiedliche Entscheidungs-
möglichkeiten und Lösungswege auszuprobieren und zu erleben, welche Konsequenzen sich aus dem eigenen Handeln ergeben. Insgesamt zielt Exit the Fake somit auf die Förderung wichtiger Zukunftskompetenzen ab, die für einen verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien von hoher Bedeutung sind. Mit Blick auf die Ermöglichung eines inklusiven Spielerlebnisses wäre es jedoch wünschenswert, weitere Bedienungshilfen und/oder erweiterte Einstellungsoptionen zur Verfügung zu stellen, um das Tool für heterogene Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedarfen zugänglich zu machen und es ihnen zu ermöglichen, das Spielerlebnis nach ihren Bedürfnissen anzupassen.
1 Für Interessierte besteht die Möglichkeit, ein unverbindliches Angebot anzufordern und die Inhalte 14 Tage lang kostenlos zu testen. Das Spiel ist zudem Teil des Medienkompetenz-Pakets von Brockhaus für die Sekundarstufe I, welches neben dem Serious Game weitere Materialien zur Medienkompetenzförderung von Heranwachsenden umfasst.
Judith Bittner: Durch die Gipfel des Dschungels
Broken Rules (2022). Gibbon: Beyond the Trees. Game für den PC (Steam; 13,99 €) und die Nintendo Switch (13,99 €).
Hoch hinaus in neue Welten – das können Spieler*innen in Gibbon: Beyond the Trees. In dem Jump ‘n‘ Run-Abenteuer können sie die Lebenswelt der Gibbons selbst erkunden, indem sie einen solchen steuern, um ihn bei seiner Reise durch den Dschungel zu begleiten. Hierbei besteht die Aufgabe darin, ihn erfolgreich durch den Dschungel zu führen, sodass er alle Schwierigkeiten erfolgreich meistert und nicht abstürzt. Ist es zu Beginn noch leicht, den Gibbon die Baumwipfel und andere Hindernisse erklimmen zu lassen, wird das im Verlauf des Spiels immer schwerer. Spieler*innen können sich schnell auf den Ablauf der Handlungen einstimmen, da sie immer wieder mit einer ähnlichen Ausgangslage konfrontiert werden: Ein Gibbon auf seiner Reise durch die Wälder. Spieler*innen bleiben stets in der Außenperspektive, entscheiden über die Handlungen des Gibbons, können aber die Umgebung und Szenarien der Geschichte nicht beeinflussen. Die Spielfunktionen sind auf zwei Tastenkombinationen beschränkt.
Die Spielkulisse ist vornehmlich der Dschungel, welcher anhand der Bäume und weiterer grafischer Elemente erkennbar wird. Akustik-Musik und Schreie der Gibbons begleiten Spieler*innen durch den malerischen Lebensraum der Affen, welcher vom menschlichen Handeln nicht unberührt bleibt. So hangelt nicht nur der Gibbon durch einen naturbelassenen Dschungel, dieser wird auch von Menschen bewirtschaftet. Seine Reise ist in mehrere Kapitel unterteilt. In jedem sieht die Umgebung etwas anders aus und es steht eine sich chronologisch entwickelnde neue Thematik im Vordergrund. So wirkt der Dschungel zu Beginn des Spiels als ein Ort, in welchem naturbelassenes Leben stattfindet. Gleichzeitig wird der Gibbon im Spielverlauf mit einem brennenden Dschungel konfrontiert, welcher im Zeichen der Abholzung von Wäldern steht. Hier wird exemplarisch der menschliche Einfluss in die Lebenswelt der Gibbons sichtbar und anhand weiterer Merkmale, wie durch Bagger, Spieler*innen nähergebracht. Ein weiterer spezieller Gibbon-Affe begleitet und leitet Spieler*innen auf dem Weg durch den Dschungel. Die beiden Gibbons scheinen sich nahezustehen und so streifen oftmals beide zusammen durch die Wälder. Obwohl bei dem Spiel ähnliche Abläufe stattfinden, bleibt ein Spannungsbogen erhalten, da man es kaum abwarten kann, welche Wendung der Spielverlauf nehmen wird.
Von (medien-)pädagogischem Interesse ist die unterschwellige Auseinandersetzung mit Themen wie Artenschutz und Naturschutz. So wurde eine Affenart als Spielfigur gewählt, welche vom Aussterben bedroht ist. Dies wird im Spiel leider nicht direkt vermittelt, aber deutet auf den vermeintlichen Gedankengang gang der Entwickler*innen hin, auf das Aussterben der Gibbons aufmerksam zu machen. In den einzelnen Kapiteln werden Spieler*innen nämlich schon mit der harten Realität konfrontiert, dass die Naturbelassenheit des Dschungels unter den Einflüssen von Menschen teils äußerst negativ beeinflusst wird; indem Bäume abgeholzt werden, sich Menschen ansiedeln und Waldbrände entfachen. Dies regt zum Nachdenken an und führt die Relevanz des Erhalts des Dschungels vor Augen. Diese Botschaft könnten ältere Kinder wahrnehmen und sie zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik anregen, in der (medien-)pädagogischen Praxis oder an Schulen könnte es direkt dazu eingesetzt werden. Jedoch ist hervorzuheben, dass das Spiel hierfür lediglich als Anregung dienen kann, da im Fokus stets die Spielfreude steht.
Das Spiel Gibbon: Beyond the Trees wurde kürzlich mit dem Pädagogischen Medienpreis 2022 ausgezeichnet und überzeugte aufgrund der Atmosphäre und der geringen komplexen Spielmechanik. S.I.N – Studio im Netz empfiehlt das Spiel ab sieben Jahren. Diese Einschätzung erscheint aufgrund der Thematik und der simplen Spiellogik angemessen. Der Eingriff der Menschen in den Lebensraum wird nicht brutal dargestellt, sondern vielmehr durch Grafiken und Hindernisse vermittelt. Somit werden jüngere Spieler*innen angemessen herangeführt. Mithilfe des farbenfrohen Designs und grafischer Animationen schaffen es die Entwickler*innen das Gefühl auszulösen, nicht nur einen Gibbon zu steuern, sondern für die Spielzeit auch einen Teil der Geschichte zu verkörpern. Dies wird durch die Liebe zum Detail gefördert, welche das Spiel prägt. So sind die einzelnen Kapitel auch inhaltlich benannt, welche dabei helfen, sich als Spieler*in mit der Handlung zu identifizieren.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor:
Judith Bittner
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Lisa Melzer: Spielentwicklung leicht gemacht – Mit Candli zum eigenen Online-Game
Enlightware (2020). Candli. Online-Software. Kostenfreie Basisversion, Premiumversion auf Anfrage.
Einblicke in Berufsfelder wie Gamedesign oder Spieleentwicklung erhalten? Für viele Kinder und Jugendliche eine Traumvorstellung. Wer sich gerne Geschichten überlegt oder fantastische Welten ausdenkt, hat vielleicht schon mal davon geträumt, wie es wäre, die eigenen Gedankenkonstrukte zum Leben zu erwecken. Mit dem kostenlosen Programm fällt der Einstieg in den komplexen und aufwendigen Akt der Spieleentwicklung leicht. Alles, was dafür nötig ist, sind Stift, Papier und ein
Smartphone oder Tablet. Die Idee der App besteht darin, Zeichnungen, Malereien oder Bilder in ein selbst gestaltetes Videospiel mit eigenen Regeln einzubauen. Mit wenigen Klicks können Kinder auf diese Weise in einem komplett personalisierten Spiel aktiv werden und einzigartige Kreationen erschaffen.
Bis das fertige Spiel steht, gilt es mithilfe des Programms fünf Arbeitsschritte zu durchlaufen. Zunächst wählen die Nutzer*innen eine der vier Ansichten aus, die sich am besten zur Verwirklichung der eigenen Spielideen eignet. Steht der Rahmen des Spiels fest, kann der kreative Schaffensprozess beginnen. Nun müssen Figuren, Gegenstände und Objekte auf Papier festgehalten werden, die Teil des individuellen Spieleuniversums werden sollen. Welche Stifte und Farben dafür zur Anwendung kommen, bleibt den jungen Künstler*innen selbst überlassen. Um die analogen Spielelemente in die digitale Spielewelt zu importieren, werden alle Zeichnungen mit der Tablet- oder Handykamera fotografiert und in den Spieleeditor hochgeladen. Danach können die Objekte frei in der Spielewelt platziert und mithilfe einer visuellen Programmiersprache mit Wenn-Dann-Regeln versehen werden. Ist die Programmierung abgeschlossen, kann das personalisierte Spiel per QR-Code mit Familie, Freund*innen oder Mitschüler*innen geteilt werden.
Um einen Überblick über alle Funktionen und Möglichkeiten von Candli zu erhalten, stehen den Nutzer*innen KI-gestützte Erklärvideos zur Verfügung, die den Umgang mit der Programmoberfläche erleichtern und die einzelnen Arbeitsschritte bis hin zum fertigen Spiel auf kindgerechte Weise erläutern. Orientierung bietet dabei auch eine Übersicht über Spiele von anderen Nutzenden, die ebenfalls mit der Software erstellt wurden und als Inspiration für neue Ideen dienen können. Ob schnelle Autorennen, knifflige Rätsel oder nervenaufreibende Jump ’n Run-Abenteuer: dem Einfallsreichtum der Nutzer*innen sind keine Grenzen gesetzt. Gerade zu Beginn können diese Beispiele als Unterstützung dienen, um sich mit der Handhabung des Programms vertraut zu machen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Möglichkeiten die Software zum Experimentieren mit Formen, Farben und Spieloberflächen bietet. Zusätzlich steht ein Forum zum Austausch von Fragen oder anderen Anliegen zur Verfügung. Dort können Nutzer*innen nicht nur Hinweise zur Bedienung der Software erhalten, sondern auch sich und andere über Updates, Erweiterungen oder Verbesserungen des Programms informieren. Gerade diese Funktionen tragen wesentlich dazu bei, sich in der bunten Palette an Gestaltungsoptionen zurechtzufinden.
Wertvolle Lerneffekte ergeben sich vor allem durch eine eigenständige und selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Programms und dem Wissens- und Erfahrungsaustausch mit anderen Lernenden. Candli ermöglicht es somit insbesondere jungen Nutzer*innen, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und sich angesichts herausfordernder Aufgaben als selbstwirksam zu erleben. Besonders der Prozess des Umwandelns analoger Zeichnungen in virtuelle Spielwelten schafft Räume, auf Entdeckungsreise zu gehen, eine andere Perspektive einzunehmen und neue Zusammenhänge herzustellen.
Schlussendlich werden dadurch vielfältige Potenziale zum Einsatz derartiger Software zur Steigerung der Lernmotivation und/oder auch zur Gestaltung von Gruppen- oder Projektarbeiten deutlich.
Candli zeichnet sich gegenüber anderen Tools dadurch aus, dass es Nutzer*innen durch Experimentieren und Ausprobieren ermöglicht, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und sich eigenständig digitale Kompetenzen anzueignen. Die Anwendung überzeugt mit einem Konzept, welches über bisherige digitale Kreativ- oder Programmiertools für Kinder hinausgeht und vielfältige Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung und des Erwerbs von grundlegenden Programmierkenntnissen bietet. Insgesamt scheint das Programm daher auch für den Einsatz im Schulkontext geeignet, da keine Vorkenntnisse im Programmieren benötigt werden. Da die Bedienung der Software besonders jüngeren Nutzer*innen einiges abverlangt, lässt sich die Anwendung für Kinder ab einem Alter von zehn Jahren empfehlen.
Im November 2022 wurde die Online-Software Candli mit dem Pädagogischen Medienpreis in der Kategorie ‚Angebote für die pädagogische Praxis‘ ausgezeichnet. Sie wurde von Enlightware, einem Spin-off der ETH Zürich Game Technology Center entwickelt.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor:
Lisa Melzer
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Günther Anfang: Die Kunst der Welt. Zu Gast in Kassel und Venedig
Den Anspruch, die Kunst der Welt zu präsentieren, teilen sich Kassel und Venedig: Die alle fünf Jahre stattfindende documenta in Kassel wie auch die im Zweijahresrhythmus durchgeführte Biennale in Venedig sind Weltkunstausstellungen, die den Stand der gegenwärtigen Kunst dokumentieren. Daneben gibt es nur noch die Art Basel, die als größte Kunstmesse des internationalen Kunstmarktes gilt, und vor allem den Verkauf gegenwärtiger Kunst zum Ziel hat. Aber zurück zu Kassel und Venedig. Wenn man die Wahl zwischen den beiden hat, ist man zunächst geneigt, das Ticket nach Venedig zu lösen, denn das etwas verschlafene Kassel ist wahrlich kein Reiseziel erster Wahl. Allerdings gilt die documenta seit Jahren als wichtigster Seismograph für aktuelle Kunst und legendäre Aktionen. Die Pflanzung von 7.000 Eichen durch Joseph Beuys auf der do-cumenta 7 oder die Präsenz von Ai Weiwei auf der documenta 12 belegen die außergewöhnliche Bedeutung dieser Kunstausstellung. Die Biennale in Venedig punktet allein schon aufgrund der Verortung in der Lagunenstadt und der attraktiven Ausstellungsflächen im Gelände. Und auch hier fand Legendäres statt, sowohl im kuratierten Teil der Arsenale als auch in den Länderpavillons der Giardinis. Künstler wie Christoph Schlingensief oder Ai Weiwei gaben sich im deutschen Pavillon ein Stell-dichein und veranschaulichten, was in Sachen Kunst gerade angesagt ist. Darüber hinaus ist die Biennale die älteste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst, da sie bereits seit 1895 alle zwei Jahre stattfindet. Schließlich gehören zur Biennale auch noch ein Musikfestival (seit 1930), die Filmfestspiele (seit 1932), ein Theaterfestival (seit 1934) und ein Festival für zeitgenössischen Tanz (seit 1999). Ganz zu schweigen von der Architekturbiennale, die seit 1980 regelmäßig in den geraden Jahren zwischen den Kunst-Biennalen stattfindet. Somit ist ein Abwägen schwierig, ob man nun nach Kassel oder Venedig fährt. Die Lösung: beide Kunstausstellungen besuchen!
DOCUMENTA FIFTEEN
Die documenta fifteen hatte einen schwierigen Start, der im Prinzip die gesamte Ausstellung überschattete. Der Antisemitismus-Eklat beherrschte nicht nur die Diskussion, was man in Deutschland und der Welt zeigen darf und was nicht, sondern auch, wer, wann, wo und wie Verantwortung übernehmen muss. Es war durchaus revolutionär, die diesjährige documenta von dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa künstlerisch leiten zu lassen und den Blick der Kunstbetrachtung von der nördlichen auf die südliche Halbkugel zu lenken. Aber er war verantwortungslos, judenfeindliche Darstellungen einfach durchzuwinken. Angehörige des Jugentums als Blutsauger darzustellen mit blutroten Augen, Schläfenlocken und Vampirzähnen ist nicht nur im deutschen Kontext der Geschichte ein No-Go, sondern generell unzulässig.
Auch wenn sich die indonesische Künstlergruppe Taring Padi schließlich entschuldigte, die Generaldirektorin der documenta fifteen, Sabine Schormann, schritt viel zu spät ein, um den Skandal zu entschärfen. Das war auch deshalb schade, da damit der
Blick auf die vielen anderen künstlerischen Werke zu kurz kam. So zum Beispiel auf das des ostafrikanischen The Nest Collectiv, das mit seiner Installation Return to Sender – Delivery Details ein Statement zum Verhältnis zwischen Europa und Afrika abgibt. Afrika, das Europa als Müllabladeplatz für Altkleider und Computerschrott dient, schickt den Müll der Welt zurück nach Deutschland in die Karlsauen von Kassel. Hier liegt er nun, gut verschnürt und in Stoffballen aufgeschichtet, um einen Pavillon zu bilden. Im Innern kann man Videos sehen, in denen Afrikaner*innen berichten, was die Kleiderspenden aus deutschen Containern anrichten, wie die Lieferant*innen die afrikanische Textilindustrie zerstören und die kleinen Straßenhändler*innen und Ladenbesitzer*innen in Mitleidenschaft ziehen. Mehr als 30 Veranstaltungsorte sind auf dem documenta-Plan verzeichnet, mit mehr als 1.500 Künstler*innen und Aktivist*innen. Da gibt es viel zu entdecken, auch wenn einiges fragwürdig ist und als politische Aussage in der Agitation stecken bleibt. Hier wäre weniger manchmal mehr und eine bewusste und gezielte Auswahl besser gewesen.
59. BIENNALE
Das Fehlen einer gezielten Auswahl kann man der 59. Biennale in Venedig mit dem verheißungswürdigen Titel The milk of dreams, angelehnt an das gleichnamige Kinderbuch der Surrealistin Leonora Carrington, nicht vorwerfen. Vielmehr ist die von Cecilia Alemani kuratierte Weltkunstausstellung ein Spiegelbild vor allem der weiblichen Sicht auf die Welt und die Kunst. Fast 90 Prozent der Küstler*innen sind weiblichen Geschlechts und was Alemani hier zusammengetragen hat, ist durchaus beeindruckend. Allein schon in den Hallen der Arsenale, einer ehemaligen Schiffswerft, finden sich unzählige Installationen, Gemälde, Plastiken und Objekte, die Besucher*innen in den Bann ziehen. Da reihen sich riesige Tontöpfe neben einer gigantischen Frauenskulptur ohne Augen aneinander, Wandgobelins neben Korbgeflechten und immer wieder beeindruckende Gemälde von Künstler*innen aus allen Teilen der Welt. Verstörend auch ein ganzer Saal, der mit Erde gefüllt wurde, aus dem nichts außer eine Stahltreppe wächst. Beeindruckend auch die Schwarz-Weiß-Bilder mit figuralen weiblichen Darstellungen oder die skurrilen Figuren, die aus einem Karnevalszug stammen könnten. Das braucht Zeit, um das alles verarbeiten zu können. Und das ist erst der Beginn einer traumhaften Reise durch die Milk of dreams, die sich in den Giardinis fortsetzt. 80 Länder stellen hier in ihren Pavillons die jeweils aktuelle Kunst des Landes aus. So zum Beispiel Frankreich, das der arabischen Künstlerin Zineb Sedira den Pavillon zur Gestaltung anvertraut hat. Im Inneren des Pavillons sehen wir verschiedene Filmkulissen – mit viel Musik und einer Kamera. Das Ganze steht unter dem Titel Les rêves n‘ont pas de titre / Dreams Have No Titles und erinnert an Casablanca und das große französische Kino. Auch Großbritannien zeigt, wo es seine Stärken in der Kunst hat, nämlich in der Musik. Im Mittelpunkt der musikalischen Installation der Künstlerin Sonia Boyce stehen fünf schwarze Sängerinnen, die in den Abby Road Studio seine Musikaufnahme machen. Eine davon ist Tanita Tikaram, die mit dem Song Twist in My Sobriety international bekannt wurde.
Da tut sich Deutschland etwas schwerer, seine Kunst zu präsentieren. Denn der geschichtsträchtige deutsche Pavillon ist immer
wieder Anlass, sich mit der deutschen Geschichte und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn hat die Geschichte des Hauses recherchiert und dabei festgestellt, dass der 1909 hier errichtete Vorgängerbau, der Bayerische Pavillon, 1938 nicht beseitigt, sondern überformt und erweitert worden ist. Eichhorn hat die Übergänge beider Bauten sichtbar gemacht, und man begreift, dass das hier einst ein ganz angenehmer Ort gewesen sein muss, weniger einschüchternd, eher wie bei den Franzos*innen und den Brit*innen nebenan.
Da bleibt nur noch, im russischen Pavillon vorbeizuschauen, der allerdings verbarrikadiert ist. Vor dem Gebäude kontrolliert ein Wachmann. Nach Kriegsausbruch in der Ukraine sagten die russischen Künstler*innen ihre Teilnahme an der Biennale ab – so bleibt er leer, nur außen kann man die Jahreszahl 1914 erkennen. Wenn das nicht bezeichnend ist. Auch in Kassel auf der documenta sind russische Künstler*innen nur schwer auszumachen. Sie wollen anonym bleiben, da sie gegen den Krieg Stellung beziehen. Und eine geplante gemeinsame Ausstellung von russischen und ukrainischen Künstler*innen musste abgesagt werden, da sie für Unmut bei einigen ukrainischen Künstler*innen gesorgt hatte. Damit ist das wenig Verbindende zwischen Kassel und Venedig der Krieg in der Ukraine. Er wirft auf beide Weltkunstausstellungen seinen Schatten, so unterschiedlich die Ausstellungen auch sind. Die documenta lief bis 25.09.2022. Die Biennale läuft noch bis 27.11.2022.
Beitrag aus Heft »2022/05 Medien.Pädagogik und Rassismus.Kritik – Impulse einer Auseinandersetzung«
Autor:
Günther Anfang
Beitrag als PDF
Katharina Stengl: Stray. Einmal Katze sein
BlueTwelveStudio/Annapurna Interactive (2022). Stray. Game für den PC (Steam; 26,99 €) und PS4/5 (39,99 €).
Einmal Katze sein – in dem Abenteuer-In-die-Spiel wird dieser Traum wahr. Stray1 ist kein typischer Katzensimulator des alltäglichen Lebens in einem mittelständigen Haushalt. Es ist die Geschichte eines kleinen rothaarigen Streuners inmitten einer dystopischen Welt. Von seiner Familie getrennt muss er uralte Rätsel lösen, um der verfallenen Cyberstadt zu entkommen. Gesäumt von Hindernissen, Gefahren, neuen Verbündeten und Freund*innen.
Stray stand bereits vor Release auf Platz 1 der weltweiten Steam-Wunschlisten. Es ist das erste Spiel des Publishers Annapurna Interactive, das mehr als 62.000 gleichzeitig aktive Spieler*innen bei Steam vorweisen konnte. In der Third-Person-Perspektive wird die zerstörte Cyberstadt erkundet, begleitet von der fliegenden Drohne B12, die ihr Gedächtnis verloren hat. Die Aufbereitung dessen ist eine schöne Art, Spielenden die Hintergründe dieser dystopischen Welt näherzubringen. Die Steuerung ist für Anfänger*innen geeignet. Beispielsweise kann der Kater nicht abstürzen, was Spielenden Sicherheit verleiht. Geschmeidig bewegt sich der Streuner auf und über den Straßen der Stadt und lernt deren Bewohner*innen kennen. Die Droiden. Streicht man diesen roboterartigen Wesen mit einem Bildschirm als Kopf liebevoll schnurrend um ihre Beine, erscheint ein Herz auf deren Bildschirm. Auch andere katzentypische Verhaltensweisen kommen in dem Spiel nicht zu kurz. Man kann an Sofas und Teppichen kratzen, Gegenstände von Regalen werfen und sich in Kartons verstecken. Spielerisch wird die Welt erkundet und kleinere Nebenquests, wie Gegenstände sammeln, erfüllt. Zum Weiterkommen finden sich in den Dialogen mit den Droiden oft wichtige Hinweise. Doch nicht immer bleibt es friedlich. Folgt man der linearen Storyline, wird man im Untergrund von den Gefahren bereits erwartet ...
In einer ausgeglichenen Mischung gibt es kleine Verfolgungs- und sogar Kampfszenen, in denen man sterben kann. Das sind kurz eingeworfene Szenen, die für Abwechslung und Spannung sorgen. Viele dieser Szenen können auch mittels geschicktem Ausweichen und Schleichen gemeistert werden. Die Altersfreigabe von zwölf Jahren hängt mit der postapokalyptischen, oft düsteren und im Untergrund teilweise gruseligen Stimmung zusammen. Außerdem könnten die Rätsel für jüngere Kinder knifflig sein. Explizite Gewalt gibt es keine.
Stray ist eine rührende Geschichte mit herzerwärmenden Szenen – für jede*n Katzenliebhaber*in und Fans einer Cyberpunkatmosphäre. Es ist ein gelungenes und liebevoll gestaltetes Spiel über Hoffnung und Freundschaft in einer längst vergessenen Welt. Die Liebe zum Detail macht es besonders und führt zu einem einmaligen Spielerlebnis – für ganze acht bis zehn Stunden.
1Eine ausführlichere Rezension finden Sie unter www.merz-zeitschrift.de/rezensionen.
Beitrag aus Heft »2022/05 Medien.Pädagogik und Rassismus.Kritik – Impulse einer Auseinandersetzung«
Autor:
Katharina Stengl
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Anna Clara-Pentz: Mit einem Game die Quantenphysik verstehen
Stollenmayer, Philipp (2021). Katze Q. Ein Quanten-Adventure. App-Game ab 9 Jahren, iOS/Android, kostenfrei.
Was hat eine halbtote Katze mit Quantenphysik zu tun? Und wie sie kann das eigentlich sein – ‚halbtot‘? In Katze Q des Gamedesigners Philipp Stollenmayer gilt es, dies herauszufinden. Nebenbei lernt man eine Menge über dieses Feld der Physik, das sich mit dem ‚Allerkleinsten‘ auseinandersetzt. Dabei muss mithilfe der Urenkelin des Physikers Erwin Schrödinger, Anna, und der mysteriösen halbtoten Katze aus einem geheimnisvollen Karton verschiedenen Rätseln nachgegangen werden. So erfahren die Spielenden beispielsweise, was es in der Quantenphysik mit Donuts auf sich hat. Mit der App wird Quantenphysik zum spannenden Erlebnis. Katze Q wurde im Juni mit dem Goldenen Spatz 2022 im Wettbewerb DIGITAL mit dem Schwerpunkt Gute Geschichten. Digital erzählt ausgezeichnet.
Das Game beginnt mit dem Öffnen eines mysteriösen Kartons. Darin: eine halbtote Katze – halb süßes Plüschkätzchen, halb Zombie-Katzen-Skelett. Und schon beginnt das große Rätsel, was es mit ‚Schrödingers Katze‘ auf sich hat. Gamedesigner Stollenmayer hat dabei das Gedankenexperiment des bekannten Physikers lustig und geistreich umgesetzt. Als sich der Nebel aus der Kiste verzieht, landet die*der Spielende in der Kiste, in der sich eine vollausgestattete Wohnung befindet. Hier finden sich zahlreiche merkwürdige Gegenstände, wie etwa eine Tüte Chips im Kühlschrank oder eine Katzen-Einstein-Lampe. In Kittypedia können auf einem Smartphone, das dem Karton beilag, Artikel zu Computerchips und deren Kühlung durch neue Materialien oder über den berühmten Physiker Albert Einstein nachgelesen werden.
So lernt man hier beispielsweise, dass mithilfe der Quantenphysik an Materialien geforscht wird, die durch elektrischen Strom nicht erhitzen oder dass Einstein sehr einflussreich im Bereich der Quantenphysik war, aber Schrödinger dessen Theorie, es gäbe keinen Zufall, mit seinem Gedankenexperiment widerlegte. Die freigespielten Kittypedia-Artikel lassen sich anschließend auch abspeichern. So erhält die*der Spielende kindgerecht aufgearbeitete Informationen zu Bereichen der Quantenphysik, wie etwa Hintergrundinformationen zu Erwin Schrödinger und seinen Errungenschaften oder Phänomenen von Wellen und Teilchen bis hin zu frustrierten Magneten. Auf dem Smartphone befindet sich auch ‚CatsApp‘, über das die*der Spielende im Game mit Anna Schrödinger in Kontakt tritt. Mit hilfreichen Tipps und Informationen unterstützt sie beim Lösen der Rätsel. Denn viele Gegenstände sind nicht am richtigen Ort und müssen erst gefunden werden, wozu es mal einen verschwundenen Schlüssel oder auch mal einen Code braucht.
Kaum werden neue Gegenstände gefunden, hat die Katze sie auch schon verschlungen und sie müssen mit einer Streichel-einheit wieder entlockt werden. Hierbei ist großes Fingerspitzengefühl gefragt. Außerdem bedarf es beim Lösen der Rätsel einigen Um-die-Ecke-Denkens. Jedoch kommt der Spaß nicht zu kurz: Beim Durchsuchen der Wohnung finden sich zahlreiche lustige Accessoires. So können der Katze neben einer individuellen Fellfarbe auch verschiedene Hüte, Bärte und Brillen ver-passt werden. Das Wissen wird somit sehr spielerisch und über viele lustige Bezüge zum Alltag der Kinder vermittelt. Als Bonus kann auch ein neuer Chat freigespielt werden, über den die*der Spielende mit Expert*innen aus dem Forschungsteam des Exzellenzclusters ct. qmat in Kontakt treten kann. Sie beantworten Fragen rund um Physik auf ihrem YouTube-Kanal ctqmat.
Da sich die Rätsel ohne Vorwissen lösen lassen, ist das Game ganz losgelöst vom Lehrplan und lässt sich für Kinder ab neun Jahren mit guten Lesefähigkeiten bewerkstelligen. Die Themen der Quantenphysik sind dabei sehr einfach aufbereitet und bieten in dieser Form auch Spaß für Ältere. Das Game wurde vom Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien beauftragt und gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Schirmherrschaft des Projekts hat Anna Braunizer, die Urenkelin von Erwin Schrödinger, gemeinsam mit ihrem Vater Leonhard.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Annemarie Holtzsch: Täglich TOGGO
SUPER RTL (2022). Täglich TOGGO. Nachrichtensendung für Kinder, kostenlos, www.toggo.de/radio.
Das aktuelle Weltgeschehen wirft bei vielen Kindern Fragen auf und verursacht auch Ängste. Deshalb ordnet Täglich TOGGO, das Nachrichtenformat auf TOGGO Radio, tagesaktuelle Nachrichten kindgerecht ein. Fragen der Kinder werden beantwortet und ihnen wird die Angst vor schwierigen Inhalten genommen. Vergleiche mit leicht verständlichen Alltagssituationen erleichtern das Verstehen. Der Fokus liegt auf Handlungsempfehlungen und konstruktiven Lösungsansätzen.
Die Kindernachrichten sind zu jeder vollen Stunde beim Kinder- und Familiensender TOGGO Radio zu hören, der vor rund einem Jahr gestartet ist. Dieser kann als digitales Audio-angebot über die TOGGO-App, toggo.de, die TOGGO-Fire und Android-TV-App sowie über Smartspeaker-Devices, Satellit und gängige Radio-Aggregatoren empfangen werden. Das Nachrichtenformat richtet sich an Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren. Profitieren können jedoch nicht nur junge Menschen, sondern auch Erwachsene, die Informationen von Täglich TOGGO als Hilfestellung nutzen können, um mit ihren Kindern über ernste Themen ins Gespräch zu kommen.
Die Nachrichten dauern im Schnitt drei Minuten, in denen vier bis fünf aktuelle Nachrichten besprochen werden. Das kann eine tagesaktuelle Nachricht wie der Krieg in der Ukraine sein, oder auch die Ergebnisse einer Studie, die für Kinder interessant ist.
Abschließend kommt noch ein deutschlandweiter Wetterbericht.
Ein aktuelles Beispiel aus Täglich TOGGO ist die Klimakrise. Erklärt wird sie daran, wie Eisbären sich dem Klimawandel anpassen. Forscher*innen haben in Grönland Eisbären entdeckt, die dort leben, obwohl die Umweltbedingungen deutlich anders sind als am Nordpol. Es wird darauf eingegangen, wo Grönland liegt und was die Orte unterscheidet. Der Fokus liegt auf der positiven Botschaft, dass Eisbären womöglich besser mit dem Klima wandel zurechtkommen als vermutet. Dennoch wird ab-schließend erwähnt, dass sich die Forscher*innen große Sorgen um die Eisbären machen, da durch die Eisschmelze viele ihr Zuhause verlieren. Diese Einordnung von beängstigenden Nachrichten ist eine Gratwanderung. Durch das Zusammenspiel von Beispielen, mit denen Kinder etwas anfangen können, Informationen und Transfer in die eigene Lebenswelt gelingt sie bei Täglich TOGGO.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Annemarie Holtzsch
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Kati Struckmeyer: Feel the News – Was Deutschland bewegt
Studio bummens (2022). Feel the News – was Deutschland bewegt. Podcast, kostenlos, diverse Plattformen.
Nachrichten prasseln täglich auf uns ein, viele davon verstörend, Angst einflößend, verunsichernd, oder auch euphorisierend. Das löst natürlich Emotionen bei den Rezipient*innen aus. Es wird kommentiert, diskutiert, beleidigt, gecancelt, geblockt. In feel the news wird einmal wöchentlich eine Nachricht herausgegriffen, die aus Sicht von Sascha und Jule Lobo, die den Podcast moderieren, für die am meisten erhitzten Gemüter sorgt. Sascha Lobo ist vielen als Publizist vor allem im Themenbereich Digitalisierung bekannt. Jule Lobo ist Juristin und Redakteurin und hostet verschiedene Podcasts. Die beiden sind miteinander verheiratet. Ihr gemeinsames Interesse bei feel the news ist es nicht nur, die Hintergründe aktueller Nachrichten zu beleuchten und verschiedene Perspektiven zu präsentieren, sondern auch zu analysieren, warum uns manche Nachrichten so besonders aufregen und emotional herausfordern. Mit dieser Mischung wollen sie ein „Meinungsangebot machen“, wie es Sascha Lobo im Trailer formuliert.
Der Podcast ist Ende März diesen Jahres gestartet, jeden Donnerstag werden neue Folgen veröffentlicht. Sie dauern ungefähr eine Stunde. Von Corona über den Krieg in der Ukraine bis hin zum ‚Ansturm auf Sylt‘ durch das 9-Euro-Ticket – das Themenspektrum ist groß. Dabei ist sicher nicht alles für jede*n interessant, aber es lohnt sich, ab und an einen Blick auf neue Folgen zu werfen. So zum Beispiel auf die Folge zu ‚Toxic Wokeness‘, in der es darum geht, das unsere Diskussions- und Debattenkultur darunter leidet, wenn es nicht mehr um konstruktive Kritik geht, sondern um das Anprangern und Erniedrigen Einzelner im Namen der vermeintlich besseren und wahrhaftigeren Sicht auf die Welt und die Dinge.
Die Folge ‚Toxic Twitter und die Shitstorms‘ wurde live von der re:publica gesendet. Sie beinhaltet einen kurzen persönlichen Rückblick auf die Geschichte der Plattform Twitter und eine Analyse des Jetzt-Zustands. Sascha Lobo stellt fest, dass mittlerweile „ein kompetitives ‚Wer schreibt den krasseren Tweet gegen X‘ ein beliebtes Spiel“ [16:26] sei. Es geht auch in dieser Folge nicht nur um Sender*innen, sondern vor allem um Empfänger*innen – so wird zum Beispiel diskutiert, ob man als Nutzer*in zu weich sein kann für Twitter, warum Shitstorms dort besonders hart auszuhalten sind und ob sie überhaupt ausgehalten werden müssen. Einig sind sich die Lobos darin, dass trotz aller toxischen Entwicklungen nicht auf Twitter verzichtet werden kann, denn die Plattform trage nach wie vor stark zur Meinungsbildung in Deutschland bei. So hätten die wichtigsten öffentlichen Bewegungen der letzten Jahre MeToo, Black Lives Matter und Fridays for Future ohne Twitter ihren Druck nicht entfalten können.
Diese und andere Folgen – zum Beispiel zu Frauenhass, Kriegsverbrechen oder dem Recht auf Abtreibung – liefern jede Menge Material für anschließende Diskussionen und bringen oft Perspektiven ein, die man selbst noch nicht bedacht oder innerhalb der eigenen ‚Bubble‘ rezipiert hat. Die Haltung von Jule und Sascha Lobo ist immer Teil des Inhalts. So analysieren sie in der Folge ‚Ist Olaf Scholz ein guter Kanzler?‘ nicht nur Scholz‘ Politik, Verhalten und Kommunikation, sondern geben auch zum Besten, wie sie zum Kanzler stehen und wo sie Kritikpunkte bzw. Potenzial sehen.
Hörer*innen von Feel the News haben die Möglichkeit, sich selbst in kommende Folgen einzubringen: Mittwochs wird jeweils das kommende Thema auf Twitter bekanntgegeben, dann kann man unter www.feelthe-news.de/mitdiskutieren/ eine Sprachnachricht hochladen, die es eventuell bis in den Podcast schafft. Auch Prominente und Politiker*innen kommen in einzelnen Folgen zu Wort.
Feel the News bringt eine neue Nuance in den deutschen Podcast-Markt – und dabei geht es nicht darum, dass die Zuhörer*innen die Gefühle der Lobos teilen. Trotzdem ist es angenehm zu merken, nicht allein damit zu sein, dass bestimmte Nachrichten einen in Aufruhr versetzen. Mit Hilfe des Podcasts findet man vielleicht ab und an auch die Möglichkeit, diese Gefühle zu reflektieren und einzuordnen, bevor sie wütend in die (digitale) Welt hinausgeschossen werden.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Thomas Meinicke: Kopfkino mit bunten Kästchen
Der Softwareentwickler Entwickler Josh Wardle veröffentlichte 2021 sein englischsprachiges Online-Buchstabenspiel Wordle. Es erreichte schnell weltweite Popularität, was sich an zahllosen Postings in Social-Media-Kanälen mit kleinen farbigen Blöcken ablesen lässt. Schnell entstanden zahlreiche Adaptionen und Weiterentwicklungen. Dieser Beitrag soll eine Bestandsaufnahme und Anregungen für den praktischen Einsatz liefern.1
Wordle: Das Spielprinzip
Das Wordle-Spielprinzip ist einfach. Gesucht wird jeweils ein aus fünf Buchstaben bestehendes englisches Wort. Nach Eingabe einer initialen Sequenz werden die Buchstaben farbig hinterlegt. An der richtigen Stelle Platzierte erscheinen grün, enthaltene, noch nicht richtig liegende, orange oder nicht vorkommende grau. Die Herausforderung liegt darin, das gesuchte Wort in maximal sechs Zügen zu ermitteln. Falls auch die letzte Reihe nicht zum Ziel geführt hat, erfährt man das eigentlich gesuchte Wort und wird auf das nächste Spiel am Folgetag vertröstet.
Interessant ist bei diesem und den weiteren hier beschriebenen Spielen die Möglichkeit, über einen Share-Button seiner Verfolgerschaft in Sozialen Medien Ergebnisse zu präsentieren. Dort erscheinen nur die Reihen mit den farbigen Kästchen ohne Rückschluss auf das (nicht) gefundene Ergebnis. Zudem wird die laufende Nummer des Rätsels und der Erfolgsgrad wie 3/6 angegeben – die Lösung wurde also in drei von sechs Zügen erhalten. Die mobilen Anwendungen speichern zudem Spielstände und zeigen statistische Auswertungen.
Wordle-Ableger
Kreative Ideen haben zu einer größeren Zahl an Alternativen geführt (Tab. 1). Falls englische Wörter weniger attraktiv erscheinen, können deutschsprachige Varianten wie 6mal5 und Wördl nach dem analogen Prinzip gespielt werden. Voortle stellt neben einer deutschen fünf weitere Sprachvarianten zur Verfügung (Abb. 1).
Abbildung 1: 6mal5 und Voortle
Hinzu gesellen sich anspruchsvollere Varianten mit zwei, vier oder acht parallel zu ermittelnden Buchstabensets (Dordle, Quordle, Octordle). Auch themenspezifische Wordle-Ausprägungen etwa für Fans von Disney, Harry Potter und Star Wars bereichern das Angebot.
Bei Waffle – einem von Wordle inspirierten Spiel in Waffelform – wird das Eintippen von Buchstaben durch Verschieben vorgegebener ersetzt. Es sind maximal 15 Züge (Swaps) möglich, um horizontal wie vertikal englischsprachige Begriffe anzuordnen. Am Ende erscheinen neben den üblichen statistischen Angaben und der Share-Möglichkeit des Ergebnisses kurze Erläuterungen zur Bedeutung und sprachlichen Herkunft. Im Beispiel von Abbildung 3 war das Ziel nach zehn Aktionen erreicht und wurde mit fünf Sternen honoriert.
Individuelle Buchstabenspiele lassen sich mit Custom Wordle in vier Sprachen erzeugen. Dabei wird ein Zielwort vorgegeben und der erzeugte Link kann weiter verteilt werden. Mit Reversle lässt sich der Weg zum fertigen Wordle umkehren. Es wird also die Lösung vorgegeben und anhand der farbigen Positionen sind entsprechende Zuordnungen gefragt.
Varianten mit Zahlen und Rechnungen
Neben Buchstabenrätseln tauchten Varianten mit Zahlen oder Rechenexperimenten auf. Bytle repräsentiert jeweils 1 Byte (8 Bits) in Form von 0 bzw. 1. Die Zuordnung erfolgt von rechts im Sinne von 20 (= 1) bis 27 (= 128). Sind also alle Bits gesetzt (1) kann maximal der Wert 255 entstehen. Das Spielprinzip geht jedoch umgekehrt vor. Man setzt einen dezimalen Wert von 0 bis 255 und erhält wiederum in den Farben der Wordle-Kästchen die jeweils getroffene Zuordnung. Nun geht es darum, den eigentlichen Wert durch Rückrechnung aufzufinden und neu einzugeben. Das lässt sich in zwei Zügen erreichen, da nur die noch nicht grün markierten Felder zu tauschen sind.
Hexle, ebenfalls vom Bytle-Autor stammend, sucht vierstellige hexadezimale Kombinationen. Hierzu muss man wissen, dass Hex-Werte aus den Ziffern 0 bis 9 und den Buchstaben A bis F bestehen, also 16 Zeichen vorkommen können. A bis F stehen für 10 bis 15. Zum Spielstart wird jeweils ein Hinweis zur Differenz aus höchstem und niedrigstem Wert (Digit) gegeben. Somit kann 7 bedeuten, dass maximal F (15) und minimal 8 vorkommen können, aber auch maximal 9 und minimal 2 sowie weitere Kombinationen (in Abbildung 4 rechts: D (13) – 6 = 7). Die genannten Zeichen dürfen pro Reihe mehrfach vorkommen.
Ein anders gelagertes Color-Hexleoperiert mit den typischen hexadezimalen Farbwerten auf Basis der drei RGB-Kanäle. Oben ist #Hexle in der zu bestimmenden Farbe hervorgehoben, welche nun mit den üblichen sechs Stellen zu notieren ist. Dabei sind wiederum die Ziffern 0 bis 9 und die Buchstaben A bis F zulässig. Der über bis zu sechs möglichen Zügen jeweils erreichte Grad der Annäherung wird über das erscheinende Farbkästchen mit der Aufteilung in aktuelle und gesuchte Farbe signalisiert (Abb. 5, links). Primelerwartet die Eingabe fünfstelliger Primzahlen. Es sollen also jene aus dem Bereich 10.000 bis 99.999 gefunden werden, welche nur durch sich selbst und 1 teilbar sind. Das klingt komplexer als es sich gestaltet. Am Ende keine gerade Zahl und keine 5 zu produzieren ist ein guter Anfang. Es gibt 8.363 Möglichkeiten in diesem Intervall.
Weitere numerische Anwendungen geben Raster für die Bestimmung von Gleichungen vor, entweder mit einem festen Zielergebnis oder wie im Fall von Nerdle einer völlig offene Gleichung. Es sind sowohl die üblichen Operatoren (+ – * /) als auch Ziffern so zu platzieren, dass die Gleichung aufgeht und im besten Fall die gesuchte darstellt (Abb. 6, links). Die in Tabelle 2 versammelten Angebote zu Gleichungen verhalten sich relativ ähnlich und unterscheiden sich vor allem durch die Anzahl der zu besetzenden Positionen und möglichen Operatoren.
Etwas anders ist Numble ausgelegt. Hier soll der erscheinende Zahlenwert über eine Gleichung berechnet werden, wobei nur bestimmte Werte innerhalb der Operationen zur Wahl stehen, aber nicht ausgeschöpft werden müssen. So wurde in Abbildung 6 rechts der Wert 100 nicht benötigt. Im am Ende kopierbaren Status wird auch die seit dem Start vergangene Zeit vermerkt.
Abbildung 2: Nerdle und Numble
Vom Wordle zum Worldle
Das Spektrum der Wordle-Alternativen wird stetig erweitert (Tab. 3). In Worldle macht das zweite „l“ Unterschied. Hier geht es um die Suche von Ländernamen anhand der vorgegebenen Grenzen ihres Territoriums. Wiederum sind maximal sechs Versuche möglich. Die Zuweisung von Ländern kann direkt per Text oder über eine eingeblendete Auswahlliste erfolgen. Ausgegeben wird jeweils der Abstand zum Ziel in Kilometern und die prozentuale Annäherung. Hinzu kommt ein Pfeil, der die Richtung für den nächsten Zug andeutet. Eine Funktion zum Teilen des Ergebnisses sowie die zusätzliche Veranschaulichung des ermittelten Landes über einen Link zu Google Maps komplettieren das Spiel.
Mit Globlelassen sich ebenfalls Länder erraten. Dabei werden die eingegebenen Vorschläge auf einem kleinen drehbaren Globus unterschiedlich farblich hinterlegt. Darüber wird die Annäherung an das Ziel reflektiert.
Ein weiterer Trend ist die Ausweitung auf mediale Inhalte. Heardle spielt wenige Takte von Songs an, die den Interpret*innen zugeordnet werden sollen. Die Zeitspanne lässt sich über den SKIP-Button von einer bis zu 16 Sekunden erhöhen. Um Erfolg zu haben, sind musikalische, vor allem radiokompatible, Erfahrungen über größere Zeiträume von Vorteil oder man erwischt mal den perfekten Auftakt.
Neben dem Erraten von Schauspieler*innen, Filmen anhand von Szenenbildern oder Bandnamen über Plattencover ist noch das relativ neue Factle erwähnenswert. Es wird täglich ein statistischer Datensatz präsentiert, dessen Top 5 jeweils in der richtigen Reihenfolge zu sortieren sind. Dabei werden wiederum die bereits bekannten Wordle-Farbzuordnungen sichtbar.
Anwendung | Thema / Details | Webadresse (URL) |
6mal5 | Deutsch | www.6mal5.com |
Absurdle | Beliebig viele Versuche | www.qntm.org/files/absurdle/absurdle.html |
Animordle | 37 Tiernamen (mit Archiv) | www.animordle.com |
Bikle | Radsport | |
Birdle | Vogelicons statt Buchstaben | www.birdle.dev |
Byrdle | Musikalisch, parodistisch | www.byrdle.net |
Crosswordle | 2 Begriffe horizontal + vertikal | |
Custom Wordle | Eigene Rätsel erstellen | |
Dordle | 2 Begriffe gesucht | |
Gordle | Hockeysport | |
HPWordle | Harry Potter | www.harrypotterwordle.com |
Lewdle | Derbe Sprache | www.lewdlegame.com |
Lordle Of The Rings | Herr der Ringe | |
Mickeyrdle | Disney | www.mickeyvisit.com/disney-wordle |
Murdle | 10 Buchstabenleben | |
Octordle | 8 Begriffe gesucht | www.octordle.com |
Ordle | Norwegisch | www.ordle.no |
Quordle | 4 Begriffe gesucht | www.quordle.com |
Queerdle | Queerer Sprachgebrauch | www.queerdle.com |
QWRTL | Wörter ohne E | www.limpet.net/qwrtl |
Reversle | Rückwärts von der Lösung | |
Squareword | 5 Begriffe horizontal + vertikal | |
Star Wordle | Star Wars | www.starwordle.com |
Taylordle | Taylor Swift | www.taylordle.com |
Termo | Portugiesisch | www.term.ooo |
Voortle | 6 Sprachen | |
Waffle | Buchstaben schieben | |
Wördl | Deutsch | www.wordle.at |
Wordle | Das Original | www.nytimes.com/games/wordle |
Tabelle 1: Die Bandbreite an Buchstabenrätseln
Fazit
Die beschriebenen ‚Casual Games‘ erfordern erfahrungsgemäß nur wenige Minuten Aufmerksamkeit und man muss ja auch nicht alle am Stück absolvieren. Zudem werden sich je nach Interessenlage gewisse Favoriten herausbilden.
Ein mögliches praktisches Einsatzkonzept ist die Nutzung eines ausgewählten Spiels zum motivierenden Beginn einer Lehrveranstaltung. Das wurde vom Autor im Sommersemester 2022 mit Studierenden im Bereich Informationsdesign im Rahmen von Kursen zu Webentwicklung erprobt. In diesem Umfeld erwiesen sich speziell rechenorientierte Spiele als vorteilhaft. Hinsichtlich eines allgemeinen schulischen Einsatzes haben ausgewählte Anwendungen offensichtlich Potenzial für die Fächer Deutsch, Englisch, Geografie, Informatik, Mathematik und Sachkunde.
Über die für diesen Beitrag getroffene inhaltliche Auswahl hinaus werden alle in den Tabellen vertretenen Anwendungen im Onlineartikel von Meinike 2022 ausführlich erläutert und mit weiterem Bildmaterial untersetzt.
Literatur
Meinike, Thomas (2022). Neues vom Denkspocht – Casual Games zur Lösung von Denksportaufgaben. www.datenverdrahten.de/projekte/casual_denksport [Zugriff: 27.07.2022]
The New York Times (2022). Wordle Is Joining The New York Times Games. www.nytco.com/press/wordle-new-york-times-games/ [Zugriff: 27.07.2022]
1Unter www.nytimes.com/games/wordle kann das Spiel tagesaktuell in einem (mobilen) Webbrowser aufgerufen werden. Smartphone-Apps zu Wordle & Co. werden hier nicht thematisiert.
Beitrag aus Heft »2022/04 Medien. Mediensucht. Mediensuchtprävention«
Autor:
Thomas Meinike
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Anna-Clara Pentz: Friend Controller. Ein Textadventure über Freundschaft
Es rauscht und flackert. Die Grafik ist verpixelt, Spielelemente sind verschwunden und Level komplett durcheinander. ‚Friend Controller‘ ist kaputt! Jetzt gilt es, das Spiel sofort zu reparieren, sonst löscht es sich selbst und die Avatare Issy und Bobbi sind für immer verschwunden. Damit das nicht geschieht, brauchen sie Hilfe. Issy und Bobbi kennen sich in ihrem Spiel gut aus, aber sie brauchen das Wissen der Spielenden über Freundschaft, um den ‚Friend Controller‘ zu retten. Die*der Spielende des Textadventure muss Rätsel lösen, Gedanken sortieren, Symbole sammeln und Puzzle zusammensetzen, um rechtzeitig die Level zu reparieren.
Das dialogbasierten Online-Spiel ist in Zusammenarbeit mit dem freien Kindertheaterkollektiv Show and Tell unter der Projektleitung von Julia Hart und der medienpädagogischen Begleitung von Christiane Schwinge entstanden und ist die Weitererzählung des Theaterstücks ‚Friend Simulator‘, das im September 2021 in Hamburg Premiere feierte. Es richtet sich an Kinder von 10 bis 12 Jahren und regt dazu an, über Freundschaft zu reflektieren. Genau wie sich die beteiligten Schüler*innen bei der Konzipierung des Games mit den wichtigsten Aspekten und der Definition von Freundschaft auseinandergesetzt haben, werden auch die Spieler*innen angeregt, intensiv darüber nachzudenken und sich auch darüber auszutauschen, was für sie selbst Freundschaft ausmacht. Was gehört zu Freundschaft dazu? Wie entsteht eine Freundschaft? In fünf Leveln werden verschiedene Themen rund um Freundschaft thematisiert.
Die*der Spielende wählt zunächst aus, ob ihr*ihm Issy oder Bobbi bei der Mission zur Seite stehen soll. Beide Avatare verfügen über coole Superkräfte. Nach Auswahl geht es damit los, Level 1 zu reparieren. Hier sind Freundschaftsbegriffe verloren gegangen. Um das Level zu retten, müssen diese Begriffe eingefangen werden, dabei haben sich einige irreführende Begriffe unter die richtigen gemischt. Wurden alle Freundschaftsbegriffe gefunden, gilt es, sie in der Freundschafts-Skala in die Reihenfolge zu bringen, was einem persönlich an Freundschaft wichtig ist. So landen etwa ‚Spaß haben‘ und ‚Etwas Schönes zusammen machen‘ weiter oben als ‚Beleidigen‘ oder ‚Nerven‘. Jedoch gibt es hier kein Richtig oder Falsch – es zählt allein, welche Freundschaftsbegriffe den Spielenden besonders wichtig sind. Dass hier sowohl positive als auch negative Begriffe auftauchen zeigt, dass in Freundschaften nicht immer alles toll ist. Weiter in Level 2 gilt es, einzuordnen, wie eine Freundschaft entsteht. So steht das Kennenlernen vor dem Anfreunden, bevor man schließlich zu besten Freund*innen wird. Wie und wo das am besten passiert und was beim Anfreunden besonders wichtig ist, entscheidet wieder die*der Spielende selbst. Auch hier gibt es verschiedene Antwortmöglichkeiten. Bobbi und Issy lernen durch die individuellen Antworten verschiedene Aspekte und Seiten von Freundschaft kennen. Und auch wenn den Spielenden in Level 3 besonders viele Freund*innen oder der gemeinsame Musikgeschmack besonders wichtig ist, führt Issys oder Bobbis Nachhaken, ob denn die Anzahl der Freund*innen oder die Gemeinsamkeiten so wichtig sind letztlich zur Lösung der Sicherheitsfragen, die das Level reparieren. Wurde ein Level erfolgreich gerettet, kann ein Move für einen Freundschafts-Check ausgesucht werden, ob High Five, Kreuzen der Füße, Verhaken der Finger ineinander… das coole Ergebnis des persönlichen Freundschafts-Checks gibt es nach Rettung des Spiels zu sehen.
Die Avatare Issy und Bobbi lernen das Konzept Freundschaft mithilfe der Spielenden kennen. Immer wieder haken sie mit neugierigen Fragen nach und hinterfragen Ansichten zu Freundschaft. Ist etwa ‚Sich aus Spaß ärgern‘ genauso wichtig in einer Freundschaft wie ‚füreinander da sein‘. Die Fragen der Avatare regen zum eigenen Nachdenken an. So eignet sich das Spiel zum Einsatz im Unterricht, um etwa bei Streit oder Spannungen in der Klassengemeinschaft über Freundschaft zu sprechen. Aber auch sonst lässt es sich gut einbinden, um das Thema Freundschaft zu behandeln. Außerdem kann auf Grundlage des Spiels weitergedacht werden, inwiefern in digitalen Spielen Freundschaften geknüpft und gepflegt werden können oder ob auch Avatare zu Freund*innen werden können. Auf der Website www.friend-controller.de finden sich für den Einsatz im Unterricht theater- und medienpädagogische Begleitmaterialien.
Schwinge, Christiane/Amet, Kemal/Hilmer, Alina/Wolff, Gidon (Entwickler*innen) (2022). Friend Controller. Online-Spiel, kostenlos. www.friend-controller.de
Beitrag aus Heft »2022/03 Digitale Jugendarbeit – Perspektiven zur Professionalisierung«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Kati Struckmeyer: Freitagnacht Jews – der Podcast
Neben der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Talkshow Freitagnacht Jews (besprochen in merz 21-3) präsentiert Multitalent Daniel Donskoy nun auch den thematisch weiterführenden Podcast. Im Stil bleibt sich das Format treu – unkonventionell, schnell und kontrovers – und ist damit eine Bereicherung auf verschiedenen Ebenen.
Vier 45-minütige Folgen wurden seit Anfang April veröffentlicht und erweitern das Talkshowformat, dem es gelang, einen neuen, frischen Blick auf jüdische Lebenswirklichkeiten zu werfen. Im Podcast geht es nun um „die großen Judenthemen“ unserer Zeit: das Festjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘, die öffentliche Berichterstattung, Framing sowie die deutsche Erinnerungskultur.
In den sehr gut und vielfältig recherchierten Folgen kommen ganz unterschiedliche Expert*innen zu Wort, so zum Beispiel Sozialpsychologin Pia Lamberty, Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Thomas Kasper, Politikerin Marina Weisband oder auch Autorin Mirna Funk. Diese und noch weitere verschiedene Akteur*innen aus Kultur, Wissenschaft und Politik unterhalten sich inhaltlich unheimlich dicht, dabei kontrovers und oft auch provokant mit Donskoy. Es wird zu jedem Thema ein Meinungsspektrum aufgemacht, das unterschiedliche Meinungen auch für sich stehen lässt – daraus Schlüsse für sich selbst zu ziehen, bleibt den Zuhörenden überlassen. So ist Freitagnacht Jews auch eine sehr gute Grundlage, um weiter zu denken und zu diskutieren.
Auf der ästhetischen Ebene sticht vor allem die Folge ‚Jew Noir! Who framed the Jew?‘ heraus, die auditive Umsetzung eines Film noirs. Hier werden zwei Fälle abgearbeitet, die einen Teil der deutschen Öffentlichkeit zuletzt stark beschäftigten: Die Antisemitismusvorwürfe gegen die Journalistin Nemi El-Hassan sowie die Vaterjudendebatte um Autor und Publizist Max Czollek. Donskoy, den man beim Hören förmlich im schwarz-weiß-getünchten, kalten Berlin umherstreifen sieht, begibt sich hier in Manier eines Privatdetektivs auf Spuren- bzw. Meinungssuche und bringt dabei wirkliche Denkanstöße zu Tage.
Insgesamt sticht Freitagnacht Jews – der Podcast sehr aus der deutschen Podcast Landschaft heraus, indem er die Zuhörenden nicht in eine angenehm-kuschelige Zuhörwolke einlullt, sondern provoziert, überrascht, vor allem aber Lust macht, weiter zu diskutieren und zu denken und dabei auch Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Also genau das, was wir gerade brauchen.
ARD (2022). Freitagnacht Jews – der Podcast. Podcast, kostenlos, verfügbar auf diversen Podcast-Plattformen.
Beitrag aus Heft »2022/03 Digitale Jugendarbeit – Perspektiven zur Professionalisierung«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Nicole Lohfink: Realität im Film. Starke Dokumentarfilme auf der Berlinale 2022
Nach der zweigeteilten Veranstaltung im Jahr 2021 wurde das internationale Filmfestival dieses Jahr unter strikten Pandemie-Bestimmungen wieder zusammengeführt und in physischer Präsenz mit den Filmemacher*innen vor Ort ausgerichtet. In der Sektion Generation entstand dabei mit Filmen rund um viel Bewegung, Musik und Begegnung ein Gegenprogramm zu inneren und äußeren Pandemie-Einschränkungen, gerade für die jungen Menschen. Dabei zeigte sich auch die Vielfalt und erzählerische Stärke des Dokumentarfilms: So blickt der portugiesische Film ‚Juunt Pastaza entsari‘ (‚Waters of Pastaza’) in die Lebenswelt der Kinder in einem Amazonas-Grenz-Gebiet. Die Bilder und Beobachtung entwickeln einen assoziativen Sog und einen Rhythmus, der die Zuschauer*innen schleichend in seinen Bann zieht und mit sich trägt, gleichsam wie auf dem allgegenwärtigen Wasser im Film. Mit dem niederländischen Film ‚Shabu‘ begegnet das Publikum einer klassischen Helden-Reise, die sich wie ein Spielfilm-Plot auftut und einen emotionalen Zugang zur Geschichte des 14-jährigen Jugendlichen Shabu bietet. ‚Allons enfants‘ (‚Rookies‘) aus Frankreich wiederum nähert sich mit investigativem Blick einer Idee und der daraus resultierenden Modellschule, sowie der Gefühlswelt und den Befindlichkeiten der jugendlichen Protagonist*innen.
‚ALLONS ENFANTS’ (ROOKIES) VON THIERRY DEMAIZIÈRE UND ALBAN TEURLAI
„Keine guten Noten – kein Tanz“ – das ist die Grundlage, die der Lehrer den Schüler*innen gleich zu Beginn in der neuen Schule mitgibt. In der Schule im Pariser Stadtzentrum ist Hip Hop für die aufgenommenen Schüler*innen eine wichtige Disziplin, in der sie mit Training auf Wettbewerbe hin leistungsorientiert herausgefordert werden. Dennoch ist Tanz hier auch als Weg gedacht, ein problematisches Umfeld und familiäre Belastungen zu bewältigen, das Lernen ernst zu nehmen, und Bildung und Zukunftschancen zu erhalten. Hip Hop ist für viele der einzige Weg, sich und alles was in ihrer Welt passiert auszudrücken, wo ihnen sonst die Worte fehlen. In Gesprächen teilen die Jugendlichen nach und nach ihre Geschichten mit, zum Beispiel die Erkenntnis, dass es eine Welt ohne ständig präsente, offensichtliche Gewalt gibt – und das einfach nur jenseits des eigenen Stadtviertels, obwohl noch immer in der gleichen Stadt. Die beeindruckte Verwunderung bei manchen Jugendlichen über den Unterschied zwischen dem, was sie erlebt haben und alternativen Lebensrealitäten regt das Hinterfragen der eigenen Erfahrungen an. Auch stark verwurzelte kulturelle Routinen, die Identifikation über Sprachgewohnheiten, über äußere Erscheinung und ethnische Zugehörigkeit werden durch das – gemeinsame – Tanzen plötzlich einfach nur eine Wahrnehmung, die nicht unbedingt eine Reaktion nach sich ziehen muss. Die Noten sind in der Schule immer noch wichtig, aber es findet ein Paradigmenwechsel statt, was den Weg zu einer guten Leistung angeht.
Thierry Demaizière arbeitete als Auslandskorrespondent für das französische Radio RTL weltweit in Krisengebieten. Alban Teurlai war über zehn Jahre als selbstständiger Editor tätig. 2009 gründeten sie die Produktionsfirma Falabracks und realisieren seither Dokumentarfilme. ‚Allons enfants‘ lief als Eröffnungsfilm in Generation 14plus der diesjährigen Berlinale.
‚JUUNT PASTAZA ENTSARI‘ (‚WATERS OF PASTAZA’) VON INÊS T: ALVES
Der Film begleitet Kinder in einer kleinen Dorfgemeinde, die zu den Achuar-Gemeinden im Regenwald des Amazonas gehört. Hier, in Grenznähe zwischen Ecuador und Peru, blickt das Publikum mit ihnen und durch sie in eine Parallelwelt zu den Erwachsenen. Die Kinder sind hier unter sich und ihre Lebenswelt beinhaltet unaufgeregt Abläufe des täglichen Lebens und der Haushaltsorganisation ebenso wie Schlamm-Fußball während einer Regenphase. Über lange Zeit gehen die Kinder ihren täglichen Arbeiten nach, in der zum Spielen neben selbstgestalteten Spielsachen genauso auch das Holz sammeln, Fischen, Backen, Töpfern und Obst Ernten gehört. Wasser ist ein Bestandteil der Arbeit, der Lebensgrundlage, beinahe der Wohnungseinrichtung. Die Behausung und das Werkzeug, alles ist sehr einfach, und dass es Strom gibt, wissen Zuschauende nur, weil hier und da auch mal ein Smartphone sichtbar wird, das für Hintergrundmusik sorgt oder für ein Spiel genutzt wird. Es sind so gut wie nie Erwachsene zu sehen – erst am Schluss gibt es eine Szene, in der Erwachsene eine Rolle spielen. Doch das wirkt beinahe wie ein Unfall, und wird so zu einer Umkehrung der Lebenswelten. Wenn die Gruppe der Erwachsenen ein frisch aus Holz gefertigtes Boot durch den dichten Regenwald schiebt und zerrt, auf dem Weg zum Fluss-Ufer, dabei lacht und ruft, sind die Gesichter jung und alt zugleich. So entsteht ein fast meditativer Einblick in eine ganz eigene Welt, tief geprägt von der Landschaft und dem Wasser des Amazonas Gebietes.
Inês T. Alves entwickelt Filmworkshops für verschiedene Altersgruppen und experimentiert mit dem portugiesischen Kino-Kollektiv Movimento mit Community-basierter Filmkultur. ‚Juunt Pastaza entsari‘ist ihr Langfilmdebüt undlief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
‚SHABU‘ VON SHAMIRA RAPHAËLA
Der niederländisch-karibische Shabu ist 14 Jahre alt und lebt in einem der berüchtigtsten Stadtviertel im Süden Rotterdams, im ‚The Paperclip’. Er träumt davon, Musiker zu werden und auf der Bühne zu stehen, inklusive viel Geld und einem schnellen Auto. In seiner Unbedarftheit hat er eine Dummheit gemacht und damit die wichtigste Frau in seinem Leben verärgert, seine geliebte Großmutter. Er muss wieder gutmachen, dass er ihr Auto auf einer Spritztour zu Schrott gefahren hat, während sie auf Verwandten-Besuch in Surinam ist. Die Erwachsenen waschen ihm gründlich den Kopf, machen ihm klar, dass er nun Schulden zurückzuzahlen hat und im Sommer Geld verdienen muss. Wenn sich der fröhliche Shabu mit Percussions-Rhythmen auf allen zur Verfügung stehenden Oberflächen durch seine Tagträume musiziert, ist die Sehnsucht, sich in der heißen Sommerzeit treiben zu lassen und jede Verantwortung zu vergessen, spürbar. Shabu merkt aber, dass es mit einer einfachen Entschuldigung nicht getan ist, als seine Großmutter nicht mehr täglich mit ihm spricht. Mit seiner Musik und der Unterstützung im Viertel will er ein sommerliches Konzert ausrichten, dessen Erlös seine Großmutter erhalten soll. An der Schwelle zwischen Kind und Heranwachsendem erinnert Shabu selbst das Publikum daran, hinter den ersten Eindruck zu schauen, wenn er seinen Freunden beschreibt, dass er aufgrund des Körperbaus immer älter wahrgenommen wird, obwohl er erst 14 Jahre alt ist. Und so erlebt seine Umgebung ihn entweder fröhlich und überschwänglich oder aber verhalten, beinahe distanziert. Dazwischen kämpft er mit der Umsetzung seines Plans, der Dynamik von Beziehungen, insbesondere zu seiner Freundin und zu seinem besten Freund, sowie der Auseinandersetzung mit der eigenen Musik. Erst in einem Schlüsselmoment ist zu erkennen, wie sehr es hinter dem ruhigen Äußeren arbeitet und das Kind und der junge Erwachsene in ihm ihren Weg suchen. Als seine zurück gekehrte Großmutter überraschend wieder vor ihm steht, bricht Shabu in Tränen aus, rennt zu ihr und schluchzt in ihren Armen mit den Worten „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!“.
Das Konzert ist ein Erfolg – für den geplanten Zweck ebenso, wie für Shabus Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und seiner Großmutter zu zeigen, wieviel ihm ihre Liebe bedeutet. Eine klassische Helden-Reise, die aus dem Leben gegriffen ist.
Regisseurin Shamira Raphaëla studierte an der ArtEZ Academy of Art & Design in Arnheim. Neben ihrer Arbeit als Filmemacherin ist sie für das Kurzfilmprogramm des Internationalen Film Festivals Rotterdam verantwortlich und Mitbegründerin der Initiative framing of us. Shabu erhielt eine Lobende Erwähnung der Jury und lief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Nicole Lohfink
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Anna-Clara Pentz: History Voices. Mit ‚Playbooks‘ die Geschichte der Demokratie erleben
Die Geschichte der Demokratie selbst mitzuerleben, das ermöglichen die Playbooks von History Voices. In der bisher erschienenen ersten Episode ‚Antike‘ tauchen Schüler*innen an der Seite des Protagonisten Tramos in die Entstehung der Demokratie ein und müssen sogar selbst dazu beitragen, dass die politische Reform gelingt. An Tramos‘ Seite erleben sie den Tag, an dem Solon der Weise, ein griechischer Aristokrat, zum Archon gewählt wird. Durch Solons Reformen wurden die Schuldsklaverei abgeschafft, die Volksversammlung und das Mitspracherecht der unterschiedlichen Klassen eingeführt und damit ein wichtiger Grundstein für die Demokratie in Athen gelegt. Er schränkte die Macht des Adels ein und verwandelte die Aristokratie in eine Timokratie. Die fiktive Figur Tramos, der Sohn eines Athener Aristokraten, erfährt an seinem 18. Geburtstag, wie wichtig es ist, die Schuldsklaverei abzuschaffen und auch den Kleinstbäuer*innenn Rechte zuzusprechen. Er überzeugt seinen Vater und weitere wichtige Entscheidungsträger, Solon wiederzuwählen.
Die Handlung beginnt am Morgen von Tramos‘ Geburtstag. Die Spieler*innen begleiten den Protagonisten zu einem Geburtstagspicknick mit seinem besten Freund Heloss in einem Olivenhain vor den Toren Athens. Auf dem Weg dorthin begegnet Tramos Solon und erfährt von seiner Idee einer Reform. Als nach dem Picknick sein bester Freund Heloss, ein Schuldsklave von Tramos‘ Familie, festgenommen wird und Tramos die Ungerechtigkeit gegenüber Sklav*innen mit eigenen Augen mitansieht, beginnt er, sich intensiv mit der Politik auseinanderzusetzen und sich für seinen Freund und die Schuldsklav*innen und Kleinstbäuer*innen einzusetzen und Solons Reform zu unterstützen. In Gesprächen mit Solon, Heloss und später mit seinem Vater und Großvater lernt Tramos viel über die politische Lage in Athen. Das Playbook vermittelt die historischen Ereignisse dieses wichtigen Tages für die Demokratie durch Storytelling und Gameplay-Elemente, zielt dabei jedoch nicht auf das Belohnungssystem im Gehirn ab, sondern weckt durch das Narrativ um Tramos und seinen Freund Heloss die Neugierde der Kinder und Jugendlichen. Sie erfahren nämlich in interaktiven Dialogen von der Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen den Klassen, die in der Polis Athen besteht. Die Dialoge werden dabei per Multiple-Choice bei Tramos‘ Interaktionsmöglichkeiten gelenkt. So schlüpft die*der Spielende in die Rolle von Tramos und kann, je nach Interesse, tiefer in die Politik Athens eintauchen oder auch nur die grundlegenden Informationen zur Demokratie erfahren. Größere Neugierde wird im Glossar belohnt. Hier kann eingesehen werden, wie viele Informationen zu bestimmten Themengebieten aufgedeckt wurden und eine kleine Eule oben in der Ecke belohnt dies mit dem Bronze-, Silber- oder Goldstatus. Ein weiteres spielerisches Element sind die Gegenstände, die betrachtet oder eingesammelt werden können. Sie liefern zusätzliche Informationen zu der Zeit und den religiösen und politischen Bräuchen. Am Ende gilt es, das Wissen und die gesammelten Argumente einzusetzen, um vor der Wahl weitere wichtige Aristokrat*innen davon zu überzeugen, Solon zu wählen.
Im Playbook begegnet den Spielenden zu Beginn und am Ende der Episode im ‚Tempel des Wissens‘ der ‚Geist der Menschheit‘. Der Geist liegt in Ketten. Man erfährt, dass die Taten der Menschen, wie Kriege, die Ausbeutung der Natur und Ungerechtigkeit, diese Ketten geschmiedet haben und dass mit dieser Episode eine der Ketten gesprengt werden kann. Befreit wird der Geist der Menschheit mit dem Wissen der Menschen um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Geschichten, die in fünf Episoden erzählt werden sollen, erklären je eines der fünf Symbole im Tempel des Wissens, die für Gewaltenteilung, Vernunft, Glaubensfreiheit, Humanismus und Säkularisierung stehen. Gemeinsam mit den vier folgenden Episoden, ‚Die Römer‘, ‚Das Mittelalter‘, ‚Die Rennaissance‘ und ‚Die Neuzeit‘ sollen also Demokratie und die Werte der Aufklärung vermittelt werden.
Die Playbooks basieren auf den Lehrplänen der Bundesländer. Mit den Begleitmaterialien, die QR-Codes und weiterführende Rätsel, Hinweise und Tipps enthalten, können sie also adäquat in den Geschichtsunterricht eingebaut werden. Eine entsprechende Schul-Lizenz ermöglicht einen Admin-Modus, in dem Lehrkräfte gezielt zu bestimmten Themen springen können. Doch auch außerhalb des Unterrichts vermitteln die Playbooks spielerisch und spannend Wissen zu Demokratie und den Werten der Aufklärung.
History Voices (2022). Playbook Antike. Bildungssoftware, Altersempfehlung: ab 5. Klasse, browserbasiert. www.history-voices.de. Ab 39,99 €.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Anna-Clara Pentz: Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ zu Euthanasie
Bereits seit den 1980er Jahren sind Medien ein wichtiges Mittel der Erinnerungsarbeit bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus‘. Von Dokumentationen über Spielfilme bis hin zu Apps und Games heute – es gibt vielfältige Angebote, die verschiedene Themen und Aspekte der NS-Zeit thematisieren, damit über die Generationen hinweg die Grausamkeit nicht vergessen wird und die Geschichte sich nicht wiederholt. Das Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ des Gedenkkreises Wehnen e.V. setzt sich mit der Euthanasie, der systematischen Vernichtung von sogenannten ‚Kranken‘ in der NS-Zeit, auseinander. Dieses dunkle Thema wird am Beispiel der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Wehnen erzählt. Im von der Produktionsfirma Playing History produzierten Game durchlebt die*der Spielende das Geschehene anhand der Geschichte der fiktiven Figuren Anna und Josephine. Josephine erzählt anhand des Tagebuchs ihrer Schwester die tragische Geschichte der Familie, die schon beim Selbstmord des Vaters 1936 beginnt, der von den Nationalsozialisten aufgrund seiner Melancholie, die vermutlich auf Traumata aus dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen war, als depressiv und damit als ‚erbkrank‘ eingestuft worden war. Damit wurde ihm nach der Gesundheitspolitik der Nazis seine Kriegsrente entzogen und der Familie somit ein großer Teil ihrer Lebensgrundlage. Anschließend beschreibt Josephine das Schicksal ihrer Schwester Anna, die ebenfalls unter der Diagnose ‚depressiv‘ in der Anstalt in Wehnen untergebracht war und dort letztendlich auf sehr fragliche Weise ‚verstirbt‘. Jedoch ist das Tagebuch zunächst leer. Die Geschichte muss erst ‚erspielt‘ werden.
In zehn Kapiteln erfährt die*der Spielende anhand von Tagebucheinträgen und Dokumenten, wie dem ärztlichen Befund, dem Einweisungsbericht und Auszügen aus der Krankenakte Annas von deren Schicksal. In Zeichnungen hat Anna ihre Gefühle und ihren Alltag in Wehnen festgehalten. In diesen Zeichnungen gilt es, Handlungen durchzuführen, etwa eine Person durch ein vernebeltes Labyrinth zu führen oder die Gitterstäbe vor einem Fenster zu verbiegen. Mit jeder Aktion werden neue Bruchstücke der Geschichte aufgedeckt. Dabei wird die Zwangssterilisation der ‚Kranken‘ in der Heil- und Pflegeanstalt ebenso thematisiert wie die schlimme Versorgungslage und das systematische Aushungern der Patient*innen während der Kriegsjahre. So tauchen etwa Zahlen und Rations-Zuweisungen auf, sowie ein Brief des Verwaltungsleiters der Anstalt Wehnen, Heinrich Siems, der sich in einem Schreiben an die Kreisbauernschaft 1942 seines Sparkurses rühmte. Durch seine Hungerpolitik starben zahlreiche überwiegend nicht arbeitsfähige Patient*innen. Die Dokumente um Annas persönliches Schicksal sind dabei alle Originalakten aus Wehnen nachempfunden, andere Dokumente, wie etwa der Brief, sind realhistorische Zeugnisse der Euthanasie. Die Geschichte Annas steht dabei exemplarisch für die Geschichte der Patient*innen in Wehnen und in anderen Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus‘.
Angelegt ist das Serious Game zur Einbindung in den Schulunterricht. Das Spiel sowie ein dazugehöriges Handbuch, das ebenfalls kostenfrei auf der Website verfügbar ist, sind für eine Doppelstunde für Schulklassen ab der 9. Klasse konzipiert. Das Handbuch liefert zusätzlich zum Spiel Hintergrundinformationen zu den im Tagebuch angesprochenen Themen und verifiziert die Quellen und die Informationen darin. ‚Spuren auf Papier‘ bietet jedoch für alle Geschichtsinteressierten auch außerhalb des Schulkontexts durch das selbstständige Aufdecken und Nachforschen eine kurzweilige Geschichtslektion zu Euthanasie. Das sensible Thema der Krankenmorde wird dabei angemessen behandelt und trotz des Computerspiel-Charakters geht die Ernsthaftigkeit nicht verloren, sondern wird in behutsamer und pietätvoller Weise vermittelt.
Dieses Projekt wurde entwickelt im Rahmen von ‚dive in. Programm für digitale Interaktion‘ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch das Rettungs- und Zukunftspaket der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm ‚NEUSTART KULTUR‘.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Lisa Melzer: weitklick. Das Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung
Seit Beginn der Pandemie hat die Verbreitung von Verschwörungsmythen, Halbwahrheiten und Falschmeldungen mit und durch die Sozialen Medien zugenommen. Insbesondere junge Menschen informieren sich jedoch häufig nur über den Newsfeed von Facebook, Instagram, Twitter und Co und nutzen vergleichsweise wenig unterschiedliche Nachrichten- und Wissensquellen. Dabei sind gerade sie in besonderem Maße darauf angewiesen, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden, um das gesellschaftliche und politische Geschehen richtig einordnen und sich auf dieser Basis eine fundierte Meinung bilden zu können. Bisher erhalten Heranwachsende jedoch nicht ausreichend Unterstützung dabei.
An dieser Stelle soll das Projekt weitklick Abhilfe schaffen, welches sich als ‚Netzwerk für digitale Medien und Weiterbildung‘ versteht, und Lehrende dabei unterstützen, das Thema Desinformation nachhaltig in Unterrichtskontexte zu integrieren. Mithilfe eines umfassenden Blended Learning-Angebots aus Onlinekursen, Unterrichtsmaterialien, Webinaren und Vor-Ort-Veranstaltungen richtet sich das bundesweite Bildungsprogramm vor allem an Lehrkräfte aus weiterführenden allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen.
Ziel des Projekts ist es, die Urteilsfähigkeit und Meinungsbildung von Heranwachsenden zu fördern. Um dies zu erreichen, können sich Nutzer*innen mithilfe des Angebots individuell fortbilden und sich so grundlegendes Wissen über die Mechanismen und Funktionsweisen digitaler Medien, Meinungsbildungsprozessen im Internet und die unterschiedlichen Formen und Wirkungsweisen von Desinformation aneignen.
Das Netzwerkprojekt wurde von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e. V.) ins Leben gerufen. Gefördert wird weitklick im Rahmen eines Förderprogramms von Google.org. Zur Qualitätssicherung wird das Projekt von einem Beirat mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Journalismus, Politik und Bildungspraxis begleitet.
Das Angebotsspektrum von weitklick ist riesig. Mithilfe von Online-Kursen zum individuellen Selbststudium werden Lehrkräften zahlreiche Impulse an die Hand gegeben, um über Falschnachrichten, Verschwörungsmythen und propagandistische Inhalte im digitalen Raum mit Schüler*innen ins Gespräch zu kommen. Gerade angesichts der hohen Verbreitung von Desinformation im Zuge der Pandemie ist es besonders wichtig, dass Schüler*innen dazu angeregt werden, ihr Mediennutzungsverhalten zu reflektieren, Wirkungsweisen von Desinformation zu hinterfragen und Strategien zum kritischen Umgang mit digitalen Quellen zu entwickeln. Mithilfe der Kurse werden Lehrkräfte nicht nur über Recherchemethoden, Bewertungsraster für Informationen oder die Anwendung von so genannten Fact-Checking-Tools aufgeklärt, sondern sie erhalten auch einen Überblick über journalistische Qualitätskriterien und Darstellungsformen, um ein Verständnis für Medienbildung im Allgemeinen und die mit Desinformation zusammenhängenden Hintergründe im Besonderen entwickeln zu können.
Ein weiterer wichtiger Baustein des Projekts sind informative Erklärvideos, Aufzeichnungen und Webinare zu den Themen Desinformation und Meinungsbildung im digitalen Raum, die sich an den Bedürfnissen und Bedarfen von Lehrkräften orientieren. Insbesondere die Webinare überzeugen dabei mit informativen, aber auch kritischen Beiträgen von unterschiedlichen Expert*innen. So klärt Mirko Drotschmann alias ‚MrWissen2go‘ darüber auf, mit welchen Methoden Journalist*innen arbeiten, wie Fakten-Checks funktionieren und wie sich prüfen lässt, welche Informationen und Quellen vertrauenswürdig sind. Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun widmet sich dagegen dem Thema Verschwörungsmythen und beleuchtet gängige Verbreitungswege sowie Strategien für den Umgang damit.
Um das hier erworbene Wissen auch praktisch anwenden zu können, finden Lehrkräfte auf der Website von weitklick eine große Auswahl an kostenlosen Download-Materialien, darunter Arbeitsblätter, Übungen, Spiele und Projektideen, die sie zur Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung heranziehen können. Durch die Filtermöglichkeit nach Themenfeld, Fächergruppen und Schulform werden Unterstützungsangebote vieler engagierter Institutionen und Akteur*innen gebündelt präsentiert und die Suche nach geeigneten Methoden und Materialien erleichtert.
Um Medienbildung stärker in Unterrichtskontexten zu verankern, organisiert weitklick zudem kostenlose Fortbildungen, die auf die Wünsche und Bedarfe von Lehrkräften zugeschnitten sind. Das Spektrum an Formaten, aus denen Lehrende wählen können, ist groß: digital und anlog, vom halbstündigen Expert*innen-Input innerhalb einer regulären Fortbildung über mehrstündige Workshops bis hin zur Organisation von schulinternen Fortbildungstagen. Darüber hinaus setzt das Netzwerk auch auf journalistische Expertise. So haben Medienschaffende die Möglichkeit, eigene Vorschläge für Projekte oder Veranstaltungen einzubringen, um mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen den Lernraum Schule zu bereichern. Von weitklick erhalten sie dabei Unterstützung und Beratung rund um Planung, Konzeption und Umsetzung ihrer Ideen und Vorhaben.
Insgesamt liefert weitklick Lehrkräften ein umfassendes Angebot an vielseitigen Unterrichtsanregungen und mediendidaktischen Werkzeugen, mit denen sie Schüler*innen an mögliche Erscheinungsformen, Charakteristika, Motive und Verbreitungswege von Desinformation heranführen können. Aber auch für pädagogische Fachkräfte aus anderen Handlungsfeldern und Medienschaffende kann das Netzwerk ein Wegbereiter sein, um junge Menschen dazu anzuregen, ihre eigene Verantwortung für den Umgang mit Desinformation im Netz zu reflektieren und sie für Gefahrenaspekte zu sensibilisieren.
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) (2020). weitklick – das Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung. Website. www.weitklick.de. Kostenlos verfügbar.
Anna-Clara Pentz: Programmieren mit dem Elefanten. Erste spielerische Programmier-Erfahrungen für Kinder
Mit dem neuen Spiel ‚Wenn-Dann-Maschine‘ in der Elefanten-App des Westdeutschen Rundfunks können schon die Kleinsten mit dem kleinen blauen Elefanten ganz einfach die ersten Grundzüge des Programmierens lernen. Dazu müssen die Kinder noch nicht einmal lesen oder schreiben können. Das Programmieren geschieht mithilfe von einfachen Bausteinen, mit welchen einer Wolke, dem Hasen, dem kleinen blauen Elefanten und einer Wiese lustige Aktionen zugewiesen werden können. Über die Bausteine ‚Kreis‘, ‚Dreieck‘, ‚Viereck‘ und ‚Stern‘ können verschiedene Aktionen wie Bewegungen, Geräusche, Wiederholungen oder Auslöser ausgesucht werden. Beim Anklicken des jeweiligen Symbols wird dabei erklärt, was zu tun ist. Die Formen der Bausteine tauchen dabei neben den Bildern der Wolke, der Wiese, des Hasen und des Elefanten wieder auf, sodass intuitiv klar wird, wie die Aktionen zugewiesen werden können. Wenn alle Aktionen ausgewählt wurden, können sich die Kinder ihr Ergebnis ansehen. So wird etwa beim Schütteln des Geräts oder durch Anklicken die Wiese unter Pups-Geräuschen zum Flauscheteppich, die Wolke zerplatzt lachend zu Seifenblasen, der Hase verkleidet sich unter Schnarchen und der Elefant präsentiert miauend einen Blumenstrauß. Hase und Elefant reagieren auf die lustige Programmierung mit Gelächter.
Zu der ‚Wenn-Dann-Maschine‘ gibt es auf der ‚Seite mit dem Elefanten‘ unter www.wdrmaus.de auch Lernmaterial für Eltern sowie pädagogische Fachkräfte in Kita und Grundschule. So kann das Angebot zu Hause, in der Kita oder Grundschule unkompliziert vermittelt werden. Zu den Materialien gehören Lernspiele zum Ausdrucken, mit Hilfe derer beispielsweise Wenn-Dann-Bedingungen oder auch ‚versteckte Computer‘ im Alltag besprochen und reflektiert werden können. Mit diesem Material können unabhängig von der ‚Wenn-Dann-Maschine‘ spielerisch die Grundzüge des Programmierens entdeckt und dabei auch ein Verständnis für Prinzipien der Logik im Alltag geschaffen werden. Dass Spiel in der App sowie die begleitenden Materialen fördern logisches Denken, Kreativität, sowie das Verständnis von Kausal-Zusammenhängen. In der App arbeiten die Kinder zudem an ihren motorischen Fähigkeiten und lernen nebenbei neue Begriffe.
Westdeutscher Rundfunk (2021). Der Elefant. Kreativ- und Lernapp für IOS und Android, Altersempfehlung: 4–7 Jahre, kostenfrei.
Anna-Clara Pentz: Das EXIT-Game für das Smartphone
Mit ‚EXIT – Der Fluch von Ophir‘ bringt KOSMOS die beliebte Escape-Game-Reihe EXIT erstmals auf das Smartphone. In bekannter EXIT-Manier schafft KOSMOS ein Mobile-Game, das die Spieler*innen in einen rätselhaften Fall hineinzieht, aus dem es durch das Lösen verschiedener Rätsel herauszukommen gilt. In ‚Der Fluch von Ophir‘ findet sich der*die Spieler*in im Hotel Ophir in den Wichita Mountains in Oklahoma wieder, in dem unnatürliche Dinge geschehen und zuletzt der berühmte Schriftsteller Tory Harlane spurlos verschwunden ist. Zu Beginn des Spiels führt eine Erzählstimme ein in die Geschichte des Hotels und die Gerüchte, die sich seit jeher um diesen geheimnisvollen Ort ranken: Gerüchte über eine angebliche Stadt aus Gold, über unerklärliche Phänomene, verschwundene Personen und einen Fluch.
Im Hotel gilt es nun, Hinweise zu suchen und Aufgaben und Rätsel zu lösen, um hinter das Geheimnis um das Hotel und Tory Harlanes Verschwinden zu kommen. Dabei wird die Suche etwa durch einen nicht auf Anhieb funktionierenden Fahrstuhl oder verschlossene Türen erschwert. Zu Beginn findet der*die Spieler*in sich in der leeren Lobby des Hotels wieder, mit einer Abwesenheitsnotiz der Hotelangestellten und einem Zimmerschlüssel auf dem Tresen beginnt nun das Abenteuer. Wie für die EXIT-Reihe üblich, bedarf es aufmerksamen Hinschauens, logischen Denkens und einigen Kombinationsvermögens, um die Aufgaben zu lösen. Glücklicherweise gibt es auch Tipps, sollte man bei einem Rätsel gar nicht weiterkommen. Allerdings zählen diese in die Auswertung am Ende hinein.
Das Hotel ist mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet und neben den für das Spiel relevanten Hinweisen, erfährt man durch Klicken auf manche Gegenstände im Hotel noch etwas über die Geschichte des Hotels oder beispielsweise die Tradition der Bärenjagd in Oklahoma, die zum Aussterben der Bären dort geführt hat.
Die Oberfläche des Games ist sehr intuitiv, teilweise leuchten relevante Gegenstände auf und machen so auf sich aufmerksam. Dennoch sind die Rätsel nicht allzu leicht zu lösen, weshalb sich das Spiel auch sehr ziehen kann. Die Option, das Spiel zu unterbrechen und an der abgebrochenen Stelle wieder fortzusetzen ist daher sehr nützlich. Die Altersempfehlung ab 12 Jahren ist aufgrund der Geschichte und der düsteren Stimmung, die durch die Hintergrundmusik noch deutlich verstärkt wird, angemessen. Für alle Rätsel-Fans ist das Spiel sehr zu empfehlen.
KOSMOS (2021). EXIT – Der Fluch von Ophir. App-Game ab 12 Jahren für IOS und Android. 5,99 €.
Anna-Clara Pentz: Hidden Codes. Lern-App zum Thema Radikalisierung.
Bildungsstätte Anne Frank (2021). Hidden Codes. Appstore/Playstore, kostenfrei.
Mit ‚Hidden Codes‘ präsentiert die Bildungsstätte Anne Frank ein Mobile Game, das junge Menschen spielerisch für Radikalisierung sensibilisieren soll. Selbst aktiv werden gegen Hass und Hetze – das ist darüber hinaus das Ziel des Games. In der App interagieren die Spieler*innen durch eine Social-Media-Oberfläche mit den Charakteren des Spiels und werden damit selbst Teil der fiktiven Geschichten. So ist Aufgabe der Spielenden, radikale Inhalte und Strategien radikaler Gruppierungen im Netz, insbesondere auf Social-Media-Kanälen, zu identifizieren und gegen sie vorzugehen. Auf der Game-Oberfläche legt sich die*der Spieler*in zunächst ein Profil an, stellt einen Username, einen Satus und einen Avatar ein und schon ploppt die erste Nachricht im Chatverlauf auf und die Handlung beginnt.
In den bisher verfügbaren zwei Episoden steht Rechtsradikalismus im Zentrum. Als Mitglied einer Schülerzeitung hilft die*der Spielende so etwa in Episode I der Mitredakteurin und Freundin Emilia, aus dem rechtsradikalen Umfeld herauszukommen. Durch die anderen Redaktions-Mitglieder wird die*der Spielende auf Anzeichen aufmerksam gemacht, die Emilias neue Freundin Patricia als rechtsradikal identifizieren. So erfährt man im Spiel etwa, dass es sich bei dem auf den ersten Blick harmlosen Anhänger an Emilias Freundschaftsarmband um ein bei rechtsradikalen Gruppierungen beliebtes Symbol handelt. Außerdem erkennt man durch Tipps der Mitredakteur*innen, dass eine als Demonstration für Frauenrechte getarnte Veranstaltung rassistisch motiviert ist und wird dabei auf die geschickt eingesetzten Strategien und Themensetzungen von Rechtsextremist*innen auf der Suche nach Nachwuchs hingewiesen. In der zweiten Episode soll die*der Spielende für einen Artikel für die Schülerzeitung aufdecken, ob ein Mitschüler hinter dem Profil eines rechtsradikalen Gamers steckt. Auf den Social-Media-Kanälen des Gamers sind zahlreiche Memes mit ganz expliziter und auch teils versteckter antisemitischer Aussage zu finden und auch in den Posts und Kommentaren des Mitschülers lassen sich solche entdecken. Auch hier erhält die*der Spielende bei der Suche nach radikalen Inhalten wieder Hilfe von der Schülerzeitungs-Redaktion. Die einzelnen Redaktions-Mitglieder kennen sich mit Symbolen der rechten Szene oder auch mit den Strukturen hinter rechten Akteur*innen aus, oder können mit Informationen zu Algorithmen oder auch ‚Fake News‘ weiterhelfen. Über die Chat-Funktion kommuniziert und interagiert die*der Spielende mit diesen Expert*innen, wird auf Bilder oder Videos auf den Social-Media-Plattformen aufmerksam gemacht und bekommt die nötigen Hintergrundinformationen. So sucht man etwa rechte oder antisemitische Symboliken auf geposteten Bildern, kann diese per Screenshot-Funktion an die Mitredakteur*innen weiterleiten und erhält von diesen Tipps, wonach zu suchen ist sowie Informationen zu bereits gefundenen Hinweisen. Durch eine Auswahlmöglichkeit an vorgefertigten Textbausteinen in der Messenger-Oberfläche können dabei je nach individuellem Hintergrundwissen weitere Informationen eingeholt werden.
Neben den beiden ersten Episoden, die das Thema Rechtsextremismus behandeln, sind weitere Episoden geplant, die auch islamistische Radikalisierung thematisieren sollen.
Das Wissen zu Radikalisierung wird im Game durch die Social-Media-Oberfläche unterschwellig und alltagsnah am Leben der jugendlichen Zielgruppe vermittelt. Jugendliche, die möglicherweise bereits in Chats und auf Social-Media-Plattformen mit (rechts-)radikalen Inhalten in Berührung gekommen sind, lernen durch das interaktive Spiel, wie sie sich in solchen Situationen gut verhalten können, wie sie beispielsweise auf Mitschüler*innen zugehen können, die in ein solches Umfeld geraten sind, aber auch, wie sie selbst die Strategien (rechts-)radikaler Akteur*innen durchschauen und damit nicht in diese Kreise geraten. Die Oberfläche ist mit sehr viel Liebe zum Detail ausgestaltet. So haben die Charaktere des Games Profilfotos in dem an Whatsapp erinnernden Massenger und man kann sich durch ihre Profile in einer an Instagram erinnernden Social-Media-Plattform klicken. Auch im Chatverlauf wurde viel mit Emojis und realitätsnahen Konversations-Elementen gearbeitet, sodass wirklich das Gefühl entsteht, mit den Figuren zu interagieren.
‚Hidden Codes‘ ist als Bildungs-Game konzipiert, das im Unterricht und anderen pädagogischen Kontexten eingesetzt werden kann. Die App soll Schüler*innen an das Thema Radikalisierung heranführen. Dazu eröffnet das Game viele Aspekte des Themas, wobei sowohl im interaktiven Chat als auch in Zwischensequenzen mit Auswertungen des Spielverlaufs sehr viele Hintergrundinformationen gegeben werden. Dennoch ist es den Entwickler*innen wichtig, die Jugendlichen mit den Inhalten nicht allein zu lassen, sondern die angesprochenen Themen zu vertiefen und das Gespielte zu reflektieren. Aus diesem Grund ist das Game auch nicht frei zugänglich, sondern muss mit einem Code freigeschaltet werden. Der Code sowie die umfangreiche Begleitmaterialien für Lehrkräften und anderen Multiplikator*innen können kostenfrei über die Website www.hidden-codes.de angefragt werden.
Anna-Clara Pentz ist seit Oktober 2020 Volontärin bei merz | medien + erziehung und im kopaed-Verlag. Sie studierte Anglistik/Amerikanistik mit Kunst- und Kulturgeschichte (B.A.) und Internationale Literatur (M.A.).
Beitrag aus Heft »2021/06 Kinder- und Jugendmedienschutz mitmachen«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Isabel Klotz: didab: Die erste Lernplattform für Menschen mit Behinderung.
gdw nord (2021). www.didab.net. Website, kostenpflichtig.
Nicht alle Menschen können ‚mal schnell googeln‘, wenn sie wissen wollen, wie man empfindliche Wollpullover wäscht, wie der Fahrkartenautomat funktioniert oder wie man eine Briefwahl beantragt. Denn auch in unserer digitalisierten Gesellschaft sind Informationen im Internet oft nicht so aufbereitet, dass alle sie nutzen können. Dem will die Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland e.G. (gdw nord) ein Ende bereiten: Ihre Lernplattform ‚didab‘ bietet Menschen mit Beeinträchtigung Wissen aus verschiedenen Lebensbereichen, das genau auf die Zielgruppe abgestimmt ist. Die Abkürzung ‚didab‘ steht hierbei für ‚digital dabei‘ und drückt genau aus, worum es dem Projekt geht: Eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – online und im alltäglichen Leben. Zu diesem Zweck steht auf der E-Learning Plattform in über 300 multimedialen Lernmodulen kurz und bündig aufbereitetes Wissen für den Alltag und das Berufsleben zur Verfügung.
Die Bildungsplattform kombiniert Erklärfilme, Audiobeiträge und Abbildungen mit interaktiven Inhalten wie Quiz und setzt dabei auf wiederkehrende Charaktere in Lerngeschichten. Das begünstigt die Identifikation mit den Figuren, begrenzt gleichzeitig die Anzahl der auftretenden Charaktere und kann zusätzlich motivieren. Durch die übersichtliche Gestaltung und barrierearme Menüführung ist die Plattform gut zu bedienen. Zudem sind alle Inhalte in Einfacher Sprache zugänglich. Derzeit sind die elf Themengebiete Arbeit und Bildung, Umgang mit Geld, Soziale Medien, Alltag und Wohnen, Ernährung und Kochen, Wissen und Recht, Soziales Miteinander, Computer und Internet, Freizeit und Sport sowie Gesundheit und Krankheit und Mobilität enthalten, sollen aber laufend ergänzt werden. Als webbasierte Bildungsplattform ist ‚didab‘ auf PCs, Tablets oder Smartphones anwendbar.
Entwickelt wurde das Projekt in Kooperation mit der Fakultät ‚Soziale Arbeit‘ der Ostfalia HochschuleBraunschweig Wolfenbüttel. Seit 2018 forschen sie gemeinsam mit der gdw nord an einem online Lernkonzept für Menschen mit Beeinträchtigung. Um zu ermitteln, worin genau ihr Lernbedarf besteht und worauf sie besonderen Wert legen, wurde zunächst eine Studie an zehn Einrichtungen der gdw nord durchgeführt. Dass schon im Planungsprozess Menschen mit Behinderung involviert und an der Erarbeitung wichtiger Bestandteile beteiligt waren, ist auch ein Exempel dafür, nicht nur über sondern auch mit Menschen mit Beeinträchtigung über ihre Bedürfnisse zu reden.
Die Bildungssoftware wird ständig weiterentwickelt: Seit Juli 2021 ist das Projekt um die Funktion ‚Meine Einrichtung‘ ergänzt, die es Einrichtungen der Behindertenhilfe erlaubt, für ihre Nutzer*innen eigene Inhalte aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Neu ist auch, dass Webinare und Schulungen angeboten werden, die einen Überblick darüber geben, wie ‚didab‘ zum Lernen eingesetzt und in den Alltag integriert werden kann. Für Einrichtungen richtet sich der Preis nach der Anzahl der Zugänge, beginnend bei 100 Euro monatlich, Privatpersonen können sich für 7,50 Euro monatlich registrieren.
Die Lernplattform richtet sich an Menschen jedes Alters und ist mit ihren vielfältigen Themengebieten für zahlreiche Personen interessant. Im Mai 2021 hatten schon mehr als 8000 Menschen mit Behinderung Zugang zu ‚didab‘.
‚Didab‘ macht vor, wie barrierefreie Bildung aussehen und wie Menschen mit Beeinträchtigung digitale Kompetenzen entwickeln können, um auch am Online-Geschehen teilzuhaben und mehr Möglichkeiten zur Selbstbestimmung zu erlangen. Damit leistet die Lernplattform einen großen Beitrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und wird als Pionierprojekt hoffentlich noch viele weitere Ansätze inspirieren, um Menschen mit Beeinträchtigung digitale und analoge Teilhabe zu ermöglichen.
Isabel Klotz ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung. Sie studiert Lehramt für Realschulen an der LudwigMaximilians-Universität München.
Beitrag aus Heft »2021/06 Kinder- und Jugendmedienschutz mitmachen«
Autor:
Isabel Klotz
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Isabel Klotz: Offene Geschichte. Digitale Lernplattform für historische Bildung
Verstaubte Geschichtsbücher könnten bald der Vergangenheit angehören, denn immer mehr Museen und Gedenkstätten entwickeln digitale Materialien für historisches Lernen. Digitale Lernformate bieten in Zeiten von Distanzunterricht und erschwerten Bedingungen für spannenden Geschichtsunterricht aber nicht nur in organisatorischen Fragen einen Mehrwert, wie die digitale Lernplattform offene-geschichte.eu beweist.
Die Plattform ging infolge der Dringlichkeit der Pandemie verfrüht als Beta-version online. Anhand von didaktisch aufbereiteten Modulen machen Forschende der Universität Tübingen für Lehrende und Lernende zugänglich, wie Menschen und Gesellschaften jeher mit Krisen und Extremsituationen umgehen. Dass die Lernplattform in genau solch einer Zeit Prämiere feiert, kommt der Zielgruppe entgegen: Jugendliche erfahren gerade selbst, wie ungewiss die Entwicklungen in einer weltweiten Extremsituation sind. Genau das macht sich die Forschungsgruppe der Universität Tübingen zum Ziel: Anhand der bisher fünf veröffentlichen Themenblöcke ‚Der erste Kreuzzug‘, ‚Die Pest‘, ‚Die Belagerung von Wien‘, ‚Kriegsende 1945‘ und ‚Die Katastrophe von Tschernobyl‘ sollen Schüler*innen Situationen nahegebracht werden, in denen sich Menschen in dramatischen Krisensituationen unterschiedlichster Art befanden. In solchen Momenten aus der Vergangenheit mussten oft unter hohem Zeitdruck weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Mit Hilfe von Bildern, Videos, Artikeln und Briefen sind historische Quellen in die Lernmodule integriert, die Jugendlichen die unsicheren Handlungsmöglichkeiten der Vergangenheit vermitteln sollen. Knappe Fragestellungen ermöglichen ihnen einen individuellen Zugang zu den Ereignissen, sie entscheiden sich durch die Wahl bestimmter Aufgaben für verschiedene Alternativen. Die Lernenden sollen so zum selbstständigen Denken animiert werden und selbst zu einem Bild über die Vorkommnisse der Geschichte kommen.
In den kommenden drei Jahren sollen weitere Module folgen (zum Beispiel der Untergang Roms, die französische Revolution und der Mauerbau) und technische sowie didaktische Erweiterungen ergänzt werden. Jeder Themenblock ist auf die Länge einer Doppelstunde ausgerichtet und kann als OER (Open Educational Ressource) an allen Schulen frei verwendet werden.
Entstanden ist das Projekt in der Zusammenarbeit des ‚Tübinger Sonderforschungsbereich 923‘ ‚Bedrohte Ordnungen‘ mit dem ‚Institut für Geschichtsdidaktik und Public History‘. Bereits seit knapp zehn Jahren nehmen die Forscher*innen in den Blick, wie Menschen in der Vergangenheit mit Bedrohungen ihrer sozialen Ordnung umgegangen sind.
Eberhard Karls Universität Tübingen (2020). www.offene-geschichte.eu. Website, kostenlos verfügbar.
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Isabel Klotz
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Anna-Clara Pentz: ‚tolerant statt ignorant‘. Eine virtuelle Ausstellung für Demokratie und gegen Antisemitismus
Die Arbeitsgemeinschaft Jugend + Bildung e. V. schafft mit der virtuellen Ausstellung ‚tolerant statt ignorant‘ in diesen Pandemie-Zeiten ein tolles Angebot für Jugendliche, sich durch spannend aufbereitete, multimediale Inhalte mit Demokratie und Antisemitismus auseinanderzusetzen. Die Ausstellung wird gefördert durch das Bundesland Hessen und Hessen aktiv für Demokratie und gegen Extremismus und richtet sich an Jugendliche ab 14 Jahren sowie junge Erwachsene.
Auf der Startseite der Website tolerant-statt-ignorant.de führt eine Bildergalerie mit Fotografien von Ausstellungsräumen durch das virtuelle Museum. Aus dem Foyer gelangt der*die Besucher*in in vier ‚Museumsräume‘. Hier hängen Gemälde, Fotografien, Zeitungsausschnitte oder etwa ein Stadtplan an der Wand und neben Skulpturen und dem typischen siebenarmigen Leuchter steht auch ein alter Lederkoffer. Mit einem Klick auf die Gegenstände öffnen sich Informationen zum Judentum und zu Antisemitismus – als Textbeiträge, mit Bildmaterial und eingebetteten Videobeiträgen oder auch Grafiken. Mit Fragen und Denkanstößen zu den Inhalten werden die Jugendlichen immer wieder animiert, Ähnlichkeiten mit und Unterschiede zu anderen Religionen zu erkennen oder auch über die eigene Einstellung gegenüber Menschen des jüdischen Glaubens und das Judentum zu reflektieren.
Im ersten virtuellen Raum der Ausstellung, ‚Was ist eigentlich jüdisch?‘, werden Hintergründe zum Judentum weltweit und speziell zur deutsch-jüdischen Geschichte beleuchtet. Mit einem Klick auf die ‚Menora‘, den siebenarmigen Leuchter, oder die Thora erfährt man mehr über religiöse Grundlagen sowie Moral und Ethik des jüdischen Glaubens. Andere Galeriebesucher*innen im Raum ‚berichten‘ über jüdische Vielfalt. Hier kommt in einem Video zum Beispiel die jüdische Schriftstellerin und Schauspielerin Lana Lux zu Wort. In einer Galerie trifft der*die Ausstellungsbesucher*in auf Bilder und Fotografien bekannter jüdischer Persönlichkeiten, wie etwa goldgerahmte Portraits Einsteins neben Siegmund Freud und Hannah Arendt. Informationen zu den Persönlichkeiten werden beim Anklicken der Bilder eingeblendet. ‚Alles koscher?‘ – hier betrachtet der*die Besucher*in eine reich-gedeckte Tafel mit allerlei Köstlichkeiten; besonders bei Milch- und Fleischprodukten gelten da jedoch ganz eigene Regeln – beim Bewegen der Maus über das Essen erfährt man mehr darüber, was ‚koscher‘ eigentlich ist.
Nach den allgemeinen Informationen über das Judentum geht es nun in Raum 2 mit ‚Antisemitismus hat Geschichte‘ weiter. Hier erfahren die Betrachter*innen, dass ‚Antijudaismus‘ in der Geschichte schon sehr weit zurück reicht. Das zeigen antijüdische Darstellungen vom Mittelalter, über Karikaturen aus dem Kaiserreich bis hin zu Propagandaplakaten aus dem Nationalsozialismus. Neben den Bildern sind auch hier wie der Videos eingebunden: in zwei Clips erzählen Zeitzeuginnen vom Gipfel des Judenhasses in der massenhaften Juden-Vernichtung, dem Holocaust, und im YouTube-Clip von MrWissen2go wird noch einmal die Geschichte des Antisemitismus zusammengefasst und deutlich gemacht, dass dieser nicht mit Ende des Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg endete.
Vertieft wird dann in Raum 3 auf ‚Antisemitismus heute‘ eingegangen. In verschiedenen Videos erfährt man hier etwa von fünf jungen Jüd*innen, dass sie sich in der heutigen Gesellschaft mit den aktuellen Vorkommnissen wieder deutlich unsicherer fühlen. Andere Videos nehmen die Besucher*innen mit in eine jüdische Schule oder zu einem jüdischen Fußballverein. Thema überall sind Anfeindungen und Bedrohungen. Hier wird der*die Besucher*in gefragt: „Ist dir ‚Jude‘ Schon einmal als Beleidigung begegnet? Wie hast du darauf reagiert und wie sollte man darauf reagieren?“ Mit Graphiken und Statistiken wird der Anstieg der antisemitischen Vorfälle in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. Ein Klick auf Schilder mit der Aufschrift ‚Toleranz‘, ‚Nie wieder!‘, ,Gegen Antisemitismus‘, und ‚Vielfalt‘ führt nun zu dem Teil der Ausstellung, der zur Partizipation an Gegenbewegungen von Antisemitismus ermutigt. Das Video ‚Wie reagiert man auf Antisemitismus?‘ der Initiative Meet a Jew liefert einige Tipps, wie man auf antisemitische Äußerungen im Alltag reagieren kann und schließlich gibt es zahlreiche weiterführende Links zu Beratungsstellen für Betroffene von Antisemitismus oder Rassismus oder etwa zum Meldeportal des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. oder auch zu Meldestellen von Hatespeech im Netz.
In Raum 4 wird nun spezifisch ‚jüdisches Leben in Hessen‘ thematisiert, wobei neben der jüdischen Siedlungsgeschichte und den heutigen jüdischen Erinnerungsorten auch jüdische Sportvereine in Hessen und damit die Geschichte jüdischer Sportler*innen beleuchtet wird. Der Rundgang durch die vier Räume bietet somit einen schlüssigen und umfassenden Einblick in die Hintergründe des Judentums und der jüdischen Geschichte. Die zahlreichen Bilder, Graphiken und Videos liefern gelungene Einblicke in sämtliche Aspekte und machen das Thema für Jugendliche gut zugänglich. Auch interaktive Elemente bereichern die Ausstellung. Allerdings hätte die Interaktion auch medial mit Quizzen oder ähnlichem noch ansprechender für ein junges Publikum umgesetzt werden können. Insgesamt ist die Ausstellung sehr textbasiert, als klassische Museums-Ausstellung wäre das ein tagesfüllendes Programm. Das Positive an der virtuellen Ausstellung ist demgegenüber, dass man die Inhalte häppchenweiße rezipieren kann.
Die virtuelle Ausstellung kann gut in den Unterricht einbezogen werden. Die Schüler*innen können sich selbstständig über die Ausstellungsinhalte mit dem Thema auseinandersetzen, einzelne Aspekte können dann gemeinsam besprochen und erarbeitet werden, wobei die Denkanstöße eine gute Diskussionsbasis bieten.
Arbeitsgemeinschaft Jugend + Bildung e. V. (2021). tolerant statt ignorant. virtuelle Ausstellung. www.tolerant-statt-ignorant.de.
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Anna-Clara Pentz
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Heinrike Paulus: Ist ‚fair‘ das neue ‚smart‘!?
Dass Telefonieren viel mit Nachhaltigkeit zu tun hat, beweist schon die zweifelhafte Herkunft der in Smartphones oder Tablets verbauten metallischen Rohstoffe. Die Edelmetalle kommen aus Ländern wie China, Peru oder dem Kongo. Um sie zu gewinnen, werden Menschenrechte verletzt, nicht zuletzt durch Kinderarbeit. Gleichzeitig landen abertausende Endgeräte auf dem Müll, ungeachtet ihrer eigentlichen technischen Lebensdauer. Es ist leider oft ein bewusst gewolltes frühes Ende als Elektroschrott, weil das neueste Smartphone für viele als wichtiges Statussymbol gilt.
Die Publikation ‚Digitalisierung und Klima‘ der österreichischen Initiative saferinternet.at möchte deshalb Lehrer*innen dazu animieren, Umwelt- und Medienbildung im Schulunterricht der Sekundarstufe II zu verknüpfen. Ziel ist es, durch einen umfassenden lebensweltlichen Bezug gleichzeitig das Umweltbewusstsein in der digitalen Welt und die Medienkompetenz der Schüler*innen zu fördern. In konkreten Projekten wird ihnen Gelegenheit gegeben, Wissen zu erwerben und praktisch anzuwenden: So sollen die Jugendlichen etwa Apps bewerten oder eine eigene Social-Media-Kampagne zu einem klima- bzw. gesellschaftspolitischen Thema planen.
Die Intention der Handreichung ist es, „Anregungen für ein bewusstes Leben in dem Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Klima zu geben“, schreibt saferinternet.at auf der eigenen Internetseite. So sollen Jugendliche ihr Medienhandeln reflektieren, persönliche Entscheidungsprozesse bewusst vollziehen oder den ökologischen Einfluss von digitalen Geräten hinterfragen. Es sei wichtig, die Zusammenhänge von Digitalisierung und Klima zu kennen. Schließlich gehe es darum, „die Tragweite der eigenen Entscheidungen und des eigenen Handelns abschätzen zu können“ (saferinternet.at). Die Initiative wird von der Europäischen Union, verschiedenen österreichischen Bundesministerien sowie den Großkonzernen Facebook, A1 und Huawei finanziell unterstützt.
Für Lehrer*innen und Medienpädagog*innen ist die Broschüre, die sich in neun Themen- und Übungseinheiten gliedert, daher ein fundierter Ideengeber für die Vermittlungsarbeit. Anhand von Gruppenarbeiten, Präsentationen und Diskussionen erfahren Jugendliche zum Beispiel, wie energieaufwändige, digitale Anwendungen das Klima beeinflussen. Zugleich erwerben sie Informationskompetenz, indem sie Einblicke in die Quellenkritik erhalten. Die jungen Mediennutzenden widmen sich auch den technischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen von Smartphones. Sie kommen etwa der Herkunft der Rohstoffe oder dem Ressourcen-Verbrauch bei Produktionen auf die Spur. Ohne erhobenen Zeigefinder wird den Schüler*innen so vor Augen geführt, wie bedeutend es für den Klima- und Umweltschutz ist, die Lebensdauer von Endgeräten auszunutzen.
saferinternet.at (2020). Digitalisierung und Klima. Umweltbewusstsein in der digitalen Welt: www.saferinternet.at/news-detail/neues-unterrichtsmaterial-digitalisierung-und-klima, kostenlos verfügbar
Beitrag aus Heft »2021/04 MedienBildung für nachhaltige Entwicklung«
Autor:
Heinrike Paulus
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Irene Fenzl: Ein Fuchs im Netz
Die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf Cybersicherheit ist ein Thema, das viele Erziehende beschäftigt. Wie ist es möglich, dass sich Kinder Wissen über Sicherheit im Netz aneignen? Mit dieser Frage haben sich die Entwickler*innen des Spiels ‚Ein Fuchs im Netz – Cybersecurity für Kinder‘ auseinandergesetzt und es sich zur Aufgabe gemacht, ein Point-and-Click Adventure für Kinder im Grundschulalter zu entwickeln, das die Grundlagen der Cybersicherheit spielerisch vermittelt. Das Lernspiel ist in den Sprachen Deutsch und Englisch verfügbar.
Die Geschichte des Spiels handelt von Finn dem Fuchs, der mit seinem Raumschiff auf der Erde notlanden muss und dort von Luka Pfeffer-Niesenbach und seinem Vater aufgenommen wird. Damit Finn sich in der Zeit, in der er auf der Erde wohnt, zurechtfindet, leiht ihm Lukas Vater Fred sein altes Smartphone. Im Spielverlauf lernt der Fuchs das Phone und verschiedene Apps mit Hilfe von Luka und Fred kennen. Da Finns Raumschiff beim Absturz kaputt gegangen ist, er aber wieder in den Weltraum zurück will, muss es in der Werkstatt repariert werden. Für die Reparatur benötigt der Fuchs Schrauben und Ersatzteile, die er in Sammelbildern und verschiedenen Spielen sammeln kann. Da der Fuchs auf der Erde als Alien gilt, werden die Agenten der Stadt auf ihn aufmerksam und versuchen ihn und sein Raumschiff zu fangen.
Grundsätzlich ist das Spiel in fünf Teile aufgebaut, wobei jeder Teil einem ähnlichen Ablauf folgt. Zu Beginn gibt es eine kurze Cutscene, die die Spielenden in die Geschichte mitnimmt und die Rahmenhandlung erzählt. Hier wird zum Beispiel eine Zwischenszene gezeigt, in der die Agent*innen in einem Gespräch über den Fuchs zu sehen sind. Anschließend an das Kurzvideo kommen meist Finn und Luka zum Vorschein, die sich unterhalten. Während der Unterhaltung zwischen dem Fuchs und anderen Figuren des Spiels wird es den Spielenden ermöglicht, aus Finns Sichtweise Antworten zu geben. Dabei gibt es immer eine Auswahl an Antwortmöglichkeiten, aus der die Spielendenden wählen können. Im Hauptteil des Spiels wird Finn, neben der Suche nach Schrauben und Ersatzteilen in Sammelbildern, mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert, die durch die Verwendung seines Smartphones aufkommen. Je nach Geschichtsverlauf werden neue Apps und Funktionen eingeführt, die der Fuchs kennenlernt und anwenden muss. Die Apps auf Finns Handy sind angelehnt an Funktionen eines Smartphones in der realen Welt. ‚Goosle Maps‘ zum Beispiel hilft dem Fuchs sich in der Stadt zu orientieren und von einem Ort zum anderen zu bewegen, ‚Hamstergram‘ soll eine Social-Media-Plattform darstellen und über eine Messenger-App kann Finn mit seinen Freund*innen und Bekannten chatten. Die Themen zur Cybersicherheit reichen von Datenschutz und Cybermobbing bis hin zu Kinderschutz und Passwörtern. Vor allem Letztere spielen im Spiel eine entscheidende Rolle. Jedes Mal, wenn der*die Spieler*in das Handy des Fuchses benutzen will, muss nämlich das selbstgewählte Passwort eingesetzt werden.
Zudem gibt es verschiedene Einheiten im Spiel, die erklären, wodurch sich ein sicheres Passwort auszeichnet. Durch kleine Spiele und ein Quiz wird das neue Wissen vermittelt und vertieft. Ähnlich wie zur Passwortsicherheit wird in der App auch mit den anderen Themen zur Cybersicherheit umgegangen. Finn und Luka machen im Spiel Erfahrungen, positive wie negative, und eignen sich dadurch neues Wissen im Umgang mit dem Smartphone und dessen Funktionen an. Neben den eigenen Erfahrungen hilft Vater Fred weiter und gibt Erklärungen zu den verschiedenen Problematiken.
Das Ende einer Spielsequenz läuft immer gleich ab: Es wird eine Szene gezeigt, in der der Fuchs am Abend ins Bett geht und einen Tagebucheintrag verfasst. Beim Tagebucheintrag bekommt der*die Spielende die Möglichkeit, in einen Lückentext eine vorgefertigte Auswahl an Antworten zu füllen. Der pädagogische Wert des Tagebuchs liegt darin, dass das Gelernte meist wiederholt oder noch einmal extra auf Gefahren hingewiesen wird.
Die Grafik der App überzeugt mit ihrer ansprechenden Gestaltung. Die Illustrationen sind zweidimensional, bunt und farbenfroh gestaltet und erleichtern den Umgang mit der Benutzeroberfläche. Auch die Auswahlmöglichkeiten, die im Spiel in unterschiedlichen Kontexten auftauchen – meist in Form von Sprechblasen – sind logisch gestaltet. Im Gegensatz zur restlichen Oberfläche ähneln die Cutscenes der Gestaltung und Erzählung eines Comics und bringen dadurch Abwechslung in das Spiel. Teilweise verwirrend ist der fließende Übergang zwischen den einzelnen Teilen des Spiels. Hier könnte es sinnvoll sein, die Übergänge zum Beispiel mit Hilfe eines Buttons abzugrenzen. Damit würden sich Spielpausen besser ergeben und es würde nicht der Eindruck entstehen, dass der*die Spielende sich gleich in das nächste Abenteuer mit dem Fuchs stürzen muss. Das Sounddesign ist der Altersgruppe entsprechend und umspielt den Spielverlauf angemessen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Spiel einen guten Beitrag zur Vermittlung von Cybersicherheit leistet. ‚Ein Fuchs im Netz‘ bringt für Kinder viele spielerische Erfahrungen mit sich, da die Funktionen und Apps des Smartphones von Finn der realen Welt sehr ähnlich und deshalb leicht übertragbar sind.
Der pädagogische Charakter des Spiels wird in vielen verschiedenen Situationen deutlich. Informationen können durch wiederholtes Erscheinen spielerisch entdeckt und verinnerlicht werden. Die teils komplexen Inhalte zu den Themen der Cybersicherheit wurden durch die Entwickler*innen einfach und verständlich aufbereitet. Das bedeutet, dass die Probleme den Kindern nicht nur aufgezeigt, sondern auch Lösungsansätze mitgegeben werden.
Foldio Adventures (2021). Ein Fuchs im Netz. Cybersecurity für Kinder. Appstore/Playstore, 3,49 €.
Kati Struckmeyer: Zwei Podcasts zur sexuellen Aufklärung und Bildung
Im Jahr 2021 könnte man denken, dass die sexuelle Revolution ‚durch‘ und die Gesellschaft eine aufgeklärte ist. Aber allein die Tatsache, dass ein nicht zu kleiner Teil der Bevölkerung immer noch nicht weiß, ob es nun Vulva, Scheide oder Vagina heißt und worin überhaupt der Unterschied liegt, zeigt, dass es da noch etwas zu tun gibt.
Der sexuellen Aufklärung und Bildung widmen sich schon seit 2017 zwei Podcasts: ‚Ist das normal?‘ und ‚Im Namen der Hose‘.
Ist das normal? – der Sexpodcast der ZEIT
Die Frage im Titel des Podcasts macht bereits das Spektrum auf, um das es hier geht – es geht um Vielfalt, vor allem in der Sexualität, letztendlich aber auch in der Gesellschaft, in der diese stattfindet. Der Wissenschaftsjournalist Sven Stockrahm und die Sexualtherapeutin und Ärztin Melanie Büttner sprechen über Themen wie ‚Wie oft, wie lang, wie gut?‘, ‚BDSM und das Spiel von Dominanz und Unterwerfung‘, ‚Sexuelle Traumata‘, ‚Sober Sex‘ oder ‚Analsex‘. Es werden darüber hinaus auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt, was an Folgen wie ‚Corona und die Beziehung – wie drehen wir nicht durch?‘ oder ‚Es ist krass zu denken, Mütter hätten keine Zeit für Sex‘ deutlich wird. Auch sehr komplexe Sachverhalte wie pädophile Präferenzstörungen werden (meist mit externen Expert*innen) erklärt, diskutiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auch klassische sexuelle Aufklärung findet ihren Platz: Bei Folgen zum männlichen bzw. weiblichen Orgasmus zum Beispiel haben sowohl biologische Grundlagen als auch Mythen sowie das Spannungsfeld zwischen Erwartung und Realität ihren Platz.
Der Podcast eignet sich sowohl für die eigene sexuelle Bildung, also auch für die Weitergabe des Wissens an Heranwachsende. Der Aufklärung der eigenen Kinder widmen sich Folgen wie ‚Sexualität fängt nicht erst mit 13 an‘ und ‚Wenn es um Sex geht, sollten wir Kinder nicht für dumm halten‘. Dabei wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch die Rolle der Sozialen Medien analysiert. In ‚Ist das normal?‘ dominiert ein ruhiger, sachlicher, teils therapeutischer Ton.
Für Jugendliche und junge Erwachsene wird der folgende Podcast attraktiver sein:
Im Namen der Hose – der Sexpodcast von PULS „Sex kann so schön sein – und scheiße. Wie können wir das ändern? Wir müssen drüber reden.“ So lautet das Motto des Podcasts ‚Im Namen der Hose‘ von PULS. Die Moderator*innen Ariane Alter und Kevin Ebert pflegen dabei einen sehr lockeren Ton, sprechen auch von eigenen Erfahrungen und funktionieren sehr gut als Identifikationsfiguren für ein jüngeres Publikum. Das Themenspektrum ähnelt dem von ‚Ist das normal?‘, wobei sich hier immer eine ‚Shorts‘-Folge von circa 15 Minuten Länge mit einer ausführlichen, einstündigen Folge abwechselt. In den ‚Shorts‘ wird eher Faktenwissen vermittelt, zum Beispiel zu Krankheiten und Verletzungen, aber auch um Organe wie die Klitoris oder die Prostata. Die einstündigen Folgen beschäftigen sich ausführlicher mit den gesetzten Themen, zu denen auch externe Expert*innen eingeladen werden.
Beide Podcasts beantworten regelmäßig auch Hörer*innenfragen, die das von der Redaktion gesetzte Spektrum noch einmal um alltagsnahe Fragen und Erfahrungen erweitern.
ZEIT online (seit 2017). Ist das normal? Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.
Bayerischer Rundfunk (seit 2017). Im Namen der Hose. Diverse Podcast-Plattformen, kostenfrei.
Lara Moritz: Klasse Recherche! Ein Podcast nicht nur für die Schule
Theresa Höpfl (2020). Klasse Recherche! Podcast, kostenlos verfügbar bei diversen Podcast-Plattformen.
„Hallo ich bin Theresa und ihr hört ‚Klasse Recherche!‘, den Podcast über guten Journalismus“… und schon ist man mittendrin in der Welt des Journalismus – laut Theresa Höpfl dem „schönsten Beruf der Welt“. Höpfl ist Journalistin, Medienpädagogin und produziert außerdem seit Juni 2020 den Podcast ‚Klasse Recherche!‘. Mindestens einmal im Monat veröffentlicht sie auf Spotify, Apple Podcast und Co. mal kürzere, mal längere Folgen zu verschiedenen journalistischen Themen. Während manchmal in nur fünf bis zehn Minuten Tipps für die perfekte Überschrift zusammengefasst werden, gibt es auch Folgen, in denen innerhalb von 20 Minuten der Rundfunkbeitrag oder die Pressefreiheit erklärt werden. Seit Kurzem redet Höpfl in Interview-Folgen auch bis zu einer Stunde mit ihren dort vertretenen Gästen.
Ihr Ziel dabei ist es, frischen Wind in den Politik-, Sozialkunde- und Medienunterricht zu bringen und Lehrkräften, deren Beruf vor allem während Corona neue Herausforderungen birgt, auf diese Weise zu unterstützen. Dabei richten sich die meisten Folgen an die neunte und zehnte Klasse, wobei einige Themen durchaus bereits für die siebte und achte Klasse geeignet sind und auch in anderen als den genannten Fächern sehr gut zum Einsatz kommen können. Vor allem in den Deutschunterricht können sich Folgen, die beispielsweise die W-Fragen oder Rechtschreibtipps behandeln, gut einfügen.
Mit Ausnahme der ersten Folge, in der Höpfl sich und ihren Podcast kurz vorstellt, geht es in den Folgen immer direkt zur Sache. Nach einem Einstieg, der meist nicht zu viel und nicht zu wenig verrät und so das Interesse der Hörer*innen weckt, bereitet jede Folge ein bestimmtes Thema auf. Hier fließen sowohl Höpfls persönliche Erfahrungen als auch Informationen aus ihrer Recherche mit ein. Im Laufe der Folge bekommen die Schüler*innen stets eine Aufgabe, bei der diese dann selbst aktiv werden können und die Möglichkeit haben, das Gelernte zu verinnerlichen.
Während dafür in der ersten Folge noch eine mit Musik untermalte Pause im Podcast gemacht wurde, wird in den neueren Folgen auf die Möglichkeit, die Folge zu pausieren, gesetzt. So kann die Aufgabe von Lehrkräften flexibler eingesetzt und von den Schüler*innen beliebig lange bearbeitet werden. Um den Podcast abzurunden, wird in jeder Folge am Ende ein ‚Fundstück guten Journalismus‘ vorgestellt. Hier macht Höpfl die Hörer*innen auf verschiedene Angebote, wie Die News-WG auf Instagram oder den Kanal PULS Reportage auf YouTube aufmerksam. Einzig die sehr kurzen Folgen (mit dem Zusatz #küchenzuruf gekennzeichnet) und die Interview-Folgen weichen von diesem Schema ab.
Während bei den kurzen Folgen alles auf das Nötigste reduziert wird und somit Elemente wie der Arbeitsauftrag wegfallen, sind die Interview-Folgen durch ihre Länge eher ausführlicher. Denn wenn Höpfl Gäste interviewt, werden zwischendurch immer wieder Sequenzen mit Hintergrundinformationen und der Erklärung von Begriffen eingespielt, was diese Folgen besonders reichhaltig macht.
Trotz dieser schönen Aufbereitung sind wohl nicht alle Folgen direkt im Unterricht anwendbar. Vor allem bei den Interview-Folgen gestaltet sich dies durch deren Länge schwierig, sodass hier für eine Verwendung in der Schule Ausschnitte ausgesucht oder das Hören des Podcasts ausgelagert werden müssten. Beim Hören des Podcasts sind die Schüler*innen im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin. Höpfl spricht diese nämlich immer wieder direkt an und stellt Fragen. So listet sie bei der Folge zum Rundfunkbeitrag nicht nur Argumente für das duale System auf, sondern fragt die Hörer*innen auch nach deren Nutzungsverhalten der Öffentlich-Rechtlichen und regt so immer wieder (Klassen-)Gespräche an. Dies kann zu einer fundierten Meinungsbildung beitragen, die in unserer heutigen Zeit bei der Fülle an täglichen Nachrichten und Diskussionen wichtiger ist denn je. Mit seiner lockeren Sprache wirkt der Podcast trotz der Menge an Informationen, die er vermittelt, keineswegs verstaubt. Wenn Höpfl über persönliche Erfahrungen redet, Filterblasen „creepy“ findet und es „total feiern würde“, wenn wir alle online wieder ein bisschen netter zueinander sind, spricht sie die Schüler*innen auf Augenhöhe an und schafft dadurch eine Atmosphäre, die sich gar nicht so sehr nach Schule anfühlt.
Dennoch wird sich in den Folgen kritisch und differenziert mit den verschiedenen Themen auseinandergesetzt. So werden stets die Aspekte verschiedener Seiten ausgelotet, um ein möglichst ganzheitliches Bild der Thematiken zu zeichnen. Journalist*innen sind nicht per se sensationsgeil und egoistisch oder die Retter*innen der Welt und auch Social Media ist nicht nur gut oder nur böse. Das stellt Höpfl immer wieder heraus und trennt dabei die feststehenden Fakten von ihren persönlichen Ansichten – ganz im Sinne ihrer Folge zur Trennung von Nachricht und Meinung. Dabei verweist sie auch auf die Quellen in den Shownotes und regt so interessierte Hörer*innen dazu an, sich über den Podcast hinaus zu informieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Weitere Materialien für Lehrpersonen
Über die Podcast-Folgen hinaus stehen Lehrkräften auf www.lehrermarktplatz.de ergänzende Begleitmaterialien und Arbeitsblätter zur Verfügung. In den Materialien finden sich Fragen und Aufgaben aus den dazugehörigen Podcast-Folgen wieder. Doch nicht nur das: Die Arbeitsblätter liefern auch zusätzliche Anregungen zur Reflexion vor und nach dem Hören des Podcasts sowie weitere Informationen. So gibt es zu der Folge über Wege in den Journalismus einen Entscheidungsbaum oder beim Arbeitsblatt zur Quellenkompetenz einen kurzen Fragebogen zur Reflexion des eigenen Rechercheverhaltens. Am Ende kann das ‚Fundstück guten Journalismus‘ nochmals von den Schüler*innen bewertet werden und natürlich dürfen auch bei den Arbeitsblättern die Quellen und Tipps zur weiteren Recherche nicht fehlen. Diese Materialien erleichtern Lehrkräften die Integration des Podcasts in den Unterricht und stellen eine praktische Möglichkeit zur Ergebnissicherung dar.
Somit ist der Podcast ‚Klasse Recherche!‘ eine gute Option, um etwas Abwechslung in den Medien- oder auch Deutschunterricht zu bringen und aktuelle Debatten zu Fake News und Co. aufzugreifen. Dabei sehen Schüler*innen außerdem, dass es etwa auf Spotify nicht nur Musik, sondern auch jede Menge Informatives zu hören gibt. Während in der ersten Folge der ein oder andere Übergang vielleicht noch etwas holprig ist, wird im Verlauf am Aufbau und der Umsetzung des Podcasts gefeilt, was das Hörerlebnis noch angenehmer macht. Auch für Interessierte, die vielleicht gar nicht mehr die Schule besuchen, sind einzelne Folgen, wie zum Beispiel das Interview zum Investigativ-Journalismus, sehr empfehlenswert.
Joana Baumgarten: Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt. Strom und Energie interaktiv per App entdecken
Mit der Lernapp ‚Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt‘ werden Lehrkräfte in der Grundschule unterstützt, Schüler*innen das Thema Strom und Energie näher zu bringen. Die Kinder können in der App selbstständig erkunden, was elektrische Energie ist, woher der Strom kommt und welche Geräte Energie benötigen. Durch eine Lernbegleitung von Lehrkräften können die Erkenntnisse vertieft werden. Dazu stehen den Lehrkräften ein Leitfaden zur Unterrichtsbegleitung sowie Zusatzmaterialien auf der Internetseite zum Download zur Verfügung.
Die Bedienung der App ist sehr intuitiv – ausprobieren zahlt sich aus! Die Kinder können sich frei durch zwei Räume bewegen. Im ersten Raum werden die verschiedenen Energieformen kennengelernt. Dazu sind verschiedene Versuche aufgebaut, die anfänglich nicht funktionieren. Die Kinder müssen dafür eine Lösung finden. Beispielsweise verdeckt das Rollo des Fensters das Licht der Sonne für die kleine Solaranlage. Nachdem das Rollo geöffnet wird, beginnt die Lampe zu leuchten, die an das Panel angeschlossen ist und es erscheint ein kleiner Infotext zur Solarenergie. Daneben gibt es noch viele weitere Geräte zu erkunden: einen Hometrainer, an den eine Lichterkette angeschlossen ist, einen Generator, der eine Futtermaschine für einen Fisch betreibt oder ein Windrad, das mit einer Seifenblasenmaschine verbunden ist. Immer im Anschluss an die Problemlösung erscheint ein Infotext zur jeweiligen Energieform. Diese spielerische Erkundung weckt die Neugier der Kinder und motiviert sie zur Erforschung von Strom und Energie. Den Kindern wird die Gelegenheit geboten frei auszuprobieren und den Raum mit seinen Möglichkeiten zu entdecken. Die Lehrkräfte können hier gemeinsam mit den Schüler*innen reflektieren, was sie herausgefunden haben. Damit wird ein Reiz zur Anschlusskommunikation geschaffen.
In dem Raum steht neben den vielen Geräten auch der Fernseher, welcher einen Erklärfilm mit dem Titel ‚Wie kommt der Strom in die Steckdose‘ abspielt. Im Film wird grundlegend erklärt, was Strom ist und woher dieser kommt. Die Erkenntnisse aus dem ersten Teil des Raums werden nun vertieft. Im Film werden erneut die verschiedenen Möglichkeiten aufgeführt, Strom zu erzeugen. Diesmal wird Bezug zu den Vor- und Nachteilen der einzelnen Erzeugerformen genommen, damit die Kinder erfahren, warum Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet und durch umweltfreundlichere Stromerzeugung ersetzt werden sollten. Zum Abschluss wird im Film erklärt, wie der Strom letztendlich zu jedem Kind nach Hause kommt. Der Film nimmt immer wieder Bezug zur Lebenswelt der Kinder, wodurch die Energieerzeugung sehr alltagsnah erfahren werden kann. Für die Lehrkräfte eignet sich der Film, um mit den Schüler*innen die Grundlagen aufzuarbeiten, Vor- und Nachteile der Energieerzeugung zu diskutieren und bisher unbekannte Begriffe zu klären.
Im letzten Bereich des Raums wartet noch das Stromkreisspiel auf die Kinder. Im Spiel können verschiedene Bauteile zu Stromkreisen verbunden werden, um Lampen zum Leuchten zu bringen. Als Materialien stehen zum Beispiel Batterien, Löffel, Büroklammern oder ein Radiergummi zur Verfügung. Die Kinder ziehen die Materialien in ihren Kreis und verbinden sie durch Kabel. Eine Rückmeldung erhalten sie sofort, indem sie sehen, ob ihre Lampe leuchtet oder nicht.
In diesem Spiel steht, wie zu Beginn, das selbstständige Ausprobieren und Erforschen im Vordergrund. Durch Impulse werden den Kindern Anregungen für neue Ideen gegeben. Hier sollte die Lehrkraft als Begleitperson zur Seite stehen, beispielsweise können Fragen geklärt oder genauere Spielanweisungen gegeben werden. Dieses Spiel kann den Anlass bieten, einen Stromkreis in der Realität aufzubauen und die Erfahrungen praktisch auszuprobieren.
Durch eine Tür gelangen die Spielenden nun in den zweiten Raum. Dieser stellt einen Simulator der ‚Stromspar-AG‘ dar. Allgemein geht es darum Alltagsgeräte auf ihren Stromverbrauch zu testen. Dafür steht eine bestimmte Zeit zur Verfügung. An zwei Anzeigen kann der Strombedarf der einzelnen Geräte überprüft und verglichen werden. Immer nach Ablauf der Zeit startet ein neues Level. Im ersten Level kann erst einmal alles erkundet und ausprobiert werden. Im zweiten Level werden dann die Geräte miteinander verglichen. Dazu werden wieder verschiedene Impulse gegeben, etwa die Suche nach dem Gerät, welches am wenigsten Strom verbraucht. Diese Einheit des Spiels knüpft wieder an die Lebenswelt der Kinder an und stellt einen hohen Alltagsbezug her. Somit kann dieses Spiel in die reale Welt übertragen werden, indem in der Schule oder zu Hause nach elektrischen Geräten gesucht wird. Hier eignet sich die Anknüpfung an die Themen Stromsparen und Nachhaltigkeit.
Zusammenfassend lernen die Kinder in der App ‚Potz Blitz! Meine Stromwerkstatt‘ auf spielerische Art und Weise die Grundsätze von Energie und Strom kennen. Die App eignet sich vor allem für den Einsatz im Unterricht in Begleitung einer Lehrkraft oder zu Hause, wenn ein Elternteil das Spiel unterstützt. Der Mehrwert des Spiels entsteht vor allem durch die Gelegenheiten zur Reflektion und Kommunikation des Erlebten sowie durch die Übertragungsmöglichkeiten in die reale Welt. Hierfür müssen die Situationen von Lehrkräften oder Eltern geschaffen und begleitet werden. Die zusätzlichen Materialien und Impulsideen geben eine gute Grundlage für eine weiterführende Thematisierung von Strom und Energie. Besonders jüngere Kinder brauchen bei dem Spiel noch viel Anleitung, da die App
sehr auf Intuition beruht. Die Umsetzung ist ansonsten sehr einfach und weckt das Interesse der Kinder für Strom und Energie. Insgesamt verknüpft das Spiel die Bereiche Medienbildung und Naturwissenschaft und bietet sich sehr für den Einsatz im Unterricht an.
Dana Neuleitner: Rocky Beach im Piratenfieber
USM (2020). Die drei ??? – Fluch des Flaschenteufels. Android/iOS 7,99 € bzw. Windows/Mac 19,99 €; USK ab 0 Jahren bzw. ab 6 Jahren.
Seit über 50 Jahren begleiten Die Drei ??? schon junge Leser*innen und Hörer*innen. Seit letztem Jahr können Rätselfans gemeinsam mit den Detektiven den neuen Fall ‚Fluch des Flaschenteufels‘ als App oder Computerspiel lösen. Schauplatz ist – wie sollte es anders sein – Rocky Beach. Als ein seltsamer Übernachtungsgast im Hause Jonas sein Unwesen treibt und Beschwörungen mit einer alten Flasche durchführt, ist für den ersten Detektiv Justus Jonas klar: dem muss auf den Grund gegangen werden!
In der Rolle des ersten Detektivs geht es nun darum, Hinweise zu sammeln, Rücksprache mit den Detektivkollegen Peter Shaw und Bob Andrews zu halten und Onkel Titus und Tante Mathilda zu befragen. Nebenbei gilt es, das Ehepaar Jonas wieder zu versöhnen, denn Justus‘ Tante ist mit der Anwesenheit des ominösen Gastes, der sich nach einer Romanfigur in Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel John Silver nennt, äußerst unzufrieden. Bei der Untersuchung des Flascheninhalts kommt ein kleiner Flaschenteufel zu Tage. Bevor die Detektive ihn jedoch genauer untersuchen können, verschwindet Silver und mit ihm die Flasche sowie der Vogel Blacky, ihr Maskottchen. Neben dem verschollenen Gast scheint auch ganz Rocky Beach vom Piratenfieber angesteckt worden zu sein: Im Buchladen wird ein Literatentreffen zum Thema durchgeführt, eine Fastfoodkette wirft als Werbemaßnahme Golddublonen über der Stadt ab und auf einem Schiff soll eine Piratenshow ins Leben gerufen werden. Auf der Suche nach Silver und Blacky müssen Justus, Peter und Bob immer wieder ihren Mitmenschen helfen, beispielsweise indem sie für das leibliche Wohl des Stadtstreichers sorgen oder Kisten für einen alten Bekannten suchen. Wie bei echten Piraten geht es schließlich auch für das Trio auf Schatzsuche auf hoher See.
Das Sammeln von Gegenständen ist ein immer wiederkehrendes Prinzip des Spiels: Federn, Gläser, Kerzen, Flaschen… Die Gegenstände sind teils so gut versteckt, dass sich diese Aufgaben recht langwierig gestalten. Hinweise auf die Fundorte der fehlenden Gegenstände gibt es im Spiel nicht. Dafür werden einige Hinweise auf der USM-Website gegeben. Wesentlich kurzweiliger dagegen sind die zu absolvierenden Mini-Spiele. Diese orientieren sich an bekannten Spieleklassikern wie Mah-Jongg oder Pac-Man.
Leider können hier die Schwierigkeitslevel nicht angepasst werden, was möglicherweise zu Frustration bei den Spieler*innen führen könnte, da die Mini-Spiele auch nicht übersprungen werden können. Besonders der Weg zur Fabrik gestaltet sich schwierig. Für die Aufgaben, die zum Fortschritt der Geschichte dienen, gibt das Detektivtagebuch Hilfestellung. Dadurch sind Spieler*innen auch beim Fortsetzen des Spiels schnell auf dem aktuellen Stand.
Das Spiel selbst gestaltet sich als klassisches Point-and-Click-Abenteuer, das aufgelockert wird durch Zwischensequenzen, die durch Comic-Strips bebildert sind und bei denen ein Erzähler narrativ durch die Geschehnisse leitet. Dadurch wirkt das Spiel insgesamt sehr lebendig. Hierzu trägt auch bei, dass die drei Detektive von den Hörspielsprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich vertont wurden. Die Grafik des Spiels ist ebenfalls sehr ansprechend und erinnert an die Gestaltung der Buch- und Hörspielcover. Das Trio selbst wird nie gezeigt. Wie die Jungen aussehen, bleibt also der Fantasie überlassen.
Beim Lösen des Falls kommen immer wieder digitale Medien ins Spiel. Sei es die altbekannte Telefon-Lawine (nun mit Smartphone und SMS statt Anrufbeantworter), mit der sich Diedrei ??? Hinweise aus dem Bekanntenkreis erhoffen (und die sogar zu einer Spam-Nachricht führt) oder das Analysieren der Bild- und Tonspur in einem Erpresservideo. Auch Fingerabdrücke werden nun digital festgehalten und die Umgebung per Zoom-Funktion der Smartphonekamera in Augenschein genommen. Dass die drei Detektive mit der Zeit gehen, zeigt sich daneben auch an vielen Hinweisen zur Nachhaltigkeit. So wird beispielsweise im Lauf der Handlung die Werbemaßnahme der Fastfoodkette gestoppt und beim Angeln am Pier hat Justus einiges an Abfall am Haken. Deshalb weist er unter anderem auf Plastikinseln und Mikroplastik im Ozean hin. Die Spieler*innen erfahren beiläufig auch, wie lange es dauert, bis sich eine Plastikflasche zersetzt. Anschließend wird der herausgefischte Müll natürlich im Müllcontainer entsorgt.
Die App wird von USM ab zehn Jahren empfohlen. Die Rätsel sind knifflig, aber dennoch gut lösbar. Bei dem ein oder anderen Rätsel oder Mini-Spiel ist die Hilfe einer älteren Person aber sicherlich von Vorteil. Beim Lösen der Rätsel sind Wissen – beispielsweise zu chemischen Formeln wie NaHCO3 und verschiedenen Währungen – oder aber Recherchekenntnisse hilfreich. Nebenbei erfahren die Spieler*innen Wissenswertes über verschiedene Piratenflaggen und Louis Stevensons Werk Die Schatzinsel. Die drei ??? – Fluch des Flaschenteufels wurde mit dem Pädagogischen Medienpreis 2020 ausgezeichnet und in zwei Kategorien für den Kindersoftwarepreis TOMMI nominiert. Insgesamt können drei Spielstände in der App gespeichert werden. Schön ist, dass die Option auf Untertitel gegeben ist, wodurch beispielsweise Gehörlose das Abenteuer erleben können. Das aus acht Kapiteln bestehende Spiel ist spannend und unterhaltend – sowohl für jüngere Spieler*innen als auch für solche, die sich ein wenig an ihre Kindheit erinnern möchten.
Nicole Lohfink: Berlinale 2021. Ein internationales Filmfestival reiht sich in den Online-Reigen ein
Pandemiefolgen und Formatänderung
Wie viele Veranstalter haben auch die Verantwortlichen bei der Berlinale lange gehofft, das Festival in seiner kohärenten Struktur in Präsenz durchführen zu können. Ende 2020 stand schließlich fest, dass aufgrund der aktuellen COVID-19-Situation ein anderes Festivalformat für 2021 entstehen musste. Entwickelt wurde ein zweistufiges Format, dessen erste Etappe vom 01. bis 05. März online angeboten wurde.
So machten den Auftakt der 71. Berlinale die Branchenplattformen European Film Market (EFM), Berlinale Co-Production Market, Berlinale Talents und der World Cinema Fund. Dieses sogenannte Industry Event richtete sich weitestgehend an Filmbranche und Presse. Onlineveranstaltungen für das Publikum boten nur Berlinale Talents und der World Cinema Fund. Allerdings gab es auf der Website berlinale.de und den Social-Media-Kanälen dazu zahlreiche Videos, darunter auch Interviews mit den Filmemacher*innen und Hintergründe zur Filmauswahl für 2021. Interessierte konnten sich hier also durchaus Anregungen holen für die zweite Etappe der Berlinale, das Summer Special, das vom 09. bis 20. Juni in Präsenz stattfinden soll.
Tauziehen zwischen Online und Präsenz
Insgesamt also hat die Berlinale eine Flut an Online-Angeboten organisiert, allein beim Berlinale Co-Production Market wurden über 1.300 Onlinemeetings mit potenziellen Partner*innen für die eingeladenen Projekte durchgeführt. Daneben gab es, auch in den anderen Bereichen, zahlreiche Talks und weitere Networking-Formate.
Das Film-Angebot aus dem jeweiligen Tagesprogramm konnten die Teilnehmer*innen über den Berlinale Media Service streamen und ‚wie zu Hause auf der Couch‘ sichten. Das gemeinsame Kinoerlebnis fehlt hier deutlich, insbesondere in der Wahrnehmung, wie man selbst einen Film erlebt und wie beispielsweise ein kindliches Publikum um einen herum auf den Film reagiert. Das Sehen der Filme von zu Hause aus vermindert aber nicht den Fokus auf die Filme selbst. Und hier liegt auch die Stärke der Entscheidung der Veranstalter*innen, die wichtige Plattform, die ein so großes Festival in vielerlei Hinsicht bietet, zu erhalten. Laut Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek wurden die Onlinescreenings sehr gut angenommen und die Filme erhielten dadurch eine breite mediale Sichtbarkeit und Einladungen zu weiteren Festivals. Auch gute Verkäufe haben den Weg der Filme zum Publikum gesichert. Das Dilemma, eine internationale Kulturveranstaltung mit einer Pandemie zu vereinbaren, hätte für die Berlinale durchaus auf den Weg vieler anderer Kulturveranstaltungen führen können: Dem des Totalausfalls. So aber konnten unter anderem die Impulse der Filme, sowie der Ideen-Input, die Vernetzung von Gedanken- und Arbeitswelten und der Austausch von Herangehensweise und Themen-Perspektiven erhalten bleiben.
Die Jury-Entscheidungen waren eine kurze und prägnante Online-Angelegenheit. Die Feierlichkeit soll dann im Sommer in Berlin bei der Vergabe in Präsenz entstehen. Für die Sektion Generation war Pandemie-bedingt diesmal eine Jury für beide Wettbewerbe, Kplus und 14plus, zuständig. Über einen Livestream werden hier die Preisträger*innen in knapp 15 Minuten freundlich, aber unverbindlich bekanntgegeben.
Spannende Perspektiven junger Menschen
Gerade für junge Menschen zeichnet sich dieser Wechsel zwischen verbindlich und unverbindlich auch thematisch in den Filmen ab. In den insgesamt 15 Langfilmen in der Sektion Generation ziehen sich die Themen Orientierungssuche und Integration genauso als roter Faden durch, wie das Pendeln zwischen Abschieden und Zukunftsvisionen.
Zusammengefasst unter dem Programmtitel ‚Sanft flüsternd, laut schreiend‘ betreten die jungen Protagonist*innen hier Neuland, lassen Vertrautes hinter sich und ringen mit den Dingen, die sie nicht verstehen. Dabei durchlaufen sie entscheidende Stationen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Oft jedoch wird weder sanft geflüstert noch laut geschrien, sondern vielmehr stumm rebelliert. Innere Isolation trifft auf äußere Umstände.
Starke Identifikationsfiguren fordern mit dieser stummen Rebellion die ganze Empathiefähigkeit der Zusehenden ein. Dabei sind die Entstehungs- und Gestaltungsformen der Filme beinahe genauso vielfältig, wie die Ergebnisse selbst.
Den Großen Preis der Internationalen Jury für den Besten Film im Wettbewerb Generation Kplus erhielt ‚Han Nan Xia Ri‘ (‚Sommerflirren‘) aus China. Trotz klarer Narrative entwickelt sich die Geschichte um die zwölfjährige Hauptdarstellerin durch beinahe assoziative Eindrücke. Als Zuschauer*in wird man hin- und hergeworfen zwischen dem Gesamtblick auf das Geschehen und dem Druck, der auf der Hauptfigur lastet. So bezeichnet die Jury den Film in ihrer Begründung auch als „Sommermärchen, das immer wieder in einen Alptraum abzugleiten droht“. Der Fokus liegt auf den Gefühlen und Wahrnehmungen der Kinder auf der Suche nach sich Selbst und dem eigenen Weg, die Intensität ihrer Gefühlswelt ist konstant spürbar, ebenso wie der Mangel einer menschlichen Orientierungsfigur.
Eine lobende Erwähnung erhält ‚Una escuela en Cerro Hueso‘ (‚Eine Schule in Cerro Hueso‘) (Argentinien). Die Geschichte begleitet eine in sich gekehrte Hauptfigur, die nach 17 Ablehnungen in einer kleinen Dorfschule eingeschult wird und durch die entspannte Offenheit, mit der man ihr dort begegnet, aufzublühen beginnt. Der sehr persönliche Film überzeugt mit der leisen Kraft der Aufgeschlossenheit und dem Bild von gelebter Solidarität.
Im Wettbewerb Generation 14plus geht der Preis für den besten Film an ‚La Mif‘ (‚Die Fam‘) aus der Schweiz. Vor dem Hintergrund des Jugendsozialsystems hat der Film die Geschichten und Begegnungen junger Frauen miteinander verknüpft und entwickelt seine Stärke auch durch die Besetzung, die die Geschichte mitentwickelt hat.
Eine lobende Erwähnung ging an den Animationsfilm ‚Cryptozoo‘ (USA), für eine fantasievolle Dystopie mit Hoffnungsschimmer. Bemerkenswert ist auch der Gewinner des Silbernen Bären im Hauptwettbewerb: Mit dem deutschen Dokumentarfilm ‚Herr Bachmann und seine Klasse‘ wirft die Regisseurin Maria Speth einen Blick in eine Schulklasse, wie sie überall in Deutschland zu finden ist. Ein rund dreieinhalb Stunden langer Film über eine Klasse und ihren Lehrer, im Grunde über Integration, Orientierungssuche, Zukunftsängste und Solidarität – mit den Schüler*innen. Die Themen sind ganz nah an der aktuellen Zeit.
Ausblick auf 2022
Die diesjährige Berlinale könnte also nicht näher am Puls der Zeit liegen, sowohl in der Format-Umsetzung als auch zum großen Teil in der Filmauswahl. Die Bedeutung um die persönliche Begegnung ist den Berlinale-Veranstalter*innen umso bewusster geworden, trotz oder gerade nach einem gelungenen Online-Einstieg.
Vor allem die Filme selbst verdienen es, unterstützt und gesehen zu werden. Deren Inhalte, das gemeinsame Erleben und der Austausch darüber, bieten darüber hinaus eine Chance des Aufarbeitens der vielfältigen Themen. Und die abgebildeten Themen verdienen Gehör.
Von Seiten des Leitungsteams her soll das Festival nächstes Jahr wieder traditionell im Februar gemeinsam mit dem European Film Market, dem Berlinale Co-Production Market, Berlinale Talents und dem World Cinema Fund durchgeführt werden. Die 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden dann voraussichtlich vom 10. bis 20.02.2022 statt.
Dana Neuleitner: SWR Fakefinder Kids
Südwestrundfunk (2021). SWR Fakefinder Kids. Browser-Lernspiel ab 8 Jahren für Laptop, Smartphone und Tablet. Kostenlos.
Dass Kinder nicht allen Inhalten, die sie in Apps bzw. im Internet zu sehen bekommen, glauben dürfen, will ihnen der SWR Fakefinder Kids näherbringen. Hier werden Kindern ab acht Jahren reale Videos und Chatverläufe aus drei in ihrer Altersgruppe beliebten Apps gezeigt: YouTube, TikTok und WhatsApp. Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, geht es nicht darum, Falschnachrichten zu identifizieren, sondern die Spieler*innen sollen dafür sensibilisiert werden, Werbung, Tricksereien auf der Bildebene und Kettenbriefe zu erkennen.
Die animierten Figuren Mona und Henri leiten die Spieler*innen durch insgesamt vier Level und erklären vor jedem Abschnitt das folgende Thema. Pro Kategorie stellen sich die Spieler*innen mehreren Beispielvideos. Im Level ‚Werbung‘ sehen sie etwa TikTok-Clips von einem singenden Nico Santos, einem tanzenden Robert Lewandowski und einer Kidfluencerin. Die kurzen Videos können beliebig oft abgespielt werden. Ob (versteckte) Werbung zu sehen ist oder nicht, können die Kinder per Klick auf die entsprechenden Buttons angeben und bekommen von Mona und Henri sofort eine kurze und leicht verständliche Rückmeldung, ob und warum ihre Entscheidung richtig bzw. falsch war.
Im Level ‚Bildtrick‘ werden Filter, mit denen beispielsweise das Gesicht verändert werden kann, und die Möglichkeit des Tricksens durch Bildausschnitt und Winkel aufgegriffen. Gerade beim Thema Bearbeitung von Bildern hätten auch Instagram-Beispiele genutzt werden können.
Das dritte Level setzt sich mit dem wichtigen Thema Kettenbriefe auseinander. In diesen werden oft verstörende Konsequenzen angekündigt, sollten die Empfänger*innen die Nachrichten nicht an eine gewisse Anzahl an Personen weiterleiten. Die Kinder erfahren hier, dass sie diese Drohungen nicht ernst zu nehmen brauchen und dass Links in Kettenbriefen genutzt werden können, um ihre Daten abzugreifen.
Im abschließenden ‚Superlevel‘ werden die Elemente aus den vorigen Kapiteln anhand neuer Clips wieder abgerufen. Bei einem Beispiel fällt die Einordnung in die Kategorie ‚Werbung’ jedoch schwer, da die Aufschrift auf dem T-Shirt eines YouTubers auch als Aussage gewertet werden kann, wenn man seine Marke nicht kennt. Wird ein Clip falsch eingeordnet, muss das jeweilige Level komplett wiederholt werden. Die Reihenfolge der Fragen hätte hier allerdings durchgemischt werden können. Das Lernspiel ist kindgerecht gestaltet und vermittelt den jungen Spieler*innen in etwa einer halben Stunde einfach und lebensnah, wie sie Werbung und Tricksereien erkennen können.
Für Lehrkräfte steht online ein Infobogen zum Lernspiel zur Verfügung. Sie finden hier Informationen zu den behandelten Phänomenen und Internetplattformen, zu der Funktionsweise des Lernspiels und dessen technischen Voraussetzungen sowie Lehrplanbezüge und einen Elternbrief zum Thema. Auch ein Vorschlag zum Unterrichtsaufbau und ein Arbeitsblatt zur Festigung des Erlernten werden bereitgestellt.
Fakefinder Kids ist neben Fakefinder und Fakefinder School das dritte Modul des Südwestrundfunks zum Thema Fake im Internet. Das Lernspiel ist abrufbar unter: www.SWR.de/fakefinder
Isabelle Schlecht: Ratz Fatz durch die Mauer
Scala Z Media GmbH (2019). Ratz Fatz. Appstore/ Playstore, 3,49 €.
Das Adventure Game ‚Ratz Fatz durch die Mauer‘ beinhaltet verschiedene Rätsel und erzählt die Geschichte des Mauerfalls sowie der Wiedervereinigung Berlins aus der Perspektive eines Raben namens Ratz Fatz. Abwechselnd schlüpft die bzw. der Spieler*in in die Rolle des Mauerhasen Viktor und der Zirkusschimpansin Miss Magic. Dabei lernt sie bzw. er, dass die Grenze im Spiel nur überwunden werden kann, wenn sich die beiden Figuren gegenseitig unterstützen. Zu Beginn des Spiels flüchtet jeder Charakter allein, im späteren Verlauf müssen sie sich helfen, um ihr Ziel zu erreichen. Die beiden Spielfiguren verfügen über besondere Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen über die Mauer zu fliehen. Miss Magic wendet mit ihrem Zauberstab Magie an und hangelt sich an Seilen entlang, während Viktor dazu fähig ist besonders weit zu springen und sich durch verschiedene Tunnel hindurchzubewegen. Im ersten Level gibt der Rabe der bzw. dem Spieler*in den Rat, in den Westen zu ziehen und sich auf die Flucht zu begeben. Im zweiten Level wird die Zirkusschimpansin gesucht. Sollte die bzw. der Spieler*in von einem Suchscheinwerfer ertappt werden, landet sie bzw. er im Gefängnis. Doch das ist noch nicht alles. Als Spieler*in muss man einige Gegner*innen bezwingen, beispielsweise das Schreddermonster, welches die Grenzanlage symbolisiert oder die Wachhunde entlang der Mauer. Die Entwickler*innen des Spiels ließen sich von einem Dokumentarfilm namens ‚Mauerhase‘ (Polen 2009) von Bartek Konopka inspirieren, der die Geschichte der im Todesstreifen lebenden Hasen erzählt.
Die App richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 13 Jahren. Ziel des Spiels ist es, den Mauerhasen Viktor und die Zirkusschimpansin Miss Magic sicher von Ost- nach Westberlin zu bringen. Der Rabe Ratz Fatz gibt den Spielenden dabei hilfreiche Tipps. Spielerisch können in der App die Probleme kennengelernt werden, die sich damals durch die Teilung Berlins entwickelten. Doch nicht nur die Geschichte Berlins kann so vermittelt werden. Der bzw. dem Spieler*in wird auch bewusst, dass Freiheit immer wieder erkämpft werden muss. Die Rätsel sind sehr einfach gestaltet und relativ leicht zu lösen, damit auch die Jüngsten nicht den Spaß verlieren. So gelingt es der App, eine Verbindung zwischen pädagogischem Ansatz und Spaßfaktor herzustellen.
Die unterschiedlichen Kulissen sind äußerst kreativ gestaltet. Die bzw. der Nutzer*in kann einige bekannte Orte Berlins im Spiel erkennen, zum Beispiel verschiedene Sehenswürdigkeiten, den Görlitzer Bahnhof, die Abwasserkanäle unter der Stadt oder den berühmten Checkpoint Charlie. Der bzw. die Spieler*in findet sich in einer interaktiven Umgebung wieder, in der sie bzw. er durch verschiedene Bewegungen Kisten verschieben oder Schalter betätigen muss. Durch einen Algorithmus erhöht sich die Schwierigkeit der einzelnen Level innerhalb der fünf Kapitel. In Bezug auf die Grafik des Spiels lässt sich feststellen, dass diese sehr detailreich gestaltet wurde. Besonders beeindruckend sind beispielsweise die Plakate im Bahnhof, die authentische Werbung aus der damaligen Zeit zeigen. Der grafische Stil bleibt in den einzelnen Leveln stets optisch ansprechend. Das Sounddesign von ‚Ratzfatz durch die Mauer‘ ist durch eine angenehme Hintergrundmusik geprägt. Auch die Synchronsprecher*innen haben ihre Aufgabe sehr gut gemeistert. Sie verleihen den Figuren erst ihren individuellen Charakter. Störend sind hingegen die Bewegungsgeräusche der Charaktere, zum Beispiel beim Laufen, Schwimmen oder Klettern. Sie sind zu laut und wiederholen sich ständig.
Besonders gelungen sind die animierten und vertonten Cutscenes, welche die spannende Geschichte stets zu Beginn eines Kapitels weitererzählen. Eine interessante Besonderheit stellt zudem ein sogenannter Train-Driving-Modus dar, bei dem man als Spieler*in selbst eine schwarze Fluchtlokomotive navigiert. Ergänzt wird das Spiel durch eine multimediale und interaktive Website mit gleichem Namen, die das Wissen der Spieler*innen aus der App weiter vertieft und somit einen Mehrwert für das Spiel bietet.
In Bezug zum Repertoire der Rätsel lässt sich feststellen, dass es dem Spiel ein wenig an Abwechslung und Ideenreichtum fehlt. Geschicklichkeit und Geschwindigkeit sind leider nicht gefragt, da sich die Figuren stets im gleichen Tempo weiterbewegen und das Spiel nicht auf Zeit läuft. Ein Kritikpunkt ist auch die mangelnde technische Umsetzung bei den Bewegungen der Spielfiguren. Die Sprungbewegungen der Charaktere sind an manchen Stationen des Spiels kaum oder erst nach einigen Versuchen umsetzbar. Die Steuerung der Bewegungen über den Touchscreen des Smartphones hängt oft, die Figur bewegt sich dann nicht weiter, sondern bleibt an Ort und Stelle verhaftet oder führt andere, in diesem Moment unerwünschte, Aktionen durch. Dies führt während des Spielverlaufs oft zu Frust. Wenn dieses Problem in Zukunft behoben werden könnte, kann die App als ein lehrreiches und zufriedenstellendes Spiel deklariert werden.
Zusammenfassend handelt es sich bei der Spiele-App ‚Ratz Fatz durch die Mauer‘ um ein sehr gelungenes Adventure Game, welches jedoch durch technische Verbesserungen perfektioniert werden könnte. Die Idee der App, Kindern auf spielerische Art und Weise die Teilung Deutschlands näher zu bringen, ist großartig. Leider hapert es ein wenig an der Umsetzung. Der pädagogische Hintergedanke konnte aber erfolgreich umgesetzt werden. Es lohnt sich, zusätzlich die Website zu ‚Ratzfatz durch die Mauer‘ zu besuchen und die Informationen rund um die Historie und den Fall der Mauer weiter zu vertiefen. So kann vor allem bei Kindern und Jugendlichen ein Interesse für das Thema geweckt werden.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Isabelle Schlecht
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Jerome Wohlfarth: LEGO® Mindstorms 51515
LEGO® (2020). LEGO MINDSTORMS Roboter-Erfinder (51515). ca. 350 €.
Im Sommer 2020 veröffentlichte LEGO ein neues Set in der Mindstorms Serie des Unternehmens. Es ist der LEGO MINDSTORMS Roboter-Erfinder (51515). Bei diesem Set handelt es sich nicht um einen Nachfolger des LEGO MINDSTORMS EV3 (31313), sondern eher um eine kommerziell käufliche Version des LEGO Education SPIKE Prime-Sets. Dies zeigt sich vor allem darin, dass beide Sets das gleiche HUB-Modul verwenden, wenn auch in unterschiedlichen Farben und mit geänderter Firmware.
Das neue Set richtet sich vor allem an Personen, die sich der Thematik ‚Programmieren lernen‘ annähern wollen. Es bietet einen vielseitigen, intuitiven und benutzerfreundlichen Einstieg in das Gebiet. Es ist somit auch für jüngere Kinder geeignet. Innerhalb des Prozesses des Zusammenbauens werden die einzelnen Funktionen sowohl der Bauteile als auch der Programmierungsbausteine sehr anschaulich vorgestellt. Dies sorgt für einen niedrigschwelligen Einstieg und verlangt kaum Vorwissen. Es ist natürlich von Vorteil, schon gewisse Vorerfahrungen zu haben, was die Logik hinter dem Erstellen von Codes angeht. Das neue Set schafft es aber auch ohne dieses Vorwissen gut, die nötigen Kenntnisse zu vermitteln. Für Personen, die möglichst große und freie Projekte verfolgen wollen, stellt der Vorgänger jedoch die passendere Wahl dar. Die Möglichkeit, den Speicher zu erweitern sowie mehrere Smartbricks miteinander zu verbinden, um mehr als acht Anschlüsse nutzen zu können, bietet erfahrenen Programmierenden große Freiheit. Zum jetzigen Zeitpunkt steht nicht fest, wie lange LEGO den Support für den EV3 noch beibehält, jedoch gibt es eine große Community, die sogar Turniere veranstaltet. Es zeigt sich in jedem Fall, dass jedes der Sets einen anderen Zweck erfüllt; die Wahl zwischen dem Komfort des neuen oder den Möglichkeiten des Vorgängermodells müssen projektabhängig gewählt werden.
Technische Details der Mindstorms Sets
Im Folgenden sollen die Unterschiede der beiden Sets aufgezeigt werden, um deren Alleinstellungsmerkmale aufzuzeigen. Die Preise der beiden Sets liegen im selben Bereich von circa 350 Euro. Das Roboter-Erfinder-Set enthält neben dem Smart HUB und vier Motoren einen Farb- und einen Ultraschallsensor. Insgesamt enthält es 949 Teile. Der EV3 enthält neben seinem Smartbrick und drei Motoren auch einen Farb-, einen Ultraschall- sowie einen Tastsensor. Insgesamt enthält das Set 601 Teile inklusive einer Fernbedienung. Hier sollte erwähnt werden, dass abgesehen von den universellen klassischen LEGO-Technic-Teilen keine der Komponenten mit denen des anderen Sets kompatibel ist. Dies bedeutet, dass keiner der Sensoren oder Motoren von beiden Steuerzentralen erkannt werden, sondern immer nur für ein System bestimmt sind. Das neue Modell ist deutlich leichter als der Vorgänger. Das Smart HUB hat ebenso acht Eingänge für Sensoren und Motoren wie der EV3, wiegt jedoch dank eines kompakteren Lithium-Akkus nur einen Bruchteil. Er hat kein direktes Display, dafür eckige LED-Panels, die aufleuchten können. Er hat einen eingebauten Geschwindigkeits- und Gyroskopsensor, die beim Vorläufer durch externe Sensoren ergänzt werden mussten. Dafür hat er jedoch nur einen begrenzten Speicherplatz, der nicht wie beim EV3 durch eine Micro-SD-Karte erweitert werden kann, ebenso ist die CPU-Leistung schwächer. Eine weitere Änderung ist, dass die neue Firmware nicht mehr auf Linux basiert, sondern auf einem eigenen Betriebssystem von LEGO. Das Modul hat einen Bluetooth Port, um die Programmierung entweder vom PC oder der App vom Tablet oder Smartphone zu übertragen. Dies kann auch über den USB-Anschluss des Hubs geschehen, jedoch hat es kein W-LAN-Modul wie der Vorgänger. Ihm fehlt ebenso die Möglichkeit, mehrere Hubs aneinander anzuschließen, um komplexere Maschinen zu konstruieren. Eine weitere Neuerung sind die Motoren: Diese sind kleiner, wodurch sie sich flexibler verbauen lassen. Dies hat zur Folge, dass sie weniger Drehmoment haben. Da jedoch die gebauten Modelle durch das leichtere Hub weniger Gewicht haben, ist dies kein Nachteil. Sie verfügen auch über eingebaute Positionssensoren, wodurch eine genaue Bewegung der Achsen ermöglicht werden kann, wie es die Motoren des EV3 auch konnten. Sie haben jedoch fest verbaute Kabel, was für größere Konstruktionen zum Problem werden könnte. Für Messungen von Entfernungen benutzt das neue Modell einen Ultraschallsensor anstatt wie zuvor einen Infrarotsensor, dadurch fällt die Infrarotfernbedienung des EV3 weg. Dafür kann der Roboter-Erfinder jedoch mit einem Playstation-Controller verbunden werden. Hierbei ist aber die Verzögerung in der Weitergabe der Befehle zu beachten, weswegen es sich nicht für schnelle, präzise Kommandos eignet. Der vorher enthaltende Berührungssensor ist in den neuen Sets nicht mehr enthalten, dafür bietet aber jeder der vier Motoren einen eingebauten Kraftmesser, der diese Aufgabe mit übernehmen kann. Vorteil ist, dass hierfür kein extra Sensor benötigt wird, der nur eine Aufgabe erfüllt, sondern diese direkt von den Motoren übernommen werden können. Außerdem ist das Smart HUB durch seinen eingebauten Beschleunigungssensor in der Lage, in drei Richtungen gedrückt zu werden, als Ersatz für einen Druckknopf. Der Farbsensor ist relativ unverändert, jedoch durch sein kompakteres Format deutlich leichter zu verbauen. Die Software wurde auch überarbeitet. Sie ist nicht mit dem EV3 kompatibel, besteht aber aus einem ähnlichen Baukastenprinzip, das jetzt im Aufbau stark an Scratch erinnert. Die passende App übernimmt hier den Aufbau und lässt somit auch fern des Computers die vollen Möglichkeiten weiter am ‚Code‘ zu arbeiten. Der Wechsel von horizontalen zu einer vertikalen Anordnung der Programmblöcke sorgt für einen übersichtlicheren Aufbau der Programmierung. Programmierer*innen mit mehr Erfahrung können sich neben der Bausteinvariante auch über Text mithilfe der Programmiersprache Python kreativ austoben.
Wie die Übersicht zeigt, gibt es einige Veränderungen zum Vorgänger, dabei wurde vor allem ein einfacherer Zugang für Personen, die noch nicht mit der MINDSTORMS Welt von LEGO zu tun hatten, gewährleistet. Dies geht jedoch gleichzeitig mit einem Verlust an Leistung einher. Durch den begrenzten Speicherplatz können weniger komplexe Programme erstellt werden als zuvor. Dazu kommt noch, dass zur Zeit keine Hubs miteinander verbunden werden können, wie es zuvor bei den Smartbricks möglich war. Diese Möglichkeit kann eventuell noch durch ein Software-Update kommen, im Moment können jedoch nur die acht Anschlüsse für Projekte genutzt werden.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Jerome Wohlfarth
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Judith Strohmayer: Traumjob Influencer
FWU Institut für Film und Bild gGmbH (2019). Traumjob Influencer. Grünwald. www.fwu-mediathek.de. Ab 32,70 €.
Ist Influencer*in ein Traumjob? Wie üben diese Einfluss auf das Konsumverhalten der Menschen aus? Und inwiefern entsprechen YouTuber*innen und Instagramer*innen Rollenklischees? Diese und weitere Fragen versucht die Produktion ‚Traumjob Influencer‘ zu beantworten. In 25 Minuten beschäftigt sich die Dokumentation des Institut für Film und Bild gGmbH (FWU) mit den Menschen, deren Job es ist, sich täglich in verschiedenen Medien zu präsentieren.
Zu Beginn kann sich die bzw. der Zuschauer*in entscheiden, ob das Video interaktiv oder klassisch konsumiert werden soll. In der interaktiven Wahl verweisen verschiedene Symbolbilder auf Zusatzmaterialien. So leitet eine eingeblendete Büroklammer auf Artikel über, die sich umfassender mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Außerdem wird bei dieser Einstellung auf Grafiken verwiesen, die Hintergrundwissen vermitteln. Des Weiteren stehen als Zusatzmaterialien noch zehn Arbeitsblätter zu verschiedenen Themengebieten zur Verfügung. Bei dem klassischen Video werden die Symbole nicht eingeblendet. Trotzdem besteht Zugriff auf die weiteren Informationen. Diese werden allerdings nicht während des Videos zu dem jeweiligen Themenblock angezeigt, sondern müssen separat aufgerufen werden.
Um einen umfassenden Einblick in das Leben eines*r Influencers*in zu erhalten, werden die zwei YouTuber*innen Justus und Annika vorgestellt. Ersterer beschäftigt sich mit Gaminginhalten rund um das Spiel ‚Grand Theft Auto'. Annika veröffentlicht zweimal die Woche Comedy-Videos auf ihrem Kanal Annikazion. Anhand der beiden wird aufgezeigt, dass Influencer*innen ihren Alltag selbst sehr stark strukturieren und dabei einem genauen Zeitplan folgen müssen. So beschreibt Justus, dass er für seinen Kanal Ju Lex täglich zwei Videos produziert. Für die Let’s Plays und andere Videos, die verschiedene Aspekte des Computerspiels behandeln, beginnt er bereits morgens mit dem Skript für das erste Video und startet anschließend mit der Aufnahme. Außerdem streamt er meist dreimal die Woche live.
Inwiefern Influencer*innen finanziell von ihren Tätigkeiten profitieren, wird ebenfalls in dem Video thematisiert. Dabei verdienen beispielsweise Youtuber*innen an Werbung und Partnerschaften, die Höhe der Einnahmen ist dabei von den Aufrufen und der Reichweite des Kanals abhängig. Um ein Produkt zu bewerben, können sie dieses in ihren Videos platzieren, Werbung für ihre eigene Marke machen oder Rabattcodes anbieten. Für die Konsument*innen muss dabei erkenntlich sein, dass es sich um Werbung handelt. Eine weitere Einnahmequelle ist die Vor- oder Zwischenschaltung von Werbeclips durch YouTube in dafür freigegebene Videos der Kanalbetreiber*innen. Ein gewisser Anteil der Einnahmen, die die Plattform dafür erhält, wird an die Influencer*innen weitergegeben.
In der Produktion wird auch die Ambivalenz der Sozialen Medien aufgezeigt. Auf der einen Seite bieten die verschiedenen Sozialen Netzwerke eine Teilhabechance für Menschen, die in der Öffentlichkeit eher unterpräsentiert sind, wie Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund. Beispielsweise berichtet der Kanal Gewitter im Kopf vom Leben mit Tourette und erreicht damit 1,3 Millionen Menschen. Außerdem haben 43 Prozent der 100 erfolgreichsten deutschen YouTuber*innen einen Migrationshintergrund.
Doch neben diesen Chancen für verschiedene Minderheiten werden auf der Plattform leider auch viele Rollenklischees wiedergegeben. Die Themen, mit denen die Influencerinnen sich hauptsächlich beschäftigen, finden sich überwiegend im häuslichen Umfeld. Dazu zählen Koch-, Do-It-Yourself- Videos oder Beauty-Tutorials. Darüber hinaus sind nur ein Drittel der 100 erfolgreichsten YouTuber*innen Frauen. Denn Influencer präsentieren sich in einem viel breiteren Feld wie Comedy, Unterhaltung, Musik oder Politik. Daraus lässt sich natürlich nicht herleiten, dass Frauen in diesen Feldern weniger kompetent sind. Allerdings sind sie bei Themen aus dem häuslichen Bereich geschützter vor Hatespeech, da Zuschauer*innen ihnen hier mehr Kompetenz zutrauen, während dies bei anderen Gebieten angezweifelt wird.
Die Videoproduktion richtet sich an Schulklassen zwischen der achten und 13. Jahrgangsstufe. Da diese Altersgruppe sehr aktiv in verschiedenen Sozialen Medien unterwegs ist, kennen sie den Begriff Influencer*in bereits. Den Einfluss, den diese ausüben können, sollen die Schüler*innen mithilfe dieses Videos verstärkt wahrnehmen. Außerdem ist in dieser Dokumentation zu sehen, dass hinter dem schönen Leben, das online präsentiert wird, selbstständige und umfassend strukturierte Arbeit steckt. Außerdem werden die Jugendlichen auf das ungleiche Geschlechterverhältnis und die Stereotypisierung von Geschlechterrollen in Sozialen Netzwerken aufmerksam gemacht. Das FWU empfiehlt die Bearbeitung dieses Themengebiets in den Fächern Deutsch, Religion oder Ethik. Für die Verwendung der Produktion gibt es verschiedene Lizenzen. Die Kosten für eine Einzellizenz für Lehrer*innen belaufen sich auf 32,70 Euro.
Für eine bessere Verständlichkeit ist ein deutscher Untertitel für das Video zuschaltbar. Außerdem ist auch der gesamte Filmtext einsehbar und kann heruntergeladen werden. Somit erfüllt das Format in gewissen Punkten die Barrierefreiheit. Allerdings wäre es wünschenswert, dass der Untertitel in mehr Sprachen verfügbar wäre. Die interaktiven Module können helfen, das Thema nochmals zu vertiefen und eine kritische Distanz zu entwickeln. Aufgrund der einfachen Bearbeitung der Arbeitsblätter sind diese letztlich eher für jüngere Schüler*innen geeignet, da die Produktion viele grundlegende Aspekte anspricht, die in älteren Jahrgangsstufen schon bekannt sein sollten.
Die Produktion behandelt das Thema ‚Traumjob Influencer‘ aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei werden sowohl die positiven wie auch die negativen Seiten aufgezeigt. Durch den Miteinbezug der Influencer*innen Annika und Justus konnte ein praktischer Zugang geschaffen werden, wobei ein noch umfassenderer Einblick in die Arbeit von ersterer wünschenswert wäre. Außerdem hätte kritisch behandelt werden können, dass nur ein geringer Teil der Influencer*innen sich durch ihre Kanäle ihr Leben finanzieren kann. Somit handelt es sich nicht um ein realistisch umzusetzendes Berufsbild.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Judith Strohmayer
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Elif Binici: Among Us. Das Kultspiel im Lockdown
InnerSloth (2018). Among Us. App unter anderem für iOS, Android, Steam, Nintendo Switch. Kostenlos für mobile Endgeräte, 3,99 € für PC.
Trotz einer pandemiebedingten Isolation müssen Spielende dank ‚Among us‘ nicht auf den Spieleabend mit Freund*innen verzichten. Bereits 2018 haben die Entwickler*innen des US-amerikanischen Indie-Studios InnerSloth eine digitale Adaption des Gesellschaftsspiels auf den Markt gebracht. Anfangs nur als kleines Spiel gedacht, erfährt ‚Among Us‘ im Sommer 2020 einen regelrechten Hype, als Nutzende der Streaming-Plattform Twitch das Online-Game für sich entdecken. In Corona-Zeiten, in denen Online-Spiele ohnehin große Beliebtheit genießen, schafft es das Indie-Unternehmen sogar einen neuen Rekord aufzustellen: Gemäß der Daten des Marktforschungsinstituts Superdata hat die Gaming-App im November 2020 mit 500 Millionen aktiven Nutzer*innen mehr monatliche Spieler*innen vorweisen können als je ein Spiel zuvor.
Dabei ist das Spielprinzip sehr simpel und sowohl für eingefleischte Gamer*innen als auch für komplette Neueinsteiger*innen geeignet. Vier bis zehn Spieler*innen besiedeln ein beschädigtes Raumschiff oder eine Basis. Ihre Aufgabe ist es durch kleine Minispiele Wartungsarbeiten zu erledigen, um die Flugtauglichkeit zurück zu erlangen. Es gibt jedoch einen Haken: Unter die Crewmitglieder haben sich ein bis drei Hochstapler*innen geschlichen, sogenannte ‚Imposter‘. Diese werden zu Beginn der Partie ausgelost. Während die Betrüger*innen die wahre Identität voneinander kennen, sind die Besatzungsmitglieder ahnungslos. Ihr Ziel ist es die Mission der Crew zu sabotieren und jene nach und nach auszuschalten, ohne selbst entlarvt zu werden. Um unauffällig zu meucheln, können jene im Gegensatz zu den ‚normalen‘ Crewmitgliedern durch Lüftungsschächte kriechen. Das Astronaut*innenteam kann den Sieg jedoch für sich entscheiden, wenn alle Aufgaben abgeschlossen sind, bevor die Truppe gänzlich eliminiert worden ist oder sie es schaffen, sämtliche Übeltäter*innen zu überführen.
Den Mitspieler*innen ist es dabei nur möglich, sich während der Notfallsitzungen auszutauschen, denn nur dann ist der In-Game-Chat aktiviert. Die Besprechung kann einberufen werden, sobald die Leiche eines Crewmitglieds gesichtet oder der Notfallknopf betätigt wurde. Abhängig von den Einstellungen, kann diese Funktion von jeder*m Spielenden nur einmal pro Spiel genutzt werden. In der Beratungsrunde wird im Textchat darüber diskutiert, wer eine*r der Übeltäter*innen sein könnte. Hierfür werden einander Beobachtungen geschildert, die auffällig erschienen und gegenseitige Verdächtigungen angestellt: Warum hat der gelbe Astronaut die Leiche nicht gemeldet, obwohl er sich in unmittelbarer Nähe befand? Wie konnte das rote Männchen so schnell von einem Ort zum anderen gelangen? Es lohnt sich daher das Umfeld im Blick zu behalten. Doch Achtung, die Bösen werden ihre Schuld abstreiten, falsche Fährten legen, um von sich abzulenken und Falschanschuldigungen tätigen, um die anderen Spieler*innen davon zu überzeugen, dass sie eine*r der Guten sind. Am Ende der Diskussionsrunde wird ein*e Verdächtige*r per Mehrheitsentscheid des Raumschiffes verwiesen. Erst nachdem jemand über Bord geworfen wurde, wird aufgelöst, ob es sich dabei tatsächlich um eine*n Widersacher*in oder doch um eine*n Unschuldige*n gehandelt hat.
Logisches Denken, Überzeugungskraft und eine gute Auffassungsgabe sind gefragt um, je nach Rolle, diese Täuschungsmanöver zu erkennen oder die Crew zu überlisten.
Im Google Play Store ist das Multiplayer-Game entsprechend des IARC-Systems mit einer Freigabe ab sechs Jahren gekennzeichnet, im Apple Store hingegen ab neun. Weder auf der Homepage der USK noch der des PEGI sind derzeit Angaben zur Altersbeschränkung zu finden. Aufgrund der abstrakten Cartoon-Grafiken, der überspitzten Darstellungen der Todesanimationen (die lediglich für wenige Sekunden zu sehen sind und auch nur dann, wenn man selbst das Opfer war) und des leichten Einstiegs empfiehlt der Spieleratgeber NRW die Nutzung schon ab acht Jahren. Im November 2020 wurde das Deduktionsspiel mit dem Pädagogischen Medienpreis 2020 des Studio im Netz e.V. München (SIN) ausgezeichnet, dabei wurde die Altersstufe ab zwölf angesetzt. Besonders die spannenden Gruppendynamiken, die das Strategiespiel auf Grund seiner Interaktivität hervorrufe, seien Grund für den Preis gewesen.
Das Spiel fördert in der Tat die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, denn nur durch die enge Zusammenarbeit der Spieler*innen ist es möglich das Endziel zu erreichen und die Tricks der Gegenspieler*innen zu durchschauen. Als Möglichkeit zur Schlichtung oder Konfliktbewältigung in Gruppen hat es ebenfalls einen pädagogischen Nutzen. In Schulen oder in der Jugendarbeit kann das Spiel insbesondere zum Kennenlernen und zum Aufbau einer Gemeinschaft eingesetzt werden. Zudem kann anhand des Spiels über die Debattenkultur, demokratische Strukturen, wie etwa Abstimmungen und Entscheidungsprozesse reflektiert werden.
‚Among Us‘ lässt sich in drei verschiedenen Optionen spielen. So kann es im öffentlichen Modus mit neun zufälligen Mitspieler*innen gespielt werden. Hier ist der Kontakt mit Fremden unmittelbar. Unangebrachte Nachrichten können durch einen Filter im Chat zwar zensiert werden, jedoch werden die Diskussionen nicht moderiert. Auch wenn der Zeitraum eingeschränkt ist, in dem der Chat aktiv ist, bleibt es dadurch möglich über jegliche Themen zu schreiben, die nicht unbedingt mit dem Spiel zu tun haben müssen. Personen mit Hintergedanken könnten etwa persönliche Informationen erfragen, weshalb Eltern empfohlen wird, einen Blick auf die Gruppe zu haben, mit der das Kind interagiert, diese auf Gefahren des offenen Chats hinzuweisen und/oder den privaten Spielmodus vorzuziehen. Im privaten Modus kann mit lokalen Spieler*innen, also mit Personen gespielt werden, die im gleichen WLAN eingeloggt sind, oder über das Teilen eines Freischaltcodes, welcher den Zugang zu einem privaten Spielraum ermöglicht, sogar mit Familie und Freunden, die nicht dem eigenen Hausstand angehören. Dem virtuellen Spieleabend steht damit nichts mehr im Wege.
Auf allen Plattformen können kostenpflichtig Zusatz-Items per In-Game-Kauf erworben werden. Diese sind jedoch nicht zwingend notwendig. Seit dem 15. Dezember ist auch eine Version für die Nintendo Switch verfügbar. Auch auf anderen Konsolen sollen in Zukunft in digitalen Sphären Hochstapler*innen identifiziert werden können. Derzeit ist es nicht möglich, das Spiel auf Deutsch zu spielen. Updates mit neuen Features und mehr Sprachen sind jedoch in Arbeit.
Beitrag aus Heft »2021/01 Flucht nach vorne. Digitale Medien in der Bildung«
Autor:
Elif Binici
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Judith Strohmayer: Jugendhilfe-Navi
Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (2018). Jugendhilfe-Navi. YouTube-Kanal. Kostenlos.
„Hallo und herzlich willkommen zum Jugendhilfe-Navi, mein Name ist Kok Hung Cheong [...]“, mit diesen Worten leitet der Redakteur des YouTube-Formats Jugendhilfe-Navi seine Videos ein. In einem Büro sitzend oder bei Interviews mit Praktiker*innen widmet er sich in dem Format allen möglichen Fragen rund um das Thema Medien und Jugendhilfe.
Die Palette der behandelten Themen ist weitreichend. Zum einen finden sich auf dem Kanal Erklärvideos, in denen auch immer Pro und Contra der vorgestellten Themen verhandelt werden. Hierzu zählen die kurzen Zusammenfassungen über TikTok, Influencer*innen, Cybermobbing, Instagram und Facebook. Zum anderen bietet das Jugendhilfe-Navi auch Tutorials an, welche in der Praxis umgesetzt werden können. Allein rund um das Thema Let’s play sind fünf Videos verfügbar. Hier finden Pädagog*innen und andere Interessierte Informationen über die notwendige Vorbereitung, Produktion, die Aufnahme und die Nachbereitung. Damit die angesprochenen Inhalte auch weiterhin relevant für die Praxis sind, werden die Zuschauer*innen aufgefordert, Vorschläge für neue Beiträge zu machen. In der Kommentarfunktion der Videos wird diesem Angebot allerdings noch nicht zahlreich nachgekommen.
Mit den Videos wird außerdem versucht, eine Brücke zwischen analogen und digitalen Angeboten zu schlagen, beispielsweise in dem Beitrag ‚Idee für ein digitales & analoges Fußballturnier‘. Dafür wird ein Fußballturnier zwischen den Teilnehmenden auf dem Feld und am Computer oder an der Konsole veranstaltet. Grundlage ist ein Turnierbaum auf Challonge, in welchem die Spieler*innen und die jeweiligen Ergebnisse eingetragen werden. Anschließend erfolgt der Wettbewerb digital und analog. Neben Tipps zur Anwendung in Projekten und Praxis beschäftigt sich das Format mit möglichen Problematiken des Medieneinsatzes in der Jugendarbeit. So stellt sich für Arbeitende in diesem Bereich beispielsweise stets die Frage, welcher Messenger am besten für die Kommunikation mit den Jugendlichen geeignet ist. Denn während WhatsApp der am meisten genutzte weltweit ist, weist dieser Dienst in Bezug auf Datenschutz erhebliche Mängel auf. Diesem Thema widmet sich das Jugendhilfe-Navi und stellt auch gängige Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Gerade in der Corona-Situation, den damit einhergehenden Schließungen von Jugendzentren und dem Wegfall von Fortbildungen für Fachkräfte kam es zu einem regelrechten Boom von digitalen Angeboten in Sozialen Medien und auf Streaming-Plattformen. Das Jugendhilfe-Navi veröffentlichte deswegen einige Videos, die sich besonders mit der digitalen Jugendarbeit und sicherer Kommunikation beschäftigen. Unter anderem wird darin besprochen, warum Jugendeinrichtungen mehr in Sozialen Medien vertreten sein sollten, welche Potenziale das bietet, wie kreative und partizipative Angebote gestaltet werden können und welche Chancen und Grenzen Streaming bietet. Hierbei wird die Plattform Discord mit ihren Funktionen vorgestellt. Außerdem werden auch wieder verschiedene Gründe für und gegen die Nutzung der Plattform aufgezählt. So ist das kostenlose Kommunikationstool für Jugendliche leicht verständlich und der Zugang zu dem genutzten Raum relativ kontrollierbar. Allerdings stellt auch das Thema Datenschutz bei Discord ein Problem dar.
Zusätzlich zu YouTube bietet das Jugendhilfe-Navi auf Instagram Content, welcher die aktuellen Videos ergänzt. Außerdem werden hier für Fachkräfte partizipative Möglichkeiten geboten, in denen diese beispielsweise ihre Jugendeinrichtungen vorstellen können. Auf der Website des Jugendhilfe-Navis finden sich auch nochmal alle Videos thematisch nach den Inhalten geordnet sowie Verlinkungen zu weiterem Informationsmaterial.Die Videos, welche sich mit der Wahl des richtigen Messengers auseinandersetzen oder die verschiedenen Plattformen der Sozialen Medien erklären, stechen mit besonders hohen Klickzahlen heraus. Hier ist zu sehen, dass diese Fragen die Jugendhilfe besonders beschäftigen. Auch die Vorschläge von Praxisprojekten wie das Gestalten eines Escape-Rooms als Jugendprojekt oder die Anleitung für ein Let’s Play können eine größere Reichweite verzeichnen.
Das Jugendhilfe-Navi versucht mit seinen Beiträgen die Digitalisierung auch in der Jugendhilfe mehr zu verankern. Teilweise wären allerdings etwas umfassendere Videos wünschenswert, damit die Praktiker*innen noch mehr Einblick in die Inhalte bekommen ohne selbst noch weiter recherchieren zu müssen. Die Entwicklung des Formats ist im Laufe der Videos festzustellen. Während zu Beginn des Formats Cheong durch seine sehr bedachte Sprechweise mit einigen Pausen auffiel, führt er jetzt sicher durch seine Videos. Die neueren Beiträge sind inzwischen auch nach Kapiteln geordnet, somit können die Zuschauer*innen Themen, die sie bereits kennen, überspringen und die für sie relevanten Inhalte aussuchen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Jugendhilfe-Navi eine gute Informationsgrundlage für Praktiker*innen bietet, welche in der Jugendhilfe mit Medien arbeiten. Hier werden verschiedene Methoden aufgezeigt, die in der Praxis angewendet oder auch noch weiterentwickelt werden können. Bisher werden monatlich ein bis zwei Videos veröffentlicht. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration Nordrhein-Westfalen.
Jounas Al Maana/Stefanie Neumaier: Kann Medienkompetenz gemessen werden? Der #DigitalCheckNRW im Überblick
Der #DigitalCheckNRW bietet zur Messung der individuellen Medienkompetenz einen Online-Test in Form von sechs Kompetenzbereichen an: Bedienen und Anwenden; Informieren und Recherchieren; Kommunizieren und Kooperieren; Produzieren und Präsentieren; Analysieren und Reflektieren; Problemlösen und Modellieren. Dabei gliedern sich die einzelnen Kompetenzbereiche in je zwei Level. Pro Level gilt es vier Fragen zu beantworten, woraus jeweils bis zu fünf Punkte für den eigenen Medienkompetenz-Score resultieren. Passend zu einzelnen Leveln bietet der #DigitalCheckNRW die Möglichkeit, adäquate Weiterbildungsangebote in der Umgebung bzw. online, zum Beispiel von Volkshochschulen und anderen Anbietern, ausfindig zu machen.
Mit dem Angebot der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) wird versucht, ein Tool bereitzustellen, mit dem eine kritische (Selbst-)Reflexion der eigenen Mediennutzung und den damit einhergehenden Kompetenzen angestrebt wird.
Für den Test spricht zunächst einmal, dass er kostenlos zur Verfügung steht. Ferner lädt ein Trailer durch dessen optisch ansprechende Aufbereitung zur Teilnahme am Check ein. Das farbenfrohe Design des Trailers findet sich in den einzelnen Leveln wieder und ist dabei gepaart mit einer klaren Struktur der Fragen und Antworten. Auch die Details zu den Fragen, welche im Nachgang erscheinen, bieten ein großes Spektrum an Hintergrundwissen und ermöglichen den Nutzer*innen, ihre eigenen Antworten zu überprüfen und so dazuzulernen. Schließlich gilt es hervorzuheben, dass die empfohlenen Weiterbildungsangebote – im Sinne einer digitalen (sozialen) Teilhabe – größtenteils kostenlos angeboten werden. Diese sind sehr spezifisch und bieten so gezielte Weiterbildungsmöglichkeit für die Nutzer*innen an.
Das Ziel ist hoch gesteckt: Das Schaffen einer Plattform, um möglichst viele Menschen zur Selbstreflexion der eigenen Medienkompetenz anzuregen, Defizite aufzuzeigen und konkrete Fördermaßnahmen anzubieten. Hierbei irritiert, dass die Antwortmöglichkeiten auf einzelne Fragen nicht deckungsgleich mit dem Spektrum an möglichen Standpunkten der Befragten sind. Beispielhaft wird bei der Frage nach einer gesunden Gestaltung des Umgangs mit Medien die bedürfnisorientierte Nutzung als Antwortmöglichkeit nicht bedacht. Ferner werden vereinzelt eindimensionale Hinweise gegeben. So wird den Nutzenden bei der gleichen Frage als richtige Antwort nahegelegt, mit Apps wie dem ‚Digitalen Wohlbefinden‘ das eigene Mediennutzungsverhalten zu optimieren. Bei dieser App geht es darum, die Häufigkeit und Nutzungslänge von Apps auszuwerten und wenn möglich, einzuschränken. Gerade medienpädagogische Fachkräfte wissen jedoch, dass ein rein quantifizierender Blick eine verkürzte Betrachtung dieser Materie darstellt.
Es wird dennoch versucht, das komplexe Konstrukt des (Medien-)Kompetenzbegriffs in verschiedenen Facetten für die Nutzer*innen greifbar zu machen. Am Ende jeder Einheit wird ein Punktescore angegeben. Durch dieses Punktesystem wird einerseits ein Anreiz geschaffen, sich verbessern zu können. Andererseits bleibt es schwierig, Medienkompetenz eindeutig mit einem Punktescore zu bewerten, da keinerlei Trennschärfe dahingehend besteht, was ein Punkt mehr oder weniger wirklich aussagt. Ferner kann auf der Metaebene konstatiert werden, dass es bei einem derart vielseitigen Konstrukt, wie dem der Medienkompetenz, nichts auf Grundlage einer einheitlichen Definition zu messen gibt.
Insgesamt ist der #DigitalCheckNRW eine Plattform, die das Potenzial hat, viele Menschen zu erreichen und ihnen die Möglichkeit zur Reflexion ihrer Mediennutzung und -kompetenz zu ermöglichen. Außerdem können so zahlreiche Angebote zur medienpädagogischen Fort- und Weiterbildung spezifisch verbreitet und wahrgenommen werden.
Die GMK wurde von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit dem #DigitalCheckNRW beauftragt. Ausschlaggebend war die Digitalstrategie des Bundeslandes. Den Grundstein für den Test bildet der für Schulen konzipierte ‚Medienkompetenzrahmen Nordrhein-Westfalen‘. Um lebensbegleitendes Lernen zu unterstützen, wurde dieser nun für Erwachsene ausgeweitet.
Sebastian Hirschbeck/Dominik Joachim: Gamescom digital. Innovativ mit Startschwierigkeiten
„Hello and welcome to the Gamescom Opening Night Live 2020 Preshow“, so wurden am 27. August gegen 17:30 Uhr die Besucher*innen zur Eröffnung der Gamescom begrüßt. Anders als die letzten Jahre nicht auf dem Messegelände in Köln, sondern zuhause vor ihren Computern.
Denn wie viele andere Veranstaltungen im Jahr 2020 konnte die Gamescom nicht als Präsenzveranstaltung realisiert werden. Statt sich also zusammen mit etwa 300.000 Besucher*innen durch die Messehallen zu drängen und die neuesten Spiele auszuprobieren, saß man vor einem eigenen Endgerät und hörte sich an, was die Entwickler*innen dieses Jahr zu präsentieren hatten.
Spieleankündigungen
Im Bereich der AAA-Titel wurden den Zuschauer*innen dieses Jahr nur wenige Neuerscheinungen präsentiert. Dafür warteten die Entwickler*innen mit einer Vielzahl an Fortsetzungen bereits bekannter Spielereihen auf.
So wurde der erste Next-Gen-Konsolentitel für die kommende Playstation 5 mit Ratchet & Clank: Rift Apart angekündigt und die ersten Einblicke in das Spiel selbst gezeigt. Die Spielereihe unter dem Publisher Sony Computer Entertainment ist seit dem ersten Titel aus dem Jahre 2002 ein Kaufargument für die hauseigene Spielekonsole Playstation. Das klassische ‚Jump and Run‘-Abenteuer beschränkt sich diesmal nicht auf eine Welt. Spieler*innen kämpfen sich nun durch eine abwechslungsreiche Umgebung und nutzen erstmals Portale, um die Regeln von Zeit und Raum zu ihren Gunsten zu brechen.
Auch Activision Blizzard machte mit der Ankündigung der neuesten Erweiterung für das Gamescom MMORPG World of Warcraft deutlich, dass dieses Spielgenre seit 16 Jahren nach wie vor Millionen Fans begeistern kann. Für die kommende Erweiterung World of Warcraft: Shadowlands wurde das Erscheinungsdatum angekündigt, auf welches Spieler*innen bereits seit Monaten warten. Am 27. Oktober 2020 dürfen sich dann alle Spieler*innen in das Reich des Todes wagen.
Von der legendären Spieleschmiede Gearbox Software, welche Titel wie Half-Life, die Borderlands-Reihe oder auch Duke Nukem entwickelte, gab es Einblicke in den neu angekündigten Titel Godfall, welcher Ende 2020 für Windows PCs und Playstation 5 erscheinen wird. Godfall ist ein ‚action role-playing game‘ in einem Fantasy-Setting. Die Spieler*innen bekämpfen mit einem dynamischen Kampfsystem ihre Gegner*innen, um die Welt vor dem Untergang zu retten.
Zudem wurden zahlreiche Spiele angekündigt, welche aktiv auf Virtual Reality ausgerichtet sind. Dabei sind erstmals auch Fortsetzungen bekannter Spielereihen zu finden, wie der Flight Simulator von Microsoft, bei dem die Spielenden in die Rolle von Pilot*innen schlüpfen, um unter realistischen Bedingungen alle nur erdenklichen Arten von Flugobjekten zu steuern. Neu dabei ist, dass sämtliche Bedienelemente den Spielenden nicht mehr nur per Knopfdruck, sondern nun auch visuell zur Verfügung stehen.
Ein weiterer Virtual-Reality-Titel wurde mit Medal of Honor: Above and Beyond angekündigt, bei dem Spieler*innen die Rolle eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg übernehmen. Durch die aktive Ausrichtung auf Virtual Reality werden die gezeigten Szenarien noch dramatischer und realistischer als man es von dem Urgestein des Shooter-Genres (Ersterscheinung: Medal of Honor 1999) ohnehin gewohnt ist.
Gamescom – alles digital
Anstelle einer Erkundungstour durch die Hallen, bei der sich die Besucher*innen genau aussuchen können, was sie sehen möchten, wurden sie dieses Mal von einer freundlichen und lustigen Moderator*innen-Crew durch das Programm geführt. Es entstand weniger der Charakter eines Städtetrips in eine Spielestadt, als vielmehr der einer Rundtour durch eben jene.
Dies hatte viele Vorteile. Die schiere Masse an Ständen auf der Gamescom führt fast immer dazu, dass Dinge übersehen und nicht entsprechend gewürdigt werden. Zudem sind die Laufwege durch die rund 200.000 Quadratmeter großen Hallen entsprechend lang, und man ‚verliert‘ viel Zeit dabei, sich von einer Halle in die nächste durch die Menschenmassen zu quetschen.
Allerdings büßt diese Art der Veranstaltung den Reiz des selbst Entdeckens ein. Zwar wurden die großen Ankündigungen so häufig wiederholt, dass es nahezu unmöglich war, sie zu verpassen, gerade im Bereich der Indie-Games wurde aber nur ein Ausschnitt der Szene gezeigt. Zudem konnten sämtliche Spiele nur anhand von Trailern oder kurzen Spielausschnitten vorgestellt werden, das ‚Vorab-Testen‘ entfiel gänzlich.
Zusätzlich hatten die Livestreams häufig Verbindungsprobleme, wodurch es schwierig war, dem Programm zu folgen. Die Internetverbindung der Veranstalter war nicht auf die Massen an Zuschauenden ausgelegt (zum Beispiel ca. 2 Millionen Zuschauer*innen für die Eröffnungs-Show ‚Opening Night Live‘; Quelle: gamescom.de), was immer wieder zu technischen Problemen führte. Das Konzept der Livestreams war dabei nicht auf einen Kanal beschränkt. Neben dem Hauptkanal gab es zusätzlich themenbasierte Kanäle, zum Beispiel für Cosplay oder Retro-Games.
Insgesamt wurden aber nicht nur die neusten Games und Erweiterungen angekündigt. Wie bereits in den Jahren davor gab es Gespräche mit den jeweiligen Entwickler*innen rund um ihre Games, von der Entwicklung bis hin zu Hintergründen und Erzählungen zur Entstehung. Begleitet wurden diese von Talks zu verschiedensten Themen aus dem Gaming-Bereich, wie zum Beispiel der Talk über ‚toxisches Gaming‘, welcher neben einer Streamerin, die direkten Kontakt mit einer jungen Zielgruppe hat, auch mit einem Cyber-Kriminologen geführt wurde.Insgesamt war der Gamescom-Besuch dieses Jahr ungewohnt, doch obwohl der direkte Kontakt zu anderen Besucher*innen fehlte, mangelte es durch den aktiven Livestream-Chat nicht an Interaktion. Die Probleme, welche durch die Umstellung auf ein Digitalkonzept entstanden sind, erübrigten sich innerhalb der Gamescom weitestgehend wieder.
Beitrag aus Heft »2020/05 Ethik und KI«
Autor:
Sebastian Hirschbeck,
Dominik Joachim
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Kati Struckmeyer: Futurium Berlin. Ein Museum zur Entdeckung möglicher ‚Zukünfte‘
Futurium Berlin. Alexanderufer 2, 10117 Berlin. www.futurium.de. Kostenloser Eintritt.
„Wie wollen wir leben?“ Dieser zentralen Frage unserer Gegenwart und Zukunft können Besucher*innen des Futuriums in Berlin seit rund einem Jahr nachgehen. In der Ausstellung sollen mögliche Zukünfte entdeckt, im Forum gemeinsam diskutiert und im Futurium Lab eigene Ideen ausprobiert werden. Das Futurium soll somit Museum, Bühne und Forum für offene Fragen der Zukunft sein. Als Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum will das Futurium interessierte Besucher*innen über aktuelle und künftige Entwicklungen aus Wissenschaft, Forschung und Gesellschaft informieren.
Architektur
Bereits das Gebäude, malerisch am Spreebogen gelegen und in der Nähe wichtiger politischer und wirtschaftlicher Orte Berlins, mutet futuristisch an und stimmt auf den Besuch ein. Der Grundriss des Futuriums ist ein unregelmäßiges Fünfeck, der so wie das Gebäude von dem Berliner Architektenduo Christoph Richter und Jan Musikowski entworfen wurde. Steht man davor, stellt sich schnell eine Assoziation zu einem Raumschiff ein, das gerade gelandet ist. Betritt man das Futurium, geht die Reise in die Zukunft weiter. Während das lichte Foyer einer Fahrt durch die Wolken gleichkommt, muten die obere Etage mit der Ausstellung und die untere Etage mit dem Lab durch die andere Beleuchtung eher wie Black Boxes an.
Ausstellung
In einer zentralen, sich immer weiter verändernden Ausstellung werden aktuelle gesellschaftliche Fragen behandelt, so zum Beispiel die Frage nachhaltiger Energiewirtschaft, nach einem Zusammenleben von Mensch und Roboter und anderen, die Zukunft bestimmende Fragen. Alle Informationen sind dabei grundlegend vom Konzept des Anthropozäns beeinflusst, also dem Zeitabschnitt, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse der Erde geworden ist. In diesem Konzept hängen Mensch, Technik und Natur nicht nur zusammen, sondern müssen auch zusammen gedacht werden. Somit gibt es statt einer mehrere, unterschiedlich denkbare ‚Zukünfte‘. Die Besucher*innen des Futuriums sollen durch das Ausprobieren verschiedener Prozesse ein Bewusstsein dafür bekommen, dass Zukunft gestaltbar ist – durch ihren Einfluss. Dem Auftrag, Wissen zu generieren und zu verhandeln, wie diese ‚Zukünfte‘ aussehen können, kommt das Futurium in einem breiten Spektrum nach. Hands on – auch mit Hilfe digitaler Technologie – ist ein zentrales Prinzip des Vermittlungskonzepts. Interaktive Installationen, diverse Sensoren und ungewöhnliche Steuerelemente gestatten verschiedene Zugriffe auf Wissen. Die Besucher*innen erhalten am Eingang zudem ein Armband mit RFID-Chip, mit dem sie an ausgewählten Stationen individuell interagieren können, Zusatzwissen abrufen oder für die spätere Vertiefung im Web speichern können.
Futurium Lab
Inspiriert durch die Ausstellung kann es, angekommen im Futurium Lab, ans Experimentieren gehen. Es können zum Beispiel eigene Prototypen entwickelt oder die Funktionsweise eines 3D-Druckers ausprobiert werden. Wer auch kulinarisch experimentierfreudig ist, kann in der Versuchsküche ausprobieren, ob Insekten die Nahrung der Wahl von morgen sind. Auch ein Medienlabor und eine Werkstatt stehen für die Ideen der Gäste bereit. Interaktive und künstlerische Installationen machen komplexe Technologie nachvollziehbar und erlebbar, zum Beispiel die Rolle künstlicher Intelligenz im Kontext von Malerei oder digitale Technologie für Wahlen. Aufgrund von Corona finden begleitende Workshops und Seminare gerade nur digital statt, das Programm kann man sich auf der Website www.futurium.de ansehen.
Skywalk
Will man sich zwischendrin einmal durchlüften, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten, ist ein Spaziergang über das Dach des Gebäudes empfehlenswert. Abgesehen von einmaligen Blicken auf Berlin überzeugt hier auch das Konzept der nachhaltigen Energiegewinnung. Das Dach des Futuriums ist großflächig mit Solar- und Photovoltaik-Modulen bestückt, die man beim Skywalk genau betrachten kann. Um die Sonnenwärme und hausinterne Energiegewinne für den Betrieb des Gebäudes nutzbar zu machen, wurde auch ein neuartiger Hybridspeicher eingesetzt, so dass das Gebäude dem Standard eines Niedrigst-Energiehauses entspricht.Insgesamt lohnt sich der Besuch des Futuriums für alle Technik- und Zukunftsinteressierten, sowie jede*n, die*der sich – auch im Rahmen von Ethik und KI – mit der eigenen Rolle in der Gestaltung der möglichen ‚Zukünfte‘ beschäftigt.
Das Futurium ist eine Projektinitiative wissenschaftlicher Einrichtungen und Netzwerke mehrerer Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen sowie der deutschen Bundesregierung in Berlin, Träger ist die gemeinnützige Einrichtung Futurium gGmbH.
Jounas Al Maana: Filmreihe über Alltagsrassismus bei Jugendlichen
Medienprojekt Wuppertal (2019). Alltagsrassismus. Filmreihe als DVD, 32,00 €, zum Streamen, 9,00 € oder als Download, 25,00 €.
Woher kommst du? Für Menschen mit Migrationsbiografie ist die Frage jedes Mal ein Drahtseilakt. Geht es jetzt darum, in welcher Stadt ich aufgewachsen bin oder ob ich gerade aus der Schule komme? Denn oft ist die Frage verbunden mit einem ‚ursprünglich‘. Es geht vielmehr um die Herkunft der Eltern und bezieht sich auf ein nicht-weißes Erscheinungsbild. Kinder und Jugendliche, die äufig mit dieser Form des ‚Andersmachens‘ und dem entsprechenden Antwortdruck konfrontiert sind, entwickeln im Laufe der Zeit eine individuelle Methode, mit dieser Frage umzugehen. Dabei werden essentielle Fragen der eigenen Identität und Zugehörigkeit aufgeworfen, die oft zu inneren und äußeren Konflikten führen. In der Filmreihe ‚Alltagsrassismus‘ werden genau diese Fragen nach Identität und rassistischen Erfahrungen von nichtweißen Jugendlichen in einem Kurzfilm sowie zwei Dokumentarfilmen behandelt.
In den beiden Dokumentarfilmen, auf denen der Fokus hier liegen soll, werden Jugendliche interviewt und zu ihren Erfahrungen und Perspektiven befragt. Im Folgenden wird auf einige zentrale Aspekte aus den Interviews eingegangen.
„Wir sind so gut wie Deutsche“
In der Interviewreihe ‚Bruder, Bruder, Bruder‘ wird das Thema der Identität und Zugehörigkeit aus den unterschiedlichen Perspektiven der Jugendlichen diskutiert. Es zeigt sich die Krise, in der viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte stecken: „Ich habe immer versucht, das zu machen, was sie von mir erwartet haben.“ Sie leben in zwei Realitäten Filmreihe über Alltagsrassismus bei Jugendlichen und entwickeln unterschiedliche Handlungsmuster – je nachdem, in welchen Kontexten sie sich befinden. Diese Kontextabhängigkeit wird auch an weiteren Stellen deutlich: „In der Schule bin ich
mehr so Deutscher. Zuhause bin ich der, der ich wirklich bin“.
Die Suche nach dem wahren ‚Ich‘ der Jugendlichen wird durch die unterschiedlichen Kontexte und den damit einhergehenden Erwartungsdruck erschwert. Von diesen individuellen und kontextabhängigen Verhaltensmustern geht auch die übergeordnete Frage nach Zugehörigkeit zu Deutschland einher. Den Konflikt vieler Deutscher mit Migrationsbiografie beschreibt folgende Aussage: „Hier werden wir nicht anerkannt, aber wenn wir im Ausland sind, sind wir da die Deutschen“ Dieses fehlende Zugehörigkeitsgefühl und die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft begleitet viele Jugendliche in ihrer Identitätsfindung. In Deutschland wird die vermeintliche Andersartigkeit durch ihre Migrationsbiografie hervorgehoben und durch die Frage, wo man denn ‚ursprünglich herkomme‘ bis hin zu rassistischen Anfeindungen tagtäglich vor Augen geführt. In den Ursprungsländern ihrer Eltern oder Großeltern ist eine Zugehörigkeit auch nur bedingt möglich, da man schließlich in Deutschland sozialisiert wurde.
„Vielleicht versuchen die einfach, die besseren Ausländer zu sein“
Ein interessanter Aspekt der Filmreihe ist auch die Frage nach ‚den Deutschen‘, womit wohl weiße deutsche Menschen ohne Migrationsbiografie gemeint sind. Die Jugendlichen erzählen, dass es in der Jugendkultur mittlerweile ‚cool‘ sei, ‚Ausländer‘ zu sein. Mit lachendem Auge blicken die Jugendlichen dabei auf ihre Mitschüler*innen, die nun arabische Wörter und Redewendungen
in ihre Sprache aufnehmen. Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, wie Diversität bei jungen
Menschen immer mehr zur Normalität wird.
Stopp, hör mal auf damit!
In der Interviewreihe ‚Ich geh dazwischen‘ berichten Jugendliche, dass rassistische Stereotype innerhalb von Freundschaften weit verbreitet sind. Viele bewerten dies als harmlos, solange eine sehr enge Beziehung mit den Personen besteht. Gleichzeitig setzen die Jugendlichen auch klare Grenzen: „In manchen Situationen darf man sowas einfach nicht, weil man nicht weiß, ob man die Person verletzt“, so eine Schülerin. Die Jugendlichen wurden auch nach eigenen rassistischen Erfahrungen befragt und berichten aus ihrem Alltag in der Schule sowie im öffentlichen Raum von starken rassistisch-verbalen Angriffen. Dabei werden Erfahrungen von anti-schwarzem Rassismus, anti-kurdischem Rassismus und anti-muslimischen Rassismus aus der Perspektive der betroffenen Jugendlichen geteilt. Auch, wenn die Jugendlichen von grenzüberschreitenden Erfahrungen in ihren Peergroups berichten, liegt der Fokus doch auch auf Erfahrungen mit ‚älteren‘ Menschen. „Wir sind alle miteinander aufgewachsen […] Die meisten, die dann irgendetwas gesagt haben waren die Eltern, die gesagt haben: Nein, mein Kind kann nicht mit irgendwelchen Ausländern zusammen sitzen.“ Das Aufwachsen in diversen Milieus führt laut den Jugendlichen zu mehr Offenheit und der Normalisierung von vermeintlichen Unterschieden. Die Schüler*innen appellieren daran, in (alltags-)rassistischen Situationen sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit Erwachsenen Zivilcourage zu beweisen und den Betroffenen zur Seite zu stehen.
Die multiplen Perspektiven der Jugendlichen und die Breite der angesprochenen Themen von Identität und Zugehörigkeit über Rassismus bis hin zu Handlungsmöglichkeiten bieten eine Vielzahl an Gelegenheiten, mit Jugendlichen in den Austausch zu kommen. Was der Reihe fehlt, ist begleitendes Material, welches konkret Alltagsrassismus thematisiert. Allein die oben zitierten Aussagen der Jugendlichen bieten genug Potential, um tiefergehende Diskussionen über Rassismus zu führen. Ohne Anleitung und Einbettung in größere Zusammenhänge bleibt diese Diskussion jedoch nur schwer einzugrenzen. Über den Titel ‚Alltagsrassismus‘ hinaus werden letztlich viel mehr Themen besprochen und grundlegende Fragen der Zugehörigkeit und Identität behandelt. Das selbst ausgeschriebene Ziel der Filmreihe – Diskussionen anzuregen – kann in der Praxis auf jeden Fall gelingen.
Das Filmprojekt wurde durchgeführt vom Fachbereich Jugend & Freizeit Wuppertal, Kinder- und Jugendschutz, und dem Haus der Jugend Barmen (Close Up-Theater) mit dem Medienprojekt Wuppertal, gefördert durch das Landesprogramm NRWeltoffen.
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Jounas Al Maana
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Dana Neuleitner: Widerstand in dunklen Zeiten
HandyGames (2020). Through the Darkest of Times. App für Android und iOS. USK 12, 7,99 €.
In einem dunklen Raum sitzen ein paar Menschen um einen Tisch herum. Vor ihnen liegen ein Stadtplan und ein Stapel Zeitungen. Die Stimmung ist gedrückt, denn Deutschland steht Kopf. Die Nationalsozialisten sind an die Macht gekommen und beginnen damit, ihre Ideologien unter das Volk zu bringen. Die Aufgabe der Spieler*innen bei ‚Through the Darkest of Times‘ ist es nun, Mitglieder für eine Widerstandsgruppe zu rekrutieren und verschiedene Missionen gegen die Nazis durchzuführen.
Im Gegensatz zu anderen Spielen geht es in diesem nicht darum, heldenmäßig das Regime zu stürzen, im Krieg möglichst viele Gegner*innen zu töten oder den Zweiten Weltkrieg zu verhindern: Die Spieler*innen nehmen die Rollen normaler Zivilist*innen ein, die ab Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 versuchen, von einem Berliner Hinterzimmer aus mit einfachen Mitteln Widerstand zu leisten. In vier Kapiteln werden Machtergreifung, Höhepunkt der Macht, Krieg und Zusammenbruch des Regimes thematisiert. Es müssen Entscheidungen getroffen, Unterstützer*innen gesucht und die Moral der Gruppe gestärkt werden. Am Rundenanfang werden stets drei kurze fiktive Zeitungsartikel eingeblendet, die einzelne zeitliche Ereignisse überblicksartig anschneiden. Hier erhalten die Spieler*innen beispielsweise Details aus den Nachbarländern, die seit dem Geschichtsunterricht möglicherweise nicht mehr allzu präsent sind oder dort nicht behandelt wurden.
Welche Aufgaben im jeweiligen Spielabschnitt zur Verfügung stehen, ist auf dem Berliner Stadtplan zu erkennen. Je nach ausgeführter Handlung erscheinen weitere Optionen, die erfüllt werden können. Das Spektrum reicht von elementaren Tätigkeiten wie Spendensammeln oder Kontakte knüpfen bis hin zu Befreiungsaktionen, Informationsübermittlung ans Ausland, Aufdeckung einer Wunderwaffe oder Angriffen auf SS-Truppen. Das Gefahrenlevel und dadurch mögliche Auswirkungen auf die Gruppe variieren – es gilt, die Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder richtig einzusetzen und mit ihren Schwächen und Charaktereigenschaften gut umzugehen. Viele Tätigkeiten bauen aufeinander auf, oft ist aber nicht sofort erkennbar, wo die Vorbereitungen stattfinden müssen, da etwa deren Symbole nicht immer eindeutig zuzuordnen sind.
Das Planen der Aktionen selbst wird immer wieder von Dialogen und Story-Episoden unterbrochen, in denen die Geschehnisse der damaligen Zeit und die Schicksale der einzelnen Figuren besonders in den Fokus rücken. Die zeitlichen Phasen des Nationalsozialismus werden in diesen Sequenzen gut sichtbar und nachvollziehbar. Hier warten teils schwere Entscheidungen auf die Spieler*innen. So kann es beispielsweise zwischen den Gruppenmitgliedern zu Unstimmigkeiten und gegenseitigen Verdächtigungen kommen. Die Spieler*innen stehen etwa vor der Wahl, einen vermeintlichen Spitzel rauszuwerfen, einem verarmten Mitglied die spärlichen Ersparnisse zur Verfügung zu stellen oder einem alten wehrlosen Mann gegen die Braunhemden zu helfen oder sich lieber rauszuhalten. Wie würden die Spieler*innen wohl im echten Leben handeln? Das Spiel regt zum Nachdenken an, ob man diese digitale Zivilcourage auch im realen Alltag beweisen würde. In diesen Zwischensequenzen werden die Alltagsprobleme oft überlagert von düsteren Einblicken in die Taten der Nationalsozialisten. In den comicartigen Einblendungen, die von teils sehr langen Texten begleitet werden, finden beispielsweise die Köpenicker Blutwoche, die Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 und ein Bericht zu den Taten des Auschwitz-Lagerarzts Mengele statt. Die dunkel gehaltenen Zeichnungen unterstreichen den Grundton des Spiels. Die Lage erscheint oft aussichtslos, nicht immer kann man helfen. Doch obwohl man eigentlich weiß, dass die kleine Widerstandsgruppe nicht viel an den großen Geschehnissen ändern kann, möchte man dennoch so viel wie möglich bewirken. Jede noch so kleine Entscheidung kann dabei enorme Auswirkungen auf den Spielverlauf und die möglichen Missionen nehmen. Taktisches Geschick und Fingerspitzengefühl sind gefragt, sonst gerät man schnell selbst in Verdacht und gefährdet das Team.
Hin und wieder schleichen sich kleine Logikfehler ein. Zum Beispiel verliert eine Unterstützerin zunächst ihr ungeborenes Kind, bekommt es dann aber doch und manche weiblichen Charaktere werden permanent mit „Herr“ angesprochen. Das Strategiespiel des Berliner Entwickler-Teams Paintbucket Games arbeitet viel mit Vorstellungskraft. In den Dialogen und Story-Sequenzen wird Gewalt zwar im Text beschrieben oder angedeutet, aber höchstens silhouettenhaft verbildlicht. Das ab zwölf Jahren freigegebene ‚Through the Darkest of Times‘ ist dennoch eher für ältere Jugendliche und Erwachsene geeignet – immer vorausgesetzt, die Spieler*innen wollen sich Zeit nehmen für lange Textpassagen und Dialoge. Agiert werden kann in zwei Spielmodi. Sowohl die ‚Erzählung‘ als auch der ‚Widerstand‘ erfordern viel strategisches Denken, wobei letzterer Modus herausfordernder ist, da die einzelnen Entscheidungen größere Auswirkungen haben und die Moral der Gruppe schwerer zu erhalten ist. Auf diese Weise bietet das Spiel für erfahrene Strateg*innen und für Neulinge gleichermaßen Spielerlebnis.
Aufgrund der Länge des Spiels scheint ein Einsatz im Unterricht eher schwer umsetzbar. Eher denkbar wäre die Verwendung zumindest einzelner Kapitel in der offenen Jugendarbeit unter pädagogischer Anleitung. Den Geschichtsunterricht kann das Spiel nicht ersetzen, es bietet aber einen anderen, interaktiven Zugang und zeigt, welcher Druck damals auf den Menschen lastete und welche Anstrengungen sie unternahmen. Spieler*innen können so ihr Wissen auffrischen, vertiefen oder zu weiterer Beschäftigung mit dem Thema animiert werden. Positiv hervorzuheben ist die Herangehensweise an das Thema. Das Fokussieren auf die Schicksale normaler Bürger*innen grenzt ‚Through the Darkest of Times‘ von anderen Videospielen ab, in denen vor allem Weltkriegsabenteuer im Vordergrund stehen. Die Spieler*innen setzen sich mit einer einschneidenden Epoche deutscher Geschichte auseinander, deren Aufarbeitung nie an Relevanz verliert. „Du bist nicht verantwortlich für das, was passiert ist. Aber du bist sicherlich dafür verantwortlich, dass es nicht wieder passiert.“ mit diesen Worten endet das letzte Kapitel und gibt den Spieler*innen einen Denkanstoß und eine Mission für das reale Leben mit auf den Weg. Die App ist sowohl für Android als auch für iOS erhältlich, der Titel kann ebenfalls als Computerspiel erstanden werden.
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Dana Neuleitner
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Kati Struckmeyer: Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien
Haus Eins (2020). Nur 30 Minuten? Podcast, kostenlos verfügbar bei diversen Podcast Apps.
„Darf ich TikTok haben? Darf ich YouTube? Mama, ich will Instagram! Darf ich ZOCKEN???" „Na gut, aber nur 30 Minuten. Und dann machst du aus, ja?“ Der Trailer des Podcasts macht gleich das große Thema auf, das Patricia Cammarata, Speakerin, Autorin und Podcasterin und Marcus Richter, Journalist und Moderator, in ihrem Podcast bearbeiten. Es wird über relevante Themen in Sachen Medienerziehung gesprochen, und das sehr fundiert, sehr sympathisch und auch sehr unterhaltsam.
Der von Ende 2019 bis März 2020 erschienene Podcast widmet sich dabei in jeweils einzelnen Folgen à circa 45 Minuten folgenden Themen: Wie gelingt Medienerziehung? YouTube, WhatsApp, Cyber-Mobbing, wie schätze ich neue Medienphänomene ein? Computerspiele, Sucht, Internetpornografie, Kinderfotos im Netz sowie individuelle Hörer*innenfragen in der letzten Folge.
Cammarata und Richter sehen Eltern in der Rolle als Lernbegleiter*innen, die nicht alles wissen, aber den (medialen) Weg ihrer Kinder mitgehen müssen. Wichtigste Voraussetzung für diesen Weg sei eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kind. Wobei Medien hier sogar helfen können. Gespräche über Medien bzw. gemeinsame Nutzung von Medien können und sollten auch Teil der Beziehungsarbeit innerhalb einer Familie sein. Hierfür liefern die Podcaster*innen auch konkrete Tipps – zum Beispiel Apps, Computerspiele sowie YouTube-Kanäle, die sie aus Sicht der Kinder und der Eltern sowie auch auf ihr Potenzial für eine gemeinsame Nutzung beleuchten. Eine weitere wichtige Grundsäule Nur 30 Minuten? Podcast über Kinder und digitale Medien ist für Cammarata und Richter die künstliche Trennung von analoger und digitaler Welt, die es aufzuheben gelte. Medien seien Teil der Wirklichkeit fast aller Heranwachsenden und müssten auch so behandelt werden, statt sie in eine Parallelwelt zu verschieben, was viele Probleme mit sich bringe.
Wenn die Podcaster*innen Medienangebote genauer beleuchten und erklären, dann immer aus der Sicht von zwei Kulturoptimist*innen. Diese Sicht müsste sich aufgrund der sachlichfundierten, angenehm unaufgeregten Art und Weise auch auf eher kulturpessimistisch angehauchte Hörer*innen übertragen.
Besonders hervorgehoben seien die Folgen zu Computerspielen und Sucht – zwei Themen, die auch auf medienpädagogischen Elternabenden regelmäßig heiß diskutiert werden. Die Folge ‚Ist alles Sucht, was wir Sucht nennen?‘ macht dieses sehr polarisierende Thema ganz sachlich und ruhig auf. Was ist laut dem Internationalen Klassifizierungssystem für Krankheiten (ICD 11) überhaupt Sucht? Beim Blick auf die Definition wird schnell klar, dass vieles, was gerade von Medienkritiker*innen als Sucht bezeichnet wird, eher Phänomene sind, die in diesem Zusammenhang falsch diskutiert werden. Gerade das Phänomen der exzessiven Mediennutzung entsteht wiederum oft im Zusammenhang mit Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden und muss individuell betrachtet werden. Professionelle Hilfe sei dabei immer ratsam, sind Cammarata und Richter sich einig, und nennen auch gleich mehrere Anlaufstellen für Eltern, deren Kinder zu viele Medien (welcher Art auch immer) nutzen. Außerdem folgen Tipps, wie man mit Kindern Strategien einüben kann, ihre Impulse in Bezug auf Mediennutzung zu kontrollieren, was eine wichtige Entwicklungsaufgabe Heranwachsender sei. Auch dem Zustand des Flows in Bezug auf Medien wird genau auf den Grund gegangen. In der Folge zu Computerspielen wird vor allem Eltern Hilfestellung gegeben, die selbst wenig Erfahrung damit haben. Es geht um die Frage, wie man in das Thema eintauchen kann (auch, wenn man nicht selbst spielen will), wie man mit Kindern ins Gespräch darüber kommt, was man beim Thema Kommunikation in Online-Spielen beachten muss, wie es in Spielen um Datenschutz und Werbung steht sowie, wann es ein Zuviel an Spielen wird. Auch hier wird die Folge von konkreten Spiele- und Ratgebertipps abgerundet.
Zwei Regeln geben die Podcaster*innen den Zuhörenden immer wieder mit:
1. Redet miteinander!
2. Ohne Aufwand geht es nicht!
Gerade die zweite Regel beinhaltet die dringende Aufforderung, sich mit den Medienvorlieben und der Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen, was mühsam sein kann, aber unabdingbar und fast immer auch lohnenswert ist. Ziel sei es dabei immer, bei den Heranwachsenden das Bewusstsein zu schaffen bzw. zu schärfen, dass auch sie die Welt in ihren Händen halten und mitgestalten können und sollen.
Der Podcast ist eine Inspirations- und Wissensquelle für alle, die in der medienpädagogischen Elternarbeit unterwegs sind. Sowohl, um den eigenen Wissens- und Erfahrungshorizont zu erweitern, als auch als Handreichung, die Eltern mitgegeben werden kann. Unterstützt wurde die Produktion der ersten Staffel des Podcasts vom Elternratgeber SCHAU HIN!. Nach den Sommerferien erscheinen noch zwei Folgen, dann ist das Projekt beendet. Eltern können ihre Fragen zu digitalen Medien ab August aber auf SCHAU HIN! in der Rubrik #fragdasNuf stellen, die dann von Patricia Cammarata
beanwortet werden.
Ebenfalls verfügbar sind die Inhalte des Podcasts in dem 2020 im Eichborn Verlag erschienen Buch ‚Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss! Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel' von Patricia Cammarata (16,60 €).
Beitrag aus Heft »2020/04 Medien und Narrative - Die Kraft des Erzählens in mediatisierten Welten«
Autor:
Kati Struckmeyer
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Stefanie Neumaier: Disney+. „If you can dream it, you can do it“
The Walt Disney Company (2020). Disney+. App u. a. für iOS, Android und Windows. Als monatlich kündbares Abonnement 6,99 € monatlich bzw. 69,99 € jährlich.
Willkommen am magischsten Ort der Welt. Hier werden (nicht nur) Kinderträume wahr: Kaum zurück aus den unzähligen Abenteuern von Jack Sparrow und seiner Crew, schwingt im nächsten Augenblick bereits ein*e Jedi-Meister*in sein*ihr Lichtschwert im Kampf gegen das Imperium. Und auch der süße Honigfanatiker Winnie Puuh ist mit von der Partie, wenn nicht gerade Wolverine ein paar Schurken mithilfe seiner X-MEN zur Strecke bringt oder Hannah Montana die Zuschauer*innen auf ein Privatkonzert entführt. Selbst für eine Prinzessinnen-Teeparty fehlt es an nichts, Gäste wie Cinderella, Dornröschen und Die Eiskönigin können es kaum erwarten!
Wenn etwas diese berühmten Figuren vereint, dann ist es wohl ihre Zugehörigkeit zur Walt Disney Company. Und so hieß es in Deutschland ab dem 24. März dieses Jahres: Vorhang auf! Bühne frei für den neuen Streaming-Dienst Disney+. Dabei glänzt die Plattform neben altbekannten Eigenproduktionen unter anderem mit Werken der Pixar Animation Studios, dem Marvel-Universum, der Star Wars Saga sowie graphisch höchst anspruchsvollen Filmen, Serien und Dokumentationen von National Geographic. Mit der Kategorie Disney+ Original platziert die Walt Disney Company zudem Neuheiten aus eigenem Hause, beispielhaft genannt seien hier die finale Staffel von Star Wars: The Clone Wars sowie die erste Staffel der Familienkomödie Tagebuch einer zukünftigen Präsidentin.
Mangelt es an neuen Inhalten? Am Beispiel des Remakes von High School Musical zeigt sich, dass mit der Angebotspalette von Disney+ nicht nur mit alt bewährten Klassikern den etablierten Plattformen Konkurrenz gemacht, sondern auch neue Pferde ins Rennen geschickt werden. So erscheint derzeit im wöchentlichen Rhythmus eine neue Folge von High School Musical: Das Musical: Die Serie, wenngleich dieses Beispiel nicht gerade die erste Wahl für bahnbrechende Inszenierungen sein sollte. Außerdem halten Motto-Events, wie May the 4th be with You, anlässlich des internationalen Star Wars Day am 4. Mai eines jeden Jahres, Einzug. Passend hierzu wurde in diesem Jahr die neunte und letzte Episode der Star Wars Filmreihe, Der Aufstieg Skywalkers, gelauncht.
Blickt man durch medienpädagogische Brillengläser auf die Inhalte von Disney+ so kann konstatiert werden, dass insbesondere durch die zahlreichen Dokumentationen ein (Weiter-)Bildungspotenzial vorhanden ist. Dennoch darf die Gefahr der Bespaßungsfunktion, insbesondere in Zeiten von geschlossenen Kitas, Homeschooling und Doppelbelastung durch Homeoffice und Kinderbetreuung, nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich überwiegen die unterhaltenden, zeitvertreibenden Inhalte bei weitem. Ferner sollte seit eh und je im medienpädagogischen Kontext bedacht werden, Gender-Klischees der Disney-Produktionen mit Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten und entsprechend zu reflektieren, um beispielsweise nicht den konstruierten Schönheitsidealen der makellosen Prinzessinnen und muskelbepackten Superhelden zu verfallen.
Neben der intuitiven Handhabung spricht aus Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes für die Plattform, dass diese nicht nur die Option eines mit ausschließlich kindgerechten Inhalten befüllten Kontos bietet, sondern auch bei allen Titeln stets die Altersfreigabe zu Beginn eingeblendet und gegebenenfalls auf gewalthaltige Szenen im Vorfeld hingewiesen wird. Die Möglichkeit zum Download der Filme und Serien auf mobile Endgeräte bietet den Vorteil, dass Nutzende orts- und zeitunabhängig darauf zugreifen können. Aus rein technischer Perspektive gilt es hierbei jedoch zu kritisieren, dass die App bei mobilen Endgeräten Nachbesserungen in der Auflösung zu benötigen scheint.
Ob sich eine langfristige Investition in das Abonnement lohnt wird sich erst noch mit Neuerscheinungen aus der Magiemanufaktur zeigen. Bisweilen steht fest, dass Liebhaber*innen von Marvel und Co. wohl nicht darauf verzichten können, ein Abonnement abzuschließen. Für Nutzende, die allzeit Zugriff auf das gesamte Spektrum der Disney-Film- und Serienlandschaft genießen wollen, scheinen die monatlichen 6,99 € beziehungsweise das in der Summe günstigere Jahresabonnement für 69,99 € unabdingbar. Aber auch ein monatliches Rotieren bei einzelnen Streamingdiensten scheint, mit der zunehmenden Unmöglichkeit, alles zu sehen, für Gelegenheits-Konsument*innen sinnvoll. Fest steht: die Disney+ Plattform verspricht Serien, Filme, Dokumentationen und Behind-the-Scenes Darbietungen, welche allesamt die einzigartige Magie beinhalten, die die Walt Disney Company seit jeher ihren Zuschauer*innen näherbringt. Ein Zauber für Jung und Alt.
Michael Gurt: RingFit Adventures für Nintendo Switch. Digitaler Breitensport für Anfänger?
Nintendo Entertainment (2019). Ring Fit Adventures, für Nintendo Switch, 79,99 €.
Ein Nachteil am Berufsbild von Medienpädagog*innen ist die häufige ungesunde Sitzhaltung während der Arbeitszeit. Bei manchen kommt eine ausgeprägte Leidenschaft für digitale Spiele oder andere mediale Ablenkungen erschwerend hinzu, die sich ungünstig auf die allgemeine körperliche Verfassung auswirken können. Wie heißt es doch so schön: Sitzen ist das neue Rauchen. Das Spiel RingFit Adventures für Nintendo Switch verspricht Abhilfe. Wie schon zu Wii-Zeiten will Nintendo den Gamer*innen Beine machen. Mit Ring Fit Adventures veröffentlichte Nintendo am 18. Oktober 2019 ein Rundum-Fitness-Angebot für das heimische Wohnzimmer. Das Fitness-Programm ist in eine simple, aber effektive Spielmechanik integriert: Um einem gefährlichen Widersacher, dem wüsten Drachen Draco, den Garaus zu machen, müssen die Spielenden in einer Art Parcours in einer 3D-Landschaft Aufgaben erfüllen, Gegner*innen bekämpfen und Ausrüstung einsammeln. Im Prinzip wie in einem Action Adventure für Einsteiger*innen. Nur, dass die die Bewegung der Spielfigur und der gesamte Spielverlauf durch die eigene Muskelkraft gesteuert bzw. vorangetrieben werden.
Was wird hier gespielt? Begleitet werden die Spielenden auf dieser schweißtreibenden virtuellen Reise von einem ringförmigen Sportsfreund, der dem Spiel seinen Namen gibt. In der virtuellen Welt ist der Ring eine Art Reiseführer, der Kommandos gibt, motiviert und korrigiert – je nach Bedarf und Belastbarkeit der Spielenden. In der Realität ist der Ring ein Trainingsgerät, das je nach eingeblendeter Übung auf andere Weise gestreckt, gequetscht oder angehoben wird. Das zweite Eingabegerät ist eine Beinschlaufe, die – ebenso wie der Ring – mit einem der beiden Joy-Cons (den abnehmbaren und einzeln verwendbaren Controller-Hälften der Switch) bestückt wird. Durch die Sensoren in den Joy-Cons können die Bewegungen in das Programm übertragen werden. Damit werden Bewegungen der Spieler*innen wie Laufen, Springen, Dehnen und Hüpfen ins Spiel gebracht. Zunächst gibt es aber erstmal einen Fitness-Check. Die Spielenden dürfen Alter, Gewicht und Trainingsstand eingeben, außerdem wird der Ruhepuls gemessen. Danach werden Trainingsziele und Spielmodus eingestellt. Im Abenteuermodus wird die Spielfigur durch einzelne Abschnitte der Landkarte einer Fantasy-Welt bewegt. In einzelnen Kapiteln, die jeweils etwa fünf bis zehn Minuten dauern, geht es durch verschiedene Welten, mal idyllisch durch den Wald, mal durch die Wüste. Dabei zeigt sich die vielseitige Verwendbarkeit des Fitness-Rings: Unterwegs werden Hindernisse zerstört, indem der Ring zusammengedrückt wird. Münzen können eingesammelt werden, indem der Ring in die jeweilige Richtung gedreht und zusammengedrückt wird. Treppensteigen funktioniert, indem die Knie beim Laufen in die Höhe schnellen. Die Steuerung ist schnell gelernt und intuitiv.
Durch die spaßige Spielmechanik fühlt sich das Ganze nicht wie Training an – man kommt aber auf jeden Fall ins Schwitzen. In fast jedem Abschnitt gibt es Kämpfe, die in Form von Fitnessübungen absolviert werden. Will man einen Kampf siegreich gestalten, kommt es auf die korrekte Ausführung der Übungen und ein gutes Timing an. Damit es nicht zu schwierig wird, gibt es Hilfsmittel im Spiel: Die Möglichkeit, sich mit virtuellen Tränken zu stärken, seine Werte durch Ausrüstung zu verbessern und Attacken zu stärken, erinnert an ein Rollenspiel. Für die kurze Trainingseinheit zwischendurch bietet Ring Fit Adventures die Schnellspiele an, in denen die Spieler*innen in diversen Minispielen auf Punktejagd gehen. Für etwas ‚ernsthaftere‘ Trainingseinheiten lassen sich Übungen aus dem Abenteuermodus auch ohne Hintergrundgeschichte auswählen. Das Spiel verfügt übrigens über einen ‚leisen Modus‘, der jederzeit aktiviert werden kann. Damit benachbarte Menschen nicht gestört werden, ersetzt diese Einstellung das Joggen auf der Stelle durch Mini-Kniebeuge. Das Konzept geht auf. Originelle Spielideen haben bei Nintendo Tradition: Die zu ihrer Zeit enorm beliebten Wii Bewegungsspiele wie etwa Boxen oder Tennis haben die Bewegungssteuerung salonfähig gemacht und besonders Familien neue, interaktive Spielformen ermöglicht. Ebenfalls enormen Einfallsreichtum hat Nintendo mit dem Konstruktionsspielzeug Nintendo Labo für die Switch bewiesen. Bastelbögen aus Karton werden in Kombination mit den Joy-Cons zu interaktivem Spielzeug. Das Konzept von RingFit Adventures ist ähnlich innovativ und geht voll auf: Selten durfte auf so spielerische Weise am eigenen Fitnesszustand gearbeitet werden. Das Spiel ersetzt Sport nicht im traditionellen Sinn. Joggen im Freien, Mannschaftssportarten oder ‚richtiges‘ Fitnesstraining sind wahrscheinlich besser geeignet, die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern und gesundheitlichen Problemen vorzubeugen. Das Spiel kann aber die Lust an der Bewegung fördern und regt Fitnessmuffel an, auf spielerische Weise in Bewegung zu bleiben. Gerade für Menschen, die für Sport eigentlich wenig übrig haben und viel am Computer sitzen, kann so ein Ausgleich geschaffen werden. Als Spiel funktioniert RingFit Adventures erstaunlich gut: Der Einstieg ist sehr leicht, die Lernkurve nicht besonders steil und die Motivation weiterzuspielen ist durch ein ausbalanciertes Anreizsystem und immer neue Herausforderungen gegeben. Zugegeben ist die Geschichte nicht sehr originell und die grafische Umsetzung eher auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten. Kindern ab etwa sechs Jahren dürfte das Spiel viel Spaß machen. Das Spiel ist ohne Altersbeschränkung freigegeben, die Aufgaben und Trainingseinheiten sind gut für eine jüngere Zielgruppe anpassbar. Die bunte Comicgrafik dürfte spielbegeisterten Mädchen und Jungen gefallen, die Geschichte rund um die Rettung einer geheimnisvollen Welt sowieso. Der Humor des ‚Trainingspartners‘, dem virtuellen Ring, ist ebenfalls eher kindlicher Natur. Auch die Kämpfe, die in Form von Übungen ausgetragen werden, dürften selbst jüngere Kinder nicht schrecken. Einziger Kritikpunkt ist, dass es keinen echten Multiplayermodus gibt. Zwar können sich zwei Spieler*innen abwechseln und Leistungen vergleichen, echtes Teamwork ist aber nicht vorgesehen. Eigentlich schade, denn gerade für Kinder wäre es sicher besonders reizvoll, sich gemeinsam mit Freund*innen oder der Familie ins virtuelle Fitnessabenteuer zu stürzen.
Dana Neuleitner: KryptoKids. Datenschutz spielerisch erklärt
Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (2020). KryptoKids. App für iOS. Kostenfrei.
Ein weißer Krake mit roten Augen flimmert über den Bildschirm. Seine Fangarme bewegen sich wild, als er verkündet, alle Geheimnisse der Zuschauer*innen zu kennen – dann sind nur noch Pixel zu sehen. Gerade noch hat die Nachrichtensprecherin eröffnet, dass eine Hackergruppe deutschlandweit personenbezogene Daten gestohlen hat, da hat diese auch schon die Fernsehübertragung lahmgelegt. Nun liegt es an den KryptoKids, die Daten zurückzuholen, ehe die Kriminellen sie für ihre Zwecke missbrauchen und an die Höchstbietenden verkaufen.
Dieses Szenario bildet den narrativen Grundstein der App KryptoKids, die den Spieler*innen Medienkompetenz im Bezug auf Datenschutz vermitteln möchte. Inzwischen ist es beinahe allen Kindern möglich, zuhause auf das Internet zuzugreifen. Gerade deshalb ist es wichtig, bereits diese junge Zielgruppe für das Thema zu sensibilisieren. Anders als bei anderen Apps, die sich in der Regel an ältere Kinder und Jugendliche richten, soll hier bereits Acht- bis Zwölfjährigen der richtige Umgang mit Passwörtern und eigenen Daten nahegelegt werden. Dafür setzt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW in Kooperation mit Entwickler*innen des Gluon Studios auf ein Abenteuerspiel, das aus drei Kapiteln besteht. Diese bauen aufeinander auf und führen die Heranwachsenden mit niedlichem, farbenfrohem Gamedesign durch die Themenbereiche ‚Datenschutz‘, ‚Datensicherheit‘ sowie ‚Datenspuren und Hacking‘. Die Teilnehmenden werden dabei von den KryptoKids um Hilfe gebeten, die gestohlenen Daten zurückzuholen.
Nach einer einleitenden animierten Videosequenz und einer kurzen Erklärung der spielinternen Apps, zu denen beispielsweise ein E-Mail-Postfach, ein Wiki und ein Scanner gehören, sollen im ersten Teil der Detektivgeschichte die gestohlenen Daten gefunden werden. Diese werden mit Hilfe der Kamera in einer Augmented-Reality-Umgebung eingefangen und deren Wert auf dem Schwarzmarkt geschätzt – wer hier gut aufpasst, kann sich allerdings die bereits angezeigten Lösungen für die nächsten Runden merken. Das zweite Kapitel beschäftigt sich zunächst mit der Sicherheit durch Updates, eine Firewall oder ein Antivirus-Programm, wobei sich die Spieler*innen prinzipiell einfach durchklicken können, ohne über die Botschaft dahinter nachzudenken.
Komplizierter wird es erst bei der Verschlüsselung von Daten. Veranschaulicht wird dieser komplexe Bereich mit der einfachen symmetrischen Cäsar-Verschlüsselung, wie sie laut Überlieferung bereits der gleichnamige Feldherr verwendete. Hier ist besonders viel Konzentration gefragt, denn es muss nicht nur ein neues, sichereres Passwort statt des bisherigen Passworts „admin“ gefunden und mit der Cäsar-Scheibe codiert werden, sondern nach einem kleinen Rätsel auch eine Nachricht der DatenKraken dechiffriert werden. Diese Verschlüsselungstechnik nimmt entsprechend viel Raum innerhalb der App ein und wirkt dadurch etwas repetitiv. Für ein sicheres Passwort in der Realität ist diese Technik nicht unbedingt notwendig, sie kann jedoch dafür dienen, bei der jungen Zielgruppe ein Grundverständnis für Kryptographie zu schaffen. Anschließend folgt das zweite AR-Minispiel, in dem die Spieler*innen die durch kleine Dreiecke dargestellten Daten in eine Box feuern müssen, welche nach erfolgreicher Mission verschlossen wird. Diese AR-Elemente machen Spaß, da sie die Umgebung mit ins Spiel holen und etwas Action gefragt ist. Die Bedeutung der Verschlüsselungsaufgabe rückt nach dem Spielspaß jedoch etwas in den Hintergrund. Das dritte Kapitel gestaltet sich im Vergleich einfacher, obwohl die KryptoKids nun von den Hacker*innen angegriffen werden, die sich durch eine realitätsnah mit Rechtschreibfehlern und Dateianhang ausgestattete, betrügerische E-Mail Zugang erschlichen haben. Denn sobald einige Viren durch Drauftippen und -schießen in der Augmented Reality erledigt wurden, können die Hacker*innen endlich über ihre IP-Adresse ausfindig gemacht werden.
KryptoKids besticht mit einer kindgerechten Herangehensweise an ein komplexes Thema, das gut heruntergebrochen und dadurch für Pädagog*innen leichter vermittelbar wird. Durch den Einbau in eine narrative Ebene innerhalb des Spiels werden die sonst trockenen Inhalte nachvollziehbarer und ansprechender – wenn man die App nicht bloß durchspielt, sondern die Inhalte in einem pädagogischen Rahmen präsentiert bekommt. Darauf weisen auch die Herausgeber*innen selbst auf ihrer Webseite hin. Dort finden sich zahlreiche Begleitmaterialien, welche für den Einsatz der App zum einen nötig sind, das Erlebnis zum anderen aber auch nachhaltig erweitern können. Dazu gehören etwa Quizkarten, Marker für die AR-Elemente sowie eine ausführliche Handreichung mit ergänzenden Fragen und Gruppenspielen. Hieraus folgt auch, dass die App nicht ohne die Hilfe von Erwachsenen sinnvoll nutzbar ist, die Aufgabenstellung manchmal nur durch die Handreichung transportiert wird, und diese Vorgänge viel Vorbereitungsaufwand erfordern. Deswegen ist ihr Einsatz eher für außerschulische Aktivitäten, etwa in Jugendzentren, oder für ganze Projekttage statt in einzelnen Unterrichtsstunden denkbar.
Der App gelingt es, auf reduzierte Weise viele Bereiche des Themas Datenschutz anzusprechen und Verständnis für die Wichtigkeit von Datenschutz zu entwickeln, wobei die nachhaltige Vermittlung durch eine pädagogische Begleitung erreicht werden muss. Das integrierte Wiki ist mit kurzen, verständlichen Erklärungen ausgestattet, die eine oder andere Vokabel aus dem Spiel, wie Datensicherheit oder Geokoordinaten, taucht jedoch nicht auf. Ein mögliches Hindernis für die Verwendung der App ist, dass sie bisher nur für iOS-Geräte erhältlich ist. Die Ausstattung mit iPads ist allerdings längst nicht in allen Schulen, vor allem Grundschulen, Standard. Das Projekt bietet jedoch die Möglichkeit, Koffer mit Tablets und dem ergänzenden Spielmaterial gegen einen Aufpreis zu leihen oder auch eine*n Medienpädagog*in hinzuzuziehen. Die Mischung aus Spieleinheiten mit der App und einer genaueren Auseinandersetzung in der Gruppe verspricht viel Abwechslung und die Chance, Kinder in ihrer kompetenten Mediennutzung zu fördern. Schließlich sollte ihnen bestenfalls bereits bei der ersten Nutzung von Smartphone, Tablet und Co. zumindest in den Grundzügen bewusst sein, wie sie sich und ihre Daten schützen können.
Markus Achatz: Keine Zeit für gewöhnliches Kino
Die Jubiläumsausgabe der Berlinale: neue Leitung, leichte Änderungen der Programmsektionen, ein durchschnittlicher WettbewerB und gute Filmen in GENERATION, der Schiene mit Filmen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (Kplus und 14plus). Viele Diskussionen und Berichterstattungen drehten sich dieses Mal um das neue Berlinale Leitungs-Duo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, wie beinahe in jedem Jahr wurde viel über die Qualität der Wettbewerbsfilme gesprochen und die Frage, welche Stars nach Berlin kämen. An dieser Stelle soll es jedoch um die Filme gehen.
Bei den 70. Internationalen Filmfestspielen 2020 konnte durchaus wieder die Vielfalt der Kunstform Kino gefeiert werden. Die Vorführungen waren bestens besucht und das Publikum hat sich den gesellschaftlichen und politischen Themen vieler Filmbeiträge gestellt. Insbesondere in der Sektion GENERATION war es ein guter Jahrgang, in dem die Zuschauer*innen manche Filme frenetisch bejubelt haben, aber auch die Q&A-Runden für kritische und unbequeme Fragen nutzten. Es gab formal wie inhaltlich anspruchsvolle Filmerzählungen, die auch das junge Publikum herausforderten und bewiesen, dass Kino nach wie vor ein politischer Raum sein kann. GENERATION-Leiterin Maryanne Redpath fasste treffend zusammen: „Dies ist keine Zeit für gewöhnliches Kino“.
Starke Filme von Regisseurinnen
Im Generation Programm liefen insgesamt 59 Filme (ca. die Hälfte davon Langfilme) aus 34 Nationen. 29 Filme waren Weltpremieren und bei knapp 60 Prozent führten Frauen Regie. Eine verstärkt weibliche Perspektive sorgte im Hinblick auf die Themen und Inhalte für spannende Beiträge. Zahlreiche Geschichten stellten Protagonistinnen ins Zentrum und zeigten facettenreiche jugendliche Hauptfiguren: heldenhaft, rebellisch, mutig und provokant, aber auch fragend, offen, verletzlich und einzigartig.
Mädchen, die nicht aufgeben
Drei der Filme für Jüngere in GENERATION Kplus zeichneten sich durch starke Ensembleleistungen aus. Las Niñas (Schoolgirls) handelt von einer Gruppe Schülerinnen in einer katholischen Mädchenschule im Spanien der 1990er Jahre. Nachdem eine neue Mitschülerin in die Klassen gekommen ist, beginnt die eher zurückhaltende Celia (Andrea Fandos) gegen die strengen Regeln aufzubegehren. Zunächst in eher kleinen Gesten, bestärkt durch Texte aus Popsongs und die Dynamik ihrer Peergroup wird die Elfjährige rebellisch und stellt für die Erwachsenen unangenehme Fragen. Nicht zuletzt an die Mutter (Natalia de Molina), die Celias Herkunft bislang hinter einer Fassade aus Lügen verstecken konnte. Regisseurin Pilar Palomero hat in Sarajevo Regie studiert und zeigt mit Las Niñas ihr Spielfilmdebüt.
Zwischen Zugehörigkeit und Abrenzung
Der französische Film Mignonnes (Die Süßen) von Maïmouna Doucouré hat eine thematische Parallelität zu Las Niñas. Auch hier prallen konservative, religiös-motivierte Traditionen der Elterngeneration mit den aufkeimenden Wünschen der Heranwachsenden aufeinander. Amy ist elf und mit ihrer Familie aus dem Senegal nach Paris gezogen. Das Mädchen ist fasziniert von einer Gruppe Mädchen, die für sie ungewohnt freizügig gekleidet sind und jede freie Minute nutzen, um Tanzübungen zu machen. Amys Mutter erfährt, dass der Vater eine Zweitfrau heiraten und sie mit nach Paris bringen wird. Die Mutter ist entsetzt und traurig und ahnt nicht, dass Amy alles mitgehört hat. Unter den wachsamen Augen der streng konservativen Tante muss Amy zur muslimischen Betstunde gehen und helfen, die Zweithochzeit des Vaters vorzubereiten. Sie will aber unbedingt bei der Tanzgruppe dabei sein und auch so modern und sexy aussehen, wie die anderen Mädchen. Das familiäre Drama verdrängend, setzt sie alles daran, zu Tanzen, in der Clique dazu zu gehören – und überschreitet dabei immer mehr die Grenzen. Mignonnes ist bunt und musikalisch. Die ausschweifenden Tanzperformances, in denen sich die Teenies lasziv tanzend zur Schau stellen, irritieren im Verlauf der Geschichte jedoch mehr und mehr. Gegen den Eindruck, dass der Film selbst mit stereotypen Geschlechtsrollen spielt, helfen die Auskünfte der Regisseurin beim Q&A nach dem Screening: Maïmouna Doucouré wollte das Extreme am Zwiespalt der heranwachsen Mädchen zeigen, wenn sie auf der Suche nach ihrer weiblichen Identität sind und sich mit tradierten Rollenbildern auseinandersetzen müssen. Doucourés eigene Erfahrungen sind in die Geschichte eingeflossen. Wirklich stark machen den Film letztlich vor allem die Nachwuchsdarstellerinnen – allen voran Fathia Youssouf (Amy) und Médina El Aidi-Azouni (Angelica).
Trauma des Verlusts
Nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera, bestand das komplette Team im argentinischen Film Mamá, Mamá, Mamá ausschließlich aus weiblichen Akteurinnen. Wie auch in den anderen beiden genannten Filmen, ist auch hier die Regisseurin gleichzeitig die Autorin. Sol Berruezo Pichon-Rivières Debütfilm hat eine starke Exposition: Cleo ist 12 Jahre alt und soeben ist ihre kleine Schwester Erin im familieneigenen Pool hinter dem Haus ertrunken. Das Haus wird nun von Cleos Tante und ihren Töchtern bevölkert, während sich ihre Mutter in ihr Schlafzimmer zurückzieht und nicht mehr ansprechbar ist. Hieraus entwickelt sich ein Kammerspiel, das Cleos nun völlig auf den Kopf gestellte Welt in Bruchstücken aus Gesprächen mit und zwischen ihren Cousinen zeigt, die durch Trauer und Erinnerungsfetzen durchbrochen werden. Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Zäh und wie in Trance geht das Leben weiter.
In diesem Jahr hat sich die Internationale Jury von Generation Kplus entschieden, zwei „Lobende Erwähnungen“ auszusprechen, die gleichermaßen an Mignonnes und Mamá, Mamá, Mamá gingen. Den Großen Preis in Kplus hat der Film Los Lobos erhalten.
Wölfe weinen nicht
Gemeinsam mit ihrer Mutter Lucía haben der achtjährige Max und sein drei Jahre jüngerer Bruder Leo ihre mexikanische Heimat verlassen und es in die USA geschafft. In Albuquerque/New Mexico kommen sie in einem kahlen 1-Zimmer-Appartement unter. Die völlig verdreckte Wohnung lässt einem den Atem stocken und alles ist ganz anders, als es sich Max und Leo vorgestellt haben. Sie wollten nach Disneyland und nun müssen sie jeden Tag allein in der notdürftigen Unterkunft bleiben, während ihre Mutter auf Arbeitssuche ist.
Der Film Los Lobos (Die Wölfe) des mexikanischen Filmemachers Samuel Kishi Leopo stellt die Perspektive der beiden Jungs zentral in den Mittelpunkt und rückt dabei stets sehr nah an sie heran. Auf dem mitgebrachten Kassettenrecorder hat Lucía Regeln für die Kinder aufgenommen: Nur mit Schuhen auf den verdreckten Teppich gehen, nicht weinen, sich nach einem Streit umarmen, das Zimmer aufräumen, auf gar keinen Fall jemals das Appartement verlassen. Lucía findet Arbeit, während für die beiden Jungen die Tage allein endlos werden. Die Situation wird zunehmend schwieriger. Sie erhalten die Aufgabe, mit Hilfe des Kassettenrecorders Englisch zu üben. „We want to go Disney. A ticket please.“ Die kahlen Wände des Zimmers werden zu einer Projektionsfläche für Max und Leo, sie zeichnen dort Heldenfiguren, die sie mit ihrer Fantasie zum Leben erwecken. Kishi Leopo webt dazu animierte Szenen in den Film ein. Die Jungen wissen, sie müssen starke Wölfe sein, um zu überleben. „Wölfe weinen nicht. Wölfe beißen. Sie heulen. Und beschützen ihr Zuhause.“
Migrationserfahrung
Los Lobos ist ein Highlight der Berlinale 2020: eindrücklich wie schonungslos, gleichermaßen authentisch und poetisch – der Film fesselt und berührt. Samuel Kishi Leopo erzählt darin seine eigene Geschichte – und die seines jüngeren Bruders. Sie sind in den 1980er Jahren mit ihrer Mutter aus Mexiko in die USA emigriert. Samuels Bruder Kenji Kishi Leopo hat die Musik für den Film komponiert. Sie verstärkt die Intensität der Story noch, indem den einzelnen Hauptfiguren Instrumente und Melodielinien zugeordnet werden. Besonders hervorzuheben sind zudem die außerordentliche Kameraarbeit von Octavio Arauz und die schauspielerische Leistung. Martha Reyes Arias spielt Lucía liebevoll und bestimmt. Die beiden Jungen Maximiliano Nájar Márquez und Leonardo Nájar Márquez sind auch in Wirklichkeit ein Brüderpaar, deren Besetzung sich als wahrer Glücksfall erwiesen hat.
Es sind tiefgehende Szenen, die Los Lobos unvergesslich machen. Beispielsweise wie Max hadert, wenn er zu den im Hof spielenden Kindern gehen möchte, aber weiß, dass er die Wohnung nicht verlassen darf oder wenn die alte chinesische Vermieterin mit den als Ninjas verkleideten Kindern zu Halloween durch die Nachbarschaft zieht.
Die autobiographischen Züge machen Los Lobos zu Samuel Kishi Leopos bislang wichtigsten Film. Vier Jahre hat er am Buch gearbeitet und bei der Recherche für den Dreh im heutigen Albuquerque die Stimmung vorgefunden, die ihn an die eigenen Erlebnisse der 1980er in Santa Ana (Kalifornien) erinnert haben. Angesichts der heutigen Lage an der Grenze zwischen Mexiko und den USA sowie den weltweiten Flüchtlingsbewegungen ist die Geschichte von Max, Leo und Lucía top aktuell und politisch. Bei seinen Vorarbeiten ist Samuel Kishi Leopo auf den Roman Archiv der verlorenen Kinder der mexikanischen Autorin Valeria Luiselli gestoßen. Das Buch schildert ebenfalls sehr empathisch und leidenschaftlich individuelle Schicksale von Flucht anhand von biographischen Elementen vor dem Hintergrund globaler humanitärer Tragödien (erschienen 2019 im Verlag Antje Kunstmann).
Wähle das Leben!
Im 14plus-Beitrag Kaze No Denwa (Voices in the Wind) nimmt der renommierte japanische Autorenfilmer Nobuhiro Suwa uns und seine Hauptfigur, die 17-jährige Schülerin Haru (Serena Motola) auf eine Reise durch Japan mit. Die Eingangssequenz des Films zeigt eine Texttafel, die erläutert, dass Haru beim Tsunami des Jahres 2011 ihre Eltern und ihren Bruder verloren hat. Wie viele andere Opfer, sind sie bis heute vermisst. Damals war Haru neun Jahre alt. Seit der Katastrophe lebt sie bei ihrer Tante Hiroko (Makiko Watanabe) in der Präfektur Hiroshima. Als beide zum Essen zusammensitzen, überlegt die Tante, bald nach Ōtsuchi zu reisen. Dem Ort, an dem Haru und ihre Familie bis zum Tōhoku-Erdbeben gelebt haben. Haru murmelt nur etwas. Sie redet ohnehin wenig, was sich durch die gesamte Geschichte zieht. Mit einigen wenigen Ausnahmen, wenn sie ihren Schmerz und ihre Trauer in die Welt hinausschreit. Der Verlust lastet schwer auf Haru, aber mindestens genauso stark bedrückt sie die Tatsache, die einzige Überlebende ihrer näheren Familie zu sein. Für das Mädchen wird die Lage noch prekärer, als sie die Tante ohne Bewusstsein im Haus findet. Wartend verbringt sie die Nacht im Krankenhausflur. Die Tante lebt, ist aber nicht ansprechbar. Haru macht sich auf den Weg, um Antworten auf ihre vielen offenen Fragen zu suchen. Die Reise führt sie durch ganz Japan von Hiroshima über Tokio nach Fukushima und weiter bis Ōtsuchi. Dort wartet ein Ziel auf sie, von dem sie zunächst nichts ahnt.
Der 60-jährige Regisseur Nobuhiro Suwa thematisiert in seinen Filmen häufig Reisen und Aufbrüche, lässt seine Protagonist*innen Streunen und Suchen. Er war bereits vor zehn Jahren mit der Filmparabel Yuki & Nina (2009) bei Generation auf der Berlinale vertreten (Rezension in merz 3-2010) und drehte für Paris, je t’aime (2006) die Episode „Place des Victoires“ (mit Juliette Binoche und Willem Dafoe). Auch in Kaze No Denwa verläuft der Roadtrip in Etappen. Das Mädchen trifft auf unterschiedliche Menschen, die für eigene Episoden stehen und jeweils auf empathische Weise Haru auf ihrer Reise weiterhelfen. In den kurzen, aber intensiven Begegnungen lassen sie Haru an ihrem eigenen Schicksal teilhaben und die schweigsame 17-Jährige lernt, dass sie mit ihrem Verlust nicht allein ist. Gleichzeitig nimmt das Mädchen, wenn es weiterzieht, stets ein kleines bisschen von der Last der Menschen mit. Da ist zum Beispiel Kohei (Tomokazu Miura), der Haru weinend auffindet und zu seinem Haus mitnimmt, das durch Zufall von einem Erdrutsch verschont geblieben ist. Hier lebt er mit seiner dementen Mutter. Diese hält Haru zunächst für ihre Tochter, die wie sich herausstellt, vor Jahren Selbstmord begangen hat. In ihren lichten Momenten hat die alte Frau noch gute Erinnerungen an die Atombombe auf Hiroshima. Nach weiteren Episoden trifft Haru auf den ebenfalls stillen Morio (Hidetoshi Nishijima) aus Fukushima, der in seinem Van wohnt, aber ruhelos umherfährt. Morio beschließt Haru bis nach Ōtsuchi zu bringen. Unterwegs halten sie in Fukushima an Morios Haus, das er und seine Familie vor acht Jahren verlassenen haben. Haru erfährt, dass Morio im Atomkraftwerk von Fukushima tätig war und bei der Katastrophe seine Frau und seine Tochter verloren hat. Schließlich erreicht Haru nach rund 1.300 km Ōtsuchi und findet bei den letzten Fundamenten ihres ehemaligen Zuhauses nichts weiter als eine unendliche Einsamkeit. Sie kann jedoch hier ihre Trauer zulassen und hat auf der Reise erkannt, dass es Viele gibt, die Grund zum Verzweifeln haben, aber dennoch nicht aufgeben.
Telefonanschluss ins Jenseits
Harus Weg führt sie noch an ein weiteres Ziel: im Hinterland von Ōtsuchi steht in einem blühenden Garten ein weißes Telefonhäuschen mit einem alten Wählscheibenapparat. Dieser hat keinen Anschluss, kann aber genutzt werden, um mit jenen zu sprechen, die anders nicht mehr zu erreichen sind. Haru hat noch so viele Fragen an ihre Eltern, die sie über das „Wind-Telefon“ stellen kann und die ihr helfen, das zu bewältigen, was noch kommen wird. Haru spricht die längsten Sätze des gesamten Films und aus ihnen klingt nicht nur die unermessliche Trauer, sondern auch ein bisschen Hoffnung: „Ich werde am Leben bleiben. Wenn ich zu euch komme, werde ich eine richtig alte Dame sein. Ich freue mich darauf."
Kaze No Denwa (Voices in the Wind) beruht auf der realen Erdbeben- und Nuklear-Katastrophe vom März 2011 und der wahren Geschichte des „Wind-Telefons“, das sich tatsächlich in diesem idyllischen Garten über dem Meer befindet. Nobuhiro Suwa hat seinen Spielfilm Itaru Sasaki gewidmet, der bereits 2010 – zunächst nur für sich – den Garten und das Telefonhäuschen errichtet hat, um mit seinem verstorbenen Cousin in Kontakt bleiben zu können. Nach dem Tōhoku-Erdbeben und Tsunami, der die Region hart getroffen hat, wurde der magische Ort immer bekannter. Bis heute haben um die 30.000 Menschen Itaru Sasakis Telefon benutzt, das an keine Leitung angeschlossen ist, aber mit dem dennoch eine Verbindung aufgebaut werden kann. Der Film erhielt die „Lobende Erwähnung“ der Internationalen Jury Generation 14plus.
Diversität und Politik
Der Große Preis der Internationalen Jury 14plus wurde an den brasilianischen Film Meu Nome é Bagdá (My Name is Baghdad) vergeben. Ein originelles und engagiertes Plädoyer für Gleichberechtigung und eine offene, tolerante Gesellschaft. Regisseurin Caru Alves de Souza stellt die 17-jährige Skaterin Bagdá ins Zentrum der Geschichte. Sie ist ein selbstbewusstes Mädchen, das Ungerechtigkeit anmahnt und vor allem von ihren männlichen Skater-Kollegen mehr Respekt einfordert. Hauptdarstellerin Grace Orsato stammt selbst aus der riesigen Skaterszene von São Paulo. Sie engagiert sich für bessere Bedingungen der weiblichen Skaterinnen und für einen offeneren Umgang in der brasilianischen Gesellschaft. Der Film macht auf Diskriminierung, Gewalt und Sexismus aufmerksam und zeigt sehr authentisch – auch durch die eingesetzten Laiendarsteller –Anderssein und Vielfalt als Werte des Zusammenlebens. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Brasilien ein hoch politisches Statement.
Dana Neuleitner: KonterBUNT – Kontern gegen Stammtischparolen
Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (2019). KonterBUNT. App für iOS und Android. kostenfrei. USK 12.
Ein sonniger Tag in der Stadt könnte so schön sein, würde man nicht an jeder Ecke auf Stereotype und Stammtischparolen treffen. So geht es zumindest den Spieler*innen der App KonterBUNT. Zwischen den farbenfrohen Gebäuden, die dem Namen der App alle Ehre verleihen, wimmelt es nur so vor Aussagen wie „Homosexualität ist ansteckend!“ oder „Sinti und Roma gehören alle abgeschoben!“. Wie soll man da nur reagieren? Genau das will die App der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung zeigen. User*innen sollen Hilfestellungen erhalten, anhand derer sie Argumentationsstrategien ausprobieren und konstruktive Argumente sammeln können.
Im Minispiel begeben sich die Spieler*innen auf einen Stadtrundgang zu verschiedenen Schauplätzen: Angefangen zwischen Spielplatz und Supermarkt werden die Nutzenden etwa zu einer Bushaltestelle oder einer Bar gelotst, wo sie mit unterschiedlichen Parolen konfrontiert werden. Die Zuordnung von Themen zu gewissen Orten lässt sich dabei nicht immer nachvollziehen, beispielsweise spielt Sexismus beim Besuch der KonterBUNT-Disco keine Rolle. Pro Minilevel warten vier virtuelle Pöbler*innen darauf, innerhalb einer Minute gekontert zu werden. Dabei sind pro Parole vier Antwortmöglichkeiten gegeben. Ziel des Spiels ist es, die richtige Antwort zu finden, und so dem im oberen Bildrand dargestellten „Gegner“ den bestmöglichen Konter zu bieten. Je nach Qualität der Antwort ändert sich dessen Stimmung: Wandert der Zeiger durch gute Antworten in den grünen Bereich, können Spieler*innen die Diskussion für sich entscheiden. Rutscht die Stimmung aber durch unpassende Äußerungen in den roten Bereich ab, eskaliert das Gespräch und die Spieler*innen müssen das Level wiederholen.
Nach acht Zwischenstationen, bei denen sich die Parolen leider ziemlich schnell wiederholen, folgt schließlich der Endgegner: die Familienfeier. Hier geht es besonders hoch her, denn während bisher jeweils Parolen aus meist zwei Themenbereichen bewältigt werden mussten, prasseln hier Aussagen aus allen Feldern auf einen ein. Daneben wird auch der Zeitdruck erhöht: Sieben Aussagen müssen in 40 Sekunden gekontert werden.
Die Spieler*innen müssen sich mit Äußerungen aus acht verschiedenen Themengebieten gegen verschiedene Teile der Gesellschaft behaupten – sei es aufgrund ihrer (sozialen) Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, gewisser Eigenschaften oder ihres Glaubens. Auf diesen Ebenen will die App Anregungen für Nutzende bieten, die sich mit Vorurteilen dieser Kategorien auseinandersetzen wollen, und Tipps für Reaktionen auf ähnliche Kommentare erhalten möchten. Sie können Argumentationsstrategien und Argumente in einem geschützten Umfeld ausprobieren. Auch wenn die Antwortmöglichkeiten vorgegeben sind, können sie sich so einen Überblick verschaffen, welche funktionieren könnten. Denn dass die Antworten der App nicht in jeder Situation und gegenüber jeder*m Gesprächspartner*in die richtigen sein mögen, wird nie behauptet. Es kann schließlich auch nicht davon ausgegangen werden, dass die aufgezeigten Parolen den Spieler*innen genauso beim echten Stadtspaziergang oder der nächsten Familienfeier unterkommen. Doch mithilfe der in der App beschriebenen Strategien werden Nutzende sensibilisiert und könnten den Mut fassen, sich der nächsten Äußerung von Hetze, Hass oder Vorurteilen kritisch gegenüber zu stellen – und sie nicht einfach unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Ähnliche Argumente könnten entkräftet und der Frieden bei Familienfeiern oder dergleichen durch Strategien wie das ‚Brückenbauen‘ oder den Verzicht auf Belehrungen bzw. den moralischen Zeigefinger gewahrt werden.
Die Anzahl der jeweiligen Beispiele ist mit fünf bis sieben begrenzt, und bietet somit nur einen kleinen Einblick in mögliche prekäre Szenarien. Dass nicht alle Stammtischparolen aufgeführt werden, ist verständlich. In der Kategorie Sexismus wäre es jedoch wünschenswert, wenn nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch auf Männer bezogene Stereotype eingebaut worden wären. Ebenso wären im Bereich Klassismus nicht nur abwertende Aussagen gegenüber der sozialen Unterschicht, sondern auch gegenüber höhergestellten Personen denkbar. Daneben sind die Grenzen zwischen den Bereichen Ablehnung von Geflüchteten und Rassismus nicht trennscharf.
KonterBUNT bietet nicht nur mögliche Konter, sondern nebenbei auch Anstoß zur Reflexion der Lebensumstände der Parolenverbreitenden und versorgt die Nutzenden mit hilfreichen Hintergrundinformationen. Bei Kontern ist in der Realität jedoch zu beachten, dass Hetze und Co. differenzierter ausfallen können als sie in der App dargestellt werden, und Schlagfertigkeit kein Indiz für das stichhaltigere Argument ist.
Dass die App nicht bei jeder*m Nutzenden auf Zufriedenheit stößt, lässt sich aus den Rezensionen erahnen: Im Google Play Store etwa erreicht die App lediglich eine Bewertung von 2,3 von 5 Sternen, was auf eine hohe Anzahl von Bewertungen zurückzuführen ist, bei denen ein Stern vergeben wurde. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass viele entsprechende Kommentare befürchten, die App diene der Wahlbeeinflussung, Meinungsmache oder „Hetze gegen Andersdenkende“.
Die App, deren gesamtes Angebot auch ohne Download auf der zugehörigen Website abrufbar ist, wurde für ihren Beitrag zu einer toleranten Demokratie 2019 mit dem Pädagogischen Medienpreisausgezeichnet. Die Website bietet zusätzlich vertiefende Informationen und weiterführende Quellen, etwa zu Rassismus und dessen Entstehung. Während der Einsatz der App in Alltagsdiskussionen nicht denkbar ist, könnte sie theoretisch bei Online- Diskussionen verwendet werden.
Von der KonterBUNT-App können übrigens nicht nur Heranwachsende ab zwölf Jahren profitieren, sondern auch Erwachsene können auf dieser Basis ihre Argumentationsstrategien auf den Prüfstand stellen, kritisch hinterfragen und erweitern.
Dana Neuleitner: Alle auf einen. Wenn der Hass das Netz bestimmt
Der Bildschirm bleibt schwarz, lediglich schemenhaft eingeblendete Icons verschiedener Plattformen sind zu sehen, während Schülerinnen und Schüler die scheinbar nicht enden wollenden Botschaften vorlesen: „Ab ins Paddelboot mit denen, die sich nicht an unsere Regeln halten!“, „Heul‘ nicht rum, geh sterben!“ Wenn sich Heranwachsende im Internet bewegen, sehen sie sich bisweilen mit ähnlichen Beleidigungen oder Kommentaren konfrontiert. In Sozialen Netzwerken ist Diskriminierung keine Seltenheit mehr. Bereits in der ersten Minute der Filmreihe Alle auf einen wird das Bewusstsein der Rezipierenden für die Konfrontation mit Diffamierungen und Hetzkommentaren geschärft. Die Filmreihe des Medienprojekt Wuppertal beschäftigt sich mit dem Umgang junger Internetnutzender mit Hass, Hetze und Beleidigungen im Netz. Werden Ergebnisse einer Untersuchung von Campact e. V. hinzugezogen, ist davon auszugehen, dass im Jahr 2019 die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen besonders häufig mit Hate Speech in Kontakt gekommen ist, was die Relevanz des Themas unterstreicht. Es drängt sich die Frage auf, ob es sich noch um Soziale Netzwerke oder eher um ‚Asoziale Hetzwerke‘ handelt, wie der Titel des ersten Beitrags von Alle auf einen propagiert?! In 15 Beiträgen widmen sich junge Filmschaffende in 185 Minuten den Beweggründen hinter dem Online-Handeln: Zwei dokumentarische Kurzfilme geben Auskunft über Hate Speech im politischen Kontext sowie über Cybermobbing. Schülerinnen und Schüler, Studierende, eine Aktivistin sowie Expertinnen und Experten sprechen über ihre Erfahrungen mit Hassreden. Sie geben aus verschiedenen Perspektiven Lösungsmöglichkeiten für Betroffene und indirekt betroffene Bystander. Durch das Einbringen ihrer Erfahrungen wird deutlich, welchen Konfrontationen aktive Onlinerinnen und Onliner in Sozialen Netzwerken ausgesetzt sind. So wird unter anderem die Befürchtung laut, durch Gegenrede könne man selbst zur Zielscheibe werden. Den persönlichen Einschätzungen der Befragten – wie etwa, dass Twitter oder YouTube die am meisten mit Hate Speech belasteten Sozialen Netzwerke seien – könnten jedoch weitere Überprüfungen in Form eines Faktenchecks folgen. Zum Einstieg definiert Anna-Lena von Hodenberg, Leiterin von HateAid, Hate Speech. Dabei erweitert sie gängige Definitionen von Hassrede um persönliche Beleidigungen. Hier spiegelt sich die Problematik in der Verwendung des Begriffs: Es existiert bisher keine rechtlich verankerte Definition, weswegen sich eine Rechtsprechung schwierig gestaltet. Spannende Einblicke bietet Medienpädagoge Heiko Wolf, der verbreitete Strategien von Hatern und Trollen anhand des Internet-Handbuchs Shitposting 1×1 erklärt. In diesem werden Haterinnen und Hater explizit animiert, sich am Trollen oder Ähnlichem zu beteiligen. Hieraus ergeben sich mögliche Ansatzpunkte für die (medien-) pädagogische Praxis, für die Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern oder auch die Analyse von Fallbeispielen. Mit aktuellen Bezügen und prominenten Beispielen, wie den Hassattacken gegenüber Klimaaktivistin Greta Thunberg oder den Twitter-Anfeindungen Donald Trumps, bietet die Filmreihe hohen Aktualitäts bezug, der gleichzeitig einen leichten Zugang zu Hass und Hetze in den Sozialen Medien bereitstellt. Im Anschluss werden in einem Straßeninterview junge Einwohnerinnen und Einwohner Wuppertals zu ihren Erfahrungen mit Hate Speech befragt. Dabei kristallisiert sich zum einen heraus, dass viele der Befragten der Hassrede im Netz durchaus kritisch gegenüberstehen. Andererseits geben einige Passantinnen und Passanten zu, sich selbst auch im Internet beleidigend zu äußern: „Wenn ich mal gehatet hab, dann auf Tellonym. Ist normal“, kommentiert beispielsweise eine Schülerin; wie schwerwiegend ihre Kommentare waren, bleibt im Verborgenen. Diese empfundene Normalität lässt aufhorchen. Nicht nur wird die bloße Anwesenheit von Hate Speech durch die ausbleibende Einordnung gewissermaßen toleriert, sondern diese selbst auch unreflektiert weiterverbreitet. Etwas irritierend erscheint, dass die Interviewfragen teilweise nicht eingeblendet und damit nicht nachvollziehbar werden. Etwas kritischer setzt sich das Format einer fiktiven Night Show mit Hass auseinander. Hier treffen ein YouTuber und dessen Hater aufeinander. Da sich die beiden weder im Internet noch in der realen Welt unter Kontrolle haben, kommt es zur Eskalation. Nur die Erfindung Hate Buster 3000 kann noch Abhilfe schaffen. Die Lösung: Die Beteiligten werden in den Stummmodus überführt. Im ‚echten‘ Leben müssen die Beteiligten aber wohl vorerst mit den Funktionen Blockieren und Löschen auskommen. Alle auf einen gelingt es, in vier Kurzfilmen verschiedene Aspekte von Beleidigungen, Verleumdungen und Hate-Speech-Kommentaren im schulischen Kontext nachzuspielen. Die Konflikte werden dabei nicht nur in der Offline- sondern auch in der Online-Welt ausgetragen. Unangebrachte Inhalte in Klassenchats – wie Volksverhetzung oder Beleidigungen – erfahren derzeit große mediale Aufmerksamkeit. Diesbezüglich wäre ein zusätzlicher Hinweis auf rechtliche Folgen für die dargestellten Szenarien denkbar gewesen. Den Abschluss bilden ein Musikvideo sowie vier Interviews mit Expertinnen und Experten. Hier werden unter anderem das Beratungsangebot HateAid (mehr hierzu S. 52 f. in dieser Ausgabe) und das kostenfreie Onlinetraining LOVEStorm vorgestellt. Die Filmreihe ist offiziell mit der Altersfreigabe FSK 0 gekennzeichnet. Bei der Auseinandersetzung mit jüngeren Kindern ist dennoch zu bedenken, dass potenziell verstörende manipulierte Bilder – wie eine erhängte Greta Thunberg – zu sehen sind und unter anderem in den Kurzfilmen zahlreiche Beschimpfungen fallen. Alle auf einen schafft einen überzeugenden Überblick zu Hate Speech und setzt sich auf Augenhöhe mit Heranwachsenden und angrenzenden Themen wie Cybermobbing oder Filterblasen auseinander. Manchmal kommt es jedoch zu Vermischungen, weil die Begriffe nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden. So wird der Begriff ‚Hate‘ in den Kurzfilmen beispielsweise etwas inflationär verwendet, was die Frage aufwirft, wo Hass eigentlich beginnt und endet. Hier liefert Nils Viefs (Universität Marburg) eine hilfreiche Unterscheidung zwischen ‚Hass‘ als affektive Emotion und deren strategischem Transport durch Hassrede. Diese kann bei Diskussionen eine gute Grundlage bieten und könnte auch Heranwachsenden nähergebracht werden. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Experiment seiner Studierenden, in dem untersucht wird, ob und wie schnell Test-Accounts durch Äußerung politischer Einstellungen via Facebook durch die Funktionsweise des Algorithmus mit Hass-Kommentaren in Berührung kommen. Die einzelnen Filmbeiträge stehen für sich und bauen nicht aufeinander auf. Eine getrennte Behandlung etwa in der Sekundarstufe I in Sozial- oder Gemeinschaftskunde ist daher nicht nur denkbar, sondern drängt sich geradezu auf.
Dana Neuleitner: Kann ich meinen Augen noch trauen? Im Zeitalter digitaler Bildbearbeitung
Kaum ein Foto wird heute noch online gestellt, ohne vorher in Kontakt mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop oder Instagram zu kommen. Einen anderen Hintergrund einfügen, ein störendes Detail herausretuschieren – die Möglichkeiten sind beinahe unbegrenzt. Dass das Manipulieren von Fotos jedoch schon länger existiert als Instagram und Co., zeigt die Lehr-DVD Manipulation von Bildern anhand historischer Beispiele. Was damals nur Fachleuten möglich war, ist heute beinahe schon ein Kinderspiel. Da viele der so entstandenen Bilder täuschend echt aussehen, ist es wichtig, bereits Schülerinnen und Schüler in dieser Hinsicht zu sensibilisieren. „Wir glauben gerne, was wir sehen“ – mit diesem Satz beginnt das Lehrvideo von didactmedia. Im Folgenden wird jedoch bald klar, dass man seinen Augen nicht immer trauen sollte: Anschaulich wird in etwa 16 Minuten erläutert, wie Bilder inszeniert, manipuliert oder in einen falschen Zusammenhang gestellt werden, um Rezipientinnen und Rezipienten zu täuschen. Dieser Vorgang wird mit Hilfe von historischen und aktuelleren Bildern gut verständlich erklärt. Den Einstieg bildet im Kapitel ‚Manipulieren und falsch darstellen‘ ein Videoausschnitt, der eine Gruppe von Kindern zeigt, eine Person ist dabei etwas abseits. Der O-Ton wird in zwei Varianten gegeben: Die erste Version ist eine Berichterstattung über eine Schülergruppe, die beim Talentwettbewerb Jugend forscht gewonnen hat, die zweite Cybermobbing. Die gezeigte Szene eignet sich aufgrund der Nähe zum Schulalltag gut für eine Einführung in die Materie. Die Vertiefung geschieht durch die geschichtlichen Beispiele eines Propagandafotos der Nationalsozialisten zur Verharmlosung des Überfalls auf Polen 1939 und eine manipulierte Aufnahme aus der Sowjetunion, bei der zwei in Ungnade Gefallene wegretuschiert wurden. Den Schülerinnen und Schülern wird dabei jeweils kurz erklärt, worin die Beweggründe hinter den Manipulationen lagen. Im Anschluss werden Täuschungsversuche aus der Vergangenheit eingeblendet; sowohl anhand des nationalsozialistischen Propagandafilms Theresienstadt, anhand retuschierter Bilder aus der DDR als auch am Beispiel einer Broschüre der Thüringer Landesregierung zum Besuch des damaligen Präsidenten der USA, Bill Clinton. Die bearbeiteten Fotos werden jeweils ihren Originalen gegenübergestellt und in ihren Bedeutungszusammenhang gesetzt. Die Lehr-DVD gewährleistet so auf spannende Weise, dass die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die weitreichenden Zusammenhänge erhalten. Wie groß die Wirkungsmacht der Bilder ist, wird insbesondere im Kapitel ‚Bilder führen Krieg‘ eindrucksvoll dargestellt. Hier wird beispielsweise auf den Auslöser des Golfkriegs, das Mädchen ‚Nayirah‘, eingegangen. Die 15-Jährige hatte 1990 vor laufenden Kameras ausgesagt, dass irakische Soldaten kuwaitische Säuglinge aus ihren Brutkästen geholt und hingerichtet hätten. Die Macht der Bilder führte zur Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen. Erst später wurde bekannt, dass es sich lediglich um eine PR-Kampagne handelte, um die amerikanische Bevölkerung von einem Krieg gegen den Irak zu überzeugen. Hier wird verdeutlicht, welchen Einfluss die Darstellung des Materials auf die Glaubwürdigkeit besitzt und dass auch Erwachsene der Macht der Bilder unterliegen. Den Produzierenden gelingt es gut, die Rezipierenden dafür zu sensibilisieren, die Interessen der Absenderinnen bzw. Absender von Bildern zu hinterfragen. Denn wer abschätzen kann, aus welchen Beweggründen ein Foto oder Video veröffentlicht wird, dem wird es auch leichter fallen, das Material einzuordnen. Im folgenden Kapitel lernen Schülerinnen und Schüler, welche (politischen) Interessen und Quellen zu beachten sind. Der Film beschreibt, welche Medien über Demonstrationen in Russland oder einen Hungerstreik syrischer Flüchtlinge vor dem griechischen Parlament (nicht) berichteten und nennt Beispiele, anhand derer sichere Internetquellen identifiziert werden können. Dies bietet einen guten Ansatz für Lehrkräfte, um weitere Erkennungsmerkmale sicherer und unsicherer Quellen herauszuarbeiten. Es wird auch erwähnt, dass etwa die Sperrung von Internetseiten in China zum Alltag gehört. Die dahinter liegenden Beweggründe werden jedoch nicht im Detail beschrieben, sodass vor allem Rezipierende mit ausreichend Hintergrundwissen zum eigenständigen Nachdenken angeregt werden. Mit denjenigen, die diese Verbindungen (noch) nicht verstehen, sollte an gegebener Stelle eine begleitete Einordnung erfolgen. In der letzten Einheit werden Bilder erneut kritisch hinterfragt und die angesprochenen Möglichkeiten der Manipulation wiederholt. Zur Festigung des Gelernten wird außerdem der Arbeitsauftrag gegeben, mit Bildern eine eigene Kampagne zu einem selbstgewählten Thema zu entwickeln. An den Lehrfilm schließen sich Materialien für den Unterricht an. Hierzu gehört ein sehr umfangreiches Glossar. Allerdings entstammt der Großteil der Definitionen Wikipedia-Artikeln, was dem eigentlichen Anliegen der Sensibilisierung für seriöse Quellen widerspricht. Des Weiteren finden sich – neben einer nicht besonders umfangreichen Bildergalerie – fünf Arbeitsblätter, die nach dem Film bzw. den einzelnen Sequenzen bearbeitet werden können. Hierbei ist darauf zu achten, dass manche Aufgaben für jüngere Kinder zu anspruchsvoll sein könnten. Hierzu gehört etwa, ein Foto von sich in historische Szenen zu integrieren. Auch interaktive Aufgaben sind im Umfang enthalten. So sind die Schülerinnen und Schüler hier angehalten, zu kurzen Filmsequenzen einen Lückentext auszufüllen und dabei zwischen manipulierten und authentischen Bildern zu unterscheiden. Diese Aufgaben bieten sich zwar zur Selbstreflexion an, die Ergebnisse können allerdings nicht an die Lehrkraft weitergegeben werden, wodurch diese keinen Einblick in die Lernfortschritte erhält. Durch das Sichtbarmachen verschiedener Manipulationen schärft das Lehrvideo den kritischen Blick der Rezipientinnen und Rezipienten und fördert so die Medienkompetenz der Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte. Wünschenswert wäre, dass auch Beispiele der letzten Jahre aufgegriffen worden wären. Gleichzeitig ergibt sich hier eine Anschlussstelle für weitere Unterrichtsstunden etwa in der Sekundarstufe I, wofür sich insbesondere die hilfreiche Liste mit weiterführenden Links eignen würde. Durch die zahlreichen historischen Beispiele ist etwa der Einsatz im Geschichtsunterricht denkbar. Aufgrund der Wichtigkeit der Materie könnte die Lehr-DVD aber grundsätzlich auch beispielsweise im Sozialkundeunterricht und anderen Fächern verwendet werden.
Monika Himmelsbach: How we roll online. Digitale Tools im Rollenspiel
Die Zeit ist vorbei, in der Rollenspielerinnen und -spieler abgeschottet im Keller sitzen und angeblichem Teufelswerk nachgehen. Zumindest in bestimmten Kreisen haben Spiele wie Dungeons & Dragons, Das Schwarze Auge und Midgard das Internet erobert. Spielsessions werden auf YouTube und Twitch1gestreamt, Foren beschäftigen sich mit den Entwicklungen der Szene und Websites helfen Spielleitenden, ihre Welt zu erschaffen. Schon lange bilden Stift und Papier nicht mehr die einzige Grundlage für ein Rollenspiel. Seinen Anfang hatte das Rollenspiel im Jahre 1974 mit der ersten Edition von Dungeons & Dragons in den USA. Mittlerweile gibt es unzählige andere Systeme wie Vampire: Die Maskerade, Der Herr der Ringe oder Shadowrun. Gemeint sind hier übrigens sogenannte Pen-&-Paper-Rollenspiele, nicht etwa das sozialtherapeutische Rollenspiel in der psychosozialen Arbeit. Pen-&-Paper-Rollenspiele sind eine Mischung aus Improvisationstheater, Erzählung und Gesellschaftsspiel. Teilnehmende nehmen eine von zwei Rollen ein: Die Spielleitung, die die Welt und die darin lebenden Wesen handhabt, gibt Situationen vor und entscheidet über den Ausgang von Handlungen. Die Spielenden übernehmen währenddessen Charaktere in jener fiktiven Welt und erleben Abenteuer. Alle Fähig- und Fertigkeiten der Heldinnen und Helden befinden sich meist auf einem als Charakterbogen bezeichneten Dokument. Mithilfe der Werte auf dem Blatt Papier und Würfelaugen wird der Ausgang einer Aktion entschieden: Schafft es die Elfe, über die Mauer zu klettern oder rutscht sie ab? Trifft der Schlag des Ritters? Kann der Zwerg den Schützen davon überzeugen, ihm zu helfen? Anhand des Würfelergebnisses bestimmt die Spielleitung, welche Folgen sich für den Charakter ergeben. So schafft die Elfe es zwar zum Beispiel, über die Mauer zu klettern, tritt bei der Landung jedoch ungünstig auf und verletzt sich. Die Visualisierung der Geschehnisse findet hauptsächlich in den Köpfen der Teilnehmenden statt. Zur atmosphärischen Darstellung werden unter anderem Welt- bzw. Umgebungskarten, Figuren und Musik eingesetzt. Aufgrund der Digitalisierung werden Karten nicht mehr nur gekauft oder selbst auf Papier gezeichnet, sondern auch am PC erstellt. Würfel können digital geworfen, Spielfiguren virtuell dargestellt und Effekte animiert werden. Gerade in den letzten Jahren sind diese Tools immer ausgefeilter geworden, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung über lange Distanzen mit (Un-)Bekannten mit denselben Interessen. Bevor die Möglichkeit zum Videochat aufkam, gab es Rollenspielgruppen, die über Textchat spielten. Diese Art des Spiels wird noch immer genutzt, wobei sich neben Browserversionen auch Apps für mobile Endgeräte etabliert haben. So ist zum Beispiel Role Gate auch auf Smartphones verfügbar. Diese Anwendung ermöglicht neben dem Chatten das Würfeln, den Zugriff auf den Charakterbogen, das Schicken von Bildern oder das Erstellen von stark vereinfachten Karten. Websites wie Fantasy Grounds oder Roll20 hingegen werden meist zusammen mit Voice-Chatdiensten genutzt. Unter den Angeboten, die der Visualisierung helfen sollen, haben sich diese zwei Plattformen – neben Astral Table Top und D20Pro – etabliert. Abbildung 1 zeigt, wie dies aussehen kann: In der Mitte befindet sich die Karte, in diesem Fall die Innenansicht einer Taverne. Auf dieser können Tokens2 platziert werden. In Situationen, in denen die genaue Platzierung von Objekten und Personen wichtig wird, ist dies besonders praktisch. Am rechten Rand befinden sich der Chat, der auch die Würfelwürfe anzeigt, eine Jukebox sowie ein Journal mit Informationen zu unter anderem Personen und Orten. Auch bietet die Website den bereits genannten Voice- und Videochat an. Vieles ist mit einem kostenlosen Account zugänglich, für Funktionen wie animierte Effekte oder den vollständigen Zugang mit mobilen Geräten bedarf es eines Bezahlabonnements. Die seit 2004 verfügbare Plattform Fantasy Grounds ist nur für Windows, macOs sowie Linux verfügbar, konnte sich aber mehr offizielle Rollenspielsystemlizenzen sichern als Roll20. Nutzende mit kostenfreien Zugängen können nur Spielen von bezahlenden Mitgliedern beitreten, was bedeutet, dass zumindest eine Person einer Spielgruppe eine monatliche oder einmalige Gebühr bezahlt haben muss. Die Angebote der bezahlten Versionen sind meist für länger bestehende oder auf längere Zeit ausgelegte Gruppen interessant. Da ist Fantasy Grounds günstiger, da es die Option gibt, mit einer einmaligen Zahlung alle Features zu nutzen. Roll20 hingegen verfügt nur über das Abomodell – bei Kampagnen über mehrere Jahre wird das teuer. Vor allem in den letzten Jahren gab es einen Boom um sogenannte Worldbuilding-Tools wie Dungeonfog, WorldAnvil (Abb. 2) oder ArkenForge. Diese sollen durch die Erschaffung von Enzyklopädien das Verschriftlichen und Verwalten von selbsterstellten Welten erleichtern. Aufzeichnungen über Geschichten, Personen oder Völker können miteinander verknüpft und durch Bilder ergänzt werden. Anfangs können die Möglichkeiten und Schaltflächen überwältigend wirken, nach einer Eingewöhnung sind sie jedoch Gold wert. Gerade der Spielleitung erleichtern sie es, den Überblick zu behalten: Wie heißt der Verkäufer noch einmal? In welcher Stadt hat er seinen Laden? Zudem regen die Schaltflächen an, kreativ tätig zu werden und die selbst erstellte Welt weiterzuentwickeln. Wer ins Rollenspiel hineinschnuppern möchte, ohne (viel) Geld auszugeben, dem spielt die digitale Entwicklung entgegen; analoge Regelbücher oder Figuren sind nämlich wesentlich teurer. Viele Spiele systeme bieten verkürzte Regeln als GratisPDF an, Würfel können online geworfen und Karten sowie Tokens digital erstellt werden. Dies bietet auch Personen Zugang, denen es sonst Schwierigkeiten bereitet, an Rollenspielsitzungen teilzunehmen. Sei es durch physische oder psychische Beeinträchtigungen oder die Distanz. Seit ein paar Jahren werden Pen-&-Paper-Rollenspiele auch immer häufiger in die therapeutische Praxis einbezogen, beispielsweise um Personen mit Depressionen, Angstzuständen oder Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zu helfen. Auch in anderen (medien-)pädagogischen Kontexten ist der Einsatz gewinnbringend denkbar.
Anmerkungen:
1 Ein Live-Streaming-Videoportal, das vorrangig zur Übertragung von Videospielen genutzt wird.
2 Spielfiguren für Charaktere, Monster und unbelebte Gegenstände.
Beitrag aus Heft »2020/01 Wie analog ist digitale Gewalt?«
Autor:
Monika Himmelsbach
Beitrag als PDF
Andrea Stephani: Mit dem Hörstift auf Entdeckungsreise
Der digitale Hörstift BOOkii ist ein spielerisches Lernmedium für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren, das Neugier erweckt, Kreativität fördert und das Erschließen neuer Welten eröffnet. Mit dem Stift werden die passenden Bücher durch digitale Inhalte ergänzt. Durch Antippen des Buches liest der integrierte optische Infrarot-Sensor den aufgedruckten, mit bloßem Auge kaum wahrnehmbaren Code aus und startet das Vorlesen der Texte oder bringt Geräusche hervor und lässt Figuren sprechen. Im Lieferumfang eines Starter-Sets enthalten sind ein Hörstift, ein paar Aufnahmesticker, ein Aufbewahrungsetui mit Ladekabel und ein Buch. Je nach Buchthematik variiert auch die angesprochene Altersgruppe. Mit Einblicken in Demografie und Politik, Natur und Tiere, Geschichte und Kultur verschiedener Länder ist beispielsweise COLUMBUS Globus für Kinder ab acht Jahren umgesetzt, während sich Zähle die Tiere von 1 bis 10 bereits für Kinder ab drei Jahren eignet. Auch der Einsatz im Kindergarten oder in der Schule wird von Tessloff empfohlen. Als Nachfolger des TINGHörstifts bietet BOOkii bereits eine Vielzahl an unterschiedlichsten relevanten und unterrichtsbezogenen Themen. Wer noch alte TINGBücher besitzt, kann auch diese mit BOOkii auslesen. Neben fachbezogenen Schwerpunkten wie Geografie, Mathematik oder Englisch gibt es auch lebensnahe, alltagsrelevante Themen wie den Arbeitsalltag von Feuerwehrfrauen und -männern oder das Leben auf einem Ponyhof. Damit behandelt BOOkii direkt auch Wunschberufe und Interessen von Kindern. Bevor eine Leserunde gestartet werden kann, ermöglicht eine kurze Anleitung eine Einführung in den Spielverlauf. Diese wird bei jeder neuen Frage oder Aufgabe wiederholt, kann jedoch auch vorgespult oder übersprungen werden. Wird der Stift nach dem Antippen entfernt, fängt der Text wieder von vorn an; das passiert leider auch schon beim leichten Verrücken. Mit Hilfe einer kleinen Einführung seitens eines Erwachsenen finden sich Kinder ab acht Jahren sicher schnell mit der Handhabung zurecht, die Dreijährigen benötigen bestimmt noch mehr Unterstützung von Erwachsenen oder Geschwistern. Nach dem gemeinsamen Lesen oder Anhören erster Texte sind jedoch auch sie in der Lage, sich selbstständig auszuprobieren. Auf ausgewählten Seiten stehen Fragen zum Text zur Verfügung, die von den Kindern mit richtig oder falsch beantwortet werden können. Bei aufmerksamen Leserinnen und Lesern kann sich schnell der Wissenserwerb steigern und Erfolgserlebnisse stellen sich bei der Beantwortung der Fragen zügig ein. Neben den Wissensquizzen gibt es auch spielerische Aufgaben, bei deren Bewältigung Kinder nicht nur ihre Feinmotorik, sondern auch die Hand-Augenkoordination und das reflexive Denkvermögen verbessern können. Bei der Abbildung von Menschen am Strand werden die Kinder zum Beispiel gebeten, alle Mädchen oder Sandspielzeuge anzutippen. Doch während im Vorlesemodus das einmalige Antippen genügt, um die gesamte Erzählung anzuhören und somit ein intensiveres Erkunden einzelner Seiten elemente möglich ist, erfordern Spiele eine höhere Aufmerksamkeit und das wiederholte Antippen für weitere Fragen bzw. Aufgaben. Dabei treten innerhalb der Quizze einige Fragestellungen häufiger auf, bevor im Anschluss neue Fragen gestellt werden. Eine Information über die Anzahl der Fragen bei der Spielanleitung wäre jedoch sinnvoll, um das Suchen nach neuen Fragen einzugrenzen und die Frustrationstoleranz niedrig sowie den Spaß am Spiel aufrechtzuerhalten. Mit den mitgelieferten BOOkii-Aufnahmestickern sind die Kinder und auch ihre Eltern und Erziehenden in der Lage, ihre eigenen Geschichten und Lieder aufzunehmen. Die vertrauten Stimmen stehen somit jederzeit zur Verfügung und können auch dann angehört werden, wenn die Bezugspersonen gerade nicht anwesend sind. Tessloff empfiehlt die Sticker besonders zur Nutzung in Schulheften, auf Lernkarten, als Grußbotschaft, als Reisetage-Hörbuch oder, um eine Schnitzeljagd zu veranstalten. Die Aufnahmefunktion der BOOkii-Hörstifte unterscheidet sich deutlich von den tiptoi-Stiften, die ausschließlich mit CREATE-Produkten nutzbar sind und auf die Freiheit zur Selbstgestaltung der Aufnahmethemen verzichten. Mit dem Aufbewahrungsetui und dem kurzen Ladekabel ist der Hörstift auch ohne großen Aufwand für Reisen geeignet. Ausgestattet mit einer MP3-Funktion können die aufgenommenen Geschichten und Lieder beispielsweise mit Kopfhörern auch während der Autofahrt angehört und die Lautstärke dabei beliebig reguliert werden. Zu den weiteren interessanten Aspekten gehört unter anderem die BOOkii-App. In Verbindung mit einem internetfähigen Smartphone oder Tablet können so via Bluetooth weiterführende Videos und Weblinks geöffnet werden. Beim Konzipieren der App wurde Wert auf eine kindersichere Gestaltung gelegt. So haben Kinder nur Zugriffsrechte auf die von Tessloff freigegebenen, für sie geeigneten Videos und Weblinks und können mit der App bedenkenlos alleine spielen. Zudem ist der Hörstift mit einem Akku ausgestattet, der sechs Stunden Laufzeit garantiert. Integriert ist eine automatische Energiesparfunktion, die das Gerät nach fünf Minuten Nichtnutzung wieder ausschaltet. Insgesamt bietet BOOkii – Der Hörstift eine tolle Ergänzung im Kinderzimmer, in der Schule oder im Kindergarten. Der Stift fördert das selbstständige Spielen der Kinder ohne kontinuierliche Hilfestellung der Eltern und unterstützt ihre kreative Entwicklung. Innerhalb der Beschäftigung mit den BOOkii-Ausgaben lässt sich immer wieder Neues entdecken, sodass die mitgelieferten Bücher auch bei mehrmaligen Durchgängen der Seiten nicht langweilig werden. BOOkii kann in der Schule, im Kindergarten oder in der Familie auch wunderbar von mehreren Kindern gleichzeitig genutzt werden und fördert auf diese Weise die gemeinsame soziale Interaktion. Auch für Kinder, die des Lesens noch nicht mächtig sind, eignet sich der Hörstift gut zum Trainieren des Hörverstehens und der Erhöhung der Lesekompetenz, indem zusammen mit der Erzählerstimme mitgelesen werden kann. Damit macht der Hörstift das Lernen zu einer spielerischen Angelegenheit für die Kinder. Trotz der zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten, die der Hörstift anbietet, steht das Buch weiterhin im Mittelpunkt des Spiels und ist auch ohne die digitalen Inhalte nutzbar. Der BOOkii-Hörstift ist für alle Erziehenden, Eltern, Lehrende oder pädagogischen Fachkräfte empfehlenswert, die ihren Kindern, Schülerinnen und Schülern, einen abwechslungsreichen Alltag ermöglichen möchten.
Jerome Wohlfarth: Komm, spiel mit!
Die Messe für Brett- und Kartenspiele Internationale Spieletage SPIEL in Essen konnte im vergangenen Oktober knapp 209.000 Interessierte begeistern. Mit über 1.200 Ausstellenden und beinahe 1.500 neuen Spielen gab es in jedem Genre etwas Neues zu entdecken. Diese Zahlen sind beeindruckend und zeigen erneut: Die analoge Brettspielbranche wächst parallel zum Erfolg digitaler Videospiele.
Bildungsmöglichkeiten durch Brettspiele
Zum ersten Mal hat im Rahmen der SPIEL der Educators Day stattgefunden. Neben grundsätzlichen Informationen über die Verbindung von Brettspielen und Bildung haben verschiedene Vorträge und Workshops Interessierten die Möglichkeit geboten, sich über Tätigkeiten und Mitgestaltungsmöglichkeiten von BrettspieleAGs zu informieren; oder welche Spiele als pädagogisch wertvoll einzustufen sind. Anhand einer Diskussionsrunde zu Gesellschaftsspielen im Iran erhielten Besucherinnen und Besucher auch Einblicke in die Wahrnehmung von Spielen in anderen Ländern. Das Spielesortiment des Verlags Genius Games, der sich dem Thema Bildung besonders angenommen hat, basiert auf Thematiken, Mechanismen oder Strukturen, mit deren Hilfe komplexe Inhalte vermittelt werden. So versetzt Cytosis Spielende in das Innere einer Zelle, worin sie den Stoffwechsel unter Kontrolle halten müssen. Ein weiteres Beispiel unter den MINT-Games ist Periodic, das zeigt, aus welchen Elementen bestimmte Stoffe bestehen. Auch historische Themen kommen nicht zu kurz: Lovelace & Babbage behandelt zum Beispiel Computerarbeit zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und zeigt auf, wie erste Rechenmaschinen und Frauen für einen Großteil der Berechnungen zuständig waren.
Brettspiele in der Familie
Die Trennung analoger Brettspiele und digitaler Videogames ist in der Entwicklung von Neuheiten noch immer sehr ausgeprägt, doch gibt es immer mehr Ideen, diese Grenzen aufzuweichen. Zu Beginn waren dies häufig Apps, in denen bereits bekannte analoge Spiele wie Die Siedler von Catan, Zug um Zug oder Monopoly digital und auch mobil gespielt werden konnten. Dieses Konzept scheint jedoch eher bei den mittlerweile erwachsenen Gamerinnen und Gamern anzukommen, die ihre früheren Lieblingsspiele auch gerne auf dem Weg zur Arbeit oder entspannt auf dem Sofa spielen möchten. Andere Ansätze erfordern die Nutzung einer App zum Erleben des analogen Spielgeschehens, wie das Game World of YoHo. Spielende übernehmen die Rolle eines Schiffsführenden und steuern Schiff und Seeleute. Alle Aktionen können an einem mobilen Endgerät ausgeführt werden. Solche Spiele richten sich vor allem an eine jüngere Zielgruppe, mit dem Versuch, durch den Einsatz digitaler Medien neues Interesse für Brettspiele zu wecken. XCOM: Das Brettspiel basiert wiederum auf dem gleichnamigen Videospiel, in dem Spielende in verschiedenen Rollen versuchen, die Welt zu retten. Die App fungiert als Spielleitung und übernimmt die Steuerung aller Nicht-Spielerinnen bzw. -Spieler hinsichtlich Charakter, Bewegung oder Aktionen. Spielenden kann so mitgeteilt werden, was geschieht, wenn sie mit der Spielwelt interagieren. Auch können so Zeitspannen vorgegeben werden, innerhalb derer Aufgaben gelöst werden müssen. Die ständigen Veränderungen und das kooperative Zusammenarbeiten der Gruppe unter Zeitdruck sind Faktoren, die erst durch die App-Komponente überschaubar und damit nachvollziehbar in das analoge Brettspielerlebnis implementiert werden können. Apps übernehmen auch in Fantasy-Genres unter den Brettspielen öfter das Narrativ. Neben Herr der Ringe: Reise durch Mittelerde zählen auch Detektiv-Spiele zu den didaktisch interessanten Beispielen, welche den Einsatz digitaler Elemente mit analogen Spielwelten verknüpfen: Chronicles of Crime und Detective versorgen Spielende zum Beispiel beim Lösen fiktiver
Fälle mit Hinweisen in Form von VR-Elementen und kurzen Video sequenzen. Auch müssen die Ermittelnden auf Internet-Datenbanken und echte Plattformen wie Google Maps zugreifen, um Aussagen zu überprüfen. Knallhartes Fachwissen ist dagegen beim analogen Kennerspiel des Jahres 2019 Flügelschlag gefragt, welches erlaubt, in die Rollen von Vogelliebhaberinnen bzw. -liebhabern zu schlüpfen, um spielerisch mit einem größtmöglichen Maß an ornithologischen Kenntnissen zu glänzen.
Eindrücke von der Messe
Beim Durchstreifen der Messehallen lässt sich bald erkennen, dass ein besonderer Trend in diesem Jahr auf sogenannten Legacy-Spielen liegt. Kern dieses Spielprinzips ist das Treffen von Entscheidungen, die den weiteren Spielverlauf maßgeblich beeinflussen und dauerhaft verändern. Unter Umständen wird dabei auch Spielmaterial zerstört, sodass zwar ein sehr individuelles, aber auch unumkehrbares Spieleerlebnis entsteht. Aufgrund der Fülle an Informationen, die sich über die einzelnen Kapitel verteilen, wird hier die Achtsamkeit der Teilnehmenden besonders gefordert. Das bekannteste LegacySpiel ist Pandemic Legacy, bei dem Spielende versuchen, den Ausbruch einer weltweiten Epidemie zu verhindern. Auch die Themen Klimawandel und Artenschutz wurden durch einige Verleger in Szene gesetzt, insbesondere durch Spiele, die sich in vielfältiger Weise mit Bienen beschäftigen, wie Ambrosia, Line Up! Bees oder Bee Lives: We Will Only Know Summer. Spielende erkunden hierin die Produktion von Honig oder das Bestäuben von Blüten. Neben Spielspaß bieten sie damit die Möglichkeit, sich Wissen zum Insektensterben, dem Klimawandel und zu den Ursachen sowie Folgen des Bienensterbens anzueignen und dafür sensibilisiert zu werden. Die Verbindung von analogen und digitalen Spielelementen bietet Spielenden ein besonderes Erlebnis. Doch ob digital oder analog – Spiele gestatten in all ihren Formen Spaß für viele Stunden.
Nicole Lohfink, Eric Müller: Exkursion in die EU: Digitale Jugendarbeit in Finnland und Estland
Unter dem Stichwort Digital Youth Work findet sich im europäischen Vergleich eine große Bandbreite von Strategien, wie digitale Medien in der Jugendarbeit nutzbar gemacht werden. Daher entwickelt die EU-Expertengruppe für Chancen, Risiken und Auswirkungen der Digitalisierung auf Jugendliche, Jugendarbeit und Jugendpolitik eine gemeinsame offene Definition für digitale Jugendarbeit in Europa (vgl. European Commission 2018).
Diese Bandbreite der Ansätze digitaler Jugendarbeit zu erkunden und Ideen mit den europäischen Partnerinnen und Partnern auszutauschen war Ziel eines durch den Bayerischen Jugendring initiierten Fachkräfteaustauschs im Mai 2019. Der Weg der 19 Teilnehmenden, die sich haupt- und ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagieren, führte zunächst nach Helsinki und infolge nach Tallinn.
Jugendarbeit in Finnland: Digitale Kommunikation und europäischer Vergleich
In der Jugendarbeit in Finnland haben sich schon früh online Jugendaktivitäten etabliert. In den 1980er-Jahren wurden Computerspiele und Videotex, eine frühe Version eines Messenger- und Informationssystems, angeboten, um Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu digitalen Technologien zu eröffnen. Die digitale Kommunikation ist in Finnland bis heute ein Werkzeug in der Jugendarbeit, wie eine aktuelle Studie von Verke zeigt. Die Organisation untersucht und entwickelt im Auftrag der finnischen Regierung Strategien für die Digitalisierung der Jugendarbeit und ist unterstützender Ansprechpartner für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verke waren es auch, die der Delegation die verschiedenen Zusammenhänge von gewachsenen Strukturen und aktuellen Vorgängen in Finnland erläuterten. In der Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen und Verbänden ist Verke bemüht, diese Strukturen zu pflegen und die vergleichsweise noch relativ junge aktive Medienarbeit zu fördern. So wird beispielsweise die ehrenamtliche Jugendarbeit im Pfadfinderverband im dünn besiedelten Finnland durch eine digitale Kommunikations- und Organisationsplattform koordiniert, während die mitgliederstärkste Kirche in Finnland in ihrer Jugendarbeit jährlich Konfirmations- und Freizeitcamps organisiert, in denen die digitalen Themen der Jugendlichen aktiv aufgegriffen und begleitet werden.
Ein finnisches Projekt stellt der Ausbau der Bibliotheken als kommunalen Ort dar, der gleichermaßen Gemeinde-Dienstleistungen und Jugendlichen einen Freizeitort bietet. Mit Iso Omena existiert bereits ein funktionierendes Beispiel der Kooperation von Bücherei, öffentlicher Elternberatung, Amt für Soziales, Maker-Space, Jugendraum und Musikstudio.
Finnland hat mit 16,7 Prozent eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das Projekt Digitalents eröffnet deshalb im Auftrag der finnischen Regierung Jugendlichen einen Zugang zur digitalen Arbeitswelt. Für durchschnittlich etwa acht Monate werden Jugendliche hier individuell betreut und arbeiten an Projekten zu Augmented Reality, Open-Source-Spaces und Social-Robotics. Ziel ist es, eine starke und sichere Umgebung zu kreieren und Orientierung für die berufliche Zukunft zu bieten. Daneben veranstaltet Digitalents E-Sports-Tourniere und Hacker-Workshops, in denen Jugendliche eigene Spiele programmieren, eine sichere Umgebung in der Spiele-Kultur vermittelt bekommen und regelmäßig an der Global Game Jam-Session teilnehmen, die jährlich im Januar veranstaltet wird.
In Helsinki ist deutlich geworden, dass digitale Jugendarbeit in der Europäischen Union unterschiedliche Ansätze verfolgt. Neben der Ausrichtung auf digitale Kommunikation profitiert die Jugendarbeit in Finnland von der Orientierung an der britischen Maker-Bewegung und der eher deutschen Perspektive der aktiven Medienarbeit. Auch in Finnland sind die Herausforderungen von Einrichtungen wie Verke und Digitalents dabei gekennzeichnet durch bürokratische Hürden und die Sicherung der Finanzierung für eine kontinuierliche Arbeit.
Jugendarbeit in Estland: Digitalisierung der Verwaltung
Eine weitere Perspektive auf digitale Jugendarbeit in der EU erhielt die Delegation anschließend in Tallinn, wo das estnische Zentrum für Jugendarbeit die Verwaltung weitgehend digitalisiert hat. Digitale
Jugendarbeit in Estland bedeutet die Bündelung von allen mit der Jugendarbeit verbundenen Verwaltungsvorgängen in einer landesweit vernetzten Onlineumgebung. Auf der Plattform stellen Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter Förderanträge für Aktivitäten in ihren Einrichtungen, geben Sachberichte ein und kommunizieren mit dem Zentrum für Jugendarbeit. Gleichzeitig werden auf der Plattform Anträge begutachtet und evaluiert, sodass auch hier die Kommunikation zur Jugendarbeit auf dem Portal zentralisiert ist. Über das digitale Verwaltungstool werden alle Teilnehmenden an den Aktivitäten erfasst und laufen im estnischen Zentrum für Jugendarbeit zusammen, um die Qualitätskontrolle über die landesweit verteilten Jugendeinrichtungen sicherzustellen.
Hieran zeigt sich, dass digitale Jugendarbeit für die Kolleginnen und Kollegen in Finnland wie in Estland nur der erste Schritt ist, um danach in die ‚smart youth work‘ überzugehen. Es geht dort also um die Frage, wie Technologie in der Entwicklung genutzt werden und Big Data dazu verhelfen kann, die Bedingungen in der Jugendarbeit zu verbessern. Es geht weniger um reine Praxis, als vielmehr um politische Betrachtungen, um im Gesamtbild lösungsorientiert zu arbeiten. Diese umfassende Vernetzung und Organisation der Aktivitäten der Jugendarbeit ist in Estland im Kontext einer umfassenden Digitalisierung nahezu aller Verwaltungsaktivitäten zu sehen.
Im e-Estonian Show-Room führt ein aus Hamburg nach Tallinn emmigrierter Mitarbeiter das estnische Bürgerportal vor. Um Zugang zu erhalten, führt er seinen elektronischen Personalausweis in seinen Laptop ein und bestätigt seine Identität mit einem persönlichen Passwort. Im Bürgerportal sieht man die digitalen Äquivalente zum Einwohnermeldeamt, dem Wahlamt, der KFZ-Zulassungsstelle und dem Finanzamt. Der hohe Verschlüsselungsstandard und das dezentral organisierte Datenbanksystem sollen vor unberechtigten Zugriffen schützen. Jeder Zugriff der estnischen Behörden auf den eigenen Datensatz wird zudem protokolliert und die Architektur der Open-Access-Software ist für die Nutzenden einsehbar. Um den Bürgerinnen und Bürgern in dem Flächenland den Zugang zum estnischen Bürgerportal zu eröffnen, waren landesweit Busse unterwegs, die digitale Aufklärung zum Bürgerportal betrieben haben.
Mitglieder des estonischen Jugendrings erklären der deutschen Delegation, dass in der Arbeit mit der russischen Minderheit sprachliche Herausforderungen bei der Bildung und Teilhabe von Heranwachsenden liegen. Durch die Übersetzung der Plattform ins Russische und Englische konnten auch Minderheiten im Land an den Plattformdiensten teilhaben. Die kulturelle Spaltung der estnischen Bevölkerung können sie dennoch nicht überbrücken.
Aktive Medienarbeit als Entwicklungspfad digitaler Jugendarbeit in Deutschland
In der kontrastierenden Betrachtung digitaler Jugendarbeit in Finnland und Estland zeichnen sich nationale Entwicklungspfade ab, die in die geografischen und historischen Bedingungen verankert sind. Im dünn besiedelten Finnland wurden die ersten Online-Technologien schon in den 1980er-Jahren in der Jugendarbeit eingesetzt, um landesweit Informationen zu Aktivitäten der Jugendarbeit zu bekommen. Diese Entwicklung zeigt sich noch heute, wo Jugendarbeiterinnen und -arbeiter unter anderem über Messenger-Dienste Beratungsangebote zur Verfügung stellen. Die Entwicklung der digitalen Jugendarbeit in Estland ist wesentlich durch die weitgehende Digitalisierung der Staatsverwaltung gekennzeichnet, die seit den späten 1990er-Jahren vorangetrieben wird. Diese Bemühungen wurden durch landesweite Medienbildungsprogramme orchestriert, um den Menschen die Teilhabe an diesen Verwaltungssystemen zu eröffnen.
Digitale Jugendarbeit in Deutschland scheint im Vergleich zu Finnland und Estland häufig rückständig und im Kontext der kommunalen Organisation der Jugendarbeit keine übergreifenden Ziele zu verfolgen. Um die Entwicklung der digitalen Jugendarbeit hierzulande besser zu verstehen, hilft auch hier der Blick auf die nationalen Pfade: Digitale Jugendarbeit entwickelte sich in Deutschland im Kontext der aktiven Medienarbeit, in der Jugendliche medienvermittelte Inhalte selbst erstellen. Diese ist in der Entwicklung der Medienpädagogik der 1970er- und 1980er-Jahre mit einem bildnerisch-emanzipatorischen Anspruch verortet, die im Bürgerfunk über die Herstellung von Radio- und Fernsehbeiträgen eine Gegenöffentlichkeit zum politischen Mainstream herstellt und in der Gegenwart in digitalen Artikulationskanälen eine Fortsetzung dieser Tradition erlebt. Damit einher geht eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen von Medientechnologien für das gesellschaftliche Leben, die in der digitalen Jugendarbeit über eine Sensibilität für Themen wie Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre transportiert werden. Die Zukunft digitaler Jugendarbeit kann in Deutschland angesichts dieser Tradition darin liegen, sich über die Produktion von Algorithmen das emanzipatorische und partizipative Potenzial der aktiven Medienarbeit anzueignen. Zusätzlich können die Erfahrungen aus Finnland und Estland eine Orientierung bieten, um Jugendarbeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Hier können insbesondere die über mehrere Jahre entwickelten Digitalisierungsstrategien eine Ressource sein, von der die digitale Jugendarbeit in Deutschland profitieren kann.
Beitrag aus Heft »2019/05 Digitale Bildung inklusiv«
Autor:
Nicole Lohfink,
Eric Müller
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Monika Himmelsbach: Love, Death & Robots. Es war einmal die Zukunft
Blur Studio (2019). Love, Death & Robots. Produktion. 18 Folgen in 1+ Staffeln, jeweils zwischen fünf und 20 Minuten. FSK 18. Erstauststrahlung auf Netflix.
Wie sähe die Welt aus, wenn ein Joghurt die Herrschaft übernommen hätte? Wonach sehnt sich ein Putzroboter, der zum Leben erwacht ist? Und was haben Katzen mit der Rettung der Menschheit zu tun? In 18 teils rasanten Folgen führt Love, Death & Robots das Publikum durch Kurzgeschichten in andere mögliche Parallelen unserer Welt.
Zwischen fünf und 20 Minuten lang sind die einzelnen sogenannten ‚Shorts' –, die Produzenten David Fincher (u. a. Gone Girl) und Tim Miller (u. a. Regie bei Deadpool) lehnen den Begriff Episode ab. Sie wollen mit dem Konzept der herkömmlichen Serien brechen und lieber mit kurzen, animierten Erzählungen einen Einblick in denkwürdige Schicksale geben – statt in 40 Minuten eine komplette Geschichte schildern zu müssen. Vorbild ist der Zeichentrickfilm Heavy Metal, welcher sich schon in den 1980er-Jahren mit Science-Fiction und Fantasy-Abenteuer an Erwachsene richtete. Love, Death & Robots reflektiert Themen wie Gewalt, Nacktheit und Fragen der eigenen Existenz. Die Shorts erhielten bei Netflix insgesamt vier verschiedene mögliche Reihungen, es gibt somit keine allgemeine ‚erste‘ oder ‚letzte‘ Folge. Nach eigener Aussage wollen die Betreiber der Streaming-Plattform ausprobieren, wie verschiedene Reihenfolgen ankommen. Bisher gibt es jedoch keine Auskunft darüber, inwieweit dies die Rezeption der Serie verändert oder ob die Reihung der Shorts anderen Kriterien folgt. Alle Folgen der Serie sind animiert, nur in Eiszeit wurden echte Schauspielerinnen und Schauspieler außerhalb des Motion Capturings eingesetzt. An der Produktion waren insgesamt 15 verschiedene Animationsstudios beteiligt, was jeder Folge Einzigartigkeit verleiht. Gleichzeitig erschwert es jedoch die Bedingungen, eine allgemeingültige Aussage über unter anderem Handlung, Dramaturgie, Schnitt oder Montage zu treffen.
Jeder Short kennzeichnet sich durch einen raschen Einstieg in die Welt bzw. Geschichte, Exposition ist kaum vorhanden. Die Erzählung nimmt ihren Lauf und wirft mit ihrem Cliffhänger meist mehr Fragen auf als sie beantwortet. Hierin zeigt sich die Stärke der Serie: Sie erzählt vieles mit dem, was sie nicht explizit macht.
Im Short Zima Blue zum Beispiel erzählt der Künstler Zima von seinem Leben. Statt zu erzählen, dass er von Kindesbeinen an Kunst interessiert war, beschreibt er sein einzigartiges Schicksal. Er begann als einfacher Saugroboter in einem Pool. Seine handwerklich versierte Besitzerin hatte es sich allerdings zur Aufgabe gemacht, ihm immer spezifischere Fähigkeiten zu verleihen. Zum Putzen kommen das Ausmalen des Pools und danach das Verrichten der meisten Arbeiten rund um das Haus. Künstliche Intelligenz gibt ihm später die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann etwas repariert, gestrichen oder geputzt werden muss. Zima beginnt, sich eine menschliche Form zuzulegen und seine Herkunft zu verschleiern. Während seiner Karriere bemalt er immer wieder Objekte und sogar Planeten mit Zima Blue, jenes Blau, das den Pool seiner ehemaligen Besitzerin ziert. Er sehnt sich danach und beschließt, vom Künstlerdasein zurückzutreten und wieder ein einfacher Putzroboter zu sein. Am Ende stellt sich die Frage: War Zima nun ein Mensch? Wo beginnt das Menschsein, wo endet es? Wenn diese Zukunft real werden würde, wären Androiden dann Menschen? Diese und andere existentielle und Was-wäre-wenn-Fragen zeichnen die Serie aus und fordern die Zuschauenden gleichzeitig darin, sich auf derartige Gedankenspiele einzulassen bzw. einlassen zu können.
Doch auch ohne den Willen zur Kontemplation ist Love, Death & Robots gute Unterhaltung, allein das handwerkliche Geschick hinter den Animationen ist beachtenswert und gewinnt durch Reflexion über aufgeworfene existenzielle Fragen weiter an Tiefe.
Trotz zahlreicher Kontraste und erzählerischer Unterschiedlichkeit verweisen die Shorts mit dystopischer Erzählmanier immer wieder auf gesellschaftliche und politische Probleme. So wandern die Androiden in Drei Roboter in einem verlassenen Gebiet umher und fragen sich, was so katastrophal gewesen war, dass Menschheit ausgestorben ist. Gegen Ende dieser Folge wird klar: Es ist der Klimawandel. Gute Jagdgründe erzählt hingegen die Geschichte von japanischen Sagengestalten, die durch die Industrialisierung immer weiter zurückgedrängt werden. Wie so oft wird in dieser Legende Wachstum, Gier und Fortschritt kritisch betrachtet. Alternative Zeitachsen stellt dazu eine moralische Frage: Was wäre, wenn Hitler gestorben wäre? Die ‚Lehre‘ ist trotz nicht allzu ernsthafter Präsentation ernüchternd: Irgendetwas oder irgendjemand hätte etwas ähnlich Schreckliches getan. Der Verweis auf moralisch relevante Fragen erfolgt bei solchen Beispielen direkter als bei manch anderen. Dennoch – und das ist auch dem Format geschuldet – wird nicht immer ganz deutlich, ob überhaupt eine bestimmte Schlussfolgerung bzw. Interpretationsweise forciert werden sollte.
Love, Death & Robots richtet sich an all diejenigen, die sich in Zukunftsvisionen hineindenken möchten und dem Format filmischer Kurzgeschichten mit kreativen Animationsumsetzungen einiges abgewinnen können. Dass die Serie in ihrer Gesamtheit nichts für sensible Gemüter darstellt, verrät bereits die Altersfreigabe ab 18 Jahren. Gewalt wird in den comicähnlichen Animationen explizit
dargestellt, an digitalem Blut wird nicht gespart!
Dank der Unabhängigkeit der einzelnen Shorts besteht allerdings auch die Möglichkeit, Folgen wie Zima Blue zu wählen, die ohne Gewalt auskommen. Diese Shorts könnten in den entsprechend geeigneten Altersstufen eingesetzt werden, um im Unterricht oder Seminar Denkansätze zu bestimmten Themen wie Transhumanismus bereitzustellen. Zugleich können sie als Vorlage für den Entstehungsprozess und die Machart von Filmen herangezogen werden: Sei es zur filmerischen oder erzählerischen Umsetzung von Kurzgeschichten, als Vorlage für mögliche Darstellungsformen von Animation oder Funktionsprinzipien dystopischer Visionen.
Love, Death & Robots erfüllt die Vision der Produzenten, die Konventionen herkömmlicher Serien zu brechen, hervorragend. Auch wenn sich nicht jede bzw. jeder in allen Kurzgeschichten wiederfinden wird, punktet die Serie mit ihrer einzigartigen Kombination von Kurzgeschichte und Animationsstilen, was sie als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen kann. Love, Death & Robots eignet sich insbesondere für pädagogische und wissenschaftliche Fachkräfte mit Schwerpunkt Film, Animation und Narration, aber auch für Studierende und Interessierte im Bereich Digitalisierung, die aus erzählerischen Impulsen und kritischen Denkanstößen in Form von Bewegtbild schöpfen wollen.
Monika Himmelsbach war Praktikantin bei merz I medien + erziehung. Sie studiert Theater- und Medienwissenschaft sowie Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Marvin Fendt: Von Videospielen und Cloud-Gaming. gamescom 2019
Jede Menge Spiel und Spaß für die Massen bietet die gamescom seit mehreren Jahren. Bereits zum elften Mal konnten sich Interessierte auf den Weg nach Köln zur weltweit größten Spielemesse machen, um Neuigkeiten rund um Videospiele, Nerdkultur und Hardware zu erhalten. Die Messe zeigte erneut, dass Spiele und Spielekultur längst in der breiten Masse angekommen sowie akzeptiert sind, was bereits auf der Eröffnungsveranstaltung deutlich wurde: Mehrere Politikerinnen und Politiker waren präsent – unter anderem Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, der die Innovationskraft der Branche betonte.
Spieleankündigungen
Eine vielfältige Mischung aktueller Spiele konnte ausprobiert werden – aufgrund des Ausbleibens größerer Neuankündigungen wurde allerdings auch Kritik laut. Gezockt werden konnte natürlich dennoch, beispielsweise das kommende Remake des Rollenspiel-Klassikers Final Fantasy VII. Beim nächsten Teil der Autorennspielserie Need for Speed: Heat konnten Straßen im Geschwindigkeitsrausch unsicher gemacht werden. Das Rollenspiel Watch Dogs: Legion, in dem die Rolle eines Hackers übernommen wird, zeigt sich ungewohnt politisch und spielt in einer diktatorisch regierten Post-Brexit-Stadt. In Planet Zoo kann eine grafisch beeindruckende Landschaft aufgebaut und verwaltet werden. Ebenso wurde das in Entwicklung befindliche Action-Adventure Death Stranding von Entwickler Hideo Kojima, der unter anderem für die Metal Gear Solid-Reihe verantwortlich ist, vorgezeigt. Minecraft hat sich mit einem neuen Update präsentiert, welches mit der neuen Raytracing-Technologie für Nividia-Grafikkarten eine akkuratere Lichtberechnung in dem bereits in die Jahre gekommenen Spiel ermöglicht. Auch unter den bereits erwarteten und allgemein bekannten Spielen waren einige Highlights zu finden: Im textbasierten Role-Playing Game-Adventure (RPG) Through the Darkest of Times können Spielende die dunkle Vergangenheit Deutschlands von 1933 bis 1945 – beginnend mit der Machtergreifung Hitlers – nachspielen und versuchen, eine Untergrundbewegung gegen das aufstrebende Nazi-Regime zu mobilisieren.
Wie schon im vergangenen Jahr bot die gamescom genügend Raum für einige Indie-Projekte in unterschiedlichsten Entwicklungsstadien. Einige dieser Entwicklerinnen und Entwickler waren mitunter so klein, dass sich mehrere Studios, gruppiert nach ihrem Herkunftsland, Entwürfe und Ideen vorzeigten, um mehr Reichweite zu erlangen. Die Bandbreite erstreckte sich von teils stark von anderen Spielen inspirierten Konzepten bis hin zu sehr vielversprechenden neuen Ideen, wie in dem Spiel VR Giants. Hierin kontrolliert eine Person mithilfe einer VR-Brille einen Riesen, welcher einem Mitspielenden in Gestalt eines Zwerges durch die Level hilft. Da erst kommendes Jahr eine neue Konsolengeneration erwartet wird mit mehr Ressourcen und Möglichkeiten für neue und aufwändigere Spiele, waren insgesamt weniger große Ankündigungen vertreten als üblich. Die angespielten Titel machten aber dennoch Lust auf mehr!
Cloud-Gaming im Trend
Der große Technik-Trend der Messe zeichnete sich im Cloud-Gaming ab. Hier wird ein Spiel nicht mehr am lokalen Endgerät, sondern von einem Server berechnet, der nur noch einen Videostream an das Gerät sendet. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die vor kurzem vorgestellte Spiele-Streaming-Plattform Stadia von Google, die sich durch eine besonders niedrige Latenz auszeichnen soll. Da die Spiele auf speziellen Servern berechnet werden, fällt beim Streaming die Leistungsgrenze herkömmlicher PCs weg, wodurch es möglich sein soll, ein Spiel mit nahezu fotorealistischer Grafik auf einem Smartphone zu spielen. Hiervon soll unter anderem der kommende, zeitlich für Stadia exklusiv verfügbare Titel Orcs Must Die! 3 stark profitieren, in dem hunderte Gegnerinnen und Gegner gleichzeitig dargestellt werden.
Retro-Gaming, CosPlay, Kontroversen
Seit mehreren Jahren gibt es auf der Spielemesse eine Dauerausstellung rund um Retro-Games zu bewundern. Dort konnten alle Interessierten wieder an alten Konsolen wie dem Atari 2600 in Nostalgie schwelgen, an Arcade-Automaten die Finger wund spielen oder Erinnerungen an eine der ersten VR-Spielekonsolen, den VirtualBoy von Nintendo, auffrischen. Da diese VR-Konsole keinerlei Bewegungserkennung integriert hatte, war das Spielen daran allerdings – dank schnell auftretender Übelkeit – häufig ein eher kurzes Vergnügen.
Ebenfalls seit mehreren Jahren können im CosPlay Village Cosplayerinnen und -player bewundert werden, wie sie ihre Lieblingscharaktere aus Spielen, Mangas, Filmen oder ähnlichen in kunstvollen Kostümen und mitunter mit bemerkenswertem schauspielerischem Talent nachstellen.
Wie bereits die Bundeswehr auf der letztjährigen re:publica, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen durchaus umstrittenen Auftritt zu verzeichnen, dessen Messeplatz durchzogen war mit standfüllenden Deutschlandfahnen, in die sich Salafistinnen und Salafisten, Neo-Nazis und Antifa einbrannten. Trotz Kontroverse im Vorfeld blieb der Stand eher zurückhaltend besucht. Besuchende, die aufgrund des Standdesigns mit spielerischen Highlights doch neugierig geworden waren, wurden allerdings enttäuscht: In der VR-Demo konnte – auf grafischer wie inhaltlicher Ebene unelegant gelöst – lediglich die Wohnung eines Salafisten anhand einfacher Kommandos durchsucht und Indizien für dessen Radikalisierung gefunden werden.
Deutlich beliebter war der Stand der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), bei dem die Besucherinnen und Besucher ihr Wissen rund um Spiele oder mediale Aufklärung testen konnten.
gamescom – bekannt und gut
Die Messe ist seit über einem Jahrzehnt fester Bestandteil der Spieleszene. Das verdeutlichen auch die stetig neuen Besucherrekorde und die stetig neuartigen Angebote – auch abseits des Gamings. Wer im kommenden Jahr mit in diese Welt eintauchen möchte, kann sich den 26. bis 29. August 2020 bereits vormerken.
Marvin Fendt ist Werkstudent im Medienzentrum München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Er studiert Soziale Arbeit an der Hochschule München.
Kira Thiel: von Neumann-Cosel, Maxie/Yxalag (2019). Miloš und die verzauberte Klarinette. Hörspiel, Yxalag/German- Pops Media. 58 Min., 12,00 €.
Als der neunjährige Elias an diesem Tag von der Schule nach Hause kommt, hat er richtig schlechte Laune. Grußlos stapft er an Opa Miloš vorbei und verbarrikadiert sich in seinem Kinderzimmer. Es ist aber auch wirklich zu blöd! Sein bester Freund und dessen Familie sollen zurück in ihr Heimatdorf im Kosovo – und das obwohl Luca doch schon seit Ewigkeiten in Deutschland lebt. Um seinen Enkel aufzuheitern, überreicht Opa Miloš ihm ein schwarzes Instrument mit vielen kleinen, silbernen Knöpfen: eine Klarinette. Die gehörte vor langer Zeit einem jungen Prinzen namens Miloš – das behauptet zumindest der gleichnamige Großvater. Und nicht nur das. Neben seiner royalen Herkunft zeichne sich das Holzblasinstrument auch noch durch seine magischen Kräfte aus. So habe die Zauber-Klarinette Prinz Miloš auf der Flucht vor einem bösen König nicht nur vor gefährlichen Tieren und einer Horde wilder Räuber beschützt, sondern ihn schließlich sogar zu seiner großen Liebe geführt. Dass das Märchen von Prinz Miloš auffällige Parallelen zum Leben seines Lieblingsopas aufweist, wird Elias erst klar, als sein Vater ihn über dessen Vergangenheit aufklärt: Opa Miloš ist vor vielen Jahren aus einem kleinen Dorf im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen – seine geliebte Klarinette im Gepäck.
Die märchenhafte Parabel vom Prinzen und seiner verzauberten Klarinette dürfte vor allem junge Hörspiel-Fans im Alter von sechs bis zehn Jahren begeistern. Kindgerecht illustriert sie, was Menschen dazu bewegt, ihre Heimat zu verlassen und wie es sich anfühlt, in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Dabei porträtiert das Musik-Hörspiel zwei entgegengesetzte migrantische Schicksale. So sind Luca und seine Familie gezwungen, ihre Wahlheimat zu verlassen und an einen Ort zurückzukehren, der für sie schon lange kein Zuhause mehr ist. Opa Miloš hingegen ist nach der Flucht nie wirklich angekommen und vermisst seine osteuropäische Heimat auch Jahrzehnte später noch schmerzlich. Diese beiden konträren Perspektiven verdeutlichen, dass Heimat subjektiv sehr unterschiedlich erlebt werden kann. Während der Begriff für die einen vor allem territoriale Aspekte wie das Herkunftsland, die Nationalität und kulturelle Eigenheiten umfasst, bedeutet er für die anderen ein ortsungebundenes Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit.
Neben der Frage, was Heimat eigentlich ausmacht, stellt das Abschiednehmen ein zentrales Motiv innerhalb der Geschichte dar. Einfühlsam behandelt das Hörspiel damit einen in Kindermedien vernachlässigten Themenbereich. So sieht sich Elias nicht nur mit dem nahenden Abschied seines besten Freundes konfrontiert. Auch sein alter, kranker Opa, das ahnt er, wird nicht für immer bei ihm bleiben. Umso schöner ist es, dass er mit der Klarinette nun ein Andenken an seine wichtigste Bezugsperson besitzt.
Generell wirkt das Hörspiel trotz der nicht ganz leichten Kost nie bedrückend oder beängstigend. Sein positiv-hoffnungsvoller Charakter ist nicht zuletzt auf die unaufgeregte, eher implizite Sprache zurückzuführen, in welcher der Text gehalten ist. Zudem ist Autorin Maxie von Neumann-Cosel offenkundig darum bemüht, den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern in der Kürze der Handlung ein zufriedenstellendes Happy End zu bieten. Was gut gemeint ist, will angesichts der Komplexität der behandelten Thematik allerdings nicht so recht gelingen. Die Vorstellung, dass er seinen Freund in den nächsten Ferien im Kosovo besuchen wird, der Abschied also nicht für immer ist, mag aus Sicht von Elias tröstlich sein. Lucas Perspektive – was die Abschiebung für die Familie bedeutet und wie es fernab der Heimat für sie weitergeht – wird durch diese einseitige Fokussierung allerdings gänzlich außer Acht gelassen. Hierdurch wirkt das Ende der Geschichte bedauerlicherweise etwas unvermittelt und eindimensional.
Nichtsdestotrotz ermöglicht das Hörspiel Kindern im Grundschulalter eine altersgerechte Annäherung an die Themen Heimat, Zuwanderung und Flucht. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen kann die Geschichte Eltern und Großeltern Anknüpfungspunkte für weiterführende Gespräche zur Flüchtlingsthematik bieten. Auch in der (medien-)pädagogischen Arbeit ist der Einsatz des Hörspiels denkbar. Vor allem in multikulturellen Kontexten kann es einen wertvollen Perspektivwechsel ermöglichen und auf diese Weise das Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Lebenssituation von Menschen aus anderen Kulturkreisen fördern.
Musikalisch untermalt wird die Geschichte von abwechslungsreichen Klängen im Klezmer-Stil. Die jüdische Volksmusiktradition kombiniert melancholische Moll- mit fröhlichen, tanzbaren Dur-Melodien und erschafft auf diese Weise einen einzigartig stimmungsvollen Sound. Die deutsche Klezmer-Band Yxalag, die in ihren Stücken passenderweise Einflüsse aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenführt, unterstreicht durch den Wechsel von schwermütigen und beschwingten Klängen die innere Zerrissenheit vieler Migrantinnen und Migranten: Ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Ferne stehen Ungewissheit und Abschiedsschmerz gegenüber. Unabhängig von der beschriebenen Metaphorik und Symbolik, die die junge Zielgruppe ohne eine elterliche bzw. (medien-)pädagogische Begleitung ohnehin kaum durchschauen dürfte, ist Miloš und die verzauberte Klarinette vor allem eines: die rührende Geschichte einer ganz besonderen Opa-Enkel-Beziehung mit einer schwungvollen musikalischen Begleitung.
Miloš und die verzauberte Klarinette wurde vom Verband deutscher Musikschulen für den Medienpreis LEOPOLD – Gute Musik fürKinder 2019/2020 nominiert und steht dementsprechend auf der Hörmedien-Empfehlungsliste des Verbandes. Preisgekrönt ist zudem Synchronsprecher Jonas Nay, der 2016 bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Die Geschichte ist auf CD erhältlich und hat eine Gesamtlaufzeit von 58 Minuten. Alternativ kann sie über die Streamingplattformen Spotify, Deezer und Google Play Music abgerufen werden. Einen Anreiz für den Kauf der CD stellt das beiliegende illustrierte Booklet dar, welches die serbische Künstlerin Andja Stanković fantasievoll gestaltet hat.
Kira Thiel war Volontärin bei merz | medien + erziehung und kopaed. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI).
Kira Thiel: #werbung
Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (2019). Influencer-Werkstatt. Interaktive Lernbausteine. https://apps.medienberatung.online/influencer, kostenfrei.
Auf ihren Social Media-Kanälen präsentieren sie sich im Fitnessstudio, beim Essen oder Schminken, mit den neuesten Sneakers, einem Kaffeebecher in der Hand oder im Flugzeug auf dem Weg in den Traumurlaub: Influencerinnen und Influencer. Zu den Fans der Internet-Stars zählen mehrheitlich Kinder und Jugendliche, die BibisBeautyPalace und Co. als Stars zum Anfassen erleben. Diese wahrgenommene Authentizität machen sich immer mehr Werbetreibende zunutze: Im Rahmen des sogenannten Influencer-Marketings (siehe stichwort in dieser Ausgabe, S. 4) binden sie Influencerinnen und Influencer gezielt in ihre Kampagnen ein, um die junge Zielgruppe mit ihren Werbebotschaften zu erreichen. Dabei integrieren die Internet-Testimonials die Produkte oft so geschickt in ihren Feed, dass es schwierig ist, entsprechende Inhalte als Werbung zu erkennen – insbesondere wenn eine eindeutige Kennzeichnung fehlt.
Vor diesem Hintergrund hat das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung in Zusammenarbeit mit der AMMMa AG die Influencer-Werkstatt erstellt, eine Lernplattform zum Thema „Influencerinnen, Influencer und Werbung“. Die digitalen Unterrichtsmaterialien ermöglichen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen I und II, ihren Internet-Idolen auf den Zahn zu fühlen. In sechs interaktiven Lernbausteinen, die jeweils mehrere Aufgaben umfassen, wird das Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: von einer ausführlichen Begriffsdefinition über die Betrachtung der wichtigsten Social Media-Plattformen und Marketingstrategien bis hin zu einer beispielhaften YouTube-Videoanalyse. Doch nicht nur die Meinungsmacherinnen und -macher stehen auf dem Prüfstand. Auch eine kritische Reflektion des eigenen Online- und Konsumverhaltens wird durch eine Selbsteinschätzung angeregt. Neben den sechs Basis-Bausteinen bietet die Website außerdem zwei praxisorientierte Module, die sich der selbstständigen und vergleichenden Filmanalyse sowie der Produktion eines eigenen Videos im Influencerinnen- bzw. Influencer-Stil widmen.
Der Aufbau der Lernplattform ist übersichtlich und verständlich. Die enthaltenen Arbeitsaufträge sind didaktisch bunt gemischt. Je nach Themenschwerpunkt sollen von den Schülerinnen und Schülern unter anderem Schaubilder und Steckbriefe erstellt und Texte sowie Praxisbeispiele in Form von Fotos und Videos analysiert werden. Letztere entstammen mehrheitlich den Plattformen YouTube und Instagram, die – wie die Leserinnen und Leser erfahren – im Influencerinnen- und Influencer-Business die größte Rolle spielen. Die Arbeitsaufträge sind dabei stets präzise formuliert. Sollten dennoch Verständnisschwierigkeiten auftreten, wird die Aufgabenstellung über verlinkte Schlüsselwörter noch einmal spezifiziert. Ebenso benutzerfreundlich ist die Bedienung der Plattform. Die Website kann ohne vorherige Anmeldung über jeden modernen Browser aufgerufen werden. Bei der Nutzung über ein mobiles Endgerät sollte für die Texteingabe allerdings eine externe Tastatur verwendet werden, da die virtuelle Tastatur am Tablet oder Smartphone einen großen Teil des Bildschirms verdeckt und somit die Bearbeitung erschwert. Ansonsten ist die Handhabung grundsätzlich selbsterklärend. Für den Fall, dass doch einmal technische Fragen auftreten sollten, gibt es im „Hilfe“-Bereich der Website ausführliche Erklärungen zur Nutzung der einzelnen Tools, die teilweise eigens für die Influencer-Werkstatt entwickelt wurden. Für die Videoanalysen beispielsweise steht den Schülerinnen und Schülern ein Auswertungswerkzeug zur Verfügung, mithilfe dessen Bildschirmfotos in ein Schaubild integriert werden können. Auf der virtuellen Arbeitsfläche sind zudem erklärende Elemente wie Textfelder, Pfeile und andere Symbole verfügbar, die einfach per Mausklick hinzugefügt und im Anschluss beliebig platziert werden können. Alternativ kann im Analyse-Modul das externe Tool Lichtblick verwendet werden. Praktischerweise besteht bereits eine Verknüpfung mit besagtem Programm, sodass ein Klick auf die verfügbaren Videos genügt, um den gewünschten Clip in diesem zu öffnen.
In einigen Modulen finden sich zudem aufklappbare Materialien-Texte, die grundlegende Informationen zur Bearbeitung des jeweiligen Themenschwerpunkts liefern. Bei der Zusammenstellung der Informationen wurde auf eine übersichtliche Textmenge geachtet. An manchen Stellen entsteht durch diese schülerfreundliche Komprimierung allerdings der Eindruck, dass komplexe Themen wie Schleichwerbung und Influencer-Marketing etwas zu oberflächlich behandelt werden. Hier wären weiterführende Informationen und Begriffsklärungen, beispielsweise in Form einer Linksammlung, wünschenswert.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die inhaltliche Zusammensetzung einzelner Bausteine. So folgt auf die Beantwortung der Frage „Was ist ein Influencer?“ im gleichnamigen Modul unvermittelt die Auseinandersetzung mit Schleichwerbung, ohne im Vorfeld den Aspekt der Werbung thematisiert zu haben.
Nichtsdestotrotz stellt das Webangebot eine gute Möglichkeit dar, das komplexe Thema „Influencerinnen, Influencer und Werbung“ im Unterricht aufzugreifen und multiperspektivisch zu bearbeiten. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik werden die Schülerinnen und Schüler für persuasive Werbebotschaften im Netz sensibilisiert und ihre Medien- und Werbekompetenz gefördert. Zudem dürften sie sich über den Lebensweltbezug der Unterrichtseinheit freuen. Die Influencer-Werkstatt eignet sich insbesondere für den Einsatz in den Fächern Deutsch, Werte und Normen, Sozialkunde sowie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn sich die Plattform offiziell an alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II richtet, scheint eine Bearbeitung vor allem in der Unter- und Mittelstufe lohnenswert. Doch nicht nur Lehrkräfte können das umfangreiche Webangebot nutzen. Einige Lehrbausteine sind auch für (medien-)pädagogische Fachkräfte von Interesse. So kann unter anderem das Modul „Produktionsplanung“, das auf die Konzeption und Umsetzung eines eigenen Influencerinnen- bzw. Influencer-Videos abzielt, auch in der außerschulischen Jugendarbeit eingesetzt werden. Während einige Bausteine klassisch didaktische Aufgabentypen umfassen und entsprechend stark auf den Einsatz im Unterricht ausgerichtet sind, ermöglicht das beschriebene Praxismodul eine gemeinschaftliche kreative Auseinandersetzung mit den Social Media-Stars – auch fernab der Schule.
Sonja Berger: Die Eroberung unbekannten Terrains in einer nicht mehr so neuen Welt
Hasso-Plattner-Institut (2019). Neuland. Podcast, abrufbar unter www.hpi.de/medien/podcast sowie iTunes und Spotify, kostenfrei.
Dass das Internet kein echtes „Neuland“ mehr ist, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen begriffen, obwohl sie 2013 bekanntlich noch von einem eben solchen gesprochen hat. Ganz Unrecht hat sie hingegen nicht, wenn gemeint ist, dass einige Gebiete dieses Neulands noch nicht bis ins letzte Detail erforscht sind. Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) widmet sich diesen leeren Stellen auf der Landkarte des Internets in einem Podcast. Wissbegierige finden hier Interviews mit Expertinnen und Experten des Instituts, die sich schon seit vielen Jahren mit Big Data und verwandten Themen beschäftigen.
Seit Anfang des Jahres erscheint alle zwei Wochen der Wissenspodcast Neuland, der über die zugehörige Website und über gängige Podcast-Streaming-Anbieter wie iTunes oder Spotify gehört werden kann. Neuland verfolgt ein hoch gestecktes Ziel: Aufklärung über Chancen und Risiken der Digitalisierung, verständlich und auf den Punkt gebracht.
Die Podcast-Folgen variieren in ihrer Länge zwischen 25 und gut 30 Minuten. Zu hören sind Interviews, geführt von Leon Stebe, der sonst dem Nachrichtensender Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) seine Stimme leiht. Er spricht mit Lehrstuhlinhabern des HPI, das gemeinsam mit der Universität Potsdam die Fakultät für Digital Engineering gegründet hat.
In den ersten vier Folgen spricht Stebe mit Führungskräften des HPI – über Digitale Welten, Big Data, Digital Health und Blockchain.
Dass unter den Gesprächsteilnehmenden nur sehr wenige Frauen sind, verwundert nicht in Anbetracht des hauptsächlich aus männlichen Vertretern bestehenden Führungskaders.1
Abgesehen von der Gender-Problematik, die bekanntlich unter Institutionen der Informationstechnologie auch viele andere betrifft, besteht Aufklärungsbedarf der Öffentlichkeit in puncto Aufklärung und Sensibilisierung im Internet. Die erste halbstündige Podcast-Folge mit Christoph Meinel, Geschäftsführer und Direktor des HPI, leuchtet die dunklen Bereiche des Neulands aus und liefert eine Brainstorm-artige Übersicht: Virtuelle Realität, IT-Sicherheit, Funktionsweise von technischen Systemen, Selbstbestimmung, Fake News, Datenschutz.
Die zweite Folge dreht sich um Datenschutz. Moderator Stebe befragt Felix Naumann, Professor für Informationssysteme, zum Berufsbild eines Data Scientists. Naumann erklärt hierbei, was zum Beruf des Data Scientist gehört, wie man diesen Beruf ergreifen kann und wie er sich von anderen Berufsbezeichnungen abgrenzt. Dabei problematisiert er eindringlich, warum die Sensibilität für den Schutz der eigenen privaten Daten in der Gesellschaft im Vergleich zu jener der 1970er-Jahre so stark abgenommen hat und warum anonymisierte Daten nicht zwangsläufig auch anonym sind.
Eine Vision davon, was vielleicht in Zukunft mit unseren Gesundheitsdaten möglich ist, teilt uns Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Center, in der dritten Folge mit. Statt tagelang auf Laborergebnisse zu warten, könnten Patientinnen und Patienten ihre Blutwerte mithilfe digitaler Mini Labore, die sie bei sich tragen, selbst messen und im Falle von Beschwerden die Anamnese mit Hilfe einer Software veranlassen. Digitale Innovation zur Prävention von Krankheiten nutzen – statt Dauerüberwachung – ist seine Devise.
Auf so manch komplexen Fachbegriff stoßen die Zuhörerinnen und Zuhörer beim Thema Blockchain in der Episode zu IT-Sicherheit. Bei Themen wie Hash-Funktion, Public Key und Konsensalgorithmen sollte – wer Christoph Meinel hier folgen können möchte – schon ein wenig Vorwissen mitbringen. Meinel bemüht sich jedoch sehr, die Konzepte anschaulich mit Beispielen zu unterfüttern. Zuhörerinnen und Zuhörer, die allerdings keinerlei Bezüge zum Programmieren, zu Kryptowährungen oder zumindest zu Buchhaltungssystemen besitzen, sind an manchen Stellen vermutlich überfordert. Co-Direktorin Claudia Nicolai und Programmmanager Holger Rhinow der School of Design Thinking stellen das Konzept des Design Thinking vor, eine Methode, wie Teams in Unternehmen effektiv an Problemlösungen – auch im Bereich der Digitalisierung – arbeiten können. Diese Episode bietet einen spannenden Einblick in das, was Führungskräfte in den Design Thinking Workshops des HPI erwartet: analoge Räume, Perspektivenwechsel und spielerisches Kennenlernen auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Die weiteren Folgen beschäftigen sich unter anderem mit Hass im Netz, Algorithmen, Wearables und dem Wert unserer Daten.
Der Podcast wirkt professionell. Er überzeugt nicht nur mit eigener Website im einheitlichen Look, sondern auch mit exzellenter Tonqualität. Inhaltlich ist er um Kompaktheit bemüht, was dank des Experteninterview-Formats auch gelingt. Stebe folgt dem Prinzip eines kurzen Einstiegs, um zügig mit den Expertinnen und Experten ins Thema einzusteigen. Andere Podcasts, wie der 45- bis 60-minütige Podcast zu Digital kompakt oder Wege der Digitalisierung, tauchen dagegen tiefer in die Materie ein. Dort wird weiter ausgeholt und die Sprecherinnen und Sprecher befinden sich in einer entspannten Atmosphäre auf Augenhöhe, wie es eher für Unterhaltungspodcasts üblich ist.
Alles in allem ist Neuland deshalb für eine Zielgruppe interessant, die mehr Wert auf Wissenszuwachs als auf Unterhaltung legt und zugleich über ein gewisses Maß an Vorwissen im IT-, Management- und Finanzbereich verfügt, um bei abstrakteren Konzepten nicht auszusteigen. Zu empfehlen ist der Podcast für pädagogische Fachkräfte der Medienbildung, die auf ihre Vorkenntnisse aufbauen und sich einen Überblick über die komplexeren Bereiche der Digitalisierung verschaffen möchten.
André Golling: Das Spiele-Universum für Jugendliche
David Bazucki/ROBLOX Corporation (Hrsg.) (2019). www. roblox.com, aktualisierte, deutsche Version für PC, Mac, iOS, Android, Amazon-Geräte und Xbox One, kostenfrei.
Eine Plattform – 60 Millionen Spiele – 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. ROBLOX ist ein sogenanntes Sandbox-Game, eine Spieleplattform, auf der Userinnen und User ihre eigenen Mini-Spiele erstellen und mit anderen teilen können. Mit rund 15 Millionen Nutzenden stellt Europa, neben den USA, bislang den größten Markt dar. Seit kurzem existiert auch eine deutschsprachige Version der Spieleplattform, womit nun auch die Community-Betreuung auf Deutsch verfügbar ist. Zum Großteil der Userinnen und User zählen Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen. Bei den unter 13-Jährigen ist die Nutzung von ROBLOX bereits dreimal höher als bei YouTube.
Die hohe Beliebtheit der Plattform insbesondere unter Kindern und Jugendlichen ist offenbar auf die einfache Handhabung der einzelnen Tools und die Gestaltung der Anwendungen im LEGO-Stil zurückzuführen. Die Benutzung der kostenfreien Spieleplattform kann sowohl als App auf Smartphones und Tablets als auch auf dem Computer erfolgen. Nachdem ein kostenloser Account angelegt wurde, können Nutzende ihren Avatar nach Belieben im Look einer LEGO-Figur gestalten.
Alle auf dem Portal angebotenen Spiele und Inhalte sind uneingeschränkt sowie ohne Altersbeschränkung verfügbar. Selektiert wird lediglich nach zwei Alterskategorien: unter und über 13 Jahren, was jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Spieleauswahl hat.
Die Thematiken sind genauso vielfältig wie die Stile der Spiele: In Jump‘n‘Runs, Simulationen oder Rollenspielen können sich Nutzende als Superheldinnen und Superhelden, Dinosaurier oder Pizzaboten gegen andere behaupten – ganz unabhängig davon, ob nun gekämpft, gebacken oder ein Autorennen angetreten wird. Die Möglichkeiten, sich in ROBLOX auszuleben und zu verwirklichen, sind nahezu unbegrenzt. Inhalte und Materialien können per In-Game-Kauf mit der virtuellen Währung ROBUX erworben werden. Durch den Kauf haben die Spielenden die Möglichkeit, ihren Avatar durch andere Kleidung und Materialien aufzuwerten, oder Spielerweiterungen sowie VIP-Zugänge zu erwerben. Die Hinweise für das Bezahlen mit echtem Geld sind zwar klar ersichtlich, dennoch kann der Wettbewerbsdruck zum unreflektierten In-App-Kauf verleiten.
Auffallend ist, dass sich zahlreiche (Mini-)Spiele mit realen (arbeits-)alltäglichen Themen beschäftigen. So befasst sich beispielsweise das Spiel Arbeite in einer Pizzeria auf spielerische Weise mit Arbeitsabläufen getreu dem Motto ‚Wer erfolgreich sein will, muss viel arbeiten und Geld verdienen‘. Hier ist es Spielenden freigestellt, ob sie wirklich arbeiten oder zu Lasten des Arbeitsablaufs anderen Tätigkeiten nachgehen. Darüber hinaus sind Spielende voneinander abhängig, um bestimmte Level oder Entwicklungen zu erreichen.
Bei dem Spiel Adopt Me! tritt die Kommunikation mit fremden Userinnen und Usern als unverzichtbares Element in Erscheinung. Wie der Titel bereits verrät, werden Spielende in Familien aufgenommen. Mit diesem Spielprinzip sollen virtuelle Beziehungen zwischen den Spielenden aufgebaut werden. Die Angst, etwas zu verpassen oder bei bestimmten Aktivitäten nicht dabei zu sein, kann dazu verleiten, ständig online zu sein oder sein zu wollen. Solche und weitere Kritikpunkte vieler ROBLOX-Spiele vereint das kostenpflichtige In-Game Welcome to Bloxburg. In einem eigens geschaffenen Zuhause können die Avatare unter anderem kochen, essen und fernsehen. Interaktion und Kommunikation erfolgen wie bei vielen anderen Spielen der Plattform via Chat.
Auch Spiele mit gewalttätigem Inhalt sind auf dem Portal in großer Zahl vertreten. Das Spiel CounterBlox beispielsweise ist angelehnt an den bekannten Ego-Shooter CounterStrike, welcher dessen Brutalität durch die verpixelte LEGO-Optik verharmlost widergibt. Gewalt ist fester Bestandteil des Spiels. Dass hierbei keinerlei Altersprüfungen stattfinden und solche Games somit auch Kindern und Jugendlichen frei zugänglich sind, erscheint mehr als fragwürdig.
Im ROBLOX-Studio, dem zugehörigen Spiele-Editor, tauchen Spielende in eine virtuelle 3D-Welt ein, die sie größtenteils selbst erstellen und anschließend für alle Userinnen und User auf dem Portal teilen können. Der Kreativität und dem Spaß sind hier keine Grenzen gesetzt. Doch nicht nur solche Absichten werden verfolgt: Entwicklerinnen und Entwickler können hierbei Millionen verdienen, wenn ihre Spiele erfolgreich sind. Aufgrund dieses wirtschaftlichen Aspekts wird dieser Editior nicht nur von Newbees, sondern vor allem auch von Profis oder sogar Unternehmen genutzt, die vorwiegend Reichweiten unter den ROBLOX-Nutzenden erzielen wollen.
Bei den Anwendungen in ROBLOX stehen Unterhaltung und der schlichte Zeitvertreib im Mittelpunkt. Ein pädagogischer Nutzen kann bei zahlreichen Spielen (der Top 150) dennoch nicht erkannt werden. Bei Spielen wie Unboxing, Bee Swarm und einigen anderen handelt es sich um Anwendungen, die darauf abzielen, den eigenen Status durch bestimmte Tätigkeiten zu verbessern, um so limitierte Zugänge zu exklusiven Räumen, Welten oder Ausrüstungen zu erhalten. Kompetenzerweiterungen oder Lerneffekte bleiben meistens aus. Dennoch kann durch die Kommunikation, welche in vielen Spielen einen wesentlichen Bestandteil darstellt, die Teamfähigkeit gefördert werden.
Generell wird jedoch bei der Nutzung der Plattform keineswegs auf Zumutbarkeitsgrenzen der Spielenden geachtet, Altersbeschränkungen sind nicht vorhanden. Kinder und Jugendliche könnten somit unfreiwillig gewalttätigen oder obszönen Inhalten ausgesetzt sein – sei es direkt im Spiel oder im Chat. Zudem ist durch die Kommunikation und Interaktion nicht ausgeschlossen, dass Nutzende mit Fremden in Kontakt treten, die andere Absichten pflegen als Spiele zu testen. Dennoch oder gerade aus diesen Gründen wird der Sicherheit der einzelnen Userinnen und User in dem Portal ein großer Stellenwert zugeschrieben: Auf der Website der Plattform sind ein spezieller Ratgeber für Eltern sowie ein Themenbereich zu Sicherheit und Vertrauen angelegt. Seit dem Ausbau des Netzwerks nach Deutschland arbeiten die Entwickelnden zudem eng mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) zusammen. Spiele mit ungeeigneten Inhalten werden sofort von der Plattform gelöscht und die jeweiligen Spieleentwicklerinnen und -entwickler zur Rechenschaft gezogen. Auch werden Moderierende eingesetzt, die gegen inkorrektes Verhalten in jeglicher Form auf dem Portal vorgehen. Die Anwendung eignet sich unter anderem für Jugendliche und Fachkräfte in Bereichen der aktiven Medienarbeit, Jugendarbeit oder auch für Lehrkräfte mit Bezug zu Gaming. Aufgrund der vielen verschiedenen In-Games und Interaktionen mit Dritten sind Spaß und Spannung zwar garantiert, jedoch ist von einer unbedachten Nutzung ohne Hintergrundwissen zu Motiven, Zielstellungen und Struktur der Plattform abzuraten.
Dana Neuleitner: Le Floid vs. The World
Orlowsky, Janosch/Studio 71 (2018). Le Floid vs.The World. YouTube Originals Serie. 8 Folgen, jeweils etwa 22 Minuten. FSK 6 bis 12.
„Travel the world, understand the world, change the world“ – das ist das Motto der Serie LeFloid vs. The World, die für den Grimme-Preis 2019 in der Kategorie Kinder und Jugend nominiert war. Die achtteilige Dokumentarserie rund um einen der bekanntesten deutschen YouTuber nimmt die Zuschauenden mit auf eine Reise rund um den Globus, auf der verschiedene gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden. Dabei will er aktuelle Fragen der jungen Generation klären. Welchen Einfluss haben Dating-Apps auf Liebe? Gibt es höhere Mächte? Welche Auswirkungen hat technischer Fortschritt? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, setzt sich Florian Diedrich, wie LeFloid mit bürgerlichem Namen heißt, mit einer Vielzahl an Bereichen auseinander: Angefangen bei Selbstwahrnehmung und Schönheit werden unter anderem die Bereiche Arbeit, Sport und Glaube in jeweils 22 Minuten genauer unter die Lupe genommen. Also Themen, mit denen LeFloid, der über drei Millionen Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube hat, sein junges Publikum zielgruppengerecht erreichen kann.
Bereits in der ersten Folge spricht er ein Thema an, das vor allem – aber nicht nur – für junge Menschen in der Selbstfindungsphase von hoher Wichtigkeit ist: Wie nehmen wir uns selbst (und andere) wahr? Dafür spricht er mit Supermodel Toni Garrn über die Wirkung von Instagram und ist bei einer Schönheitsoperation an einer jungen Frau dabei. Welche Auswirkungen es haben kann, wenn man den Bezug zu sich selbst verliert, wird anhand des Beispiels Südkorea deutlich. Die Selbstmordrate liegt dort bei etwa 15.000 Personen im Jahr – die höchste der Welt.
LeFloid zeigt in einem Interview mit Kim-Ki Ho, wie man dem mit einem außergewöhnlichen Gegenmittel vorbeugen könnte: Inszenierte Beerdigungen sollen den Menschen helfen, sich an den Wert des Lebens zu erinnern. Auch LeFloid wagt den Versuch, lässt sich wohlgemerkt nur zusammen mit seinem Markenzeichen, dem Cap, ‚beerdigen‘. Im Dunkeln brauchte er sich dann aber wenigstens keine Gedanken darüber machen, wie ihn die Welt wahrnimmt.
Anders sieht es bei den etwa 95 Millionen Fotos und Videos aus, die täglich auf Instagram hochgeladen werden. Oder den 500 Millionen Tweets auf Twitter im selben Zeitraum. Wie man sich der Welt präsentiert, spielt im Zeitalter der sozialen Medien nämlich eine große Rolle. Das geht für manche sogar so weit, dass sie sich Schönheitsoperationen unterziehen, um auch im echten Leben dem Selfie-Blickwinkel zu entsprechen. „Man schaut immer hoch, neigt leicht seinen Kopf und man sieht fröhlich aus“, erklärt Schönheitschirurg Oh Myungjun, bevor er LeFloid mit in den OP nimmt, wo er seiner Patientin Fett aus ihrem Oberschenkel in die Stirn spritzt. Nichts für empfindliche Augen. Das ungeschönte Präsentieren der ruppigen Operation könnte jedoch vielleicht dazu beitragen, dass etwa junge Menschen, die an ihrem Körper zweifeln, von einem möglichen Eingriff abgeschreckt werden. Die Show zeigt sich kritisch gegenüber dem Schönheitswahn, der durch das Streben nach Likes und einem guten Image entsteht, und betont, dass Identität und Persönlichkeit mehr als nur das Oberflächliche sind und Schönheit von innen kommt. Eine wichtige Botschaft besonders für Heranwachsende. Die Vorteile von Social Media werden zwar auch thematisiert, jedoch nur am Rande. Die Suche nach dem Selbst führt LeFloid weiter zu BINA48, einem Roboter, der Teil eines futuristisch anmutenden Projektes ist. Bruce Duncan arbeitet daran, menschliches Bewusstsein zu bewahren, herunterzuladen und Roboter damit zum Leben zu erwecken. Dies wirft unter anderem die Frage auf, ob dieses Vorhaben moralisch vertretbar ist. Mit Schülerinnen und Schülern könnte etwa diskutiert werden, inwiefern sich diese Prozedur von Sprachassistenten, die sie im Alltag nutzen, unterscheidet.
Die Serie wurde auf Englisch produziert, um ein größeres Publikum zu erreichen. Deutsche Untertitel sind durchgängig verfügbar und ein Teil der Interviews wurde außerdem auf Deutsch gedreht. Dass die Serie stets darauf achtet, Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und den Zuschauenden keine bestimmte Sichtweise aufzuzwingen, ist positiv hervorzuheben. Auch Sachverhalte, die vermutlich die wenigsten im Alltag hinterfragen, werden angesprochen und regen zum Nachdenken an. So wird in der Folge Money nachgeforscht, warum Geld für uns und in der Welt so eine große Bedeutung hat, und wie in Kenia durch die Einführung des innovativen bargeldlosen Bezahlsystems M-Pesa auch Menschen ohne Bankkonto eine neue Chance gegeben wird.
Darüber hinaus befasst sich die Serie mit Künstlicher Intelligenz und deren Einfluss auf unser zukünftiges Arbeitsleben und zeigt, welche Chancen Musik mit sich bringt. Beispielsweise, dass sich Musik bei Alzheimer am längsten im Gedächtnis hält, während andere Erinnerungen schneller verloren gehen. Den Rezipientinnen und Rezipienten werden viele wissenswerte Aspekte rund um Alltagsthemen aufgezeigt. Die Serie ermöglicht es, auch mal einen Blick über den Tellerrand hinauszuwerfen und beispielsweise zu erfahren, dass Musik junge Leute im geteilten Jerusalem zusammenbringt oder in Nairobi einen mentalen Ausweg aus den Slums bietet. Durch die durchdachte Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen können Vorurteile möglicherweise abgebaut werden. Nebenbei erhält man viele Information wie etwa, dass auf der größten Müllhalde Deutschlands täglich etwa 2.000 Tonnen Müll, unter anderem von Flughäfen, abgeladen werden. Dies könnte viele Menschen ermuntern, über ihre Lebensweise nachzudenken.
LeFloid vs. The World besticht durch seine qualitativen Inhalte – dass diese durch die Sendezeit von 22 Minuten oftmals nicht völlig ausgeschöpft werden können, ist zwar schade, da viele Aspekte nur oberflächlich behandelt werden, aber verständlich. Dennoch wären längere Interviews und eine tiefere Auseinandersetzung mit den einzelnen Unterthemen wünschenswert, wodurch die Sprunghaftigkeit von einem Thema zum nächsten möglicherweise ebenfalls unterbunden werden könnte. Die Interviewpartnerinnen und -partner sind in der Regel gut gewählt und verfügen über breites Fachwissen. Hervorzuheben ist hier, dass viele einflussreiche Personen darunter sind, wie etwa Dan Reynolds von Imagine Dragons, Basketballer Dirk Nowitzki, Rapper Ice-T oder der Nobelpreisträger Kip Thorne. Das spricht ebenfalls für die Qualität des Angebots, dessen Inhalte zu weiterer Auseinandersetzung anregen. Bis auf die erste Folge ist die Serie nur auf YouTube Premium verfügbar, kann aber über einen Probemonat kostenfrei abgerufen werden.
Markus Achatz: Die Schule und das Leben
Das Filmfest München befindet sich im Wandel. Höheres Budget, wachsende Ansprüche, ein zusätzlicher Wettbewerb und die Diskussion um größere Ambitionen für die Zukunft. Dieses Jahr wurden 180 Filme in mehr als 500 Screenings gezeigt. Das internationale Filmfest ist also in einer Phase der Veränderung. Es scheint manchmal so, als wisse es noch nicht so genau, was es werden soll, wenn es groß ist. Das parallel laufende Kinderfilmfest fristet eher ein Schattendasein. Im Vergleich zum neuen Wettbewerb Cinecopro-Award (mit 100.000 Euro dotiert) erhält der Kinderfilmfest-Publikumspreis gerade einmal 1.000 Euro. Insgesamt präsentierte das Filmfest München wieder eine Reihe an spannenden Erzählungen, die vom Heranwachsen in unsicheren Zeiten handeln, von der Suche nach Identität, Freundschaft und Zuneigung und in mehreren erwähnenswerten neuen Produktionen ging es auch um die Schule. Im Kinderfilmfest-Programm sind zwei Produktionen aus den Niederlanden herausgestochen, die jeweils auf erfolgreiche Jugendbuchvorlagen zurückgehen.
Erinnerungen im Küstensand: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
Von einer außergewöhnlichen Ferienbegegnung zweier Heranwachsender handelt Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess. Das gleichnamige Buch hat Anna Woltz geschrieben, Regie führte Steven Wouterlood. Die Geschichte wird aus der Perspektive des elfjährigen Sam erzählt, der mit seiner Familie auf der Insel Terschelling Urlaub macht. Gleich am ersten Tag bricht sich Sams älterer Bruder Jore ein Bein. Er ist in ein tiefes Sandloch gestolpert, das Sam zuvor gegraben hatte, um sich wie in ein Grab hineinzulegen. Sam beschäftigt vor allem der Gedanke als Jüngster alleine übrig zu bleiben, wenn alle anderen vor ihm sterben. Seine eigene Seltsamkeit relativiert sich, als er die quirlige Tess kennenlernt. Sie scheint eine verrückte Idee nach der anderen zu haben. Sam ist sogleich fasziniert von Tess, doch muss er im Laufe der folgenden Tage mehrfach erfahren, dass Tess schwer einzuschätzen ist und ihn auch mal in den Dünen stehen lässt. Eigentlich wollte Sam während der Ferien üben, wie es ist allein zu sein. Doch sein ‚Alleinheitstraining‘ wird durchkreuzt, da er am liebsten jede freie Minute mit Tess verbringen will. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Tess hat ihren leiblichen Vater, von dessen Identität sie eigentlich gar nichts wissen soll, heimlich auf die Insel gelenkt. Sie möchte nun herausfinden, ob er es wert ist, zu erfahren, dass er eine Tochter hat.
Der Film hält eine feinsinnige Balance zwischen Humor und Nachdenklichkeit und fängt dabei die faszinierende Insellandschaft ein. Die Figuren handeln so, dass auch die damit verbundenen Konsequenzen – positive wie negative – deutlich werden. Im Verlauf der Geschichte schimmern immer wieder unterschiedliche Möglichkeiten ihres Ausgangs auf. Das hält die Spannung, wenngleich sich am Ende – dies kann man den Machern vielleicht vorwerfen – einige der angerissenen Probleme relativ glatt lösen. Dennoch ist die Moral der Geschichte eine durchaus schöne: denn Sam hat gelernt, wie wichtig es ist, möglichst viele Erinnerungen zu sammeln, in denen man das Leben mit anderen teilt.
Junge Lehrerin mit Superkräften: Superjuffie
Vom Produktionsteam der beliebten Mister Twister-Filme aus den Niederlanden stammt Super Miss (Superjuffie). Darin gerät die Grundschullehrerin Josie kurz nach Ankunft an der neuen Schule in große Turbulenzen. Die junge ‚Miss‘ (niederländ. ‚Juffie‘ übliche Anrede für Lehrerinnen in Holland) zieht ins alte Haus ihrer Tante und findet dort eine geheimnisvolle Statue. Von dieser übertragen sich Superkräfte auf die junge Frau und plötzlich hört sie Tiere, die um Hilfe rufen. Ihre Mission: Tiere retten. Zunächst muss sie lernen, die neuen Superkräfte zu beherrschen, was sich als Lehrerin nicht ganz einfach erweist. Als vier Schülerinnen und Schüler beobachten, wie sich ihre Lehrerin in eine Superheldin verwandelt, lassen sie sich nicht davon abhalten, beim nächsten Abenteuer dabei zu sein.
Der Film basiert auf den Kinderbüchern von Janneke Schotveld. Ähnlich wie bei Mister Twister ist der hauptsächliche Handlungsort eine Grundschule mit einer jungen Lehrkraft als Hauptfigur. Dieser wird eine kuriose Schulleitung entgegengesetzt. Neu sind bei Super Miss die fantastischen Elemente und eine sich entspinnende Krimigeschichte. Leider bleiben aufgrund der vielen Spezialeffekte die meisten Figuren eher blass. Insbesondere die Schülerinnen und Schüler sind nicht viel mehr als namenlose Begleiterinnen bzw. Begleiter, wodurch die Filmemacher die Chance vergeben, den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern – abseits einer harmlosen Superheldin und süßen, sprechenden Tieren – weitere Identifikationsfiguren zu bieten. Trotzdem ist Super Miss unterhaltsames Familienkino mit Hauptfiguren wie der Super Miss oder dem trotteligen Schuldirektor Herr Schnauz, die auch jüngeren Kindern Spaß machen.
Schule als Herzenswunsch: Chuskit
Einen ganz anderen Blick auf Schule wirft der indische Film Chuskit. Die zehnjährige Chuskit lebt in einem Himalayadorf in Ladakh und wünscht sich nichts mehr, als gemeinsam mit ihren Freundinnen zur Schule zu gehen. Nach einem Unfall in den Bergen erleidet Chuskit eine Querschnittslähmung. Vor allem der konservative Großvater versucht das Mädchen davon zu überzeugen, sich das Hirngespinst ‚Schule‘ aus dem Kopf zu schlagen, doch sie will nicht aufgeben.
Der Film von Regisseurin Priya Ramasubban basiert teils auf wahren Begebenheiten und zeichnet Chuskits Charakter in unterschiedlichen Facetten. Das Kind hadert mit ihrem Schicksal, kommandiert die Familie herum und projiziert ihre Frustration auf den Großvater, der das Sagen hat. Gleichzeitig kann sie sich aber auch über Kleinigkeiten freuen, hat einen starken Willen und hält an ihrem großen Traum fest. Chuskit muss im Laufe der Geschichte lernen, mit ihrer Situation umzugehen, ohne ihre Träume und Ziele aufzugeben und ohne gegenüber den anderen ungerecht zu sein. Der Film macht deutlich, wie schwer diese Aufgabe ist und blendet auch nicht aus, wie Chuskit leidet. Die Stärke der Geschichte liegt auch darin, sich auf die Dynamik des Verhältnisses zwischen Chuskit und ihrem Großvater zu fokussieren. Mit jungen Protagonistinnen und Protagonisten auf Identitätssuche befassten sich auch mehrere Beiträge außerhalb des Kinderfilmfest.
Mitten im Übergang: Eighth Grade
Im Film Eighth Grade des US-Amerikaners Bo Burnham (Filmfestreihe Spotlight) dreht sich alles um die 13-jährige Kayla und ihre letzte Woche in der Middleschool. Sie ist mittendrin im Strudel der Veränderungen. Regisseur Bo Burnham ist als Comedian, Sänger und YouTuber bekannt und sagt, dass er viel von seinen eigenen
Unsicherheiten und Ängsten in die Figur von Kayla gepackt hat. Dabei setzt er seine Hauptprotagonistin in teils extremen Close-Ups in Szene. Dadurch nehmen Zuschauende an Kaylas Blick auf die Welt sehr intensiv Anteil. Im Übergang der Middleschool zur Highschool sehnt sie sich nach wahren Freunden und versucht mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Dabei macht Kayla ihre Sache eigentlich ganz gut. Sie traut sich beispielsweise auf YouTube über sich zu sprechen, darüber, was sie beschäftigt. Auch wenn sich kaum jemand dafür interessiert. Hauptdarstellerin Elsie Fisher spielt die Rolle unglaublich gut. Kaylas Charakter wächst im Laufe der Geschichte und hinterlässt uns – wie auch ihren Vater – mit der Überzeugung, dass sie das alles schon schaffen wird.
Täglicher Terror durch Mitschüler: The Pig
Ganz anders sieht das beim 13-jährigen Rumen in der bulgarisch-rumänischen Produktion The Pig (Filmfestreihe International Independents) aus. Hier steht ein absoluter Außenseiter im Mittelpunkt der Story. Rumen ist dick und unbeholfen und wird aufs Extremste in seiner Schule schikaniert. Auf dem Weg zur Schule steckt er schon die erste Tracht Prügel ein. Zunächst erträgt er all das mit bemerkenswertem Gleichmut, bis eines Tages ein neuer Mitschüler in die Klasse kommt und für Rumen das Fass überläuft. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Rumen muss abtauchen. Aber wo soll er denn hin? Mit seinem ersten Feature-Film Shelter (2010) hat der bulgarische Regisseur Dragomir Sholev weltweit mehr als 20 Preise gewonnen. Zuvor hat er mehrere Kurzfilme und eine Dokumentation gedreht. In The Pig gelingt es Sholev auf intensive Weise, die Gewalt und die Anspannung förmlich spürbar zu machen. Dabei hat er viel mit der Spontaneität seines Hauptdarstellers Rumen Georgiev gearbeitet, der sich bis zu einem gewissen Grad selbst gespielt und seine eigenen Erfahrungen als Mobbing- und Gewaltopfer eingebracht hat. Die beinahe dokumentarische Form macht den Film zu einem kontroversen, aber auch sehr eindringlichen Werk, das mit den Grenzen von Fiktion und Realität provokant zu spielen vermag.
Kristin Narr, Janina Carmesin: WebDaysMOOC
Sie sind leise, tanzen im Verborgenen Tango, formieren sich zu Kategorien und werden in Form von Werbebannern, maßgeschneiderten Empfehlungen und Vorhersagen laut – die Datenspuren, die wir alle täglich hinterlassen. Eine Auseinandersetzung mit genau diesen ganz persönlichen Datenspuren sollte der interaktiv gestaltete Online-Kurs WebDaysMOOC schaffen.
Der Massive Open Online Course („offener Online-Kurs für Viele“, kurz: MOOC) fand im Herbst 2018 zum ersten Mal statt, richtete sich an Jugendliche ab 14 Jahren und wurde von den WebDays, einem Projekt der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland (IJAB e. V.), auf der Plattform oncampus (oncampus.de/webdaysmooc) durchgeführt. Jährlich wird eine Konferenz mit Jugendlichen zu Themen des jugendgerechten Daten- und Verbraucherschutzes veranstaltet – und nun auch Online-Kurse für Jugendliche.
Der WebDaysMOOC verfolgte das Ziel, möglichst viele junge Menschen an das abstrakte Thema Datenschutz heranzuführen. Sie sollten angeregt werden, ihrem digitalen Ich „ins Gesicht zu schauen“ und eine eigene Haltung und einen möglichst praktikablen Weg zu den Themen Datenschutz und digitale Selbstbestimmung zu entwickeln.
Jugendliche waren sowohl in der Konzeption als auch bei der Erstellung von Inhalten beteiligt: An einem Konzeptionswochenende und im Laufe des Sommers wurden mit jungen Menschen, die bereits an WebDays-Konferenzen teilgenommen hatten, Themen und Ideen zur Ausgestaltung ausgearbeitet. Im Herbst folgte mit Unterstützung der Medienwerkstatt Leipzig die Produktion der Videos. Im Nachgang wurde der Kurs durch einen Fragebogen und Einzelinterviews mit Jugendlichen in einer Masterarbeit an der Universität Leipzig ausgewertet.
Das Angebot stieß auf großes Interesse. Zum Start waren über 200 Menschen angemeldet. Im Laufe des eigentlichen Kurszeitraums stiegen die Anmeldungen weiter an. Der WebDaysMOOC steht seither als unbetreutes Selbstlernangebot zur Verfügung. Mittlerweile sind fast 400 Menschen eingeschrieben und über 110 haben das Abschlusszertifikat erhalten (Stand: März 2019).
Die vier Kurswochen ergaben vier thematische Einheiten mit einer ähnlichen didaktischen Struktur: interaktive Videos mit Fragen und Aufgaben oder einem interaktiven Spiel als thematische Einführungen, Umfragen zur Selbsteinschätzung, Übungen und Aufgaben sowie Austausch und Reflexion der Kursteilnehmenden und Interviews mit Expertinnen und Experten zur Sortierung und Kommentierung.
Konzeptionell wurde Wert darauf gelegt, mit bekannten Phänomenen zu beginnen, schrittweise komplexer zu werden und stets die Alltagsrelevanz im Blick zu behalten. In der ersten Woche ging es um das Erkennen, wie die Beeinflussung durch Menschen und Maschinen funktioniert. Unter anderem wurde mit Moderator Philipp Walulis der Unterschied zwischen Schleichwerbung und Produktplatzierung und die Rolle von Influencern und Social Bots verdeutlicht. In der zweiten Woche stand das Verstehen, welche Daten über einen selbst und uns alle existieren und wie Daten verknüpft werden, im Fokus. Neben der Auseinandersetzung mit Datenspuren im eigenen Alltag erklärte Datenschützerin Katharina Nocun, welche Daten mächtige Unternehmen erheben und wie sie sie verwerten. Die Teilnehmenden richteten in der darauffolgenden Woche ihren Blick auf Zukunftsszenarien mit dem Augenmerk auf technische Entwicklungen. Mit Hilfe eines eigens für den WebDaysMOOC erstellten Spiels setzten sich die Teilnehmenden im Spielen mit unserer vernetzten Zukunft auseinander. Zur zusätzlichen Kommentierung dieser Einheit brachte Dr. Florina Speth die Szenarien mit Prognosen der Zukunftsforschung zusammen. Der Konkretisierung mit speziellen Werkzeugen und dem Gestalten der eigenen digitalen Umgebung wurde sich in der letzten Woche gewidmet, und mit einer Abschlussfeier in Form einer Online-Livesession gemeinsam mit Steffen Haschler von Chaos macht Schule beendet. Die ersten Ergebnisse der Abschlussumfrage unter den Jugendlichen werden im Folgenden vorgestellt.
Eine derart interaktiv ausgerichtete und multiperspektivische Lernumgebung, die von der Interaktion mit Lerninhalten und den Beteiligten lebt, ist zum einen eine lebendige, motivierende Art von Lernen. Zum anderen stellt sie jedoch nicht zuletzt durch das Maß an Selbststeuerung hohe Anforderungen an die Lernkompetenzen der Teilnehmenden. Doch es waren genau diese Flexibilität, die Zwanglosigkeit und Selbstorganisation, die die Jugendlichen am Lernen im Rahmen des WebDaysMOOC besonders schätzten. Die Motive für die Teilnahme waren beim überwiegenden Teil der Befragten von intentionaler Natur. Einige erfuhren im Rahmen von Bildungsinitiativen zur Medienerziehung, beispielsweise Medienscouts-Initiativen, oder durch verschiedene schulische Kontexte von diesem Angebot und hatten ein starkes Interesse am Thema und verhältnismäßig hohes Vorwissen. Aufgrund dessen war es ihr Wunsch, Wissen zu erweitern und sich mit „Gleichgesinnten“ austauschen zu können. Es zeigte sich, dass die üblichen Lernstrategien und Mediennutzungsgewohnheiten der Jugendlichen auch im virtuellen Lernraum Anwendung fanden und sie damit an gewissen Stellen an ihre Grenzen gestoßen sind. So waren den Jugendlichen die rezeptiven und interaktiven Elemente des MOOCs weitgehend vertraut und sie profitierten von der multimedialen Darstellungsweise und strukturierten Aufbereitung der Inhalte. Dennoch wünschten sie sich einen lebhafteren Austausch untereinander, der in den themenspezifischen Foren kaum zustande kam, zum Beispiel in der Schule. Das Konzept des WebDaysMOOC und hier ganz besonders die Erweiterung und Anpassung der Austauschelemente, neben denen, die die Plattform bietet, werden unter Berücksichtigung dieser Evaluation weiter ausgearbeitet. Denn für den Herbst 2019 befindet sich ein weiterer Online-Kurs in Planung. Dieser wird zusammen mit Jugendlichen zu dem Oberthema „jugendgerechter Daten- und Verbraucherschutz“ entstehen. Ideen für Themen wurden auf der letzten Konferenz bereits gesammelt.
Kristin Narr arbeitet als freiberufliche Medienpädagogin und hat den WebDaysMOOC im Auftrag des IJAB e. V. konzipiert und begleitet.
Janina Carmesin war an der Konzeption des MOOCs beteiligt und untersucht die subjektiven Anforderungen Jugendlicher an MOOCs im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Universität Leipzig.
Beitrag aus Heft »2019/03 Digitalität. Religion. Pluralismus«
Autor:
Kristin Narr,
Janina Carmesin
Beitrag als PDF
Sonja Berger: Big Data – Unsere digitalen Spuren
FWU – Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. FWU-Mediathek. Zugang erhältlich als Einzellizenz für Lehrkräfte ab 32,70 €. https://fwu.de
Große Datenmengen, die von unseren mobilen Geräten an Firmen gesendet werden, damit diese mit ihnen arbeiten und uns personalisierte Werbung anbieten – so definieren viele Menschen den Begriff Big Data. Doch wie arbeiten die Firmen damit und in welchen Bereichen sind diese Daten relevant? Die FWU – Medieninstitut der Länder der BRD veröffentlichte 2018 eine kompakte Produktion hierüber, welche einen spannenden Einblick in die Verarbeitung und Auswertung von Daten liefert.
Das FWU bietet seit 2011 eine Online-Mediathek an, in der Filme und Begleitmaterialien zum Streamen und Herunterladen bereitgestellt werden. Bisher konnte man die Medien als Lehrkraft nur über die Schule oder ein Medienzentrum beziehen. Seit 2018 gibt es ebenso Einzellizenzen für Lehrkräfte. Das macht es diesen einfacher, unabhängig von der Bildungseinrichtung, eine ganze Woche lang FWU-Medien mit den eigenen Schülerinnen und Schülern zu teilen.
Eine FWU-Produktion besteht typischerweise aus einem ganzen Paket: Filmsequenzen, Arbeitsblätter, Grafiken und Filmtexte. Die Produktion kann in zwei unterschiedlichen Modi abspielen werden: klassisch oder interaktiv. Während im klassischen Modus lediglich das Video dargeboten wird, erscheinen im interaktiven Modus an einigen Stellen kleine Buttons am linken Bildrand, welche bei Anklicken zu den Zusatzmaterialien des Pakets führen.
Die einzelnen Sequenzen von Big Data dauern maximal fünfeinhalb Minuten und behandeln je einen Teilbereich. Sie lassen sich im Unterricht daher auch unabhängig vom Gesamtpaket als kleine Impulsgeber nutzen.
Im ersten Clip „Big Data und der Sport" erklären Prof. Dr. Tilman Rabl und Jonas Traub der TU Berlin beispielsweise wie Daten aus Fußballspielen mithilfe von Sensoren an Ball und Beinen erfasst und ausgewertet werden. Darin wird ebenfalls erläutert, was Big Data bedeutet, woher die Datenmengen stammen, was ein Algorithmus ist und wie komplexe Datenanalysen den Sport verändern. Zu diesem Film liefert das Paket, neben einem Link zum Berlin Big Data Center, zwei Arbeitsblätter, die als PDF-Dateien heruntergeladen werden können. Zu den Aufgaben der Schülerinnen und Schüler zählen unter anderem das Notieren von Vor- und Nachteilen von Big Data oder im Profi-Sport, das Vertiefen des Begriffs Algorithmus und Erstellen eines eigenen Sport-Algorithmus, welcher mit anderen Mitschülerinnen und -schülern ausprobiert werden kann.
Wie viele Daten im Gesundheitssystem jeden Tag erzeugt und für welche Zwecke sie genutzt werden, zeigt der Film „Gesundheitsdaten". Prof. Dr. Tim Konrad definiert darin auf lockere Weise den Begriff Korrelation und thematisiert am Beispiel der Versicherung und des Online-Shoppings das Schreckensbild, dass unsere Daten in die falschen Hände geraten. Das dazugehörige Arbeitsblatt regt dazu an, über problematische Interpretationen von Daten nachzudenken.
Welche Spuren wir mit unserem Handy hinterlassen während wir uns bewegen und was Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus diesen Daten herauslesen können verrät Robert Mirbaha, von der Firma Motionlogic, in der Sequenz Verkehrsdaten. Hier wird auch dargestellt, wie wir mit unseren personenbezogenen Daten für kostenlose Apps bezahlen. Als Aufgabe denken sich die Schülerinnen und Schüler eigene Beispiele für Korrelationen aus und können per Link die englischsprachige Webseite der Forschungsgruppe Medical Bioinformatics Group der Freien Universität Berlin erkunden.
Datenjournalist Michael Hörz berichtet im fünften Clip „Datenjournalismus" anhand zweier Beispiele, wie gefühlte, aber doch unwahre „Wahrheiten“ mithilfe von Big Data korrigiert werden können. Eine kreative und spannende Produktionsaufgabe findet sich auf dem zugehörigen Arbeitsblatt: Die Schülerinnen und Schüler versuchen sich als Pitcher ihrer eigenen Geschäftsidee. Dort überlegen sie gemeinsam, wie man mit Verkehrsdaten aus mobilen Geräten gleichzeitig ethisch und gewinnorientiert arbeiten kann. Ein Link-Button führt zum Lernbereich „Big Data“ auf der Webpräsenz der Bundeszentrale für politische Bildung.
Die Lernmaterialien bieten über die Anknüpfung an die Videos hinaus ein druckbares Arbeitsblatt zur Reflexion und Selbsteinschätzung des eigenen Nutzungsverhaltens im Hinblick auf die neuen Medien und Schutz der eigenen Daten an. Eine Tagebuch-Vorlage regt dazu an, sich eine Woche lang selbst zu beobachten, zu notieren und zu diskutieren, welche Daten bei welchen Aktivitäten im Internet hinterlegt werden und wie sie von Dritten genutzt werden könnten.
Aus mediendidaktischer Sicht ist die Idee der vernetzten, cross-medialen Darbietung im interaktiven Video effizient umgesetzt. Für erfahrene Schülerinnen und Schüler im Bereich Big Data ist exploratives Lernen möglich. Ansätze einer Vernetzung auf institutionaler Ebene sind durch die Verlinkungen zu erkennen.
Die Arbeitsaufträge sind insgesamt aktivierend, interaktiv und abwechslungsreich. An manchen Stellen könnten sie allerdings durch größer angelegte, konstruktiv-interaktive Aufgabensammlungen ergänzt werden. Kreative, fachübergreifende und ganzheitliche Methodenideen oder auch web-basierte Aufgaben (idealerweise in mebis zum Import für den eigenen Gebrauch bereitgestellt) würden das Angebot noch um einiges aufwerten. Es wäre aus Sicht der Lehrkräfte zudem hilfreich, Webquest-Ideen zu den bereitgestellten Links zu erhalten. Diese Art von Lernmaterialien sind aus mediendidaktischer Sicht vor allem dann wertvoll, wenn sie im Unterrichtskontext als Lerngegenstand genutzt und gemeinsam mit den Peers bearbeitet werden.
Festzuhalten ist, dass die Produktion sowohl für weniger Erfahrene als auch für Expertinnen und Experten geeignet ist. Für erstere ist das linear dargebotene klassische Video eher geeignet, während letztere im interaktiven Modus selbst erkunden können. Das FWU-Paket knüpft an Inhalte aus den Bereichen Biologie, Mathematik, Informatik, Deutsch, Wirtschaft, Politische Bildung, Physik, Erdkunde und Sport an. Es richtet sich an die Oberstufe allgemeinbildender Schulen (10. bis 13. Klasse), aber auch an Berufsschulen und Bildungseinrichtungen der Erwachsenenbildung.
Sonja Berger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, an dem sie zu didaktischen Methoden zur Förderung digitaler Kompetenzen forscht. Ehrenamtlich unterstützt sie die Jugendredaktion Dein LiFE des Medienzentrums München des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Michael Bloech/Nicole Lohfink: Schlaglichter der Berlinale 2019
Stets blieb die Berlinale ihrem Anspruch treu, eine Plattform für politische und künstlerisch wertvolle Filme zu sein. Festivalleiter Kosslick gelang es, das Programm nicht nur für die internationale Fachkritik und Filmindustrie, sondern auch für das Berliner Kinopublikum zu öffnen. Zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Fachvorträge und Konferenzen sorgten zudem für ein internationales und professionelles Profil der Berlinale.
Berlinale 2019 – Die Ära Kosslick endet
Nach 18 Jahren verabschiedet sich Dieter Kosslick als Direktor der Berlinale: Und er kann eine beeindruckende Bilanz vorweisen. Positiv hervorzuheben sind auch seine Bemühungen um den deutschen Film. Zwar gab es schon vor Kosslick auf der Berlinale eine Plattform für den deutschen Film, unter anderem zunächst in der kleinen Filmbühneam Steinplatz, aber durch die Etablierung der Programmreihen Lola at Berlinale und Perspektive Deutsches Kino wurde dieses Angebot systematisch erweitert. Kosslicks besonderes Augenmerk lag dabei stets auf Filmen einer losen Gruppe von Filmschaffenden der sogenannten Berliner Schule, darunter bekannte Namen wie Christian Petzold, Thomas Arslan und Maren Ade. Gerade Filme der Berliner Schule stehen mit ihrem Anspruch in enger Beziehung zu dem politisch, ästhetischen Konzept der Berlinale: Jenseits vom Mainstream werden mit künstlerischem Anspruch alltägliche, persönliche Themen mit politischem Bezug bearbeitet. Unter Kosslick ist die Berlinale eine nicht zu unterschätzende Plattform für internationale Begegnung und Austausch geworden, was sich exemplarisch in der Sektion Generation beobachten lässt oder auch im Förderprogramm für Nachwuchsfilmschaffende Berlinale Talents. Erst kürzlich unterzeichnete Kosslick sogar mit dem 5050 x 2020 Festival Pledge eine internationale Vereinbarung zur „Geschlechtergerechtigkeit in der Filmindustrie“.
Unter Kosslick fand jedoch auch mit aktuell rund 400 präsentierten Filmen und 340.000 verkauften Tickets eine enorme Ausweitung des Programmangebots statt. Damit droht eine De-Strukturierung, De-Profilierung und Beliebigkeit der Zielgruppenorientierung. Zumindest im Ansatz besteht hier die Gefahr, den Kern des Festivals den Wettbewerb – aus den Augen zu verlieren. Ende 2017 forderten daher 79 deutsche Filmschaffende in einem offenen Brief über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachzudenken. Dennoch wird ein großer Verdienst Kosslicks bleiben: Einmal im Jahr dreht sich zehn Tage lang in Berlin alles nur um Kino und die Kunst des Films.
Systemsprenger – Vom Sprengen pädagogischer Konzepte
Filme, die sich mit grundlegenden, pädagogischen Problemen auseinandersetzen und dabei auch noch als Film ‚funktionieren‘, ohne dabei belehrend zu wirken, sind nicht allzu häufig zu finden. Das Spielfilmdebüt Systemsprenger von Nora Fingscheidt ist ein gutes Beispiel hierfür und zeigt ein wichtiges pädagogisches Thema durchaus spannend und emotional berührend umgesetzt werden kann.
Der Film stellt konkret die Frage, was passiert, wenn engagierte Pädagogik versagt, wenn es nicht gelingt, Kinder so zu stabilisieren, dass sie keine Gefahr für sich und andere mehr darstellen. Sollte sich herausstellen, wie im Film gezeigt, dass aktuelle pädagogische, pharmakologische und psychologische Konzepte versagen können, wo liegen dann die Konsequenzen? Vielleicht muss immer wieder schmerzlich diskutiert werden, bis zu welchem Grad offene Gesellschaften abweichendes Verhalten tolerieren sollten und wie Personen aufgefangen werden können, die sich außerhalb unseres Gesellschaftssystems bewegen.
Spontane Aggressivität
Konkret wird die Leidensgeschichte der neunjährigen Benni erzählt, die getrennt von ihrer alleinerziehenden Mutter und den Geschwistern übergangsweise in einer beschützenden Einrichtung leben muss. Ihr Verhalten ist gekennzeichnet durch exzessive Gewaltausbrüche, vor allem gegenüber anderen Kindern. Ein Auslöser könnte das Fehlen funktionierender, familiärer Bindungen sein, wobei die Ursache wohl vielmehr darin begründet liegt, dass Benni ständig mit widersprüchlichen emotionalen Signalen ihrer Mutter konfrontiert wird. Während sie in einem Moment von der Mutter geliebt wird, wird sie im nächsten von ihr verstoßen. Mit ihrer spontanen Aggressivität fällt das renitente Mädchen quasi durch alle Netze, die unser Gesellschaftssystem für abweichendes Verhalten von Kindern bereithält. Selbst die nette Dame vom Jugendamt und die Psychologin der Kinderpsychiatrie sind mit Bennis Gewaltausbrüchen völlig überfordert. Trotz aller Empathie gelingt es ihnen nicht, Benni in einen halbwegs normalen schulischen Alltag zu integrieren. Schließlich wird ihr der Schulwegbegleiter Micha zur Seite gestellt, der sie zu einem geregelten Schulbesuch hinführen soll. Als auch das misslingt, wird im Helferkreis beschlossen, es mit einer ungewöhnlichen Maßnahme zu versuchen. Micha soll mit Benni in einer abgeschiedenen Waldhütte ohne Strom, Telefon und Internet eine gewisse Zeit verbringen, damit Benni zur inneren Ruhe zurückfindet. Mit dieser Methode der Gewaltprävention hat Micha bei Jugendlichen bisher gute Erfolge gehabt. Doch nach einer Woche sieht Benni in Micha nur noch ihren ‚Papi‘ und versteht nicht, dass er eine eigene Familie hat und die Zeit im Wald lediglich eine pädagogische Maßnahme war. Es kommt zu einer drastischen Entscheidung. Benni soll nach Kenia in eine Einrichtung für besonders verhaltensauffällige Jugendliche geschickt werden. Damit würden jedoch alle Sozialkontakte, die Benni besitzt, auf einen Schlag enden.
Im Mittelpunkt ein Ausnahmetalent – Helena Zengel
In der Rolle der Benni spielt die sehr junge Helena Zengel mit einer atemberaubenden Authentizität und zwingt die Zuschauenden, trotz aller Aggressivität, Verständnis für das renitente Kind zu entwickeln. Sinnbildlich hierfür steht die Anfangsszene, bei der Benni im Innenhof der Klinik völlig ausrastet und Bobbycars an das Fenster schmettert, bis die Panzerglasscheibe schließlich bricht. Das Symbolhafte dieser Exposition macht deutlich, um welche fundamentale Auseinandersetzung es hier geht: Helena Zengel verkörpert ihren Widerstand gegen das „System“ derart glaubwürdig, dass einem der Atem stockt. Sie ist es, die den Film von der Wirkung her trägt und zu einem wirklichen Erlebnis werden lässt. Hervorzuheben ist auch der Rhythmus des Schnitts, der trotz einiger erzählerischer Längen, die Zuschauenden in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Systemsprenger erhielt mit einem Silbernen Bären den Alfred-Bauer-Preis, der für neue Perspektiven der Filmkunst vergeben wird sowie den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost.
Grâce à Dieu – Die befreite Sprache
Mit sexuellem Missbrauch und Pädophilie greift der französische Regisseur François Ozon in seinem Film Grâce à Dieu ein brisantes Thema auf. Unaufgeregt werden drei Schicksale von Männern erzählt, die verdeutlichen, welch gravierende psychische Verwerfungen die Übergriffe bei ihnen angerichtet haben. Zum einen ist da die Geschichte des katholischen Bankangestellten Alexandre, der als Kind bei einem Pfadfindertreffen von Pater Preynat missbraucht wurde. Alexandre setzt folglich alles daran, dass Pater Preynat generell der Umgang mit Minderjährigen untersagt und ihm die Priesterweihe entzogen wird. Als sein Unterfangen bei dem dafür zuständigen Kardinal Barbarin ins Leere läuft, beginnt er nach weiteren Missbrauchsopfern zu suchen. Dabei stößt Alexandre auf den ruppig wirkenden Atheisten François, der zunächst widerstrebend, dann umso vehementer, die Verbrechen des Paters anprangert. Zusammen mit Alexandre gründet er die Initiative La Parole Libérée und es kommt schließlich zu der Begegnung mit dem Missbrauchsopfer Emmanuel, einem labilen, gebrochenen jungen Mann. Der Fall Emmanuel erweist sich dabei als besonders wichtig, da die Straftaten an Emmanuel, im Gegensatz zu vielen anderen Fällen, noch nicht verjährt sind. Ein Strafverfahren gegen den Pater und den Kardinal scheint damit möglich.
La Parole Libérée – Stimme der Missbrauchsopfer
Ozon porträtiert einfühlsam die drei unterschiedlichen Männer, die das gleiche Schicksal in ihrer Kindheit erdulden mussten. Dramaturgisch gesehen interessieren jedoch weniger die Personen an sich, sondern es geht darum aufzuzeigen, dass der Missbrauch nicht auf Einzelfälle beschränkt ist und die Kirche diese als Machtapparat seit Jahrzehnten zu vertuschen sucht. Das Geschilderte selbst beruht auf Tatsachen. Die entsprechenden Gerichtsverfahren gegen Pater Preynat, der 70 Jungen mehrfach missbraucht haben soll, gegen Kardinal Barbarin und sechs seiner Mitarbeiter, die durch Mitwisserschaft selber zu Mittätern geworden sein sollen, spielt Anfang 2019 in Frankreich.
Die Unmöglichkeit, das Unfassbare zu zeigen
Bei aller aktuellen, politischen Brisanz erzeugt Ozon leider ein Gefühl der Distanz. Szenen, in denen der Pater mit den Jungen im Fotolabor oder in einem Zelt des Pfadfinderlagers verschwindet, um sich an ihnen zu vergehen, wirken deplatziert. Zu monströs sind die Verbrechen und es scheint nahezu unmöglich, sie angemessen zu visualisieren. Geschickter wäre es vermutlich gewesen, die Schilderungen der Missbrauchsopfer zu fokussieren, die bereits hohe emotionale Dichte besitzen. Darüber wirkt die Regie unentschlossen, auf welche der drei Protagonisten das Hauptaugenmerk gerichtet werden soll. Dennoch ist Grâce à Dieu ein politisch überaus wichtiger Film, da er einmal mehr zeigt, dass es sich lohnt, gemeinsam mit anderen für die eigenen Belange zu kämpfen. Der nahezu dokumentarisch wirkende Film erhielt mit dem Silbernen Bären den Großen Preis der Jury.
Une Colonie – Vom Grenzen überwinden
Eine absolute Entdeckung in der Kinderfilmsektion Generation Kplus war die kanadische Produktion Une Colonie (Eine Kolonie) der Franko-Kanadierin Geneviève Dulude-De Celles. Im Vordergrund des melancholisch ruhigen Films steht die Ambivalenz des Begriffes Kolonie. Bei einer Kolonisierung können bekanntlich herkömmliche Macht- und Herrschaftsstrukturen durch etwas Fremdes oder Neues durchbrochen, unterworfen oder auch völlig zerstört werden. Es kann sich dabei aber nicht nur um den Niedergang handeln, sondern auch im positiven Sinn um die Entfaltung von etwas völlig Neuem. Diese Widersprüchlichkeit kristallisiert sich in dem Film vor allem in der Geschichte der jungen Mylia, die neu in einer Vorortsiedlung in der Quebecer Provinz ihre Rolle, ihre Identität, erst finden muss, sich einleben muss in eine ihr fremde Situation. Sie hat keine Lust auf oberflächlichen Sex und Drogen, keine Lust auf die wilden Schmink-Orgien und Oberflächlichkeiten ihrer Schulkameradinnen. Damit wird sie sofort zur Außenseiterin, die sich aber in kühler Distanz hingezogen fühlt, zu ihrem Schulnachbarn Jimmy, einem Indianer, der weitab von ihrem Zuhause in einer Abenaki-Siedlung lebt. Jimmy ist völlig anders als all die anderen in ihrem Umfeld, ein sensibler Junge, der Souveränität, Beherrschtheit und völlige Ruhe ausstrahlt. Deutlich wird dies gleich zu Beginn des Films, als Jimmy ein totes Huhn aus dem Maul eines Hundes löst. Er zerrt und schreit nicht, vielmehr geht er ohne Angst beruhigend auf den fremden Hund zu und kann dadurch die knifflige Situation entschärfen. Eine weitere symbolhafte Situation zu Ende des Films zeigt die Verbundenheit von Mylia und Jimmy, als sie feststellen, dass sie in ihrer Kindheit beide beim Ausmalen von Bildern die vorgegebenen Umrisslinien stets missachteten. Erst das Durchbrechen der Linien ermöglichte ihnen das Einzigartige, das Persönliche und damit die Kolonisierung ihres Umfelds.
Die Entdeckung der Entschleunigung
Während andere Produktionen im Wettbewerb zum Beispiel auf grelle Farben, schnelle Schnitte, nahe Einstellungen und kompliziert verschachtelte Erzähltechniken setzten, besticht Une Colonie vor allem durch ruhige Bilder und entschleunigten Erzählfluss. Die Autorin und Regisseurin Geneviève Dulude-De Celles nimmt sich viel Zeit und erst allmählich entfaltet sie ihre symbolische Argumentation. Sie gibt damit glaubhafte Einblicke in die Gefühlswelt der heranwachsenden Heldin. Die Kolonisierung ist hier nicht ein eruptiver Überfall, der eine revolutionäre Entwicklung gebiert, sondern ein langsamer, evolutionärer Prozess des Erwachsenwerdens. Dabei ist es bewundernswert, mit welcher Nachdrücklichkeit der Film diesem ruhigen Erzählmuster treu bleibt. Émilie Bierre in der Rolle der Mylia verleiht mit ihrem faszinierenden, ruhigen Spiel dem Film eine fantastische Glaubwürdigkeit und schafft es überzeugend, das Symbolhafte ins Visuelle umzusetzen. Une Colonie erhielt von der Kplus Kinderjury den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm, wobei der Film einschränkend gesagt, erst ab zwölf Jahren wirklich zu verstehen und daher auch zu empfehlen ist.
Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied – vom Schmerz der ersten Trennung
Bei vielen Filmen auf der Berlinale war in diesem Jahr überraschend stark der dokumentarische Gedanke vertreten. So auch bei dem chinesisch-uigurischen Beitrag Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied. Zwei Jahre lang hat Regisseurin Lina Wang in ihrem Heimatdorf gefilmt, besonders die kindlichen Protagonisten mit der Kamera begleitet und in alltäglichen Situationen gefilmt. Weitere zwei Jahre lang hat sie dann aus dem Material eine Erzählung gebaut, in der es um das Leben in dem uigurischen Dorf inmitten Chinas geht. Dabei sind die Herausforderungen, zu einer sprachlichen Minderheit zu gehören, genauso angeschnitten, wie der Umgang mit einem Pflegefall in der Familie, wie auch die Wichtigkeit der Schulbildung, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Im Mittelpunkt des Films stehen der junge Isa und sein Alltag in dem Dorf weitab großer Städte. Isa erlebt zunächst unbeschwerte Tage, kümmert sich um seine kranke Mutter und hilft dem Vater auf dem kleinen Hof. Gemeinsam mit seiner Freundin Kalbinur zieht er mit viel Liebe und Hingabe ein Lämmchen auf. Doch schon bald stehen Veränderungen ins Haus und verlangen von Isa nicht nur äußerliche Anpassung, sondern auch erste emotionale Abschiede. Als Isas Mutter verwirrt aus dem Haus läuft, weil Isa aus Sehnsucht nach dem Lämmchen zur Freundin gelaufen ist, müssen sich sein älterer Bruder und er auf die Suche nach ihr machen. Die einsame Landschaft und Isas fruchtlose Suche vereinen sich, als die Dämmerung hereinbricht, in seinem schluchzenden Rufen nach der Mutter zu einem archaischen Wehklagen des Kindes. Hier deutet sich der erste Abschied an, denn, obwohl die Mutter wieder auftaucht, berät sich der Vater mit dem Dorfrat, weil er sich nicht mehr gleichzeitig um die Farmarbeit und seine Frau kümmern kann. Isa ist allerdings dagegen, die Mutter in einem Heim unterzubringen und will dafür lieber auf die Schule verzichten, als seine Mutter nicht mehr im Haus zu wissen. Doch die Abschiede ereignen sich dennoch. Sein Bruder geht zurück auf die entfernte Schule, sein Vater bringt seine Frau schweren Herzens in einem Pflegeheim unter und Isa muss sich auch noch von seiner Freundin Kalbinur verabschieden. Sie wird von ihrer Familie ebenfalls in einer weiter entfernten Schule untergebracht, da sie die chinesische Sprache zu schlecht beherrscht. In der uigurischen Gemeinde genügt es, uigurisch zu sprechen, doch den Eltern ist aus eigener Erfahrung schmerzhaft bewusst, wie schwierig es ist, sich ohne Chinesisch in der Stadt zurecht oder Arbeit zu finden. Dann verschwindet auch noch das kleine Lämmchen, um das sich Isa immer gekümmert hat. All diese Verluste sind unauffällig eingefangen und unspektakulär in das tägliche Leben des Jungen eingebettet, doch in dieser Unaufgeregtheit erscheint jeder Moment umso klarer. So berührt der Film Kinder wie Erwachsene gleichermaßen, die jungen Zuschauenden fühlen und durchleben jeden Verlust hautnah mit den Protagonistinnen und Protagonisten mit und die Erwachsenen erinnern sich an das Gefühl des ersten Abschieds im Leben. Dabei sind die individuellen Erlebnisse Isas trotz des spezifischen Hintergrundes durchaus Platzhalter für die universalen Themen, die unabhängig von Geografie greifen. Di yi ci de li bie – Ein erster Abschied ist der diesjährige Gewinner des großen Preises der Internationalen Jury von Generation Kplus.
The body remembers when the world broke open – eine vielschichtige Momentaufnahme
Passend zur Unterzeichnung des 5050 x 2020 Festival Pledge umfasst die Sektion Generation erstmals einen Anteil an weiblichen Regisseurinnen von beinahe 50 Prozent. So stammt auch The body remembers when the world broke open aus der Feder zweier kanadischer Filmemacherinnen, die gemeinsam Regie geführt haben. Die kanadisch-norwegische Produktion liefert eine starke Geschichte über die Begegnung zweier Frauen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Sie wirkt dabei auf verschiedenen Ebenen, von einer allgemeingültigen über eine nahbare bis zum Besonderen, indem sie das Augenmerk auch auf die prekäre Situation indigener Frauen in Nordamerika richtet.
Regisseurin Elle-Máijá Tailfeathers ist Blackfoot von der Kainai First Nation (Blood Reserve) und Sami aus Norwegen und hat in ihrer Kultur bereits in der Kindheit den Wert des Geschichtenerzählens vermittelt bekommen, insbesondere als traditionelles Mittel, Erinnerung weiterzutragen. Das Drehbuch ist inspiriert von einer Geschichte, die Tailfeathers selbst erlebt hat und die sie nachhaltig geprägt hat. So entstand nun in Zusammenarbeit mit Kollegin Kathleen Hepburn ein Film, der die Zuschauenden ganz dicht an diese Erfahrung heranführt, unterstützt durch viele Nahaufnahmen und nahezu in Echtzeit gedreht.
Àila ist von einem Arztbesuch auf dem Weg nach Hause und begegnet in East Vancouver einer jungen Frau. Die 18-jährige Rosie steht sprichwörtlich barfuß und schwanger im Regen auf der Straße. Sie nimmt Rosie mit zu sich nach Hause und in einem vorsichtigen Annäherungsprozess entsteht eine Verbindung. Aber es prallen auch Realität und Wunschvorstellung aufeinander, als Àila versucht, Rosie zu helfen und ihre Probleme zu ‚richten´. Rosie ist vor ihrem gewalttätigen Freund geflüchtet, mit dem sie zusammenwohnte. Àila organisiert ihr daher einen Platz in einem Frauenhaus. Während sie ihre weibliche Selbstbestimmung ausüben kann, wenn sie mit ihrem Arzt darüber redet, ob und wann sie schwanger werden will, ist für Rosie das Baby ein Mensch, den sie um keinen Preis verlieren will und gleichzeitig eine Chance, endlich nie mehr allein zu sein. Daher ist ihr das Frauenhaus auch ein zu großes Risiko. Das soziale Gefälle ist augenscheinlich, dennoch erkennen beide in der anderen eine verwandte Seele. Am Ende sehen sich beide nie wieder. Einer der seltenen Momente im Leben, die an die Menschlichkeit erinnern und einen verändert zurücklassen. In dieser Eigenschaft spricht der Film ein internationales Publikum an, doch er bietet auch eine weitere Ebene, die das Brennglas auch auf unbequeme Fakten richtet:
So haben Frauen indigener Abstammung in Kanada laut einer laufenden nationalen Untersuchung eine fünfmal höhere Wahrscheinlichkeit, durch Gewalt zu sterben. 77 Prozent der Frauen, die durch einen intimen Partner ermordet wurden, starben, nachdem sie aus der Partnerschaft geflüchtet waren. Auch bei der Pflegeunterbringung von Kindern zeigt sich ein Ungleichgewicht, wenn beispielsweise in der kanadischen Provinz Manitoba rund 90 Prozent der Jugendlichen in den Pflegeeinrichtungen Angehörige von First Nations sind. Hier wirkt Kanadas Geschichte der politischen Assimilierungsversuche der Vergangenheit nach.
So gesehen erscheint Rosies Überzeugung, sicherer bei ihrem gewalttätigen Partner aufgehoben zu sein, plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Was bleibt: Facetten des internationalen Film-Festivals
Vor dem Hintergrund von Kosslicks Abschied zeichnete sich die diesjährige Berlinale vor allem durch qualitative Ambivalenz aus. So bot die mangelnde Qualität einiger Filme öffentlichen Diskussionsstoff. Und tatsächlich befanden sich diesmal, rein quantitativ gesehen, lediglich 16 Filme im Wettbewerb auf Bärenjagd. Ein chinesischer Wettbewerbsbeitrag, wie auch ein chinesischer Generation-Beitrag, wurden noch kurzfristig wegen technischer Probleme zurückgezogen. In Fachkreisen wurde daraufhin das Wirken chinesischer Zensurbehörden diskutiert, aber trotz naheliegendem Verdacht in den betreffenden Fällen bliebe das letztendlich zu beweisen. Anlass zur Verwunderung gab zudem, dass einige Filme überhaupt die Höhen des Wettbewerbs erklommen haben. So liegt Kunst natürlich auch immer im Auge des Betrachtenden, wie am Beispiel des deutschen Beitrags Ich war zu Hause, aber zu sehen von Angela Schanelec. Von der deutschen Presse einhellig bejubelt und von der Berlinale-Jury mit dem Preis für die beste Regie beglückt, wurde er vom internationalen und Berliner Publikum dagegen mit ausdauernden Buhrufen bedacht. Ebenfalls mehr als problematisch geriet Fatih Akins drastischer und verstörender Festivalbeitrag Der Goldene Handschuh über einen Hamburger Massenmörder. Der Länderschwerpunkt lag in diesem Jahr auf Norwegen, das mit Ut og stjæle hester (Pferde stehlen) von Hans Petter Moland zu Recht mit einem Silbernen Bären für die besteKameraarbeit des Dänen Rasmus Videbæk belohnt wurde.
Highlights außerhalb des Wettbewerbs
Jenseits des Wettbewerbs, in anderen Sektionen der Berlinale, hätten sich allerdings Film-Beispiele gefunden, die einem Regie-Film-Preis vielleicht eher entsprochen hätten. In der Sektion Generation KPlus, also dem Kinderfilmfest, manifestiert sich ein Dilemma, das sich schon seit Jahren wie ein roter Faden durch die Berlinale zieht: Filme für jüngere Kinder sind fast ausschließlich mit der Lupe zu finden, Filme für ältere Kinder und das Programm Generation 14plus, das sich an Jugendliche richtet, sind jedoch immer wieder für kleine Sensationsentdeckungen gut. So sollte beispielsweise Ausschau gehalten werden nach Filmen wie Kokdu – eine Geschichte von Schutzengeln aus Korea oder der schwedischen Perle Sune versus Sune. Der koreanische Beitrag Kokdu überzeugt zudem durch eine eindrucksvolle bildästhetische, formale sowie inhaltlich runde Erzählung über eine positive Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Verlust, die Einblicke in die koreanische Kulturgeschichte gewährt. In Sune versus Sune wird die Kraft der Fantasie in jeder Hinsicht beschworen, während die Protagonistinnen und Protagonisten die Tücken von Freundschaft und Identitätsfindung navigieren. Auch der deutsch-niederländische Film Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess ist sehenswert, ebenso, wie der amerikanische Beitrag Driveways der zwar ein wenig an Eastwoods Gran Torino erinnert, dafür jedoch auf persönlichen Erlebnissen der beiden Drehbuchautoren basiert.
Die Herausforderung für die Zukunft: Den Überblick finden
Es ist schon eine Herausforderung bei den vielen Programmen und Sektionen überhaupt einen Überblick zu gewinnen und so will das Entdecken unter 400 Filmen gelernt sein. Vielleicht liegt in diesem Punkt, nach der Ära Kosslick, eine der Hauptaufgaben des neuen Berlinale-Teams um Carlo Chatrian als künstlerischem Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin, hier eine stringentere Linie zu etablieren. Der Italiener Carlo Chatrian leitete sechs Jahre lang das renommierte, schweizerische Filmfest in Locarno und Mariette Rissenbeek, eine gebürtige Holländerin, war als Geschäftsführerin der Auslandsvertretung des deutschen Films German Films tätig. Genug Vorbereitungszeit bleibt dem neuen Zweigespann – mit der terminlichen Vorverlegung der Oscarverleihung rückt die nächste Berlinale das erste Mal hinter die US-Preisverleihung, an das Ende des Monats Februar 2020 – wir können gespannt sein!
Beitrag aus Heft »2019/02 Computerspiele in der Jugendarbeit«
Autor:
Michael Bloech,
Nicole Lohfink
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Antje Müller: 35. GMK-Forum Kommunikationskultur
Digitalisierung. Teilhabe. Vielfalt. Drei Schlagwörter, die das diesjährige Forum der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur bestimmten. Inklusion ist ein Thema, das den Fachdiskurs schon immer beschäftigt hat und seinem Wesen nach, nämlich andere einschließen und mitmachen lassen, schon immer zentraler Bestandteil der Medienwelt gewesen ist. Sei es bei der Informationssuche, Wissensbereitstellung, beim Produzieren oder Gestalten – es geht immer um ein ‚für‘ jemanden oder ‚mit‘ jemandem.
Potenziale digitaler Inklusion offenbaren sich dabei insbesondere in einem transdisziplinären Praxisfeld, das Benachteiligte durch Medien (wieder) einbeziehen lässt. Wichtig sei eine zielgruppenspezifische Bildung, so Ingo Bosse von der Universität Dortmund in seinem eröffnenden Impuls. Inklusive Teilhabe fange dabei an, ein Bewusstsein zu bilden, gemeinsam zu handeln und könne so in digitales Empowerment sowie Partizipationschancen münden, wie sie sich beispielsweise in der Bloggerszene eröffnet haben. Gestaltungsprinzipien gilt es dabei zu kennen und nutzbar zu machen. Und das heißt eben nicht nur Kompensation von Defiziten, sondern (Universal-)Gruppen einschließen. Es bedeutet miteinander und voneinander lernen, die jeweilige Lebenswelt zu berücksichtigen, zu kooperieren und Barrierefreiheit zu schaffen. Doch inklusives Denken UND auch Handeln ist leichter ausgerufen als umgesetzt. Eindrücklich schilderte dies die Moderatorin des Eröffnungstags und Autorin, Ninia LaGrande in ihrem abendschließenden Poetry-Slam. In rasanter, fast atemloser Rhythmik beschrieb sie ihr ‚Groß'-Werden, nur ohne das ‚groß'. Wir schluckten, aber LaGrande plauderte belustigt, manchmal zynisch und ab und an etwas genervt über die alltägliche Problematisierung des Nichtproblems ihrer Körpergröße von etwa 1,40 m. Über die Anteilnahme anderer, wo es eigentlich nichts anteilzuhaben gab. Über ein extra bisschen an Aufmerksamkeit, über Annahmen des Nicht-Könnens und vor allem -Erreichens. Spätestens hier wurde klar: Ungewohntes oder Unübliches kann keinen Maßstab stellen und trotzdem bewegt man sich träge im Kreis, eingekocht mit Stereotypen und Vorurteilen, verrührt mit Unmengen an Meinungen.
Aber wie über den Tellerrand schauen, im zähen Einheitsbrei? „Check your privilege!“ – so oder so ähnlich könnte ein erster Schritt hinaus in Richtung inklusives Denken aussehen. Mit dem Blick auf intersektionale Perspektiven digitaler Medienkulturen und dem Fokus auf sowohl Ein- als auch Ausschluss gesellschaftlicher Kategorien, wie unter anderem Herkunft oder Geschlecht, zeigte Ricarda Drüeke von der Universität Salzburg am zweiten Tag vor allem Eines auf: Wer alle teilhaben lassen möchte, muss bei sich selbst anfangen! Ohne ein ständiges Beobachten und kritisches Reflektieren des Selbst, des eigenen Standpunkts wie auch der Situation kann weder erfasst werden, welche Kategorien wirksam sind, noch aus welchen (historischen) Gründen sie aus Macht- und Herrschaftsverhältnissen geworden sind. Über aktuelle Beispiele wie Hashtags mit „Trending Topics“ (#IfTheyGunnedMeDown, #blacklivesmatter, #MeToo), Protesten mit pinken Katzenmützen bis hin zu Diskriminierungserfahrungen (Dunja Hayali, Collien Ulmen-Fernandes) via Hate Speech – das sogenannte „Traveling Concept“ zeigt beispielhaft, wie Diskriminierungen offengelegt und Teilhabemöglichkeiten erweitert können – auch wenn der Weg dorthin schwierig ist. Andere Wege und vor allem Perspektiven ließen sich in den anschließenden zahlreichen Workshops erkunden: Ob bei der Auseinandersetzung mit dem Einfluss der Algorithmen, die bei der „Inklusion des Exklusiven“ behilflich wie hinderlich sein können. Ob bei Beleuchtung von (digitalen) Bildungsmaterialien oder Apps und ihre Wirkung auf eine inklusive politische Bildung. Ob bei spielerischer Auseinandersetzung mit Fake News oder bei Einblicken in die inklusive Medienarbeit im schulischen wie auch außerschulischen Kontext.
War man nicht bereits beeindruckt von der Vielfältigkeit elektronischer Orientierungshilfen, die zum Beispiel Kommunikation unterstützen und als „expressiven“ Kanal für beeinträchtige Heranwachsende fungieren können, überraschten auch ganz grundsätzliche Fragen wie Zuständigkeiten, Rollenüberschneidungen, Anbieterverantwortlichkeit, Unterstützungsstrukturen und letztlich eben auch ein unvermeidlich großes Stück Selbstverantwortlichkeit und ein unverzichtbares Sich-Einbringen in der inklusiven Praxis. Die Qual der Wahl des passenden Inputs potenzierte sich nochmals in der zweiten nachmittäglichen Workshop-Runde. Es gab Tipps für Eltern, Medienmachende und bildungspolitisch Wirkende aber auch für pädagogische Fachkräfte, Sozialarbeitende und Therapeutinnen und Therapeuten – von allgemeiner inklusiver Medienbildung, über eine einfache Sprache oder Skills wie (Gaming-)Impulskontrolle, bis hin zum (beeinträchtigten) Sehen und Denken. Der Markt der Vielfalt mit seinen Medienkultur- und Aktivangeboten spiegelte sich nicht nur auf der Ausstellungsfläche mit Bee-Bots, Bloxel und Co., sondern kristallisierte sich als Wesensmerkmal des inhaltlichen Inputs wie auch des Outputs. Sichtbar machen. Einschließen. Aber auch Sehen und gesehen werden. Wer sich nicht zerteilen wollte, blieb im nahtlosen, rastlosen Austausch. Dies aber galt so oder so als Prämisse. Weite Wege wurden zum Teil auf sich genommen, um sich spätestens auf dem Netzwerkabend wiederzusehen und – oder vor allem: kennenzulernen. Krönenden Abschluss des GMK-Forums bildete traditionell die jährliche Dieter Baacke Preisverleihung mit ausgezeichneten Medienprojekten. Die Preisträgerinnen und Preisträger 2018 ragten insbesondere durch ihre einzigartigen Konzepte rund um Interkulturalität, Intergenerationalität, Minorität, Integration und Teilhabe heraus. Neben wieder auflebender und angereicherter klassischer Tools wie Video, Foto und Trickfilm, beeindruckten die damit neu verwobenen und folglich neu gedachten Möglichkeiten digitaler Synergien: Vom digitalen Storytelling, über ein Alternate Reality Game, interdisziplinäre Kunstformen und Patchwork-(Handyfoto-)Bildband bis hin zur App und letztlich auch Multimedialität – die gewählten Projekte standen auch hier ganz im Zeichen der Vielfalt. Und ja, endlich auch das mittlerweile 13-jährige Spieleratgeber-Projekt. Wir fragen uns auch, warum das so lang gedauert hat! Für Interessierte sei zum Weiterdenken zuletzt noch erwähnt: Das Positionspapier der GMK-Fachgruppe Inklusive Medienbildung, hervorgebracht und zur Diskussion gestellt am letzten Veranstaltungstag, bündelt zentrale Forderungen zur Weiterentwicklung inklusiver Medienbildung in Praxis und Theorie und fordert: „Medienbildung für alle: Medienbildung inklusiv gestalten!" Weitere Informationen unter: www.gmk-net.de/veranstaltungen/35-forum-kommunikationskultur-der-gmk-2018/
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Antje Müller
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Pia Deutsch: Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0
Amadeu Antonio Stiftung (2017). Digital Streetwork. Pädagogische Interventionen im Web 2.0. Berlin: Druckzone. 40 S., kostenfrei downloadbar unter www.amadeu-antonio- stiftung.de/w/files/pdfs/digital_streetwork_web.pdf
Soziale Medien nehmen in den heutigen Lebenswirklichkeiten ein wesentlichen Raum ein. Hier werden Standards gesetzt und politische Meinungen junger Menschen ausgebildet, gefestigt und an Gleichaltrige weitergegeben. Digitale Lebenswelten sind folglich zu erschließen, um Jugendliche besser erreichen zu können. Insbesondere, wenn Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im Internet über die digitalen Grenzen hinweg aufbegehren. In Anbetracht der sich noch in den Anfängen befindlichen Präventionsarbeit in Sozialen Netzwerken sind weitere Erfahrungen und praktische Ansätze von Nöten, zu denen die Handreichung DIGITAL STREETWORK – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 von Christina Dinar und Cornelia Heyken einen Beitrag liefert. Aufbereitet für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wird Handwerkszeug in Form von Handlungsoptionen und hilfreichen Informationen zur Adressierung von Jugendliche im Netz, bereitgestellt. Dabei fokussiert das Angebot das Handlungsfeld des Sozialen Netzwerkdiensts Facebook. Ziel des Projekts ist es, das Klima in Online- Debatten positiver, ziviler und respektvoller zu gestalten und junge Menschen mit rechten Affinitäten zu erreichen, um so einer weiteren Verfestigung dieser Einstellungen entgegenzuwirken und eine Distanzierung zu fördern. Ebenso sollen Jugendliche, die sich gegen rechte Affinitäten im Netz einsetzen, gestärkt werden. Neben der Ansprache von rechtsextrem- affinen Jugendlichen ist die Ansprache von sogenannten ‚Bystandern‘, bzw. Beobachtenden und Zuschauenden, ein weiterer wichtiger Aspekt. Innerhalb der kostenlosen Broschüre wird zunächst ein Überblick über die Mediennutzung von Jugendlichen gegeben. Hierzu werden unter anderem Ergebnisse der JIM-Studie und der SINUS-Jugendstudie u18 herangezogen. Letztere zeigt auf, dass einige Jugendliche politische Vorgänge eher leidenschaftslos verfolgen und sich von den Themen nicht angesprochen fühlen, obwohl sie durchaus eine politische Agenda besitzen. Die Jugend(sozial)arbeit soll diese Einstellung off- wie online ändern, wobei Herausgeberinnen betonen, dass Soziale Netzwerke nicht nur als Lebenswelt, sondern ebenso als Sozialraum von Jugendlichen angesehen werden sollten. Digital Streetwork verdeutlicht somit, dass die pädagogische On- und Offline-Arbeit stärker miteinander verbunden werden sollte. Die Frage, wie diese Verknüpfung stattfinden soll, wird jedoch offengelassen. Derzeit finden sich jedoch nur vereinzelt Einrichtungen in Sozialen Online-Netzwerken, wobei repräsentative Zahlen durch systematische und umfassende Erhebungen fehlen. Somit stellt sich die Frage, ob und wie Jugendliche, die offline keinen Kontakt zur Jugendsozialarbeit aufnehmen, in Sozialen Netzwerkendiensten erreicht werden können. Dieser und anderer Fragesn nimmt sich debate// mit der Handreichung Digital Streetwork an. Das Projekt zielt darauf, Jugendlichen mit rechtsaffinem Kommentaren und menschenfeindlichen Inhalten auf Facebook online zu kontaktieren und über persönliche Nachrichten direkt in der digitalen Umgebung in einer „One-to-One“-Interaktion anzusprechen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von debate// sind mit ihren privaten Accounts selbst auf öffentlichen Facebook-Seiten aktiv und begegnen abwertenden Kommentaren im Sinne des sogenannten „One-to-Many“-Ansatzes mit sachlichen, aufklärenden Diskussionsbeiträgen und (Gegen-)Argumentationen bzw. Counter Speech. Dabei sollen auch Mitlesende erreicht und Jugendliche, die sich offen gegen Hetze positionieren, positiv bestärkt und unterstützt werden. Digital Streetwork legt offen, dass für eine erfolgreiche Arbeit im Netz nicht nur Faktoren wie ein glaubwürdiges, authentisches Profil, Medienkompetenz und Kenntnisse über die jugendliche Kommunikation sowie der Jugend- und Netzkultur entscheidend sind, sondern ebenso die Grenze zwischen privatem und professionellem Handeln nicht übertreten werden darf. Es gelingt einige Parallelen zur offline-Arbeit herzustellen und für die erste Kontaktaufnahme einen Leitfaden zu erstellen, welcher insbesondere die Bedeutung der Sprache und die persönliche Vorstellung für den Beziehungsaufbau mit einem Dialog auf Augenhöhe in den Fokus rückt. Hierzu wird eine Grafik angeboten, die bei der Einordnung der Äußerungen eines auffälligen Jugendlichen und der Identifikation der Präventionsstufe Orientierung bietet. Nach Kontaktaufnahme sollte demzufolge die pädagogische Fachkraft den Jugendlichen innerhalb einer sachlichen Argumentation mit den dargebotenen verzerrten Annahmen konfrontieren, um eine Selbstreflexion zu bewirken. Hilfreiche Tipps bietet Digital Streetwork dabei unter anderem zu wirksamen Maßnahmen im Falle eines hohen Widerstandes des Jugendlichen oder für den Umgang mit besonderen kommunikativen Herausforderungen, wie dem Verdrehen von Fakten oder Nichtanerkennung von Quellen. Jedoch werden keine Hinweise bezogen auf konkrete Fallbeispiele gegeben, in denen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter selbst zum Ziel von Hassattacken werden. Die Lesenden sind zudem dazu angehalten, diese bewährte Herangehensweise möglichst eigenständig, je nach spezifischer Bedarfslage, zu adaptieren und ist gefordert, adäquat einzuschätzen, ob und wie diese Form des Counter Speech auch auf andere Soziale Netzwerkedienste wie Instagram, Snapchat oder Twitter übertragen werden kann. Ein ausreichendes Maß an Medienkompetenz stellt demzufolge eine zwingende Voraussetzung dar. DIGITAL STREETWORK – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 ist eine gute Hilfestellung für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die ihr Arbeitsfeld auf das Internet ausweiten möchten und hierzu spezifische Kenntnisse sowie Best practice-Beispiele für erfolgreichen Counter Speech benötigen. Auf 40 Seiten wird ihnen nahezu eine Schritt-für-Schritt-Anleitung geboten, die detailliert verschiedene Ansatzpunkte aufzeigt und erläutert. Positiv fällt zudem auf, dass die wichtigsten Informationen noch einmal in grafischen Übersichten veranschaulicht oder in Merkkästen prägnant zusammengefasst werden und dabei die Bedeutung von ‚Bystandern‘ ebenfalls Berücksichtigung findet. Auf diese Weise wird ein umfassender Blick auf dieses Themengebiet gewährleistet und gleichzeitig ein wichtiger Impuls zur Erstarkung der Präventionsarbeit im Web gegeben. Die Handreichung Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0 entstand aus dem Projekt debate//, welches von der Freudenberg Stiftung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!" gefördert und im vergangenen Jahr von der Amadeu Antonio Stiftung herausgegeben wurde.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Pia Deutsch
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Dana Neuleitner: Khan Academy Kids
Khan Academy (2018). Khan Academy Kids. App für iOS und Android. kostenfrei.
Digitale Medien sind selbst für die Kleinsten schon interessant – schließlich verbringen auch ihre Eltern einen Großteil des Tages vor mobilen Endgeräten. Doch wenn sich die Kinder selbst an Smartphone oder Tablet ausprobieren wollen, bekommen viele Erziehungsberechtigte Bauchschmerzen. Denn auf dem Markt gibt es kaum Applikationen, in denen sich die Heranwachsenden sicher und sinnvoll bewegen können und womöglich sogar noch etwas dazulernen. Khan Academy Kids verspricht hier Abhilfe. Als Gründer Salman Khan feststellen musste, dass kaum kindgerechte Apps existierten, mit denen sein dreijähriger Sohn spielend lernen konnte, entwickelte er seine App Khan Academy mit Lerninhalten für ältere Schüler und Erwachsene weiter und passte das bereits erfolgreiche Lernangebot auch auf Zwei- bis Fünfjährige an. Seit Mitte des Jahres kann die kostenlose App zur Vorbereitung der Kinder auf den Kindergarten oder die Schule genutzt werden.
Khans Wunsch ist es, bereits die Kleinsten für lebenslanges Lernen zu begeistern. Hier soll das Angebot nicht auf einen Aspekt wie etwa Lesen beschränkt werden, sondern erstreckt sich vielmehr auch auf Bereiche wie Rechnen und Farben lernen bis hin zum logischen Denken. Auch soziale Aspekte, wie etwa die Thematik des Teilens oder das Erkennen verschiedener Emotionen werden ebenso spielerisch aufbereitet und animieren die Kinder unter anderem mit Videos zum Mitmachen.
Nachdem unter Angabe des Alters und der Bestimmung eines Avatars ein Benutzerprofil für das Kind eingerichtet wurde, führt der Bär Kodi spielerisch in die Welt des Lernens ein. Die liebevoll gestalteten Tiercharaktere Füchsin Sandy, Elefant Ollo, Vogel Peck und Waschbär Reya begleiten die jungen Lernenden dann weiter durch die einzelnen Spielstationen. Das Kind kann auf zwei verschiedene Arten lernen: Es kann sich selbstständig altersentsprechende Lerninhalte über die Bibliothek aussuchen oder dem vorgeschlagenen Lernpfad folgen. Die Bibliothek ist in vier große Bereiche eingeteilt: Bücher, Videos, ein Kreativbereich sowie einzelne „Level“, die das Kind in selbstgewählter Reihenfolge bewältigen kann. In der zweiten Variante wird dem Kind ein Pfad vorgeschlagen, auf dem es Schritt für Schritt neue Aufgaben und Herausforderungen lösen bzw. bewältigen kann. Dieser Pfad wird fortlaufend auf die Entwicklung des Kindes und dessen Lernfortschritt angepasst. Die Lerneinheiten sind dabei bunt durchmischt mit abwechslungsreichen Themengebieten. Dementsprechend folgt auf eine Einheit zu Emotionen beispielsweise eine zu Buchstaben. Jede Lernthematik wird zunächst durch ein kurzes Video erklärt, bevor verschiedene Aufgaben dazu gestellt werden, bei denen unter anderem der Sprachgebrauch oder die Lautgebung einzelner Buchstaben in unterschiedlichen Wortzusammenhängen aufgezeigt werden. Viele Lerneinheiten werden von animierten Videos begleitet, in deren Verlauf interaktive Aufgaben gestellt werden. Aufgabenstellungen oder Erklärungen erfolgen hier zum Teil kurz aufeinander. Auch musische Untermalung wird geboten. Beliebte Kinderlieder sorgen dabei für zusätzlichen Spaß am Lernen.
Für weitere Motivation sorgt ein simples Belohnungssystem: Je mehr Erfahrung das Kind sammelt und je besser es die Aufgaben bewältigt, desto mehr Zubehör kann es für die Tiercharaktere beim ‚Faultier- Lieferdienst‘ aussuchen. So sammelt es für Elefant Ollo Spielzeug für die Badewanne, für Vogel Peck und Bär Kodi Kostüme für ihre Kleiderschränke, für Waschbär Reya Insekten oder für Füchsin Sandy Musikinstrumente. Mit diesen Objekten kann das Kind jederzeit spielen und dabei unter anderem Hand- Auge-Koordination oder Zählen üben.
Die Bedienung der App ist für Kinder, die zuvor schon ein digitales Gerät in der Hand hatten, recht einfach. Für alle anderen würde sich ein kurzes Erklärvideo anbieten, das in die Handhabung eines Smartphones einführt. Zwar findet sich in der Bibliothek eine Lerneinheit, die den Umgang mit virtuellen Büchern erklärt, doch im regulären Spielpfad fehlt diese Option.
Etwas zu einfach scheint es dagegen, den Elternbereich öffnen zu können. Dieser ist direkt im Hauptmenü auswählbar, lediglich gesichert durch eine schriftliche Aufforderung, in eine bestimmte Richtung zu wischen, um den Zugang zu entsperren. Verborgen sind in diesem Bereich jedoch nur Einstellungen für Benutzernamen und Avatare. Einen Überblick über den aktuellen Lernstand ihres Kindes erhalten Eltern lediglich über farbige Icons in der ‚Bibliothek‘. Darin erkennen sie, ob eine Lerneinheit noch nicht begonnen wurde, sich noch in Bearbeitung befindet oder bereits abgeschlossen ist. Hier wären beispielsweise Statistiken sinnvoll, die die Nutzungsdauer und -häufigkeit aufzeigen oder die Lernerfolge in den einzelnen Einheiten darstellen – etwa ob das Kind in allen Bereichen aktiv ist oder sich auf wenige beschränkt.
Hinsichtlich des Energie- und Datenverbrauchs der Anwendung schlägt allerdings die stetig erforderliche Internetverbindung zu Buche. Eine Nutzung auf dem Tablet scheint zudem empfehlenswert, da einige Aufgaben, wie etwa das Zeichnen, auf dem kleineren Display deutlich schwieriger zu lösen sind. Beim Zählenlernen würde es sich zudem anbieten, wenn das Kind seine Auswahl bestätigen müsste – so genügt ein stures Herumtippen auf dem Bildschirm, bis die geforderte Anzahl an Objekten schließlich erwischt wurde.
Positiv hervorzuheben ist, dass keine In-App- Käufe möglich sind und auch keine Werbung geschaltet wird. Für den Abruf der Spielstände, auch von anderen Geräten, müssen sich die Eltern mit ihrer E-Mail-Adresse registrieren. Allerdings wird bei der Installation unter anderem der Zugriff auf das Mikrofon und die Erlaubnis nach der Kontensuche auf dem Gerät eingefordert, bei dem jedoch in den AGBs versichert wird, dass die Daten nicht an Dritte weitergegeben werden. Khan Academy ist eine Non-Profit-Organisation, die unter anderem unterstützt wird durch Lernmaterialien- Spenden von Super Simple, National Geographic Young Explorer, National Head Start Association und Bellwether , wie etwa Tierfotos oder Videos. Die App gewann bereits einen Parent’s Choice Award.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Dana Neuleitner
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Dana Neuleitner: Chika, die Hündin im Ghetto
Batsheva Dagan (2018). Chika, die Hündin im Ghetto. Hörbuch, gelesen von Barbara Nüsse. 1 CD, etwa 30 Minuten. Hamburg: Oetinger Media GmbH. 13,00 €.
Vor über 80 Jahren begann in Deutschland eine Zeit des Schreckens: der offiziell größte Völkermord in der Geschichte Europas. Wer nicht in das System passte, wurde etwa weggesperrt oder ermordet. Darunter auch Kinder. Wie sah das Leben eines fünfjährigen Juden während des Dritten Reichs aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Filmhörspiel Chika, die Hündin im Ghetto. Die Geschichte, die basierend auf den Erinnerungen von Batsheva Dagan verfasst wurde, spielt im Sommer 1944 und beruht auf wahren Begebenheiten. Eingeleitet wird die Erzählung von einer kurzen, kindgerechten Erklärung zu den Anfängen und Verhältnissen im Zweiten Weltkrieg.
Der fünfjährige Mikasch lebt zusammen mit seinen Eltern in einem polnischen Ghetto. Dort muss er sich an genaue Regeln halten, denn die Nazis „taten Menschen, die anders waren als sie selbst oder anders dachten, schlimme Dinge an“. Beim Spielen auf der Straße gerät der Junge mit einem Soldaten aneinander. Dieser beschuldigt ihn, einen Apfel stehlen zu wollen. Die Hündin Chika beschützt Mikasch jedoch, indem sie den Soldaten ins Hosenbein beißt, wodurch der Junge davonlaufen kann. Während sich die Hörerin oder der Hörer zunächst noch über diese Tat freuen mag, erahnt man im weiteren Verlauf bald, dass Konsequenzen für die beiden drohen könnten. Und tatsächlich: Kurz darauf wird verkündet, dass Hunde von nun an im Ghetto verboten seien. Um die liebste Spielgefährtin des Sohnes zu retten, will Mikaschs Vater Chika in einer Nacht- und -Nebel-Aktion aus dem Viertel hinausbringen, denn durch die Hündin gelang es Mikasch, selbst unter den widrigsten Umständen im Ghetto unbeschwerte Momente zu genießen und beispielsweise das Pfeifen zu lernen. Der Gedanke daran, dass Chika zurückkommt, wenn der Krieg zu Ende ist, macht Mikasch das Leben im Ghetto erträglicher. Neben Chika hat der Fünfjährige auch noch die etwa gleichaltrige Johanna zum Spielen. Ihr erklärt er, dass „Krieg“ mit den Soldaten zu tun hat und auch damit, dass die Juden keine Hunde haben und keine Äpfel essen dürfen. Die neugierige Johanna fragt daraufhin nach, ob der Krieg auch damit zu tun habe, dass sie möglicherweise „totgeschossen werden“.
Kinder fassen unter den Begriff „Krieg“ oftmals etwas ganz anderes als andere Altersgenossen oder gar Erwachsene und können oftmals dessen weitreichende Bedeutung nicht gänzlich verstehen. Auch Mikasch, der diese schwere Zeit sogar selbst erlebt hat, hat das alles noch nicht ganz verstanden. Hierdurch bietet sich die Möglichkeit, mit den Heranwachsenden über ihr Wissen und ihre Gedanken zu Kriegen zu sprechen und ihnen den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen näher zu bringen. In einer kindgerechten Weise könnten ebenso Impulse gesetzt werden, um auch auf andere Konflikte auf der Welt einzugehen und Kindern so zu verdeutlichen, was womöglich Gleichaltrige anderer Herkunft erleben bzw. erlebt haben. Ebenso werden Kindern durch die Erzählung Chika, die Hündin im Ghetto Informationen geboten, die ihnen womöglich auch im massenmedialen Alltag und im Umgang mit Kriegsberichterstattungen weiterhelfen können. Das Hörbuch ist in der Lage dieses schwierige Thema fassbar zu machen, ohne die jungen Hörenden zu verängstigen. Für Lehrkräfte würde es sich darüber hinaus anbieten, die heute geltenden Menschenrechte und die von der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte anzusprechen, wonach beispielsweise festgestellt werden könnte, dass Kinder grundsätzlich sehr wohl Äpfel essen oder einen Hund haben dürfen und nicht „totgeschossen“ werden dürfen.
Das im Oktober 2018 bei Oetinger Media GmbH erschienene Hörspiel Chika, die Hündin im Ghetto basiert auf dem gleichnamigen Kurzfilm, der unter anderem auf dem Kurzfilmfestival ArtCity als Bester Animationsfilm ausgezeichnet worden ist. Der Film erhielt außerdem das Prädikat ‚besonders wervoll‘. Das Hörspiel wird für Grundschüler ab einem Alter von sechs Jahren empfohlen. Die gleichnamige Geschichte veröffentlichte die Autorin bereits 2008.
An das Hörspiel, welches unter der Regie von Sandra Schießl entstanden ist, schließt sich ein etwa zwölfminütiges Interview mit der Autorin an, das weitere Aspekte ihres eigenen Lebens im Ghetto aufzeigt. Die inzwischen 93-jährige Batsheva Dagan wurde Psychologin, Erzieherin und Dozentin in der Lehrerausbildung und widmete sich dem Kampf gegen das Vergessen. Im Interview erzählt sie, wie es ihr gelang, trotz des Lernverbots im Ghetto Französisch zu lernen und auch, wie den Kindern mit Hilfe von Sockenpuppen erklärt wurde, wie sie sich bei Christen verstecken können. Außerdem erfahren die Hörerinnen und Hörer, wie es mit Mikasch nach Ende der Geschichte weiterging und wo Chika versteckt wurde. Dagan erläutert außerdem die Bedeutung des Grußes „Shalom“, der Farbe Gelb und dass ihre Bücher immer ein Happy End haben, „denn [sie] will den Kindern die Hoffnung nicht rauben“. Die CD bietet außerdem noch Dagans Gedichte „Vom Abschneiden der Haare“ und „Dort träume ich“, die sich ebenfalls mit ihren Erfahrungen zur Thematik des Holocaust auseinandersetzen.
Durch die Hörspiellänge von etwa 30 Minuten kann Chika, die Hündin im Ghetto gut in Unterrichtsstunden eingebaut werden. Das etwa 15 Minuten umfassende Zusatzmaterial kann entweder gemeinsam mit den Kindern rezipiert werden oder der Lehrkraft dienen, sich auf mögliche Fragen der Kinder zum Thema (Welt-)Krieg vorzubereiten. Das liebevolle Hörspiel nähert sich auf leicht verständliche Weise einem ernsten und emotionalen Thema, das nach einer zusätzlichen Einordung durch einen Erwachsenen oder eine Lehrkraft verlangt. Eltern, die sich die Geschichte gemeinsam mit ihrem Nachwuchs anhören, sollten sich der Thematik aus der Perspektive des Kindes nähern und gegebenenfalls zusätzliche Informationen zur Vermittlung an Kinder heranziehen.
„Ihr habt immer eine Wahl zwischen Gut und Böse. Jede Stunde und überall. Es hängt von euch ab, wie ihr entscheidet“, lautete der Rat der Autorin an Grundschülerinnen und -schüler. Chika, die Hündin im Ghetto kann somit einer jungen und auch kriegsunvorbelasteten Generation dabei helfen, historische Fehler nicht zu vergessen und auch ihre eigenen Entscheidungen stets zu überdenken.
Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor:
Dana Neuleitner
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Marko Junghänel: "Junait“ – ein webbasiertes Lernspiel
planpolitik Simon Raiser und Björn Warkalla (Hrsg.) (2017).Junait, das Medienkompetenzspiel. Im Unterricht den Umgang mit Sozialen Medien lernen. www. junait.de, kostenfrei.
Soziale Medien wie Instagram, YouTube oder Facebook sind sowohl im Alltag von Kindern und Jugendlichen als auch in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern von Pädagoginnen und Pädagogen permanent präsent. Nach zahlreichen Skandalen um den Datenmissbrauch durch Plattformbetreiber ist die Sensibilität bei der Nutzung dieser Netzwerke zwar durchaus vorhanden. Konsequenzen in Form einer endgültigen Abmeldung von diesen Diensten bleiben bei allen Altersgruppen jedoch eine Ausnahme.
Mit dem webbasierten Lernspiel Junait stellt das Unternehmen planpolitik eine browserbasierte Anwendung zur Verfügung, die über die häufigsten Gefahren innerhalb der verschiedenen Sozialen Netzwerke aufklärt und geeignete Handlungsstrategien vorstellt, um Privatsphäre, Persönlichkeitsrechte und eigene Daten wirksam zu schützen. Junait ist ein Online-Spiel, das Lehrkräfte und Schülerinnen bzw. Schüler kostenfrei nutzen können. Das Ziel, die Nutzerinnen und Nutzer auf reale Gefahren in Sozialen Netzwerken aufmerksam zu machen und ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, diese Gefahren zu bannen und medienkompetent Entscheidungen zu treffen, erreicht Junait durch einen leicht verständlichen Spielaufbau und die glaubwürdige Simulation echter Plattformen. Im Vorfeld müssen die Lehrkräfte über die Junait- Website einen Zugang zur Spielplattform für die Schulklasse beantragen. Mit dem unmittelbar danach per E-Mail verschickten „geheimen Codewort“ kann ein neues Spiel gestartet werden. Zunächst ist jedoch die Einrichtung eines Lehrkräfte-Kontos erforderlich, in dem Name, Mail-Adresse, Passwort und Postleitzahl angegeben werden müssen. Zusätzlich werden etwa die Schuhgröße, der Name des Lieblingsfilms oder das persönliche Lieblingsessen abgefragt. Dass der damit verbundene Abruf der IP-Adresse der Nutzenden und das Speichern der Pflichtangaben für die Dauer des Spieles notwendig sein sollen, hinterlässt trotz der Ankündigungen, dass nach Spielende alle Daten gelöscht würden, ein unangenehmes Gefühl. In Anbetracht der behandelten Thematik und der Spielelogik ist dieses Vorgehen allerdings nur konsequent und Teil der später umzusetzenden pädagogischen Intervention. Durch das eigentliche Spiel führen zwei Charaktere: Dr. SURIV, Erfinder des fiktiven sozialen Netzwerks Junait, der sich als datenstehlender Bösewicht entpuppt, und Condor, die Programmiererin, die die Spielenden beispielsweise dabei unterstützt, Bots zu identifizieren oder persönliche Daten zu schützen. Zunächst müssen jedoch einige organisatorische Vorbereitungen getroffen werden, um im Spiel aktiv mitwirken zu können. Dazu gehört beispielsweise die Einrichtung eines eigenen Avatars, mit dem man durch das Setting navigiert. Zudem ist ein Scroll-Test erforderlich. Für das Erledigen dieser und anderer Aufgaben erhält der Spielende bereits Münzen, mit denen verschiedene Items für den Avatar freigeschaltet werden können. Schließlich müssen die AGBs angenommen werden. Damit kann das eigentliche Spiel beginnen. Die Aufgabenstellungen hierzu können unter anderem folgendermaßen lauten:
- Freunde finden (Belohnung für das Hinzufügen von Freunden bekommen),
- etwas auf eine Pinnwand posten (daraufhin Meldung mit z. B. Werbung für Schuhe in der eingangs angegebenen Größe) oder kommentiere die Posts anderer (dabei auf Werbeanzeige stoßen, eine nicht weiter spezifizierte Fehlermeldung erhalten),
- einen Chat starten und beantworten (und dabei mit taktlosen Antworten oder Werbung konfrontiert werden),
- den versteckten Sicherheitsbereich im Profil aktivieren und dabei lernen, Bots zu melden und zu blockieren und
- den Virenscanner aktivieren (dazwischen tauchen Werbe-Pop-ups und Hinweise auf, dass gerade persönliche Daten verkauft werden), neue Einstellungen der Privatsphäre vornehmen und zum Schluss ein sicheres Passwort anlegen
Der interaktive Aufbau des Spiels ermöglicht auch im Umgang mit sozialen Netzwerken unerfahrenen Kindern und Jugendlichen eine problemlose Navigation durch das Setting. Eine Unterstützung durch die Lehrkraft ist jedoch ratsam. Am Ende werden die Spielenden aufgefordert, kurze Fragen zu beantworten, um das Gelernte zu wiederholen bzw. zu reflektieren: „Welche Daten sollte man nicht im Internet angeben?“, „Wo und warum habt ihr euch mit Viren angesteckt?“, „Wer waren die Fremden bei Junait und was wollten sie?“ Diese Antworten bilden bei der durch die Lehrkraft geleiteten Auswertung die Diskussionsgrundlage zur (medien-) pädagogischen Intervention. Die Pädagoginnen und Pädagogen sind selbst nicht in das Ziel eingebunden, können aber im „Lehrkraftbereich“ die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler verfolgen. Der Spielelogik liegt ein hoher Grad an Handlungsorientierung zugrunde, was nicht nur der Förderung von Medienkompetenz zuträglich ist, sondern das Spiel auch aus handlungspraktischer Sicht alltagsnah erscheinen lässt.
Die Vorbereitungszeit für Lehrkräfte ist verhältnismäßig hoch und liegt bei zirka vier Stunden. Das Spiel muss zunächst komplett durchgespielt werden. Andererseits wird mit den mitgelieferten Auswertungshilfen die abschließende Reflexion und Diskussion gut vorbereitet, eigene Recherchen sind nicht notwendig. Nachteilig am Spielkonzept ist zu werten, dass die Nutzung vor allem nur für stationäre Endgeräte (PCs in der Schule) begrenzt ist – eine mobile Version als App ist nicht verfügbar. Zudem können die bearbeiteten Folien nicht heruntergeladen oder modifiziert werden – ein Einstieg in das Lernspiel ist ebenfalls nicht variabel gestaltbar, sondern folgt einer strengen Chronologie. Hilfreich wäre darüber hinaus, wenn reale aktuelle Beispiele aus sozialen Netzwerken eingebunden worden wären.
„Junait, das Medienkompetenzspiel. Im Unterricht den Umgang mit Sozialen Medien lernen“, so der vollständige Titel, richtet sich an Schülerinnen und Schüler von acht bis 12 Jahren. Ein vollständiger Spielzyklus dauert zwischen 50 und 90 Minuten. Das Spiel wurde 2017 im Rahmen des Grimme-Online Awards mit dem klicksafe-Anerkennungspreis geehrt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband vergibt für das Spiel die Gesamtbewertung „Gut“. Junait ist ein Projekt, das sich seit über 20 Jahren mit der Entwicklung von Plan- und Simulationsspielen im gesellschaftspolitischen Kontext befasst. Dieses Bildungsangebot wurde von Ein Netz für Kinder und vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert
Dana Neuleitner: Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners
„Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar.“ „Dieser Post wurde gelöscht.“ Benachrichtigungen wie diese zeigen an, dass Inhalte aus den sozialen Medien entfernt wurden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber was wird alles gelöscht? Und wer bestimmt, was bleiben darf? Der investigative Dokumentarfilm Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners von Hans Block und Moritz Riesewieck, der zu diesem Thema schon ein Buch und ein Theaterstück verfasst hat, sucht nach Antworten. In 85 Minuten wird ein umfassendes Bild der Lage gezeichnet – allerdings mit geschärftem Blick auf die großen, den Markt bestimmenden Player wie Facebook, Google oder YouTube. Sie wollte keine Müllsammlerin werden, deshalb habe sie sich in der Schule angestrengt, erklärt eine junge Philippinerin. Die Berufsaussichten und die Bezahlung in ihrer Heimat sind oft schlecht. Doch anstatt wie viele andere sortiert sie nicht den Müll auf den großen Deponien, sondern digital: Sie ist Content-Moderatorin und arbeitet über eine Drittfirma für ein Soziales Netzwerk. Die philippinische Hauptstadt Manila ist der „weltweit größt[e] Standort für Content-Moderation“. „Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte der Nutzerinnen und Nutzer zu überwachen und zu moderieren. Ich helfe den Menschen. Ich kämpfe gegen die Verbreitung von Kindesmissbrauch. Ich muss Terrorismus identifizieren und Cybermobbing eindämmen“, erzählt sie im Dokumentarfilm, der am 28. August 2018 erstmals im Free-TV auf ARTE ausgestrahlt wurde und Anfang September in der Mediathek von Das Erste abrufbar war.
Der Film beschäftigt sich mit Zensur in den Sozialen Medien – ein sensibles und wichtiges Thema, mit dem sich auch junge Nutzerinnen und Nutzer auseinandersetzen sollten. Einerseits können gefährliche Inhalte von den etwa drei Milliarden aktiven Social Media-Userinnen und -Usern ferngehalten und sie so vor möglichem Schaden bewahrt werden. Andererseits bleibt Zensur eben Zensur, was im ungünstigsten Fall die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger beschneidet. Das Internet – und somit auch Soziale Netzwerke – kann für sie ein wichtiger Ort sein, um von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, besonders in Ländern, in denen es um dieses Recht schlecht bestellt ist. Die Autoren gehen hier etwa auf politisch motivierte Löschungen in der Türkei und Videos von Anschlägen in Syrien ein – Material, das etwa von NGOs schnellstmöglich gesammelt und vor dem Löschen bewahrt wird, um über die Lage dort zu berichten. In der Regel verfügen soziale Plattformen über eigene Nutzungsbedingungen – Gewalt, Pornografie und Hassrede verstoßen meistens dagegen. Diese Inhalte werden entfernt, wenn sie jemand meldet. Facebook etwa verbietet, „etwas zu tun oder zu teilen“, das „rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch“ ist oder „verletzt bzw. […] gegen die Rechte einer anderen Person [verstößt]“. Die Auslegung in der Praxis ist oft willkürlich. Schülerinnen und Schülern sollte diese Thematik nähergebracht werden. Dazu könnte im Unterricht darauf eingegangen werden, dass sich die Betreiber in Deutschland seit Anfang Oktober 2017 an den Richtlinien des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ‚orientieren‘ müssen. Jedoch entscheiden nicht etwa Juristinnen oder Juristen darüber, ob gemeldete Beiträge den Kategorien entsprechen und entfernt werden, sondern „Personen, […] [die] lediglich halbjährlich geschult werden“ müssen, wie No Hate Speech Movement Deutschland kritisiert. Sie – oder eben philippinische Cleaner, die oftmals über geringe Vorkenntnisse verfügen – formen durch ‚Löschen‘ oder ‚Ignorieren‘ das Welt- und Wertebild der Userinnen und User mit, bei denen Social Web fest im Alltag integriert ist und sie – auch unbewusst – beeinflusst.
Durch die bildhafte Sprache der geschilderten Erfahrungen und die Machart der Reportage und Dokumentation kann sich die Zuschauerin bzw. der Zuschauer in die Lage der Cleaner hineinversetzen. So werden beispielsweise ausgewählte, von Facebook gelöschte Bilder zum Teil nicht zensiert oder sehr detailliert beschrieben – etwa das einer erschossenen Person oder eines ertrunkenen Flüchtlingskindes sowie das provokative Gemälde eines nackten Donald Trumps der Künstlerin Illma Gore. The Cleaners trägt unter anderem deshalb FSK 16. Die Filmautoren verzichten dennoch auf eine Kommentatorin bzw. einen Kommentator. Somit lassen sie die Rezipientinnen und Rezipienten in der Verortung des Gesehenen zwar weitestgehend selbstbestimmt, allerdings in ihrer Eigenverantwortlichkeit zu wissen, zu verstehen und einzuordnen auch tendenziell auf sich gestellt.
The Cleaners könnte sich gut als Lehrvideo eignen, dabei sollte die Lehrkraft jedoch darauf achten, dass die Inhalte mit den Schülerinnen und Schülern ausreichend besprochen oder eventuell nur einige Szenen auswählt werden. Ob und wie die philippinischen Cleaner psychisch betreut werden, ist darüber hinaus fraglich.
Auch in den USA wird über psychische Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichtet. Facebook droht dort nun eine Sammelklage: Dem SPIEGEL zufolge werfen die Klägerinnen und Kläger der Plattform vor, ihre Angestellten – oft Zeitarbeiterinnen und -arbeiter – nicht ausreichend zu schützen. Es wird auch dargestellt, warum Algorithmen und schlecht ausgebildete Content-Moderatorinnen und -Moderatoren nicht zuverlässig arbeiten können: Oft muss der Kontext mit ausgewertet werden. Doch das nötige Hintergrundwissen fehlt. Ein philippinischer Content-Moderator erkennt beispielsweise den türkischen Präsidenten Erdoğan nicht und hält ihn lediglich für einen alten Mann. Jungen Lernenden kann so verdeutlicht werden, wie wichtig es ist, Inhalte aus dem Netz stets zu reflektieren und den eigenen Wissensstand zu vergrößern.
The Cleaners leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Inhalte, die gegen Gesetze oder Community-Richtlinien verstoßen und regt an, über mögliche Lösungen nachzudenken. Uploadfilter wie sie die EU-Kommission Mitte September vorschlug und die beispielsweise gegen terroristische Inhalte vorgehen sollen, könnten zwar nützen, jedoch auch schnell in Richtung Zensur schwenken. So betonte Nicole Wong, ehemalige Führungskraft bei Google und Twitter, im Film: „Wenn man Wert auf Meinungsfreiheit legt und eine demokratische Plattform will, dann entscheidet man sich für die liberaleren Grundsätze.“ Eltern oder pädagogischen Fachkräften ist demnach zu empfehlen, Jugendliche im Anschluss an den Film zu Gesprächen oder Diskussionen über Filminhalte anzuregen und unter anderem Arbeitsbedingungen der Cleaners sowie mögliche Lösungswege oder auch das eigene Nutzungsverhalten auf Sozialen Plattformen zu reflektieren.
Johannes Rockstuhl: Spiele, (für) groß und klein
Dienstag, den 21. August 2018, 9 Uhr in der Messe Köln. Die Tore öffnen sich und die Hallen beginnen sich langsam zu füllen. Noch sind die vielen Bildschirme der zehn Hallen mit rund 200.000 Quadratmetern leer und man kann sich ohne Mühe von Stand zu Stand der über 1.000 Aussteller bewegen. Am nächsten Tag um diese Zeit sollte das jedoch bereits ganz anders aussehen. Am Mittwoch startete nämlich zum zehnten Mal die alljährliche gamescom in Köln. Rund 370.000 leidenschaftliche Gamerinnen und Gamer feierten hier frei nach dem diesjährigen Motto „Vielfalt gewinnt“.
Vieles hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert. Zwar haben sich sowohl Fläche als auch Ticketpreis verdoppelt, doch bereits damals reisten schon rund 235.000 Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an, um die neuesten Spiele höchst persönlich zu testen. Die altbekannten Spielereihen waren bereits 2009 zu sehen. Während sich Fans zu dieser Zeit auf Fifa 10 und den zweiten Teil der Assasin’s Creed-Reihe stürzten, gab es in diesem Jahr die Möglichkeit, Fifa 19 und Assassin’s Creed Odyssey anzuspielen. Letzteres versetzte die Spielerin bzw. den Spieler in das antike Griechenland. Nach dem stark umstrittenen Teil Assassin’s Creed Syndicate hat sich das Team von Ubisoft zurückgezogen und Zeit genommen, um das grundlegende Spielkonzept zu überarbeiten und landete 2017 mit Origins einen sowohl von Fans, als auch von Kritikerinnen und Kritikern gelobten Hit. Nun kehrt Ubisoft mit Odyssey zurück und präsentiert ein Spiel, das, das fast ohne Grafikfehler und Ingame-Einkäufe auskommt. Ebenso kritisch beäugt wird Bethesdas neuer Ableger der Fallout-Reihe. Die postapokalyptischen Open-World-Singleplayer-Spiele werden nun mit einem Multiplayerspiel (Fallout 76) fortgesetzt, in dem jeder Charakter eine echte Person ist. Die Skepsis steigerte sich vor Ort jedoch noch weiter, denn Bethesda stellte das Spiel auf der Messe nicht zum Anspielen bereit. Lediglich ein paar Trailer konnten angesehen und angehört werden. Dies solle jedoch, wie der Direktor Todd Howard den Fans versicherte, das Spielerlebnis in keiner Weise hemmen.
Auf der Messe vertreten waren aber nicht nur AAA-Titel der großen Studios. Wenn man es einmal geschafft hatte, sich aus den überfüllten Hallen neun und sechs herauszuquetschen und einen Blick in Halle zehn zu werfen, traf man viele kleine, charmante Indie-Spiele an, wodurch auch die kleinsten Spielestudios die Chance erhalten sollten, ihre Games unter die Leute zu bringen. Diese sogenannte Indie Arena Booth hat sich nun schon seit ein paar Jahren etabliert, doch war sie in diesem Jahr größer denn je. Hier bestand die Möglichkeit, sich direkt mit den Entwicklerinnen und Entwicklern auszutauschen und die herrlich unkonventionellen Spiele auszuprobieren. In Felix the Reaper spielt man zum Beispiel ein Skelett, das sich nur tanzend bewegt und nicht aus dem Schatten hervortreten darf. Supermarket Shriek war wiederum ein Rennspiel, in dem ein Einkaufswagen gesteuert werden muss, mit dem man sich – beladen mit Mensch und Hund – durch diverse Supermärkte kämpft.
Ein Stockwerk darüber schlugen andere Herzen höher: Nämlich die der Retrospiele-Fans. In der Halle 10.2 bot sich eine Zeitreise durch vier Jahrzehnte Games-Geschichte. Für das freie Ausprobieren standen hier alte Pinball-Tische und liebevoll erhaltene alte oder auf alt gemachte Konsolen und C64-Computer bereit. An diversen Tischen durfte in die frühen Anfänge des Videospiels eingetaucht und alte Klassiker wie Pong, Space Invaders oder Moorhuhn wiederentdeckt werden. Hier trafen sich Jung und Alt, um sowohl nostalgische Gefühle als auch Neugier sprühen zu lassen. Praktisch hierbei war: Die Family & Friends-Area befand sich direkt nebenan und ermöglichte es auch den kleinsten Videospielbegeisterten, ihren Spielspaß ausleben zu können. Natürlich waren altbekannte Spiele wie Minecraft und Mario Kart anzutreffen, allerdings stand das Lernspiel klar im Fokus. Ubisoft baute zum Beispiel in seinem aktuellen Assassin’s Creed-Ableger Origins einen Lernmodus ein. Darin können Fans des alten Ägypten ohne Zeitdruck und (Überlebens-)Wettkampf die Landschaft erkunden und viel über die Kultur, Architektur und Lebensweisen der Ägypterinnen und Ägypter lernen.
Nicht nur vor den Bildschirmen stehend
Seit einigen Jahren ist die gamescom nicht mehr nur eine Messe für Gamerinnen und Gamer. Schon seit einiger Zeit scheint es viel mehr im Vordergrund zu stehen, die sich bietende einzigartige Chance zu ergreifen, in einer der Hallen sein großes Idol zu treffen. Gemeint sind hier nicht die Spieleentwicklerinnen und -entwickler, sondern die eigentlichen Stars der heutigen Zeit: YouTuberinnen und YouTuber. Es gab sogar eine eigene signing area, in der die Möglichkeit bestand, ein Foto und eine Unterschrift von diversen Let’s Playerinnen und Let’s Playern (z. B. Sarazar) oder Musikerinnen und Musikern (z. B. Rockstah) zu ergattern. An jeder Ecke fanden Events statt, die von YouTube-Stars moderiert wurden, bei denen E-Sport-Wettkämpfe geführt oder Livestreams eingeblendet wurden. Neben dem hautnahen Erleben der neuen ‚Popstars‘ präsentierte sich die gamescom aber auch gewohnt offen für ein ‚Nerdtum‘. Cosplayerinnen und Cosplayer, verkörpert als ihre Lieblingscharaktere, hatten beispielsweise Gelegenheit, in Halle fünf fündig zu werden – auch und vor allem ohne ein Kleidungsstück selbst zu nähen. Hier war der Ort, sein Geld liegen zu lassen! Man konnte T-Shirts seiner Lieblings-YouTuberin oder seines Lieblings-YouTubers kaufen oder Plakate zu Games und sogar Vinylplatten mit dem Soundtrack einzelner Spiele erwerben.
Die Vielfalt der Messe reichte jedoch nicht nur bis zu den Hallentoren. Auch wer mit Videospielen nichts am Hut hatte, konnte sich dem gamescom-Fieber nicht entziehen. Ganz Köln stand im Zeichen der Spielemesse und wurde durch Werbeplakate für diverse Spiele dekoriert. Selbst eine Brücke wurde vollkommen in die Farben von Nordrhein-Westfalen getaucht. Darüber hinaus wurde auf Werbeplakaten für diverse Spiele geworben und das alljährliche gamescomcity festival angeboten.
Sonja Berger: Datenschutz für eine enorme Zielgruppe
Digitale Gesellschaft e.V. (2018). Deine Daten. Deine Rechte. Ein Informationsportal für Verbraucher*innen zum Thema Datenschutz. deinedatendeinerechte.de, kostenfrei.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist seit dem 25. Mai 2018 gültig – dennoch kennen sich nur die wenigsten Internetnutzerinnen und -nutzer mit ihren neuen Rechten zum Datenschutz aus. Nicht zuletzt, weil die Flut an Ratgeber-Seiten, Forendiskussionen und Blogeinträgen, die dazu im Internet kursieren, kaum zu überblicken ist. Das neue Infoportal Deine Daten. Deine Rechte. schafft Abhilfe. Der Verein Digitale Gesellschaft e. V. hat sich der Herausforderung gestellt und die wichtigsten Informationen zur DSGVO aufbereitet.
Das vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz geförderte Portal stellt Informationen rund um das Thema Datenschutz zur Verfügung und will damit eine möglichst große Zielgruppe erreichen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist das Portal in vier Bereiche gegliedert, die definieren, in welchem Modus die neun Subthemen erschlossen werden können: durch Schauen, Lesen, Machen und Spielen.
Der Bereich Schauen enthält Erklärvideos zu den jeweiligen Subthemen des Datenschutzes. Deutschsprachige 3D-Animationen, unterlegt mit einer professionellen OFF-Stimme, erklären anschaulich, wie unsere personenbezogenen Daten unhinterfragt in die Firmen wandern. Eine Waage stellt das Macht-Ungleichgewicht dar, durch welches wir als Einzelne gegen die große Firma nicht bestehen können. Hier wird vermittelt: Die DSGVO verleiht uns buchstäblich mehr Gewicht und hilft uns, einen Teil der Kontrolle über die Verarbeitung unserer personenbezogenen Daten wiederzuerlangen, indem wir unsere Rechte kennen und einfordern. Die etwa zweiminütigen Erklärvideos können unabhängig voneinander betrachtet werden, um Schritt für Schritt Thema für Thema zu erschließen. Die Wiederholung der symbolhaften Waage in jedem Video macht das Schauen mehrerer Videos hintereinander ein wenig repetitiv, ist aus mediendidaktischer Sicht angesichts der vernetzten Struktur der Inhalte jedoch legitim. Die Rezeption der Videos erfordert nur bedingt Vorwissen, da sie anhand von alltagsnahen Beispielen in die Problematiken einführen und Tipps für die Praxis, die aus der Gesetzeslage hervorgehen, prägnant formulieren. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, welche mit Tutorial-Formaten vertraut sind, werden hier angesprochen. Beispielsweise erfahren wir, wie unsere Daten „umziehen“. Dabei sind die auf YouTube gehosteten Videos mit einem Erklärtext versehen, der die Nutzerinnen und Nutzer darüber aufklärt, dass trotz des erweiterten Datenschutzmodus beim Ansehen Daten an YouTube gesendet werden. Ein didaktischer Doppeldecker. Der Bereich Lesen beinhaltet ein großes Repertoire an Info-Texten zu verschiedenen Subthemen und der Bereich Machen stellt Musterschreiben bereit, die genutzt werden können, wenn beispielsweise bei einem Anbieter Auskünfte zu den dort gespeicherten Daten eingeholt werden möchten. Die Subthemen behandeln unterschiedliche Fragestellungen. Welche Datenschutzeinstellungen kann ich vornehmen, um meine Daten präventiv zu schützen? Welche Informationspflichten haben die Firmen? Wie kann ich als Nutzerin bzw. Nutzer meine Rechte einfordern? Wie kann ich mich beschweren? Wie kann man seine Daten berichtigen oder löschen lassen?
Jede Textseite ist so gestaltet, dass sie einen Überblick über das Thema liefert und zusätzlich detaillierte Infos eingeblendet werden können. Das verleiht der Seite Übersichtlichkeit und Tiefgang zugleich. Die Texte sind kurz, dafür aber mit anschaulichen Beispielen versehen und richten sich in Du-Form an die Leserschaft. Eine vernetzte Benutzerführung sorgt zudem dafür, dass von den Textseiten in die anderen Bereiche gesprungen werden kann.
Weniger übersichtlich ist hingegen die Navigation im Bereich Lesen, wo der Spagat zwischen Überblick und Fokussierung deutlich wird: Die etwas groß geratenen Überschriften sind teilweise zweizeilig und überladen das Menü, was die Themenbereiche sehr komplex wirken lässt. Klickt man auf Spielen, gelangt man zu einem niedlich gestalteten Tower-Defense-Browserspiel namens Data Clash. Es richtet sich vorwiegend an Nutzerinnen und Nutzer mit wenig Vorwissen, wie Kinder und jüngere Jugendliche. Data Clash ist eine spielerische Darbietung der Idee, seine Daten vor Diebstahl zu schützen und sie sich zurückzuholen, wenn sie doch einmal abhanden kommen. Die in Wellen angreifenden Gegnerinnen und Gegner sind Anbieter aus dem Netz und sehen erst einmal harmlos aus: Beispielsweise werden die Mailanbieter von niedlichen blauen Brieftauben verkörpert. Die Mission: Türme errichten, um diese Fieslinge abzuhalten. Für jede erfolgreiche Verteidigung gibt es eine Währung: Wissen. Wer genügend davon gesammelt hat, kann seine Verteidigungsanlagen aufwerten.
Zur Einführung jedes neuen Gegners oder Items liefert das Spiel schriftliche Kurzerläuterungen. Diese seien, so erklärt das Entwicklerteam, „absichtlich sehr grob gehalten“. Es gehe „vor allem darum, mit dem Spiel für die Bedeutung von Datenschutz allgemein und den Datenschutzrechten zu sensibilisieren, ohne detaillierte juristische Kenntnisse zu benötigen (oder zu erlernen)“. Die Botschaft: Anbieter im Internet mögen zwar auf den ersten Blick harmlos erscheinen, sind aber bei näherer Betrachtung eine potenzielle Gefahr für den eigenen Datenschutz. Bei den letzten Leveln kommen Hilfswerkzeuge wie Anwälte hinzu, welche die gestohlenen Daten wieder zurückbringen können. Sehr junge Kinder können diese „Waffen“ zur Verteidigung der eigenen Daten noch nicht verstehen und sollten beim Spielen begleitet werden. Großer Pluspunkt: Es wird eine Textseite angeboten, die in leichter Sprache wesentliche Inhalte des Info-Portals wiedergibt und dabei die EU-Standards für Inklusion einhält. Außerdem ist ein Lexikon zu finden, das die grundlegenden Begriffe verständlich definiert. Ebenfalls mit dabei: eine englischsprachige Übersetzung des Info-Portals. Dabei werden die Textseiten auf englischer Sprache angezeigt und die Erklärvideos mit englischen Untertiteln abgespielt. Mit diesen Features ist die Seite für eine extrem große Zielgruppe zugänglich. Wenn auch diese Grätsche große Herausforderungen birgt: die Lösung, verschiedene Modi mit unterschiedlichen inhaltlichen Ansprüchen anzubieten, ist ein guter Anfang. Sicherlich könnte die Seite noch weiter differenzieren. Trotzdem: ob erfahren oder weniger erfahren, deutsch- oder englischsprachig, jung oder alt, mit oder ohne Beeinträchtigung – alle können in diesem Info-Portal etwas Neues zum Thema Datenschutz dazulernen.
Markus Achatz, Nicole Lohfink: Seelenverwandtschaften
Cineasten haben das asiatische Kino längst für sich entdeckt. Schon mit dem Hongkong-Kino der 1980er Jahre hat der asiatische Film Einfluss auf die westliche Filmgeschichte genommen, in dem vor allem die technische und erzählerische Seite der Actionsequenzen weiterentwickelt wurde. Aus dem japanischen Kino stechen immer wieder starke Dramen hervor, wie zuletzt beispielsweise der Film Like Father, Like Son (Regie: Hirokazu Koreeda), der den Weg in wenige deutsche Kinos gefunden hat. Doch nicht nur für Cineasten gibt es Perlen zu entdecken. Aktuelle Filme aus dem asiatischen Raum bieten vielfältige und spannende Facetten in einem sehr eigenen Stil. Aus Japan kommen das erfrischende Filmdebüt Amiko sowie das Drama Blue Wind Blows, die Sinnsuche eines 12-Jährigen zwischen Krimi und Poesie. Die tibetische Geschichte Wang zha de yuxue – Wangdraks Regenstiefel erhellt die kindliche Logik, wie seinerzeit eine Astrid Lindgren und der indische Kurzfilm Circle geht so unaufgeregt wie eindrücklich auf vererbte Gewalt ein. Dabei stechen vor allem die heranwachsenden Hauptprotagonistinnen und -protagonisten hervor, deren Themen, Wünsche und Hoffnungen im Zentrum des Geschehens stehen. Allen erwähnten Filmen gemeinsam sind inspirierende Momente, die eine Nähe zur dargestellten Lebenswelt erzeugen und verwandte Seelen in den Akteuren erkennen lassen, unabhängig von ihrem Wohnort. Die einzelnen Filmgeschichten sind jeweils eng mit den Orten verbunden, an denen sie spielen. Die Gefühle und Sehnsüchte ihrer Hauptfiguren sind jedoch global gültig und machen die Welt ein bisschen kleiner.
Gemeinsam gegen den Strom
Amiko ist das Filmdebüt der erst 20-jährigen Japanerin Yoko Yamanaka. Mit ihrem unkonventionellen Spielfilm war sie als eine der jüngsten Regisseurinnen im diesjährigen Berlinale-Programm zu Gast. Die 16-jährige Amiko ist darin die Hauptfigur und befindet sich ständig auf der Suche nach Zuneigung und Sinnhaftigkeit in ihrem Leben. Das Mädchen ist überzeugt, anders zu sein als alle anderen und sehnt sich nach Gleichgesinnten jenseits des Mainstreams. Als sie dem etwas älteren Mitschüler Aomi begegnet, glaubt sie jemanden gefunden zu haben, der denkt und fühlt wie sie. Er ist in Amikos Augen der süßeste Junge der Schule und seit einem langen gemeinsamen Winterspaziergang ist sie davon überzeugt, dass auch Aomi gegen den Strom schwimmt. Das Mädchen projiziert alle ihre Wünsche in Aomi hinein. Ihre Gefühle gehen weit über so etwas „Normales“ wie Liebe hinaus. Aomi ist ihr Seelenverwandter. Schließlich hatte er wie sie selbst den Song „Lotus Flower“ von Radiohead als Favoriten in der Playlist seines Smartphones. Doch nach dem Spaziergang vergeht immer mehr Zeit ohne einen einzigen Kontakt zwischen den beiden. Aomi ist für Amiko nicht mehr greifbar und sie verliert sich völlig darin, über ihn und sein Handeln nachzudenken. So wie in Amikos Gedankenwelt Realität und Fantasie auseinanderdriften, zeigt auch der Film Sequenzen, deren Geschehnisse kaum mehr einzuordnen sind. Eines Tages wird bekannt, dass Aomi aus dem provinziellen Nagano in Richtung Tokioabgehauen sei. Als auch noch das Gerücht umgeht, dass er dort mit Miyako zusammen sei, versteht Amiko die Welt nicht mehr. Ausgerechnet die unfassbar durchschnittliche Miyako – der „Inbegriff der Massenkultur“. Amiko sieht sich in der Pflicht zu handeln. Das rebellische Mädchen fährt nach Tokio, um die Konfrontation mit Aomi zu suchen. Gibt es noch eine Chance für Aomi und Amiko?
Yoko Yamanakas Filmdebüt Amiko sprüht vor Einfallsreichtum. Die Hauptfigur ist unberechenbar, wildromantisch und besitzt eine gewisse Besessenheit. Eigenschaften, die auf die gesamte Story übertragen werden können. So wird plötzlich eine U-Bahn-Station zur Musical-Szenerie oder Amiko schreit sich gemeinsam mit einem schimpfenden Mann auf der Straße in Rage über all die Dummheit in der Welt. Wie Yoko Yamanaka im Interview bestätigt, steckt auch ein Teil von ihr in Amiko. Schon als kleines Kind konnte Yoko nicht aufhören nachzudenken und Dinge zu hinterfragen. Bereits mit knapp 20 Jahren hat sie ein Kunststudium und danach ein Filmstudium abgebrochen – trotz einiger Auszeichnungen für Studienarbeiten. Aus der entstandenen Leere und Einsamkeit heraus, hat sie diesen Film gedreht. Insofern ist Amiko auch ein Statement zur japanischen NEET-Generation und dem verbreiteten Phänomen der Hikikomori – jungen Japanerinnen und Japanern, die sich abkapseln und ihre Wohnungen kaum verlassen. Beides gesellschaftliche Entwicklungen, die auch in aktuellen Mangas häufiger aufgegriffen werden. Yoko Yamanakas Humor tritt zu Tage, wenn sie beispielsweise erzählt, dass ein nicht unwesentlicher Teil des kleinen Filmbudgets für die Reparatur des Autos aufzubringen war, welches sie auf dem Weg zum Dreh nach Nagano kaputt gefahren habe. Amiko erschien in der Sektion FORUM auf der Berlinale 2018 und hat beim japanischen PIA FILM FESTIVAL 2017 den Publikums-Preis sowie den Hikari TV-Award gewonnen.
Stille Vertrautheit
Das Langfilmdebüt Blue Wind Blows (Küstennebel) des japanischen Regisseurs Tetsuya Tomina handelt von der engen Seelenverwandtschaft zwischen den Heranwachsenden Ao und Sayoko. Der zwölfjährige Ao lebt mit seiner Mutter Midori und seiner kleinen Schwester Kii auf der Insel Sado. Ao vermisst seinen vor kurzem spurlos verschwundenen Vater. Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist. Als der zurückhaltende Junge der geheimnisvollen Gastschülerin Sayoko begegnet, spüren die beiden Kinder eine enge Vertrautheit. Obwohl auch das Mädchen kaum spricht und noch stärker in sich gekehrt scheint, nähern sich die beiden behutsam an und verstehen sich ohne viele Worte. Die beiden Außenseiter suchen gemeinsam nach Spuren von Aos Vater. Aus früheren Zeiten existiert eine Kinderzeichnung des Vaters. Er hat damals ein Monster gezeichnet, das an der Küste aufgetaucht war und sich zwischen dieser Welt und der nächsten Welt bewegte. Ao erinnert sich an die Erzählungen dazu: Wer das Monster sehen könne, wird von ihm in die nächste Welt mitgenommen. Die Sehnsucht nach dem Vater treibt Ao immer wieder an den Rand der Steilküste. Mit der wachsenden Freundschaft beginnen die beiden Kinder mehr und mehr ihre Sorgen und Nöte zu teilen. Sayoko lebt in einer Pflegefamilie, wo sie von den anderen Kindern schikaniert wird. Nachdem sie begonnen hat, sich zu wehren, ist sie in der Folge auch der offenen Gewalt durch Erwachsene ausgesetzt. Auf der Insel geschehen immer wieder merkwürdige Dinge und eines Tages verschwindet auch Sayoko. Ao muss sich nun auch auf die Suche nach dem Mädchen machen.
Blue Wind Blows ist ein ausgesprochen ruhiger Film, der streckenweise eine triste Atmosphäre erzeugt. Jedoch wird die Geschichte durch die intensiven Bilder vor der eindrucksvollen Kulisse der Küstenlandschaft umso eindringlicher. Es geht um Verlust und Tod, aber auch um Freundschaft und Zusammenhalt. Tetsuya Tomina inszeniert mit viel Gespür für die Erlebnisse der kindlichen Protagonistinnen und Protagonisten. Die Kinder sind trotz des begrenzten Raums auf der Insel ständig unterwegs und machen den Film zu einer poetischen und geheimnisvollen – manchmal gar gespenstischen Reise. Für den Regisseur ist eine wichtige Botschaft, dass alle Dinge einer permanenten Veränderung unterworfen sind. Was sich verändert, wird nie wieder so sein wie zuvor. Etwas, das aus der einen Perspektive betrachtet wird, kann aus einer anderen völlig unterschiedlich aussehen. Tomina vergleicht dies mit dem blinkenden Licht einer Lampe im Wind. Und so bleibt die letzte Begegnung zwischen Ao und Sayoko wie ein kurzes Aufflackern. War sie real oder nur ein Teil von Aos Vorstellung? Hat Sayoko wirklich das Monster gesehen? Blue Wind Blows lief im Februar 2018 als Weltpremiere in der Sektion GENERATION Kplus auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin (mit einer Altersempfehlung ab elf Jahren).
Die Kraft der Sehnsucht des kleinen Kindes
Mit Wang zha de yuxue (Wangdraks Regenstiefel) hat Regisseur Lhapal Gyal ein sensibles und poetisches Portrait einer Kindheit in den Bergen Tibets geschaffen. Der neunjährige Wangdrak hat während der Regenzeit in Tibet nichts zu lachen, denn er besitzt als einziger in dem Bergdorf keine Gummistiefel und muss mit durchnässten Turnschuhen laufen. Damit die Turnschuhe nicht ständig völlig durchweicht sind, trägt ihn seine Freudin Lhamo schon mal auf ihrem Rücken durch Pfützen, doch dafür handelt Wangdrak sich den Spott der anderen Kinder ein. Wangdrak wünscht sich endlich eigene Gummistiefel. Doch die Familie hat kein Geld dafür. Besonders der Vater hat zudem andere Sorgen. Denn die Getreideernte steht an, die Lebensgrundlage der Familie, und es gibt Zwist unter den Bauern. Als die Mutter entscheidet, ein Ziegenfell gegen neue, hellblaue Stiefel für ihn einzutauschen, ist Wangdraks Freude groß. Stolz trägt er sie zur Schule, trotz strahlendem Sonnenschein. Wieder erntet er Spott von den anderen Kindern. So wartet Wangdrak sehnsüchtig auf Regen. Mit Hilfe von Lhamo versucht er sogar, Regenwetter zu ‚organisieren‘, denn dann wäre alles endlich gut. Inmitten dieser weiten Landschaft und ihrer Dorfgemeinschaft, die beherrscht wird von der Holz- und Landwirtschaft und der das ganze Leben bestimmenden Ernte, folgt Regisseur Lhapal Gyal den Wünschen eines kleinen Jungen und weckt die Erinnerung an die eigene Kindheit. Erinnerungen daran, als das kleine Kind, das man war, sich das erste Mal etwas wirklich fest wünschte, egal, was andere davon halten. Und an die kleinen Momente der Freude, wenn die Welt in Ordnung ist. Um das zu erreichen, folgt Gyal dabei konsequent dem Blickwinkel seiner jungen Protagonistinnen bzw. Protagonisten und verweilt innerhalb der Grenzen ihrer Welt, an die sie hier und da stoßen.
Wenn Wangdrak seine nassen Turnschuhe ans Feuer stellt, seine Not demonstrierend, allen Mut zusammennimmt, um mit seinem Vater über sein Bedürfnis zu sprechen und darin scheitert, dann spüren wir mit ihm die Machtlosigkeit, für seine Gefühle Worte zu finden, das Ringen um Verständnis. Nur mit der Mutter findet er ebensolche vertrauten Momente. So können sich die Zuschauenden dem Weltverständnis der Kinder nicht entziehen, denn alles ist aus ihrer Sicht erlebt. Allein in den wenigen Szenen, in denen nur Erwachsene sind, zum Beispiel in einem Gespräch zwischen den Eltern oder einer Versammlung der Dorfbauern, gibt es auch kurze Einblicke in die Welt der Erwachsenen.
Mit diesen Informationen und den Situationen aus der Erlebniswelt von Wangdrak ergibt sich ein Gesamtbild, das anschaulich, aber auch liebevoll die Spannung zeigt, die sich aus der Reibung zwischen den Bedürfnissen der Kinder und denen der Erwachsenen-Welt speist. Dazwischen offenbaren sich die kleinen und größeren Brücken zwischen ihnen. Und so endet der Film versöhnlich mit dem Schwenk über die weite Landschaft, die diese Menschen prägt, und die beiden Kinder, die darin umherlaufen und zuhause sind. Und ganz unverhofft sind wir mit ihnen dort zuhause.Lhapal Gyal selbst stammt aus Hainan, dem autonomen Bezirk der Tibeter in der chinesischen Provinz Qinghai und studierte in Peking an der Filmhochschule. Wang zha de yuxue ist sein erster Langfilm und basiert auf einem Roman des tibetischen Schriftstellers Cai Langdong Zhu. In der Originalfassung wird in tibetischer Sprache gesprochen. Wang zha de yuxue – Wangdraks Regenstiefel lief im Februar in der Sektion GENERATION Kplus auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin (mit einer Altersempfehlung ab sieben Jahren).
Die Macht des Ungesagten
Nicht unerwähnt bleiben soll der Dokumentarkurzfilm Circle, von der britisch-indischen Filmemacherin Jayisha Patel. Circle folgt drei Generationen von Frauen in ihrem Lebensumfeld in Indien, blickt dabei hinter die Fassaden und deckt den Kreislauf der Gewalt auf. Dabei fokussiert der Film auf die 13-jährige Khushboo, die sich nach einer Gruppenvergewaltigung mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass ihre eigene Großmutter das organisiert hat und sich schließlich in einer Kinderheirat mit einem Mann, den sie nicht kennt, wiederfindet. Die Regisseurin begegnete Khushboo während sie in Uttar
Pradesh für ein anderes Filmprojekt tätig war. Was folgte, waren drei Jahre, in denen Patel die Familie begleitete und in deren Prozess es möglich war, auf die tieferen Beweggründe für die Gewaltbereitschaft der Großmutter zu blicken – auf die Internalisierung von negativen Sichtweisen, um in Machtstrukturen, die nicht zum eigenen Vorteil sind, zu überleben. In unaufgeregten Bildern und in Alltags-Situationen und Gesprächen zeigt Patel diese Internalisierung von Gewalt und Misogynie, im Sinne von subtil in der Gesellschaft verankerten frauenverachtenden Mustern. Da tauschen sich Mutter und Tochter geradezu distanziert über ihnen widerfahrene Gewalt aus. Die Großmutter beschimpft Tochter und Enkelin und hält sie zum schnelleren Arbeiten an, lässt in ihren Begründungen für diese Handlungsweise aber erkennen, dass sie es schließlich auch nicht anders kennt. So schält sich nach und nach heraus, dass der Kreislauf der Gewalt schon viel früher begann. In dem Film wird vieles mit Worten angesprochen, doch letztlich sind es die Momente, in denen niemand etwas sagt, die am aussagekräftigsten sind: Wenn die Mutter Khushboo ihre Haare flicht, wenn Khushboo den Boden schrubbt und die Großmutter zusieht, dann wird die innere Anspannung und Zerrissenheit unwillkürlich spürbar. So ist es auch die letzte Einstellung des Films, die noch lange nachwirkt: Die 13-jährige Khushboo in vollem Braut-Ornat auf ihrer Hochzeit, blickt ein letztes Mal in die Kamera, hinter der Patel steht, ein langer, konzentrierter Blick. Es ist ein Abschiedsgruß an die Filmemacherin, die sie drei Jahre begleitet hat und die nach der Hochzeit auch keinen Kontakt mehr zu ihr hat. Es wäre zu gefährlich für Khushboo.
Seine Aktualität bezieht der Film nicht nur aus der MeToo-Debatte, sondern aus dem Gegenpol zu der Wohlstands-Gesellschaft und den damit einhergehenden Privilegien, in denen die Debatte hauptsächlich stattfindet. Im ländlichen Indien ist es ungleich schwerer, Strukturen der Gewalt zu durchbrechen und wo Internet sowieso kaum eine Rolle spielt, lassen sich lange verankerte Ansichten und Gewohnheiten auch nicht durch eine Facebook- Debatte ins Wanken bringen. Der Film befasst sich mit keinem leichten Thema und er macht es ohne Effekthascherei durch die beobachtende Linse. So kann Circle in seiner geografischen und kulturellen Ferne, seiner menschlichen Nähe und der Tragweite zum Thema Gewalt und ihre Ursachen ein wertvoller Anreiz sein, um wichtige Fragen zu stellen. Circle lief im Februar in der Sektion BERLINALE SHORTS auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Nicole Lohfink ist freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin, medienpädagogische Referentin und derzeit in Elternzeitvertretung für Birgit Irrgang, Leiterin der Medienstelle Augsburg, tätig.
Beitrag aus Heft »2018/04 Medienpädagogik und Informatik«
Autor:
Nicole Lohfink,
Markus Achatz
Beitrag als PDF
Elisa Eberle: Psychospiele im Klassenraum
Oppermann, Lea-Lina (2017). Was wir dachten, was wir taten. Hörbuch, Hörcompany. 259 Min., 14,95 €.
Was tust du, wenn deine Matheklausur plötzlich von einem Amoklauf unterbrochen wird und eine maskierte fremde Person deine Mitschüler zwingt, Stück für Stück ihre dunkelsten Geheimnisse der Klasse zu offenbaren? Für Fiona Nikolaus, ihren Mitschüler Mark Winter und ihren Lehrer Anton Filler wird Gedankenexperiment in Was wir dachten, was wir taten zur Realität. Gelesen von Birte Schnöink, Julian Greis und Sebastian Rudolph – allesamt Mimen des Hamburger Thalia Theater – schildern die drei Hauptfiguren des Hörbuchs von Lea-Lina Oppermann aus verschiedenen Perspektiven, „was WIRKLICH passiert ist“, während Radio und Presse ihrer Meinung nach eine andere Wahrheit erzählen. Die Handlung beginnt inmitten einer Situation, die eigentlich jede Hörerin und jeder Hörer aus der Schulzeit kennt: Vierzehn Jugendliche brüten über einer schweren Matheklausur. Dabei sind alle typischen Charaktere einer durchschnittlichen Schulklasse vorzufinden: Die coolen Jungs, die den Anschein erwecken, gerade aus die Muckibude zu kommen, das püppchenhafte Modelmädchen, das nur an sich denkt, und die Desinteressierten aus der letzten Reihe. Alles ist wie immer, bis auf einmal eine Lautsprecherdurchsage die Stille durchbricht und vor einem Sicherheitsproblem warnt. Zunächst reagieren alle wie sie es gelernt haben: Tür verriegeln, ruhig verhalten, abwarten. Doch als ein kleines Mädchen weinend von außen an die Klassenzimmertüre klopft ist es vorbei mit der Gelassenheit. Was sollen sie jetzt tun? Sollen sie das Mädchen hereinlassen – oder etwa nicht? Nach einer langen Diskussion lassen sie das Mädchen, gefolgt von einer bewaffneten Gestalt, herein. Was jetzt passiert, hat niemand erwartet: Aus der jeweils eigenen Perspektive erzählen die drei Hauptfiguren, wie maskierte Person mit erhobener Pistole zehn nummerierte Umschläge zum Vorschein holt und den Mathelehrer dazu zwingt, die darin enthaltenen letzten Wünsche vorzulesen. Es sind Wünsche, die Rache üben, demütigen, Träume zerstören und die dunkelsten Seiten der einzelnen Schüler zum Vorschein bringen. Sie alle werden systematisch zu den im Verlauf immer drastischeren Straftaten gezwungen, die von Nötigung über Sachbeschädigung bis hin zu Körperverletzung reichen. All das dauert so lange, bis selbst der Lehrer seine regelkonforme Fassade verliert und blind gehorcht. Bis schließlich der letzte Zettel vorgelesen wird…
Was wir dachten, was wir taten ist ein psychologisches Kammerspiel, welches ausschließlich in einem geschlossenen Klassenzimmer spielt und die Gedanken, Sorgen und Ängste der Schüler aufgreift und mit einem spannenden Zugang bearbeitet. Selbst wenn manche Aufgaben der maskierten Person für Außenstehende lächerlich wirken – die Betroffene und damit auch Hörenden sind gezwungen, sich mit ihren Taten und Wünschen auseinanderzusetzen. Wie zum Beispiel Fiona, die gezwungen wird, ihren heimlichen Schwarm zu küssen und dabei feststellen muss, dass sie nichts an ihm wirklich anspricht. Durch diese tiefen psychologischen Bezüge wirken die Figuren glaubwürdig und real. Jungen Hörern kann mithilfe dieses Hörbuchs vermittelt werden, dass jeder Mensch eine dunkle Seite hat und es sich lohnt, gegen unfaires Verhalten gegenüber Mitmenschen zu kämpfen. Eifersucht, jugendliche Schwärmerei für die Lehrerin oder den Lehrer, Diebstahl, Magersucht – viele der im Hörspiel behandelten Themen kennen die meisten Hörer selbst aus ihrem Alltag. Das Hörspiel spielt außerdem mit einigen typischen Schüler-Lehrer-Klischees, die eigentlich jede und jeder aus seiner Schulzeit kennt, auch wenn sie nicht immer widerspruchslos von der Gesellschaft akzeptiert werden. In Kombination mit der Vermittlung von Schülerweisheiten, wie zum Beispiel, dass der beste Sitzplatz bei einer Klausur in der Ecke sei, und einem regelkonformen, überforderten Lehrer generieren eine besonders faszinierende Spannung, die durch die direkte Ansprache des Hörenden als eine Art ‚Eingeweihte‘ verstärkt wird. Durch diese emotional-psychologische Komponente lernen Jugendliche einige wichtige Lektionen: Wie verhalte ich mich bei Amoklauf? Was kann passieren? Und wozu können Mut und Zivilcourage führen? Durch die Tatsache, dass einige Rettungsversuche der Figuren scheitern, erhält die Erzählung einerseits einen realistischen Charakter. Andererseits können die misslungenen Versuche unter Umständen besonders sensible, kleine Heldinnen und Helden auch desillusionieren. Neben den psychologischen Lerneffekten auf die Rezipierenden sticht jedoch auch die metatextuelle Gestaltungsebene der Geschichte ins Auge: Auffallend häufig spielt der Text mit Alliterationen und Wortspielen wie ‚Schweiß auf weiß‘. Aussagen wie „kein Ring, kein Tarnumhang, um mich unsichtbar zu machen“ hingegen verweisen auf andere Medien und Geschichten, wie in diesem Fall Der Herr der Ringe oder Harry Potter. Genauso werden Geschehnisse von den Schülerfiguren mit Szenen aus Horror- oder Westernfilmen verglichen sowie literarische Figuren wie Winnetou oder die Todesser in die Erzählung integriert. Diese popkulturellen und intermedialen Verweise machen den Text besonders lebhaft und ansprechend für junge Hörer. Selbst wenn Hörer einige Zitate nicht durchdringen und zuordnen können, bleibt das gesamte Hörbuch trotzdem nachvollziehbar und regt im Idealfall zur Auseinandersetzung mit unbekannten Geschichten an.
Zusammenfassend gelingt Lea-Lina Oppermann in ihrem Hörspiel Was wir dachten, was wir taten eine interessante und kurzweilige Geschichte, die die jugendlichen Rezipienten zum Nachdenken über ihr eigenes Sozialverhalten anregt. Dazu trägen insbesondere die thematische Schwerpunktverschiebung auf einer psychologischen Ebene – weg von einem klassischen Amoklauf – bei.
Elisa Eberle war Praktikantin bei merz | medien + erziehung. Sie studiert derzeit den Masterstudiengang Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ulrich Tausend: Die re:publica – am digitalen Puls?
Was macht das Internet mit der Gesellschaft? Was kann die Gesellschaft mit dem Internet anstellen? Um diese Fragen zu diskutieren, treffen sich jährlich Tausende Akteure aus der Netzgemeinde, Wissenschaft, Politik und Kultur zur re:publica- Konferenz in Berlin. Vor 12 Jahren als Blogger- Konferenz, von den Betreibern von Spreeblick und netzpolitik.org gestartet, hat sie sich zu einer international beachteten Veranstaltung mit einem vielfältigen Themenspektrum rund um Digitales und Gesellschaft entwickelt. Teil dieses digitalen Zeitgeschens wollte in diesem Jahr auch die Bundeswehr sein, was gleich zur ersten Kontroverse unter den Teilnehmenden der Konferenz führte. Drei Soldaten in Flecktarn standen zum Start der Tagung vor dem Veranstaltungsgelände, sprachen die Wartenden an und verteilten Flyer, um für die Zulassung mit einem eigenen Stand zu werben. Begleitet wurde der Auftritt von einer re:publica-kritischen Social Media-Kampagne. Ich persönlich kenne keine Veranstaltung bei der Twitter so stark genutzt wird wie auf der re:publica. Hier wird der Puls der Konferenz spürbar, und man bekommt einen kleinen Ausschnitt in das, was auf den 19 Bühnen gerade passiert. Vieles davon hatte mit dem diesjährigen Thema der Konferenz POP zu tun, das in verschiedenen Spielarten interpretiert wurde. Es sollten beispielsweise Filterblasen zum Platzen gebracht werden. Zudem wurden drängende Fragen nach den aktuellen Entwicklungen in der Medienlandschaft gestellt: Welchen Einfluss haben (Scripted) Reality Shows, Insta-Stars und Influencer auf die Gesellschaft? Was macht alternative Fakten so ‚sexy‘ für besorgte Bürgerinnen und Bürger? Sascha Lobo stellte hingegen die Frage nach dem Pop und Antipop(ulismus). Häufigstes Deutungsschema war aber "Power Of People", also wo die Macht der Masse liegt. Unverkennbar: Es wurde die politischste re:publica bisher. Der Stargast der diesjährigen Konferenz war die Whistleblowerin Chelsea Manning. Im Jahr 2010 hat sie, noch als Nachrichtenanalytikerin des US-Militärs unter dem Namen Bradley Manning, Hunderttausende Dokumente an Wikileaks weitergegeben.
Diese enthüllten unter anderem, dass Merkels Handy durch die NSA abgehört wurde und enthielten brisante Informationen über unrechtmäßig Inhaftierte in Guantanamo. Bekannt wurde auch ein Video, in dem US-Soldaten aus einem Kampfhubschrauber mehr als ein Dutzend Zivilisten erschossen. Nach sieben Jahren Haft wurde sie in einer der letzten Amtshandlungen Barack Obamas begnadigt. Auf der re:publica wurde ihr ein sehr herzlicher Empfang bereitet. Die größte Bühne war überfüllt und es gab viel Applaus für ihre Äußerungen. Manning kritisierte, dass in den zurückliegenden Jahren das Sammeln von Daten durch Staaten und Unternehmen immer weiter zu¬genommen hätte. "Wir dürfen nicht darauf warten, dass Institutionen sich verändern. Wir müssen sie selbst verändern", so appellierte sie an Programmiererinnen und Programmierer. Sie wandte sich auch an die versammelten Medienvertreterinnen bzw. -vertreter: Meinungsfreiheit bedeute nicht, jedem ein Mikrophon in die Hand zu geben, der eine Meinung habe. Manning selbst will kein Vorbild sein. Für viele re:publica-Besucherinnen und Besucher ist sie aber genau das. Jemand, der nicht nur redet und die Hoffnung auf Veränderung in Tweets ausdrückt, sondern handelt und für Überzeugungen – auch im Gefängnis – einsteht. Chelsea Menning hinterließ den Eindruck, dass die Netzgemeinde Heldinnen und Helden sucht und braucht. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Euphorie, die viele noch mit dem Internet der Anfangsjahre verbinden, mehr und mehr verfliegt. Für Sascha Lobo war das Internet zwar schon auf der re:publica 2014 kaputt. Die Bedenken gegenüber neuen technischen Entwicklungen und deren Einfluss auf die Gesellschaft haben wohl aber erst jetzt die Mitwirkenden über die Jahre eingeholt. Besonders häufig problematisiert wurde dabei die Rolle von Algorithmen in Entscheidungsprozessen. So sah Harald Lesch einen Verlust der Erkenntnisbegründungen, die zu einem Ende der Aufklärung führen könne. Man würde die Kontrolle durch von Algorithmen gesteuerte Prozesse verlieren. Die aktuell am weitesten fortgeschrittene Entwicklung in diesem Bereich beschrieb Katika Künreich. Sie gab einen Einblick in Chinas Social Credit-Systeme, bei der Konzerne die gesammelten Daten zu Suchverhalten, Social Media oder Finanztransaktionen kombinieren – mit vollumfänglich ‚legitimierten‘ Zugriff eines auf "Harmonie" zielenden Staates. 2020 wird die Nutzung solcher Systeme für alle Chinesinnen und Chinesen obligatorisch sein. Der Vortrag zeigte, wie sich die Digitalisierung zu einer massiven Bedrohung kritischen und damit auch demokratischen Denkens entwickeln kann.
Dagegen positioniert sich die p≡p coop, ein Zusammenschluss von Internet-Aktivistinnen und Aktivisten (Autorinnen wie Sibylle Berg, Juli Zeh und der Autor Marc-Uwe Kling sind Gründungsmitglieder), die auf der re:publica ihre Idee präsentierten: "Es wird allerhöchste Zeit, uns Bürgerinnen und Bürgern wirksam vor den Folgen der Digitalisierung zu schützen. Weil die Politik nichts unternimmt, machen wir das jetzt eben selbst", erklärte Zeh. p≡p steht für "pretty easy privacy" und will uns ermöglichen, auf CryptoPartys endlich wirklich zu feiern, da deren Verschlüsselungstechnik keiner langen Erklärung bedarf. Die düstere Show ließ viele Zuschauenden lange zweifeln, ob es sich um eine ernsthafte Initiative oder um eine Kunstaktion handelt. Als ich mit zwei Medienpädagogen über die Aktion sprach, zeigte sich, wie stark sie polarisierte. Für den einen war es die inspirierendste Session. Beim zweiten fiel sie komplett durch. Der kontroverse Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, gerade auf einer nicht rein medienpädagogischen Veranstaltung stellt einen großen (Mehr-)Wert der re:publica dar. Auf der re:publica laufen einem ständig Medienpädagoginnen und -pädagogen über den Weg. Besonders viele sieht man natürlich bei den unter dem Begriff re:learn zusammengefassten Vorträgen. Dort wurde gefragt, wie die Digitalisierung der Bildung gelingen kann. Es wurde über Making und Open Source in Bildungskontexten debattiert und besprochen, was der DigitalPakt so (nicht) mit sich bringt. Aber bei der re:publica handelt es sich eben nicht um eine medienpädagogische Fachkonferenz. Viele Vorträge bleiben eher an der Oberfläche. Die Stärke der re:pulica ist ihre Vielschichtigkeit. So konnte man dieses Jahr in vielen von den 400 Vorträgen, welche größtenteils online verfügbar sind, auch in Themen wie Blockchain oder Smart City eintauchen. Dazu gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, dessen kommerzieller Einfluss durch die hohe Präsenz von (Medien-)Unternehmen in Ausstellungsständen und Vorträgen spürbar ist. Insbesondere bei der angedockten Media Convention kann es passieren, dass eine Session weniger kritisch ausfällt und eher einer Werbeveranstaltung gleicht. Einige Besucherinnen und Besucher schwärmen in solchen Momenten vom weniger kommerziellen Chaos Computer Congress. Dennoch: Ein Besuch der re:publica gibt die Chance auf das Einverleiben des Hier und Jetzt – dem Spüren des digitalen Pulses.
Daphne Schubert: eKidz.eu – "Kind+iPad+eKidz.eu = Lesenlernen macht Spaß!"
eKidz.eu GmbH (2017). eKidz.eu – Deutsch lernen. App für iOS. kostenfreie Testversion.
"Lesenlernen leichtgemacht! – Spannende digitale Inhalte und mehr Motivation zum Lernen." Mit diesem Versprechen präsentiert sich eKidz.eu als neuer Player auf den Markt der Lern- Apps. Innerhalb von neun Stufen soll die Anwendung Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren darin unterstützen, ihrem Lernstand entsprechend, Lesefähigkeiten auszubauen und somit das Sprachverständnis zu schulen. Die aktuell kostenfrei zur Verfügung stehende Testversion richtet sich vorrangig an Kinder der Vorschule und der ersten bis zweiten Grundschulklasse. Auf der Basis der Erfahrungen von Akademikerinnen und Akademikern, Lehrenden und pädagogischen Fachkräften werden die Leselevels, den Vorkenntnissen der Kinder entsprechend, in drei Gruppen unterschieden und unterteilen sich jeweils in drei Stufen: Leseanfänger (Stufe 1-3), Frühleser (Stufe 4-6) und fortgeschrittene Frühleser (Stufe 7-9). Je Lese-Stufe stehen drei bis fünf Texte in Form von ‚Büchern‘ zu verschiedenen klassischen Unterrichtsthemen, wie zum Beispiel zu gesunder Ernährung, Kunstformen oder dem Wetter aber auch zu Alltagsthemen zur Verfügung. Diese können nach einem wiederkehrenden Schema bearbeitet werden: Das Kind kann einen Text lesen, sich vorlesen lassen und – sobald diese beiden Schritte abgeschlossen sind – fünf Fragen zu den behandelten Themen beantworten. Im Unterschied zu anderen Apps können nicht nur das Erkennen von Buchstaben oder einzelnen Wörtern geübt, sondern ebenfalls Wort- und Satzerfassung, der Lesefluss sowie das Textverständnis trainiert werden.
Nach Installation der App muss zunächst ein Hauptkonto eingerichtet werden, das auf bis zu 35 weitere Konten erweitert werden kann. Jeder Account kann durch ein von der App vorgeschlagenes Passwort gesichert werden. In diesem Account sind für jedes Kind die Lesestufe sowie die Sprache für die Anleitungen individuell festgelegt. Sowohl die volljährige Inhaberin oder der Inhaber des Hauptkontos bzw. Mentorin und Mentor als auch das Kind haben die Möglichkeit, die in der App verbrachte Zeit sowie den Stand der bereits bearbeiteten Bücher mit entsprechendem Lernfortschritt einzusehen und nachzuverfolgen. So stellt eKidz.eu ein gut geeignetes Instrument für Lehrende oder Erziehende dar, den Entwicklungsstand der Lernenden zu beobachten und individuell zu unterstützen.
Der Textumfang pro Buch bzw. pattern book beginnt auf Stufe eins mit 30 Wörtern und steigert sich nach und nach auf 550 Wörter in der letzten Lesestufe. Bei zunehmender Länge der Texte erhöht sich auch die Anzahl der dargestellten Wörter pro Seite. Dabei werden die Texte durch lebendige Illustrationen in kräftigen Farben begleitet, die das Verständnis des Erzählten durch visuellen Bezug erhöhen. Zum erleichterten Nachvollzug von Lautverbindungen wird in den Stufen eins bis drei sehr langsam und silbenbetont vorgelesen. Die Vorlesegeschwindigkeit sowie die Verbindung der Silben nimmt für die Gruppe der Frühleserinnen und -leser zu und mündet für Fortgeschrittene in eine natürliche Sprechgeschwindigkeit mit erhöhter Komplexität der Satzstrukturen. Die vorgelesenen Wörter werden parallel zum Ton farbig hervorgehoben, sodass das Kind eine visuelle Orientierung innerhalb des angezeigten Textes erhält. Sobald die Aufgaben Hören und Lesen erfüllt wurden, werden – bei bestehendem Internetzugang – Verständnisfragen zu den Texten gestellt. Falls dabei noch Fehler auftreten, haben die jungen Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, den Text erneut zu lesen. Dabei stehen alle vorab heruntergeladenen Texte auch offline zur Verfügung.
eKidz.eu ist eine gut durchdachte und kindgerecht gestaltete App, die intuitiv zu bedienen ist und in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden kann: Zur Unterstützung des Lernprozesses zu Hause, innerhalb von Lerngruppen oder – bei vorhandener technischer Ausstattung – durchaus auch im schulischen Kontext. Der übersichtliche Aufbau und die klar strukturierten Lernabläufe ermöglichen Kindern eine selbstständige Beschäftigung mit der Anwendung. Motivationale Impulse erhalten die Übenden durch eine Lernfortschrittsanzeige, die sowohl die Intensität der Auseinandersetzung mit Texten steigert als auch mit den Inhalten. Die Angabe von Prozentzahlen erscheint für die adressierten Kinder jedoch etwas abstrakt und könnte durch eine visuelle Aufbereitung mit Piktogrammen kindgerechter ausfallen. Zudem findet sich noch keine Aufgabe zum Schreiben, wodurch der Erwerb von Lese- und Sprachkompetenzen beschleunigt und erhöht werden könnte.
Bei der Einrichtung der Kinderkonten müssen die Eltern oder Lehrkräfte den Lernstand der Kinder vorab bereits gut einschätzen können, da die Stufenangaben der Anwendung keine näheren Erläuterungen enthalten. Mehr Transparenz darüber, welchem Lernstand diese Angaben entsprechen, könnte eine bedürfnisgerechtere Lernbegleitung durch Eltern und Lehrer erleichtern.
In Bezug auf die inhaltliche Gestaltung zeigt eKidz.eu, dass sich die Entwickler intensiv mit Unterrichtsinhalten und einer alters- wie kindgerechten Umsetzung auseinandergesetzt haben. Es werden altersgemäße Themen aus dem Alltag und Lehrplaninhalte wie beispielsweise für den Sach- und Heimatkundeunterricht angeboten, aber auch bekannte Märchen und klassische Literatur wie Tom Sawyer und Der Fischer und seine Frau aufgegriffen und entsprechend aufbereitet. Hierdurch kann nicht nur die Lese- und Sprachkompetenz geschult und der Grundwortschatz erweitert, sondern ebenso Allgemeinwissen aufgebaut werden, welches durch Informationen zu verschiedenen Fachbereichen wie unter anderem Kunst oder Biologie angereichert werden kann.
Die Arbeit mit abgeschlossenen Geschichten statt mit isolierten Aufgaben bietet Kindern einen geeigneten Rahmen für den Aufbau von Kompetenzen zur zunehmend eigenständigen Beschäftigung mit Büchern und Texten und verhilft ihnen dabei zu Erfolgserlebnissen.
eKidz.eu ist eine fundiert entwickelte App, deren derzeitige Weiterentwicklung und Funktionserweiterung sich zu verfolgen lohnt. Unter anderem ist eine Erweiterung der Zielgruppe auch auf die dritte und vierte Grundschulklasse in Planung. In der Endversion sollen Basisfunktionen weiterhin kostenlos zur Verfügung stehen. Ergänzend dazu sind verschiedene kostenpflichtige Abonnementmöglichkeiten und In-App-Käufe angedacht.
Aktuell ist die App als iOS-Anwendung erhältlich. Eine Android-Version ist laut Entwickler in Planung.
Daphne Schubert
Beitrag aus Heft »2018/03 Orientierung in der komplexen Welt«
Autor:
Daphne Schubert
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Elisa Eberle: Wer hat Urheberrecht?
Vision Kino (Hrsg.) (2017). Wer hat Urheberrecht? www.wer-hat-urheberrecht.de, kostenfrei.
Wie entsteht ein Film? Wer ist alles am Dreh beteiligt? Und wem gehört das fertige Produkt? Diesen Fragen widmet sich die multimediale Plattform von VISION KINO mit ihrem umfangreichen und kostenfreien Angebot an Unterrichtsmaterialien für Lehrende. Die Website bietet Interviews von Filmschaffenden, Erklärvideos, Filmplakate sowie -trailer und verfolgt das Ziel, Kinder und Jugendliche für Urheberrecht zu sensibilisieren und sie mit dem Medium Film vertraut zu machen. Inhaltlich gliedert sich das Angebot in sechs Themen, je drei für eher jüngere bzw. eher ältere Schülerinnen und Schüler. Das ganze Angebot lässt sich über eine Filterfunktion auf der Startseite nach Altersstufe (Primar-, Sekundarstufe I und II) sowie Schulfach selektieren. Einzelne Arbeitsschritte einer Filmproduktion und Formen der Filmrezeption werden über Interviews mit Filmschaffenden sowie in Form von Arbeitsblättern kurz angesprochen. Jüngere Schulkinder lernen auf diese Weise Filmberufe näher kennen und erhalten über ihren Lieblingsfilm einen direkten Zugang zum Thema. Ältere können sich dagegen mit den unterschiedlichen Formaten einer Filmkritik, beispielsweise auf Twitter oder im Feuilleton, auseinandersetzen. Den eigentlichen Schwerpunkt der Seite bilden die hinteren Themen: Zunächst rückt die ‚Medieninstitution Kino‘ in den Fokus, wobei unter anderem verschiedene Kinotypen vorgestellt sowie Jugendliche der Sekundarstufen mit wirtschaftlichen Aspekten des Kinos, wie der Filmfinanzierung, der Verwertung und den Urheberrechten vertraut gemacht werden. Ebenso wird erklärt, aus welchen Teilen sich der Preis einer Blu-ray zusammensetzt und welche Kosten eine Filmproduktion verursacht. Gleichzeitig werden die Jugendlichen für das Thema Raubkopie sensibilisiert. Auch das Filmmarketing eines Kassenschlagers wie Fack ju Göhte wird intensiv analysiert und mit kreativen Arbeitsaufträgen verknüpft. Die zentrale Frage ‚Wer hat Urheberrecht?‘ stellt das letzte Thema. Als Einleitung in den Diskurs werden Grundschülerinnen und -schülern die Unterschiede zwischen geistigem Eigentum und Sacheigentum erklärt. Altersadäquate Praxisbeispiele illustrieren zudem die Entstehungsgeschichte des Animationsfilms und die Bedeutung von Filmmusik. Daneben liefert ein Infoblatt Tipps, welche Filmmusik für eigene Produktionen verwendet werden darf und dabei legale Bezugsmöglichkeiten vorstellt. Außerdem werden die Präsentation von Marken und der Umgang mit Persönlichkeitsrechten in dokumentarischen Filmen erläutert sowie die Unterschiede zwischen Parodie und Remake definiert. Urheberrechtsverletzungen und ihre Folgen werden abschließend auf leicht zugängliche Weise erörtert. Für Grundschülerinnen und -schüler steht ein Beispiel aus dem Schulalltag zur Verfügung, Ältere können sich über legale und illegale Streaming- und Download-Angebote informieren. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II debattieren in den Rollen aller am Urheberrechtsstreit Beteiligten in einer großen Podiumsdiskussion. Daneben bieten zwei Infotheken auch für pädagogische Fachkräfte eine übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Informationen rund um das Urheberrecht und alle verwandten Themenbereiche.
Das Angebot von Wer hat Urheberrecht? ist zielgruppenorientiert und abwechslungsreich gestaltet: Besonders der Regionalbezug sowie die Zitate aus aktuell populären Kinohits transferieren die Arbeitsaufträge aus einem rein theoretischen Kontext in die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler. Dabei spornt das Erstellen eines Steckbriefes für den eigenen Lieblingsfilm oder die Durchführung von Interviews mit prominenten Filmschaffenden kleine wie große Filminteressierte zusätzlich an. Sämtliche Arbeitsblätter sind abwechslungsreich, kreativitätsfördernd und informativ. Selbst ‚unliebsame‘ Fächer wie Mathematik oder Wirtschaft werden durch den Filmbezug spannend aufbereitet. Neben der Theorie können Schülerinnen und Schüler in bekannte Momente der Filmgeschichte eintauchen. Durch Abschriften der Interviews und Umschreibungen von Fotos wird dabei gewährleistet, dass hör- oder sehbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche das Angebot ebenso rezipieren können. Somit überzeugt das Format auch methodisch und didaktisch. Die vorangestellte Übersicht über die relevanten Anforderungen zu Zielgruppe, Zeitaufwand sowie zu benötigten Vorkenntnissen oder Fachempfehlungen könnte lediglich durch Lösungsblätter zu den Aufgaben ergänzt werden. Einige Arbeitsblätter sind in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden verfügbar. Für die Sekundarstufe I könnte das Material jedoch noch ein breiteres Anforderungsspektrum abdecken, indem ein größerer thematischer Tiefgang und eine intensivere Auseinandersetzung mit filmmedialen Aspekten angeboten werden. Durch die fächerübergreifende Ausrichtung eignen sich die Arbeitsaufträge auch für Projektwochen, in denen unterschiedliche Methoden und Fähigkeiten spielerisch trainiert werden. Dabei reicht das Angebot von eigenständigen Internetrecherchen und Interviewtechniken über Diskussionen und Filmanalysen bis hin zum korrekten Umgang mit Zitaten. Weiterführende Beschäftigungen bieten schließlich wissensaufbauende Strukturen einzelner Subthemen, eine Verlinkung auf externe Seiten sowie die Rubrik "Fallbeispiele" in der "Infothek für Schüler*innen".
Zusammenfassend stellt die Plattform Wer hat Urheberrecht? mit ihrem Baukastenprinzip und einer stetigen Aktualisierung und Erweiterung eine Basis für eine fokussierte Arbeit dar, Kinder und Jugendliche im kreativen Umgang mit Film und Medien zu begleiten und in der Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess filmischer Werke ihre Wertschätzung des geistigen Eigentums zu fördern.
Die Website ist der Nachfolger der didaktischen DVD Im falschen Film? – Eine Unterrichts-DVD zu Fragen des Urheberrechts und zum Schutz des geistigen Eigentums (2012) und wird aus Mitteln der Filmförderungsanstalt finanziert. Die Unterrichtsmaterialien beziehen sich auf das von der Länderkonferenz MedienBildung und VISION KINO gemeinsam erarbeitete, mit den Bundesländern abgestimmte kompetenzorientierte Konzept fächerübergreifender Filmbildung für die Schule und verweisen auf Kompetenzerwartungen, die in der Handlungsstrategie Bildung in der digitalen Welt der Kultusministerkonferenz formuliert worden sind.
Elisa Eberle
Saskia Eilers: Kinderleichtes Programmieren
Wonder Workshop (2017). Dash. Ein Bildungsroboter zum Programmieren für Kinder. 179,99€
Er fährt geradeaus und summt dabei fröhlich vor sich hin. Wenn er ein Klatschgeräusch hört, bleibt er stehen und fängt zu tanzen an. Er tanzt so lange, bis jemand den großen weißen Knopf auf seinem Kopf drückt, dann ruft er ‚Howdy!‘ und fährt wieder los ... Der Spielzeugroboter Dash ist ein lustiges und durchaus intelligentes Kerlchen. Als Repräsentant moderner digitaler Spielfreude verbindet er Haptik, Experimentierfreude und digitalisierte Intelligenz zu einem neuen Erlebnis im Kinderzimmer. Mithilfe von eingebauten Mikrofonen kann Dash Geräusche orten und dabei sogar Händeklatschen von Stimmen unterscheiden. Die an den Rollfüßen befindlichen Sensoren ermöglichen es ihm, Hindernisse wahrzunehmen und zu umfahren.
Wenn sich mehrere Dash-Roboter in einem Raum befinden, können auch hier die Sensoren für ein gemeinsames Spiel genutzt werden. Daneben bieten vier Knöpfe am Kopf verschiedene Interaktionsmöglichkeiten. Die Vielzahl an komplexen Drehbewegungen, seine humanisierte Darstellung sowie seine Reaktion auf Ton und Bewegung lassen Dash somit zu einem lebendigen Spielkameraden werden, dessen Handlungsspektrum beinahe unerschöpflich erscheint. Die Bandbreite an unterschiedlichen Funktionen ermöglicht eine individuelle Verknüpfung und Ausgestaltung des eigenen Spielroboteres. Ob als Rennauto, als eifriger Nachplapperer oder als Gladiator in einer selbst gebauten Arena – der kleine Roboter kann vielseitig sein.
Dabei bietet er Kindern ab sechs Jahren nicht nur eine Menge kreativen Spielspaß, sondern vermittelt nebenbei auch grundlegende Programmierfunktionen wie Abfolgen oder bedingte Anweisungen. In Verbindung mit verschiedenen Apps kann die Programmierung von Funktionen für Dash erlernt und weiterentwickelt werden.Die App Wonder beispielsweise richtet sich an jüngere Kinder. Hier wird vordergründig mit einer bunten Symbolsprache gearbeitet, um Programmierfunktionen kennenzulernen. Die einzelnen Lernaufgaben werden dabei in eine fortlaufende Geschichte eingebettet. Doch auch der Kreativität wird im ‚Erfindermodus‘ der App keine Grenzen gesetzt. Denn hier können eigene Programme erstellt und im Anschluss über Codes mit Freunden und Freundinnen geteilt werden.
Die App Blockly richtet sich an ältere Kinder und weist bereits eine anspruchsvolle Ähnlichkeit zur Programmiersprache Scratch auf. In Form eines Baukastensystems werden bunte Funktionsblöcke miteinander verknüpft. Nachdem das Tutorial durchlaufen und somit der ‚Führerschein‘ für Dash erworben ist, können verschiedene Funktionen zu komplexeren Handlungsabläufen verbunden oder aber Lernkarten in Printform als Inspiration verwendet werden. Diese Lernkarten betten einzelne zu erlernende Programmierprinzipien in kleine Geschichten. So muss Dash zum Beispiel als bellender Hund programmiert werden und seinem Herrchen durchs Zimmer folgen.
Die verschiedenen Aufgaben der Lernkarten beinhalten überwiegend die Verwendung anderer Alltagsgegenstände, sodass die Fantasie der Kinder durch diese einfachen Mittel angeregt werden kann. Dash muss hier zum Beispiel einen Parcours aus Klebeband und anderem Spielzeug überwinden, ein Kuscheltier beschützen oder er wird so programmiert, dass er vor zwei Monstern – repräsentiert in Form von Bechern – ängstlich zurückschreckt. In unterschiedlichen Schwierigkeitslevel von A bis E werden die bisherigen Lernerfolge berücksichtigt und aufeinanderaufgebaut. Zu Beginn geben die Lernkarten noch konkrete Anweisungen für das Bausteinsystem. Bei fortgeschrittenem Level müssen Spielerinnen und Spieler selbst die richtige Funktion für eine gewünschte Handlung finden.
Über den Erwerb weiterer zusätzlicher Apps sowie materiellen Zusatzkäufen kann Dash zudem ein Katapult bedienen oder Xylophon spielen. Die Nutzung ist für eine Vielzahl mobiler Endgeräte mit den Betriebssystemen Android und iOS geeignet. Die Usability der Apps Wonder und Blockly ist allerdings auf Smartphones mit kleineren Bildschirmen eingeschränkt. Hier sind die notwendigen Hinweise und Erklärsätze sowie die Touchbereichsfelder zur Verbindung von Befehlen sehr klein und können kaum gelesen bzw. angesteuert werden. Entgegen der gegenwärtig aufkommenden Debatte über die Risiken eines zunehmend digitalisierten Kinderzimmers stellt Roboter Dash eine innovative und wertvolle Bereicherung für den Kinderzimmeralltag dar.
Der oftmals befürchtete Datenmissbrauch durch digitale Spielkameraden wird von Dash nicht unterstützt. Zwar reagiert der kleine Roboter auf Bild und Ton in seinem Umfeld, es findet jedoch kein Datenspeichern und -übermittlung statt. Nach der erstmalig erforderlichen Internetverbindung für das Herunterladen der Apps von Wonder Workshop ist für das tägliche Spiel mit Dash lediglich eine Bluetoothverbindung erforderlich. Die narrative Einbettung der einzelnen Lernaspekte in den Apps und Lernkarten sowie integrierte Gamification-Ansatz mittels Freischaltung von Belohnungen sowie weiteren Geschichten für Lernerfolge motivieren und vermitteln der Zielgruppe auf spielerische Weise ein technisches Verständnis. Dabei steht die Förderung von Kreativität, Neugier und Intuition im freien Spiel stets im Vordergrund. Eine hohe Spiel-Affinität wird durch die bunten Lichter erreicht und frechen Sounds, wie beispielsweise Rülps- und Pups-Geräusche, die einen kreativen Experimentierfreiraum gewährleisten.
Die Andockstellen für Lego-Bausteine geben Dash ein zusätzliches haptisches Feature, welches zu einer gelungenen Kombination aus traditioneller und moderner Spielfreude führt. Die geschlechtsneutrale Gestaltung sowie der weit gefasste Einsatzbereich von Dash bergen zudem den Vorteil, beide Geschlechter anzusprechen. So kann der kleine Roboter gewiss auch Mädchen und auch beide Elternteile für ein gemeinsames Spiel motivieren und nebenbei für das Programmieren begeistern. In den Vereinigten Staaten wurden das Bildungspotenzial von Dash bereits nutzbar gemacht, indem das Spielen und Lernen mit dem kleinen Roboter im amerikanischen Curriculum integriert wurde. Insbesondere die haptischen Lernkarten der Blockly-App eignen sich für den schulischen Unterricht und Gruppenarbeiten und vermitteln ein grundlegendes Verständnis für die Programmiersprache Scratch. Der kindgerechte Ansatz über farbige Symbolsprache rechtfertigt den Nutzungshinweis ab sechs Jahren des Herstellers. Die anfänglichen Schritte in den Apps sind dennoch sehr textlastig, so dass jüngere Kinder bei ihren ersten Interaktionen mit Dash begleitet werden sollten.
Michael Bloech, Markus Achatz, Nicole Lohfink: Berlinale 2018 – Politik und Filmkunst
Die Berlinale hat seit Jahren einen ausgesprochen politischen Anspruch. In diesem Jahr waren hier die Erwartungen allerdings besonders hoch: Ausgelöst durch die #MeToo-Debatte und aufgrund der geringen Frauenquote in nahezu allen Bereichen der Filmindustrie, wurde gespannt darauf gewartet, welche Schwerpunkte das Festival setzen würde. Doch vielleicht war die Berlinale von der Dynamik dieses Themas überrascht worden, denn es kam nur zu einzelnen, wichtigen Aktivitäten. Aus dem riesigen Programmangebot sind Michael Bloech, Markus Achatz und Nicole Lohfink einige bemerkenswerte Geschichten in Erinnerung geblie¬ben, die sie innerhalb von drei Schwerpunkten reflektieren.
Unterhaltung darf sein!
Neben der Setzung von relevanten Schwerpunkten möchte die Berlinale unbedingt ein attraktives Angebot für das breite Publikum bieten und bekanntlich ein Publikumsfestival sein. Zwar hat in punkto verkaufter Tickets das Filmfestival im kanadischen Toronto inzwischen die Nase vorne, doch das gesamte Filmangebot mit seinen vielfältigen Programmblöcken bedient auch auf der Berlinale ein sehr breites Publikum. Gewisse Zugeständnisse an das Unterhaltungsbedürfnis waren damit für eine positive Annahme des Angebots unumgänglich. Grund genug, sich unter dem Aspekt des Unterhaltungswertes die jeweiligen Eröffnungsfilme des Wettbewerbs und der Jugend- und Kinderfilm-Sektionen 14plus und Kplus anzuschauen.
Besonders „fabelhafte“ Eröffnung des Wettbewerbs
Eröffnet wurde der diesjährige Wettbewerb mit dem Puppentrick-Animationsfilm Isle of Dogs (Ataris Reise) von Wes Anderson, der seit 2001 bereits zum fünften Mal als Filmemacher bei einer Berlinale vertreten war. In der wunderbaren, moralischen Fabel geht es laut Wes Anderson in erster Linie um den Hund und erst in zweiter Linie um eine postmoderne, moralische Parabel: „Ich wollte unbedingt einen Film über Hunde machen“. Herausgekommen ist eine Dystopie über die Megacity Megasaki, die von dem omnipotenten, tyrannischen Bürgermeister Kobayashi regiert wird. Alle Hunde werden per Gesetz, wegen vorgeblich nicht behandelbarer Seuchengefahr, auf eine Insel deportiert. Die ferne Insel mit ihrer gigantischen Müllkippe und den monströsen Industrieruinen ist Heimat der streunenden, zotteligen Hunde, die zunehmend verwildern und vom Hungertod bedroht sind. Als sich Atari, der Pflegesohn des Despoten, auf den gefährlichen Weg dorthin macht, um seinen geliebten Hund Spots zu suchen, beginnt eine klassische Heldenreise. Allerdings ist es nicht Atari, der im Mittelpunkt der Geschichte steht, sondern die struppige und ungeheuer liebenswerte Hundemeute rund um Chief, Rex, King, Duke und Boss. Wes Anderson nimmt dabei Jung und Alt mit auf eine wunderbar altmodisch animierte Reise und transportiert dabei ganz nebenbei die wichtige Message, dass es im Leben immer Sinn macht, schier Unmögliches zu wagen, um gegen Missstände solidarisch organisierten Widerstand zu leisten. Anderson konnte mit Isle of Dogs, für einen Animationsfilm etwas überraschend, den Silbernen Bären für die Beste Regie gewinnen.
„Endlich erwachsen?“: Wiederkehrende Kernfrage im Eröffnungsfilm bei 14plus
Um eine Reise geht es auch in 303 von Hans Weingartner, dem Eröffnungsfilm der Jugendfilm- Sektion 14plus der Berlinale. Halb Europa bildet dabei den Hintergrund der gefühlsbetonten Geschichte zweier sehr unterschiedlicher, junger Menschen, die beide noch nicht zu sich selbst gefunden haben. Schon nach wenigen Minuten erinnert 303 an Richard Linklaters Independent- Filmklassiker Before Sunrise. Weingarnter hat 1995 bei dieser Produktion seine ersten Filmerfahrungen, sowohl als Nebendarsteller als auch Produktionsassistent gemacht. Hier wie dort sind es vor allem die pointierten, natürlich wirkenden Dialoge, die ein Zusehen spannend machen. Eine junge Frau und ein junger Mann treffen durch einen Zufall aufeinander und schon beginnt das spannende Sprachduell um Anziehung, Auseinandersetzung und Zurückweisung. Ort der Handlung bildet ein mehr als betagtes Mercedes Wohnmobil, dessen modifiziertes Typenschild für den Filmtitel verantwortlich zeichnet. Die Kombination von romantisch gefärbtem Dialogfilm und ästhetisch ansprechendem Roadmovie unterhält bestens, zumal dabei Themen diskutiert werden, die über den Austausch von Banalitäten weit hinausgehen.
Fantasievoll bunte Eröffnung des Kinderfilmprogramms bei Kplus
Das populäre Kinderbuch Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne von Jakob Martin Strid bildete die Vorlage für den gleichnamigen Auftaktfilm der Sektion Kplus: Den utrolige historie om den kæmpestore pære der Filmemacher Philip Einstein Lipski, Amalie Næsby Fick und Jørgen Lerdam. In diesem farbenfroh animierten Film wird die abenteuerliche Reise der wasserscheuen Katze Mika, dem ängstlichen Elefanten Sebastian und dem verschrobenen Professor Glykose erzählt. Gemeinsam machen sie sich, in einer als Boot umfunktionierten Riesenbirne, auf eine abenteuerliche Suche nach ihrem verschwundenen Bürgermeister. Dabei müssen sie auf hoher See mit diversen Widrigkeiten kämpfen, treffen auf vermeintlich böse Piraten und Seeungeheuer, bevor sie schließlich im Showdown auf den verbrecherischen, größenwahnsinnigen Stellvertreter des entführten Bürgermeisters treffen. Zwar mangelt es der Dramaturgie ein wenig an Eleganz, aber insgesamt wird die Geschichte für junge Zusehende durchaus fantasievoll und unterhaltsam präsentiert.
Michael Bloech arbeitete als Medienpädagoge am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinder- und Jugendfilm.
Das Gewicht von Verantwortung: Filme bei GENERATION der 68. Berlinale - Von den Sorgen um andere und den Grenzen des Lebens
Aus dem Programm der Berlinale-Sektion GENERATION ragten Filme heraus, die die jungen Hauptfiguren mit einer widersprüchlichen Welt und schwer verstehbaren Realitäten konfrontieren. Häufig ging es um die Übernahme von Verantwortung für andere und Fragen nach den Grenzen des Lebens.
Wenn Superhelden sterben
Ein berührendes Highlight im diesjährigen Berlinale-Programm der Sektion GENERATIONKplus war die kenianisch-deutsche Koproduktion Supa Modo. Die neunjährige Jo ist unheilbar an Krebs erkrankt. Jos Mutter Kathryn beschließt, ihr Kind für die verbleibende Zeit mit nach Hause zu nehmen. Kathryn ist eine starke Persönlichkeit, doch mit dem Wissen um das unaufhaltbare Sterben ihrer Tochter kann sie ihrer Arbeit als Hebamme nicht mehr nachkommen. In dieser Konstellation übernimmt Mwix, Jos ältere Schwester, mehr und mehr Verantwortung. Jo liebt Superhelden-Geschichten und Mwix erkennt in Jos Fantasie einen Schlüssel für glückliche Momente. Sie bestärkt das kranke Kind in der Vorstellung, selbst magische Superkräfte entwickeln zu können. Dabei gewinnt sie immer mehr Dorfbewohner, sich an dem Spiel zu beteiligen und gemeinsam erfüllen sie Jo den sehnlichen Wunsch, Superheldin in einem eigenen Film zu werden. Neben der herausragenden Darstellerleistung der drei Protagonistinnen liegt die Stärke von Supa Modo darin, aus dem todtraurigen Plot auch hoffnungsvolle Botschaften zu ziehen. Durch die Film-im-Film-Story schafft Regisseur Likarion Wainaina ein Element der Distanz, das Jos Familie (und letztlich auch den Zuschauenden) hilft, mit der Tragödie umzugehen. Supa Modo wurde durch das deutsch-kenianische Produktionskollektiv One Fine Day (gegründet von Marie Steinmann Tykwer und Tom Tykwer) realisiert und ist mit einem rein afrikanischen Team entstanden. Auf der Webseite von One Fine Day findet sich das mit Jugendlichen aus dem Kibera-Slum Nairobi gedrehte Tanzvideo „Ping“. Begrüßenswert wäre es, wenn es künftig mehr afrikanische Filme nach Europa schaffen würden. Supa Moda wurde unter anderem mit Zuschüssen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit gefördert. Über Bilder und Geschichten Emotionen zu wecken und den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern Wege zu mehr Empathie aufzuzeigen, sind gut angelegte Mittel zur Förderung der internationalen Gemeinschaft. Die Kplus-Kinderjury sprach dem Film eine Lobende Erwähnung aus.
Poetische Wege des Abschieds
Eine ungewöhnliche und bewegende Geschichte über das Abschiednehmen erzählt auch der balinesische Film Sekala Niskala (The Seen and Unseen). Auch hier bestimmt eine unheilvolle Diagnose den Verlauf des Geschehens. Tantris Zwillingsbruder Tantra wird schwerkrank. Im Hospiz wagt sich die zehnjährige Tantri nicht ans Krankenbett ihres Zwillingsbruders – außer, wenn sie völlig in magische Zwischenwelten abgleitet, in denen sie mit Tantra spielt und tanzt. Das Mädchen nutzt alles Mystische und Symbolhafte, was sich ihrer kindlichen Welt erschließt, um mit dem nahenden Verlust umzugehen. Mit Kostümen und Körperbemalungen beginnt sie der Trennung zu begegnen. Sekala Niskala – das Sichtbare und das Unsichtbare – spielt dabei auf einer hoch stilisierten Ebene mit langen Traumsequenzen, in denen sich Tantri mit der jenseitigen Welt befasst. Obwohl sie dies alles nicht wirklich begreifen kann, möchte sie mehr Verantwortung übernehmen. Sie äußert einmal, wie gerne sie mit Tantra tauschen würde, damit er weiterleben könnte. Eine Rückblende zeigt, wie sich die Kinder gekochte Eier teilen: Tantri das Eiweiß und Tantra das Eigelb. Eines Tages öffnet Tantri ein Ei, darin fehlt das Eigelb, so wie Tantra. Die indonesische Regisseurin Kamila Andini hat ebenso das Buch zum Film geschrieben. Ihr Regiedebüt The Mirror Never Lies lief 2012 bei Berlinale GENERATION. Mit Sekala Niskala hat sie 2018 den Großen Preis der Internationalen Jury Kplus gewonnen.
Fortuna – Moral und Verantwortung
Fortuna vom Schweizer Regisseur Germinal Roaux hat gleichzeitig den Gläsernen Bären der Jugendjury 14plus und den Großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhalten. Die 14-jährige Fortuna ist als Flüchtling aus Äthiopien in einem Kloster in den Schweizer Bergen gestrandet. Seit der Überquerung des Meeres in einem Boot fehlt von Fortunas Eltern jede Spur. Die Abgeschiedenheit und das rauhe Klima verstärken ihre Einsamkeit und Sehnsucht nach Geborgenheit. Auch andere Flüchtlinge haben vorübergehend im Kloster Zuflucht gefunden und dennoch kann sie nur mit den Tieren des Hofes über alles reden. Vor allem fürchtet sich Fortuna davor, Kabir die Wahrheit zu sagen: Sie ist schwanger von dem 26-Jährigen, der ebenfalls aus Äthiopien kommt. Als sie allen Mut zusammennimmt und es ihm erzählt, reagiert er schroff und gibt dem Mädchen die Schuld. Zunächst hofft das Mädchen auf eine gemeinsame Zukunft, doch bei einer unerwarteten Polizei-Razzia im Kloster verschwindet Kabir spurlos. Der Film besticht vor allem durch seine ästhetische Schärfe. In klaren Schwarz-Weiß-Bildern (im Format 4:3) erhält die Bergwelt eine eigene Hauptrolle. In den Rückblenden der Flucht fließen die tosenden Wellen des Meeres auf imposante Weise mit den Wolkenbewegungen über dem Gebirge ineinander. Fortunas Schwangerschaft kommt allmählich ans Licht und der Film wechselt den Blickwinkel auf andere Instanzen: Einerseits die Politik und Einwanderungsbehörden – repräsentiert in der Figur des Herrn Blanchet –, die auf Basis von Paragraphen Entscheidungen fällen. Er versucht, unbegleitete Minderjährige an Familien zu vermitteln und sieht in einer Abtreibung den einzigen Ausweg. Andererseits die Mönche des Klosters – allen voran Bruder Jean (dargestellt von Bruno Ganz) –, die ihr Haus als Zufluchtsort zur Verfügung stellen. Verantwortung richtet sich hier nach dem Prinzip von Nächstenliebe und göttlicher Weisung. Und es gibt noch eine dritte Ebene – in deren Perspektive wir am Ende zurückkehren: Was wünscht sich Fortuna selbst? Es ist ein Film über ein ergreifendes persönliches Schicksal vor dem Hintergrund der humanitären Katastrophe. Anhand von Fortunas jungem Leben stehen alle, die sich darauf einlassen, vor der Frage nach der Verantwortung. Roaux liefert am Ende keine Antwort, aber viele neue Fragen, die weit über das eine Leben hinausgehen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Die ‚persönliche‘ Seite der Berlinale - Die Attraktivität des Autobiographischen
Mit eindrücklichen Filmen quer durch die Sektionen rückten persönliche Lebensgeschichten in den Blickpunkt und verbanden zwei klassische Wahrheiten miteinander. Das Leben schreibt die interessantesten Geschichten – und Kunst, ob auf der Bühne, im Bild oder Film, bildet Leben ab, manchmal auch ‚larger than life'. Besonders beeindruckt dies, wenn es gelingt, diese Realität ganz nah an die Zuschauerin bzw. den Zuschauer heranzurücken. So erzählten folgende drei Beispiele aus dem diesjährigen Programm persönliche Geschichten von realen Menschen und schlagen eine Brücke zu anderen Lebenswelten, aber auch zu universalen Themen wie tiefe Freundschaft, der eigenen Verwundbarkeit und Stolpersteinen des Erwachsenwerdens.
Mut zur eigenen Schwäche – vom äußeren und inneren Terror
Ein bestechender Film aus der Sektion Panorama Special heißt Profile, ein Film von Timur Bekmambetov. Im Mittelpunkt steht die britische Journalistin Amy Whittaker und ihre Recherche über die Rekrutierung junger europäischer Frauen durch den IS. Die Journalistin nimmt über ein gefälschtes Facebook-Profil Kontakt zu einem IS-Kämpfer auf und gibt sich als junge Konvertitin aus. Hierauf folgt ein Katz-und-Maus-Spiel zweier Jäger. Der Film beginnt als Einblick in die Struktur des Terrors, legt aber später zunehmend Gewicht auf die verschwimmende Grenze zwischen sich einlassen und Distanz wahren, Zerbrechlichkeit der eigenen Persönlichkeit und emotionale Manipulationsmechanismen. Der gesamte Film verläuft dabei nur auf der Computer-Bildschirm-Oberfläche, auch das alltägliche Leben der Protagonistin wird über online geführte Unterhaltungen via diversen Web-Diensten gezeigt. Der Zuschauende wechselt zwischen Identifikation mit der Protagonistin und der Beobachterposition. Trotz Eile in der Erzählung, welche die Genauigkeit bestimmter Abläufe überholt, wird die gesamte Tragweite offenbar, wenn Protagonistin – und Zuschauende – mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen konfrontiert werden: Die französische Journalistin, auf deren Geschichte der Film basiert, lebt heute unter anderem Namen. Die Veröffentlichung ihres Berichts führte zu mehreren Verhaftungen und einer Todesdrohung durch den IS-Staat. Profile gewann den Publikums-Preis in der Sektion Panorama.
Spirituelle Begegnung mit einem Ausnahme-Musiker
Aus der Reihe Berlinale Special bewies der Dokumentarfilm Gurrumul aus down under erneut die verbindende Wirkung von Musik und macht mit der Persönlichkeit und Musiker Geoffrey Gurrumul Yunupingu, einem Aboriginal aus dem australischen Arnhemland, vertraut. Bewiesen als ein außerordentlich begabter Musiker von Kindheit an, aber blind geboren, bietet Gurrumuls Leben schon genug Stoff, um erzählt zu werden. Aber die Geschichte erlaubt der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer einen Einblick in die Würde einer Kultur mit deren Werten einer uns zunächst unvertrauten Gesellschaft. In persönlichen Bildern und Interviews erzählt Regisseur Paul Williams von der frühen Begabung des Musikers – der sich vier Instrumente selbst beibrachte –, von seinem Stammesleben, den Ängsten seiner Verwandten, dass er als blinder Mann keine Unabhängigkeit leben kann, aber auch von der Wertschätzung, die er in seinem Stamm erfährt. Der Zuschauende erfährt von der Begegnung Gurrumuls mit seinem langjährigen engen Freund und Wegbegleiter Michael Hohnen, einem Musiker und ‚baladan‘, das heißt ‚weißer Typ‘ auf Yolngu Matha. Hohnen wird zum Sprachrohr und Übersetzer für den extrem scheuen Musiker, der dennoch Konzerte vor vielen tausenden Menschen gibt. Vor dieser Hintergrundgeschichte schafft es der Film Gurrumul eine Geschichte von persönlicher Freiheit zu erzählen. Dazu kommen Momente, in denen mündlich überlieferte Lieder die Traditionen und Geschichten der früheren Generationen vermitteln und somit den kulturellen Reichtum erlebbar machen. Die Suche nach einer visuellen Entsprechung der Tiefgründigkeit der Musik gelingt durch intime Einblicke, die der Film in die Lebensumstände des Künstlers gewährt – Einblicke, die das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Musikern Michael und Gurrumul erst ermöglichen und welche so zwischen einem ‚baladan‘ und einem ‚yolnu‘ (schwarzer Typ) selten vorkommen. So findet sich der eigentliche Schatz des Films darin, dass ein ungewollter Star nicht nur Wissen über das kulturelle Erbe Australiens vermittelt, sondern auch die Universalität dieser Traditionen enthüllt. Geoffrey Gurrumul Yunupingu starb kurz vor Veröffentlichung des Films.
Erwachsenwerden – die Suche nach der Identität in turbulenten Bildern animiert
Der Animationsfilm Virus Tropical von Regisseur Santiago Caicedo ist die autobiographische Geschichte der kolumbianisch-ecuadorianischen Cartoonistin Paola Gaviria, basierend auf ihrem gleichnamigen Comic von 2014. Mit der eigenen Existenz als Ergebnis eines tropischen Virus startet der Film in eine humorvolle und bildgewaltige Reise zum Thema Stolpersteine der Kindheit und Jugend im Programm von GENERATION 14plus. Dabei geht es vordergründig um das Mädchen Paola und die Entwicklung ihrer Familienbeziehungen – insbesondere zur Mutter und zu den beiden Geschwistern. Es geht um den Umgang mit Veränderungen, den Umzug in eine andere Stadt, Zugehörigkeitsgefühle der Protagonistin und die eigene Definition. Es ist die Inventur eines Lebens und Konstruktion des eigenen Selbst, inklusive aller Elemente und Orte des Aufwachsens, die eine wichtige Rolle in der Kindheit und Jugendzeit der Autorin gespielt haben. Der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer bietet sich dadurch ein Spiegel der Erinnerung, während der Film mit Augenzwinkern und Rasanz die verschiedenen Stationen anläuft. Die Bedeutung von Familie, Erkundung von Sexualität und auch, was es bedeutet, eine Frau zu sein, samt der Entwicklung der persönlichen Identität als zentrale Themen des Erwachsenwerdens werden sowohl inhaltlich als auch stilistisch erfahrbar gemacht. Die turbulenten Wechsel der Kindheit und die Auseinandersetzung mit der Außenwelt spiegeln sich unentwegt in diversen graphischen Spielarten wider. Der Haupt-Charakter ist immer im Entwicklungszustand. Auch musikalisch wird handlungsorientiert gearbeitet – die Liedtexte stehen für die jeweilige Situation in Paolas Leben. Entstanden ist ein sehr ansprechendes und persönliches Werk, dem die Cartoonistin insgesamt neun Jahre ihres Lebens gewidmet hat. Vier Jahre für die Erarbeitung der Novelle und fünf Jahre für die Gestaltung des Films, für den sie über 1.000 Zeichnungen erstellt hat. Real existierende Menschen im Fokus der Filme schaffen so eine gelungene persönliche Begegnung zwischen Fremden und bieten in ihrer Vielseitigkeit noch lange Stoff zum Nachdenken und Nachspüren – und damit sicherlich eine Leistung von gesellschaftlicher Relevanz durch die Berlinale.
Nicole Lohfink ist freie Journalistin, Film- und Theaterkünstlerin und medienpädagogische Referentin.
Beitrag aus Heft »2018/02 Kita digital: Frühe Medienerziehung«
Autor:
Michael Bloech,
Markus Achatz,
Nicole Lohfink
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Sophia Gesierich: Flucht hat viele Gesichter
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017).
Refugee Eleven.
Crossmediales Lernkonzept: 11-teilige Webserie und Arbeitsmaterialien für schulische und außerschulische Bildung. www.bpb.de/lernen/projekte/241079/refugee-eleven, kostenfrei.
Im Jahr 2015 waren 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, einige von ihnen versuchen seitdem, in Deutschland Fuß zu fassen. Die große Anzahl an Geflüchteten im Alltag – sei es in derSchule, in der Freizeit oder am Arbeitsplatz – polarisiert und verunsichert zahlreiche Menschen.
Vorurteile, einseitige Berichterstattung oder in sozialen Netzwerken verbreitete Lügen erschwereneine fundierte Meinungsbildung und ebnen den Weg für Rassismus.Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bietet aufgrund dessen eine elfteilige Webserie an: Junge geflüchtete Amateurfußballer der Mannschaft Refugee11 aus Erftstadt bei Köln begegnen einer Profifußballerin und zehn Profifußballern, die alle selbst Fluchterfahrungen haben. Die Serie thematisiert auf diese Weise elf Schwerpunkte rund um den Komplex Flucht und Asyl, eingebettet in ein crossmediales Lernkonzept für schulische und außerschulische Bildung für 14- bis 24-Jährige. In jedem etwa dreiminütigen Clip tauschen ein Amateur und ein Profi ihre persönliche Geschichte aus – mit Fokus auf ihr jeweiliges Schwerpunktthema. Schriftliche Einblendungen fassen die wichtigsten Aussagen kompakt zusammen oder liefern zusätzliche Hintergrundinformationen.
So wird abstraktes Wissen mit konkreten Beispielen und Erfahrungen untermauert. Situationen und Perspektiven von geflüchteten Menschen werden für jugendliche Zuschauende erfahrbar gemacht. Sehr hervorzuheben ist dabei die Barrierefreiheit, denn alle elf Videos gibt es in einigen Versionen: mit wahlweise deutschen, englischen, französischen oder arabischen Untertiteln, mit Audiodeskription, SDH-Untertitel und in Gebärdensprache.Die vorgeschlagene Reihenfolge der Webserie Refugee Eleven orientiert sich an der Chronologie eines Fluchtverlaufs: Zunächst werden Fluchtursachen beleuchtet, woraufhin konkrete Erfahrungen während der Flucht thematisiert werden. Um das Asylrecht (besser) zu verstehen, gibt es die drei Folgen Asylrecht, Asylentscheidung und Abschiebung. Weitere Videos zeigen auf, wie Geflüchtete teilweise ankommen, wie nervenaufreibend eine Phase des Wartens sein kann, wie manche mit erlebter Ablehnung umgehen und wie eigentlich jede und jeder Geflüchtetegezwungen ist, sich mit der eigenen Identität und einem neuen Heimatverständnis auseinanderzusetzen. Auch zur Integration sowie zu Sprache und Ausbildung gibt es eigene Folgen.
Ziel ist es, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Situation geflüchteter Menschen nachvollziehbar und informativ darzulegen. Dazu werden die verschiedenen Stationen und persönlich erlebten Phasen aus Sicht der Geflüchteten selbst thematisiert. Verbindendes Glied zwischen den Dialogpartnerinnen und -partnern ist die Liebe zum Fußball – ein kulturelles Phänomen, das angenehm unangestrengt eine gemeinsame Basis schafft und etwaige Exotik der Geflüchteten durch Nähe und Gemeinsamkeit ersetzt und vermittelt. Konkrete Fragen und Antworten wie ‚Woher wusstet ihr, in welcher Richtung Deutschland liegt?‘ – ‚Durch das GPS am Handy‘ wirken die Flucht und die kulturellen Hintergründe der jungen Protagonistinnen und Protagonisten weniger abstrakt und damit für die Zielgruppe besser nachvollziehbar.Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hält auf ihrer Website zudem Arbeitsmaterialien bereit, womit die jeweiligen Themen vertiefend behandelt werden können. Diese Einheiten des crossmedialen, integrativen Lernkonzepts, die online und als Lehr- und Aktionsheft mit DVD verfügbar sind, regen zur intensiveren Auseinandersetzung mit den Ursachen, Folgen und Erfahrungen an.
Aufgrund vielfältiger Ansätze eignen sich die Materialien dabei sowohl für Willkommensklassen und als Basis für Kurzvorträge und Diskussionen, aber auch für Gruppenarbeiten am PC oder zur Mediationsübung. Das vermittelte Wissen befähigt Jugendliche, Vorurteile zu hinterfragen, Medienberichterstattung kritisch zu reflektieren und eine eigene Position zu entwickeln, die bestenfalls gegenüber Mitmenschen in der Schule oder im Freundeskreis vertreten werden können.Das Material eignet sich bestens zum Einsatz in der schulischen und außerschulischen Bildung. Denn durch die Strukturierung des Programms in elf Kurzfilme, themenspezifische Arbeitsblätter und Sachtexte kann die Intensität, mit der die Themen behandelt werden, individuell auf die Lerngruppe, -situation oder auch die zeitlichen Kapazitäten abgestimmt werden. Eine Rezeption der Kurzfilme ohne die Bearbeitung der Arbeitsblätter kann als Anstoß für eine Diskussion oder als Einleitung themenverwandter Projekte verwendet werden.
Auch bauen die Kapitel positiver Weise nicht aufeinander auf, sondern arbeiten vielmehr mithilfe einer sehr verständlichen Umsetzung für sich selbst stehende Schwerpunkte heraus. Die Sprache ist einfach gehalten, komplexe Sachverhalte einschließlich verwendeter Fachtermini werden anschaulich erläutert, sodass durchweg ein niedrigschwelliger Zugang zum Thema Flucht, Asyl und Integration gewährleistet wird. Dies vergrößert das potenzielle Zielpublikum und macht die recht weite Altersspanneder Nutzergruppen realistisch.Insgesamt ist Refugee Eleven ein sehr empfehlenswertes Lehr- und Informationsprogramm. Auch eignet sich das gewählte Format des Kurzfilms für 14- bis 24-Jährige besonders, ebenso die Auswahl junger Protagonistinnen und Protagonisten. Das Lernprogramm zur Webserie hebt sich durch die Crossmedialität von reiner Sachvermittlung durch Schulbücher ab und vermittelt wichtiges Hintergrundwissen zeitgemäß lebendig. Die Ernsthaftigkeit der Darbietung wird dem Thema gerecht, ohne in Mitleidsmelancholie zu versinken.
Besonders gut umgesetzt ist der Dialog zwischen einem Jugendlichen, der noch relativ frisch in Deutschland ist, und einem Gesprächspartner, der Deutschland bereits zu seiner Heimat gemacht hat. So erhaltenZuschauende einen Einblick in eine mögliche Zukunft Geflüchteter. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit funktionierender Integration betont, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.Ergänzend zur Webserie kann übrigens auch der Dokumentationsfilm Heimat Fußball – Refugee 11 von Jean Boué zum Lehrprogramm hinzugezogen werden. Der Film ist parallel zum Webvideoprojekt entstanden und begleitet die Fußballmannschaft des 1. SC Germania Erftstadt-Lechtenich IV, bestehend aus 27 geflüchteten Spielern aus 16 Ländern, in ihrer ersten Saison. Beleuchtet werden dabei insbesondere drei Einzelschicksale, die die näheren Lebensumstände in Bezug auf die Hoffnung auf eine langfristige Eingliederung, Arbeit und Wohnung in Deutschland erfahrbar machen.
Saskia Eilers: Von großen Haien und kleinen Fischen
Funke Mediengruppe (Hrsg.) (2017). #screenshot. Hier schreiben deine YouTuber für dich. 86 S., 3,50 €.
Heutiges Aufwachsen vollzieht sich vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Kindheit und Jugend sind somit in einen Kontext multimedialer Konsumwelten eingebettet. Der gegenwärtige Trend zur Digitalisierung der Jugendkultur der medialen Handlungsräume der Altersgruppe einher und wird zugleich durch diese veränderten Nutzungspräferenzen erneut befeuert. Medienunternehmen müssen sich gemäß ihres wirtschaftlichen Bestrebens fortwährend um eine Anhaftung an die aktuellen Bedürfnisse und Ausprägungen der medialen Jugendszene bemühen, wodurch sich eine zunehmende Angebotsgenese im Bereich des Social Web erkennen lässt.
Neben neuen digitalen Angeboten für die jugendliche Zielgruppe lässt sich eine Digitalisierung bereits bestehender Medienprodukte erkennen. Insbesondere im Printbereich kann eine diesbezügliche Notwendigkeit angenommen und auch beobachtet werden. Während laut JIM-Studie 2017 lediglich 16 Prozent der befragten Jugendlichen regelmäßig Zeitschriften und Magazine lesen, schauen 86 Prozent regelmäßig Online-Videos. Dabei ist für 55 Prozent der Mädchen und 69 Prozent der Jungen die Multimedia-Plattform YouTube das bevorzugte Angebot. Dies führt berechtigterweise zur Frage nach der Zukunft von Printprodukten in der Jugendkultur.
Feste Instanzen der internationalen wie deutschen Landschaft jugendlicher Printangebote scheinen sich in ihrer Marktexistenz bedroht zu fühlen, sodass viele Verlagshäuser mittlerweile eine digitalisierte Erweiterung ihres Angebotes anbieten, um sich die Relevanz und Nähe zur Zielgruppe zu bewahren. Als eines von vielen Beispielen unternimmt das Jugendmagazin BRAVO seit einiger Zeit solche Digitalisierungsmaßnahmen. Neben der weiterhin regelmäßig erscheinenden Printversion existieren heutzutage sowohl eine App, ein WhatsApp-Abonnement als auch der YouTube-Kanal Dr. Sommer TV. Auch die Zeitschrift Mädchen bietet neuerdings mit der App Mädchen VIEW ein Mash-Up aus Magazin und Multimedia.Während sich viele Medienunternehmen scheinbar von dem sinkenden Schiff alleiniger Printangebote zu retten versuchen, begibt sich ein neu erschienenes Medienprodukt nun bewusst in das Feld hinein.
Entgegen des allgemeinen Trends hat die Funke Mediengruppe ein neues Printprodukt für die jugendliche Zielgruppe herausgebracht. Unter dem einschlägigen Namen #screenshot verbirgt sich ein Jugendmagazin, das sich vorrangig an Zwölf- bis 17-Jährige richtet. Das Printmagazin deckt verschiedene Bereiche der Jugendkultur ab, widmet sich dabei jedoch schwerpunktmäßig der YouTube-Szene in Deutschland. #screenshot ist ausschließlich als Printversion erhältlich. Eine dazugehörige App existiert nicht. Auch die Website dient lediglich als Werbebanner für das Magazin, ohne dabei die konkreten Inhalte digital zur Verfügung zu stellen. Zwar wird somit auf jegliche Digitalisierungselemente verzichtet, die heutzutage bei verwandten Angeboten bestehen, jedoch kann eine inhaltliche und gestalterische Orientierung an digitalen Angeboten beobachtet werden.
Die einzelnen Beiträge sind mit Hashtags versehen und bieten somit eine inhaltliche Orientierung für Lesende. Die Texte sind auf das Wesentliche reduziert und prägnant formuliert. Die schiefe Anordnung der Textfelder sowie optische Hervorhebungen und Bilder vermitteln einen dynamischen Leseeindruck, der vielmehr an das Scrollen im Social Web erinnert. Die Rubrik ‚What’s up?!‘ informiert die Leserinnen und Leser zu Beginn über die neuesten Meldungen der Multimedia-Plattform. Hier werden unter anderem das aktuell erfolgreichste YouTube-Video sowie ein Ranking deutscher YouTuber nach der höchsten Abonnentenzahl präsentiert. #story gruppiert Portraits bekannter deutscher YouTuber wie HeracAy, Emrah oder Enyadres. In kurzen Interviews, die in ihrer Gestaltung an einen Chatverlauf erinnern, werden die Social Web- Persönlichkeiten vorgestellt.
Dazugehörige, selbst geschriebene Texte handeln von den anfänglichen YouTube-Karrieren mit allen Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Die Portraits enthalten außerdem persönliche Tipps für nachahmungswillige Jugendliche und beziehen sich auf die Etablierung eines erfolgreichen YouTube-Kanals. In weiteren Artikeln werden Trends und Tipps zu bestimmten Themen wie #mode, #foodhacks oder #beziehungen vorgestellt. Dabei lässt sich der Bezug zur deutschen YouTube-Szene durchgehend in den einzelnen Artikeln wiederfinden. Entweder vermitteln YouTuber selbst die themenrelevanten Tipps und Trends oder aber die Redaktion verweist in dem jeweiligen Artikel auf einen themenverwandten YouTube-Kanal.
Funkes neues Printprodukt lässt zu Zeiten der Digitalisierung der Jugendkultur einige nicht unbeachtliche Fragen aufkommen: Was lässt ein Printprodukt in der digitalen Welt überleben? Reicht der inhaltliche Bezug zur digitalisierten Jugendkultur aus, um die Akzeptanz der Zielgruppe zu gewinnen? Oder wird ein konkreter Mehrwert zum Onlineangebot benötigt? #screenshot zeigt Elemente zweier Lösungswege auf. Die erste Ausgabe des Printmagazins vermittelt dabei den Eindruck, dass die Macherinnen und Macher sich noch nicht konkret für die Verfolgung einer Strategie entscheiden konnten. YouTube und verwandte Social Web-Angebote überzeugen Jugendlichedurch ihre Aktualität, Reziprozität und Authentizität, denen ein Printprodukt in der Regel nur schwer nachkommen kann.
Trotz seiner Printrealität bemüht sich #screenshot einerseits in Inhalt und Gestaltung einen deutlichen Social Web-Charakter aufzuweisen und orientiert sich damit an den heutigen Rezeptionsgewohnheiten und -präferenzen der Zielgruppe. Durch die Kooperation mit bekannten YouTuberinnen und YouTubern, die ihre Texte größtenteils selbst verfassen, bemüht sich das Magazin zudem um eine direkte Nahbarkeit und hält sich an Social Web-Persönlichkeiten fest, die eine hohe Akzeptanz von der Zielgruppe erfahren. Andererseits können die persönlichen Portraits und Tipps der YouTuberinnen und YouTuber schnell als Werbung für den jeweiligen YouTube-Kanal aufgefasst werden. Auf dieser Ebene leistet #screenshot ebenfalls einige Arbeit und bemüht sich um einen Überblick über die deutsche YouTube-Szene. Hier besteht somit das Potenzial, einen grundlegenden Wegweiser für eine interessensgeleitete YouTube-Rezeption zu entwickeln. Wagt Funke hier einen revolutionären Schritt oder wähnt sich die Mediengruppe durch die Kooperation mit YouTuberinnen und YouTuber zu sehr auf der sicheren Seite? Auch wenn die Beantwortung dieser Frage wohl erst in Zukunft erfolgen kann, so vermag das Printmagazin schon jetzt, neue Überlegungen zum Digitalisierungstrend und der Zukunft von Printprodukten für die jugendliche Zielgruppe anzustoßen.
Michael Gurt: Nintendo Switch
Im März 2017 brachte Nintendo eine neue Konsole auf dem Markt, die mit Spannung erwartet wurde. Ähnlich wie bei der Wii macht der Hersteller mit der Nintendo Switch wieder einiges anders als die Konkurrenz: Der modulare Aufbau erlaubt sowohl stationäre als auch mobile Nutzung, statt auf enorme Hardware-Power setzt Nintendo auf ein verspieltes und durchaus innovatives Gesamtkonzept, das eine große Zielgruppe jenseits der Hardcore-Zocker ansprechen soll.
Handhabung und Spielmodi:
Zunächst kann die Konsole ganz traditionell mittels einer Dockingstation mit dem Fernseher verbunden werden. Die Steuerung erfolgt wie gehabt über Controller, die Spiele können von einerGame-Card abgespielt oder im Nintendo-Shop heruntergeladen werden. Die Darstellung auf dem Fernseher ist sehr ansehnlich, kann aber mit der grafischen Brillanz einer PS4 oder Xbox One, geschweige denn den aufgebohrten Versionen PS4 Pro und Xbox One X nicht mithalten. Dafür punktet die Konsole mit einem völlig neuen Gesamtkonzept: Das aktuelle Spiel kann quasi übergangslos mitgenommen werden, indem die mobile Einheit – eine Art Tablet mit Controlleranschlüssen – aus der Station herausgenommen wird. Die beiden Controller, die einfach links und rechts eingerastet werden, sind dabei sehr variabel einsetzbar. Sie funktioniere als Steuergeräte im mobilen Modus, können aber auch einzeln genutzt werden, um zu zweit die mobile Konsole zu ‚bespielen‘.
Überhaupt sind die Möglichkeiten im Multiplayermodus sehr vielfältig: Sowohl am Fernseher als auch in der mobilen Variante können bis zu vier Spielerinnen und Spieler teilnehmen, entweder direkt vor Ort oder via Internet. Die beiden Controller können dabei unabhängig voneinander bedient werden und mittels Sensoren Bewegungen direkt in das Spielgeschehen übertragen. Wie innovativ das Konzept ist, deutet das Spiel 1-2-Switch an. In zahlreichen Minispielen treten die Spielerinnen und Spieler gegeneinander an, vom Revolverduell bis zur Tanzeinlage. Der Clou dabei: Die Kontrahentinnen und Kontrahenten stehen sich gegenüber und schauen nicht auf den Monitor, sondern agieren sprichwörtlich face-toface. Die Spiele selbst sind allerdings eher ein netter Zeitvertreib für Partys oder im Freundeskreis. Das Potenzial zeigt sich aber sehr deutlich und macht Lust auf mehr. Darüber hinaus ist der Bildschirm wie beim Wii U GamePad berührungssensitiv und bietet damit eine weitere Steuerungsoption.
Spieleauswahl:
Was das Spiele-Line-Up angeht, hat Nintendo natürlich die Klassiker im Programm: Mario Kart 8 Deluxe, Super Mario Odyssey oder auch der neuste Teil der Zelda-Reihe Breath of the Wild. Gerade letztere überzeugt durch eine stimmige Open-World-Spielmechanik, eine sehr überzeugende Grafik und insgesamt durch ein durchdachtes Spiel- und Charakterdesign.Daneben gibt es auch Switch-Ableger bekannter Spiele, die ein erwachsenes Publikum ansprechen: Von FIFA 18 über Skyrim bis hin zu Doom.Dass Spiele mit einer Freigabe ab 18 Jahren zum Portfolio gehören, ist für eine Nintendo-Konsole sehr ungewöhnlich, wurde doch bisher fast ausschließlich auf kindgerechte Inhalte gesetzt.Thema
Jugendschutz:
Den Eltern sollte bewusst sein, dass es auch bei dieser Konsole wichtig ist, sich über Regelungen von Inhalten und Zugängen Gedanken zu machen – am besten vor der Anschaffung. Da die Konsole über einen Internetzugang verfügt und Spiele direkt im Shop gekauft und heruntergeladen werden können, sind elterliche Vorgaben und Kontrollen unumgänglich. Zu diesem Zweck bietet Nintendo die App Nintendo Switch-Altersbeschränkung, die für iOS und Android verfügbar ist. Mit der App können Eltern unter anderem die tägliche Spieldauer oder Spielzeiten für einzelne Tage festlegen und Obergrenzen definieren, die nach Erreichen der vereinbarten Spielzeit eine automatische Sperrung des Geräts nach sich ziehen. Außerdem erhalten Eltern in einer monatlichen Übersicht Einblick in das Spielverhalten der Mädchen und Jungen. Über die Eingabe von Altersfreigaben können zudem Spiele wie Doom für Minderjährige gesperrt werden. Ebenso ist es möglich, die Onlinekommunikation oder den Zugang zum Shop zu unterbinden.
Natürlich sollte Eltern klar sein, dass solche technischen Hilfsmittel zur Medienerziehung nur unterstützende Funktion haben, viel wichtiger sind familiäre Kommunikation und ein stabiles Vertrauensverhältnis zu den Kindern. Wenn aber Grenzen gezogen werden müssen, weil sich nicht an Absprachen gehalten und/oder andere Aktivitäten vernachlässigt werden, kann die App durchaus gute Dienste leisten. Für manche Eltern mag es ein Ärgernis sein, für Jugendschutzmaßnahmen extra eine App installieren zu müssen, für andere gehört die Nutzung von Apps zum Alltag. Positiv anzumerken ist, dass Sinn und Funktion der App zur Altersbeschränkung mit einem unterhaltsamen Video erklärt werden. Somit ist die Schwelle, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sehr niedrig gehalten. Ebenfalls kann bei der App noch vor dem eigentlichen Start die Datenübertragung unterbunden werden, was in Zeiten hemmungsloser Datensammelwut von Geräteherstellern und Diensteabietern ebenfalls positiv zu vermerken ist.
Fazit:
Die Nintendo Switch setzt vor allem auf unkomplizierten (Multiplayer-)Spielspaß und ist in der Handhabung und den Spielmöglichkeiten sehr variabel – und damit auch und gerade für Kinder ab dem Grundschulalter attraktiv. Negativ zu Buche schlagen die hohen Preise, vor allem für Spiele und Zubehör. Wenn für Umsetzungen älterer Spiele wie Skyrim (aus dem Jahr 2011) noch um die 60 Euro veranschlagt werden, trübt das den Spielspaß durchaus. Die Verkaufszahlen scheinen dem Hersteller recht zu geben, über zehn Millionen Einheiten wurden noch vor Weihnachten gemeldet. Ob die Konsole in Familien mit spielebegeisterten Kindern einen Platz findet, müssen Eltern abwägen. Die attraktiven Spiele können durchaus Sogwirkung haben, gerade Jungen ab dem Grundschulalter fühlen sich oft magisch von den ‚Daddelkisten‘ angezogen. Die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden oder Verwandten zu spielen, eröffnet zumindest viele Ansatzpunkte für soziales Miteinander und gemeinsamen Spaß. Im Vergleich zu anderen Produkten wie Xbox oder Playstation, die mit den meisten Blockbustern auf ein erwachsenes Publikum abzielen, kann die Nintendo Switch aus pädagogischer Sicht jedenfalls durchaus punkten.
Nicole Lohfink: Schule und Spiel – mehr als reine Wissensvermittlung
Die öffentliche Schule Quest to learn in New York City ist eine Modell-Schule, die in ihren Lehrmethoden auf spielbasiertes Lernen, Game Design und den Game Design Prozess setzt. In Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Erziehern sowie Spielbegriff-Theoretikerinnen und -Theoretikern hat die Schule sukzessive ein Modell für jede Jahrgangstufe entwickelt, sodass nun von der sechsten bis zur zwölften Klasse in einem innovativen Lehr- und Lernansatz gearbeitet wird. Nicole Lohfink im Gespräch mit Rachelle Vallon, die die Entwicklung der Schule beinahe von Anfang an mitgestaltet hat.
merz: How do you define playfulness nowadays?
Vallon: I think there are different kinds of play. There isn’t just play in the form of a game. When you think about a game, it is usually a structure that has rules, a space, and some sort of organized system. Board or computer games are specific games with specific systems, certain rules. But play can also exist outside of a game. For example, an activity or an exercise has elements of a game. One thing we notice in a game is: The goal is always very clear. Or, students are always getting feedback. For example, when teachers create a lesson they create a narrative, an imaginary story line for the students to follow, especially for the younger students. That gives them a reason; they feel like they should learn the material. So it almost feels like a game: Maybe there are these fantastic creatures that need help building houses, and students need to learn about measurements in order to help these creative creatures to build their houses. In that way, they are not opening an iPad or Laptop to play a game about geometry or measurement. They are in fact engaged in something that is playful and creative through this narrative. Sometimes, we have students create a project of some sort that is hands on and they go through the design process. The design process we like to teach is used to create games but you can also use it to create a project or to find a way to express a different idea.
merz: So what do you think is the attraction of playfulness or this kind of playful learning?
Vallon: I think the biggest attraction is something that at our school we call ‘need to know’. That is one of the outcomes in the research that was done: Those scientists looked at games and wanted to know, why kids are always exited in games. Why, if they don’t succeed at first, do they always keep trying? Even if they fail twice, four times, six times. But in school, when they don’t succeed in math or writing, they don’t want to go back; they are scared or bored. And the answer is: It’s about those elements of a game! Knowing what the goal is in a game makes them want to go back. They want to complete the game or even be the winner. You always get immediate feedback and you are usually put into some sort of role. If you are playing monopoly you are asked to become a real estate mogul. Those are some of the things they realized kept students engaged and wanting to go back even if they didn’t succeed. Instead of putting students in a classroom and say: Okay, class. Turn to page 25, we are going to learn about algebra or graphs or American history. That might turn them off or make them fearful. When you make them a game-setting and incorporate those elements of having a clear goal, putting them in a role and that creative narrative – it makes it fun and gives them that need to know. Then, instead of just learning about geometry, they learn about geometry because they have to solve that mission. So it is about finding different ways to engage students, which is really building their perseverance. In fact, as a result they start to use the same habits of not wanting to give up in other lessons, not just in games.
merz: Regarding this sort of knowledge: “I know what have I done wrong in a game so I come back and know immediately what I have to do differently”. Isn't that also already giving a solution beforehand - like `this is how you have to behave in order to achieve´?
Vallon: Well, yes and no. I think in traditional schools sometimes they have one unit and that unit might be two to three months long. Let’s say they are studying literature: They might read one book for a couple of weeks, then they have an assessment test or a writing piece. And maybe that won’t be until a week from now, two weeks from now. But in a game, when you are playing, you are always getting feedback. Every single time you fail or every single time you move on to the next level. And usually, when you think about video games specifically, you need to use the skills that you learned in the previous level, to succeed in the next level. So nothing is done in isolation. Those are the aspects that move into the classrooms. Instead of just relaying, we do give tests along the way, every other day, maybe in the form of a game or an activity. This way you can always check in on every student to see: did they actually understand what I taught today or this week? And it also creates an environment for the students where they are not hesitant or fearful. Testing is a skill in itself that not everyone is good at. So when the assessment is not only a test but in a game or project maybe a student who does not well sitting and writing a test can do well in creating a project. So it is also providing multiple forms for students to show they actually learned what they were supposed to learn. That information will help to figure out how the teacher needs to proceed.
merz: What is the most prominent difference between Quest to learn and a classical school?
Vallon: The biggest difference is the mode of delivery of the instruction and the curriculum being developed from scratch. Also the narrative, the storyline is very unique, specifically for our school. Parents always ask if their child will be learning the same things as every other student in New York City. The answer is, of course, yes. We have to make sure of it! We have standards that every child has to master by the end of each grade. And when the teachers are creating their curriculum, the main difference from most other schools is, our teachers create their curriculum completely on their own from scratch, first based on the standards to make sure the students are learning what they should be learning. But then they go back and see where it’s useful to put in a game or a game-like activity. But every student has different strengths and weaknesses, every group of students is dissimilar, every year, over and over again. The great thing about creating your own curriculum is that you can change it year by year based on the precise skills. Teachers are completely responsible and have autonomy over their curriculum. Also, it is the most beneficial for incorporating games and game-like activities.
merz: But you can’t possibly create a personalized curriculum for each student, so you have to find something that is working for the majority?
Vallon: I will use one teacher as an example. Her curriculum is pretty set, she has been using the same story line and some of the same games - she had told me about one activity where the students start to identify positive traits about themselves. After they identify those positive traits they go on to the computer and use a program that creates comics and they create their own Superhero, an animated version of themselves. There are many steps to this larger project. The purpose is to empower themselves and they will then use this superhero to create a comic book about bullying and that way learn how to solve conflicts and that. She usually creates this comic book every year. This past year she said to me: I realized that this particular group of students struggled with the comic books. So she had to modify. Even if it is something as small as the amount of time she gives them to complete the comic book. But those are the little changes. Maybe it is not about changing the curriculum completely, but about the flexibility, to being able to see, day to day, week to week, what is working and what not. And there are also certain other things that we do. For example the homework requirements that the students get over their summer vacation. The teachers will use that to get some information on the student’s abilities, to see if there is anything they might need to change in their curriculum for the school year coming up. Teachers are completely responsible and have autonomy over all their curriculum.
merz: Is there any sort of supervision, for example, anything that helps teachers whilst struggling with the adjustment of a curriculum or whilst being creative throughout the year with the same time and energy?
Vallon: When the school was created, there was a smaller organization at the education department, called New visions for public schools, that heard about the Institute of Play and their research. Those two organizations created our school. So the philosophy is a really important part and we try to make sure we always maintain those standards. The first part is the hiring as the school is not the right fit for every student and might also not be the right fit for every teacher. We therefore want to make sure that the teachers know what the model is and if they are really interested in creating the curriculum themselves with additional support. And once they come in, we have various types of support. We have mentors to help them during the process of creating their curriculum. We have one teacher who serves as a curriculum developer, so they spend half of their schedule meeting with teachers, checking in on their curriculum, seeing what is working and what is maybe a little too overboard. Creating a good curriculum requires team work, input from other people. And our supervisors also make sure, the curriculums are holding to the game-based learning.
merz: But with every great idea, every system, some things work better and others less good. Where do you see areas of improvement?
Vallon: One thing we had to learn is how this model translates into the upper, the high school grades. Because in New York we have state examinations that students need to receive their diploma and go to college. And a lot of the high school courses are aligned to prepare them for these examinations. At the beginning, some of our teachers struggled in how to incorporate games and game-like activities under the pressure to make sure the students are prepared for these examinations. And that is definitely still going on, we always have to work on that. The model is the same but looks very different in the upper grades. For example, in the upper grade they have what is called problem set. Instead of helping a group of imaginary creatures build a house they might be working on global warming, hunger, or current issues in the world as those are more appropriate for their age-level. In a high school math class a teacher does a project based on the game-show ‘Shark Tank’ where they have to create their own Food-Trucks and use the math they learned about graphs and equations to create business portfolios. So I, for example, always advice our teachers and educators regarding to incorporate games or game-based learning: think about the audience, the age group of the students, the main learning goal and the most appropriate vehicle to get that accomplished.
merz: In what way are there any digital games involved in those vehicles?
Vallon: That was one misconception when we first opened the school. A lot of people had this understanding that we were a video-game school. We used to have students, who were interested in our school as they thought they would sit in front of a video game the whole day and magically learn math, science and English. When you look at the data-base of games, I would say, there are some digitally, but 85 percent of all the games we have are analog or paper-based games. Just a couple of games are on the iPad. For example, we use Minecraft a lot in art or math classes. We have one teacher who is very successfully teaching about slopes and incline by having the students create roller coasters on Minecraft. They have to create a video-game-walk through it and explain mathematically all the slopes in their roller coaster. Students participate in a huge design challenge at the end of the first term and the end of the year. Or, the students in sixth grade have to create a Rube-Goldberg-Machine. This way they learn about prototyping, about showing empathy, giving feedback and so forth. But we have a lot of technologies: computers, iPads, video game systems – but our biggest philosophy is their meaning and purpose!
merz: Media is still often perceived as dubious. Throughout time, each new development – books in medieval times, video in the 80s and nowadays computer games – has been perceived as a threat and sometimes people frown at the use of it in school. What do you think about that?
Vallon: It is a matter of fact that technology exists in today’s society. We like to say that our kids are born with iPads and cellphones in their hands – unlike us. This makes it all more important to teach students the appropriate usage of those devices as we need to look at students holistically. This starts by teaching them how to write a proper e-mail, or when to use or not to use your phone. All those things are thought directly and indirectly at our school. There is a lot of research showing that this is really becoming important to colleges and to employers - looking for individuals who can solve complex problems, who can think outside of the box, who can think critically. Who can work with others. And games and game design does that so well, even if you are not directly teaching it, it happens when you are playing a game that is collaborative and you are in a classroom environment. Not many of our games have a winning element where one person has to win over the other one. A collaborative game is teaching kids: I need to learn how to work with this individual, in order to succeed as a team, to be able to hear this other person’s ideas but I also have ideas that I can contribute. I need to learn time management, to learn organization.
merz: Children are also involved in game-design?
Vallon: In three ways: The first is direct game-design. We have a class specific to our school, called ‘Sports for the mind’ and it is a media, arts and game design class - probably the class where there is the most direct game play and game-design happening. The younger kids maybe will start at the beginning of the school year with learning how to modify games. We go through game modification, through the play-testing process and how to play test games, how to provide constructive feedback. They go through a game and the kids learn a game usually has a space, has rules etc. Once they learn about that they learn about modification. What will happen if we maybe change one rule. Then they are given the opportunity to do that with something as simple as tic-tac-toe. They are given an assignment to create their own version of tic-tac-toe. Then eventually that will level up a little bit. In some of the other classes the teacher will allow students to design their own games around the curriculum they are learning. With a health teacher, the students were learning about the negative effects of tobacco and alcohol use. And they have to create board-games about it. Then there is using the design process in general: we have a special component of our school, called boss level. Similar to a video game when it is usually the final round where you have to beat the boss and you have to use everything you learned in the game to complete this really tough mission. So with boss-level students participate in a huge design challenge at the end of the first term and the end of the year. The sixth grade students have to create a Rube-Goldberg-Machine. This way the students learn about prototyping, about showing empathy, giving feedback etc. The third way is: occasionally students participate in a focus group and they play-test certain games and provide feedback on how to develop certain games, or improve or modify games that devel
Sebastian Ring: Zwischen Konsole, Kanzlerin und Kongress
‚The Heart of Gaming‘, so lautete Mitte August in Köln das Motto der Gamescom. Allemal ist sie die weltweit größte Veranstaltung dieser Art und es wurden erneut Rekorde über Rekorde gebrochen, unter anderem an Ausstellerinnen und Ausstellern, Besucherinnen und Besuchern oder der Anzahl anwesender Politikerinnen und Politiker. Games sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen – diese Phrase ist so überflüssig und zeitlos wie eh und je: Immerhin ist nun auch ALDI in das Geschäft mit der digitalen Distribution von Games eingestiegen und beteiligte sich mit einer recht überschaubaren Präsenz am Massenspektakel in Köln. Games sind aber mittlerweile auch an der Spitze der Politik angekommen. Die Bundeskanzlerin beehrte die Messe zum ersten Mal, mitten im Wahlkampf und auch, um – nach ihren eigenen Worten – „der Branche meine Reverenz zu erweisen“. Solch hoher Besuch – im Schlepptau der neue NRW-Ministerpräsident Armin Laschet – ist tatsächlich eine Botschaft für sich. Schließlich hatte sich die Messe in den letzten Jahren noch mit Staatssekretärinnen und -sekretären sowie Landesministerinnen und -ministern begnügen müssen.
Die Sphäre der öffentlichen Hand ist auch an anderer Stelle präsent: Natürlich präsentierten sich – fast schon traditionell – unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Näher in den Fokus rückt aber die Förderung der Computerspiel-Branche mit öffentlichen Mitteln. So wurde verkündet, dass man die Stärkung des Standorts intensivieren möchte und sich dazu die in den letzten Jahren entstandenen 13 Netzwerke, Förderer und Standort-Initiativen stärker vernetzt haben, unter dem Label Games Germany – Regional Funds and Networks. Vorbild sind zum einen die Vereinigung der Filmförderinitiativen focus germany zum anderen jene Länder, wie Kanada oder Polen, die die Games-Branche bereits erfolgreich fördern.
Auch das Thema Bildung war prominent vertreten. Die Bundeskanzlerin machte sich auf ihrem Messerundgang eine Bild davon, wie Minecraft im Bereich der naturwissenschaftlichen Bildung ins Spiel kommt – auch wenn gerade bei diesem Beispiel die Widrigkeiten des Einsatzes von Games im Schulalltag sichtbar werden, wie mein Kollege Ulrich Tausend in seinem Blog www.tausend-medien.de illustriert. Auf dem Areal des Jugendforum NRW präsentierten sich auch etliche Akteurinnen und Akteure aus der Medienpädagogik, unter anderem die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und der Spielratgeber NRW. Auch der Gamescom Congress widmete sich zu Teilen der Bildung. Die GMK war einer der Veranstalter des Fortbildungstags ‚Schule und Games‘, der in Workshops und Paneldiskussionen Grundlagen vermittelte und praktische Wege des Einsatzes von Games im Unterricht aufzeigte.
Darüber hinaus wurden unter dem Dachthema des Kongresses ‚Mehr als Wissen‘ weitere Aspekte des Bildungspotenzials von Games beleuchtet, unter anderem durch Rachelle Vallon vom New Yorker Institute of Play oder Vera Marie Rodewald und Christiane Schwinge von der Initiative Creative Gaming.Natürlich nutzten viele Ausbildungsinstitute und Hochschulen die Plattform, um sich einem technikaffinen Publikum zu präsentieren. Auch die Bundeswehr präsentierte sich erneut – mit dem gesamten Medienarsenal zwischen VR und Snapchat, direkt neben den obligatorischen Panzern. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz war in Recruitingmission unterwegs und informierte unter dem Motto ‚Im Verborgenen Gutes tun‘ über Karriereoptionen.Friedlich ging es zu auf der Gamescom.
Geduldig warteten die Fans auf die Chance, die Neuauflage der bekannten Blockbusterserien anzuspielen. Auch wenn sich leider in der Fortsetzung von Serien bei den großen Publishern die Innovationskraft Jahr für Jahr erschöpft: FIFA 18 mit Cristiano Ronaldo als Coverboy, Assassin‘s Creed Origins, das zu den Anfängen der Erzählung ins antike Ägypten führt, Anno 1800, entwickelt mit Unterstützung der Gamingcommunity und Die Sims 4 lassen ab November 2017 Katzen und Hunde in ihre Häuser einziehen. Dabei begegnen einem an den Messeständen zunehmend Spielerinnen und Spieler mit VR-Brille auf der Nase.
Wohltuend sind da Nischen wie die Indie Arena Booth. Diese Plattform für unabhängige Entwicklerstudios, die im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde, zeigte erneut, was die Indie-Entwicklerszene zu bieten hat. Darunter einige vielversprechende Titel wie Orwell, das bereits Ende 2016 veröffentlicht wurde und mittlerweile fünf Episoden umfasst. Im Spiel geht es um die staatliche Überwachung der privaten Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern des fiktiven Staats the nation. Mit dem Rising Star Award ausgezeichnet wurde RITE of ILK, ein local multiplayer game, bei dem Spielende kooperativ zwei im Spiel aneinander gebundene Kinder steuern.Traditionell wurden auf der Gamescom natürlich nicht nur Games präsentiert.
Neben Software stehen Hardware, Gaming Gear und Merchandising im Fokus des Interesses. Auch die facettenreichen Aspekte der digitalen Spielkultur fanden hier ihre Bühne. Eine adäquate Bühne hatte zugleich Cosplay, zum einen mit dem eigenen Bereich cosplay village, zum anderen durch die Performances vieler Besucherinnen und Besuchern.Der digitalen Natur von Games und der über das Gaming hinaus führenden Funktionen von Konsolen als Multimedia-Hotspots in den Wohnungen ist geschuldet, dass die Messe auch für andere Technik- und Medienbereiche (3D-Druck, Spotify und Co.) interessant ist. Entsprechend macht deren Präsenz auch Sinn. Darüber hinaus präsentieren sich die einschlägigen Medien (YouTube Gaming, rocketbeans.tv, Twitch).
Ob das Herz des Gaming wirklich auf der Gamescom in Köln schlägt oder nicht viel mehr auf den vergleichsweise kleineren und intimeren Events wie dem PLAY – Creative Gaming Festival oder dem A MAZE Indepentdent Games And Playful Media Festival, auf denen mehr gespielt als gewartet werden kann, ist vielleicht eine Frage des Geschmacks. Für die professionell mit dem Thema Befassten steht die Bedeutung der Gamescom natürlich außer Frage (wobei auch einige namhafte Hersteller wie Crytek, Riot Games oder Rockstar Games nicht anwesend waren). Für viele zigtausende, nach wie vor sehr junge Besucherinnen und Besucher ist sie jedenfalls ein sozialer und emotionaler Höhepunkt des Jahres.
Nächstes Jahr dann wieder im August, wieder in Köln: 21. bis 25. August 2018.
Beitrag aus Heft »2017/05 Self-Tracking. Lifelogging. Quantified Self.«
Autor:
Sebastian Ring
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Nicole Lohfink: Mit (Computer-)Spielen zum Ernst des Lebens
Dr. Sonja Ganguin ist Professorin für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und Sprecherin auf der Gamescom für interaktive Spiele und Unterhaltung in Köln.
merz Auf der Gamescom haben sich auch die Generalsekretäre der Parteien zu Games und deren Rolle in unserer Gesellschaft geäußert. Welchen Eindruck haben Sie davon, wie hoch der Stellenwert von Games tatsächlich ist?
Ganguin Man merkt, dass wir im Wahlkampf sind. So sagen die Generalsekretäre zwar, wie wichtig Games sind und dass sie auch Entwickler in Deutschland fördern wollen. Frau Merkel hat bei der Eröffnung von Computerspielen als Kulturgut gesprochen. Aber abgesehen vom Deutschen Computerspielpreis braucht es noch einiges mehr an Unterstützung, auch für die Gamescom. Einer der Generalsekretäre, Hubertus Heil, hat sich beispielsweise für die Förderung von Computerspielen und ihre gesellschaftliche Relevanz ausgesprochen. Auf die Frage, ob E-Sport olympisch werden könnte, äußerte er jedoch, dass möglicherweise auch so „merkwürdige Sachen wie E-Sport“ olympisch werden könnten. Da hat er sich etwas verrannt.Auch die Aussage, dass die technische Infrastruktur das A und O für die Schule sei, sehe ich kritisch. Es müsste nämlich schon im Studium, bei der Ausbildung, wenn Fachdidaktiken eine große Rolle spielen, angesetzt werden. Medienkompetenz wird immer als Bildungs- und Erziehungsziel genannt, ist aber im Curriculum immer noch nicht konkret verankert.
merz Hat uns die technische Entwicklung insofern überrannt, dass vielen Menschen nun ein grundsätzliches Verständnis und damit der Mut zur Auseinandersetzung fehlt?
Ganguin Ja, aber das geht mir auch in bestimmten Bereichen so. Wenn ich mir beispielweise einen Smart-TV kaufe, bekomme ich keine Anleitung mehr, sondern soll mir alles aus dem Netz ziehen; ich muss das sogar, da einiges nicht mehr nur intuitiv zu bewältigen ist. Wenn auf der anderen Seite im Bildungsbereich neue Geräte angeschafft werden und niemand erklärt, wie sie genutzt werden können, frustriert das natürlich.
merz Was können Computerspiele dem Bildungsbereich bieten?
Ganguin Die Faszination von Computerspielen ist ihr unheimlicher Spaßfaktor. Das Potenzial besteht darin, dass man selbst aktiv werden und sich problemlösungsorientiert mit bestimmten Aufgaben auseinandersetzen kann. Dabei können parallel auch ganz viele Kompetenzen gefördert werden. Zum Beispiel spiele ich seit Jahren Civilisation und lerne immer wieder dazu. Unter Gamern existiert auch nicht dieser ‚einsam isolierte Nerd‘. Computerspielen ist eine sehr kommunikative, gesellige Tätigkeit, regt die Fantasie an. Man kann in virtuelle Welten eintauchen, ausprobieren, selber gestalten und entscheiden. Das meine ich nicht im Sinne einer medieneuphorischen Perspektive, möchte aber auch keine kulturpessimistische Perspektive einnehmen, im Sinne von Medienverwahrlosung, Mediensucht. Man muss beide Seiten kritisch-optimistisch beachten. Erfahrungen aus der Alpha- und der Beta-Welt sammeln. Computerspiele können eine wunderbare Ergänzung des Alltags sein, um sich auch mit anderen auszutauschen und viel über andere zu lernen. Sie haben unterschiedliche Wirkungen, je nachdem, wie man sie nutzt.
merz Auf der Gamescom hat auch Rachelle Vallon von der Modellschule quest2learn in New York gesprochen. Eine Schule, die sehr stark auf spielerische Lernweisen eingeht. Wie sieht es mit dem spielerischen Lernen bei uns aus?
Ganguin Zum einen haben wir einen historisch gewachsenen Spielbegriff: Spiele sind für Kinder da, Erwachsene spielen nicht. Spiele haben nichts mit Ernsthaftigkeit zu tun. Die historisch gewachsenen Gegenbegriffe, gar Antagonismen sind: Spiel und Arbeit; Arbeit bedeutet Ernst und Pflicht. In unserer Arbeitsethik ist das so fest verankert, dass wir der Ansicht sind, dass Spiele nichts mit dem wirklichen Leben zu tun haben. So hat sich der Spielbegriff durch eine jahrhundertelang gewachsene negative Semantik entwickelt und steckt in uns. Mit der Folge, dass Spielen nichts Relevantes sein kann.merz Kommt daher auch die Hemmschwelle, Gamification in der Schule einzusetzen?Ganguin Viele Lehrkräfte haben generell Angst, Medien in der Schule einzusetzen. Andere von ihnen meinen, alles zu wissen und zu können. In Bezug auf den Medieneinsatz haben sie Angst vor einem Kompetenzverlust; Eltern ebenso. Aber in Deutschland wird generell das Beispiel Classcraft herangezogen, wo durch Gamification-Elemente der Unterricht mitgestaltet werden kann. Computerspiel ist ein Lernprozess. Bei Minecraft hat man zum Beispiel viel Kreativität, aber man unterliegt natürlich auch den Möglichkeiten eines Programms.
merz Es herrscht also Einigkeit darüber, dass Computerspiele die Kreativität fördern und Mediennutzung wichtig ist. Aber wie sieht die Werteverteilung für den Unterricht aus: Was wird in der Ausbildung als wertvoll und notwendig erachtet?
Ganguin In einigen Fachdidaktiken werden Inhalte vermittelt, die für spezielle Situationen zwar ganz sinnvoll sein können, aber es findet zu wenig Transfer statt. Warum und wozu brauche ich beispielsweise den Dreisatz im Alltag? Unsere Mathematik-Lehrkräfte rechnen in ihrer Ausbildung auf höchstem Niveau, werden das alles aber gewiss nie ihren Schülern beibringen. Dagegen wird so etwas wie die Mediennutzung in der Ausbildung überhaupt nicht thematisiert. Gerade die Fähigkeit, sich kritisch mit bestimmten Entwicklungen auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, kommt einfach viel zu kurz.
merz Was wünschen Sie sich in der praktischen Umsetzung?
Ganguin Man muss Lehrkräften mehr Freiraum geben. Das Curriculum ist zu voll, lässt relativ wenig Flexibilität zum Auszuprobieren oder Scheitern. Fehler zu machen ist aber ganz wichtig, da darin immer auch eine Erkenntnis steckt. Die Tendenz zu schneller, höher und weiter führt eher dazu, dass Depressionen zunehmen, insbesondere an den Universitäten. Dass Beratungsstellen einen immer größeren Zulauf verzeichnen, ist ein gesellschaftliches Phänomen, das man ernst nehmen sollte. Heute kommen Kinder aus der Schule und müssen ein Spektrum an weiteren Aufgaben absolvieren, inklusive Hausaufgaben. Aber die Möglichkeit, auch mal Langeweile zu empfinden, dass Langeweile auch etwas Schönes ist und zugelassen werden darf, erleben Kinder heute fast gar nicht mehr. Die Schule muss, meiner Meinung nach, da neu ansetzen und mehr Freiheiten einräumen.merz Wie sehen Sie derzeit in Deutschland die Chancen dafür?Ganguin Nach meiner Erfahrung ist immer ganz viel von der Schulleitung abhängig. Wenn die hinter neuen (auch mediendidaktischen) Konzepten steht und Lehrkräfte unterstützt, ist vieles einfacher. Dabei müssen längst nicht alle medienaffin sein, man kann nicht von allen alles erwarten. Aber es gibt viele Lehrkräfte, deren Antrieb unterstützt werden sollte.
Beitrag aus Heft »2017/05 Self-Tracking. Lifelogging. Quantified Self.«
Autor:
Nicole Lohfink
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Saskia Eilers: Ran an Maus und Tablet
Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien/Blickwechsel e. V. (Hrsg.) (2017).
Ran an Maus und Tablet.
www.rananmausundtablet.de, kostenfrei.In der Elementarbildung gewinnt die aktive Medienarbeit zunehmend an Bedeutung. Ein Bewusstsein für die entwicklungsfördernden medialen Bildungsprozesse ist vorhanden. Oftmals besteht auch ein großes Interesse von Seiten der pädagogischen Fachkräfte, jedoch mangelt es an konkreten Projektideen oder dem technischem Know-how, um Medienprojekte in den Einrichtungen umzusetzen. Die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien hat – in Zusammenarbeit mit Blickwechsel e. V. – das Webangebot Ran an Maus und Tablet initiiert, welches dieser Problematik Abhilfe schaffen soll.
Als Materialpaket für die aktive Medienarbeit mit Kindergarten- und Grundschulkindern richtet sich die Website gezielt an pädagogische Fachkräfte ohne Vorkenntnisse.In unterschiedlichen Hauptrubriken werden Informationstexte, Praxisvorschläge und weiterführende Verlinkungen präsentiert. Die Rubrik ‚Medien im Bildungseinsatz‘ dient als informativer Einstieg in das wissenschaftliche und praktische Gebiet der Medienpädagogik. Hier erfolgen zentrale Begriffserklärungen der Medienkompetenz sowie der Medienbildung. Die Präsentation einer groben Checkliste bietet zudem eine Orientierung bei der Planung und Durchführung medienpädagogischer Praxisprojekte. Es werden dabei unter anderem wichtige Aspekte der Materialbeschaffung, der Teamkoordination und der Projektdokumentation aufgegriffen sowie diesbezügliche Leitfäden von anderen Institutionen verlinkt.
In den gesonderten Tipps zur Technikanschaffung wird der Frage nachgegangen, welches Gerät für die jeweilige Einrichtung und das geplante Projekt sinnvoll ist und was beim Kauf berücksichtigt werden sollte. In der Rubrik ‚Ideen für die Praxis‘ ist eine Vielzahl einzelner Projektideen enthalten, welche thematisch gruppiert sind. Sie reichen von Sprache und Kommunikation über Natur und Umwelt bis hin zur ästhetisch-kulturellen Bildung sowie dem sozialen Lernen. Die Projektideen werden übersichtlich dargestellt, indem zunächst die wichtigsten Aspekte wie Zielgruppe, Dauer, benötigte Materialien und Lernziele präsentiert werden. Anschließend wird die Projektdurchführung in einem ausführlicheren Text beschrieben.
In der ‚Materialkiste‘ lassen sich Anleitungen zu einzelnen Softwareprogrammen und technischen Geräten finden, die in den Projektideen verwendet werden. Dabei vermitteln die dazugehörigen Texte einen detaillierten Einblick in die einzelnen Handlungsschritte und werden mit Bildern veranschaulicht. Diese Anleitungen umfassen die Erläuterung technischer Grundkompetenzen, das Hochladen von Fotos auf den PC oder spezifische Erklärungen wie die Bearbeitung von Audiodateien mit Audacity. Die Rubrik ‚Medien & Recht‘ bietet einen Einblick in relevante Aspekte der Gesetzeslage, die bei der Produktion oder Vorführung von Medienprojekten von Bedeutung sein können. Hier werden unter anderem die Persönlichkeitsrechte, das Urheberrecht und der Datenschutz in Grundzügen erläutert. Außerdem lässt sich eine Rechte-Checkliste für das eigene Medienprojekt finden.
‚Medien in der Familie‘ summiert zudem medienpädagogische Informations- und Beratungsangebote in Hinblick auf die Elternarbeit. Hier sind unter anderem Vorschläge für Elternabende zur Medienerziehung enthalten.Ran an Maus und Tablet bietet pädagogischen Fachkräften ein vielfältiges Materialpaket für die eigene aktive Medienarbeit mit Kindern. In verständlichen Informationstexten wird in das wissenschaftliche Fachgebiet eingeführt und für die Chancen aktiver Medienarbeit im kindlichen Bildungskontext sensibilisiert. Die Vielzahl an Projektideen stellt eine Inspirations- und Orientierungsquelle für die mediale Kreativarbeit in der eigenen Einrichtung oder dem eigenen Schulunterricht dar. Die Projektvorschläge und deren thematische Sortierung orientierten sich dabei an den Kernbereichen der Elementarbildung, die in den Bildungsplänen jedes Bundeslands vorhanden sind, sodass eine Integration der Ideen in den eigenen themenspezifischen Unterricht sehr leicht bewerkstelligt werden kann. Es wird auf die Verwendung aufwendiger Technik verzichtet und auch ein möglicher Platzmangel in Einrichtungen sowie Alternativbeschäftigungen für die restlichen Betreuungskinder werden berücksichtigt.
Das Angebot basiert somit auf den tatsächlichen Gegebenheiten in den Institutionen, sodass sich die vorgeschlagenen Medienprojekte fließend in den Grundschulunterricht oder in den Kitaalltag einbauen lassen. Neben der Fülle an Projektideen bietet die Website auch medienbezogene Anleitungen und Beratungen zum Kauf sowie zur Verwendung diverser Hardware und Software. Diese Anleitungen besitzen das Potenzial, dem Technikpessimismus entgegenzutreten und interessierte pädagogische Fachkräfte ohne technische Vorkenntnisse bei der Umsetzung von ersten Medienprojekten zu unterstützen. Somit berücksichtigt das Angebot neben den Strukturen der Bildungseinrichtungen auch den jeweiligen Kenntnisstand der Fachkraft und bedient somit verschiedene Bedürfnisse zugleich. Die durchgehende Verlinkung auf weiterführende Fortbildung- und Informationsprogramme der medienpädagogischen Landschaft in Deutschland reichert das Informations- und Orientierungsangebot der Website zusätzlich an.
Trotz der Fülle an relevantem Inhalt wirkt die Website eher rudimentär. Manche Verlinkungen führen ins Leere. Zudem ist der Aufbau der Website sehr verschachtelt, sodass ein Überblick über das Gesamtangebot erschwert wird. Dem Startmenü fehlt es an Vollständigkeit. Folglich sind manche Unterseiten lediglich über webseiteninterne Verlinkungen auffindbar, nicht aber über das Menü der Startseite. Wichtige Informationen können so leicht übersehen werden. Trotz der übersichtlichen Darstellung der Projektideen auf der Website mangelt es in dieser Rubrik noch an Usability, beispielsweise in Form einer integrierten Such- oder Filterfunktion nach Projekten für spezifische Zielgruppen oder Medien. Ran an Maus und Tablet stellt dennoch eine wissenschaftlich und bildungspolitisch fundierte Handreichung dar, die sowohl Einsteigerinnen und Einsteigern als auch Medienerprobten neue Inspirationen bietet. Das umfassende Angebot liefert gebündeltes Wissen aus Forschung und Praxis, vereint verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse und stellt somit eine begrüßenswerte Erweiterung zu inhaltsähnlichen Angeboten dar.
Beitrag aus Heft »2017/05 Self-Tracking. Lifelogging. Quantified Self.«
Autor:
Saskia Eilers
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Melanie Theissler: Die Wahrheit auf den Kassetten
Wie geht man am besten mit Mobbing um, wenn man bereits tot ist? In der Serie Tote Mädchen lügen nicht zeigt Hannah, wie das möglich ist. Eine Schülerin ist tot. Ihr Spind in ihrer amerikanischen High School ist mit Fotos und Blumen dekoriert. Das ist jetzt eine Woche her. Zwei Schülerinnen besuchen auch jetzt noch diesen Ort. Man würde vermuten, dass sie etwa stehen bleiben und kurz inne halten, in Gedanken an die Verstorbene. Doch das wäre nicht mehr zeitgemäß und uncool … und so stellen sich diese zwei Mädchen vor den Spind der Toten und schießen ein Selfie. Damit auch jede andere Person ihres Freundeskreises mitbekommt, dass sie ‚angemessen‘ trauern, stellen sie dieses Selfie ins Internet, verlinken es mit #nievergessen und gehen weiter.
Ganz anders geht Clay mit dem Tod seiner toten Mitschülerin Hannah um. Sein Gesicht ist auch nach einer Woche noch von Trauer und Betroffenheit gezeichnet als er den Spind betrachtet. Der ruhige und sensible ‚Nerd‘ ist keiner der ‚coolen‘ Schüler seiner Schule, wird aber von den meisten in Ruhe gelassen. Sein bester Freund ist Tony, der ganz fasziniert ist von nostalgischen Gegenständen, daher einen alten Mustang fährt, Kassetten liebt und alte Modetrends verfolgt. Er fährt Clay gelegentlich von der Schule nach Hause. Mit ihm und Hannah hat Clay bisher die meiste Zeit verbracht. Hannah hatte versucht, den stillen Teenager ein wenig aus der Reserve zu locken und ihn auch auf ihre einzige Party eingeladen.
Dort hatte Clay beobachtet wie Hannah einen Jungen kennengelernt hat. Clay wusste, dass dieser keiner von denen war, die es gut mit Hannah meinen würden. Doch Hannah hatte ein weiteres Date mit ihrem neuen Schwarm Justin und keine Ahnung, dass er anzügliche Fotos von ihr machen und in der ganzen Klasse verbreiten werden würde. Ab hier hatte Hannahs Unglück seinen Lauf genommen. Als Tony Clay wieder einmal von der Schule nach Hause fährt, findet dieser vor seiner Haustür ein Päckchen mit Kassetten, auf dem kein Absender steht. Beim Abspielen erkennt er Hannahs Stimme sofort, die, trotz ihres Todes, ein ausgeklügeltes Spiel geplant hat. Für Clay steht die Welt Kopf und es beginnt eine nervenaufreibende Jagd nach der Wahrheit.
Tote Mädchen lügen nicht behandelt das omnipräsente Thema (Cyber-)Mobbing an Schulen sowie dessen Folgen. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, die zeigen, wie Mobbing beginnt und anschließend seinen Verlauf nimmt, wird gezeigt, wie sich die Mitschülerinnen und Mitschüler nach dem Tod ihres Mobbingopfers verhalten. Sowohl inhaltlich wie auch strukturell ist die Serie komplex aufgebaut. Während hauptsächlich das Geschehen aus der Sicht des Hauptprotagonisten Clay gezeigt wird, hört das Publikum zeitweise gleichzeitig Hannahs Stimme, die ihre Geschichte im Hintergrund mithilfe der Kassettenaufnahmen berichtet.
Mit jeder Folge lernt das Publikum mindestens eine weitere neue Person kennen, die von Bedeutung für den Verlauf der Geschichte ist. Dadurch gewinnt die Erzählung an zwischenmenschlicher Komplexität. Die Erzählung beginnt in der Gegenwart, springt jedoch immer wieder in die Vergangenheit, um so die Beziehung zwischen Hannah zu ihren nach und nach auftretenden Mitschülerinnen und Mitschülern zu erläutern. Die Serie zeigt auf diesem Weg erst Stück für Stück die gesamte Mobbinggeschichte auf.Auffallend sind emotionale und physische Gewalt, die grafisch teilweise sehr detailliert gezeigt werden und mithilfe von bewusst eingesetzten Farben, Musik und Kameraeinstellungen für eine äußerst düstere Stimmung sorgen.
Selbst auf erwachsene Zuschauerinnen und Zuschauer kann dies verstörend wirken. Für Jugendliche ist das hohe Identifikationspotenzial, das die Serie gekonnt einzusetzen weiß, mit Vorsicht zu beachten. Unter anderem verkörpern die Protagonistin Hannah und der Protagonist Clay mehrdimensionale, aber auch ambivalente Charaktere mit entsprechend breiter Projektionsfläche, deren Persönlichkeitsentwicklung sich wohlgemerkt im Verlauf der Serie unvorhersehbar gestaltet und die Handlungsweisen zum Teil fragwürdig erscheinen lässt. Dennoch kann gerade die Kombination aus sehr detaillierten, dramatisch untermalten Darstellungsweisen und lebensweltnahen Situationen zur Faszination und damit gar zu Nachahmung anregen.
Die Serie Tote Mädchen lügen nicht fällt mit hochaktuellen Situationen, schwierigen und in ihrer Darstellung zum Teil schwer aushaltbaren Themen, aber auch mit einer neuen Herangehensweise zur Behandlung von Mobbing sowie mit authentischen Akteurinnen und Akteuren auf. Aufgrund der drastischen emotionalen und physischen Gewaltszenen wird Jugendlichen empfohlen, die Serie nur mit entsprechender Betreuung von pädagogischen Fachkräften, Eltern oder Lehrkräften anzusehen. Unter diesen Nutzungsvoraussetzungen kann die Geschichte wiederum einen pädagogischen Mehrwert aufweisen. Sie kann Jugendlichen Sozialkompetenzen wie Wachsamkeit gegenüber Mobbingvermitteln und dazu anregen, den Mut zu haben, Opfern zu helfen. Weiterhin lehrt sie verändertes Verhalten bei Freundinnen und Freunden zu beobachten und ernst zu nehmen.
Pädagogische Fachkräfte können Jugendlichen dabei helfen, die Geschehnisse der Serie zu analysieren, zu reflektieren, einzuordnen und so beim Aufbau und der Festigung dieser sozialen Kernkompetenzen unterstützend zu wirken. Obwohl die Serie vorwiegend für den Privatgebrauch angeboten wird, kann sie als Lehrmaterial fungieren. Denn im Vergleich zu konventionellen Unterrichtsmaterialien bietet sie einen erhöhten emotionalen sowie kognitiven Zugang und gleichzeitig Anlass zur reflektierten Bearbeitung von selten so offen thematisierten Lebensthemen und Problemen wie Mobbing, Gewalt, Suizid oder sexuelle Belästigung. Genau deshalb kann eine pädagogische Verwendung allerdings nur unter Vorbehalt und unter verstärkter Berücksichtigung psychischer Verfassungen der Jugendlichen empfohlen werden.
Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why)USA 2017, 49 bis 61 Minuten13 Episoden in einer StaffelProduktion: Joseph IncapreraIdee: Brian YorkeyKamera: Ivan Strasburg, Andrij ParekhAusstrahlung: seit 31. März 2017 auf NetflixAltersfreigabe bei Netflix: 16 Jahre
Beitrag aus Heft »2017/05 Self-Tracking. Lifelogging. Quantified Self.«
Autor:
Melanie Theissler
Beitrag als PDF
Melanie Theissler: Wie erkenne ich Fake News?
Neue Wege des Lernens e. V. (2017). Fake News Check. iOS/Android, kostenfrei.
Auf Social Media nutzen sie gerne Schlagwörter, wie ‚Must see!‘ oder ‚unglaublich!‘, auf Onlinevideoplattformen treten sie häufig mittels sogenannter Clickbaits in der Videovorschau auf. Immer stärker rücken Fake News in den Fokus vieler sozialwissenschaftlicher Fachkräfte und Internetnutzender. Sie alle stellen sich dabei die Fragen, wie wahre von falschen Nachrichten unterschieden und welcher Quelle noch getraut werden kann. Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. möchte Antworten darauf geben und stellt dazu die App Fake News Check als Hilfsmittel zur Aufklärung von Falschnachrichten zur Verfügung. Die Anwendung überprüft mithilfe eines Fragenkatalogs, ob es sich bei einer suspekten Nachricht um eine gefakte Meldung handelt oder ob ihrem Inhalt bedenkenlos vertraut werden kann.
Zur Überprüfung der Fake News werden die Userinnen und User durch 19 Fragen geführt, die auf virtuellen Karteikarten gezeigt werden. Jede Karteikarte beinhaltet eine Frage. Die nutzende Person kann diese Fragen in Bezug auf die von ihr verdächtige, falsche Nachricht beantworten. Die Fragen handeln von typischen Merkmalen falscher Nachrichten, ob es sich beispielsweise um besonders skandalöse Neuigkeiten handelt bzw. die Nachricht mit Quellen belegt wurde oder die Person zum Teilen der Nachricht aufgefordert wird. Nicht alle Fragen müssen beantwortet werden, um zur nächsten Frage zu gelangen. Am Ende der Befragung gibt Fake News Check in einer kurzen Auswertung eine Einschätzung, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei der von Nutzenden verdächtigten Nachricht um Fake News handelt. Je mehr Fragen beantwortet werden, desto qualitativ hochwertiger ist auch die Einschätzung. Wenn die Userinnen und User während der Beantwortung der Fragen dem Hintergrund der ihnen gestellten Frage nachgehen wollen, können sie auf das Feld ‚Karte umdrehen‘ klicken. Hier wird der Hintergrund jeder Frage erläutert.
Wer noch keine genauen Vorstellungen hat, wie die App richtig zu bedienen ist, kann über das Feld ‚Bedienen‘ mehr erfahren. Hier wird erklärt, welche Funktion die App hat, welcher Nutzen sich dahinter verbirgt und vor allem auch, was die Anwendung nicht leisten kann. Fake News Check ist zugunsten des informativen Charakters gestalterisch einfach und von der generellen Farbnutzung schlicht-freundlich gehalten. Farben werden nur gezielt im Zusammenhang zur positiven oder negativen Auswertung der Nachricht eingesetzt. Auch die Handhabung der Anwendung ist sehr nutzerfreundlich. Durch den Homescreen, von welchem aus alle Funktionen erreicht werden können, finden sich die Nutzerinnen und Nutzer leicht und intuitiv gut in der Anwendung zurecht.
Die App Fake News Check eignet sich sehr gut für pädagogische Zwecke und die Förderung von Medienkompetenz im Unterricht. Gemeinsam mit (medien-)pädagogischen Fachkräften und in Form des Blended Learning können Kinder und Jugendliche entsprechende Medienkompetenzen zum selbstständigen Identifizieren von Fake News erwerben. Die App kann als unterstützende Methode bzw. als zusätzliche praktische Übung zu anderen didaktischen Mitteln fungieren. Unter einer professionellen Anleitung kann der eigentliche Nutzungszweck der App vermittelt und die Anwendung adäquat angewandt werden. So können Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den Lehrenden anhand typischer Kennzeichen den Unterschied lernen, vertrauenswürdige Quellen von nicht-vertrauenswürdigen zu unterscheiden. Unterstützend wirken dabei das in die App inkludierte Glossar sowie eine Linkliste mit thematisch weiterführenden Internetadressen. Beide Funktionen ermöglichen Projektarbeiten in medienpädagogischen Kontexten, wie zum Beispiel das Lernen entsprechender Fachtermini oder das Kennenlernen von gemeinnützigen Vereinen, Blogs oder EU-Initiativen, die für die Sicherstellung und Verbreitung von wahrheitsgetreuen News arbeiten.
Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. bietet beispielsweise eine praktische Anleitung sowie Arbeitsmaterialien zum didaktischen Umgang mit der Anwendung Fake News Check im Unterricht. Dies bietet Lehrenden eine genaue Anweisung zum Umgang mit der Anwendung, um Schülerinnen und Schülern ein auf die App konzipiertes Projekt durchzuführen. Nach Beenden eines solchen Projekts helfen Fragenkatalog sowie Glossar den Jugendlichen, das erlernte Wissen beizubehalten und nach Belieben aufzufrischen. Personen außerhalb des (medien-)pädagogischen Rahmens allerdings, die sich nicht ausführlich mit der App Fake News Check beschäftigen und Nachrichten im Alltag kurzfristig auf ihre Tauglichkeit überprüfen möchten, neigen eher dazu, sich auf die Auswertungsergebnisse zu verlassen statt sich auf das eigene Hintergrundwissen und Reflexionsvermögen zu berufen. Der Namen der App ist hierbei tendenziell irreführend, da es die Nutzenden zur Annahme verleitet, sich auf die Richtigkeit des automatisch erzeugten Ergebnisses verlassen zu können. Zwar wird in der Anleitung der App erklärt, dass es sich hierbei um keine hundertprozentig zuverlässige Überprüfung von Falschnachrichten handelt, jedoch wird dies erst in der gesonderten weiterführenden Bedienungsanleitung deutlich.
Die edukativen Zwecke, nämlich das Lehren des selbstständigen Erkennens sowie ein sicherer Umgang mit Fake News, könnten zum Beispiel in Form eines im Homescreen inkludierten Hinweises verdeutlicht werden. Grundsätzlich erreicht der Weg des virtuellen Lernens insbesondere Kinder und Jugendliche aber hervorragend, da sie mit Apps ohnehin nahezu ausnahmslos vertraut sind. Jedoch könnte aufgrund einer vorschnellen Annahme über den Gebrauch der App als unhinterfragter Qualitätscheck der positive Anreiz schnell verloren gehen. Die ursprüngliche Intention, die Zielgruppe beim Kompetenzerwerb zu unterstützen, würde damit untergraben werden. Dieser ambivalente Charakter lässt fragen, ob junge Nutzende mit wenig Erfahrung im Umgang mit Falschberichterstattung den Fragenkatalog selbstständig und mit einer hohen sowie sicheren Antwortquote bearbeiten können. Daher kann die Anwendung verstärkt (medien-)pädagogischen Fachkräften der Praxis sowie Lehrkräften empfohlen werden, die das Ziel der Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen verfolgen.
Die Anwendung kann im Google Playstore bzw. Apple Store kostenfrei heruntergeladen werden.
Antje Müller: „musstewissen“, sagt funk
„Im Unterricht nicht aufgepasst? Bei den Hausaufgaben keinen Plan und morgen eine Klassenarbeit? Hättste wisse müsse? Kannste wissen – musstewissen ...“ – seit Mitte März diesen Jahres ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem Angebot musstewissen auf YouTube vertreten. Produziert von funk, entwickelt das ZDF in Kooperation mit der ARD ein schulbegleitendes Edutainment-Angebot, dass studierte Expertinnen und Experten aus Natur-, Geschichts- und Kommunikationswissenschaften zusammenführt und zu E-Lehrkräften macht. Adressiert an Achtklässlerinnen und -klässler soll Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren Grundwissen in Mathe, Deutsch, Chemie, Geschichte und Physik vermittelt werden, das ihnen bei Klausuren, Referaten oder Hausarbeiten helfen und ganz nebenbei auch noch Spaß machen soll.
Die Playlist erweitert sich wöchentlich um ein neues Erklärvideo, wobei die Inhalte auf die Lehrpläne der verschiedenen Bundesländer und Schulformen abgestimmt sind. Immer montags stehen Formeln, Gleichungen und Textaufgaben mit dem journalistisch bewanderten ‚Mathe- Kumpel‘ Nicole Valenzuela auf dem Stundenplan. Dienstags läuft ‚Die Klugscheisserin‘ und musikalische Europaexpertin Lisa Ruhfus im Kanal musstewissen Deutsch zur theatralischen Höchstform auf. Bergfest gefeiert wird mit der smarten Polymerforscherin Mai-Thi Nguyen-Kim von schönschlau und Terra X Lesch & Co, die jeden Mittwoch zu einem charmanten Ausflug in die Welt der Chemie einlädt. Donnerstags wird mit dem unterhaltsamen, pädagogisch versierten Geschichtenerzähler MrWissen2go Mirko Drotschmann in historisch bewegte Zeiten und das Leben spannender Persönlichkeiten eingetaucht. Und schließlich wird am Freitag mit dem witzigen, sportlich-musikalischen Dreamteam Simon Weßel-Therhorn und Eduard Flemmer von LekkerWissen und einer doppelten Portion physikalischer Experimente ins verdiente Wochenende gejumpt. Wer trotzdem noch nicht gut genug vorbereitet fühlt, findet auf Instagram und Facebook den passenden Spickzettel, einschließlich weiterer spannender Fakten zum behandelten Stoff. Alle musstewissen-Kanäle zeichnen sich durch eine einheitliche Struktur und Aufbereitung aus. Eingesetzt werden zahlreiche animierte Erklärgrafiken, um das Gesagte verständlich zu machen. Typisch sind die immer wiederkehrenden Merkkästen mit Begriffsklärungen, Schlagwörtern, Formeln oder Zusammenfassungen. In den Geschichts-‚lesungen‘ wird darüber hinaus mit unaufgeregten Hintergrundbildern gearbeitet, die – wie in einer Diaprojektor-Vorführung – regelmäßig wechseln.
Jeder Kanal fokussiert die Stärken seines Fachgebiets. So nutzt das Physiker-Duo die Chance auf Experimente unter Einsatz abwechslungsreicher Beispiele wie Skateboards, Taschenlampen oder Holzstäbe, während sich in Deutsch auf aufwendig produzierte, humorvolle Bühnendarbietungen mit Aha-Effekt konzentriert wird. In Mathematik gibt es dagegen Schritt-für-Schritt-Anleitungen für schwierige Formeln mit einer angenehmen Vortragsgeschwindigkeit und musstewissen Chemie wiederum bewegt sich im Spannungsfeld informatives Labor mit Coolnessfaktor und Augenzwinkern. Manche Themen werden relativ zügig innerhalb von drei Minuten erklärt, mit anderen setzt sich das YouTuber-Team in bis zu elf Minuten auseinander – und das gern auch auf Wunsch der Community. Generell wird auf Anschlusskommunikation und Interaktion in den Kommentaren hoher Wert gelegt. Die überwiegend positiven Resonanzen fallen dabei recht unterschiedlich aus und stammen gerade in den Kanälen Mathe und Deutsch häufig von Älteren, wie Studierenden oder auch kritischen pädagogischen Fachkräften. Auffallend hoch frequentiert kommt dagegen Geschichte bei der eigentlich adressierten Zielgruppe an. Die hohe Eignung zum Zuschauen oder auch Nebenbeihören der ersten musstewissen Geschichte- Produktionen scheinen einen Nerv zu treffen. Wer es dagegen lieber unterhaltsamer und dynamischer mag, schaltet musstewissen Deutsch oder Physik ein. Obgleich der zahlreichen humorvollen Analogien, Metaphern und anderer abwechslungsreicher (sprachlicher) Erklärmittel ist das Informationslevel mindestens immer gleich auf mit dem Unterhaltungslevel und hält konstant die Erklärlinie vom Einfachen zum Komplizierten, vom Konkreten zum Abstrakten. Doch trotz innovativer Elemente bleibt musstewissen eher dem klassischen Frontallehrer-Unterrichtsstil zugeneigt, der Schrift und Zahlen fixiert. Die Gestaltungsmittel sind zwar vielfältiger und helfen den visuellen Lerntypen, dennoch ist die Nähe zur Kindernachrichtensendung logo! auffällig.
Insbesondere die Animationen erinnern häufig an das bekannte Erklärstück. Dieses zentrale Element, welches alle Kanäle verbindet, könnte – entsprechend dem Innovationscharakter des Formats – einen eigenständigen Anstrich vertragen. Neben zum Teil hohen Sprechgeschwindigkeiten und Inhalte-Dynamiken, die je nach Thema auch gut angekommen, zeigt sich eine Entwicklung zum ‚Glattmachen‘ des Edutainment- Angebots. Wo sich am Anfang noch Versprecher, Lacher und sichtbare Begeisterung zeigten, stehen mittlerweile häufiger perfektionierte, monotone Vorträge ohne Höhen und Tiefen und konventionelle Unterrichtsbeispiele auf dem Plan. Mit Blick auf die beliebtesten YouTuberinnen und YouTuber der 14- bis 29-Jährigen und die hohe Bedeutsamkeit ihrer Persönlichkeit, besteht Potenzial, die Community mit einer stärkeren Nähe ganz individuell und authentisch anzusprechen. musstewissen bietet dennoch mit seinem umfangreichen Lernvideoangebot eine gute Ergänzung zum Unterricht. Durch die Besetzung wird das Klischeebild einzelner Fachgebiete aufgeweicht und die hohe Varianz eingesetzter Gestaltungs- und Aufbereitungsmittel zeigt die Experimentierfreudigkeit wie auch hohes Engagement der Macherinnen und Macher. Zwar erreicht das Angebot noch vorwiegend Studierende, Erwachsene und pädagogische Fachkräfte, nichtsdestotrotz schafft musstewissen ein gut aufbereitetes, ansprechendes Angebot, dass zum freiwilligen selbstständigen Lernen motiviert und denjenigen helfen kann, die neben der direkten Schüler-Lehrer-Interaktion nach alternativen, leicht verständlichen Lernmitteln suchen.
Günther Anfang: Von Athen lernen?
Vielleicht wäre es für die documenta 14, die aktuell in Kassel stattfindet, besser gewesen, erst einmal von den Erfahrungen der vergangenen documentas zu lernen. Denn was diese documenta auszeichnet, ist eher Beliebigkeit als ein stringentes und pfiffiges Konzept. Neues steht neben Altem, Kunst aus Griechenland neben Leihgaben aus aller Welt und das Ganze ist wenig inspirierend. Schon das Programmheft ist so unübersichtlich, dass man immer wieder darin blättert, um nachzuvollziehen, wo was warum ausgestellt wird. Relativ sicher ist dabei, dass alles, was im Fridericianeum ausgestellt wird, aus dem Athener Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst (EMST) stammt. Im Gegenzug wurde alles aus dem Fridericianeum nach Athen verfrachtet. Kulturaustausch nennt man das. Die Grundidee des Kurators der documenta 14, Adam Szymczyk, war ja, die documenta dieses Mal an zwei Orten – in Kassel und in Athen – stattfinden zu lassen.
Da waren die Athener gar nicht so begeistert, denn wieso sollen sie plötzlich eine Veranstaltung gut finden, die nicht ihre eigene ist? Kunst haben sie in Griechenland wahrlich genug. Und Sorgen haben sie wahrlich auch andere. Wir schenken euch ein bisschen Kunst, aber die Kredite erlassen wir euch nicht, könnte man böse behaupten. Einige sprechen sogar von Kulturimperialismus. Nun gut, das Festival in Athen kann von meiner Seite aus nicht weiter bewertet werden, da ich nicht selbst dort war. Aber dafür können Eindrücke von Kassel wiedergegeben werden. Und die sind leider nur bedingt positiv. Es fängt schon damit an, dass Kassel an und für sich keine besonders attraktive Stadt ist. Die documenta hätte da die Chance, alle fünf Jahre Glanz in die Stadt zu bringen. Auf dem Friedrichsplatz gelingt das auch ein bisschen, denn da steht ein großer, aus verbotenen Büchern bestehender Parthenon. Der macht erst einmal was her. Allerdings wird bei näherem Betrachten klar, welche Bücher da alles als verboten verbaut wurden. Da sind die Buddenbrooks ebenso dabei wie der Da Vinci Code. Insgesamt 50.000 Bücher, die irgendwo auf der Welt einmal verboten waren oder es heute sind, sollen den Parthenon der Bücher nach dem Willen der argentinischen Künstlerin Marta Minujín bilden. Als Kunstprojekt ist es eine Neuauflage des Parthenons, den sie 1983 in Argentinien zum Ende der Militärdiktatur errichten ließ. Damals waren es aber verbotene Bücher der Militärdiktatur. In Kassel sind es alle Bücher, die irgendwo und irgendwann einmal verboten waren.
Hier fängt die Beliebigkeit dieser documenta an. Vieles erschließt sich den Besucherinnen und Besuchern nicht, und bei vielen Exponaten bleibt unklar, warum sie ausgestellt wurden. Die Kunst der Gegenwart ist dieses Mal an viel zu vielen Orten verteilt und geht im Sammelsurium der bestehenden Ausstellungen unter. Irgendwie weiß man nie genau, gehört das nun dazu oder hängt es auch normalerweise im jeweiligen Ausstellungsgebäude. Somit bleiben wenig erhellende Eindrücke. Da sticht noch am meisten die Neue Galerie heraus, die in der ehemaligen Hauptpost und Briefzentrum von Kassel untergebracht ist. Hier beeindrucken sowohl der Ort der Ausstellung, eine riesige Industriehalle, als auch die verschiedenen zum Teil großflächigen Exponate. Und hier wird die documenta endlich auch politisch. Das Video 77sqm_9.26min (2017) rekonstruiert die Ermordung des 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé im Jahr 2006. Forscher des Forensic Architecture Institute London bezweifeln in dem Video, dass der damalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme von dem Mord durch den NSU nichts mitbekommen hat. Das Video ist auf drei Bildschirme aufgeteilt: Auf einem ist eine Zeitleiste zu sehen, auf dem anderen nachgestellte Szenen mit Schauspielern, auf einem anderen laufen Computeranimationen ab. Obwohl oder gerade weil es nüchtern gehalten ist, berührt das Video und lässt Besucherinnen und Besucher der documenta mit vielen Fragen zurück.
Mit einer ganz anderen Ausprägung von Gewalt beschäftigt sich eine Künstlerin, die der Gemeinschaft der Sámi in Norwegen angehört. Máret Ánne Sara hat einen morbiden Vorhang aus 300 Rentierschädeln mit Einschusslöchern (Pile o’ Sápmi, 2017) geknüpft. Sie erinnert damit an den Kampf der Sámi um die eigene Identität, zu der das Halten kleiner Rentierherden gehört. Die wiederum waren immer wieder von massenhaften Zwangskeulungen betroffen. Auch hier ist man unwillkürlich mit Fragen konfrontiert, die den Umgang mit Minderheiten im Land betreffen und warum sich hier niemand dagegen stellt. Eine weitere wichtige Fragestellung, die die documenta aufgreift, ist der Umgang mit Flucht in Europa. Diesem Thema widmen sich vor allem die Exponate in der documenta Halle. Der mexikanische Künstler Guillermo Galindo macht hier mit Wrackteilen von Booten (Fluchtzieleuropahavarieschallkörper, 2017) auf das Leid von Flüchtlingen aufmerksam. Allerdings stellt sich Besucherinnen und Besuchern auch hier die Frage, inwieweit ein pittoreskes kaputtes Boot das Leid der Flüchtlinge sichtbar machen kann. Hier steht man als Gaffer vor einer tragischen Geschichte und bekommt das Gefühl nicht los, sich am Leid der Flüchtlinge noch zu ergötzen.
Schließlich und endlich wird man auf der documenta 14 dann doch noch provoziert und es bleibt offen, ob hier nicht ein Skandal riskiert wird. Provokateur ist der Peruaner Sergio Zevallos, der in der Neuen Galerie seine Arbeit A War Machine ausstellt. Zavallos übernimmt in seiner Installation pseudodokumentarisch die Schädelmaße, mit denen Ethnologen zu Kolonialzeiten beweisen wollten, dass ‚Wilde‘ von Natur aus dumm sind. Die Maße legt er an (vermeintlich) geborene Kriminelle an. Am Ende formt er daraus Schrumpfköpfe und erstellt eine Fotowand mit Fotos, auf der man zum Beispiel das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe findet. Aber auch ein Foto von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder der IWF-Chefin Christine Lagarde. Fraglich bleibt hier, ob das dumm dreist oder einfach nur oberflächlich provokativ ist. Ich weiß es nicht, genau so wenig, wie ich etwas über das Konzept dieser documenta weiß.
Die documenta 14 in Kassel läuft noch bis 17. September 2017.
Günther Anfang: VIVA ARTE VIVA
Neulich fragte mich meine Tochter (8 Jahre), ob ich mit ihr nicht in die Pinakothek der Moderne in München gehen will, denn sie wolle mir dort etwas zeigen. Ich war erst einmal erstaunt, da die Pinakotheken ja nicht unbedingt ein Ort sind, den Kinder als erstes nennen, wenn sie Spaß haben wollen. Hintergrund war allerdings gleichzeitig auch, dass meine Tochter die Pinakotheken mit mir schon immer gerne besucht hat, da es da leckere Trinkschokolade (= Spaßfakator) gibt, und sie kurze Zeit zuvor mit ihrer Schulklasse eine Führung in dem Museum besucht hatte. So ließ ich mich gerne auf diesen Vorschlag ein und machte mich zusammen mit meinen beiden Töchtern (7 und 8 Jahre) auf den Weg ins Museum. Am Ort angekommen wurde ich auch gleich zielgerichtet zu drei Kunstwerken geführt. Das erste Bild war eines von Pablo Picasso, Madame Soler (1903), aus seiner blauen Periode. „Schau, das hat der Picasso in blau gemalt, weil die Frau traurig ist. Und jetzt zeig ich dir noch eines!“
Das nächste Bild stammte von Max Beckmann: Bildnis Quappi in Blau. „Hier ist die Frau auch in blau gemalt, weil sie auch traurig ist!“. Auf die Frage, woher sie das denn wisse, antwortete sie: „Von einer Frau, die uns das letzte Woche bei unserem Schulausflug gesagt hat. Und die hat uns noch ein Bild gezeigt!“. Sofort wurde ich an der Hand genommen und durch drei weitere Räume dirigiert, bis wir vor einem ziemlich düsteren Bild von Georg Baselitz standen. „Hier musst du dich auf den Kopf stellen, um das Bild erkennen zu können!“ Okay, nachdem ich mich auf den Kopf gestellt hatte, erkannte ich zwei männliche Figuren. „Der hat alles auf dem Kopf gemalt!“ Nun gut, ich hatte verstanden: blau ist traurig und Baselitz kopfüber. Die Erkenntnis über Kunst war für diesen Tag erst einmal perfekt, nun war Trinkschokolade angesagt. Mit Kindern Kunstausstellungen zu besuchen ist immer wieder spannend und macht Spaß. Vor allem dann, wenn es gelingt, dass die Kinder selbst durch die Ausstellung führen. Da reichen auch drei Exponate. Ganz anders ist es natürlich, wenn man ein ganzes Kunstfestival wie die Biennale 2017 in Venedig besucht, die dieses Jahr unter dem Motto VIVA ARTE VIVA steht. Auch da gelingt es, Kunst und Spaß miteinander zu verbinden, wenn man nur der Entdeckerfreude freien Raum lässt. Bei der Biennale wird vor allem im Arsenale, der ehemaligen Schiffswerft von Venedig, einiges geboten. In den riesigen Lagerhallen gelangt man von einer Installation zur anderen. Vieles ist beindruckend allein dadurch, dass es groß und farbenprächtig ist.
Auch bei der diesjährigen Biennale gibt es dort einiges zu bestaunen. Gleich am Eingang der Arsenale stößt man auf mehrere riesige Marmorkugeln der aus Polen stammenden Künstlerin Alicja Kwade: Pars pro Toto (2017, Naturstein, Sand). Hier könnte man natürlich herrlich damit spielen. Zumindest anfassen darf man die Kugeln und das ist ja auch schon etwas Besonderes. Für Kinder ist aber auch ein netzartiges Zeltdach, in das man hineinschlüpfen und darin auf Trommel-Musik machen kann, beeindruckend. Die Installation Um Sagrado Lugar (A Sacred Place) stammt von Ernesto Neto. In diesem Zelt können sich die Besucherinnen und Besucher in brasilianische Schamanenrituale einweisen lassen und Einblicke in das Leben von Huni-Kuin- Indianern aus dem Amazonas erhalten. Den Kindern bereit das sehr viel Freude, denn wer will nicht gerne mit anderen in einem Zelt trommeln und Schamanenrituale kennenlernen. Ebenso beeindruckend ist ein Kunstwerk, das aus bepflanzten Schuhen besteht. Die von Michel Blazy gestaltete Collection de Chaussures zeigt eine Installation mit Schuhen, Pflanzen, Erde und Wasser und sticht schon deshalb hervor, da man unweigerlich plötzlich aus allen Schuhen Pflanzen sprießen sieht. Genauso überwältigend ist ein Kunstwerk des Schweizer Künstlers Julian Charriere, der in Berlin lebt. In Venedig zeigt er eine Installation aus Salz des bolivianischen Salzsees Salar de Uyuni mit dem Titel Future Fossil Spaces. Die riesigen Salzsäulen kann man umrunden und sich dazwischen verstecken. Wenn das kein Abenteuer ist! Schließlich und endlich gelangt man bei der Biennale 2017 noch zu einer riesigen Textilinstallation der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks, die in Paris lebt. In Venedig zeigt sie ihre Installation Scalata al di la dei terreni cromatici / Escalade Beyond Chromatic Lands, das sind bunte Wollknäuel im gigantischen Ausmaß. Bei deren Anblick möchte man sich am liebsten mittenreinlegen und Pause machen. Doch beim Stichwort Pause machen sollte man nicht vergessen, dass Kinder beim Besuch von Kunstausstellungen einige Pausen brauchen, in denen es Eis, Getränke und Zeit zum Spielen gibt. Dann kann ein Besuch einer Kunstausstellung gelingen, und muss auch nicht immer mit heißer Schokolade sein. Die 57. Biennale in Venedig läuft noch bis 26. November 2017.
Antje Müller: Extreme Dialogue
Institute of Strategic Dialogue, Duckrabbit, Tim Parry Johnathan Ball Foundation for Peace (Hrsg.) (2017). Extreme Dialogue. www.extremedialogue.org, kostenfrei.
Sich fremd, ausgegrenzt oder allein gelassen fühlen, auf sich gestellt sein, umgeben von Problemen – das schürt manchmal die Entwicklung extremer Vorstellungen und führt zu einer Spirale von Denkweisen, die unter anderem auch zur Festigung ideologisierter Haltungen und Einstellungen beiträgt, und sich in der Unterstützung extremistischer Gruppierungen kanalisiert.Mitwirkung, Offenheit und gemeinschaftliches Lernen ist aus diesem Grund der zentrale Ansatz des aus Großbritannien stammenden Lernbegleiters Extreme Dialogue, welcher für ‚schwierige‘ Themen wie Gewalt, Extremismus, Terrorismus und Islamismus bei der Aufklärung und Schulung 14- bis 16-Jähriger genutzt werden kann. Das kostenfreie Online-Materialpaket besteht aus einer Reihe dokumentarischer Kurzfilme und offen zugänglicher Lehrmittel für insgesamt dreieinhalb- bis viereinhalbstündige Workshops, die sich aus ein- bis eineinhalbstündigen Themenblöcke zusammensetzen.
Derzeit sind fünf Sets verfügbar, die sich mit erlebten und überlebten Taten auseinandersetzen. Gefördert werden sollen damit eine kritische Denkweise und die digitale Bildung, welche sich durch sichere und konstruktive Diskussionen über Extremismus und Radikalisierung in einem schulischen oder gemeinschaftlichen Rahmen entwickeln können. Extreme Dialogue möchte Kontakt zu den Menschen herstellen, mit denen das junge Zielpublikum normalerweise keinen Umgang hat, um so dem Schwarz-Weiß-Denken ‚wir gegen die Anderen‘ entgegenzuwirken.Kernelement des Präventionskonzepts sind persönliche Geschichten von internationalen Täterinnen und Tätern wie auch von Opfern, die von Extremismus aus dem gesamten ideologischen Spektrum betroffen sind. Darunter finden sich unter anderem ein ehemaliges Mitglied einer rechtsextremen Gruppe in Kanada, ein Flüchtling aus Syrien und ein ehemaliges Mitglied der Ulster Volunteer Force (UVF), dessen Vater von der IRA getötet wurde.
Innerhalb von etwa fünf bis zehn Minuten berichten die Männer in ihrer Landessprache – untertitelt in wahlweise deutscher, englischer, ungarischer oder französischer Sprache – von ihrem düsteren Lebensweg und ihrer Kindheit, die oft verkettet ist mit verstörenden Erfahrungen. Innerhalb emotional geladener Erklärungen machen sie mit deutlichen Worten die Beweggründe für die vom Hass getriebenen Taten und Erlebnisse klar, und beschreiben nachvollziehbar den schwierigen Prozess, diese zu überwinden. Neben den Dokumentarfilmen stehen Prezi-Präsentationen und Ressourcenpakete zur jeweiligen Falldarstellung bereit, die über den Link ‚Unterrichtsmaterial‘ auf Deutsch, Englisch, Ungarisch und Französisch abrufbar sind. Diese eignen sich daher auch für den Einsatz im deutschsprachigen Unterricht; übrigens sind alle Filme auf Anfrage auch in Britischer Gebärdensprache erhältlich.
Darin enthalten sind partizipative Übungen und Aktivitäten zur Anregung und sicheren Durchführung robuster Diskussionen. Mithilfe von zum Beispiel Fragestellungen zum explorativen Lernen und narrativen Übungen kann das Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte sowie das Engagement zur Richtigstellung fragwürdiger Aussagen gefördert werden. Weiterhin wird Anlass gegeben über die Auswirkungen von Handlungen und Entscheidungen nachzudenken und nach neuen Möglichkeiten und Alternativen zu suchen.In Anbetracht der vielfältigen und zahlreichen Formen von Gewalt, denen vor allem junge Menschen ausgesetzt sind und auf die sie selbst zurückgreifen, liefert das Materialpaket ein gut durchdachtes interaktives Präventionskonzept, um die online wie offline geführten Gespräche unter Gleichaltrigen auch in Gegenwart eines sachkundigen Erwachsenen zu führen. Medial gestützt und vorrangig mit Diskussionsübungen in Klein- bis Großgruppen können so problematische Verhaltensweisen – wie Misstrauen, Entfremdung und Entmenschlichung – wirksam aufgebrochen werden, bevor sich extreme Einstellungen festigen.
Gleichzeitig liefert das Konzept wichtige Impulse zur eigenen Meinungsäußerung und fördert das soziale Engagement in Schulklassen und Jugendgruppen – durch eine anregende Auswahl und eine prägnante Beschreibung von ‚Aktivitäten‘ und einen Überblick über potenzielle ‚Lernleistungen‘ und ‚Lehreinheiten‘ mit jeweiligen Lernzielen und Empfehlungen zu möglichen Reaktionen und Herausforderungen. Mit einer ansprechenden und schnell realisierbaren Methodenmischung aus geschlossenen Abschnitten und Gruppenarbeitsvariationen könnten die einzelnen Ressourcenpakete im Webangebot jedoch dominanter platziert und um Schnellhilfen mit geringeren Seitenumfängen ergänzt werden. Zudem geht nicht immer klar hervor, wie sich die Filme und Prezi-Präsentationen ergänzend in die Vorschläge zur Seminargestaltung einfügen sollen. Die Kurzfilme und Einzelinterviews verkörpern ein wirksames Element, um die Eindringlichkeit des Themas zu verdeutlichen. Eingebettet in persönlichen und emotional aufgeladenen Berichten erhalten die Nutzenden ein umfassendes Bild von der Täterin, dem Täter bzw. vom Opfer, die bewusst auf eine Verschleierung, Verklärung oder Verharmlosung ihrer Situation verzichten.
Trotz der Brisanz des Themas, das durchaus auch beängstigende Potenziale birgt, wird auf die visuelle Darstellung von Gräueltaten, widrigen Lebensumständen oder gewalttätigen Methoden verzichtet – das kommt der jungen Zielgruppe entgegen. Auffällig ist jedoch die überwiegende Täterperspektive, die zudem ausschließlich von älteren Männern geschildert wird. Für gefährdete junge Frauen bzw. zur Extremismus-Prävention für weibliche Risikogruppen findet sich hier leider noch kein Anknüpfungspunkt. auch stellt sich die Frage, ob diese Tatbeschreibungen für Jugendliche genügend anschlussfähig sind. Zu beachten ist darüber hinaus, dass fast alle Täterperspektiven aus einer vorab geschilderten selbst durchlebten Opferrolle resultieren und somit die filmische Dokumentation, sofern sie alleinstehend angewandt wird, vorhandenes extremistisches Gedankengut möglichweise eher schüren statt verhindern könnte.
Bei der reflexiven Einordnung und Brückenleistung kommt den Lehrenden dementsprechend eine wichtige Rolle zu. Extreme Dialogue ermutigt insgesamt zum kritischen Denken und gibt Anlass zum Nachdenken über eigene Grundwerte und gemeinsame Überzeugungen. Ziel des Partizipationskonzepts ist die Erlangung von Kenntnissen über Wurzeln und Auswüchse extremistischer Taten, wie auch das Verstehen von Motiven und die Infragestellung von Mythen und Missverständnissen im Zusammenhang mit extremistischen Gruppierungen. Das Konzept eignet sich daher weniger zur Entradikalisierung als vielmehr zur Prävention. Der Aufbau von Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Analyse von Konsequenzen und Wirkungen des gewalttätigen Extremismus, leistet auf diese Weise einen Beitrag dazu, dass junge Leute gesellschaftliche Veränderungen aktiver mitgestalten.
Markus Achatz/Michael Bloech: Genre-Crossover und spannende Kinogeschichten aus Fernost
Vier aktuelle Filme aus Fernost bieten spannende Einblicke in gesellschaftliche Veränderungsprozesse und zeigen frische Crossover-Qualität mit vielfältigen Genremischungen. Alle Neuerscheinungen liefen als Weltpremieren auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2017 und stellen heranwachsende Protagonistinnen und Protagonisten ins Zentrum ihrer unterschiedlichen Geschichten: Die internationale Großproduktion Mr. Long spielt mit Genres und überwindet mühelos die Grenzen zwischen Action-Thriller und Gefühlskino. Den Kern bilden dabei ein untergetauchter Profikiller, ein achtjähriger Junge, dessen drogenabhängige Mutter sowie eine Handvoll merkwürdiger Nachbarn. Neben zwei einsamen jungen Menschen spielt in The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue die Großstadt eine weitere Hauptrolle. Der chinesische Independent-Film Ben Niao (The Foolish Bird) schildert die verzweifelte Suche einer 16-Jährigen nach Glück und eigener Identität. Ein Coming-of-Age-Film mit einem nüchternen Blick auf Perspektivlosigkeit und Isolation im heutigen China. Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) führt eine ungewöhnliche Patchwork-Familie zusammen und ist ein warmherziges Plädoyer für Toleranz.
Strick-Kurs für neue Familienformen
Grob übersetzt heißt der Originaltitel des japanischen Films Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) von Naoko Ogigami in etwa ‚Wenn sie anfangen, ernsthaft zu stricken‘. Die elfjährige Tomo ist laufend allein. Nach der Schule isst sie jeden Tag abgepackte Reisbällchen aus dem Supermarkt. Ihre Mutter kümmert sich kaum um das Kind und kommt häufig spätnachts betrunken nach Hause. Als sie – nicht zum ersten Mal – längere Zeit wegbleibt, kontaktiert Tomo ihren Onkel Makio. Der nimmt sie bei sich auf, allerdings unter neuen Vorzeichen: Er lebt inzwischen mit seiner Freundin Rinko zusammen. Nach anfänglicher Überraschung, dass Rinko eine Transgenderfrau ist, wird bald klar, mit welch großer Fürsorge und Liebe sich alle um Tomo kümmern. Das Mädchen fühlt sich schnell wohl und die drei wachsen zu einer kleinen Familie zusammen. Doch diese Idylle wird von der Außenwelt nicht mitgetragen. Beispielsweise zeigt die Mutter eines Klassenkameraden Tomos offen ihre Abneigung gegenüber Rinko und ihrer Transsexualität. Dabei geht Rinko in ihrer Aufgabe als Ersatzmutter völlig auf und genießt auch als Altenpflegerin im Beruf Anerkennung. Dennoch muss sie immer wieder neuen Mut fassen. Die Zweifel an ihrer sexuellen Identität kanalisiert Rinko durch permanentes Stricken. Der Griff zu den Stricknadeln verleiht der Geschichte eine beinahe meditative Atmosphäre, die an asiatische Filme ganz anderer Genres anknüpft. Auch Tomo lernt hierdurch mit ihren Verunsicherungen umzugehen. In einer ungemein entspannten Sequenz sitzen Rinko, Tomo und Makio strickend unter Kirschblüten an einem Flussufer. So gewinnen glückliche Momente die Überhand gegen gesellschaftliche Normen und Repressalien. Regisseurin Naoko Ogigami setzt dabei nicht auf zu viel Melodramatik, vielmehr webt sie leichtfüßigen und auch skurrilen Humor in die Geschichte. Rinko strickt nämlich nicht irgendetwas, sondern exakt 108 wollene Penisse. Diese sollen sie auf dem Weg bis zur offiziellen Änderung des Geschlechts in ihrem Pass begleiten, um dann – in Anlehnung an 108 Glieder einer buddhistischen Gebetskette – feierlich verbrannt zu werden.
Der Film idealisiert einerseits ein eher klassisch-konservatives Familienbild, konterkariert dieses aber durch eine eigene Dynamik aus Rinkos Transsexualität und ihrem Wunsch nach einer stereotypen Frauenrolle sowie ihrer Beziehung zu Makio und Tomo: Makio mit seiner vorbehaltlosen Zuneigung und beeindruckenden Besonnenheit, Tomo mit ihrem kindlichen Gemüt und Bedürfnis nach Geborgenheit. Wie kompliziert die Welt in Wahrheit ist, verdeutlicht die ungeschnittene Schlussszene, als Tomos Mutter zurückkehrt, um ihr Kind wieder abzuholen.
Close-Knit nähert sich einem Tabu-Thema auf sensible Weise und verknüpft dies mit einer Coming-of-Age Geschichte, die mit Tomo sowie (anhand von Rückblenden) mit Rinko gleich zwei starke Hauptfiguren hat. Bereits mit dem Debütfilm Barber Yoshino (Yoshinos Frisörsalon), der 2004 auf dem Kinderfilmfest der Berlinale lief, bewies Ogigami viel Gespür für feinen Humor und die Welt von Heranwachsenden. Zuletzt kam ihre bunte Komödie Rentaneko (Rent-a-Cat; Berlinale Panorama 2012) über eine junge Frau, die Katzen an einsame Menschen vermietet, in die Kinos. Close-Knit spiegelt die Torheit von Vorurteilen und ist ein empathisches Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Perspektivlosigkeit in einer chinesischen Kleinstadt
Deutlich düsterer und drastischer geht es im Alltag der jungen Hauptprotagonistin Lynn im chinesischen Film Ben Niao (The Foolish Bird) zu. Die 16-Jährige ist ebenfalls von ihrer Mutter verlassen, allerdings aufgrund der in vielen Regionen Chinas weit verbreiteten Arbeitsmigration. Das Mädchen und ihre kleinen Geschwister leben bei den Großeltern während Lynns Mutter in einer weit entfernten Großstadt arbeitet. Auf Druck der Mutter bewirbt sich Lynn an der örtlichen Polizeiakademie. Sie ist eine fleißige Schülerin, verstrickt sich aber mit ihrer Freundin May in gefährliche Geschäfte mit geklauten Handys. Die Mädchen verkaufen Smartphones, die Mitschülerinnen an ihrer Schule abgenommen wurden und dort lagerten. Dabei geraten die beiden Mädchen an einen korrupten Hehler und in ein Netz aus Kriminalität und sexueller Gewalt. Als May eines Tages nicht mehr auf Lynns Nachrichten antwortet, muss sie das Schlimmste befürchten.
Regisseurin Huang Ji hat Ben Niao gemeinsam mit Kameramann Ryuji Otsuka inszeniert, der auch für ihren Debütfilm Jidan he Shitou (Egg and Stone, 2012) hinter der Kamera stand. Beide Filme porträtieren zurückgelassene Kinder. Im Interview betont Huang Ji die starken autobiografischen Züge der Geschichte. Sie hätte viele Ereignisse, die der Film zeigt, selbst erlebt – bis hin zur Isolation und negativen ersten sexuellen Erfahrungen. Sie sei eines von diesen Tausenden jungen Mädchen gewesen, die sich alle ähneln und im immer gleichen Trainingsanzug herumlaufen. Der Film spielt in der Stadt Meiching (Provinz Hunan), in der Huang Ji viele Jahre gelebt hat. Mit etwa 100.000 Einwohnern eine typische Kleinstadt, in der heute immer mehr Kinder und Jugendliche ohne Eltern aufwachsen, weil diese fernab in den Metropolen arbeiten. Huang Ji und Ryuji Otsuka haben die Story in die Jetztzeit verlagert. Das Streben der Heranwachsenden nach materiellem Glück mündet im Verkauf der gestohlenen Smartphones, was aber nur wenige hundert Yuan einbringt. Social Media-Kommunikation und die Anonymität der virtuellen Welt sind omnipräsent im Leben der Teenager – im Film wunderbar konterkariert durch Lynns lange Fahrradfahrten durch die Stadt, ein Sinnbild ihrer verlorenen Suche nach Individualität, Zuneigung und Wärme. Bis heute ist unklar, ob und wann der Film in China gezeigt werden kann. Die Zensurbehörden haben noch keine Freigabe erteilt. Vielleicht nützt es, dass Ben Niao eine ‚Lobende Erwähnung‘ der internationalen Jury in der Sektion Generation 14plus der Berlinale 2017 erhalten hat.
Einsame Herzen in Tokios Großstadtdschungel
Yozora ha itsu demo saikou mitsudo no aoiro da (The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue) – der poetische Titel passt gut zur Geschichte dieses Films, die inspiriert wurde von der Melancholie junger Erwachsener und vom ‚Sich-Verlieren‘ im Puls der Großstadt. Das Protagonisten-Duo Mika und Shinji braucht eine ganze Weile bis es sich gegenseitig wahrnimmt und erkennt, dass das Leben und die Liebe kein Zufall sind. Mika geht zwei Jobs nach und arbeitet tagsüber als Krankenschwester, nachts als Bardame. Shinji jobbt als Bauarbeiter. Beide begegnen sich auf wundersame Weise immer wieder, wohl wissend, dass die Einsamkeit ebenso Bestandteil ihres Lebens ist wie ihre Überzeugung, seltsame Außenseiter zu sein. Mika leidet unter der Leere nach dem Tod ihrer Mutter und einer gescheiterten Beziehung. Shinji fühlt sich als Freak, auch weil er auf einem Auge blind ist. Dennoch glaubt er, dass er gerade deswegen viele Dinge anders sehen kann. In Szenen mit Shinji und drei seiner Kollegen auf der Großbaustelle für die Olympischen Spiele 2020 entstehen immer wieder tragikomische Momente. Regisseur und Drehbuchautor Yuya Ishii verweist auf Gedichte über Tokio als eine wichtige Vorlage für den Film und schildert beinahe zärtlich die Verlorenheit inmitten der Riesenmetropole, die von verunsicherten Menschen bevölkert wird. Am Ende steht die Frage, ob man nicht auch gemeinsam einsam sein kann. Mit Poesie und märchenhaften Stimmungsbildern begleitet Ishii seine Figuren durch eine Stadt, dessen Nachthimmel so blaue Nuancen hat wie sie nur zwei sehen können, die die Liebe gefunden haben.
SABUs Genre-Mix über einen kochenden Samurai
Der japanische Regisseur Hiroyuki Tanaka, der nur unter seinem Künstlernamen SABU firmiert, ist ein gern gesehener Gast auf der Berlinale. Bereits 1997 wurde er in die Sektion Panorama mit D.A.N.G.A.N Runner eingeladen. Anschließend tauchte er in loser Folge immer wieder mit Filmen im Programmblock Forum oder im Panorama auf. So gewann er im Jahr 2000 mit seinem Film Monday den renommierten FIPRESCI Award, den Preis der internationalen Filmkritik. Im Zentrum seiner Filme stehen oft gebrochene Heldinnen und Helden, sympathische Außenseiterinnen und Außenseiter, die in abstruse Situationen geworfen werden und ihre Probleme meistern müssen. Herausragendes Moment der Erzählkunst von SABU ist dabei der kühne Genre-Mix aus Martial Arts, Film Noir, Slapstick, Liebesfilm und dieses Mal in seinem neuen Werk Mr. Long zusätzlich aus Elementen des ‚Koch-Films‘. Gekonnt stürzt SABU die Zusehenden dabei in eine permanente Achterbahn der Gefühle, auf harte Action folgen Szenen skurriler Komik oder Augenblicke anrührender Emotionen.
Zu Beginn von Mr. Long erleben wir eine Szene, die den Helden bei seiner anstrengenden Arbeit zeigt. Emotionslos und nahezu wortlos verrichtet Long, wie schon zuvor in den 1970er-Jahren Jeff (Alain Delon) in Melvilles Klassiker Le samouraï (Der eiskalte Engel), seine Arbeit als Auftragskiller. Dabei gerät Mr. Long – wie auch Jeff – anschließend in eine schier ausweglose Situation. Nach einem Mordauftrag in seiner Heimat Taiwan wird Long nach Japan geschickt, allerdings misslingt sein Auftrag und er muss sich schwer verletzt, ohne Sprachkenntnisse und völlig mittellos in einer Abbruchszenerie am Rande von Tokio zurechtfinden. Ein kleiner Junge und auch nette, aber naive Menschen aus der Nachbarschaft kümmern sich hingebungsvoll um ihn. Sie basteln sogar eine kleine fahrbare Suppenküche, mit der Long nun seinen Lebensunterhalt kochend bestreitet. Dann tritt Lily, eine drogenabhängige Prostituierte, in sein Leben und er findet mit ihr eine neue, schwere Aufgabe. Mit Entschlossenheit kümmert er sich um sie und ihren Sohn, die beiden verlieben sich, doch das scheinbare Glück währt nicht lange.
Im Gegensatz zu Melville verlässt SABU dabei das strenge ästhetische Korsett des Film Noir und spielt kühn und gekonnt mit unterschiedlichsten Stilelementen. Er bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. Dennoch besitzt gerade diese Mixtur etwas magisches, sie überhöht die Wirkung der einzelnen Elemente. So bleibt einem beispielsweise die drastische Szene, in der Lily von einem Zuhälter in die Drogenabhängigkeit gezwungen wird, besonders nachhaltig im Bewusstsein, da sie eingebettet wurde in emotional kontroverse Szenen. SABU ist mit Mr. Long nicht nur der Sprung in das erlauchte Programm des Wettbewerbs der Berlinale geglückt, sondern ihm ist tatsächlich ein berührendes, kleines Kunstwerk gelungen. Ein Kunstwerk insofern, als dass es bei Mr. Long nicht um das nackte Abbilden oder Bebildern von Wirklichkeiten oder der Präsentation von Fantastischem geht, sondern vielmehr um eine unterhaltsame Fabel. Das ‚Fabelhafte‘, die moralische Komponente, erschließt sich dabei vollends in der unerwarteten Schlusssequenz, die hier natürlich nicht verraten werden soll. Der Film Mr. Long kommt am 14. September in die deutschen Kinos.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor:
Markus Achatz,
Michael Bloech
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Melanie Theissler: Von der Straße ins Herrenhaus – und wieder zurück?
Ursula Poznanski (2015). Layers. Gelesen von Jens Wawrczeck. Hörverlag, 765 Min., 14,99 €.
Wo schlafe ich? Wo bekomme ich was zu essen? Solche Fragen stellt sich der 17-jährige Dorian. Er ist obdachlos, und das schon seit sechs Monaten. So lange versucht er schon, seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Tagtäglich kämpft er mit Sorgen über Kälte, Hunger, Schlafplatzmöglichkeiten, gegen die Polizei und potenziell gefährliche Menschen. Und so beginnt auch die Erzählung mitten in einer für Dorian brenzligen Situation, in der die Zuhörenden hineingezogen werden: Dorian wird mitten in der Nacht, die er in einem U-Bahnhof verbringt, urplötzlich der Rucksack entrissen. Der Dieb ist für Dorian ein altbekannter Obdachloser, der sich ebenfalls öfter im U-Bahnhof aufhält und Emil genannt wird. Er bereitet Dorian immer wieder Schwierigkeiten, doch er kann Emil für gewöhnlich ruhigstellen, indem er ihm ‚seinen‘ Alkohol besorgt. Doch da Emil sich diesmal nicht so einfach besänftigen lässt, muss Dorian ihn mittels körperlichen Einsatzes dazu zwingen, ihm seinen Rucksack, seine Wasserflasche und sein Taschenmesser wiederzugeben. Diese Geschehnisse werden emotional, eindrucksvoll und imaginativ beschrieben – und wechseln zwischen Dorians Gedanken und äußerlichen Beschreibungen. Grundsätzlich wird die Erzählung ausschließlich aus Dorians Perspektive dargestellt. So bekommen die Hörenden einen überaus anschaulichen Eindruck davon, welche Sorgen den 17-Jährigen anlässlich der aktuellen Umstände plagen; dass er zum Beispiel aufgrund der Kälte eine Winterjacke braucht, dass er nicht weiß, wann er in der Notunterkunft schlafen und wo er sein nächstes Essen besorgen soll, und wie oft er welchen Supermarkt aufsuchen kann. Denn eines möchte Dorian auf keinen Fall: Auffallen. Daher achtet er neben einem regelmäßigen Ortswechsel für die Nahrungsbeschaffung auch auf ein adäquates Aussehen und meidet Gewalt, wo es nur geht. Er möchte unerkannt bleiben. Dieses Verhalten passt auch sehr zu Dorians Charakter, der den Hörenden als sehr klug, freundlich, höflich, vorausschauend und planerisch sowie pazifistisch begegnet. Alkohol und Drogen lehnt er aus Prinzip ab, Betteln meidet er, bis es gar nicht mehr anders geht. Aufgrund seines jungen Alters, seiner Vorgeschichte und den eher untypischen Charakterzügen eines Obdachlosen, gibt Dorian einen bedauernswerten, aber gleichzeitig auch sehr liebevollen Protagonisten ab. Die Zuhörerinnen und Zuhörer können auf diese Weise einfach und sehr schnell eine emotionale und mitfühlende Bindung zu dem Teenager entwickeln. So auch, als Dorians Leben sich von einem auf den anderen Tag auf eine merkwürdige Weise ändert. Der findet nämlich eines Nachts seinen Bekannten Emil blutend, keine zwei Schritte neben seinem Schlafplatz entfernt. Erstochen – offenbar mir Dorians Taschenmesser, welches direkt neben Emil liegt. Aber Dorian kann sich nicht an die Tat erinnern. Er weiß lediglich, dass er mit dem Messer in der Hand eingeschlafen ist. Als Dorian völlig überfordert überlegt, was er nun tun soll, taucht wie aus dem Nichts ein fremder Mann auf, der sich ihm als Niko vorstellt und ihm anbietet, sich um die Leiche und die Angelegenheiten zu kümmern. Er möchte Dorian sogar aus der Obdachlosigkeit heraushelfen.
Die Hörerinnen und Hörer befinden sich an dieser Stelle noch in der Einleitung der Erzählung. Die Ereignisse werden zügig und spannungsreich erzählt, überfordern dennoch nicht. Informationen, die die Hörenden zum Verständnis der Charaktere oder der Handlung benötigen, werden geschickt an den richtigen Stellen erwähnt oder tauchen in Dorians Gedanken auf. So überlegt er beispielsweise, ob er dem fremden Mann trauen kann und auf sein Hilfsangebot eingehen soll. Denn er hat bereits jetzt schon gelernt: lieber einmal mehr misstrauisch sein, als aufgrund falschen Vertrauens in Schwierigkeiten geraten. Bei diesem seltsamen Angebot von Niko schreit eigentlich alles in ihm nach Misstrauen und die Hörenden erleben alles nahezu hautnah mit. Denn der Erzähler Wawrczeck weiß seine Stimme gekonnt einzusetzen. So emphatisiert er unterschiedlich stark, variiert gekonnt sein Sprachtempo und setzt an den richtigen Stellen Pausen, die für zusätzliche Spannung sorgen.
In der Haupthandlung entschließt sich Dorian tatsächlich, Nikos Hilfe anzunehmen, um sich dann – nach einer Fahrt in einem dubiosen Van – unerwartet in einem luxuriösen Herrenhaus wiederzufinden. Hier lernt er Antonia kennen, die ihn im Anwesen herumführt, ihm sein eigenes Zimmer zeigt und ihm erklärt, dass er von nun an wieder Schulunterricht hat. Als ihm Antonia klar macht, dass gewiss nicht jede Person in dem Haus aufgenommen wird, weiß Dorian nicht, ob er lachen oder weinen soll. Und er fragt sich erneut, was das alles soll, wer hinter all dem steckt und warum ausgerechnet er ‚auserwählt‘ wurde? Außerdem stutzt er darüber, dass es in dem prunkvollen Gebäude kein Internet und kein Fernsehen gibt. Wird Dorian in diesem Haus wirklich geholfen oder stellt es weitere Gefahren für ihn dar? Werden ihm seine neue Mitbewohnerin Stella oder sein Mitbewohner Melvin auf seinem Weg helfen, wenn es gefährlich wird?
Layers kann aufgrund teils gewalttätiger Beschreibungen sowie der anspruchsvollen und komplexen Handlungen Jugendlichen ab 14 Jahren empfohlen werden. Die Zielgruppe wird zum einen mit alterstypischen Problemen (z. B. Interesse am anderen Geschlecht) als auch mit Komplikationen eines jugendlichen Obdachlosen konfrontiert. So können die Zuhörenden sich gut bis sehr gut mit dem Protagonisten identifizieren und werden gleichzeitig zum Nachdenken über die Probleme von Obdachlosen angeregt. Weiterhin begegnet dem Publikum in der Erzählung ein von der Gesellschaft abgeschnittenes soziales Hierarchie-System, welches in ähnlichen Formen ebenfalls in der Realität auftaucht. In der Geschichte wird überaus gut veranschaulicht, wie der Protagonist als Neuzugang in das System integriert wird. Da die gesamte Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird, erleben die Zuhörenden sehr gut, wie es sich anfühlt, in so ein System integriert zu werden. Die Erzählung vermittelt Hintergrundinformationen über solche Systeme und macht ethische und soziale Werte wie Freundschaft erfahrbar. Es lädt die Zuhörenden aber auch dazu ein, gewisse Informationen kritisch zu hinterfragen.
Antje Müller: No secrets!
Fast ununterbrochen sind wir online, berichten über unseren aktuellen Status oder unser Befinden, teilen unsere Selfies oder gestreamte Musik und tracken dazwischen noch kurz die aktuelle Fitnessleistung. Digitale Nähe gibt vielen von uns ein gutes Gefühl und vervollständigt das fragmentierte, sich ständig in Bewegung befindende Selbst. Unsicher, wer ‚da draußen‘ bewertet, und in Schach gehalten durch ‚globale‘ Konsequenzen wird unermüdlich nach geeigneten Mitteln gesucht, den Ansprüchen der fiktiven Anderen gerecht zu werden. Bereitwillig wird das Selbst kontrolliert – wenn es die Anderen nicht schon tun, dann wollen wir wenigstens gewappnet sein.
Im schwarzen Loch der Netzwelt wird der Drang nach Selbstoptimierung jedoch schnell zur Selbstüberwachung. Mit der leichtfertigen Entscheidung, die eigenen Schlafleistung oder tägliche Verhaltensmuster zu protokollieren, und im festen Glauben, alles bliebe auf der eigenen kleinen ‚Black Box‘, ignorieren wir, wo die digitale Vernetzung aufhört, und verlieren den Überblick – ungeachtet dessen, dass wir mit der Flut an digitalen Informationen gegenwärtige wie künftige Überwachungssysteme versorgen. Das Stadtmuseum München legt mit seiner Sonderausstellung No secrets! – Bilder der Überwachung Datenüberwachungsmittel offen, die nicht nur zeigen, wo wir uns aktuell befinden, sondern auch, auf welche Ziele und künftiges Verhalten wir zusteuern.
Die Ausstellung stellt sich der herausfordernden Aufgabe, die Allgemeinheit bei der Erinnerung an Staats- und Geheimdienstaktivitäten zu unterstützen, während im selben Zuge das kontrollaffine Internet der Dinge und das mediale Ausmaß von Big Data sichtbar gemacht werden. We know you better than you know yourself – dem Slogan möchte das Stadtmuseum etwas entgegensetzen. Hierzu beleuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler das aktuelle Phänomen hinsichtlich unter anderem der Fragestellungen ‚Wie lässt sich die Bereitschaft zur Selbstüberwachung erklären?‘ und ‚Welche Gefahren birgt der Hang – oder Zwang – zur Transparenz?‘.Erste Annäherungen an das oft emotionale und kontrovers diskutierte Thema finden durch einen kurzen Rückblick auf die früheren staatlichen Kontrollen von Mensch und Raum statt. Dabei zeigen die Einführung der öffentlichen Straßenbeleuchtung und die erkennungsdienstliche Fotografie erste Erfassungs- und Kontrollpotenziale.
Im Hauptteil widmet sich No secrets! zeitgenössischen Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Video, Malerei, Plakat und Installation, mit Schwerpunkt auf der fotografischen und plakativen Umsetzung. Die Künstlerinnen und Künstler – wie Peter Neusser, Florian Freier, Max Eicke, Sebastian Arlt, Timm Ulrichs, Philipp Messner, Gretta Louw, Jens Massmann oder Jens Klein – nutzen hierbei verschiedenste Herangehensweisen und Blickwinkel, um „die heutigen Praktiken der Überwachung zu torpedieren, zu reflektieren oder zumindest sichtbar zu machen“. Ergänzend zum Ausstellungsthema soll die freiwillige Selbstüberwachung via Internet, Smartphone und Social Media thematisiert werden.
Die Ausstellung präsentiert sich klar strukturiert, mit einer guten Mischung aus historischer Dokumentation, staatlicher, privater Raumerfassung und Personenkontrolle, kombiniert mit künstlerischer Neuinterpretation des Gegenstands. In sechs Räumlichkeiten bearbeiten die Kunstschaffenden alte wie neue Überwachungssysteme sowie verdächtige, beobachtete und kontrollierte Räume, Landschaften und Personen. Zudem setzen sie sich mit dem Wechselspiel aus Schutz, Verlust und Neukonstruktion der Identität aufgrund von Kontrolle und Überwachung auseinander. Die Ausstellungsstücke wurden in klare Themenbereiche wie ‚Orte der Überwachung‘ gebündelt und auf genügend Wirkraum ausgestellt Die Besucherin bzw. der Besucher erhält dadurch eine jeweils gut dosierte Informationsmenge, die bleibende Eindrücke hinterlässt und zum Nachdenken anregt. Trotz der anfangs überschaubar wirkenden Größe lädt No Secrets! durch kleine Enthüllungen und versteckte Funde zu neuen Entdeckungen ein, so dass auch ein längerer Aufenthalt nicht langweilig wird.
Für jede und jeden ist etwas dabei: Älteren Besucherinnen und Besuchern wird die RAF-Problematik wieder in Erinnerung gerufen. Jüngere werden durch Snowden-, Trump- und Cloud-Darstellungen zur kritischen Reflexion ihrer Lieblings-Datenspeichersysteme, ihres Nachrichtenkonsums in Filterbubbles, aber auch zur Hinterfragung der Verfolgung von Whistleblowern und Vigilanten angeregt. Sogar durchschnittliche, ‚Vater Staat‘ vertrauende Bürgerinnen und Bürger werden durch kontrollartig angeordnete Fotoserien von Briefkasten-Gängerinnen und -gängern wachgerüttelt. Die zeitgeschichtlich Interessierten kommen am stärksten auf ihre Kosten: Neben Miniaturkameras, versteckt im Herrenanzug, historischen Filmen zur Zeit der Berliner Mauer oder Plakaten zur Volkszählung finden sich auch Dokumentationen früherer und heutiger Überwachungsorte.
Die politische Brisanz und die ironisch bis zynische Bearbeitung der Überwachungs- und Kontrollthematik durchziehen die gesamte Ausstellung wie ein aufklärerischer roter Faden. Außenseitercharakter hat dagegen die künstlerische Auseinandersetzung mit den auf Datensammelalgorithmen basierenden Marktplätzen von unter anderem Facebook, YouTube oder Instagram. Auch von Apps zur Selbstkontrolle und deren Folgen für die eigene Identitätsausbildung oder -verformung ist leider kaum die Rede. No secrets! ist insgesamt eine sehenswerte Ausstellung, die sich kennzeichnet durch ihre zeitgeschichtlich vielfältige Zusammenstellung, welche eine Vielzahl von Sinnen anspricht und damit den Zugang zur Thematik für Klein und Groß ebnet. Trotz der Unterpräsenz von wirtschaftlichen wie neueren technischen Entwicklungen überzeugt die Ausstellung mit ihrer Einladung zum intergenerationalen Wissens- und Erfahrungsaustausch, mit hohem Gewicht auf der Reflexionsebene.
No secrets! wurde kuratiert von Rudolf Scheutle und in einem Projekt der ERES-Stiftung und dem Münchener Stadtmuseum realisiert. Die Ausstellung kann noch bis zum 16. Juli 2017 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr im Münchner Stadtmuseum besucht werden.
Tillmann P. Gangloff: Mittagessen mit Zombies
Es ist still geworden um den Jugendmedienschutz. Selbst die Verabschiedung eines neuen Staatsvertrags im vergangenen Herbst hat keine größeren medialen Wellen geschlagen. Allein die Landesmedienanstalten melden sich hin und wieder zu Wort. Jüngster Stein des Anstoßes sind die im Tagesprogramm der privaten Fernsehsender ausgestrahlten Hinweise auf Sendungen nach 22 Uhr, die angeblich nicht für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Diese Trailer sind laut Kommission für Jugendmedienschutz ( KJM) teilweise „grenzwertig gestaltet“; das sei zumindest das Ergebnis einer Untersuchung, bei der die Jugendschützerinnen und -schützer 3.250 Trailer von 14 Sendern gesichtet hätten. Bei vielen sei ein „Anfangsverdacht auf eine Entwicklungsbeeinträchtigung“ festgestellt worden, teilt eine KJM Sprecherin mit. Details will sie jedoch nicht verraten, weder hinsichtlich konkreter Beispiele noch der genauen Anzahl der Verdachtsmomente. Ins gleiche Horn stößt der Medienrat der Stuttgarter Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg ( LFK). Das Gremium findet es bedenklich, dass überhaupt tagsüber mit bewegten Bildern auf Sendungen hingewiesen werden darf, „die aus Sicht des Jugendschutzes problematische Inhalte aufweisen“.
Als theoretisches Beispiel wird auf Nachfrage die bei RTL II gezeigte Zombie-Serie The Walking Dead genannt. Die entsprechenden Trailer entpuppen sich zwar als denkbar harmlos, zumal sie gar keine bewegten Bilder enthalten, aber es geht den Jugendschützerinnen und -schützern ohnehin ums Prinzip: Ein Trailer wecke bei jungen Zuschauerinnen und Zuschauern womöglich ein Bedürfnis, das vorher gar nicht da gewesen sei. Da Programmangebote mit einer Sendezeitbeschränkung ab 16 oder 18 Jahren rund um die Uhr in der Mediathek der Privatsender zur Verfügung stünden, könnten Kinder oder Jugendliche sie dort jederzeit aufrufen. Hintergrund der Diskussion sind zwei Änderungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Die eine betrifft die Programmtrailer. Die Landesmedienanstalten haben den entsprechenden Paragrafen früher so ausgelegt, als dürften Filme mit Sendezeitbeschränkung ab 22 Uhr auch generell erst ab 22 Uhr beworben werden.
Man hat sich dann mit den Sendern auf den Kompromiss geeinigt, dass die tagsüber ausgestrahlten Trailer für solche Sendungen keine bewegten Bilder enthalten dürfen. Im Kino wird das allerdings anders gehandhabt, hier dürfen selbst Filme mit einer Freigabe ab 18 Jahren theoretisch im Vorprogramm eines Kinderfilms beworben werden; allerdings werden die Trailer von der Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft ( FSK) geprüft. Die Sender forderten die gleichen Bedingungen für das Fernsehen, zumal jeder Trailer im Internet zur Verfügung stehe. Daniela Hansjosten, Leiterin Standards & Practices der Mediengruppe RTL, versichert, man sei sich der besonderen jugendschützerischen Verantwortung in diesem Bereich bewusst. Die Mediengruppe RTL habe schon seit einigen Jahren ein funktionierendes internes System der Trailer-Abnahme etabliert: „Alle Trailer durchlaufen einen engmaschigen Abnahmeprozess, in dessen Verlauf jeder jugendschutzrelevante Trailer vom Jugendschutzbeauftragten gesichtet, eingestuft und für die jeweilige Sendezeit freigegeben wird.“ Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), räumt dennoch ein, die Sender müssten noch lernen, mit diesem Instrument umzugehen. Sinnvoller als den Vorstoß der LFK hätte er es jedoch gefunden, eine gemeinsame Tagung mit der FSF, den Jugendschutzbeauftragten der Sender und Vertreterinnen und Vertretern der Programmdirektion zu veranstalten, und in diesem Rahmen über exemplarische Fälle zu diskutieren.
Die für diese Debatte maßgebliche zweite Änderung im neuen Staatsvertrag betrifft den technischen Jugendschutz: Während in den Bereichen Kino und DVD sämtliche Filme der FSK vorgelegt werden müssen, damit sie eine Jugendfreigabe erhalten, können Internetanbieter die entsprechende Kennzeichnung selbst vornehmen. Der Gesetzgeber erwartet von den Eltern, dass sie auf ihren Computern Jugendschutzprogramme wie etwa JusProg installieren, die automatisch alles herausfiltern, was nicht den elterlichen Parametern entspricht. In der Theorie klingt das gut. In der Praxis, glaubt von Gottberg, kenne kaum jemand diese Programme; er schätzt, dass allenfalls ein bis zwei Prozent der Eltern JusProg tatsächlich installiert hätten. Davon abgesehen kritisiert der FSF-Chef das „etwas veraltete Bild von Kindern und Jugendlichen“, das man bei den Landesmediananstalten habe: „Dort geht man offenbar davon aus, dass ein Kind im Fernsehen den Trailer zu einer Serie wie ‚Walking Dead’ sieht und umgehend zum Tablet greift, um die Mediathek von RTL II aufzurufen. In Wirklichkeit brauchen die Kinder keinen Trailer, um auf solche Angebote aufmerksam zu werden, so etwas erledigen ihre sozialen Netzwerke viel reibungsloser. Mit der gleichen Argumentation könnte man auch Hinweise in den Programmzeitschriften verbieten.“
Tillmann P. Gangloff ist Journalist und Medienkritiker.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Tilmann P. Gangloff
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Markus Achatz/Michael Bloech: Auf der Suche nach einem Platz
Mehr als 400 Filme liefen dieses Jahr auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Allein in der Sektion GENERATION für Kinder (Kplus) und Jugendliche (14plus) waren es 66 Filme aus 43 Nationen. In der 40. Ausgabe von GENERATION wurden 2017 mehr Dokumentarfilme ins Programm aufgenommen, was auch auf die anderen Berlinale-Sektionen zutraf. Ein Indiz dafür, dass viele Filmemacherinnen und -macher versuchen, näher an der Realität anzudocken. Die Berlinale versteht sich seit vielen Jahren auch als ein Anker für politische und gesellschaftliche Themen im Kino. Dokumentarischen Formen kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu, aber auch Fiktionales vermag den Blick auf gesellschaftliche und politische Prozesse zu schärfen und den Diskurs darüber zu befördern. Sowohl in den Filmen und ihren Storys als auch in den Kommentaren und Statements im Rahmen der Berlinale zeigte sich dieses Jahr politische Verunsicherung. Große Utopien sind gescheitert, die globalisierte Welt ist entzaubert. Festivaldirektor Dieter Kosslick bemerkte dazu, dass viele Filmkünstlerinnen und -künstler „versuchen, die verunsichernde Gegenwart vor dem Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Vielleicht sind es ja die Geschichten von starken Individuen und die Ideen herausragender Künstlerinnen und Künstler, die an die Stelle der großen Utopien treten.“
Leben im und nach dem Krieg
Im Dokumentarfilm Shkola nomer 3 (School Number 3) aus der Ukraine begegnen wir gleich 13 bemerkenswerten Persönlichkeiten: Es sind Jugendliche aus Mykolaivka (Slowjansk/Donbas), einer im Konflikt mit Russland 2014 zerstörten und teils wieder aufgebauten Stadt. Die Schülerinnen und Schüler berichten vor der Kamera jeweils eine persönliche Erinnerung aus ihrem jungen Leben. Mit Mut und deutlicher Emotion erzählen sie von ihren Gefühlen, von Erlebnissen, von Ängsten und Hoffnungen. Die Kamera bleibt während des Erzählens meist statisch. In Zwischenszenen sehen wir die Jugendlichen von einer bewegten Kamera begleitet, wie sie beispielsweise auf einer Anhöhe über der Stadt vor den Schornsteinen einer großen Fabrik herumstreunen oder mit dem geliebten Hund spielen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Jugendlichen sind geprägt von den Erlebnissen aus einem aktuellen Krieg. 13 Leben in einem Zwischenraum. Nicht mehr Krieg und auch kein Frieden, keine Resignation und keine reine Hoffnung, aber auf der Suche nach einem Platz in der Welt. Entstanden als Fortsetzung eines Theaterprojekts und erweitert mit den ästhetischen Mitteln eines Films erhielt Shkola nomer 3 den Großen Preis der Internationalen Jury in der Sektion GENERATION 14plus für den besten Film. Bemerkenswert am Gesamtkonzept ist vor allem die Intensität, mit der das Regie- Team einen Raum des Vertrauens zwischen der Kamerafrau und den jugendlichen Protagonistinnen und Protagonisten erzeugt hat. Zitat der Preisjury: „Dieser Film lässt dem Narrativ des Krieges keine Überhand gegenüber der emotionalen Welt seiner jungen Charaktere gewinnen, die uns erlauben, Zugang zu den innigsten und intimsten Details ihres Lebens zu erhalten.“
Vom Tod lernen
Innig und intensiv sind auch die Annäherungen an die Protagonistinnen und Protagonisten im ungewöhnlichen Dokumentarfilm Almost Heaven der britischen Regisseurin Carol Salter. Sie begleitet die 17-jährige Ying Ling bei ihrer Ausbildung zur Bestatterin in einem der größten Bestattungsunternehmen Chinas. Die Lehrlinge arbeiten in 24-Stunden-Schichten und kommen häufig aus weit entfernten Orten. Für Ying Ling ist der Umgang mit Toten anfangs schwierig und mit den anderen Lehrlingen gemeinsam übt sie zunächst an Puppen oder untereinander, bevor die Reinigungen an den Verstorbenen durchgeführt werden. Nach vorgebebenen Ritualen werden die Toten für das Begräbnis vorbereitet. Was Ying Ling erlebt, reicht von der Angst vor den Geistern der Toten in den kalten Gängen des Krematoriums bis zu den kindlichen Scherzen mit ihrem Teamkollegen. Zwischen ihr und dem gleichaltrigen Kollegen bahnt sich eine behutsame Freundschaft an. Carol Salter hat sich auf die Portraits besonderer Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen und auf ungewöhnliche Geschichten spezialisiert und nähert sich auch diesem Thema mit viel Sensibilität. Ein interessanter Einblick in eine uns sonst eher verborgene Welt.
Väter und Söhne auf Reisen
Jorge fährt mit seinem achtjährigen Sohn Valentino auf das Land. Primero enero (Anfang Januar) handelt im argentinischen Calamuchita-Tal, wo die Familie ein Ferienhaus besitzt, das aufgrund der Trennung der Eltern verkauft werden soll. In alter Tradition soll Valentino als Heranwachsender dort einige Aufgaben erfüllen: auf einen Berg wandern, einen Baum fällen, Fischen gehen oder im eiskalten Fluss tauchen. Der Junge beginnt zunehmend, den Sinn der Riten anzuzweifeln. Der Vater zeigt dafür aber wenig Verständnis. Das Spielfilmdebüt des 29-jährigen Regisseurs Darío Mascambroni, der in der Sektion GENERATION Kplus gezeigt wurde, ist ein schweigsamer Film und eine zähe Angelegenheit. Über weite Strecken bleibt das Zusammenspiel der beiden Figuren uninspiriert. Die Inszenierung ist hölzern und die Zuschauenden werden auf Distanz gehalten. In seltenen Augenblicken kommt die schöne Landschaft zur Geltung, wobei die Protagonistinnen und Protagonisten eher teilnahmslos bleiben. Bereits in der endlos wirkenden Eingangsszene blickt die Kamera in einer dialogfreien Autofahrt entweder von hinten starr auf Vater und Sohn, die durch das Gegenlicht der Windschutzscheibe unkenntlich bleiben, oder durch ein trübes Heckfenster, das die Umgebung kaum sichtbar macht. Das junge Publikum im Kino verhält sich mit Ausnahme einzelner Unmutsäußerungen überraschend ruhig, bis zu einer Szene, in der Valentino wohl erfahren muss, wie ein Lamm geschlachtet wird. Die Kamera rückt so nahe ans Geschehen, wie während der gesamten Zeit zuvor nicht, und zeigt das Abtrennen des Lammkopfes mit einem großen Messer. Wie die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer im Kino bleibt auch der kleine Valentino in der Geschichte nicht unbeeindruckt und verweigert am Abend den gegrillten Braten. Im Publikumsgespräch räumt der auf die Szene angesprochene Regisseur ein, dass das Lamm wirklich getötet wurde, und hinterlässt dennoch viele Fragen. Ein merkwürdiger Höhepunkt in einem Film, der das kindliche Publikum ‚ab 9 Jahren‘ irritiert und den erwachsenen Kinderfilmrezensenten ärgert.
Deutlich mehr Nähe zu seinen Hauptfiguren schafft Thomas Arslan im deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Helle Nächte. Auch hier wird die Reise eines Vaters mit seinem Sohn in die abgeschiedene Natur thematisiert: Der in Berlin lebende Österreicher Michael fährt zur Beerdigung seines Vaters nach Norwegen. Er nimmt seinen 15-jährigen Sohn Luis mit, zu dem er seit vielen Jahren kaum Kontakt hatte. So wie Michael mit seinem Vater jahrelang nicht gesprochen hatte, sind sich auch er und Luis fremd. Für Michael wird die Reise zu einem Versuch, Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten und an Luis wieder enger heranzurücken. Für Luis ist das Reiseziel Nordnorwegen zwar interessant, er weiß aber selbst nicht, was das alles überhaupt soll. Dem Vater gegenüber bleibt er reserviert bis ablehnend. Helle Nächte ist ebenfalls ausgesprochen langsam, beinahe träge. Nichtsdestotrotz ist Arslan ein emotional intensives Zusammenspiel von Vater und Sohn gelungen, das mit einigen dramaturgischen Finessen aufwartet. Die weite und karge Landschaft in der nordnorwegischen Provinz Troms trägt wesentlich zur Geschichte bei. Es gibt längere Passagen, die im Auto spielen. Für Vater und Sohn einerseits ein Schutzraum vor Wetter und Naturgewalt, andererseits ein Gefängnis, in dem sie zusammen eingepfercht sind – gleichsam in der Begrenzung des eigenen emotionalen Raums. Georg Friedrich hat den Silbernen Bären als bester Darsteller erhalten. Wenngleich sich die Art, wie er die Rolle des Vaters spielt, nicht so sehr von seinen anderen Auftritten unterscheidet, wirkt Friedrichs larmoyante, teils enervierende Sprechweise in diesem Film authentisch und macht das Unverständnis und die steigenden Aggressionen des Sohnes umso nachvollziehbarer. Tristan Göbel meistert dies in seiner Rolle als Luis ganz hervorragend und verleiht der Aura des schweigsamen, zuweilen geheimnisvollen Jungen, die er in Winnetous Sohn (2015) oder in den Rico und Oskar-Filmen zeigte, eine neue Facette. Im Verlauf der Geschichte tauchen die beiden Protagonisten immer tiefer in die Berg- und Nebelwelt ein. Das Tempo der Reise wird abermals gedrosselt und Worte werden gänzlich überflüssig. Am Ende steht eine große Offenheit für die Suche nach einem Platz in der Welt und vielleicht sogar für neue Utopien.
Das ‚schwache Geschlecht‘ auf der Berlinale ganz stark!
Generell glänzen im filmischen Mainstream primär männliche Helden, die ihre Probleme auch oft durch maskuline Autorität lösen. Daher scheint es legitim, Filme einmal genauer zu betrachten, die Heldinnen in den Mittelpunkt rücken.
Ein Mädchen im Kampf mit ihrer Krankheit
In der Sektion Kplus lief die turbulente deutschitalienische Produktion Amelie rennt von Tobias Wiemann, die den Kampf eines 13-jährigen Berliner Mädchens gegen ihre Asthmaerkrankung schildert. Eindringlich, aber ohne Betroffenheitsmelancholie, legt der humorvolle Film seinen Blick auf das Problem von Heranwachsenden, die vermeintlich keine eigenen Schwächen zeigen dürfen. Wie eine Drogenabhängige hängt das Mädchen an ihrem Asthmaspray, verheimlicht die ständige Benutzung und lehnt zunächst die für sie so dringend notwendige Behandlung in einer Südtiroler Klinik ab. All dies zeigt ihre innere Wut auf eine Krankheit, die ihr im wahrsten Sinne des Wortes den Atem abschnürt. Amelie isoliert sich immer mehr und verweigert alle Maßnahmen des Klinikteams. Schließlich reißt sie aus und muss dabei schmerzhaft lernen, sich ihren Dämonen zu stellen. So wird deutlich, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen und aktiv der Krankheit entgegen zu treten. Damit zeigt der sympathische Kinderfilm, dass es auch Chancen gibt, über sich selber hinaus zu wachsen.
Indigene Mystik
Wesentlich härter geht es in dem brasilianischen Beitrag Não devore meu coração! (Don‘t Swallow My Heart, Alligator Girl!) in der Sektion 14plus des Regisseurs Felipe Bragança zu. An der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay toben seit Jahrhunderten Konflikte zwischen der indigenen Landbevölkerung Paraguays und den weißen Farmern Brasiliens. Immer wieder treiben im Grenzfluss Apa Leichen und in mörderischen Straßenrennen bekämpfen sich Motorradgangs. Zwischen diesem Chaos müssen Kinder aus beiden Ländern ihren Alltag meistern und ihre kulturelle Identität sichern. Zunächst steht der kleine Junge Joca im Mittelpunkt, doch die wahre Heldin der Geschichte ist das starke Indio Mädchen Basano, das tätowierte ‚Alligator Girl‘, in das sich der Junge unsterblich verliebt hat. Das Alligator Girl hat durch ihre indigene Herkunft Macht, all diese Konflikte für einen Augenblick zu mildern. Doch der Preis dafür ist hoch, denn sie soll dafür die Liebe von Joca zu ihr opfern. Auf der Brücke über dem Apa kommt es schließlich zu einem dramatischen Showdown. Mittels symbolisch aufgeheizten Bildern wird eine ungeheure Spannung erzeugt, in der das Alligator Girl souverän ihre Entscheidung trifft. Zwar verfolgt der Film zu viele Handlungsstränge, präsentiert aber dennoch eine magische Persönlichkeit, die Zuschauende noch lange nach dem Kinobesuch beschäftigen wird.
Im Mumblecore-Märchen prügelnd durch Berlin
Noch drastischer erweist sich der deutsche Panorama- Beitrag Tiger Girl von Jakob Lass. In grellen Bildern wird die Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Frauen, der strebsamen Vanilla und der Nonkonformistin Tiger Girl geschildert. Schon in einer der ersten Szenen wird deutlich, dass hier ein etwas unübliches Frauenbild vorgestellt wird. Nachts im einsamen U-Bahnhof wird Vanilla von drei Halbstarken sexuell belästigt. Tiger Girl kommt hinzu, entwendet den Jungs den Baseballschläger und verdrischt sie: Der Beginn einer innigen Freundschaft zwischen den Frauen, die dann prügelnd ihren Alltag meistern. Was so alptraumhaft beginnt, wird leider nicht konsequent im Film durchgehalten. Immer mehr schleicht sich düstere Realität in die fiktionale Handlung. Improvisierte Dialoge, originelle Laiendarstellerinnen und -darsteller sowie eine Handkamera, die stets dicht am Geschehen ist, gaukeln Realitätsnähe vor. Diese Art des Filmemachens, quasi als Indie Subgenre, wird oft als Mumblecore bezeichnet und rückt dadurch den handelnden Personen ausgesprochen nah. Dennoch hält sich der Film nicht damit auf, psychologische Hintergründe für Handlungsmuster zu bemühen. Die beiden Frauen agieren aus sich heraus, das Ganze bleibt somit vornehmlich eine Situationsbeschreibung. Insgesamt büßt der Film damit leider ein wenig von seiner anarchistischen Haltung ein. Dennoch ist es interessant, wie traditionelle Rollenbilder systematisch im wahrsten Sinne gebrochen werden und Frauen sich in die männliche Domäne körperlicher Hoheit drängen.
Markus Achatz ist Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge, Leiter des Bereichs Bildung im Deutschen Jugendherbergswerk und nebenbei als freier Journalist, Filmrezensent, Musiker und DJ aktiv.
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Markus Achatz,
Michael Bloech
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Michael Bloech: Der Kinderfilm auf der Berlinale feiert Geburtstag!
Immer jünger: Die späten 1970er-Jahre!
Wenn das kein Grund zur Freude ist: Genau vor 40 Jahren wurde der Grundstein für eine neue Sektion auf der Berlinale gelegt. Bislang richteten sich die Internationalen Filmfestspiele Berlin ausschließlich an ein erwachsenes Publikum, doch 1977 entwickelte sich die Berlinale unter dem damalig neuen Leiter Wolf Donner weiter in Richtung ‚junges Publikum‘. Außerdem setzte er starke inhaltliche Akzente in Richtung ‚junger deutscher Film‘. Schließlich gelang es Donner im Februar 1978, ein eigenes Kinderfilmfest in die Berlinale – unter dem schlichten Titel Kino für Leute ab sechs – zu integrieren. Was dann begann, war ein allmählicher Wandel im Kinderfilm-Programm, ausgehend von hauptsächlich deutschen Produktionen und Filmen skandinavischer und osteuropäischer Länder, generell hin zu Produktionen aus aller Welt. Zwar wurden zunächst keine Kinderfilme mit Preisen bedacht, dennoch konnte 1985 der Kinderfilmklassiker Ronja Räubertochter überraschend einen Silbernen Bären für eine besondere künstlerische Leistung erringen. Allerdings lief diese Produktion im Wettbewerbsprogramm und nicht auf dem Kinderfilmfest. Vielleicht führte diese Preisvergabe, als generelle Anerkennung für einen Kinderfilm, jedoch dazu, schon im Jahr darauf eine eigene Jury – bestehend aus Berliner Kindern – einzurichten. Bald darauf erweiterte eine international zusammengesetzte Jury aus dem professionellen Filmbereich die Preisvergabe der Kinderjury.
Der Kinderfilm wird erwachsen!
Allmählich veränderten sich aber nicht nur die Zusammensetzung der im Programm vertretenen Länder und die offizielle Anerkennung für den Kinderfilm an sich, sondern das Altersspektrum der Protagonistinnen und Protagonisten in den Filmen, und damit auch das Alter des anvisierten Publikums. Immer mehr Produktionen für ältere Jugendliche rückten in den Fokus, sodass unter dem damalig neuen und bis heute amtierenden Leiter Dieter Kosslick eine völlig eigene Sektion mit dem Titel 14plus ins Leben gerufen wurde. Diese Sektion präsentiert Filme, die sich mit der Lebenswelt von Heranwachsenden ab 14 Jahren beschäftigen. Die letzte große Veränderung wurde 2007 durch die Zusammenlegung der Kinderfilme – unter dem neuen Titel Kplus – und der Jugendfilme – 14plus – in die gemeinsame Sektion GENERATION eingeleitet. Was damit auf den ersten Blick als Umbenennung erscheinen mag, deutet jedoch eine grundsätzliche Richtungsänderung des gesamten Kinder- und Jugendfilmteils der Berlinale an. Mit dem generellen Anspruch der gesamten Berlinale, ein vornehmlich politisches Festival zu sein, kommt ein weiterer programmbildender Faktor hinzu. Daher geht es bei 14plus vornehmlich um Coming-of-Age-Produktionen, die eingebettet sind in sozioökonomische und politische Strukturen. Dieser Umstand erweist sich damit für das gesamte Berlinale-Programm als besonders bereichernd.
Filme über Kinder? Oder Filme für Kinder?
Bei Kplus führt dies teilweise zu Verwerfungen, denn jetzt steht primär nicht mehr das junge Publikum an sich im Vordergrund. Vielmehr werden überwiegend Filme über Kinder in bedrückenden, existenziellen Schicksalslagen präsentiert. Daher verwundert es nicht, dass dieses Jahr mit Estiu 1993 zwar ein wirklich wunderbarer Film über ein berührendes Kinderschicksal gezeigt und vielfach ausgezeichnet wurde, der es aber, wegen seiner unendlich langsamen Erzählweise und an Höhepunkten armen Dramaturgie, sehr schwer haben dürfte, ein begeistertes Kinder- Publikum zu finden. Kurz: Diese bewusste und gewollte Schwerpunktsetzung macht deutlich, warum viele Kinder nach dem Berlinale-Besuch das Kino oft etwas irritiert verlassen. Naturgemäß wirkt sich diese Diskrepanz, zwischen Filmen für eine Zielgruppe und Filmen über eine Zielgruppe, besonders bei Kinderfilmen gravierend aus. Bei Jugendproduktionen schmilzt diese Kluft natürlich komplett. So gesehen wäre ein Abtrennen der genuinen Kinderfilme mit einer etwas stärkeren Ausrichtung hin zum Kino für Leute ab sechs und ein eigenständiges Coming-of-Age-Programm unter dem Titel Generation konsequent und durchaus eine interessante Option. Und bis zum 50. Geburtstag ist ja noch genügend Zeit für eine kleine Neujustierung. Ach ja: Das Kino für Leute ab sechs hätte es verdient!
Michael Bloech war medienpädagogischer Referent am Medienzentrum München des JFF mit den Schwerpunkten Videoarbeit, Kinderfilm und Technik.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Michael Bloech
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Melanie Theissler: Und welches Tier bist du?
Brandis, Katja (2016). Woodwalkers – Carags Verwandlung. Hörbuch, Arenaaudio. 309 Min., 16,99 €.
Wie wäre es, wenn sich ein Mensch mittels seiner Gedanken plötzlich in ein Tier verwandeln könnte? Wie würde dieses Leben als Gestaltwandlerin bzw. -wandler wohl aussehen? Der Junge Carag im Hörspiel Woodwalkers – Carags Verwandlung besitzt diese Fähigkeit schon seit seiner Geburt. Doch Carag und seine Familie leben nicht als Menschen in Häusern, sondern in ihrer Tiergestalt als Pumas im Wald in der Region rund um den Grand Canyon und die Rocky Mountains. Menschliche Sitten und Gebräuche sind ihm größtenteils fremd. Als seine Mutter zusammen mit ihm und seiner Schwester Mia zum ersten Mal in Form der Menschengestalt einen Ausflug in die Welt der Menschen macht, ist Carag fasziniert von dieser Welt und deren Gestalt. Und so beschließt Carag im Alter von elf Jahren, seine Familie zu verlassen, und sich in die Welt der Menschen zu begeben, um dort sein Leben als Mensch weiterzuführen. Mittels eines raffiniert ausgearbeiteten Plans schafft er es, unter dem Decknamen Jay in eine Pflegefamilie aufgenommen zu werden. Seine Pflegefamilie glaubt, Carag hätte sein Gedächtnis verloren und bringt ihm daher alles Notwendige bei, um in der Welt wieder klar zu kommen. Carag lebt dort zwei Jahre, besucht die Junior High und hat trotz der Bemühungen seiner Pflegefamilie Schwierigkeiten, sich vollständig einzuleben. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler mobben ihn, und er hat bis jetzt keine einzige Freundin und keinen einzigen Freund gefunden. Auch mit seinen Pflege-Geschwistern, besonders mit seinem Bruder, gibt es andauernd Streit. Mittlerweile belastet Carag sein neues Leben sehr, und er beginnt zu zweifeln, ob es eine gute Idee war, seine alte Familie hinter sich zu lassen und zu den Menschen zu ziehen. Als er sich eines Tages auf den Weg zur Schule macht, trifft er Lissa Clearwater, die ebenfalls eine Gestaltwandlerin – ein sogenannter Woodwalker – war. Sie erklärt ihm, dass sie ihn bereits seit geraumer Zeit beobachten lässt, dass Woodwalker andere Woodwalker wahrnehmen könnten, und dass sie ein Internat für Woodwalker gegründet habe: die Clearwater High. Sie lädt Carag ein, von nun an diese Schule zu besuchen, da ihm dort neben gewöhnlichen Fächern auch alles Notwendige über Gestaltwandlerinnen und -wandler beigebracht werden würde. Carag ist mit der Situation, dass es noch andere wie ihn gibt, zunächst überfordert und überlegt, wie er seiner Pflegefamilie erklären sollte, dass er ab sofort eine Schule für Gestaltwandlerinnen und -wandler besuchen möchte. In den darauffolgenden Tagen erhalten seine Pflegefamilie und er Besuch von Andrew Miller, einem sehr vermögenden, berühmten und einflussreichen Mann aus der Gegend, der behauptet, Carag fördern zu wollen. Tatsächlich spürt Carag, dass es sich hierbei um einen Gestaltwandler handelt, der ihm aber nicht wohlgesonnen ist. Trotz Millings zwielichtigem Erscheinen – und zu Carags völliger Überraschung – empfiehlt er Carags Familie die Clearwater High sehr. Seine Familie, die sich viel aus Millings Meinung macht, gibt Carag schlussendlich die Erlaubnis, die Clearwater High zu besuchen. Doch: Wie wird es ihm auf der neuen Schule unter seinesgleichen wirklich ergehen? Und welche Rolle spielt Andrew Milling noch für Carag?
Das Hörspiel Woodwalkers – Carags Verwandlung nach dem gleichnamigen Roman von Katja Brandis ist der erste Teil der Woodwalkers-Reihe. Er wird sehr emotional, einfühlsam und mit einer hervorragenden Intonation von Timo Weisschnur gelesen. Er präsentiert sich mit einer sehr warmen, fast noch jugendlichen energischen Stimme, die die Geschichte noch lebendiger macht. Obwohl die Zuhörenden gleich zu Beginn der Erzählung mit vielen verschiedenen Personen konfrontiert werden, lassen sie sich dank Weisschnur, der jeder Person eine auf deren Persönlichkeit zugeschnittene Stimme verleiht, sehr gut voneinander unterscheiden. Die Geschichte wird in einem ansprechenden Tempo aus der Ich-Perspektive erzählt. Es wird eine im Jugendstil gehaltene Sprache mit altersgemäßen Sprachelementen (z. B. keine komplizierten Sätze) verwendet sowie Wörter, wie sie eine heranwachsende Person ebenfalls im Alltag nutzen würde. Beschreibungen von Örtlichkeiten stehen weniger im Fokus, sondern eher das Leben des jungen Carag. Umschreibungen von zwischenmenschlichen Aktionen, wie Konflikte oder die erste große Liebe, werden realitätsnah und gut verständlich dargestellt. Der Hauptprotagonist Carag verkörpert einen klassischen Außenseiter hinsichtlich seines Charakters und Aussehens, der von der gewöhnlichen Gesellschaft gemobbt wird und Schwierigkeiten hat, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Dafür zeigt er aber eine ungewöhnlich hohe mentale Reife für sein Alter. Er erkennt stets, dass die Diskriminierung durch die menschliche Gesellschaft falsch ist, und zweifelt zu keinem Zeitpunkt an seinem Aussehen und Charakter. Stattdessen zeichnen Gerechtigkeit, Besonnenheit, geistige Stärke und Empathie seine Persönlichkeit aus. Carag stellt eine Identifikations- und Vorbildfigur für alle Jugendlichen dar, die selbst Erfahrungen mit Mobbing machen oder gemacht haben.Am Beispiel der Woodwalker lassen sich gesellschaftliche Schwierigkeiten von Randgruppen sowie das allgemeine Zusammenleben dieser gut darstellen. Das Hörbuch befasst sich mit realen Problemen eines 13-jährigen Jungen, der auf dem Weg ist, erwachsenen zu werden: Abschied und Neuanfang wie auch Mobbing aufgrund eines veränderten Aussehens und Verhaltens sowie die ständige Suche nach einem Anschluss an eine Gruppe sind allesamt sehr alterstypisch. Hier liegt auch der (medien-)pädagogische Mehrwert: Jugendlichen werden, neben der Ermunterung zum Ausleben ihrer Fantasie, wertvolle moralische und ethische Werte vermittelt. So stehen in Carags Welt Loyalität, Freundschaft und Gerechtigkeit immer an erster Stelle – und auch mit Diskriminierung lehrt die Geschichte einen sensiblen Umgang.
Die Erzählung wird auf vier CDs erzählt und hat eine Gesamtlaufzeit von 309 Minuten. Woodwalkers eignet sich für Kinder zwischen zehn und 13 Jahren wie auch für alle (medien-)pädagogischen Fachkräfte in der Praxis, die Kindern wichtige moralischen Werte auf fantasiefördernde Weise vermitteln möchten.
Melanie Theissler ist studentische Hilfskraft bei merz | medien + erziehung. Sie studiert derzeit angewandte Psychologie an der Hochschule Fresenius.
Beitrag aus Heft »2017/02 Postfaktisch: Journalismus im medialen Wandel«
Autor:
Melanie Theissler
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Melanie Theissler: Wie eine unsichtbare Freundin tödlich sein kann
Interactive Media Foundation gGmbH (2016).
Ninette. www.ninette.berlin, interaktiver Comic, kostenfrei.
Kalorien zählen, Sport treiben, weniger oder gesünder Essen mit dem Ziel, endlich abzunehmen. All diese Gedanken um Gewicht und Gesundheit kennen viele von uns. Für manche Heranwachsenden können diese Gedanken jedoch so präsent werden, dass sie an nichts anderes mehr denken können und im schlimmsten Fall an einer Essstörung erkranken. Janette ist wohl eine von ihnen. Eigentlich ist sie, wie auch ihre beiden Freundinnen Lisa und Songül, einfach nur mitten in der Pubertät. Alle drei Mädchen beschäftigt ihre körperliche Veränderung, mit der jede von ihnen anders umzugehen scheint. Während bei Lisa die Pubertät gerade erst anfängt, gibt Songül mit ihrer Weiblichkeit regelrecht an. Beide Mädchen geben sich im Umgang mit sich und ihrem Umfeld selbstbewusst. Einzig Janette scheint mit ihrem wachsenden Busen und den weiblicheren Hüften eher überfordert zu sein. Interessierte Blicke oder kurze Berührungen der männlichen Gleichaltrigen irritieren sie, und beim Sport stört sie ihr Busen. Sie merkt, dass sich etwas verändert und ihre Freundinnen und Freunde damit scheinbar leichter umgehen können als sie. Ihrer Familie fällt Janettes Verunsicherung wegen ihres Körpers zunächst gar nicht auf. Im Gegenteil, sie necken sie diesbezüglich und fordern sie auf, mehr zu essen. Ihr Vater behauptet sogar, ihre Speckröllchen zu mögen und ärgert sie, indem er sie bei ihrem Spitznamen Nette ruft; ein Name, den sie nicht leiden kann. Als sie Leon, den neuen Klassenkameraden ihres Bruders, kennenlernt und auch noch Gefühle für ihn entwickelt, ist sie vollkommen verunsichert. Sie ist überzeugt, dass Leon sie aufgrund ihres Körpers nicht mögen kann. Und da beginnt die schon immer sehr disziplinierte Janette nun konsequent abzunehmen. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug ist ein interaktiver Comic, der in elf Folgen das Leben der 14-jährigen Janette zeigt. Dieser steht unter www.ninette.berlin kostenfrei zur Verfügung. Die Interactive Media Fondation gGmbH hat das Projekt – in Kooperation mit Waage e. V. – das Fachzentrum für Essstörungen in Hamburg, mit dem Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen und der Selbsthilfeorganisation ANAD e. V. – entwickelt, um über das Thema Essstörung zu informieren und aufzuklären. Janettes Geschichte wird als interaktive Bildergeschichte erzählt, die Nutzende selbstständig durchklicken können. Die Charaktere sind zwar im Comic-Stil illustriert, die Zeichnungen orientieren sich jedoch stark an realen Körperproportionen. Nutzende können somit Janettes Gewichtsreduktion und körperliche Veränderungen sehr gut anhand der Bilder mitverfolgen. Bis auf Geräusche aus der Umgebung finden keine hörbaren Dialoge statt, selbstverständlich gibt es die gewohnten Sprechblasen. Innerhalb der Geschichte tauchen außerdem immer wieder kleine pinkfarbene interaktive Schaltflächen in Form einer Glühbirne auf, die durch Anklicken weitere Informationen zum aktuellen Geschehen liefern. Dies kann beispielsweise eine kurze Erzählung einer Magersüchtigen sein oder weitere Tipps zum Klinikaufenthalt. Das Lesen der Zusatz informationen ist jedoch nicht maßgeblich für den Verlauf bzw. das Nachvollziehen der Geschichte.
Neben den Comic-Folgen enthält die Webseite noch zwei Rubriken: ‚Mehr erfahren’ und ‚Hilfe erhalten‘. Unter ‚Mehr erfahren‘ sind alle Informationen der interaktiven Glühbirnen chronologisch aufgelistet, so dass sie unabhängig von der Geschichte (nach-)gelesen werden können. Hinter der Rubrik ‚Hilfe erhalten‘ verbirgt sich eine Eingabemaske, mit der sich Betroffene anonym direkt an Beratungsstellen wenden können. Auch enthält sie weitere Kontaktmöglichkeiten und Links zu Beratungsstellen. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug ist liebevoll und realitätsnah illustriert, und modern und einfühlsam in Szene gesetzt. Die gesamte Internetseite, wie auch der Comic selbst, bedient sich freundlicher und heller Farben, wodurch eine offene, jedoch nicht zu kindliche Atmosphäre geschaffen wird. Einerseits werden gewöhnliche Probleme einer weiblichen Jugendlichen dargestellt, die in der Pubertät ist, sich zum ersten Mal in einen Jungen verliebt und immer wieder kleine Streitereien mit den Eltern hat. Anderseits werden den Nutzerinnen und Nutzern auch potenzielle Gefahrenbereiche sowie verzerrte authentische Gedankenmuster, die maßgeblich zur Entwicklung einer Magersucht beitragen können, sehr deutlich aufgezeigt. Letzteres zeigt sich beispielsweise in Form der personifizierten Darstellung der Magersucht, die mit immer stärkerem Wachstum grotesker und skurriler wird und nur von Janette selbst gesehen und gehört werden kann. Weiterhin befasst sich der Comic mit charakteristischen, (psycho-)sozialen Problemen bei Esstörungen, wie wechselseitigen Reaktionen zwischen Freundinnen bzw. Freunden und Janette. Auch werden Heilungsmethoden wie Klinikaufenthalte oder erste Orientierungsgedanken für Betroffene in Richtung einer Genesung bzw. auch für Angehörige von Betroffenen ausführlich erläutert. Ninette – Dünn ist nicht dünn genug richtet sich damit zum einen in sehr ansprechender Weise an jugendliche Betroffene, gleichzeitig auch an Eltern, Freundinnen und Freunde sowie an Interessierte, die Hilfestellungen suchen, wie sie erste Signale richtig deuten bzw. an welche Adressen sie sich wenden können, welche Gedanken und Gefühle eine magersüchtige Person oftmals hat oder wie dieser am besten geholfen werden kann. Sehr wertvoll dabei ist, dass die Aufbereitung ihnen die Möglichkeit gibt, die Geschwindigkeit der Geschichte selbst zu bestimmen sowie eigenständig zu entscheiden, an welcher Stelle sie tiefergehende Informationen interessieren. Zum anderen ist das äußerst ansprechend aufbereitete Material sehr empfehlenswert für die (medien-)pädagogische Praxis, und eignet sich zum Einsatz sowohl im schulischen wie auch außerschulischen Kontext, um Jugendliche für diese psychische Störung zu sensibilisieren und darüber aufzuklären.
Antje Müller: Lingumi Play
Lingumi Ltd (2016). Lingumi Play. Box mit interaktiven Lernwürfeln, 49,90 €.
Globalisierung und ein beschleunigter interkultureller Austausch haben die uns heute vertraute Normalität geformt und fordern uns mit stetiger hochgradiger Offenheit und Toleranz gegenüber neuen Kulturen. Leben, arbeiten oder studieren findet kaum mehr an einem Ort oder auch in nur einem Land statt – und spätestens im alltäglichen interkulturellen Zusammenleben wird eine Kommunikation auf Augenhöhe erforderlich. Dies gelingt jedoch nur, wenn auf angemessene sprachliche Grundkenntnisse zurückgegriffen werden kann. Immer dringender wird das Bedürfnis, Heranwachsende so früh wie möglich an Fremdsprachen heranzuführen. Hierfür hat Lingumi ein appbasiertes Sprachlernspiel entwickelt, das sich für den ersten Kontakt mit einer fremden Sprache ideal eignet und sich gleichzeitig leicht in den Alltag eines Kindes integrieren lässt. Die selbsterklärende Spieloberfläche verbindet sowohl visuelle als auch auditive und taktile Lernprozesse und fördert auf spielerische Weise den Erwerb von Sprachkompetenz.
Lingumi Play ist ein soziales Spiel, das Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, Erzieherinnen und Erziehern oder Geschwistern und deren Tablet oder Smartphone spielen können, und richtet sich insbesondere an Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren. Das Startset besteht aus einer stabilen Box, vier Schaumstoffwürfeln, einem Fortschrittsposter inklusive Fortschrittssticker und einer Halterung für das mobile Endgerät. Die Würfel sind frei von BPA und Lösungsmitteln, enthalten weder Magnete noch sonstige Kleinteile und können ohne Bedenken in den Mund genommen werden. Vor Spielbeginn wird das Tablet bzw. das Smartphone im Querformat in die Halterung gelegt. Zur Verbindung mit Lingumi Play müssen die Schaumstoffwürfel auf die Schachtel des Startsets direkt vor dem mobilen Endgerät positioniert werden. Die Augmented Reality-Technologie sorgt anschließend dafür, dass die Würfel – mit Hilfe der zuvor installierten App – per Tabletoder Smartphone-Kamera erfasst werden. Der auf der Schachtel positionierte Würfel fungiert im Spiel als Antwortmöglichkeit und kann alternativ zum Touchscreen genutzt werden. Diese taktile Sprachlernmethode eignet sich besonders gut für die Jüngsten der Zielgruppe; für ältere Kinder eignet sich die Variante ohne Würfel via Touchscreen.
Zur Visualisierung des Lernerfolges kann das Fortschrittsposter genutzt werden. Bisher sind zwei Apps kostenlos downloadbar: Play Words und Play Verbs. Beide sind für die Betriebssysteme iOS- und Android verfügbar. Nach dem Starten der App muss die Registrierung eines Elternteils sowie eines Kindes erfolgen. Hierbei müssen sowohl E-Mail-Adresse und Passwort des Elternteils festgelegt und Name, Geschlecht sowie Alter des Kindes angegeben werden. Dies ermöglicht die Speicherung der Spielstände bzw. der absolvierten Lerneinheiten. Das Anlegen mehrerer Profile ist möglich. Am Anfang des Spiels werden vier Charaktere vorgestellt, die farblich zu den Lernwürfeln passen: Peek (roter Würfel), Hush (grüner Würfel), Yum (gelber Würfel) und Boo (blauer Würfel). Zusammen mit dem Elternteil und ohne, dass das Kind den Bildschirm berühren muss, wird innerhalb der physischen Interaktion eine gemeinsame Gestaltung des Lernprozesses gefördert. Weitere Einstellungen sind durch eine Sicherheitsabfrage geschützt und sollten am besten von den Eltern vorgenommen werden.
Eine Lerneinheit dauert zehn bis 15 Minuten. Die Länge der täglichen Einheit entspricht damit der kindlichen Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit, wobei die Schaumstoffwürfel dafür sorgen, dass zwischen der Virtualität und Technik sowie zwischen Realität und Greifbarkeit eine Verbindung hergestellt wird. Das Spiel besteht aus mehreren Unterrichtseinheiten pro Level. Wenn genügend Einheiten absolviert wurden, wird das nächsthöhere Level freigeschaltet. Pro Tag darf maximal eine neue Lerneinheit gespielt werden. So wird verhindert, dass die Spielenden einen zu großen Input erhalten und überfordert sind.Durch Anregungen zum Mitmachen, Interagieren und Nachsprechen werden nicht nur Sinne wie Sehen und Zuhören angesprochen, sondern ebenso das Fühlen. In allen Lerneinheiten spielt das regelmäßige Wiederholen der einzelnen Begriffe eine zentrale Rolle. Durch unterschiedliche Schwierigkeitsstufen und Speichern des Lernfortschritts passt sich jede Lerneinheit ideal an das individuelle Lerntempo des Kindes an. Darüber hinaus wird durch Audioaufnahmen von Muttersprachlerinnen und -sprachlern ein akzentfreies Erlernen der Fremdsprache gewährleistet. B
asierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde eine erprobte Methode entwickelt, die sich adaptiv an den Wissenstand des Kindes anpasst. So vermittelt Lingumi Play pro Sprache einen Grundwortschatz von über 100 Vokabeln mit landestypischer Aussprache und Syntax. Vor dem Start des Spiels kann zwischen den Sprachen Englisch und Deutsch ausgewählt werden. Als Einstiegsapp wird Play Words empfohlen, die ausschließlich Nomen wie Lebensmittel, Körperteile oder Tiere behandelt. In der weiterführenden App, Play Verbs, kommen Verben und Adjektive hinzu, die mit Nomen aus der ersten App kombiniert werden. In Play Verbs können – neben Englisch und Deutsch – auch Französisch, Italienisch, Chinesisch oder Spanisch erlernt werden. Mit Lingumi Play wird den jungen Einsteigerinnen und Einsteigern ein optimaler Start in eine Fremdsprache geebnet. Dabei bietet die Anwendung eine schnell erfassbare gut strukturierte Spieloberfläche sowie einfache Erklärungen, die der erwachsenen Spielpartnerin bzw. dem erwachsenen Spielpartner durch Instruktionserklärungen Anlass zur Interaktion und bei geringen Sprachkenntnissen auch Gelegenheit zum partizipativen Lernen gibt. Die einfach gestaltete Oberfläche und der dennoch kognitiv anspruchsvolle Spielaufbau ermöglichen nachhaltige Lerneffekte, die nach Belieben mehrfach täglich aufgefrischt werden können.
Die Registrierung für die Dokumentation des Lernerfolgs ist dabei hilfreich, beansprucht jedoch zusammen mit der Einstellung des Kamerawinkels vor Spielbeginn etwas Einrichtungszeit. Darüber hinaus sollte der begleitende Erwachsene über grundlegende Fremdsprachkenntnisse verfügen, um das Kind beim Ausführen der Spielinstruktionen unterstützen zu können. Dass auf ablenkende Kontextinformationen oder Hintergrundgeräusche verzichtet wurde, sorgt für eine hohe Zugänglichkeit, unterstützt eine schnelle Verarbeitung des Gehörten sowie Gesehenen und schafft eine insgesamt angenehme Lernatmosphäre. Einzig wünschenswert wäre, dass Play Words nachgerüstet wird auf die gleiche Vielfalt an Fremdsprachen wie Play Verbs. Darüber hinaus würden zusätzliche Einstellungen zur Sprechstimme für eine größere geschlechtsspezifische Variabilität sorgen und dem Kind die Möglichkeit bieten, das Spiel nach seinen eigenen Hörvorlieben mitzugestalten.
Sophia Stemmer: Mit Fiete durch den Zoo
Ahoiii Entertainment UG (2016). Fiete KinderZoo – Kinder füttern Tiere im Zoo. App für iOS/Android, kostenfrei.
Ob Löwen, Fische oder Affen – Tiere sorgen bei Kindern für große Begeisterung. Die Spiele-App Fiete KinderZoo – Kinder füttern Tiere im Zoo bietet ihnen einen neuen Ort, ihren tierischen Lieblingen nahe sein zu können. Dort leben allerdings nicht nur Löwen und Elefanten, auch Dinosaurier oder Einhörner sind anzutreffen. Gemeinsam mit Seemann Fiete können die jungen Userinnen und User diese wundersamen Kreaturen besuchen, über ihre eigentümlichen Klänge staunen und deren außergewöhnlichen Hunger stillen. Die spielbare Figur ist ein Junge im Matrosenanzug. Der junge Seemann lebt auf einer gemütlichen Insel in einem Leuchtturm. Aber von Zeit zu Zeit schnappt er sich auch sein Boot und lädt alle spielenden Kinder ein, ihn bei der Entdeckung der Welt zu begleiten. Fiete ist ein guter Freund und ein kurioser Reisender, der den jungen App-Nutzenden die Schönheit der Welt zeigt. Durch das Tippen auf den Bildschirm spaziert er durch den Zoo.
Auf seinem Weg begegnet er 32 sehr unterschiedlichen Wesen, zum Beispiel Schleife, dem Löwen, Walter, dem Wurm oder Herzchen, dem Einhorn. Tippt man die Tiere an, geben sie ein ungewöhnliches Geräusch von sich. Gefüttert werden können die Tiere durch die Nutzung des Besteck-Buttons in der rechten oberen Ecke des Displays, sodass auf Wunsch selbstgebastelte Torten, Angeln mit Fischen, Bananen oder Bonbons vom Himmel fallen. Fiete bewegt sich solange Spielende mit ihrem Finger auf der rechten oder linken Seite des Displays tippen. Löst man diesen vom Bildschirm, bleibt er stehen. Das Spiel endet, nachdem alle Zoobewohnerinnen und -bewohner einmal angeschaut wurden. Danach kann die Spielfigur zurück zum Eingangstor geführt oder eine neue App der Fiete-Reihe geöffnet werden. Entwickelt wurde die App von Ahoiii Entertainment, zusammen mit 30 Kindern im Alter von drei bis zehn Jahren; die im Rahmen des Türöffner- Tages 2016 der Sendung mit der Maus in die Fiete-Büros eingeladen worden waren, um für einen Tag selbst zu App-Entwicklerinnen und -entwicklern zu werden.
Jedes Kind hatte innerhalb des einstündigen Projekts die Möglichkeit, ein Tier aus Tonkarton zu basteln, diesem einen Namen zu geben und im Tonstudio eine Stimme zu verleihen. Anschließend wurden alle Tiere eingescannt und vom Ahoiii-Team in Fiete KinderZoo eingefügt – und durch eine Animation zum Leben erweckt. Die entstandene App wird für Kinder ab dem vierten Lebensjahr empfohlen und kann ab Version iOS 6.0 auf dem iPhone, iPad und iPad touch gespielt werden. Es ist eine unterhaltsame und unaufgeregte Gratis-App, die Raum zur Entfaltung der Kreativität junger App-Nutzender bietet. Durch die einfache, selbsterklärende Bewegungssteuerung von Fiete können Kinder auf spielerische Art ihre motorischen Fertigkeiten verfeinern und verbessern. Gleichzeitig trainieren sie ihre kognitiven Fähigkeiten, indem sie durch geräuschvolle Animationen bei Berührung der bunten Wesen Zusammenhänge zwischen Berührung und Auswirkung auf die Spielfiguren beobachten und hieraus logische Schlüsse ziehen. Ganz im Sinne einer alters- und kindgerechten Anwendung wird auf Werbung verzichtet.
Darüber hinaus bietet Fiete Kinder-Zoo Heranwachsenden durch eine unbeschränkte Spieldauer ohne kompetitive Aufgaben oder Punktestände die Möglichkeit, die Spieloberfläche im eigenen Tempo zu entdecken. Fraglich ist jedoch, ob der Fokus auf der sinnlichen Wahrnehmung nicht zu eng gefasst wird und die Anwendung, auch insbesondere durch das offene Spielende und den überschaubaren Pool an Zusatzfunktionen, von der mittleren Altersstufe der Zielgruppe gegebenenfalls zu schnell ‚fertig‘ gespielt wird. Die herrlich unrealistisch anmutenden Lebewesen und ihre ungewöhnlichen Mahlzeiten begünstigen die für diese Zielgruppe typische fantasievolle Phase und regen auf witzige Art und Weise zum kreativen Denken an. Dabei ist die Begleitung der App- Nutzung durch ein Elternteil empfehlenswert. Denn die kreative Aufbereitung des Zoos mit seinen Bewohnerinnen und Bewohnern bietet Anregung zum Gesprächsstoff und regt unter anderem zu Vergleichen mit realistischen Zootieren an.
Auch das Vorlesen der Namensschilder kann dem gemeinsamen Spiel dienlich sein und fördert zugleich die Ausbildung der Lesefähigkeit. Die App kann aber dennoch auch problemlos von Kindern alleine genutzt werden. Aus geschlechtsspezifischer Sicht ist es schade, dass die Spielfigur Fiete weder hinsichtlich des Geschlechts noch im Aussehen geändert werden kann und fest an einen männlichen Matrosen gebunden ist. Das Ahoiii-Team hat sich jedoch viel Mühe mit der Hintergrundgeschichte von Figur und Spielkontext gemacht, sodass Vorschulkinder ungehindert in die Spielwelt eintauchen können. Die subtile Hintergrundmusik mit Zoogeräuschen und Vogelgezwitscher begleitet die visuell-haptische Entdeckungsreise optimal und motiviert in cleverer Form zur Konzentration auf das Spielgeschehen. Ergänzt durch die freundlichen Farben wird eine beruhigende Spielatmosphäre geschaffen. Vorschulkinder können sich so voll und ganz auf ihre ersten App-Steuerungs-Erlebnisse einlassen, ohne überfordert zu werden.
Die App Fiete KinderZoo ist mit vielen Details liebevoll gestaltet und empfiehlt sich durch die einfach gehaltenen kindgerechten Inhalte besonders für Kindergartenkinder und für App- Neulinge mit geringen Sprachkenntnissen. Die Gestaltung ist zwar minimalistisch und verfügt über überschaubare Spielfunktionen, bietet jungen Spielenden jedoch gerade hierdurch eine angenehme Spieloberfläche, die sich ideal für den Einstieg in die App-Nutzung eignet.
Sophia Stemmer: Fabers Schatz
Funke, Cornelia (2016). Fabers Schatz. Hörbuch, gelesen von Rainer Strecker und Marianne Wagdy, zweisprachig. Silberfisch. 23 Min., 9,99 €.
Als Faber erfährt, dass sein Opa von Hamburg zu seinem Bruder nach Amerika zieht, ist er zunächst sehr traurig. Alte Leute ziehen doch nicht mehr um, und wenn, dann bestimmt nicht bis nach Amerika! Doch sein Opa ist und bleibt eben ein Weltenbummler – und so schenkt er ihm zu seinem Abschied einen seiner wertvollsten Reise- Schätze: einen alten Teppich aus Damaskus, der angeblich fliegen können soll. Mit diesem soll Faber ihn besuchen kommen. Aber wie genau das funktioniert, hat ihm sein Opa leider nicht verraten. Faber hofft, dass der Schlüssel zu seinem Glück in den Zeichen liegt, die auf dem Teppich geschrieben stehen. Faber kann natürlich schon lesen, aber diese Worte fallen ihm schwer, denn sie sind in einer anderen Sprache geschrieben. Aber irgendjemand muss mit der fremden Schrift auf dem Teppich doch etwas anfangen können. Also macht er sich auf die Suche. Zuerst fragt er seinen Freund Kamil, dessen Mutter aus Marokko kommt, was auf dem Globus nicht weit entfernt von Damaskus liegt. Und da kommt der Teppich schließlich her. Doch auch sie kann die Schrift nicht lesen. So sucht Faber am Hafen weiter. Dort ist er oft mit seinem Opa gewesen. „Guck dir die Leute an – von Milch bis Bitterschokolade. So bunt ist die Welt!“, hatte dieser dann immer gesagt. Auch heute ist dort ein buntes Treiben. Faber fragt Kinder, die am Hafen Fußball spielen, er fragt die Matrosen an der Imbissbude. Doch niemand kann die Wörter lesen. Niedergeschlagen und etwas hilflos setzt er sich auf seinen Teppich. Da vernimmt er plötzlich eine zarte Stimme: Sie kommt von einem Mädchen, einem kleinen, zarten Wesen mit schwarzem Haar und, naja, irgendwie seltsamen Klamotten, findet Faber. Das Mädchen zeigt auf den Teppich und die Worte, die jetzt aus ihrem Mund erklingen, findet Faber einfach nur wunderschön: yatir alssajad, wayatir!, oder so ähnlich. Es ist Arabisch und bedeutet auf Deutsch ‚Flieg, Teppich, flieg!’. Faber kann jetzt nicht nur seinen Ohren, sondern auch seinen Augen kaum trauen. Er fliegt, der Teppich, er erhebt sich und fliegt wirklich! Shaima, das Mädchen, verbietet dem Teppich zwar die Route nach Damaskus einzuschlagen, Faber aber ist überglücklich. Eine zauberhafte Reise beginnt ... auf der Shaima Faber unter anderem beweist, dass sein Opa schon immer Recht hatte: Die Welt ist bunt wie ein Teppich aus tausenden von Fäden. Das Hörbuch Fabers Schatz erzählt eine fantasievolle Geschichte über Freundschaft und Fremdheit. Durch die prägnanten Stimmen und die jeweils sensible Ausdrucksweise von Rainer Strecker und Marianne Wagdy, die das Buch gelesen und übersetzt haben, können sich Hörerinnen und Hörer nicht nur in die Handlung, sondern bis in die Figuren hineinversetzen, eben komplett in die Geschichte eintauchen. Die einfühlsame und ruhige Erzählweise verleitet in Kombination mit der orientalischen Musik zudem zum Träumen und Verweilen. Die Geschichte ist in einer deutschen und einer arabischen Fassung auf der CD enthalten, weshalb sie sich auch für Kinder mit arabischsprachigem Hintergrund eignet. Mit einer Laufzeit von acht Minuten (deutsche Fassung) und einer fantasievollen Erzählweise trifft Cornelia Funke ihre Zielgruppe der ab Dreijährigen sehr gut. Sie bietet ihnen zudem – durch die Übersetzung einiger Wörter – eine Lernerfahrung der besonderen Art: „Erde?“ „Ard.“ – „Fluss?“ „Nahr.“ – „Zuhause?“ „Watani.“. Die Handlung ist jedoch nicht sehr umfangreich: Ein Junge erhält einen Teppich, findet durch diesen eine Freundin und fliegt mit ihr los. Es wird kein Spannungsfeld erzeugt, vielmehr herrscht durchweg pure Harmonie, die mit dem Beginn des gemeinsamen Losfliegens positiv verstärkt und bekräftigt wird.
Fragwürdig ist allerdings auch, ob Kinder im Alter von drei Jahren die geschichtlichen Hintergründe überhaupt verstehen können. Warum verbietet Shaima beispielsweise dem Teppich, nach Damaskus zu fliegen und möchte nicht darüber sprechen? Und, da der Plot keinerlei Informationen zu Shaimas familiärem Hintergrund enthält, ist und bleibt ungewiss, wie oder wann sie nach Deutschland gekommen ist oder ob sie hier geboren wurde. Weiterhin erscheint das Thema Fremdheit etwas groß für die Zielgruppe. Kinder im Alter von drei Jahren erkennen, dass es Menschen mit verschiedenen Hautfarben und Sprachen gibt. Sie sind neugierig und möchten Erfahrungen sammeln. Die kindgerechte Vermittlung der Kulturen spricht zwar für die Handlung, andererseits wird Migration oft diskutiert und kann für dreijährige Kinder noch recht komplex erscheinen. Über kulturelle Zusammenhänge und Unterschiede sind sich Kinder dieses Alters schlicht noch nicht bewusst, da sie ihre Umwelt zwar wahrnehmen, aber nicht bewerten. Die Geschichte kann somit gut als Anreiz zur Gewinnung neuer Eindrücke dienen, jedoch werden Kinder durch Alltagserfahrungen und das Heranwachsen in der Gesellschaft auch mit (genügend) Erfahrungen und Wissen konfrontiert, um tatsächlich bewusst mit dem Thema umgehen zu können. Gleichzeitig ist das Hörbuch natürlich auch nur für Kinder ab dem dritten Lebensjahr empfohlen. Ältere Kinder können somit gewiss mehr aus der Handlung ziehen. Zudem ist und bleibt positiv hervorzuheben, dass die Autorin eine wichtige Botschaft vermittelt: Fremdheit ist nichts Schlimmes und Freundschaft ist wichtig. Es gibt keinen Grund, sich vor etwas Unbekanntem zu fürchten und es ist mutig, etwas Neues auszuprobieren. Die Freundschaft, welche zwischen Faber und Shaima entsteht, beschreibt kurz, wie fremdsprachliche Erfahrungen auf Kinder wirken und sie beeinflussen können. Immer häufiger wachsen Kinder bilingual auf, was die Fähigkeit fördern kann, im Sprachzentrum schnell umzuschalten und sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. So ist es unterstützenswert, Kindern verschiedene Sprachen zu zeigen und sie im Erlernen dieser zu fördern.
Fabers Schatz ist eine interessante, einfühlsame Geschichte über Freundschaft, die Fremde im eigenen Land und über die Sehnsucht nach der Ferne. Die Handlung zeigt durch die unaufdringliche Botschaft ,Hab keine Angst vor dem Anderen‘, dass man viel lernen und erleben kann, w