Michael Grisko
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- Michael Grisko: Kluge Filme auf DVD
Michael Grisko: Kluge Filme auf DVD
Die DVD-Box Alexander Kluges sämtliche Kinofilme ist eine körperliche und geistige Herausforderung. Am Ende der 16 Kinofilme aus knapp 20 Jahren, der zahlreichen Kurz- und Kürzestfilme des Film- und Fernsehmachers Alexander Kluge hat man nicht nur eine dokumentarische Zeitreise durch die an Ereignissen nicht gerade arme deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts unternommen, man hat zudem alle durch das Hollywoodmainstreamkino geschulten, wohl besser verkümmerten, Rezeptionsmuster von Medienprodukten abgelegt bzw. rundumerneuert: Psychologie, Realismus, Handlung, Held, Genre, (Melo-)Dramatik, Happy End. Alexander Kluge hat diese cineastischen Parameter im Anschluss an das Oberhausener Manifest von 1963 konsequent neu definiert. Nach seiner Promotion (1956) hatte der 1932 in Halberstadt geborene Filmemacher und Schriftsteller ausgerechnet bei Arthur Brauners CCC ein Volontariat absolviert – einem Garanten für populäres Nachkriegskino. Alexander Kluge emanzipierte sich: Eigene Filmprojekte (Brutalität in Stein, 1960) und die dafür gewonnenen Preise in Oberhausen machten ihn schließlich zu einem der Initiatoren des Oberhausener Manifests.
Edgar Reitz, Peter Schamoni, Hansjürgen Pohland hatten zusammen mit anderen Filmemachern den alten Film, das von der UFA-Ästhetik bestimmte Kino für tot erklärt und programmatisch festgehalten: „Dieser Film braucht neue Freiheiten. Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner von der Bevormundung durch Interessensgruppen.“ Und weiter hieß es dort: „Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.“Alexander Kluge zählt zu den ästhetisch radikalsten Praktikern dieser Programmatik. Dazu gehört auch das dynamische Element in seiner Medienproduktion. Arbeitet er von 1966 bis 1986 mit seiner Produktionsfirma Kairos vor allem für das Kino, hat er sich mit der Etablierung des Dualen Rundfunksystems in Deutschland mit seiner Produktionsfirma dctp zum ständigen Gast im deutschen Privatfernsehen gemacht. – Einige Beispiele dieser Produktionen sind auch in der Box enthalten. Aber auch der Übergang und die Etablierung der Neuen Medien Mitte der 1980er-Jahre selbst und der damit verbundene Untergang des Kinos, war ein Thema seiner Filme.Überhaupt verdeutlichen die Bonusmaterialien der Box die intellektuelle Vielfalt des mittlerweile 74-jährigen Filmemachers. Neben den Filmpraktiker tritt hier auch der Gesellschaftstheoretiker und der Schriftsteller.
Als pdf-Dokumente sind Teile der Filmbücher, Aufsätze von und über Alexander Kluge zu entdecken, die sonst nur schwer in den Bibliotheken zu finden sind und essentieller Bestandteil seiner ästhetischen Arbeit sind. Schon allein die Titel seiner Kino- und Fernsehfilme haben programmatischen Charakter: Abschied von gestern (1965), Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (1973), Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968), Die unbezähmbare Leni Peickert (1970), Der große Verhau (1971), Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte (1969-71), In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod (1974), Der starke Ferdinand (1976), Deutschland im Herbst (1978), Die Patriotin (1979), Krieg und Frieden (1982), Der Kandidat (1980), Die Macht der Gefühle (1984), Serpentine Gallery Programm (1995-2005), Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit (1985), Vermischte Nachrichten (1985-86).
Alexander Kluges Filme wandeln sich vom Spielfilm zum Essay und balancieren auf einer unsichtbaren und sich ständig verschiebenden Linie zwischen Dokumentar- und Spielfilm und negieren sämtliche gängigen Filmkonventionen. So werden die Filme Der große Verhau und Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte zu einer Neubestimmung des Genres Science-Fiction-Film. In diesen Filmen wird auch Alexander Kluges assoziative, zeit- und formensprengende Arbeitsweise deutlich. Er verwendet alle stilistischen Mittel des Films: Inserts, Blenden, schwarz-weiß-Strecken; er arbeitet gegen die standardisierte Ästhetik von Film und Fernsehen, indem er zum Beispiel schreibmaschinengetippte Inserts verwendet. Seine Schnitte und Sprünge sind assoziativ und werden in späterer Zeit zunehmend freier, seine Ästhetik baut auf einen aufmerksamen und geschichtlich vorgebildeten Zuschauer. Er will Zusammenhänge nahelegen ohne sie zu behaupten – und dies sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Geschichte. Es geht ihm um Zusammenhänge von Gesellschaft, Geschichte und Ökonomie und das fernab einer auf psychologischen Handlungsmotivationen basierenden Filmästhetik. Mit den 16 DVDs ist nun ein zentrales Stück deutscher Film- und Gesellschaftsgeschichte verfügbar, das eindrucksvoll lehrt, die eigenen Sehgewohnheiten in Frage zu stellen und neu zu erlernen. Das ist eine lohnende Erfahrung (oder Wiederbegegnung)!
- Michael Grisko: Ratlos in Deutschland: „Help TV – Der Sender, der die Antworten kennt“
Michael Grisko: Ratlos in Deutschland: „Help TV – Der Sender, der die Antworten kennt“
„Da werden Sie geholfen!“ galt das Versprechen der Werbeikone Verona Feldbusch vor einigen Jahren nur für eine Telefonhotline, ist zum 3. November 2006 die moderne Variante unseres televisuellen Zeitalters hinzugekommen: „Help TV – Der Sender, der die Antworten kennt.“ Und das gleich im Plural. Gegründet in einer Zeit, in einer komplexen Lebenswelt, die Antworten zusehends schwieriger macht. Und das Bedürfnis nach Hilfe und Rat wird in unserer Gesellschaft größer werden. Bislang nur im digitalen Netz einiger Kabelhaushalte von 15.00 Uhr bis Mitternacht ist dies die zielgruppenspezifische und spartenkanalisierte Fokussierung von Werbung und Ratgebersendung. Dass Fernsehen sowohl in der fiktionalisierten als auch in der dokumentarisch-berichtetenden Form immer auch ein Stück Lebenshilfe war, ist nichts Neues: Mode, Recht, Finanzen, Kochen, Reisen: Information und Ratgeberfunktion gehen Hand in Hand und wurden seit der Einführung der privaten Sender auch zunehmend mit Unterhaltung und (Schleich-) Werbung verbunden. Die Grenzen zwischen journalistischem, unterhaltendem und werbendem Format waren also schon erodiert. Das neue Geschäftsmodell bündelt die schon seit den Hochzeiten des Öffentlich-Rechtlichen-Fernsehens gängigen Ratgeberformate, die in der näheren Vergangenheit mit Blick auf die Zuschauerbindung seit Jahren ausgebaut und durch die call-in-basierten Esoterikformate der privaten Sender zu nachtschlafender Zeit ergänzt wurden. Bislang sind es elf Millionen potenzielle Kunden und die Zahl wird wachsen. Es ist nicht zuletzt die Bühne für Fernsehpfarrer Flieges telemediale Auferstehung. Neben ihm sollen weitere Expertinnen und Experten für „individuelle, unabhängige und seriöse Informationen“ (Peter Pohl, Vorstand) stehen und die Leute zum Anrufen in der Sendung bewegen. Denn diese Studiohotline ist die Geldquelle des Unternehmens. 49 Cent pro Anruf sollen die Kosten des Unternehmens refinanzieren. Im Aufbau ist der Beratungsbereich für komplexere Antworten: Mit 1,99 Euro/Minute wird dann die Telefonrechnung belastet, und so ist schon nach ein paar Minuten zumindest die Frage beantwortet, ob es sich lohnt, zum Arzt oder Rechtsanwalt zu gehen oder ein Buch zu kaufen.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird sicherlich auch dann nicht beantwortet sein: Wer ist dafür eigentlich Experte? Vielleicht dann doch auch eher der Gang ins Internet: Denn natürlich bietet der Sender auf seiner Homepage auch schon die Produktion zielgruppengerechter Werbung an. Hier liegt neben den Gebühren für das Call-In und die On-Air-Werbung vermutlich auch das zweite ökonomische Standbein des Senders. Die Lockerung der Richtlinien bei Ärzten und Anwälten werden die Kassen auch hier zum Klingeln bringen – vorausgesetzt eine regional gebundene Zielgruppenprogrammierung wird möglich. Ob die Beratung dann noch ‚unabhängig’ ist, scheint fraglich – kann doch für diese Unabhängigkeit schon jetzt keine Garantie übernommen werden. Denn schon auf der Homepage heißt es: „Help TV ist deshalb nicht nur ein ideales Medium für alle, die Fragen haben. Auch Spezialisten aus allen möglichen Berufsfeldern, die sich und ihr Können einem größerem Publikum präsentieren wollen, finden bei Help TV die passende Sendung.“ Dass dieser Zugang von Help TV selbstlos gewährt wird, ist nicht zu vermuten. Aber es ist auch nicht jeder Anrufende zum Studiogast berufen. Denn natürlich kann nicht jedem Anrufer und jeder Anruferin eine telemediale Privataudienz bei Herrn Fliege oder seinen Kolleginnen und Kollegen gewährt werden. Der Wunsch live von Pfarrer Fliege gehört und beraten zu werden, wird nach dem Zufallsprinzip vergeben – bezahlt wird trotzdem.
Es ist ein billiges Format, verzichtet wird auf Einspielfilme und teuren Einstellungs- und Technikschnickschnack. Und in dem Studio in der Nähe von Dortmund – wer kennt schon die Seelenschmiede „Hörde“ – sind freie Kapazitäten erfolgreich genutzt, um „sensationell günstiges“, mehr wollte Stephan Mattukat (Vorstand Help-TV und ehemaliger 9Live-Programmdirektor) nicht verraten, Programm zu produzieren, für ein Publikum „quer durch alle Altersgruppen, beiderlei Geschlechts“. Im Stundenrhythmus wechseln die Themen, verspricht der Sender, das stimmt jedoch nicht ganz. Der Sendeplan wird dominiert von den weichen Themen mit Human-Touch und Sinnsuche- und Selbsterfüllungspotenzial wie Psychologie, Gesundheit, Wellness, Ernährung, Astrologie und Esoterik. Und natürlich Flieges Welt (jeden Tag zur Mittagszeit). Erst dann die Themen Medizin, Recht und Geld. Selbstverständlich darf auch die Dating-Ecke zu nachtschlafender Zeit nicht fehlen. Noch ersetzt der Anruf nicht den Gang zum Arzt. Die Experten sind gecastet, sollen aber eher sich selbst vertreten und kein Unterhaltungsbedürfnis. Eine verständliche Antwort ist das Minimum. So wird aus dem ehemaligen Rundfunk ein „Radio im Fernsehen“, so Stephan Mattukat. Der Vorstand des neuen Spartensenders sieht das Bild als Hilfsinstrument bei der Vermarktung, in dem Produktionsmodell und den entstehenden Kosten eine Möglichkeit, um neue Ideen zu realisieren und ein „individuelleres“ Erlebnis und einen individuelleren Zuschnitt von Fernsehen zu ermöglichen.
Es bleibt letztlich die Frage, ob ein derartiger Sender, wie in der Pressemitteilung versprochen, „das stetig wachsende Informationsbedürfnis in einer immer komplexer werdenden Welt“ stillen und „seriöse und unabhängige Beratung“ bieten kann oder ob es sich nicht doch nur um einen weiteren Versuch handelt, aus der Hilflosigkeit vieler, vor allem älterer Menschen, maximalen Profit zu schlagen. Wahrscheinlich eher letzteres.
- Michael Grisko: Telenovelas
Michael Grisko: Telenovelas
Sie heißen Lisa, Sophie oder Tessa, sind „Verliebt in Berlin“, „Braut wider Willen“, führen ein „Leben für die Liebe“ oder sind wie „Lotta in Love“ (so der Titel des täglichen Fernsehmärchens, im Frühjahr auf ProSieben anlaufen soll ).Nach dem Erfolg des sonst wenig experimentierfreudigen ZDF mit „Bianca – Wege zum Glück“ im Jahr 2005 und dem Deutschen Fernsehpreis im gleichen Jahr für „Verliebt in Berlin“ (SAT.1) gehört das Wort „Telenovela“ – in vielen medienwissenschaftlichen Lexika noch verschämt versteckt in den historischen Urgründen der „Serie“ – längst zum Wortschatz jedes durchschnittlichen deutschen Fernsehzuschauers und zum eloquent beschworenen Gegenstand feuilletonistischer Medienkritik. So diagnostizierte Andrea Kaiser im letzten Jahr die „fiktionale Karamelkernschmelze Telenovela“ und die erste Herzschmerz-Bianca wurde kurzerhand zum „blonden Seniorinnen-Engel des ZDF.“ (Kaiser 2005) Mittlerweile sendet das ZDF die Telenovelas im nachmittäglichen Doppelpack.Und so haben auch die Programmplaner der großen deutschen Sender längst jenes brückenschlagende Format zwischen bezahlbarem fiktionalen „Gefühlsfernsehen“ und hochindustriell gefertigtem Massenprodukt als Einstieg in die so wichtige Access-time des deutschen Vorabendprogramms entdeckt und wollen gar nicht mehr von ihm lassen.
Als Folge boomen die Produktionsfirmen (vgl. Siebenhaar 2005), neue Produzenten entstehen , es werden eigene Scriptschulen (vgl. Kals 2005) gegründet und kurzfristig kursierten sogar Pläne, ganze Sender mit dem segensbringenden Format der Telenovela zu bestücken. So plante das 1996 gegründete israelische Unternehmen Dori Media Group, das sich auf die Produktion und den Vertrieb von Telenovelas spezialisiert hat, ein eigenes Telenovela-Angebot. Als möglicher Starttermin (bei unklarem Finanzierungsmodell) wurde April 2006 genannt. Und nach dem Niedergang des deutschen Kinos sind es die deutschen Fernsehanstalten, die dafür sorgen, dass weniger der Mythos als vielmehr die Bilanz der Medienunternehmer in Babelsberg wieder leuchtet (Pauli 2005).Im Programmfluss sorgen die Telenovelas – im südamerikanischen Fernsehen attraktives Rahmenprogramm für hochpreisige Werbung – für eine erneute Veränderung des nachmittäglichen Fernsehprogramms. Langsam werden die Gerichtsshows von ihren Sendeplätzen verdrängt, die ihrerseits den Drang der Trash-Talkshows zur zunehmenden Fiktionalisierung längst habitualisiert hatten. Das kurzzeitig gehypte Reality-TV scheint auf dem Rückzug. Langsam schließt sich so vielleicht jene Lücke, die bislang noch zwischen den ebenfalls schon im industriell gefertigten Fließbandverfahren hergestellten Ermittlershows à la „Lenssen und Partner“ (SAT.1) und K11 (SAT.1) den Daily Soaps und den Gerichtsshows existiert. Die Telenovela verschärft den bereits seit einiger Zeit beobachtbaren und nun konvergierenden Trend zur Vereinfachung, Serialisierung und zunehmenden Vorhersehbarkeit im Bereich des fiktionalen Fernsehens. „Gefühlsfernsehen“ oder „Wohlfühlfernsehen“ nennen wohlwollende Programmplaner dieses im Trend der weichspülenden und schicksalsverstehenden „Kernerisierung“ und „Pilcherisierung“ des Programms mitschwimmende und mittlerweile Maßstäbe setzende Genre. Entscheidend ist wohl auch die Tatsache, dass im Gegensatz zu den erfolgreichen Daily Soaps, wie etwa „Marienhof“ (ARD), „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (RTL) und „Unter uns“ (RTL) und wöchentlichen Serien („Lindenstraße“, ARD) noch klarere Erwartungshaltungen und Gewissheiten beim Publikum bedient werden: Es sind nicht mehr mehrere Handlungsstränge, die miteinander verknüpft werden müssen. Im Mittelpunkt der Telenovelas stehen die Erlebnisse einer weiblichen Protagonistin (blond, langhaarig, ‚Seelchenblick’), die in neuer Umgebung die Liebe ihres Lebens – natürlich nach allerlei Umwegen – findet. Oder wie es Andrea Kaiser formuliert: „Auch künstlich verzögert, bleibt das Ende absehbar.“ (Kaiser 2005)
Es sind die bekannten und immer wieder gern bemühten Versatzstücke der Groschenheftdramatik, die – vor allem bei ZDF und ARD – gemischt werden: Standesunterschiede, Intrigen, Lügen, Missverständnisse, Verzicht. Es fällt nicht schwer, dem Spiegelkritiker zuzustimmen, der schrieb: „Die ZDF-Julias und ARD-Lauras sind absolut humor- und realitätsfreie Courths-Maler-Zone“. Die ARD variiert dieses Schema mit Soap-Sternchen Yvonne Catterfeld historisch. Und bei SAT.1, wo das in entsprechenden Stoffen mündende Interesse an den 19- bis 49-jährigen Zuschauern deutlich höher ist und auch schon mal der richtige Weihnachtsmann auftreten darf, ist die Protagonistin Lisa Plentzke schon etwas eigenständiger und -williger – es bleibt aber in der Grundlage die Wandlung vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan. Und damit ein modern gewandeltes Märchen und Glücksversprechen.Mittlerweile unverzichtbar sind die medienbegleitenden Aktionen im Internet (Chat, Fanclub, Lifestyle) und im Print-Bereich (Zeitschriften, Bianca-Romane). Und selbst gestandene Stern-Redakteurinnen dürfen fernab einer gesellschaftlichen Bewertung und übergreifenden kritischen Einordnung ihre Telenovela-Sehnsucht beschreiben (Holst 2005). Auch insofern nur eine Fortsetzung bekannter Verhältnisse und nichts Neues.Und die Gründe für den Erfolg? „Bianca“ erreichte einen Marktanteil von 24,6 % (12,3 % bei den 14- bis 49-Jährigen); „Verliebt in Berlin“ (startete bei 16,6 % bei den 14- bis 49-Jährigen, zwischenzeitlich bei ca. 25%) und „Sturm der Liebe“ (5 % bei den 14- bis 49-Jährigen). Die zwischenzeitlich gestartete ZDF-Telenovela „Julia“ brachte es nicht auf die Traumquoten der Vorgängerin „Bianca“. Vielleicht hat Claus Beling, Leiter der Hauptredaktion Unterhaltung Wort beim ZDF und Vater des Novela-Booms recht, wenn er in einem Interview betont: „Das Menschliche wird in einer Zeit, die in der Realität zunehmend als kalt empfunden wird, von vielen Menschen gesucht im Erzählen interessanter, sympathischer Figuren. [...] Je kälter die Außenwelt, desto interessierter ist man an einer warmen Menschlichkeit aus dem Fernsehen.“ Diese Menschlichkeit umfasst auch narrative und gesellschaftliche Vorhersehbarkeit, Überschaubarkeit und Gewissheit in einer zunehmend komplexeren Welt. Und so vermutet die Zeitung „Die Welt“ einen Trend: „Der Zuschauer ist offenbar des Kämpfens (Big Brother), Wählens (Deutschland sucht den Superstar) und Abstrafens (Dschungelcamp) müde.“ Das Publikum suche, „von Rezession und Hartz IV derart verunsichert“, so die Analyse weiter, „sein Heil nun in überschaubaren Strukturen und Abläufen – kurz in der Regression“. Unter dem Stichwort der Trivialisierung, unterfüttert mit Elementen der kritischen Theorie, hat man in den 1970er Jahren schon einmal auf die Gefahren der fiktionalisierten Darstellung standardisiert-menschlicher Verhaltensweise hingewiesen.
Wieder einmal mehr ist die Medienpädagogik gefragt, um Seh- und Rezeptionsgewohnheiten ausdifferenzierend zu hinterfragen.Viel stärker scheint der Schaden in einem anderen wichtigen Segment zu sein. Während sich die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsender konsequent einer Debatte über den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entziehen und die Programmkonvergenz schleichend voranschreitet, verliert sich das Kulturgut Fernsehen immer mehr zu einem reinen Wirtschaftsgut. Dies konstatiert auch der Medienpublizist Dietrich Leder in seiner Kritik an der ARD: „Die ARD handelt genau dort rein wirtschaftlich, wo sie einst kulturell bedeutsam war – auf dem Feld des Fernsehfilms, des Dokumentarfilms, der anspruchsvollen seriellen Erzählung. Sie verhält sich im Sinne eines kulturellen Protektionismus dort, wo sie wirtschaftlich agieren müsste. Oder anders gesagt: Unter dem Kunstvorbehalt steht in der ARD nur noch der Kitsch. Man kann sich auf elegantere Weise umbringen.“ (Leder 2005) Und auch der Spiegel muss feststellen: „Aber so konsequent und hemmungslos wie die Öffentlich-Rechtlichen wagt bislang kein Privatsender, die Kitschfenster sperrangelweit aufzureißen.“ Tatsache ist, dass der finanzielle Druck auf die privaten und öffentlich-rechtlichen Sender immer größer wird. Dies ist ein weiterer Grund für den Erfolg der Telenovelas, denn es sind vor allem neue und konsequent industrialisierte Produktionsweisen der Jahresserien, die nicht nur den kurzfristigen Erfolg garantieren, sondern langfristig das gesamte Produktionssystem umkrempeln.Denn auch im industriellen Bereich setzen die Produzenten neue Maßstäbe. Für das ZDF produziert Grundy UFA 47 Sendeminuten, d. h. eine komplett geschnitten und postproduzierte Sendung am Tag – bei geschätzten Kosten von ca. 110.000 Euro. Zwei Drehteams und mehrere Autoren und Storyliner arbeiten parallel an der Fertigstellung jeweils einer Folge. Krankheiten der Hauptdarsteller in dem jeweiligen Drehjahr: unerwünscht, Reaktionen auf neue Trends: jederzeit möglich.
Die Bavaria, Produzentin der ARD-Romanze „Braut wider Willen“, setzt auf die vollständig digitale Produktion und die direkte Übertragung der Drehergebnisse auf Festplatte und Server: Umkopieren und neu einspielen unnötig. Dieser sogenannte tapeless workflow spart Zeit und Kosten.Die Kosten diktieren also das Drehtempo und bestimmen am Schluss das gesamte Programm, deren Erzähltechniken und Ästhetiken. Es sind also weniger Fernsehexperimente im Gewand der Telenovela oder der „romantischen Serie“ als vielmehr die konsequente Fortsetzung bereits industrialisierter Programmmarken und -formate in einem von Seiten der Fiktionalisierung und Industrialisierung radikal zu Ende gedachten und auf den aktuellen deutschen Fernsehmarkt zugeschnittenen Setting, das – solange es Quoten bringt – auf den Sendeplätzen zu finden sein wird.
Literatur
Gangloff, Tilmann P. (2005). Sehnsucht nach der schönen heilen Welt. In: Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2005
Holst, Evelyn (2005). Bye-bye, Bianca! In: Stern, 06.10.2005
Kals, Ursula (2005). Aschenputtels Erben. Drehbuchschreiben für die Telenovelas. Solides Handwerk und viel Süßstoff. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2005
#Kaiser, Andrea (2005). Kreativmaschinerie. Telenovelas und ihre billige Produzierbarkeit. In: epd-Medien, 23.11.2005Pauli, Harald (2005). Babelsberg leuchtet wieder. In: Focus, 19.12.2005
Siebenhaar, Hans Peter (2005). Telenovelas bescheren UFA Rekorderlös. Deutschlands größter Fernsehproduzent hängt den von Krisen gebeutelten Konkurrenten Bavaria ab. In: Handelsblatt, 19.10.2005
- Michael Grisko: Am Anfang war der Dosenöffner
Michael Grisko: Am Anfang war der Dosenöffner
Waren das noch Zeiten, als man monatlich ei-nen leicht verschmerzbaren GEZ-Beitrag für ein terrestristisch empfangendes und mit der einstelligen Fernbedienung zu kontrollierendes Programm zahlte. Eine Postkarte reichte, um am Gewinnspiel „Tor des Monats“ oder „Galopper des Jahres“ teilzunehmen, ein Anruf mit der Post kostete 20 Pfennige und die Bestellung im Versandhaus war ein zwar gängiger aber noch nicht üblicher Weg des Shoppens – damals noch „Einkauf“. Das waren auch die Zeiten als „Einer wird gewinnen“, „Am laufenden Band“ und „Das heitere Beruferaten“ die maximale Beteiligungsform des Otto-Normalbürgers am Fernsehen darstellte, das noch nicht rund um die Uhr sendete und mit der Nationalhymne oder Bahnfahrten durch deutsche Lande sein Programm beendete. Doch genug des medienarchäologischen, vulgo nostalgischen, Lamentos. Denn es ist viel Zeit vergangen und es hat sich alles geändert. Vergangen sind auch die goldenen Zeiten des werbefinanzierten Privatfernsehens, das als „gesellschaftsverändernde Kraft“ (Bernd Gäbler) angetreten war und dem mitt-lerweile gesamtdeutschen Haushalt eine in Eu-ropa unerreichte Zahl freiempfangbarer Programme bescherte.Dies war die Zeit, die von der europäischen Liberalisierung des Rundfunks begleitet wurde. Aus dem Kulturgut Fernsehen wurde ein Wirtschaftsgut, in dem nunmehr Werbezeiten und -formen reguliert werden mussten – gelegentlich auch noch der Jugendschutz.
Es herrschte Goldgräberstimmung im Dualen Rundfunksystem. Nur wenige Skeptiker warnten vor einer Konvergenz der Programme und vor einer endlichen Steigerung der Werbeeinnahmen. Schließ-lich markierte der Zusammenbruch des Medienmoguls Kirch das Ende dieser Zeit, seit der nun rund um die Uhr gesendet wurde, in der aus drei öffentlich-rechtlichen Sendern fast acht wurden (hinzu kamen die nun auch via Satellit empfangbaren Dritten), in der man sich aussuchen musste, ob man sein Programm durch das Kabel, die Antenne oder denSatellit empfangen wollte und in der CNN, NBC und weitere ausländische Sender zum festen Programmbestandteil wurden. Mit dem Einstieg von Premiere begann zu-dem eine neue Ära. Erstmals wurde es decoderverschlüsselt und bankabbuchungsgesteuert möglich, gezielten Zugriff auf Programmplattformen zu gestatten. Damit wurde ein noch nicht abgeschlossener Prozess in Gang gesetzt: Die zunehmende Digitalisierung der Fernsehvertriebswege wird die Frage des individuellen beziehungsweise regionalen Zugangs via Bezahlung verschärfen. Auf Seiten der Rechteinhaber von Programminhalten wird die technisch mögliche Differenzierung natürlich finanziell begrüßt. Und das betrifft nicht nur die Spielfilmindustrie. Die gerade abgeschlossene Diskussion um die Vertriebswege der Fußball-Bundesliga, sorry, T-Com-Bundesliga, durch das Breitbandinternet, den Bezahlsender Arena und die übliche Nachverwertung in Sportschau und Sportstudio der Öffentlich-Rechtlichen ist da erst der Anfang. Auch das gerade zur WM angelaufene Handy-TV, dem von den Wirtschaftsanalysten astronomische Zuwachsraten vorausgesagt werden, bildet eine weitere willkommene Einnahmequelle.
Die Kosten können nur durch entsprechende Gebühren oder Werbung refinanziert werden. Doch zurück in die nahe zurückliegende Vergangenheit.Die knapp 20 Jahre seit Anfang der 80er Jahre bewirkten einen nachhaltigen Lerneffekt. Der Zuschauer wurde auf die schöne neue Fernsehwelt vorbereitet, die mit der einstmaligen Programmorientierung wenig zu tun hatte: Seit 1979 hatte er gelernt, was ein TED (unidirektionales Kommunikationsverfahren mit dem Telefon als Rückkanal, kurz: Tele-Dialog) ist und konnte so an ersten Abstimmungen teilnehmen (auch wenn das bei „Wetten dass?“ immer etwas seltsam anmutete), er hatte die erste Bekanntschaft mit Dauerwerbesendungen à la „Der Preis ist heiß“, „Glücksrad“ und „Geh auf’s Ganze“ gemacht, er war vielleicht auch schon den Versuchungen erlegen eine jener geifernden 0190er-Nummern anzurufen, die von halbbekleideten Damen angepriesen wurden und viel-leicht hatte man auch schon mal einen sündhaft teuren Faxabruf gestartet oder dieses Haushaltsgeräteset gekauft, das auf einem der schlecht synchronisierten amerikanischen Homeshopping-Sender angeboten wurde. Der Konsument war vorbereitet, die Entwicklung dieser zunehmenden Kommerzialisierung des Rundfunks, nämlich die Verschiebung vom Fernsehen als Lagerfeuer der Gesellschaft zum Fernsehen als point of sale kam nicht über Nacht. Aus dem Fenster zur Welt, wurde so das Warenschaufenster der Welt.Heute begegnet uns die anhaltende neo-liberale Kommerzialisierung der Gesellschaft auch im Fernsehen mit einer alle Distributionswege, Sender, Programmformen und -inhalte durchdringenden Kraft. Fernsehproduzenten und die Werbewirtschaft ziehen an einem Strang und können sich immer weniger der alles verändernden Macht des ökonomischen Denkens entziehen.
Der Zuschauer wird in dieser Logik zum Konsumenten, was zählt ist Massenpublikum, die Quote. Und auch die PR-Industrie hat ihre Hausaufgaben gemacht, ihre Methoden verfeinert. Was einstmals mit Werbefernsehen zuguns-ten kultureller Projekte im Bayerischen Rundfunk seinen Anfang nahm, versteckt sich heute in Rat-gebersendungen à la „Volle Kanne“ (ZDF), einst-mals auch als Schleichwerbung im „Marienhof“ oder „Tatort“ (ARD), vor kurzem auch als gekaufter Musikjingle bei der „Sportschau“ (ARD). Und auch bei der dauerhaften Präsenz der AVD-Experten in allen Sendungen von SAT.1 nicht an Schleichwerbung zu denken fällt schwer. Gleichzeitig wurden bei allen Sendern die sogenannten Sonderwerbeformen entdeckt und professionell zur veritablen Cash-Cow ausgebildet. Sponsorenhinweise vor einzelnen Programmteilen oder Sendereihen, Splitscreens im Abspann und während der Sendung sind nur die deutlichsten Ver-änderungen. Die privaten Sender haben konsequent ihre von den Senderhomepages abgeleiteten Onlineshops ausgebaut, setzen konsequent auf Merchandising und Crosspromotion. Sicherlich auch ein Grund, warum die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen so aggressiv bekämpft werden. Hinzu kommt die inflationär gestiegene Anzahl der Gewinnspiele. Ein doppelt bezahltes Programm. Denn es ist nicht nur billig produzierte Werbezeit für die jeweiligen Sponsoren der Preise, sondern wird vom Zuschauer durch die Teilnahme refinanziert. Ob per SMS oder Telefon, die neue Technik macht es möglich, dass der Sender mitverdient.
Denn von den 49 Cent des Anrufs/der SMS bleibt ein großer Teil direkt beim Veranstalter hängen. Die Postadresse hat ausgedient, wird nur noch verschämt am Schluss eingeblendet. Sendezeit wird so zur Werbezeit für den eigenen Verdienst. Am konsequentesten hat diese Idee der Sender „9Live“ zum schwarze Zahlen produzierenden und an die ProsiebenSat1-Gruppe verkauften Programm gemacht. Nach dem Versuch als Frauen- bzw. UEFA-Cup-Sender zu reüssieren, war es Christiane zu Salm, die den Sender kon-sequent umbaute. „Transaktionsfernsehen“ nennen sie nun diese „grenzdebilen Telefon-Ratespiele“ (Christian Imminger). Man könnte es auch Schrei-TV nennen: „Erkenne den Fehler im rechten Bild!“, „Welches Wort, welches Schlangenwort, welches Wort mit dem Anfang ‚Sport-’ suchen wir?“ Günstig produziert, brüllen die Moderatoren ins Fernsehen: „Rufen Sie an“, „Hotbutton-Runde“, „Eine Millionen Gewinne im Monat garantiert“ und dabei kommt es nur da-rauf an, das Spiel solange hinzuziehen, bis die nicht durchgestellten anrufenden Zuschauer – getröstet durch eine elektronische Stimme – die Sendeminuten refinanziert haben. Ein Konzept, das sich neben den immer noch gern gesendeten Erotikauskunftsnummern und Singledatings per SMS auch in den Abendstunden anderer Sender durchgesetzt hat – hier wie bei 9Live dann auch mal gerne in der Tutti-Frutti-Variante mit halbnackten Moderatorinnen, die sich nach und nach ausziehen. Von den 49 Cent pro Anruf verbleiben nach Branchenkreisen circa 30 Cent im Sender, der seit 2002 schwarze Zahlen schreibt und für 2005 einen Gewinn von 8,8 Millionen (25,8 Millionen Umsatz) eingefahren hat. Wichtig ist für den Sender die Kundenbindung, die über ein neues Clubsystem garantiert werden soll. Dass aus diesen Clubmitgliedern wieder Anrufer und Kunden anderer Produkte gemacht werden sollen, liegt auf der Hand. Parallel zu dieser ökonomischen Erfolgsgeschichte musste der Sender jedoch einige Prozesse ob der Fragwürdigkeit seiner Gewinnspielpraktiken führen.
Scheinbar löst dieses Verfahren auf spielerischem Wege die alte Forderung einer demokratischen und barrierefreien Partizipation an einem populären Medium. Aber tatsächlich sind auch die SMS-Grüße auf MTV keine Form der Partizipation. Es gibt keinen Einfluss, die Regeln machen die Sender zugunsten ihrer Aktionäre und ihrer Bilanz, der Zuschauer ist nur Mittel zum Zweck. MTV ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Mittlerweile wird das Programm von aggressiver Klingeltonwerbung unterbrochen. Diese sind eine radikal modernisierte und im Gedanken des Medienwechsels vom Clip zum Klingelton als Werbeträger – wobei sich mitt-lerweile die Frage stellt, ob die Musik nicht Wer-bung für die Klingeltöne ist – Fortschreibung des Musikwerbesenders alter Zeiten.Ebenfalls als fester Programmbestandteil hat sich das Homeshopping etabliert. Ob als Spartenvariante (Sonnenklar TV) oder Vollwarenhaus mehr als 5,4 Millionen kaufen schon regelmäßig im Fernsehen ein. Es sind vorwiegend Frauen über 40, die 2005 für etwa eine Milliarde Euro einkauften. Mikrofaser-Bettwäsche und Handtücher, Diamonique-Schmuck, Slinky-Blusen und Hosen in allen gängigen Altersfarben wandern via Bildschirm zum Verkäufer. Die Branchenriesen sind QVC (Düsseldorf), Home-Shopping-Europe 24 (HSE 24, Ismaning, gegründet 1995 unter dem Namen „Hot“) und der RTL-Shop. So sendet HSE 24 Stunden Programm, zwei Drittel davon live, in einer Stunde werden knapp zehn Produkte vorgestellt, teilweise Eigenmarken. Am Tag werden circa 22.000 Anrufe entgegengenommen und 21.000 Päckchen verschickt. Das ideale Produkt kostet zwischen 20 und 100 Euro, soll eine gewisse Exklusivität mitbringen und muss natürlich im Fernsehen vorgeführt werden können.
Auch hier ist der Live-Charakter wichtig. Nicht nur, dass immer wieder Kundinnen, die sich meist als langjährige Einkäuferinnen outen („Ich habe alle Handtücher in jeder Farbe“), zur Identifikation und Kundenbindung in die Sendung durchgestellt werden, auch der Verkauf kann so gezielt gesteuert werden. Läuft das Produkt im Call-Center gut, bleibt es etwas länger auf Sendung, läuft es schlechter, kommt es zu einem späteren Zeitpunkt wieder, denn die mit Abstand absatzstärksten Zeiten sind die Prä-sentationszeiten On-Air. Eine neue Form, das Homeshopping als Auktion präsentiert der Sender „1-2-3.tv“. Bei einem Produktionspreis von 7,50 Euro in der Minute und einer vollständig outgesourcten Dienstleistungskette verkauft der Münchner Sender Restposten, Konkursware, als „Chronografen“ getarnte Uhren (bei denen ich versteckte Werbung für die jeweilige ‚Marke’ vermute) und sonstige limitierte ‚Schnäppchen’ innerhalb eines bestimmten Zeitraums per Telefoneingabe (und verdient vermutlich schon an dem überteuerten Anruf von 24 Cent) und dem Internet. Es gibt jeweils nur eine begrenzte An-zahl und nach dem Ende des Zeitraums bezahlen alle den Preis des niedrigsten Gebots. Bei der anderen Variant sinkt der Preis stetig, der letzte einsteigende Telefonbieter bestimmt den Preis.Dass das Programm am Anfang nur Feigenblatt für die Werbung war (Soap-Operas) ist mithin ein Gemeinplatz in der Rundfunkgeschichte, dass eine im Radio verkaufte Ladung Dosenöffner als Bezahlung für Werbezeiten in Amerika der Beginn des heutigen Homeshoppings war, lässt uns wenig erstaunen. Die digitale Technik und der ökonomische Druck sind der Motor eines laufenden Umbaus einer nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland ge-borenen Rundfunkidee: Fernsehen als demokratisches Medium der Aufklärung, der verbindenden Unterhaltung.
Gleichzeitig zu den gestiegenen Zugangskosten, die aus dem vermeintlichen Free-TV auch ein – wenn auch besseres – Pay-TV machen, findet eine zunehmende auch durch Geld vorangetriebene Ausdifferenzierung der Angebote und zunehmende Segmentierung in Premium- und Basisangebote statt, wobei die Tendenz Programme nur als Transportmedium für eine weitere Ökonomisierung zu verwenden dadurch nur in Teilbereichen aufgehalten wird, vielleicht nur subtiler wird. Die Veränderungen vollziehen sich schleichend, in allen Bereichen und greifen ineinander. Und die Diskussion da-rüber, welches Fernsehen die Gesellschaft in der Gegenwart und Zukunft will, wird zunehmend von den PR-Agenturen und vom Marketing und den Controllern der Sender geführt. Das tut dem Medium und letztlich auch unserer Gesellschaft nicht gut.
Beitrag aus Heft »2006/05: 50 Jahre merz - 50 Jahre Medienpädagogik«
Autor: Michael Grisko
Beitrag als PDF - Michael Grisko: Fernsehmuseum Berlin
Michael Grisko: Fernsehmuseum Berlin
Mit einer Ausstellung zu Fernsehen und Fußball soll das Fernsehmuseum Berlin im Frühjahr / Som-mer 2006 eröffnet werden. Realisiert wird das Fernsehmuseum von der Stiftung Deutsche Kinemathek, unterstützt vom Senat für Kultur und Wissenschaft des Landes Berlin, gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Europäische Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) stellen knapp vier Millionen Euro für den Aufbau des bundesweit einmaligen Museums zur Verfügung. Auf einer Fläche von insgesamt 1.200 Quadratmetern ist im Filmhaus am Potsdamer Platz eine Dauerausstellung zur deutschen Fernsehgeschichte, eine Programmgalerie, in der Sendungen aus 50 Jahren Fernsehen wiederentdeckt werden können, ein Medien- und Technologielabor sowie Sonderausstellungen und Veranstaltungen zum Medium Fernsehen geplant.
merz: Warum ausgerechnet ein Fernsehmuseum? Kann man Fernsehen überhaupt musealisieren?
Kubitz: Nach einem halben Jahrhundert ist das Fernsehen reif fürs Museum.Es hat seine ganz eigene Geschichte ausgeprägt, seine eigenen Formen des Erzählens, die ganz anders funktionieren als die des Kinos. Fernsehen findet praktisch in jeder Wohnung statt. Die Bilder, die es dem Zuschauer täglich entgegenbringt, sind höchst unterschiedlich: Solche von hohem künstlerischen Niveau stehen neben platter Alltagsware, die für den schnellen Konsum produziert wird. Die Werbung neben den Nachrichten. Der Krimi neben dem Kleinen Fernsehspiel. Der Sport neben dem Wahlspot. Die Volksmusik neben dem Video-Clip und dem großen politischen Life-Ereignis, das Menschen - wie beim Fall der Mauer, am 11. September 2001 oder bei der Beerdigung des Papstes - über alle nationalen und kulturellen Grenzen hinweg vor dem Bildschirm „vereint“. Diese Vielfalt im Besonderen und im Alltäglichen ist Gegenstand unseres Fernsehmuseums, des ersten seiner Art in Deutschland. Und das nicht zuletzt deshalb, weil sich viele diese Bilder im individuellen und kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben. Sie sind Teil unserer Biografien geworden und gleichzeitig berichten sie in einem breiten Spektrum von den ökonomischen, den geistigen und den politischen und sozialen Veränderungen und Konstanten in unserer Gesellschaft.
merz: Was ist die besondere Herausforderung? Und wie dynamisch muss ein solches Museum angesichts der immer kurzfristigeren Programmtrends sein?
Kubitz: Wir sind vier Kuratoren, die sich durch die Bilderwelt der Fernsehgeschichte, nicht nur aber vor allem der nationalen, der aus Ost- wie aus Westdeutschland, arbeiten, immer auf der Suche nach dem besonderen Stück, das nicht vergessen werden darf, weil in ihm mehr angelegt ist als ein modischer Aspekt, mehr als der Zeitgeist sozusagen. Auf der Suche nach jenem Stück, das in der Programmgalerie unseres Museums seinen besonderen Platz erhält und dort von den Besuchern in ganzer Länge und kommentiert mit Materialien aus unserer Datenbank (Produktionsangaben, Kritiken, Interviews mit den Beteiligten zum Beispiel) wiedergesehen, neu gesehen und bedacht werden kann. Unabhängig davon, ob und wann unsere Partner, die Sender (privat-kommerzielle wie öffentlich-rechtliche), es noch einmal zeigen werden. Die Sendung, der Beitrag, die Show, der Film, die es bei uns geschafft haben, in die Programmgalerie aufgenommen zu werden, gehören damit gewissermaßen zum Fernseh-Olymp. Das gilt nicht nur für einzelne Produktionen, das gilt natürlich auch für Personen, für die Stars, die für ein ambitioniertes, couragiertes, ungewöhnliches Programm stehen. Das Genre spielt dabei keine Rolle, es kommt auf die Qualität an. Es geht da bei uns ein bisschen so zu wie beim Grimme-Preis, beim Deutschen oder beim Bayerischen Fernsehpreis.Anderseits wenden wir uns nicht in einer elitären Geste von dem seriellen Tagesprogramm ab, nach dem Motto „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Denn dieses Programm ist ja signifikant für das Medium. Deshalb und weil sich das Fernsehen auf diesem Sektor täglich selbst auffrisst, zerstört und ständig neu erfindet, gehört als zweites Bein, als Spielbein zum Museum der Bereich der Sonderausstellungen, der Konferenzen und der Diskussionsforen. Dort widmen wir uns auch dem schnellen Geschäft, der Bildertrommel. Aber immer auch im Zugriff, mit Blick auf die so schnell aus dem Auge verlorene Vergangenheit. Die erste Sonderausstellung wird sich zur Eröffnung im kommenden Frühjahr mit der Sparte Sport, genauer mit der Geschichte des Fußballs im Fernsehen befassen - naheliegend anlässlich der WM 2006 in Deutschland. Unser Partner hier wird neben anderen die DFB-Kulturstiftung sein, die diese Ausstellung in ihr Hauptstadtkulturprogramm aufgenommen hat und sehr großzügig finanziell fördert.
merz: Wie sieht ein imaginierter Besuch im Fernsehmuseum aus?
Kubitz: Das Schöne ist ja: Jeder unserer Besucher ist, vom Kind bis zum alten Menschen, in gewisser Weise mit einer sehr eigenen Fernsehkompetenz ausgestattet. Deshalb kann sich jeder auch mit hoffentlich großem Gewinn im Museum aufhalten, wie und solange er will und dort verweilen, wo ihn unser Angebot besonders reizt oder anspricht. So gibt es zum Beispiel einen durchweg ver-spiegelten Raum, entworfen wie das ganze Museum von dem renommierten Architekten Hans-Dieter Schaal. In diesem Spiegelsaal wird die serielle Bilderwelt und Bildergeschichte des Fernsehprogramms noch einmal ins Unendliche fortgesetzt, eine spektakuläre Raumskulptur, in der sich, chronologisch geordnet, die Bilder des Programms auf so sonst nie zu sehende Weise noch einmal vor einem auftun, aufblättern. Diese Revue, diese Show wird 10 bis 15 Minuten dauern. So animiert kann der Besucher in einem zweiten Raum mehr informativ an die Sache herangehen und sich in einem Zeit-Tunnel die Geschichte des Mediums hinter den Programmbildern erzählen lassen. Nicht nur die Technikgeschichte, sondern auch die aufregenden politischen Zusammenhänge, in denen das Fernsehen von Anbeginn eine Rolle spielte. Von den ersten Testbildern Ende der Zwanziger Jahre, den Fernsehversuchen auch in anderen Ländern, über die Nazizeit (in der allerdings das Radio als das große Propaganda-Instrument die wesentlich bedeutendere Rolle spielte), über den Aufbau des Fernsehens in den alliierten Sektoren ab 1945 bis hin zu den unterschiedlichen Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten, die sich, parallel zum Ende des Kalten Krieges, erst 1989/90 miteinander verbanden.Über die Programmgalerie und den Bereich der Sonderausstellungen haben wir ja bereits gesprochen
merz: Wie sehen und nutzen Sie die Verbindung zum Filmmuseum im eigenen Hause? Müsste man angesichts der derzeitigen Entwicklungen nicht eher ein „Museum des Bildes“ eröffnen?
Kubitz: Ein „Museum des bewegten Bildes“ meinen Sie. Genauso ist es, genauso wird es sein. Wir verstehen das Filmhaus am Potsdamer Platz als einen Ort, an dem alle, die dort arbeiten, sich mit Leidenschaft der gleichen Sache, der Geschichte des bewegten Bildes, verschrieben haben und diese der Öffentlichkeit zur Unterhaltung und zu geistvoller Auseinandersetzung präsentieren wollen. Das gilt für die Freunde der Deutschen Kinemathek, mit den beiden Programmkinos Arsenal 1 und 2, ebenso wie für die Lehrer und Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, deren Arbeiten hoffentlich eines Tages auch einmal zum festen Programm unseres Museums, unserer Museen gehören werden. Und selbstverständlich gilt das auch für unsere ausgezeichneten Beziehungen zu dem großen Filmhaus-Nachbarn am Potsdamer Platz, der Berlinale.Es gibt - nimmt man noch die ganzen Kino- und Museums-Komplexe und die Philharmonie am Kulturforum hinzu - mithin keinen besseren Standort für das Film- und das Fernsehmuseum in dieser Republik als den Potsdamer Platz als Teil der neuen Mitte in der Hauptstadt.merz Was kann der geplante medienpädagogische Teil der Ausstellung leisten? Wie sieht er konkret aus?Kubitz Kurz und klar: Es fehlt - für das Kino wie für das Fernsehen - an unseren Schulen noch immer eine sinnvolle, systematische Einführung in die Regeln und Gesetze der Sprache des bewegten Bildes. Da sind wir in Deutschland, verglichen mit anderen europäischen Nachbarn, Frankreich zum Beispiel, wahre Analphabeten.
Unterstützt von den Landesmedienanstalten, unterstützt zudem von unserem Großsponsor „Veolia“, arbeiten wir im Fernsehmuseum auch an einem Medienlabor, in dem wir, in Kooperation mit drei ganz unterschiedlichen Schulen in Berlin, ausprobieren werden, was auf diesem Gebiet möglich ist.Vorschau unter www.filmmuseum-berlin.de
- Michael Grisko: Weder Populärkunst noch Akademikerkanon: DVD-Reihe der SZ
Michael Grisko: Weder Populärkunst noch Akademikerkanon: DVD-Reihe der SZ
Erfolgreichster Vorreiter der multimedialen „Tschi-boisierung“ des Zeitungsmarktes war und ist die Süddeutsche Zeitung. Nach einer Reihe mit günstigen Romanen und CDs im Bereich klassischer Musik, erscheint nun jede Woche – auflagenstark und prominent im eigenen Feuilleton beworben – eine DVD der „SZ-Cinemathek“ im Buchhandel. Sebastian Berger, Pressesprecher der SZ, sieht diese Aktion „als logische Fortsetzung der bisherigen Projekte“, denen weitere (geplant ist eine Pop-Musik-Edition als CD- und Buch-Package) folgen werden. Während die im letzten Jahr verkaufte DVD-Edition des „Stern“ kaum zur Kenntnis genommen wurde – und das trotz oskarprämierter Highlights – liegen die Verkäufe, nach Angaben des Verlags, „innerhalb der Erwartungen“. Profitiert wird dabei von einem insgesamt boomenden DVD-Geschäft.Dabei erhebt die Auswahl der 50 Silberlinge nicht den Anspruch eines – wie auch immer definierten – filmgeschichtlichen Kanons oder beschränkt sich auf deutschsprachige Filme. Das ist strategisch sehr klug. Denn gerade an diesem seit seiner Erfindung stark internationalisierten Medium Film müsste eine Kanonkonzentration auf 50 Beispiele zwangsläufig scheitern.So erfolgte die Auswahl der Regisseure nach „subjektiven Kriterien der Feuilletonredaktion“ und ist somit weder ein Kanon nach „Geschmackskriterien noch nach Popularität“ – verzichtet wurde jedoch auf Stummfilme, so dass etwa ein Film Sergej Eisensteins, Fritz Langs oder David W. Griffith fehlt.
Dafür sind aber Billy Wilder („Küss’ mich Dummkopf“) und Ernst Lubitsch („Ninotschka“) mit Ihren frühen Tonfilmen vertreten. Auffälligerweise fehlen ebenfalls Werke von Fassbinder, der sicherlich in eine Reihe mit Alfred Hitchcock („Der unsichtbare Drit-te“), und Orson Welles („Im Zeichen des Bösen“) gehört. Allein angesichts dieser beiden Leerstellen könnte die Reihe nicht mehr den Anspruch eines filmgeschichtlichen Überblicks beanspruchen. Stummfilmklassiker fielen sicher den pessimistischen Umsatzerwartungen zum Opfer, was auch die Absenz eines DEFA-Films, etwa von Wolfgang Staudte oder Frank Beyer erklären könnte. Bei den Fassbinder-Filmen lassen sich eher Lizenzprobleme vermuten. Auch wenn von Seiten des Verlages betont wird, man habe nahezu alle gewünschten Lizenzen bekommen. Innerhalb dieses Rahmens, der neben dem Redaktionsgeschmack indirekt auch die Vorlieben der Leserschaft und des darüber hinaus erwarteten Publikums bedient, ist die Auswahl überraschend - und das in jeder Hinsicht. Sowohl im Bereich der Genres als auch im Bereich der ästhetischen Stilbildung sind zahlreiche Klassiker und Wiederentdeckungen berücksichtigt.
So finden sich Beispiele des Italienischen Neorealismus, der Nouvelle Vague („Fahrenheit 451“, „Die Verachtung“), des Film Noir ebenso wie Vertreter der dänischen Dogma-Filmbewegung („Das Fest“) und des Hollywood-Mainstreamkinos („Terminator 2“, „Out of Sight“, „Magnolia“). Hinzu kommen Publikumslieblinge (wie „Harold and Maude“) und Klassiker („Uhrwerk Orange“, „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, „Haie der Großstadt“), aber auch richtige Raritäten (et-wa Josef von Sternbergs „Marokko“). Festzuhalten gilt: Es ist zunächst eine Auswahl für Cineasten. Gleichwohl bieten einzelne Filme der Reihe mit der entsprechenden kino- und stilgeschichtlichen Kontextualisierung auch die Möglichkeit, internationale Filmgeschichte zu schreiben. Die Zusatzfeatures sind knapp gehalten: Neben der Mög-lichkeit, zwischen Original- und Synchronfassung (gelegentlich auch Untertitel) zu wäh-len, verzichten die Herausgeber – sicherlich auch aus Kostengründen – auf weitere Bonusmaterialien, ledig-lich im Booklet findet man einige Hinweise zum Making-of und zur Biografie des Regisseurs.