Dr. Kurt Oesterle
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Kurt Oesterle: Körperlose Partisanen
Rechtsextremisten, sonst eher der Scholle verhaftet, sind im Internet längst heimisch geworden. Dem Verfassungsschutz bereitet es Kopfzerbrechen, dass die Zahl ihrer Webseiten sich seit 1996 verzehnfacht hat. „Befreite Zonen“ nennen sie ihre Netze, Sites und Homepages, doch wer ihrem Gesinnungsaustausch eine Weile beiwohnt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, an den altbekannten, nur ins Virtuelle gehobenen Stammtischen zu sitzen. Auch im Cyberspace möchte man unter sich sein und mit einer Zunge sprechen. Deshalb streitet ein „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ dort für die Entamerikanisierung des Computeridioms und fordert strengste Eindeutschungen: für „World wide web“ etwa „Weltwabergewebe“.
Doch im Internet agiert auch eine rechtsextreme Elite. Sie betreibt zum Beispiel die Webseite der „Vrij Historisch Onderzoek“ (VHO), eines belgischen Verlags, der nach England getürmt ist und in dem auch rechtmäßig verurteilte und darum abgetauchte deutsche Neonazis mittun. Die VHO ist schon länger mit einer „Link-List of banned literature“ im Internet vertreten, einer Aufstellung von rund hundert Büchern, die in einem oder mehreren europäischen Ländern verboten sind, vor allem weil sie in sämtlichen Varianten des sogenannten Revisionismus die planmäßige Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland leugnen. Die eingescannten Originale dieser Bücher - hinter jedem steht höhnisch der Gerichtsort und das Aktenzeichen - sind mit einem einfachen Link zu erreichen und können ohne großes Strafrisiko für Anbieter und Nutzer auf Diskette kopiert und ausgedruckt werden.Inzwischen fühlt sich die VHO offenbar auch für die Cyberspace-Ideologie der Rechten zuständig. Sie hat ein Strategie- oder besser Legitimationspapier in Umlauf gebracht, das die Globalisierungsfeinde und Technikphobiker in den eigenen Reihen fürs Internet weltanschaulich kompatibel machen soll.
Ein Dokument, das belegt, wie sehr der europäische Rechtsextremismus seinen bisweilen beträchtlichen Rückstand auf die schon immer fanatisch computergläubigen amerikanischen Neonazis aufgeholt hat. Die Rechte im Net hat sich einen mythischen Anstrich verpasst, der vor allem Jugendliche beeindrucken soll.Den alten Polit-Agitator, der von Podesten herab seine „Wortraketen“ abfeuert und im Verein mit Gleichgesinnten Flugblätter hinter die Scheibenwischer parkender Autos klemmt, erklärt sie für tot. An seine Stelle tritt der „Cyber-Aktivist“, der auf sich allein gestellt ist und keine Partei mehr braucht; den Zusammenhalt stiftet das Netz. Der Cyber-Aktivist hat weder Namen noch Gesicht - so kann er am leichtesten seiner Taktik folgen: zuschlagen und abtauchen. Er ähnelt Carl Schmitts „Partisan“ oder Ernst Jüngers „Waldgänger“, zwei Figuren aus der Typologie der Rechten, die nach 1945 aus dem Gefühl schmählicher Niederlage und Ächtung entstanden sind. Durch sie aber wird der virtuellen Realität, die den Anschein eines Kinderspiels nie ganz verlieren will, der kriegerische Ernst der Tradition eingeblasen. Der Cyber-Aktivist darf sich nun auch vor den Veteranen der Bewegung „ehrbar“ fühlen.
Was er tut, soll ihm das Gefühl des Erhabenen geben. Zwar sitzt er daheim vor seinem Bildschirm, dennoch überquert er „in Blitzesschnelle“ - ein alter Faschistentraum - den „Sprach-Ozean“. Zwar steckt seine Macht einzig und allein im Finger, die den Mausklick betätigt, dennoch befördert er eine „bislang ungehörte, ungeträumte Fracht“ zu weit entfernten „unverdorbenen Küsten“. Surfend verbindet er das fortschrittlichste Medium mit den kollektiven Archetypen, an denen das Herz der Rechten schon immer hing. Er soll den Cyberspace als Raum oder Landschaft erfahren, die er beherrschen kann. Ideologisch derart gerüstet, stürzt der Aktivist sich ins „letzte intellektuelle Abenteuer“ dieser Zeit: das Abstreiten des Holocaust.Wer glaubt, westliche Gesellschaften seien dagegen größtenteils immun, halte sich folgende Zahl vor Augen: Im Verlauf von nur zwei Jahren sollen von der Webseite des deutsch-kanadischen Auschwitzleugners Ernst Zündel über eine Million revisionistische Artikel abgerufen worden sein. Eine politisch unter Druck geratene Provider-Firma kündigte daraufhin zwar die „Zundelsite“, die Revisionisten in aller Welt meinten aber trotzdem, einen Sieg verbuchen zu dürfen. Jedenfalls sehen sie sich, wie das Beispiel der VHO-Webseite zeigt, zum Weitermachen ermutigt. Der Geschichts-Revisionismus - außer den Todeslagern leugnet er auch die deutsche Kriegsschuld - war und ist das Pilotprojekt der Rechtsextremisten im Internet. Und umgekehrt scheint ihnen das Net die ideale Waffe, die „Staatsreligion Holocaust“ gezielt in einzelnen Köpfen anzugreifen.
Noch bevor die „Zundelsite“ gekündigt war, brach um sie der „erste Cyberkrieg“ aus - folgt man der VHO-Webseite, kann es sich dabei nur um die jüngste Spielart des Weltbürgerkriegs handeln. Der Krieg begann Ende 1996 mit einem flächendeckenden „E-mail-bombing“ der Zündel-Gegner. Zweihundert Meldungen pro Sekunde schlugen vierzig Stunden lang im Rechner des Revisionisten ein und legten ihn lahm. Bald fanden sich die ersten Freiwilligen an Zündels Seite und boten ihm und seinen Machwerken Unterschlupf in ihren Speichern. Aber auch die Gegner ruhten nicht. Doch wer waren sie? Einmal, so wähnen die rechten Strategen, Betreiber der jüdisch-antinazistischen Webseite „Nizkor“. Dann irgendwelche mehr oder weniger gut organisierten Antifa-Gruppen. Schließlich auch etliche Cyberspace-Tramps, die zufällig den Daten-Highway entlang kamen. Minutiös wird aufgezählt, welcher Kriegsmittel sie sich bedienten. Dabei erhält der Cyber-Aktivist seine Grundausbildung. Er lernt, was „Spamming“ ist, nämlich das Versenden fingierter Presseerklärungen an Unbeteiligte, die den vermeintlichen Absender anschließend mit Beschwerden überziehen. Oder das „Sheltering“, bei dem ein gefährdetes Dokument in einen angeblich sicheren elektronischen Bunker gelockt wird, um dort festgehalten und seines Copyrights beraubt zu werden. Auch was „Cancelbots“ sind, muss der Kämpfer wissen: teils pornographische Bildretuschen, die feindliche Botschaften entstellen.
Für Rechtsextremisten sei das Internet nicht weniger bedeutsam als die Erfindung des Buchdrucks einst für die ganze Menschheit, so heißt es sinngemäß auf der VHO-Webseite. In der Tat weiß noch niemand, wie sehr das World Wide Web das historische Bewusstsein verändern und verbiegen kann. Befürchtungen haben zumindest so lange ihr Recht, wie die bei den Extremisten im Net äußerst beliebte Parole gilt: Wir drin, der Staat draußen. Die revisionistischen Cyber-Aktivisten sind mittlerweile auf Grund von Sicherheitsmängeln und einer verworrenen Rechtslage im Internet bester Dinge, dort auch weiterhin schalten und walten zu können. So werben sie nicht nur Freiwillige für ihren Krieg, sondern jagen auch eine „Unabhängigkeitserklärung“ um den Erdball, ein Gebräu aus Extrakten der Aufklärung wie auch der Gegenaufklärung, gewürzt mit einem Schuss Jugendrevolte. Genau besehen wird hier nichts anderes proklamiert als eine Art Naturrecht auf Unsichtbarkeit und Körperlosigkeit: „Ihr seid entsetzt über Eure Kinder. Der globale Transport von Gedanken bedarf nicht mehr der Unterstützung Eurer Fabriken. Wir werden uns über den Planeten verteilen. Wir schließen unseren eigenen Sozialvertrag. Unsere Welt ist überall und nirgendwo, aber nicht wo Körper leben. Unsere Wesen haben keine Körper...“.