Isabel Rodde
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Isabell Rodde: Nenn‘ mich nicht Vater ...
Ein sommersprossiges Mädchen, allein am Strand. Aufmerksam beobachtet sie einen Mann, der das Badezeug seiner kleinen Tochter fürsorglich zusammenpackt. Er ist auch ihr Vater, wird sie später sagen, wenn sie in das Haus der Familie einbricht und alle Fotoalben zerreißt. Im dänischen Kurzfilm Sonnen Schein von Alice de Champfleury verschwimmen Trauer und Wut,Fantasie und Realität. Aber die Sehnsucht nach dem Vater, die ist echt. Abwesende Väter zogen sich wie ein roter Faden durch das Kinder-Programm der Generation-Sektion. Ob im dänischen Science-Fiction-Abenteuer Superbruder (siehe Beitrag von Markus Achatz in diesem Heft), der neuseeländischen Maori-Komödie Boy oder dem koreanischen Adoptionsdrama Ein neues Leben – fehlende Väter wurden von ihren Kindern ersehnt, gehasst, kopiert und immer wieder neu erfunden. In Ein neues Leben (Lobende Erwähnung der Kplus- Fachjury) bringt der Vater die neunjährige Jinhee in ein Waisenhaus in der Nähe von Seoul. Die katholischen Nonnen sollen sie bei wohlhabenden Adoptionseltern unterbringen, aber die ebenso zurückhaltende wie hartnäckige Jinhee will die Hoffnung nicht aufgeben, dass der Vater wiederkehrt. Sie isst nicht, schläft nicht und lächelt auch nicht, wenn fremde Ehepaare kommen, um sich ein kleines Mädchen auszusuchen. Nur der drei Jahre älteren Sookhee vertraut sie sich an, schließtlangsam Freundschaft. Die koreanisch-französische Regisseurin Ounie Lecomte hat die Trauer,aber auch die Rebellion des Mädchens sehr präzise und ohne jede Melodramatik in Szene gesetzt. Es ist ein Stück eigene Geschichte, das die 43-jährige Filmemacherin in ihrem Spielfilmdebüt erzählt: Sie selbst lebte in den 1970er Jahren zwei Jahre in einem koreanischen Waisenhaus, bis eine französische Familie sie adoptierte und nach Frankreich brachte – in „ein neues Leben“.
Mitten im Geschehen
In Boy (Großer Preis der Kplus-Fachjury) übernimmt Regisseur Taika Waititi selbst die Rolle des Vaters, der in den 1980er Jahren nach einem Gefängnisaufenthalt zu den bei der Großmutter aufwachsenden Kindern zurückkehrt. Sein Sohn Boy ist begeistert – schließlich hat er allen Freunden erzählt, dass sein Vater nicht nur talentierter Rugby-Spieler, Tiefseetaucher und Soldat ist, sondern auch noch ebenso gut tanzt wie Michael Jackson. Doch nach und nach zerplatzen die Träume des elf-jährigen Maori-Jungen vom „Supervater“. „Tu mir einen Gefallen“, sagt der schon bald. „Nenn‘ mich nicht Vater, das klingt irgendwie komisch.“ Die abwechslungsreich montierte, hintergründige Komödie ist ein beeindruckendes Beispiel für das selbstbewusste neue Aborigine-Kino aus Neuseeland und Australien. Es ist vor allem aber auch ein Film, den Filmfestleiterin Maryanne Redpath und ihre Kolleginnen und Kollegen vor Augen hatten, als sie das Kinder-Filmfest der Berlinale 2007 in Generation umbenannten. „Wir zeigen nicht nur klassische Kinderfilme, sondern auch Produktionen, die aufgrund ihrer Thematik und Perspektive für ein junges Publikum interessant sind“, so Redpath. „Viele Filmemacher sind überrascht, wenn ihre Filme bei uns gezeigt werden und sagen: Ich habe doch gar keinen Kinderfilm gemacht.“
Auch Boy ist kein klassischer Kinderfilm: Er konfrontiert die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem revolversüchtigen, kiffenden Vater, der skrupellos die Lieblingsziege seines Sohnes überfährt – bis sich Boys ganze Enttäuschung über den angehimmelten Vater in einem befreienden Schlagabtausch entlädt. Die Produktion, ganz ohne pädagogischen Zeigefinger und nicht in erster Linie für junges Publikum gedreht, begeisterte vielleicht auch gerade deswegen die Kinder im Berliner Zoopalast.
„Man hatdas Gefühl, mitten im Geschehen zu sein“, kommentierte der zwölfjährige Zino Marinekaus dem Team der jungen Berlinale-Journalisten. „Boy ist ein sehr witziger F ilm,der trotzdem den nötigen Ernst hat.“ Väter als Partner Neben den zahlreichen abwesenden Vätern hatte der Kplus-Wettbewerb auch einige „Vorzeige-Väter“ zu bieten. In der mexikanischen Dokufiktion Alamar führt Fischer Jorge seinen fünfjährigen Sohn, der inzwischen mit der Mutter in einer italienischen Großstadt lebt, liebevoll in das Leben in einem Pfahlhaus mitten in der mexikanischen Karibik ein. Die Dokumentation Wie wir leben (Lobende Erwähnung der Kinderjury) begleitet eine achtköpfige Maori-Familie und ihre fünfzig wilden Pferde über vier Jahre in ihrem unkonventionellen, naturverbundenen Alltag in den Bergen Neuseelands. Vater Peter hat ein inniges und partnerschaftliches Verhältnis zu seinen sechs Kindern. Eigentlich lerne er jeden Tag etwas von ihnen, erzählt er im Film. „In unseren Filmen gibt es funktionierende und nicht funktionierende Familien, wie im richtigen Leben auch“, sagt Festival-Leiterin Maryanne Redpath. „Für Kinder und Jugendliche ist es interessant, andere Modelle zu sehen und ob sie funktionieren oder nicht.“ Der Hauptpreis der Kplus-Kinderjury ging an einen Film, in dem eine Familie trotz aller Schicksalsschläge funktioniert. Der chinesische Spielfilm Echo des Regenbogens spielt im britisch geprägten Hongkong der 1960er Jahre. Der kleine Big Ears wohnt mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung über dem Schuhgeschäft der Eltern. Trotz bescheidener Verhältnisse ist das Leben des Achtjährigen unbeschwert. Die Eltern sind liebevoll und nachsichtig, die Nachbarinnen und Nachbarn in der geschäftigen Straße freundlich und auch dieFische und Wasserschildkröten, die Big Ears über alles liebt, scheinen glücklich. Besonders stolz istBig Ears auf seinen großen Bruder Desmond: Anders als er selbst, bringt der gute Zensuren nachHause und gewinnt die Schul-Wettkämpfe im Hürdenlauf. Doch dann bekommt die in warmesLicht getauchte Familienidylle Risse: Erst zerstört ein Taifun das Holzhaus, dann erkrankt der großeBruder an Leukämie. „Ich wollte zeigen, wie wichtig es ist, dass eine Familie zusammenhält“, erzählte Regisseur Alex Law, der diese Geschichte selbst als Junge erlebt hatte, bei der Preisverleihung. Diese Botschaft kam beim jungen Publikum gut an. „Ein tieftrauriger und berührender Film, der wohl niemanden kalt lässt“, schrieb Janus Torp von den Jungen Journalisten, „aber Achtung: Haltet Taschentücher griffbereit!“
Familien-Integration
Auch im Siegerfilm des Jugendwettbewerbs 14Plus ging es um den Zusammenhalt einer Familie. Neukölln Unlimited von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch portraitiert eine libanesischstämmige Familie aus Berlin-Neukölln, die seit 16 Jahren von Abschiebung bedroht ist. Im Mittelpunkt stehen die drei ältesten Geschwister Hassan, Lial und Maradona – alle drei talentierte und preisgekrönte Break- und Streetdancer. Während Maradona immer wieder der Schulausschluss droht, verfolgen Lial und Hassan den ehrgeizigen Plan, der Familie durch ihre Tanz- und Gesangsauftritte einen regelmäßigen Lebensunterhalt und damit das Bleiberecht zu verschaffen. Aber wie sollen sie sich entscheiden, wenn nur sie bleiben dürfen, der Rest der Familie aber nicht? Neukölln Unlimited montiert Alltagsszenen in Schule, Familie und Ausländerbehörde mit Tanz und Gesangsszenen sowie Animationssequenzen, die in Braun-Grau-Schwarz-Tönen von der Abschiebung der Familie vor drei Jahren erzählen.„Ich bin damals aus dem Kinderleben herausgerissen worden“, erinnert sich Hassan. „Wirsahen, wie wir unsere Heimat verloren.“
In Neukölln Unlimited sind es vor allem die beidenältesten Geschwister, die Verantwortung übernehmen und quasi nebenbei den getrennt lebenden Vater ersetzen. Entstanden ist ein vielschichtiges Familienportrait, das von starken Persönlichkeiten, geballter künstlerischer Kreativität und dem ungebrochenen Willen erzählt,sich endlich eine gesicherte Existenz in der deutschen Heimat zu erkämpfen. Jenseits aller gängigen Klischees vermittelt Neukölln Unlimited eindrücklich, wie sehr junge Migrantinnen und Migranten das Leben in Deutschland bereichern. „Ein Film zum Lachen, Weinen, Jubeln und Protestieren“, brachte es die Jugendjury der Generation-Sektion treffend auf den Punkt.Die Internationalen Filmfestspiele Berlin zeigen seit 1978 Filme speziell für Kinder und Jugendliche. 2007 wurde der ursprüngliche Name Kinderfilmfest in Generation umbenannt.
Die Sektion besteht aus dem Kinderwettbewerb Kplus und dem Jugendwettbewerb 14plus. Als Hauptpreise vergeben eine Kinder- und eine Jugend-Jury Gläserne Bären für Lang- und Kurzfilme. Eine international besetzte Fachjury verleiht im Rahmen von Kplus außerdem einen Lang- und Kurzfilmpreis des Deutschen Kinderhilfswerks. Das diesjährige Programm umfasste rund 60 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus 31 Ländern. Weitere Informationen:www.berlinale.dewww.jungejournalisten.berlinale.deYeo-haeng-ja (Ein neues Leben)
Republik Korea / Frankreich, 2009, 92 min
Regie: Ounie Lecomte
Darsteller: Kim Saeron, Park Doyeon, Ko A-sung, Park Myoungshin,Oh Mansuk, Sul Kyounggu, Moon Sungkeun
Produktion: Now Films
Weltvertrieb: Fine Cut.Co., Ltd. (Seoul)Boy (Boy)Neuseeland, 2010, 87 min
Regie: Taika Waititi
Darsteller: James Rolleston, Te Aho Eketone-Whitu,Taika Waititi, Moerangi Tihore, Cherilee Martin, Ricky-Lee Waipuka-Russell
Produktion: Whenna F ilms (Wellington)Weltvertrieb: New Zealand Film (Wellington)Shui Yuet Sun Tau (Echo des Regenbogens)Hongkong, China, 2009, 120 min
Regie: Alex Law
Darsteller: Buzz Chung, Aarif Lee, Simon Yam, SandraNg, Ann Hui, Evelyn Choi
Produktion: Sky Cosmos Development Limited (HongKong)
Weltvertrieb: Mei AH Entertainment Group Ltd (HongKong)Neukölln Unlimited (Neukölln Unlimited)Deutschland, 2010, 96 min
Regie: Agostino Imondi, Dietmar Ratsch
Darsteller: Hassan Akkouch, Lial Akkouch, MaradonaAkkouch
Produktion: Indi F ilm (Ludwigsburg)
Verleih: GMf ilms (Berlin) - Isabel Rodde: Herausforderung auf der Berlinale
Isabel Rodde: Herausforderung auf der Berlinale
Im letzten Jahr startete Kinderfilmfest-Leiter Thomas Hailer den Jugendfilmwettbewerb 14+, um die Lücke zwischen Kinderfilmfest und den „erwachsenen“ Berlinale-Sektionen zu schließen. Die diesjährigen 14+-Filme überzeugten durchweg mit anspruchsvollen Geschichten – hart und des öfteren ohne Happy End, dafür aber vielschichtig und realistisch. Das Themenspektrum reichte von Jugendfreundschaft und erster Liebe bis hin zu persönlicher Gewalterfahrung und Kriegserleben. Gewohnt stark waren wieder die skandinavischen FilmemacherInnen vertreten. Die PreisträgerEine Gruppe kleiner Jungen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, wird von bewaffneten Soldaten durch den Schlamm getrieben. In Rückblenden erfahren wir, dass sie erschossen werden sollen – die Strafe dafür, dass sie versucht haben, ihrer Zwangsrekrutierung zu entkommen. Der mexikanische Spielfilm Voces Innocentes erzählt vom Bürgerkrieg in El Salvador in den 80er Jahren. Für den Schauspieler Oscar Torres, auf dessen Kindheitsgeschichte der Film beruht, war das Schreiben des Drehbuchs eine Art Therapie: „Ich erinnerte mich, wie wir als Kinder mitten in diesem Alptraum versuchten, Spiele zu erfinden“, erzählt der 33-Jährige, der mit zwölf Jahren in die USA floh. Regisseur Luis Mandoki, bisher vor allem durch Hollywood-Romanzen und Action-Thriller bekannt (Message in a Bottle, Trapped), schildert die Ereignisse aus der Warte des 11-jährigen Chava, der mit Mutter und Geschwistern in einem kleinen Dorf lebt, das genau zwischen den Fronten des staatlichen Militärs und der Guerrilla-Truppen der FMLN liegt. Jeden Abend durchlöchern Maschinengewehrsalven die Wellblechhütten. Für Chava und seine Freunde ist das Dorf gleichzeitig mörderisches Schlachtfeld und geliebter Spielplatz. Ihre größte Furcht: Nicht mehr elf zu sein – denn mit zwölf Jahren holt einen die Armee.Voces Innocentes schildert die brutalen Kriegserlebnisse konsequent und überzeugend aus Kindersicht. Er erzählt aber auch von der einfallsreichen Gegenwehr der Kinder und ihren ganz „normalen“ Sehnsüchten und Problemen: Von der ersten Verliebtheit zwischen Chava und seiner Klassenkameradin Cristina Maria etwa, von seinem ersten Job bei einem Busfahrer, von Streitigkeiten mit Freunden und Geschwistern. Gerade der Kontrast zwischen beklemmenden Kriegsszenen und witzigen Alltagsanekdoten macht die Stärke der packenden Inszenierung aus. Die Jugend-Jury zeichnete Voces Innocentes mit dem Gläsernen Bären für den besten Film der 14+-Reihe aus. „Wir saßen da mit zugeschnürten Kehlen und wollten am liebsten nur nach Hause“, schrieben die fünf JurorInnen in ihrer Urteilsbegründung. „Der Film zeigte ein Thema, das uns sprachlos macht, über das man aber reden muss.“ Er kommt voraussichtlich im Juni in die Kinos.Auch die iranisch-irakische Koproduktion Lakposhta hâm parvaz mikonand („Auch Schildkröten können fliegen“) schildert Kriegsereignisse aus der Perspektive von Kindern.
Der neue Spielfilm von Bhaman Ghobadi (Zeit der trunkenen Pferde) spielt in einem kurdischen Flüchtlingslager im Grenzgebiet zwischen Iran, Irak und der Türkei kurz vor dem Beginn des (letzten) Irak-Krieges. Ghobadi erzählt von Minenopfern und Kriegswaisen, von Verzweiflung und Überlebenswillen. Der 13-jährige Satellite beispielsweise ist ein echtes Organisationstalent: Er besorgt Satellitenschüsseln und Nachrichten über den bevorstehenden US-Angriff und überwacht das Sammeln von Landminen, mit deren Verkauf an die UN die Kinder ihr Überleben sichern. Doch dann verliebt er sich in die 14-jährige Agrin, die (von irakischen Soldaten vergewaltigt) einen ihr verhassten kleinen Sohn mit sich herumschleppt – und riskiert sein Leben. Anders als Voces Innocentes, der alle dramaturgischen Elemente des Hollywood-Kinos nutzt, beeindruckt Ghobadis Film durch seine poetischen Bilder und eine gleichzeitig fast dokumentarische Erzählweise. Alle Darsteller sind Laien, die der Regisseur während seiner Recherchen im Irak gefunden hat und die im Film ihre eigene Realität spielen.„Selten hat uns ein Film so deutlich gezeigt, wie wertvoll ein Aufwachsen in Schutz und Geborgenheit ist“, begründete die Jugendjury ihre Verleihung einer lobenden Erwähnung. „Wegen der Verbindung von Mystik und harter Realität sowie der packenden Umsetzung haben wir uns für diesen Film entschieden.“ Voraussichtlich ab Mai wird er bei uns zu sehen sein.Weitere FilmePopular Music von Reza Bagher, eine Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Mikael Niemi, erzählt von einer Jungenfreundschaft in einem nordschwedischen Kaff Ende der 60er Jahre. Matti und Niila gründen eine Rock´n Roll-Band und versuchen so, den dumpfen Dorf-Besäufnissen und familiären Gewaltorgien zu entfliehen. Während Matti seinen plötzlichen Ruhm vor allem für Mädchenkontakte nutzt, will Niila nur eins: Raus in die Welt, am liebsten auf den Himalaya. Eine ebenso witzige wie bitterböse Abrechnung mit der engen, lustfeindlichen Welt harter Trinker und christlich-fundamentalistischer Sekten, in der die Beatles als Retter einer anderen Welt erschienen.Auch Fourteen Sucks schildert die Sehnsüchte und Schwierigkeiten junger Teenager in Schweden. Im Mittelpunkt des von vier jungen FilmemacherInnen kollektiv produzierten Debütfilms steht Emma, die sich auf einer Party sinnlos betrinkt und von einem Freund ihres Bruders vergewaltigt wird. Lange wagt sie es nicht, sich irgendjemand anzuvertrauen.
Erst als sie den Skater Aron und dessen bedingungslose Zuneigung kennen lernt, gelingt es ihr, sich zu öffnen und Unterstützung zu holen. Ein rasantes, ausschließlich mit Handkamera gedrehtes Jugenddrama, das authentisch und ohne jeden pädagogischen Zeigefinger von der ersten Liebe und ihren Kehrseiten erzählt.Auch in der schwedisch-norwegischen Koproduktion Falling Beauty von Lena Hanno Clyne steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt. Die 16-jährige Ninni hat sich eigentlich geschworen, sich nicht zu verlieben und selbständig zu bleiben. Aber dann lernt sie Ramón kennen, der in Schweden Asyl sucht. Der charmante Kolumbianer bringt nicht nur ihre Gefühle, sondern auch die ihrer ganzen Familie durcheinander: Nicht nur, dass auch die flippige Mutter auf den attraktiven neuen Nachbarn steht, mit seiner Hilfe wollen die Eltern auch noch eine Bank ausrauben, um ihre Geldprobleme auf einen Schlag zu lösen. Ein spannendes und einfühlsames Portrait eines Mädchens, das sich mehr um ihre Eltern kümmern muss, als ihr lieb ist – dem es aber dennoch gelingt, ihren eigenen Weg zu finden.The Mighty Celt von Pearse Elliott aus Irland überzeugte durch seine realistische Darstellung eines Teenager-Alltags vor dem Hintergrund des noch immer aktuellen Nordirland-Konfliktes. Donal wächst bei seiner Mutter in Belfast auf und verbringt die Freizeit beim Hundezüchter Joe und dessen Windhunden. Obwohl er Joe wie einen Ersatzvater verehrt, ist Donal doch entsetzt über die Skrupellosigkeit, mit der der Züchter erfolglose Rennhunde tötet. Der Junge liebt die Tiere und vereinbart einen Deal: Wenn es ihm gelingt, mit seinem Lieblingshund „Mighty Celt“ drei Rennen zu gewinnen, darf er ihn behalten. Nach zwei erfolgreichen Rennen muss Donal jedoch feststellen, dass auf Joe kein Verlass ist. Unterstützung erfährt er von O, einem früheren IRA-Kämpfer und engen Freund der Mutter, der lange verschwunden war und sich unvermutet als Donals „echter“ Vater entpuppt.Auch in der italienischen Produktion Saimir von Francesco Munzi stand eine Vater-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt. Der in Italien lebende junge Albaner Saimir hilft seinem Vater dabei, albanische Landsleute über die Grenze zu schmuggeln.
Als das Geschäft immer schlechter läuft, macht der Vater gemeinsame Sache mit einer Zuhälterbande, die Mädchen aus Osteuropa in die Bordelle der Umgebung zwingt. Saimir, der sich zum ersten Mal in ein italienisches Mädchen verliebt hat, dessen behütetes Elternhaus jedoch meilenweit von seinem eigenen Alltag als illegaler Einwanderer entfernt ist, gerät in immer stärkere Gewissenskonflikte. Wie viele andere 14+-Filme beeindruckte Saimir durch seine authentische Milieuschilderung und brillante Laiendarsteller. Großartige Hauptdarstellerinnen boten auch der japanische Beitrag Hana & Alice (Shunji Iwai) und die britische Produktion My Summer of Love (Pawel Pawlikowski), die von Freundschaften zwischen ganz unterschiedlichen Mädchen erzählten. In My Summer of Love verliebt sich die bodenständige Mona in die charmante, aber überaus verwöhnte Tamsin. Mona wohnt mit ihrem Bruder zusammen, der im Knast zu Gott gefunden hat und nun alle Dorfbewohner missionieren will. Tamsin dagegen lebt mit ihren Eltern auf einem riesigen Luxus-Anwesen. Einen Sommer lang verbringen die beiden Mädchen jeden Tag miteinander, aus Schwärmerei entwickelt sich erste Liebe. Die beiden schwören sich ewige Treue und wollen gemeinsam fortgehen. Aber dann macht Tamsin einen Rückzieher und der „Sommer der Liebe“ findet ein jähes Ende. „Ältere Kinder und Jugendliche wollen ernst genommen werden“, ist Thomas Hailer überzeugt. „Sie genießen es, im Kinosessel mit sperrigen Geschichten herausgefordert zu werden.“ Ausverkaufte Vorstellungen, begeisterter Applaus und nicht zuletzt die Auszeichnungen der beeindruckenden aber auch beklemmenden Anti-Kriegsfilme gaben ihm Recht.Weitere Informationenwww.berlinale.de www.kinderfilmfest.net Voces Innocentes | Innocent VoicesMexiko, 2004, 110 min Regie: Luis MandokiDarsteller: Carlos Padilla, Leonor Varela, Daniel Giménez CachoLakposhta hâm parvaz mikonand | Auch Schildkröten können fliegenIran, Irak, 2004, 98 min Regie: Bahman GhobadiDarsteller: Avaz Latif, Soran Ebrahim; Hiresh Feysal Rahman
- Isabel Rodde: 14+ - films for the young generation
Isabel Rodde: 14+ - films for the young generation
Manche Entscheidungen sind unglaublich schwer. Soll Mille bei ihrem Freund Kenny bleiben, auch wenn er regelmäßig mit Freunden beim Bier versackt? Soll sie sich für den smarten Rapper Sami entscheiden, der nur seine Musik im Kopf hat? Was tun mit dem öden Job in der Bäckerei und mit einer Mutter, die selbst nicht mehr weiter weiß mit ihrem Leben? „Bagland“, das Spielfilmdebüt des dänischen Regisseurs Anders Gustafsson, ist alles andere als eine flotte Teenie-Komödie mit Happy-End. Stattdessen aber erzählt es facettenreich und spannend von der Suche eines 17-jährigen Mädchens nach einer eigenständigen Zukunftsperspektive. Besonderer Pluspunkt und noch lange keine Selbstverständlichkeit im Jugendfilm: Gustafsson bietet überzeugende Identifikationsfiguren sowohl für Mädchen wie auch für Jungs.Auf der Berlinale eröffnete „Bagland“ (übersetzt in etwa: „Wo man herkommt“) den in diesem Jahr erstmalig eingerichteten Jugendfilmwettbewerb 14 plus. Ein gelungener Auftakt für ein längst überfälliges Angebot - bisher hatten die Filmfestspiele für Teenager von 14 bis 18 kein eigenes Programm. „Diesen unbefriedigenden Zustand“, so Kinderfilmfest-Leiter Thomas Hailer, „wollten wir endlich beenden.“Acht Filme aus Skandinavien, Deutschland, Südafrika, den USA und dem Iran konkurrierten um den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm. Die Themen reichten von Liebe, Karriere und Gewalt über Graffiti und HipHop bis hin zu Sexualität und dem „1. Mal“.
In „Nur noch Bea“ (Bare Bea) erzählt Petter Næss die Geschichte einer 16-jährigen Schülerzeitungsredakteurin, die als einziges Mädchen in ihrer Clique noch keinen Sex hatte und damit die Freundinnen auf Trab hält. Nach seinem großen Kinoerfolg „Elling“ ist dem Norweger erneut eine überzeugende Komödie mit Tiefgang gelungen. Der Film bringt das Thema Sexualität unverkrampft und erotisch auf die Leinwand und zeigt anschaulich, wie Konkurrenz und Erwartungsdruck die Lust aufs „erste Mal“ behindern. In Norwegen soll „Nur noch Bea“ flächendeckend in Schulen und Jugendzentren gezeigt werden – eine nachahmenswerte Idee auch für Deutschland.Eine skurrile Mischung aus romantischer Komödie und Familientragödie bot der finnische Wettbewerbsbeitrag „Perlen und Säue“ (Helmiä Ja Sikoja). Das Leben der Hirvonen-Brüder besteht aus dem Verkauf und Genuss von selbstgebranntem Schnaps. Doch dann landet der Vater im Knast und die vier Jungen müssen sich nach anderen Erwerbsquellen umschauen. Gerade recht kommt ihnen dabei ihre 10-jährige Halbschwester Saara: Die talentierte Karaoke-Sängerin soll den nächsten Wettbewerb „Finnland sucht das Superkind“ gewinnen und so die Familienfinanzen sanieren. Witzig und pointiert nimmt Regisseur Perttu Leppä den grassierenden Starkult aufs Korn und zeigt gleichzeitig, wie die schüchterne Saara die ungewöhnliche Außenseiter-Familie komplett auf den Kopf stellt.Ein ansonsten immer wiederkehrendes Thema im 14+-Programm: Jungen-Freundschaften im Spannungsfeld von Rache, Eifersucht und Konkurrenz. Zwei dieser Filme wurden von der fünfköpfigen Jugend-Jury besonders ausgezeichnet.
Die US-Produktion „Quality of Life“ erhielt für „ihren einzigartigen Einblick in die amerikanische Drogen- und Graffitiszene“ eine lobende Erwähnung.Regisseur Benjamin Morgan hat die Geschichte zweier junger Graffiti-Sprayer zwischen Kunst und drohendem Knast sensibel und authentisch in Szene gesetzt. Zehn Jahre lang hat er als Sozialarbeiter mit straffälligen Jugendlichen gearbeitet, das Drehbuch hat er gemeinsam mit dem Graffiti-Künstler (und Hauptdarsteller) Brian Burnam geschrieben. „Ich wollte die Geschichte erzählen, die hinter den Sprühereien steckt“, so Morgan. „In den USA werden 15 bis 18 Milliarden Dollar im Jahr ausgegeben, um Graffiti zu entfernen, dabei gibt es in 80 Prozent aller Schulen keinen Kunstunterricht.“Den Hauptpreis schließlich verlieh die Jury an den südafrikanischen Spielfilm „Die hölzerne Kamera“, der vom Alltag der Jugendlichen nach dem Ende der Apartheid erzählt. Madiba und Sipho leben in einem schwarzen Township vor den Toren von Kapstadt. Eines Tages finden sie am Bahndamm eine Leiche mit einer Videokamera und einer Pistole. Während Madiba den kleinen Camcorder an sich nimmt und damit – getarnt als Spielzeugkamera – seinen Alltag filmt, übernimmt Sipho die Führung einer gewalttätigen Jugendgang. Stück um Stück trennen sich die Wege der beiden Freunde. Madiba verliebt sich in Estelle – keine einfache Beziehung, denn deren Vater, ein weißer Mediziner, will von dem Kontakt der beiden nichts wissen. Inhaltlich wirkt der Preisträgerfilm etwas überfrachtet, vor allem die Beziehung zwischen Madiba und Estelle scheint konstruiert und nur schwer nachvollziehbar. Seine Stärke entwickelt „Die hölzerne Kamera“ jedoch in den Szenen, in denen Madibas „Videotagebuch“ das Leben in den Townships auf beeindruckende Weise dokumentiert.Die Auszeichnung eines südafrikanischen Jugendfilms zehn Jahre nach der Befreiung von der Apartheid ist auch als politisches Zeichen zu verstehen. „Unsere Hoffnung sind die Kinder in Südafrika“ erklärte Regisseur Ntshavheni Wa Luruli unter begeistertem Beifall bei der Preisverleihung - den Gläsernen Bären widmete er seinen drei jungen Hauptdarstellern.
Credits 14+FilmeBagland | Scratch Dänemark, 2003, 81 min Regie: Anders Gustafsson mit Stephanie Léon, Nickolas Dufour, Christopher LæssøBare Bea | Nur noch Bea Norwegen, Schweden, 2004, 86 min Regie: Petter Næss mit Kaia Foss, Kim S. Falck-Jørgensen, Kamilla Grønli Hartvig, E spen Klouman-Høiner, Maria Brinch, Ida Thurman-MoeHelmiä ja sikoja | Perlen und SäueFinnland, 2003, 114 min Regie: Perttu Leppä mit Mikko Leppilampi, Amanda Pilke, Laura Birn, Timo Lavikainen, Jimi Pääkallo, Unto HeloQuality of Life | Quality of LifeUSA, 2003, 85 min Regie: Benjamin Morgan mit Lane Garrison, Brian Burnam, Mackenzie FirgensThe Wooden Camera | Die hölzerne Kamera Frankreich, Großbritannien, Südafrika, 2003, 90 min Regie: Ntshavheni Wa Luruli mit Junior Singo, Dana de Agrella, Innocent Msimango, Jean Pierre CasselWeitere Informationenwww.berlinale.de