Klaus Weinzierl
Zur Person
Lehrer am Gisela-Gymnasium München mit den FächernEnglisch/Deutsch und KabarettistBeiträge in merz
- Klaus Weinzierl: Im Weinberg unter dem blühenden Kirschbaum klingelt kein Handy
Klaus Weinzierl: Im Weinberg unter dem blühenden Kirschbaum klingelt kein Handy
Im Deutsch-Abitur in Bayern wurde den Kollegiaten am 12. Mai 2006 ein Gedicht von Eduard Mörike zum Erschließen und Interpretieren vorgelegt, das dann mit Barthold Heinrich Brockes Gedicht "Das Blümlein Vergißmeinnicht" zu vergleichen war.
In Mörikes Gedicht "Im Weinberg" sitzt das lyrische Ich "droben im Weinberg unter dem blühenden Kirschbaum heut einsam, in Gedanken vertieft; es ruhte das Neue Testament halboffen mir zwischen den Fingern im Schoße, klein und zierlich gebunden". Ein Schmetterling lässt sich nieder auf das Neue Testament, der "von nun an auf alle Tage gesegnet ist" und deshalb vom lyrischen Ich aufgefordert wird, hinunterzueilen zum Garten, "welchen das beste der Mädchen besucht am frühesten Morgen", der Schmetterling soll dort zur Lilie eilen, denn "alsbald wird die Knospe sich öffnen unter dir; dann küsse sie" (= die Knospe, nicht das Mädchen) "tief in den Busen: von Stund an göttlich befruchtet, atmet sie Geist und himmlisches Leben" (= die Lilie im Lilienbusen, weil der küssende Schmetterling vorher sich auf das neue Testament niedergelassen hatte, das im Schoß des lyrischen Ichs ruhte). "Wenn die Gute" (= das beste der Mädchen) "nun kommt, vor den hohen Stengel" (= Lilienstängel) "getreten, steht sie befangen, entzückt von paradiesischer Nähe, ahnungsvoll in den Kelch die liebliche Seele versenkend".
In diesem Weinberg unter dem blühenden Kirschbaum klingelt kein finnisches, schwedisches oder taiwanesisches Handy und flimmert kein amerikanischer Snuff-Porno-Dreck auf dem Display. Gymnasiale bayerische Reifeprüflinge wissen, mit dem Neuen Testment halboffen zwischen den Fingern im Schoße, wie sie Knospen, Busenküsse und entzückende Stängel verantwortungsvoll textanalytisch zu decodieren haben. Hauptschüler mit Migrationshintergrund aus den Slums von Immenstadt dagegen sind, aufgrund ihrer der bayerischen Art fremden Sozialisation, dem Handy-Dreck orientierungslos ausgeliefert. Und deshalb müssen sie in Bayern vor ihrer Orientierungslosigkeit geschützt werden durch ein Handy-Verbot in den Schulen. Weil aber ein Verbot nur für Handys mit Migrationshintergrund möglicherweise als diskriminierend empfunden werden könnte, muss es für alle Schüler ausgesprochen werden, obwohl es für die Eingeborenen in Bayern nicht nötig wäre, denn ein bayerischer Schüler weiß, was sich gehört, oder!?