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SWIPE DES MONATS: Das ferngesteuerte Kind (Teil 2)

Wieder im Zug. Und wieder fährt er. Diesmal habe ich mir einen Platz an einem 4er-Tisch gesichert, da ich noch dringend etwas arbeiten muss. Mir gegenüber nimmt eine Frau Platz, mit der ich von München bis Ingolstadt eine gemeinsame Zeit im Zug verbringen werde. Sie setzt sich und noch bevor der Zug losfährt, klingelt zum ersten Mal ihr Handy.

Hallo Lisa, ja das Essen steht im Kühlschrank – nein, dein Pullover ist noch nicht gewaschen und mach dich gleich nach dem Essen an die Hausaufgaben.

Eine Minute später:

Hallo Peter, wie war es in der Schule? Ja, auch für dich steht was zum Essen im Kühlschrank. Lass bitte deine Schwester in Ruhe ihre Hausaufgaben machen. Bis heute Abend.

Kurze Zeit später. Wieder Peter. Diesmal findet er offensichtlich seine Sporttasche nicht.

Schau doch mal in der Abstellkammer nach. Pass aber bitte auf, dass du nicht wieder eine Rotweinflasche runter wirfst. Kurze Zeit Stille. Der Sohn geht anscheinend mit dem schurlosen Telefon in die Abstellkammer, verkündet dann freudig, dass er die Tasche gefunden hat und legt auf.

Fünf Minuten lang herrscht himmlische Ruhe, doch dann meldet sich Peter wieder mit einem neuen Anliegen. Nein, ich schalte dir die Playstation nicht frei. Erst wenn du vom Sport kommst. Anscheinend viel Protest auf der anderen Seite. Die Mutter lässt sich aber nicht erweichen und legt auf.

Eine längere Pause tritt ein und ich denke schon, dass jetzt alles geklärt ist. Doch dann klingelt das Telefon wieder. Nun ist wieder die Tochter in der Leitung und ich kann ihr neuerliches Ansinnen aus den Antworten meines Gegenübers nicht herausfiltern, denn die Mutter retourniert nur: Du hast auch einen Vater. Kannst du den nicht auch einmal anrufen, wenn du was wissen willst? Die Tochter scheint entnervt aufzulegen.

Nach einer kurzen Pause dann wieder der Sohn. Anscheinend hat er spontan Kopfmerzen entwickelt und ist aus seiner Sicht nicht fit genug für das Training, aber für eine Runde an der Playstation. Also kommt nochmal die Frage, ob die Mutter nicht vielleicht doch die Playstation freischalten könnte. Sie antwortetet kurz und knapp kein Sport - keine Playstation, legt kopfschüttelnd auf und versenkt das Handy in den Untiefen ihres Rucksacks.

Ich grinse sie verständnisvoll an und lobe sie für ihre Konsequenz. Jetzt sprudelt es aus ihr heraus: Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein Stress das jeden Tag ist, die Kinder mit ständigen Telefonaten durch den Tag zu leiten - als hätte ich sonst nichts zu tun. Zum Glück dürfen sie im Unterricht noch nicht telefonieren. Schiebt aber nach kurzem Überlegen hinterher aber Whats-App schreiben unter der Bank geht offenbar.

Der Zug nähert sich Ingolstadt und meine Zufallsbekanntschaft beginnt ihre Sachen zusammen zu packen. Ich habe ihr nicht verraten, was ich von Beruf bin. Aber als sie aufsteht, gebe ich ihr - als Medienpädagoge sehe ich mich auch immer als Anwalt für die Interessen der Jugendlichen - noch kurz mit auf den Weg: Bloß nicht vergessen, die Playstation freizuschalten! Sie seufzt nur und meint, sie könne sich den Aufwand für diese Merkleistung schenken, denn ihr Sohn würde sie absolut zuverlässig daran erinnern.

Kurz überlege ich noch, ob ich sie auf den Family-Link von Google aufmerksam machen soll, denn damit lässt sich die Fernsteuerung der Kinder noch verfeinern. Gerade durch die Freigabe von Standorten lässt sich ausgezeichnet überwachen, ob Peter sich wirklich auf den Weg zum Sport gemacht hat und nur so tut als ob. Aber wahrscheinlich kennt sie ihre Kinder und nutzt diese Funktion schon längst.

Die beste Ehefrau von allen findet es gruselig, wie Kinder heutzutage überwacht werden. Allerdings – als ich neulich nach dem Samstagsgroßeinkauf nach Hause kam, empfing sie mich mit: Du hast doch schon vor 1 ½ Stunden beim Rewe bezahlt! Wo warst du so lange? Eine etwas unverständliche Nachfrage – denn eigentlich müsste sie wissen, dass ich alle 10 Meter auf jemanden treffe, den ich kenne.

 

Klaus Lutz


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