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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Wer hat Angst vor‘m schwarzen Mann?

    Zur Person

    Schon als er in die Einfahrt biegt, kann ich ihn sehen. Ein fachmännischer Blick genügt mir, um genau zu wissen, mit wem ich es hier zu tun habe. Er ist nicht sehr groß, wohl eher durchschnittlich, dafür aber recht untersetzt. Etwas schleppend bewegt er sich auf meine Haustüre zu, strahlt eher Lethargie als Dynamik aus, während ich reglos hinter dem Fenster stehe, um seine Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen. Selbst aus der Distanz erkenne ich die untrüglichen Zeichen: Der letzte Friseurbesuch ist lange her, die dunkelblonden Haare hängen ihm strähnig und ungepflegt um das bleiche Gesicht. Und sind das nicht Augenringe, die sich da unter den wirren Brauen deutlich von der hellen Haut abzeichnen? Dazu die ausgebeulte Jeans, die an den Rändern schon Fransen zieht, ein schlecht sitzender, leicht ausgewaschener Pulli mit – da bin ich mir ganz sicher – Ketchupflecken! Jetzt besteht kein Zweifel mehr, dieser Hinweis ist untrüglich: Das muss ein Computerspieler sein!

    Ich habe schließlich nicht umsonst so gut aufgepasst, in den Internet-Videos und Fernseh-Spots, die einem genau erklären, wie diese PCSpiele- Junkies aussehen, in den Texten, in denen so anschaulich beschrieben wird, was Computerspiele mit jedem machen, der den Fehler begeht, sie auch nur einmal zu öffnen! Tageslichtscheue Kreaturen mit ungesunder Haar- und Hauterscheinung, vorletztjährige Kleidung, da der PC-Platz nicht mehr verlassen werden kann und der charakteristische Ketchupfleck, der auf einseitige Ernährung ausschließlich durch Heimservice-Pizza und Pommes schließen lässt. Vor meinem geistigen Auge rufe ich mir das Bild wach: Ja, genau so sehen sie aus. Die fahle Bläue vom Widerschein des Bildschirmes, die in den Videos immer da ist, fehlt zwar, aber er steht ja auch in meiner Einfahrt statt vor dem PC. Das allerdings macht mich stutzig und auch etwas panisch: Was tut dieser Computer-Süchtige hier? Sicher hat er nichts Gutes im Sinn! Wahrscheinlich wähnt er sich in einem Computerspiel und wird gleich versuchen, in das Haus einzudringen und mich zu überwältigen! Bestimmt hält er mich für einen Gegner! Was, wenn er vielleicht sogar Waffen dabei hat? Langsam wird mir mulmig.

    Doch ich habe wenig Zeit, einen Notfall-Plan auszuarbeiten: Schon klingelt er an der Tür. Ich hyperventiliere. Soll ich ein Messer holen? Die Polizei rufen? Vorsichtig spähe ich noch einmal durch das Fenster, doch Zweifel sind ausgeschlossen: Das runde Gesicht, der etwas langsame Blick und dieser Mittelscheitel! Das kann nur ein PC-Junkie sein! Ich erwäge, mich tot zu stellen, doch in diesem Moment blickt er auf, sieht mich und hebt die Hand. Ich erstarre. Hat er da einen Schlagring?Tränengas vielleicht? Oder versteckt er die Waffen in dieser komischen Tasche, die von seiner Schulter baumelt? Mein Herz rast. Doch ich habe keine Wahl: Er hat mich gesehen. Wenn ich nicht öffne, wird er sicher durch das Fenster springen – oft genug habe ich es gesehen, dass man so etwas lernt, in diesen Gewaltspielen! Ich nehme meinen Schlüsselbund als einzige verfügbare Waffe fest in die Faust und öffne zitternd und auf alles vorbereitet die Türe:

    „Jaa?“

    „Guten Tag, ich komme von den Pfadfindern, wir sammeln für den Spielplatz, der hier um‘s Eck gebaut wird, hätten Sie eine Spende für uns?“

    Mit lautem Klirren trifft mein Schlüsselbund den Fliesenboden.

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