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Elisabeth Jäcklein-Kreis: „Wer kein Internet hat, ist schon arm“

    Zur Person

    Medienprojekt Wuppertal (Hrsg.) (2013). Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche. DVD, 73 Minuten + 37 Minuten Bonusmaterial. Kaufpreis 30,– €, Ausleihe 10,– €, Preis V & Ö 50,– €.

    Sascha, Erik, Aaron, Artur, Morris, Jannik, Dogus, Jan, Miriam, Charlotte, Aaron, Jonas – zwölf Jugendliche, zwischen 15 und 22 Jahren, die nichts gemeinsam haben. Außer das: Sie gehören zur Generation der ‚Digital Natives‘, Medien sind ein zentraler, für manche nahezu der wichtigste Bestandteil ihres Lebens und sie sind die Hauptfiguren der DVD Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche, die das Medienprojekt Wuppertal produziert und herausgegeben hat. Seit 1992 hat sich das Medienprojekt „Jugendvideoarbeit“ auf die Fahnen geschrieben, produziert Filme von und mit Jugendlichen, für Jugendliche – zu immer anderen Themen, auf immer andere Art, in unterschiedlichen Kontexten, aber immer mit den Themen, Ideen und vor allem aus der Perspektive der Jugendlichen selbst. Und so ist auch Andere Welten die blanke Enttäuschung für alle Bewahrpädagoginnen und -pädagogen, für Kulturpessimistinnen und -pessimisten, für alle Freundinnen und Freunde des überdimensionierten pädagogischen Zeigefingers und Drill-Instructors, denn es ist keine DVD, die Mediennutzung an den Pranger stellt und genau weiß, was Jugendliche ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ machen oder machen sollten.

    Im Gegenteil. Auf dieser DVD setzen Jugendliche sich selbst damit auseinander, was ihnen wichtig ist, was sie an ihren Medien schätzen und was sie stört, sie erzählen von sich und ihren Erfahrungen, ziehen ihre eigenen Schlüsse und finden zu ihren eigenen Konsequenzen. Nicht weil sie müssen, sondern weil man sie lässt. Die beiden Hauptfilme auf der DVD beschäftigen sich mit Onlinegaming (Andere Welten) und sozialen Netzwerken (Schein & Sein). In je circa einer halben Stunde werden Jugendliche in ihrem Medienhandeln begleitet und haben Raum, darüber zu berichten. Die Kamera kommt nach Hause, ins Wohnzimmer, ins Jugendzimmer, bekommt Einblick in die Privatsphäre und das ‚echte Leben‘ der Jugendlichen und ist dabei, wenn Siege errungen und Niederlagen eingefahren werden, wenn Charaktere sterben und wenn Freunde miteinander kämpfen, wenn Partys verabredet, Facebook-Kontakte geknüpft und Partybilder belächelt werden. Und sie darf zuhören, wenn die Jugendlichen über sich und ihre Medien erzählen. Wenn sie berichten, wie lange sie täglich spielen (zwischen zwei und acht Stunden). Wenn sie darüber sinnieren, wann eine Sucht anfängt (wenn man keine Freunde mehr hat). Wenn sie reflektieren, was sie an ihrem Spiel fasziniert („Das Coole daran ist, dass du mit Freunden was machst und nicht alleine in deinem Zimmer hockst und spielst, dass du nicht alleine gelassen wirst … deswegen find ich Offline-Spiele auch nicht so interessant.“) oder wenn sie mit per Skype verbundenen Freunden die Katastrophe gerade noch abwenden können: „Mo, hilf mir mal!“ – „Wirst du grad bewusstlos?“ – „Ja, ich werd grad gefressen …“ – „Ja, dann sag doch was! Ey, Kollege, lass ihn in Ruhe!“

    Die Kamera darf aufnehmen, wenn die Bilder für Facebook ausgewählt werden: „Man versucht ja über Facebook immer, sein Leben so gut wie möglich darzustellen und zu sagen: ‚Mein Leben ist voll geil.‘“ Sie schaut zu, wie soziales Leben funktioniert („Seitdem das mit WhatsApp so viel geworden ist, unternimmt man viel mehr mit anderen, weil man sich da verabreden kann.“) aber auch, wo soziales Leben leidet unter den neuen Möglichkeiten: „Bei Facebook ist es viel einfacher zu mobben, weil man nicht so schnell erwischt werden kann. Es ist mehr passives Mobben, man lädt Leute nicht in Gruppen ein oder liked etwas absichtlich nicht.“ Und sie sieht, wo die Jugendlichen selbst an Grenzen stoßen und ihre Kommunikation kritisch sehen: „Bei WhatsApp ist eh alles oberflächlich und gefaked, da erzählt man nichts Wichtiges (…) Was ich wirklich negativ finde, ist, dass Leute so like-geil sind und an Likes feststellen, wer fame ist und wer Opfer ist.“ Dabei sind die Filme aber an keiner Stelle beliebig oder platt – die Jugendlichen machen sich ernsthaft und ausführlich Gedanken und diese werden stringent, mit großer inhaltlicher Dichte und entlang einer logischen, inneren Dramaturgie dargestellt. Die Interviews sind mit Liebe zum Detail aufeinander geschnitten, die Gedanken der Jugendlichen werden veranschaulicht, ohne verniedlicht oder bloßgestellt zu werden und ihre Perspektiven finden ausgewogen Raum – mal bestätigen sich die Interviewten gegenseitig, mal widersprechen sie sich, aber nie scheint der Film vorgeben zu wollen, was ‚wahr‘ ist. Stattdessen wird ein Einblick gegeben in zwölf ganz subjektiv ‚wahre‘ Sichtweisen, denen man zustimmen darf, die man ablehnen darf, über die man nachdenken kann. Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erziehenden, die genau wissen, was richtig und falsch ist und nur nach dem passenden Material suchen, mit dem das auch in den Köpfen der ihnen anvertrauten Jugendlichen ankommt, sei deshalb dringend abgeraten von dieser DVD.

    Wer aber mit Jugendlichen zu tun hat und ein echtes Interesse daran hat, zu erfahren, wie sie denken, was sie tun und womit sie sich beschäftigen, wer die Auseinandersetzung auf Augenhöhe schätzt und aushält und vielleicht mit einer Klasse, einer Jugendgruppe oder den eigenen Kindern ein ehrliches Gespräch suchen und beginnen möchte, ist gut damit beraten, eine gute Stunde Zeit zu investieren und einen erhellenden und spannenden Blick in die Lebenswelt seiner Zielgruppe zu wagen – Horizonterweiterung garantiert. Und das letzte Wort? Wer sonst sollte das in so einem Fall haben, wenn nicht die Jugendlichen selbst: „Meine Eltern sagen manchmal: ‚Mach das Ding aus‘ und dann sag ich: ‚Nee, ich muss zocken.‘“ Die DVD sowie alle Informationen zum Medienprojekt und deren Filmen gibt es unter www.medienprojekt-wuppertal.de/v_173

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